T 0145/18 16-12-2020
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Einlegeschlauch zum Auskleiden und Sanieren von Rohrleitungen und Kanälen, insbesondere von Abwasserkanälen
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin betrifft die am 8. November 2017 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Europäische Patent mit der Nummer 2 525 130 widerrufen wurde.
II. Das Patent wurde auf Grundlage von neun Ansprüchen erteilt wobei Anspruch 1 folgenden Wortlaut hatte:
"Einlegeschlauch (1) zum Auskleiden und Sanieren von Rohrleitungen (2) und Kanälen, insbesondere von Abwasserkanälen, wobei der Einlegeschlauch (1) mindestens eine, vorzugsweise mehrere Lagen aus Glasfasern (20) aufweist, die mit einer aushärtbaren Reaktionsmasse (16) getränkt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Reaktionsmasse (16) peroxidfrei und durch UV-haltige Strahlen (4) aushärtbar ist, dass die Schlauchdicke des Einlegeschlauches (1) mehr als 10 mm beträgt, und dass durch die Verwendung einer geeigneten Schlichte (18) auf den Glasfasern (20) der Absorptionskoeffizient alpha des Einlegeschlauches (1) für die UV-haltigen Strahlen (4) derart herabgesetzt ist, dass die peroxidfreie Reaktionsmasse (16) und damit der Einlegeschlauch (1) durch die UV-haltigen Strahlen (4) vollständig aushärtbar ist."
III. Im Einspruch gegen das Patent wurden Gründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit) sowie Artikel 100 b) EPÜ geltend gemacht.
IV. Die angefochtene Entscheidung erging auf der Grundlage des erteilten Patents.
V. Gemäß der Entscheidung stünde der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Drei Aspekte der Erfindung wurden hierbei berücksichtigt, wobei bezüglich der Auswahl des Ausgangsmaterials für die Schlichte und des Merkmals "Herabsetzen des Absorptionskoeffizienten" die Erfordernisse der Ausführbarkeit als gegeben angesehen wurden.
Für das Merkmal "vollständige Aushärtbarkeit" eines Einlegeschlauchs mit einer Dicke von mehr als 10 mm bestünden jedoch Defizite bezüglich der Ausführbarkeit. Es stelle einen unzumutbaren Aufwand dar, auf Basis der im Patent enthaltenen Informationen sowie des Fachwissens, ausgehend von bekannten Einlegeschläuchen, diese mit einer Schlichte so zu modifizieren, dass die vollständige Aushärtbarkeit gewährleistet sei.
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Zusammen mit der Beschwerdebegründung wurde das Dokument (D33):
"Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung" der Deutschen Institut für Bautechnik, 10. Juni 2010, Zulassungsnummer Z-42.3-365"
eingereicht.
VII. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) erwiderte auf die Beschwerde.
VIII. Die Kammer erließ eine Ladung zur mündlichen Verhandlung und einen Bescheid, in welchem sie ihre vorläufige Meinung darlegte. Die Kammer war der Auffassung, das Patent sei im wesentlichen aufgabenhaft formuliert. Insbesondere bestünden wesentliche Defizite in der Definition der Schlichte und der Beschaffenheit der Glasfaser.
IX. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2020 beantragte die Beschwerdegegnerin angesichts der geltenden Reisebeschränkungen wegen der Covid-19 Pandemie, die Verhandlung mittels Videokonferenz durchzuführen.
X. Mit Schreiben vom vom 11. November 2020 widersetzte sich die Beschwerdeführerin dem Antrag der Beschwerdegegnerin vom 8. Oktober 2020 und beantragte stattdessen die Vertagung und Festlegung eines neuen Verhandlungstermins.
XI. Mit Schreiben vom 17. November 2020 widersetzte sich die Beschwerdegegnerin dem Antrag auf Vertagung der Verhandlung und erklärte, sie sei bereit, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten, sodass eine Entscheidung auf der Grundlage ihrer schriftlichen Ausführungen ergehe könne.
XII. Mit Bescheid vom 24. November 2020 teilt die Kammer den Beteiligten mit, dass die mündliche Verhandlung am 16. Dezember 2020 in den Räumlichkeiten des Europäischen Patentamts jedoch antragsgemäß ohne Beteiligung der Beschwerdegegnerin stattfinden werde.
XIII. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 brachte die Beschwerdegegnerin weitere sachliche Argumente vor.
XIV. Die mündliche Verhandlung fand am 16. Dezember 2020 statt.
Wie angekündigt mit Schreiben vom 17 November 2020, war die Beschwerdegegnerin nicht vertreten.
Die Beschwerdeführerin erschien ebenfalls nicht. Nach telefonischer Rücksprache seitens der Geschäftsstelle wurde die Kammer informiert, dass die Beschwerdeführerin ebenfalls an der Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Somit wurde das Verfahren in Abwesenheit der Parteien fortgesetzt (Artikel 15 (3) VOBK 2020).
XV. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Das Merkmal "vollständig aushärtbar" sei für den Fachmann verständlich und geläufig wie aus D33 hervorgehe. Ferner enthalte das Patent technische Angaben, wie dies zu bewerkstelligen sei.
Es sei im Hinblick auf das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung nicht erforderlich, dass eine Erfindung "buchstabengetreu" nacharbeitbar sei. Vielmehr reiche es aus, wenn der Fachmann das versprochene Ergebnis der Erfindung mit zumutbarem Aufwand erfolgreich herbeiführen könne. Im vorliegenden Fall seien nur wenige praktische Versuche ausreichend, um festzustellen, ob der Schlauch hinreichend ausgehärtet sei.
Weitere Aspekte, insbesondere die Beschaffenheit der Schlichte wurden nicht kommentiert.
XVI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Die Komponenten des Einlegeschlauchs seien fast ausschließlich durch funktionelle Merkmale definiert. Dies gelte vor allem für die Schlichte, welche nur in Bezug auf das zu erreichende Ergebnis definiert sei.
Das Patent enthalte sehr wenige technische Informationen und keine Beispiele. Die Komponenten seien größtenteils sehr vage definiert, zum Beispiel mit Verweis auf obskure Parameter.
b) Wie in der Entscheidung richtigerweise feststellt worden sei, gebe es mehrere Faktoren, welche die Härtung beeinflussen. Das Patent enthalte jedoch keine Ausführungsbeispiele, welche die vollständige Härtung jeglichen Schlauches - egal welcher Dicke - zeige. Das Patent lehre lediglich, dass eine "geeignete" (Engl. "suitable") Schlichte, um den Absorptionskoeffizienten herabzusetzen, zu verwenden sei, und dass dies - irgendwie - durch Anpassung der Löslichkeit der Schlichte in der Reaktionsmasse sowie der in Aceton lösbaren Anteile derselben erreicht werden könne. Jedoch enthalte das Patent weder spezifische Beispiele noch etwaige sonstige Hinweise, wie eine geeignete Schlichte auszuwählen sei, um das angestrebte Ergebnis zu erzielen.
c) Auch im Hinblick auf die Reaktionsmasse gebe es lediglich allgemeine Angaben in der Beschreibung in Bezug auf Kunstharze (Engl. "plastic resins"), welche verwendet werden könnten, wobei einige allgemein definierte Stoffklassen genannt worden seien. Weder seien spezifische Verbindungen genannt worden, noch gebe es Informationen über die erforderlichen Eigenschaften dieser Harze.
d) Somit stelle das Patent keine konkreten Informationen über die Beschaffenheit der Reaktionsverbindung und der Schlichte bereit.
e) Die Offenbarung der D33 könne die Defizite in der Offenbarung des Patents nicht ausräumen, da in diesem Dokument nirgends die Thematik einer "vollständigen Aushärtung" behandelt worden sei.
XVII. Die Beschwerdeführerin beantragte im schriftlichen Verfahren, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen.
XVIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte im schriftlichen Verfahren, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Ausführbarkeit:
Das Patent definiert in Anspruch 1 einen Gegenstand, welcher durch eine bestimmte Wirkungsweise charakterisiert wird.
Der Anspruch verwendet aufgabenhafte Formulierungen, zum Beispiel "Verwendung einer geeigneten Schlichte", "der Absorptionskoeffizient...derart herabgesetzt ist".
Die Beschreibung des Patents ist auch weitestgehend aufgabenhaft formuliert und enthält keine konkreten Ausführungsformen oder Beispiele.
Vielmehr wird lediglich die Aufgabe bzw. die zu erreichende Wirkung definiert (Absatz 8). Insofern die Beschreibung die Zusammensetzung des Einlegeschlauches behandelt, wird diese in sehr allgemeiner, vager Form angegeben. So steht im Absatz 11, dass "Kunstharze" als Reaktionsmasse verwendet werden können, und es werden zwei allgemeine Arten solcher Harze genannt. Die erforderlichen Eigenschaften oder Beschaffenheit dieser Harze, bestimmte Beispiele derselben, oder wie diese an die Beschaffenheit einer Schlichte anzupassen sind, wird jedoch nicht erläutert.
Bezüglich der Schlichte wird im Absatz 14 die angestrebte Wirkung - nämlich eine Herabsetzung des Absorptionskoeffizienten - beschrieben. Im Absatz 16 wird dann angegeben, dass herausgefunden worden sei, dass die Absorption der UV Strahlen maßgeblich von der Absorption im Bereich des Übergangs zwischen Reaktionsmasse und Glasfasern bestimmt werde. Es wird dann erläutert, dass das "Besondere" der Erfindung in der Erkenntnis bestehe, dass die Durchdringung des Einlegeschlauches mit den Strahlen durch die Verwendung einer geeigneten Schlichte erreicht werde.
Die Absätze 17 und 18 behandeln die Funktionsweise in Bezug auf die unterschiedliche Löslichkeit der Schlichte in dem Harz (Styrol) und in einem etwaig anwesenden Lösungsmittel (Aceton).
Im Absatz 21 wird der Anteil von organischen Stoffen auf den Glasfasern definiert.
Es ist in der Beschreibung von mehreren "Ausführungsarten" die Rede, ohne diese jedoch zu konkretisieren oder Hinweise zu geben, wie die Komponenten derselben auszuwählen und aneinander anzupassen sind.
In der Tat, enthält das Patent kein einziges Ausführungsbeispiel.
Vielmehr enthält das Patent keine oder sehr wenige (sehr allgemein gehaltenen) Informationen über die erforderliche Beschaffenheit der Schlichte, oder wie diese auszuwählen ist.
Die "Lehre" des Patents erschöpft sich somit in der Angabe eines angestrebten oder wünschenswerten Zusammenwirkens von Komponenten oder Eigenschaftskonstellationen dieser - nicht näher definierten - Komponenten. Es fehlen jedoch - auch nur ansatzweise - Informationen, wie die Komponenten auszuwählen sind, damit dieses Zusammenwirken erreicht wird.
Somit steht der Fachmann, der den Patentgegenstand in die Tat umsetzen will, vor einer großen Herausforderung, nämlich ein "Forschungsprogramm" durchzuführen, um geeignete Schlichten und Harze zu identifizieren und Auswahlkriterien aufzustellen.
In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auf die "landmark" Entscheidung T 435/91 (ABl. EPA 1995, 188), Gründe Nr. 2.2.1, 4. Absatz verwiesen.
Das Ergebnis dieser Analyse ist, dass die Gründe nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen.
Da sich dieser Einwand nicht, oder nicht maßgeblich auf die Frage der "vollständigen Aushärtbarkeit" bezieht, ist es nicht erforderlich, auf die mit der Beschwerdebegründung eingereichte D33 einzugehen, und deshalb nicht erforderlich, eine Entscheidung bezüglich der Zulassung dieses Dokumentes zu treffen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.