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T 2684/17 22-04-2021
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TEILBARER KLETTERSCHUH EINER KLETTERSCHALUNG
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 1 899 548 B1 (im Folgenden: das Patent) betrifft einen Kletterschuh einer Kletterschalung.
Gegen das Patent wurde Einspruch eingelegt und Widerruf im gesamten Umfang beantragt. Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ 1973), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ 1973) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ 1973) geltend gemacht.
II. Die Einspruchsabteilung hat festgestellt, dass
- der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten
Fassung sowie in der geänderten Fassung gemäß dem mit Schriftsatz vom 27. Juli 2017 eingereichten Hilfsantrag 1 und dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 4 nicht neu sei,
- Anspruch 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung
eingereichten Hilfsantrag 2 gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ verstoße,
- die in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Hilfsanträge 3 und 5 nicht in das Einspruchsverfahren zuzulassen seien.
Deshalb hat sie entschieden, das Patent zu widerrufen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung, hilfsweise in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 oder eines der mit Schreiben vom 24. Oktober 2018 eingereichten Hilfsanträge 3a und 4a aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet (die Nummerierung der Merkmale wurde in der angefochtenen Entscheidung und von beiden Verfahrensbeteiligten verwendet):
1.0) Kletterschuh für eine Kletterschalung,
1.1) mit einem Wandschuhteil (18) und einem
Gleitschuhteil (16),
1.2) wobei der Wandschuhteil (18) zur Befestigung an
einer vertikal ausgerichteten Wandung (12) eines
Betonierabschnitts (14) eines Bauwerks ausgebildet
ist,
1.3) wobei am Gleitschuhteil (16) Klauen (50)
vorgesehen sind, die derart ausgebildet sind, dass
eine Kletterschiene (20) zwischen den Klauen (50)
verschiebbar anordenbar ist und von den Klauen
(50) geführt gehalten werden kann, indem die
Klauen (50) derart ausgebildet sind, dass die
Klauen (50) Teilabschnitte einer Kletterschiene
(20) umgreifen können, und
1.4) wobei mindestens eine Klaue (50) verschwenk- und/
oder teleskopierbar am Gleitschuhteil (16)
vorgesehen ist,
1.5) welcher mit dem Wandschuhteil (18) über eine
horizontale und parallel zu der vertikalen Wandung
ausgerichteten [sic] Steckwelle (34) lösbar
verbunden ist.
VI. Beweismittel
a) In der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung nehmen die Beteiligten Bezug auf folgende bereits mit dem Einspruchsschriftsatz eingereichte und in der angefochtenen Entscheidung genannte Dokumente:
K1: WO 03/097493 Al;
K1a: KR 2002 0062259 A, mit englischer Übersetzung;
K2: WO 2004/020766 Al;
K3: DE 43 02 197 Al;
K4: EP 0 034 819 A2;
K5: FR 2 487 892 Al, mit deutscher Übersetzung K5a;
K6: US 2003/0052249 Al;
K7: FR 2 298 662 Al, mit deutscher Übersetzung K7a;
K8: KR 2002 0047071, mit deutscher Übersetzung K8a;
K9: DE 10 16 919;
K10: DE 28 14 930 C2;
K11: US 3,082,843.
b) Außerdem verweist die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung auf die Urteile des Deutschen Bundespatentgerichts (Urteil vom 23. Oktober 2014 - 7 Ni 28/14) und des Deutschen Bundesgerichtshofes (Urteil vom 23. März 2017 - X ZR 129/14), mit denen das deutsche Patent Nr. 10 2005 030 333, das auf der Prioritätsanmeldung des Patents basiert, in beschränkter Fassung aufrechterhalten wurde. Diese Urteile sind als P2 bzw. P3 in der angefochtenen Entscheidung genannt.
c) Mit Schreiben vom 24. Oktober 2018 hat die Beschwerdeführerin zudem folgendes weiteres Dokument eingereicht:
P6: Auszug aus der digitalen Version des Deutschen
Wörterbuchs der Gebrüder Grimm zum Stichwort "Wandung", Leipzig 1971.
d) Mit Schreiben vom 23. Juli 2019 hat die Beschwerdegegnerin folgende Dokumente eingereicht:
Xl: Prospekt "PEP Alpha Deckenstütze", Peri GmbH;
X2: Wittel, H. et al, "Roloff/Matek Maschinenelemente",
Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden, 2011, Seite 343;
X3: Heizenröther, M., "Das Stirnraddifferenzial mit
Innenverzahnung im Vergleich zum Kegelraddifferenzial inklusive einer Sperrwertanalyse", Dissertation, TU München, 2005, Seite 11.
VII. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den beiden Verfahrensbeteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrunde liegenden Sachverhalts mit.
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 22. April 2021 statt.
IX. Das für diese Entscheidung maßgebliche schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin in Bezug auf die erteilten Ansprüche gemäß Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Ausführbarkeit
Der Fachmann habe keinerlei Schwierigkeiten die beanspruchte Erfindung mit Hilfe seines üblichen Fachwissens nachzuarbeiten. Er sei insbesondere in der Lage, Klauen einzusetzen, die schwenkbar, teleskopierbar oder aber auch schwenkbar und teleskopierbar seien, wobei selbst die Beschwerdegegnerin anerkenne, dass teleskopierbare Verbindungen an sich bekannt seien.
b) Neuheit
Eine Steckwelle gemäß Anspruch 1 werde auf Scherung beansprucht und weise sowohl einen Handgriff als auch ein Sicherungsmittel auf, insbesondere in Form eines Splints. Aus den Absätzen [0025] und [0027] des Patents gehe hervor, dass die Steckwelle leicht entfernbar sein müsse. Eine Steckwelle fixiere die zu verbindenden Teile bereits durch einfaches Einstecken und erlaube im verbundenen Zustand ein relatives Verschwenken der Teile zueinander. Eine eingesteckte Schraube dagegen fixiere Teile erst durch das Anziehen der Gegenmutter. Nach Anziehen der Mutter seien die Teile nicht mehr verschwenkbar. Eine Schraubverbindung stelle daher keine Steckwelle dar.
Der Begriff "Wandung" bezeichne die Oberfläche eines Bauabschnitts (siehe P6 bzw. die Bezugszeichen 12 in den Figuren des Patents). Ein Wandschuhteil sei ein Teil, das lösbar an einer vertikalen Wand befestigt sei (Absatz [0008] des Patents) und das sich nach erfolgter Befestigung außerhalb der Wand befinde. Ein Deckenschuhteil oder ein Wandanker seien daher jeweils kein Wandschuhteil gemäß Anspruch 1.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei im Hinblick auf K9, K8, K1a und K1 neu, da keines dieser Dokumente einen zweiteiligen Kletterschuh offenbare, bei dem das Wandschuhteil und das Gleitschuhteil mit einer zur Wand horizontal und parallel ausgerichteten Steckwelle lösbar miteinander verbunden vorlägen.
c) Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von K1 bzw. K1a unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents dadurch, dass der Kletterschuh eine Steckwelle aufweise, die ein Gleitschuhteil mit einem Wandschuhteil verbinde (Merkmale 1.1), 1.2) und 1.5)).
Aufgrund dieser Merkmale sei der Kletterschuh auch bei eingeführter Schiene einfacher demontierbar.
Ausgehend von K1 oder K1a bestehe unter Einbeziehung des allgemeinen Fachwissens kein Anreiz, den darin beschriebenen Kletterschuh zweiteilig auszuführen und zudem die beiden Kletterschuhteile mit einer Steckwelle zu verbinden.
Keines der weiterhin zitierten Dokumente K5, K7, K10 oder K11 offenbare einen zweiteiligen Kletterschuh. Daher liefere auch keines dieser Dokumente einen Anreiz den in K1a oder K1 offenbarten Kletterschuh zweiteilig auszuführen und weiterhin diese beiden Teile mit einer Steckwelle zu verbinden.
X. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Ausführbarkeit
Anspruch 1 umfasse in Hinblick auf die Ausgestaltung der Klauen drei Ausführungsformen. Das Patent zeige lediglich eine Ausführungsform für verschwenkbare Klauen, nicht aber für teleskopierbare oder gar verschwenkbare und zudem teleskopierbare Klauen.
Aus dem allgemeinen Fachwissen sei nicht ableitbar, wie eine Klaue nicht nur verschwenkbar sondern zudem auch teleskopierbar ausgestaltet werden könne. In Anbetracht der in einer Klaue eines Kletterschuhs einer Kletterschalung auftretenden mechanischen Belastung liege es nicht ohne weiteres im Rahmen des Fachwissens, eine verschwenkbare Klaue zudem teleskopierbar auszugestalten.
Der Fachmann stehe daher vor unüberwindbaren Schwierigkeiten, den Kletterschuh in allen möglichen Ausführungsformen gemäß Anspruch 1 nachzuarbeiten.
b) Neuheit
Der Begriff "Steckwelle" gemäß Anspruch 1 umfasse ein längliches Bauteil, das durch Einstecken das Gleitschuhteil mit dem Wandschuhteil verbinde. Diese Funktionalität werde von einer Schraube oder einem Bolzen, der ja nicht zwingend durch eine Mutter gekontert und fest angezogen werden müsse, inhärent erfüllt.
Der Begriff "Wandung" definiere allgemein die Begrenzung von etwas Räumlichen. Die Befestigung des Wandschuhteils müsse daher gemäß Anspruch nicht zwangsweise an der vertikalen Oberfläche des Betonierabschnitts erfolgen. Ferner definiere Anspruch 1 nicht, dass das Wandschuhteil dazu geeignet sein müsse, von der Wandung abgelöst zu werden. Ein auf der Stirnseite einer vertikalen Wand eingesetztes Deckenschuhteil bzw. ein Wandanker seien daher ein zur Befestigung an einer vertikal ausgerichteten Wandung eines Betonierabschnitts eines Bauwerks ausgebildeter Wandschuhteil gemäß Anspruch 1.
K9 offenbare in Figur 3 und 4 bzw. in den in Spalte 2, Zeilen 22 ff beschriebenen Ausführungsformen einen Kletterschuh gemäß Anspruch 1. Die in Figur 4 dargestellte Verbindung der Kletterschuhbestandteile könne gemäß der Lehre in Spalte 2 der K9 eine Schraube sein, die - wie diskutiert - eine Steckwelle darstelle. Auch symbolisiere die in Figur 4 in Form einer gestrichelten Linie dargestellte Verbindung zweifelsfrei eine Steckverbindung und damit eine Steckwelle gemäß Anspruch 1.
Die in Figur 5 der K8 gezeigten Bolzen 14 und 14' dienten der lösbaren Befestigung der Verbindungsplatten 2 und 19 stellten eine Steckwelle im Sinne von Anspruch 1 dar. Die Stützträger 18, 18' könnten ohne bauliche Änderung mittels anderer Schrauben und eines weiteren Hilfsmittels, z.B. eines Winkels, an einer vertikalen Wand befestigt werden.
Figur 5a von K1a offenbare einen zweiteiligen Kletterschuh mit einem Gleitschuhteil 10 und einem damit mittels einer Schraube lösbar verbundenen Wandschuhteil 40. Die Schraube sei horizontal und parallel zur Fläche angebracht, an der auch der Kletterschuh befestigt sei.
Auch der in Figur 2a der K1 gezeigte Zuganker 24 bilde ein Wandschuhteil im Sinne von Anspruch 1. Figur 2a der K1 zeige einen einschwenkbaren Tragarm 25, der mit dem Gleitschuhteil 3 zumindest implizit über eine Steckwelle lösbar verbunden sei.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei daher im Hinblick auf K1 und K1a, K8 sowie K9 nicht neu.
c) Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei ausgehend von K1/K1a, Figur 1 und 2 als nächstliegendem Stand der Technik naheliegend. Der Fachmann sei sich bewusst, dass zweiteilige Kletterschuhe im Stand der Technik bekannt seien und dass Steckwellen zum Verbinden von Bauteilen eingesetzt werden könnten. So zeige Dokument K5 in den Figuren 2 bis 7 einen Kletterschuh, der ein Wandschuhteil 1 und ein Gleitschuhteil 19 bzw. 6 aufweise. Diese seien mittels einer Steckwelle miteinander verbunden. Ausgehend von K1a würde der Fachmann erkennen, dass diese zweiteilige Ausgestaltung des Kletterschuhs vorteilhaft sei und würde den Kletterschuh der K1a entsprechend modifizieren. Ferner sei es naheliegend, den in den Figuren 1 und 2 der K1a dargestellten Kletterschuh in Kombination mit dem in Figur 2 der K5 dargestellten Wandschuhteil einzusetzen.
Auch die Dokumente K7, K10 oder K11 belegten, dass der Fachmann zweiteilige Kletterschuhe kenne, deren Bestandteile mittels einer Steckwelle verbunden seien.
Ferner fehle es - wie schriftlich vorgetragen - dem Gegenstand des Anspruchs 1 an einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von K2 als nächstliegendem Stand der Technik unter Berücksichtigung der Lehre von K5 oder K7.
Entscheidungsgründe
1. Ausführbarkeit, Artikel 100 b) EPÜ
1.1 Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann ein Einwand bezüglich mangelnder Offenbarung nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtbare Zweifel an der Ausführbarkeit glaubhaft gemacht werden können (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel II.C.9.). Die bloße Tatsache, dass ein Anspruch weit gefasst ist bzw. Ausführungsformen umfasst, für die kein Ausführungsbeispiel im Detail im Patent beschrieben wird, stellt noch keinen Grund zu der Annahme dar, dass das Patent das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung nicht erfüllt.
Aufgrund der "und/oder"-Verknüpfung in Merkmal 1.4) definiert Anspruch 1 letztendlich drei alternative Ausführungsformen der mindestens einen Klaue, nämlich eine verschwenkbare Klaue ("Variante A"),
eine teleskopierbare Klaue ("Variante B"), und
eine verschwenkbare und teleskopierbare Klaue ("Variante C").
Der Fachmann, der gewillt ist, die beanspruchte Erfindung nachzuarbeiten, wird unter den ihm aufgrund seines allgemeinen Fachwissens unstreitig im Prinzip bekannten Teleskopverbindungen eine solche auswählen, die für die Varianten B und C geeignet ist, selbst wenn das Patent keine konkreten Angaben darüber enthält. Beispielsweise könnte der Fachmann zur Verbindung der mindestens einen Klaue mit dem Gleitschuhteil mehrere ineinander verschiebbaren Rohre vorsehen, um diese Klaue ein- und ausfahren zu können und mithin einen Teilabschnitt der Kletterschiene zu umgreifen bzw. um diese Klaue von diesem Teilabschnitt abzunehmen.
Sollte der Fachmann eine der gemäß Anspruch 1 möglichen Varianten B und C auswählen, sind keine Schwierigkeiten für deren Umsetzung aufgrund des allgemeinen Fachwissens zu erwarten. Die mechanische Belastung einer Klaue für eine Kletterschalung steht dieser Ansicht nicht entgegen, schließlich tritt diese Belastung nur bei geschlossener Klaue, und damit auch bei eingefahrener Teleskopverbindung auf. Auch wurden derartige Schwierigkeiten von der Beschwerdegegnerin nicht anhand nachprüfbarer Fakten belegt.
Die Argumente der Beschwerdegegnerin können mithin keine Zweifel streuen, dass jede der in Anspruch 1 definierten Varianten zur Ausgestaltung der Klauen von einem Fachmann realisiert werden kann.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ steht daher einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
2. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ - Hauptantrag
2.1 in Hinblick auf K9
2.1.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung durch K9 neuheitsschädlich vorweggenommen ist (Entscheidungsgründe Nr. 3.7). Dieser Auffassung kann die Kammer nicht folgen.
2.1.2 K9 betrifft ein Klettergerüst, dessen Ständer (7) unmittelbar als Gleitschienen in am fertiggestellten Bauwerksabschnitt lösbar verankerten Stützvorrichtungen geführt sind, siehe Spalte 1, Zeilen 15 bis 22.
Es ist unstreitig, dass die in den Figuren 3 und 4 von K9 gezeigte Stützvorrichtung 2 als ein Kletterschuh gemäß Merkmal 1.0) des Anspruchs 1 angesehen werden kann, wobei die waagerechten Arme 3 mit daran befestigten vertikalen Führungsstäben 5 als anspruchsgemäße Klauen angesehen werden können (Merkmal 1.3)).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIKFORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2.1.3 In einer Auslegung der Figuren der K9 kann der wandnahe Teil der Stützvorrichtung 2 (vertikale Verstrebungen 6) als Wandschuhteil im Sinne von Anspruch 1 angesehen werden.
Das Verbindungsmittel zwischen diesem Wandschuhteil und dem waagrechten Arm 3, der als Gleitschuhteil bezeichnet werden kann, ist in Figur 3 durch einen Kreis und in Figur 4 durch eine gestrichelte Doppellinie dargestellt.
Die schematische Darstellung in den Figuren der K9 liefert folglich keinerlei Information mit welchem Verbindungsmittel die einzelnen Bauteile miteinander verbunden werden.
Unabhängig davon, was unter dem Begriff Steckwelle in Anspruch 1 im Detail zu verstehen ist, lassen die Figuren der K9 aufgrund ihrer allgemeinen unspezifizierten technischen Lehre als solches daher nicht direkt und unzweideutig erkennen, dass es sich bei dem Verbindungsmittel um ein Mittel handelt, das als eine Steckwelle gemäß Merkmal 1.5) des Anspruchs 1 eingesetzt wird.
2.1.4 Gemäß Spalte 1, Zeilen 52 bis 54 und Spalte 2, Zeilen 22 bis 30 der K9 kann die Verbindung der Stützstäbe und Arme in dem Klettergerüst der K9 mittels Schrauben realisiert werden. Diesbezüglich ist es zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig, ob der Begriff Steckwelle eine Schraube umfasst.
a) Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern
sind die Begriffe eines Anspruchs bzw. der Anspruchswortlaut als solcher kontextuell, d. h. im Gesamtzusammenhang des Anspruchs bzw. der Beschreibung auszulegen (siehe T 1646/12 vom 26. Juni 2015, Gründe Nr. 2). Dabei sollen zwei Extreme vermieden werden. Zum einen dürfen einschränkende Merkmale, die zwar in der Beschreibung genannt sind, aber nicht in den Ansprüchen, nicht in letztere hineingelesen werden. Zum anderen darf man den Anspruch auch nicht als von der Beschreibung völlig getrennt betrachten. Der Fachmann, der einen Anspruch auslegt, muss sich zumindest vergewissern, ob die Ausdrücke des Anspruchs ihrem üblichen Wortsinn nach zu verstehen sind oder ob die Beschreibung für diese Ausdrücke eine besondere Bedeutung definiert. Auch bei unklaren Ansprüchen kommt der Fachmann nicht umhin, in den restlichen Ansprüchen, aber auch in der Beschreibung und den Figuren nach klärenden Elementen zu suchen. Es ist also innerhalb gewisser Grenzen zulässig, und unter Umständen sogar notwendig, die Beschreibung bei der Auslegung eines Anspruchs heranzuziehen. Einer Berufung auf Artikel 69 (1) EPÜ bedarf es dazu nicht, da dieser nur den Schutzbereich des Patents betrifft, welcher wiederum nur im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ sowie in nationalen Verletzungsverfahren von Bedeutung ist.
b) Nach dem allgemeinen Sprachverständnis bezeichnet der
Begriff "Steckwelle" eine einsteckbare Welle, d. h. ein einsteckbares, stabförmiges und rotierendes Maschinenelement zur Übertragung von Drehbewegungen und Drehmomenten.
Ein derartiges Maschinenelement zur Übertragung von Drehbewegungen und Drehmomenten ist bei Kletterschuhen für Kletterschalungen unüblich und ergibt im Gesamtzusammenhang von Anspruch 1 prima facie keinen technischen Sinn. Der Fachmann wird sich deshalb die Frage stellen, ob der Begriff "Steckwelle" im gegebenen Zusammenhang anders zu verstehen ist. Er wird dabei die Beschreibung und Zeichnungen des Patents zu Rate ziehen, um sein Verständnis des Begriffs zu verifizieren. Dort wird seine dem üblichen Sprachgebrauch folgende Auslegung des Begriffs dahingehend bestätigt, dass die Steckwelle ein in Öffnungen der Gleit- und Wandschuhteile einsteckbares und daraus herausziehbares, stabförmiges Bauteil ist (Absätze [0017], [0028] und [0029] des Patents in Verbindung mit Figuren 4 bis 7), das durch das bloße Einstecken das Gleitschuhteil mit dem Wandschuhteil verbindet.
Im Kontext des Anspruchs 1 versteht der Fachmann daher Steckwelle im Sinne einer Steckachse, die weiterhin die Verschwenkung der Teile zueinander ermöglicht.
Diese Auslegung des Wortlauts des Anspruchs wird ebenfalls durch die weitere Lehre des Patents gestützt, wonach die Steckwelle die Gleit- und Wandschuhteile gelenkig miteinander verbinden soll (Absatz [0025] des Patents).
Eine Schraube ist zwar in Bohrungen eines Wandschuhteils und eines Gleitschuhteils einsteckbar. Allerdings verbindet eine lediglich eingesteckte Schraube noch nicht notwendigerweise zwei Bauteile. Beispielsweise tritt keine Verbindung auf, wenn der Durchmesser der Schraube nicht dem Durchmesser der Bohrungen entspricht, da die Schraube dann einfach wieder aus der Bohrung herausfallen kann. In Abgrenzung zu einer Schraubverbindung liegt eine Steckverbindung einer Steckwelle vielmehr dann vor, wenn darauf keine axialen Zugkräfte einwirken, sondern Scherkräfte senkrecht zur Achsenausrichtung.
Eine festgezogene, unter Zug stehende Schraube gemäß der Offenbarung der K9 stellt mithin keine Steckwelle im Sinne von Anspruch 1 dar.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach der wandnahe Teil der Stützvorrichtung 2 (vertikale Verstrebungen 6) und der waagrechte Arm 3 an einem Wandanker mittels losen, lediglich eingesteckten Schrauben im Sinne einer Steckverbindung fixiert werden kann, beruht zudem nicht auf der Offenbarung der K9. Diese offenbart in Spalte 1, Zeile 54 und Spalte 2, Zeile 34 vielmehr, dass die Bauteile "angeschraubt" bzw. "verschraubt" werden. Eine rein spekulative Auslegung der Lehre der K9, die nicht dem üblichen Fachverständnis entspricht, ist bei der Beurteilung der Neuheit nicht zu berücksichtigen.
2.1.5 Auch unter Einbeziehung der Offenbarung der Beschreibung offenbaren die Figuren der K9 daher keinen Kletterschuh, bei dem ein Wandschuhteil mit einem Gleitschuhteil mittels einer Steckwelle verbunden wird.
2.1.6 Dieses Unterscheidungsmerkmal besteht auch bei weiteren Auslegungsvarianten der Figuren der K9 seitens der Beschwerdegegnerin, wonach beispielsweise der Wandanker als Wandschuhteil angesehen wird. Daher kann dahingestellt bleiben, ob derartige weitere Auslegungsvarianten überhaupt ein Wandschuhteil oder verschwenkbare Klauen im Sinne von Anspruch 1 offenbaren.
2.1.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents ist daher neu in Hinblick auf K9.
2.2 in Hinblick auf K8
K8 offenbart in Figur 5 eine Vorrichtung, mit der die schienenförmigen Pfeiler (25, 25') eines Baugerüsts (33) an einer bereits betonierten Bodenplatte (30) befestigt werden.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Der bauwerksferne, mit der Verbindungsplatte 19 lösbar verbundene Teil der Vorrichtung, der u. a. die Platten 2 und 15, die Stützprofile 3 und 3', die Basis 16 und die Basis 23 umfasst, kann als Gleitschuhteil angesehen werden, wobei die als Klauen ausgebildeten Platten 4, 4', 5 und 5' verschwenkbar an diesem Gleitschuhteil montiert sind.
Die Stützträger 18, 18' der Vorrichtung dienen dazu, diese an einer bereits betonierten Boden- oder Deckenplatte 30 mittels Schrauben 21, 21' zu befestigen.
Die beiden Bolzen 14 und 14' zur lösbaren Befestigung der Verbindungsplatten 2 und 19 des Gleitschuhteils bzw. des Deckenschuhteils sind zweifelsfrei senkrecht zu der vertikalen Wand ausgerichtet.
Eine Auslegung von Anspruch 1, wonach dieser auch einen Kletterschuh umfasst, bei dem die Steckwelle parallel zu der Befestigungsfläche eines Deckenschuhteils vorliegt, überzeugt nicht, da diese im klaren Widerspruch zu dem expliziten Wortlaut "mit dem Wandschuhteil (18) über eine horizontale und parallel zu der vertikalen Wandung ausgerichteten Steckwelle" in Merkmal 1.5) gemäß Anspruch 1 steht.
K8 offenbart mithin keine Anordnung gemäß Anspruch 1, bei der die angeblich als Steckwellen anzusehenden Bolzen 14, 14' horizontal sowie parallel zu der vertikalen Wandung ausgerichtet sind. Die Frage, ob das in K8 dargestellte Deckenschuhteil überhaupt ein an einer vertikalen Wandung angebrachtes Wandschuhteil ist und ob die beiden Bolzen jeweils als eine Steckwelle angesehen werden können, kann daher dahingestellt bleiben.
Soweit die Beschwerdegegnerin vorträgt, die in Figur 5 gezeigten Stützträger 18, 18' könnten ohne bauliche Änderung mittels anderer Schrauben und eines weiteren Hilfsmittels, z.B. eines Winkels, an einer vertikalen Wand befestigt werden, überzeugt dies ebenfalls nicht. Hypothetisch zwar mögliche, aber nicht explizit offenbarte Ausführungsformen bleiben bei der Beurteilung der Neuheit gemäß ständiger Rechtsprechung außer Betracht.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents ist daher neu in Hinblick auf K8.
2.3 In Hinblick auf K1a
2.3.1 K1a offenbart in den Figuren 1 und 2 einen Kletterschuh, mittels dem ein schienenförmiger Ständer eines Baugerüsts an einer bereits betonierten Wand bzw. Decke befestigt werden kann.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
In den Figuren 3a-b, 4a-4f und 5b wird dargestellt, wie dieser Kletterschuh, der als ein Gleitschuhteil im Sinne des Anspruchs 1 gemäß Patent angesehen werden kann, direkt an einer vertikalen Wand montiert werden kann.
Keiner dieser in den genannten Figuren dargestellten Kletterschuhe ist zweistückig ausgeführt und weist ein weiteres Wandschuhteil und dementsprechend eine Steckwelle gemäß Anspruch 1 des Patents auf.
2.3.2 Alleinig der in Figur 5a von K1a dargestellte Kletterschuh weist zudem ein Erweiterungsteil 40 auf, welches nach Ansicht der Beschwerdegegnerin den beanspruchten Wandschuh darstellen soll. Nur diese Ausführungsform wurde von der Beschwerdegegnerin als neuheitsschädlich angesehen.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Sie weist allerdings keine Steckwelle auf, die horizontal sowie parallel zu der vertikalen Wandung ausgerichtet ist. Vielmehr sind die Verbindungsmittel, die das Gleitschuhteil 10 mit dem Erweiterungsteil 40 verbinden, senkrecht zu der vertikalen Wand ausgerichtet.
Mithin kann die Frage dahingestellt bleiben, ob das auf einer Deckenfläche montierte Erweiterungsteil 40 der K1a ein an einer vertikalen Wandung angebrachtes Wandschuhteil ist und ob die beiden Verbindungsmittel des Gleitschuhteils 10 und des Erweiterungsteils 40 jeweils als eine Steckwelle angesehen werden können.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents ist daher neu in Hinblick auf K1a.
2.4 In Hinblick auf K1
K1 offenbart in den Figuren 2 und 3 unterschiedliche Kletterschuhe, mit denen die schienenförmigen Ständer eines Baugerüsts an einer bereits betonierten Wand bzw. Decke befestigt werden können, wobei das Baugerüst als Kletterschalung verwendet werden kann (K1, Seite 3, Zeilen 27 bis 30 und Seite 6, Zeilen 27 bis 31).
Weder Figur 2 noch Figur 3a der K1 lässt allerdings erkennen, dass der darin gezeigte Kletterschuh zweiteilig ist und einen Gleit- und einen Wandschuhteil aufweist.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Dementsprechend ist auch keine Steckwelle zur Verbindung solcher Teile offenbart.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents ist mithin neu in Hinblick auf K1.
2.5 Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents daher nicht entgegen.
3. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Hauptantrag
3.1 Das Dokument K1a betrifft ähnlich dem Patent einen Kletterschuh für einen schienenförmigen Ständer eines Gerüsts.
Die Kammer stimmt der Ansicht beider Verfahrensbeteiligter zu, dass das in den Figuren 1 und 2 gezeigte Ausführungsbeispiel der Kla einen geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
3.2 Wie voranstehend in Punkt 2.3.1 zur Neuheit dargelegt, offenbart K1a in den genannten Abbildungen einen Kletterschuh zum Halten einer Schiene eines Gerüsts, der als Gleitschuhteil im Sinne des Anspruchs 1 gemäß Patent angesehen werden kann.
Wie in den Figuren 3a-b, 4a-4f und 5b dargestellt, wird dieser einstückig ausgeführte Kletterschuh direkt an einer vertikalen Wand montiert.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents unterscheidet sich von dem in K1a offenbarten Kletterschuh dadurch, dass der beanspruchte Kletterschuh zweistückig ausgeführt ist, also neben einem Gleitschuhteil auch einen Wandschuhteil aufweist, und weiterhin dadurch, dass diese beiden Teile des Kletterschuhs mittels einer Steckwelle lösbar verbunden sind (Merkmale 1.1), 1.2) und 1.5) des Anspruchs 1).
3.3 Aus den Absätzen [0007], [0009], [0027] bis [0029] des Patents geht hervor, dass dank der Teilung des Kletterschuhs in Gleit- und Wandschuhteil und der Verwendung einer Steckwelle zur Verbindung dieser Teile der Abbau des Kletterschuhs bei umgriffener Kletterschiene vereinfacht wird.
3.4 Unter Berücksichtigung dieser technischen Wirkungen der Unterscheidungsmerkmale gegenüber K1a besteht die von Anspruch 1 objektiv zu lösende technische Aufgabe unstreitig darin, den Abbau des Kletterschuhs bei umgriffener Kletterschiene zu vereinfachen.
3.5 Die Verwendung eines zweiteiligen Kletterschuhes mit einer Steckwelle als Verbindungsmitte zur Lösung dieser Aufgabe wird durch den zitierten Stand der Technik oder das allgemeine Fachwissen nicht nahegelegt.
3.5.1 K5 zeigt in den Figuren 5 bis 7 ein Klettergerüst, das an gebogenen Wänden eingesetzt werden kann.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Dazu werden Kletterschuhe (1a, 1b, 1c, und 1d) und eine spezielle Kletterschiene eingesetzt. Diese weist ein erstes Schienenteil 6, das mittels einer Stange 14, die von einer Zylinder-Kolben-Anordnung bewegt werden kann, und ein zweites Schienenteil in Form einer Konsole 19 auf.
Diese Konsole wird an dem Kletterschuhteil 1 mittels Stiften gesichert (K5a, Seite 4, Zeilen 13 bis 16). Der Kletterschuh selbst (No. 1a) ist jedoch einstückig ausgeführt, die Steckwelle dient lediglich der Verbindung mit dem kletternden Bauteil.
Auch wenn man der Argumentation der Beschwerdegegnerin dahingehend folgen sollte, dass die Konsole 19 der Teleskopschiene theoretisch abbaubar sei und von dem Schienenteil 6 gelöst werden könnte, ist aus der Lehre der K5 nicht unmittelbar ableitbar, dass die an der Schiene befestigte und mit dieser mitkletternde Konsole 19 eigentlich ein Gleitschuhteil eines zweiteiligen Kletterschuhs 1 wäre. Eine derartige Interpretation hat keine Grundlage in der Lehre der K5 und beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise und Interpretation der Offenbarung der K5 in Kenntnis der Erfindung.
Die Figuren 5 bis 7 der K5 liefern daher keinerlei Anreiz, den in K1a beschriebenen Kletterschuh zweiteilig auszuführen.
Auch der in Figur 2 der K5 dargestellte Kletterschuh zur Führung der Kletterschiene 6 gibt dazu keinen Hinweis.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Es mag zwar theoretisch möglich und vorstellbar sein, das untere Ende des in Figur 2 der K1a dargestellten Kletterschuhs in die T-förmige Führung des in Figur 2 der K5 dargestellten Kletterschuhs 1 bei entsprechender Dimensionierung beider Teile teilweise einzuführen und mittels einer Steckwelle zu fixieren.
Allerdings ist der Kletterschuh sowohl in K1a als auch in K5 jeweils einteilig ausgeführt. Allenfalls würde der Fachmann daran denken, den einen Kletterschuh durch den anderen zu ersetzen. In Unkenntnis der Erfindung des Patents gibt es jedoch keinerlei Anreiz oder Motivation, die beiden einstückigen Kletterschuhe der K1a bzw. der K5 zu einem einzigen Kletterschuh zu vereinen und gegebenenfalls nach Hinzufügung weiterer Bohrungen durch eine Steckwelle zu verbinden, insbesondere um die zugrundeliegende objektive technische Aufgabe zu lösen.
3.5.2 K7 zeigt in Figur 5 eine Kletterschalung, von der im folgenden Bild ein Ausschnitt wiedergegeben wird.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
In Hinblick auf das mit dem Bezugszeichen 50 versehene Element beschreibt K7 auf Seite 10, Zeilen 11 bis 14, es handle sich um eine Achse, die die rohrförmige Stange 49 gelenkig mit dem Gabelgelenk 47 verbinde.
K7 offenbart daher nicht, dass es sich bei dem mit dem Bezugszeichen 50 versehenen Element um eine lösbare Steckwelle handelt, welche insbesondere die Teile eines zweiteiligen Kletterschuhs verbindet.
Folglich liefert K7 keine Motivation, den Kletterschuh der K1a zweiteilig auszuführen und die beiden resultierenden Teile mittels einer Steckwelle zu verbinden.
3.5.3 K10 offenbart in Figur 5 einen mit dem Bauwerk verbundenen Gerüstschuh (3) mit einem U-Profil, in dessen rechtwinklig zur Wand verlaufenden Schenkeln Bohrungen (20) und (21) zur Aufnahme von Steckbolzen (22) und (25) vorgesehen sind. Der Einsatz der Steckbolzen wird gemäß K10 dadurch ermöglicht, dass die Stütze nur der Führung der Schalung dient, nicht aber zum Abstützen schwergewichtiger Teile (Spalte 2, Zeilen 22 bis 31). K10 belegt damit nicht, dass dem Fachmann eine lösbare Verbindung mittels Steckbolzen auch für solche Elemente eines Gerüsts bekannt war, die der Herstellung einer Verbindung mit dem Bauwerk dienen, die erhebliche Kräfte aufnehmen muss. Zudem enthält K10 keinen Anreiz dazu, den Kletterschuh der K1a überhaupt zweiteilig auszuführen.
3.5.4 K11 bestätigt ebenfalls in den Figuren 1, 3, 4 und 5, dass einzelne Elemente eines Gerüsts untereinander durch horizontale Steckverbindungen, etwa mittels Bolzen, lösbar miteinander verbunden werden können (Bolzen 36 zur Befestigung eines Gerüstpfostens 32 an dem Gerüstträger 6).
Diese Lehre zu Gerüstbauten in K11 liefert allerdings ebenso keinerlei Motivation, den Kletterschuh der K1a zweiteilig auszuführen und die beiden Teile mittels einer Steckwelle zu verbinden, um die zugrundeliegende technische Aufgabe zu lösen.
3.5.5 Die Verwendung einer Steckverbindung, die mittels Stiften, Bolzen und Achsen realisiert wird, mag dem Fachmann allgemein bekannt sein. Zum Beleg dieses Fachwissens verweist die Beschwerdegegnerin auf die Lehre der in den vorangehenden Abschnitten diskutierten Dokumente K5, K7, K10 und K11 sowie auf die Offenbarung in den folgenden Dokumenten:
K3 (Figur 4, Bolzen 25 zur schwenkbaren Lagerung der
Sperr- und Steuerglieder 24, 34),
K4 (Figur 4, Steckbolzen 15 zur Befestigung des
Seils 2),
K6 (Figur 5b, Stift 58 zur schwenkbaren Lagerung der
Klinke 56).
Allerdings erhält der Fachmann aus diesem allgemeinen Fachwissen zu Steckverbindungen keinerlei Anregung für eine Weiterentwicklung des in den Figuren 1 und 2 der K1a offenbarten Kletterschuhs in Richtung der beanspruchten Erfindung. Insbesondere ist aus dem Wissen um steckbare Verbindungen kein Hinweis dafür ableitbar, den Kletterschuh überhaupt zweiteilig auszugestalten.
3.6 Das entsprechende Prioritätsdokument K1 der K1a enthält eine ähnliche, wenn auch weniger detaillierte technische Lehre wie K1a. In Bezug auf K1 gelten daher im Prinzip die gleichen Argumente wie für K1a.
3.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents ist somit ausgehend von K1a und entsprechend auch ausgehend von dessen Prioritätsanmeldung K1 nicht naheliegend.
3.8 Das Dokument K2 offenbart keinen Kletterschuh für eine Kletterschalung, sondern vielmehr eine Hebevorrichtung für eine Kletterschutzwand. Somit betrifft K2 nicht die gleiche Zielsetzung wie die beanspruchte Erfindung des Patents. Die Wahl von K2 als Ausgangspunkt für eine Entwicklung eines Kletterschuhs ist daher nicht realistisch. Die alternative Angriffslinie ausgehend von K2 ist weniger erfolgversprechend als die Angriffslinie ausgehend von K1/K1a.
Im Anhang zur Ladung wurde der Beschwerdegegnerin diese Meinung der Kammer bereits mitgeteilt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde diese Meinung von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt. Eine detailliertere Diskussion der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von K2 kann somit unterbleiben.
3.9 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents daher nicht entgegen.
4. Auch wenn Entscheidungen nationaler Gerichte für das Verfahren vor den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts nicht bindend sind, so ist deren Rechtsauffassung dennoch von der Beschwerdeinstanz in Betracht zu ziehen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.H.4.1.-4.3). Die Kammer stellt diesbezüglich fest, dass die vorliegende Entscheidung im Ergebnis zu dem gleichen Resultat kommt wie die Urteile des Deutschen Bundespatentgerichts (Urteil vom 23. Oktober 2014 - 7 Ni 28/14) und des Deutschen Bundesgerichtshofes (Urteil vom 23. März 2017 - X ZR 129/14), die als P2 bzw. P3 in der angefochtenen Entscheidung genannt werden.
5. Zusammenfassend hat die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.