T 0636/18 (Flugführungssystem / Meissner) 24-05-2022
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FLUGFÜHRUNGSSYSTEM
Neuheit - nach Änderung
Zurückverweisung - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Prüfungsabteilung hat die Zurückweisung der Anmeldung damit begründet, dass die Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 eines Hauptantrags sowie von Hilfsanträgen 3-5 nicht neu seien (Punkte 7-10 der Entscheidungsgründe) und der Gegenstand des Hilfsantrags 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Punkt 11). Hilfsanträge 1 und 2 wurden nicht in das Verfahren zugelassen (Punkt 6).
II. Der Zurückweisung der Anmeldung war eine erste Entscheidung auf Zurückweisung der Anmeldung vorangegangen, verbunden mit der Zurückweisung eines Antrags auf Ablehnung der Mitglieder der Prüfungsabteilung. Einer (ersten) Beschwerde der Patentanmelderin hatte die Prüfungsabteilung in der Folge abgeholfen und diese erste Zurückweisungsentscheidung aufgehoben, da jener die Anlage mit der Zurückweisung des Antrags auf Ablehnung der Prüfungsabteilung versehentlich nicht angeschlossen war.
III. Die Beschwerde richtet sich gegen die nunmehrige (zweite) Entscheidung auf Zurückweisung der Anmeldung. Mit der Beschwerde wurden sechs Anspruchssätze vorgelegt, die inhaltlich den der Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchssätzen entsprechen.
IV. In einer Mitteilung zur Ladung zur mündlichen Verhandlung legte die Kammer ihre vorläufige Auffassung dar, u.a. dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber der Druckschrift
D7: US 3,952,308
nicht neu sei und dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Hilfsanträge 1 und 2 in Ausübung ihres Ermessens nicht zuzulassen, nicht zu beanstanden sei. Die Kammer legte auch dar, dass sie die Entscheidungsgründe zu den Hilfsanträgen 3-6 vorläufig als schlüssig betrachte.
V. Als Reaktion auf die Mitteilung ersetzte die Beschwerdeführerin die bisherigen Anspruchsfassungen durch zwei neue Anspruchssätze (Haupt- und Hilfsantrag), welche auf dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 5 beruhten.
VI. In der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin nach Erörterung von Klarheitsmängeln in diesen beiden Anspruchssätzenaufgrund der Vielzahl von "und/oder"-Kombinationen schließlich einen weiteren Anspruchssatz als Hauptantrag ein.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt nunmehr die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatzes, hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz zur weiteren Entscheidung.
VIII. Anspruch 1 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht lautet:
Flugführungssystem zur Flugunterstützung eines Flugobjektes (1) mit
- mindestens drei Bodenstationen (4a bis 4e), die jeweils eine ortsfeste Sendeeinheit (5a bis 5e) aufweisen, und
- mindestens einer an dem Flugobjekt angeordneten objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c),
- wobei die ortsfesten Sendeeinheiten (5a bis 5e) zum Senden von Positionssignalen (7) und die mindestens eine objektfeste Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) zum Empfangen dieser Positionssignale (7) eingerichtet sind,
- wobei das Flugführungssystem wenigstens eine mit den ortsfesten Sendeeinheiten (5a bis 5e) und der mindestens einer objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) in Verbindung stehende Positionsermittlungseinheit (9, 10) aufweist, die zum Ermitteln von Ortspositionen der mindestens einen objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) in Abhängigkeit von den Positionssignalen (7), die von den ortsfesten Sendeeinheiten (5a bis 5e) gesendet und von der mindestens einen objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) empfangen wurden eingerichtet ist,
- wobei die Positionsermittlungseinheit (9, 10) zum Ermitteln der Ortsposition der objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) in Abhängigkeit von einer Signallaufzeit der Positionssignale (7) zwischen den ortsfesten Sendeeinheiten (5a bis 5e) und der mindestens einen objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) eingerichtet ist und
- wobei das Flugführungssystem zur Flugunterstützung des Flugobjektes (1) in Abhängigkeit von der ermittelten Ortsposition der mindestens einen objektfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
- das Flugführungssystem drei an dem Flugobjekt (1) angeordnete objektfeste Empfangseinheiten (6a bis 6c) aufweist, die voneinander beabstandet angeordnet sind,
- wobei die Positionsermittlungseinheit (9) zum Ermitteln der Raumlage des Flugobjektes (1) in Abhängigkeit von den Ortspositionen der objektfesten Empfangseinheiten (6a bis 6c) und der relativen Lage der objektfesten Empfangseinheiten (6a bis 6c) untereinander eingerichtet ist und
- wobei das Flugführungssystem zur Flugunterstützung des Flugobjektes in Abhängigkeit von der Raumlage des Flugobjektes (1) ausgebildet ist.
IX. Anspruch 9 lautet:
Flugführungssystem zur Flugunterstützung eines Flugobjektes (1) mit
- mindestens drei Bodenstationen (4a bis 4e), die jeweils eine ortsfeste Empfangseinheit (5a bis 5e) aufweisen, und
- mindestens einer an dem Flugobjekt angeordneten objektfesten Sendeeinheit (6, 6a bis 6c),
- wobei die mindestens eine objektfeste Sendeeinheit (6, 6a bis 6c) zum Senden von Positionssignalen (7) und die ortsfesten Empfangseinheiten (5a bis 5e) zum Empfangen dieser Positionssignale (7) eingerichtet sind,
- wobei das Flugführungssystem wenigstens eine mit den ortsfesten Empfangseinheiten (5a bis 5e, 6, 6a bis 6c) in Verbindung stehende Positionsermittlungseinheit (9, 10) aufweist, die zum Ermitteln von Ortspositionen der ortsfesten Empfangseinheit (6, 6a bis 6c) in Abhängigkeit von den Positionssignalen (7), die von der mindestens einen objektfesten Sendeeinheit (6, 6a bis 6c) gesendet und von den ortsfesten Empfangseinheiten (5a bis 5e) empfangen wurden, eingerichtet ist,
- wobei die Positionsermittlungseinheit (9, 10) zum Ermitteln der Ortsposition der mindestens einen objektfesten Sendeeinheit (6, 6a bis 6c) in Abhängigkeit von einer Signallaufzeit der Positionssignale (7) zwischen der mindestens einen objektfesten Sendeeinheit (6, 6a bis 6c) und den ortsfesten Empfangseinheiten (5a bis 5e) eingerichtet ist und
- wobei das Flugführungssystem zur Flugunterstützung des Flugobjektes (1) in Abhängigkeit von der ermittelten Ortsposition der mindestens einen objektfesten Sendeeinheit (6, 6a bis 6c) ausgebildet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
- das Flugführungssystem drei an dem Flugobjekt (1) angeordnete objektfeste Sendeeinheiten (6a bis 6c) aufweist, die voneinander beabstandet angeordnet sind,
- wobei die Positionsermittlungseinheit (9) zum Ermitteln der Raumlage des Flugobjektes (1) in Abhängigkeit von den Ortspositionen der objektfesten Sendeeinheiten (6a bis 6c) und der relativen Lage der objektfesten Sendeeinheiten untereinander eingerichtet ist und
- wobei das Flugführungssystem zur Flugunterstützung des Flugobjektes in Abhängigkeit von der Raumlage des Flugobjektes (1) aus-gebildet ist.
X. Auf den Vortrag der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, wird in den Entscheidungsgründen unten eingegangen.
Entscheidungsgründe
1. Die Anmeldung betrifft ein System zur Unterstützung eines Flugobjekts, insbesondere eines Flugzeugs, bei der Landung. Insbesondere bei ungünstigen Witterungsbedingungen wie starkem Wind oder eingeschränkter Sicht ist ein derartiges System hilfreich, um dem Piloten bzw. der Pilotin Informationen über die relative Position und Lage des Flugzeugs in Bezug auf die Landebahn oder die Bewegung zur Verfügung zu stellen.
2. D7 offenbart ein System mit drei ortsfesten Bodenstationen als Sendeeinheiten für Positionssignale (Fig. 1, Marker 17, 19, 21 bzw. Fig. 7, M, M1, M2). Dieses System weist zudem Empfangseinheiten (Sensoren S, S1, S2), welche objektfest am Flugobjekt angebracht sind, zum Empfang der Positionssignale auf. Gemäß dem Beispiel der Fig. 5a ist der Sensor S1 vom Heck Richtung Bug des Flugzeugs gesehen vertikal oberhalb des Sensors S, der Sensor S2 horizontal links davon angebracht. Die Empfangseinheiten sind somit zueinander beabstandet. Die Bodenstationen senden CW-Signale unterschiedlicher Frequenzen als Positionssignale, diese werden an Bord des Flugzeugs empfangen und zur Berechnung der relativen Positionen der Bodenstationen ausgewertet (Spalte 2, Zeilen 62-65). Das System umfasst hierzu eine Positionsermittlungseinheit, die mit den Empfangseinheiten in Verbindung steht (Fig. 7). Das System ist zur Flugunterstützung des Flugobjekts ausgebildet, indem eine momentane Ansicht der Marker der Pilotin oder dem Piloten als aktuelle Anflugposition angezeigt wird (vgl. die Anflugbeispiele der Figuren 1a bis 4a und die dargestellten Ansichten der Marker in den Figuren 1b bis 4b).
3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgt die Ermittlung einer Position des Flugzeugs in D7 in Abhängigkeit von der Signallaufzeit der Positionssignale. Ausweislich der Gleichungen (1) und (2) in der Spalte 4 werden Positionskoordinaten l und h1 in einem durch die Verbindungsachsen S-S1 und S-S2 der Empfangseinheiten sowie die Achse des Flugzeugrumpfes definierten Koordinatensystem in Abhängigkeit von Größen delta1, delta2, i1, i2 ermittelt. Letztere werden als akkumulierte Phasendifferenzen des von zwei der Sensoren S, S1, S2 empfangenen Positionssignals eines Markers ermittelt (Spalte 5, Zeilen 24 bis 29). Die Phasendifferenz ist folglich nur eine besondere mathematische Darstellung der Differenz der Laufzeiten des Positionssignals zwischen dem Marker und den beiden Empfangseinheiten. Zwar wird in D7 eine Laufzeit des Positionssignals von der Bodenstation zu einer Empfangseinheit nicht als Absolutwert gemessen. Das beanspruchte System ist jedoch nicht auf eine Positionsermittlung durch Messung einer absoluten Laufzeit beschränkt, sondern definiert lediglich in allgemeiner Form, dass die Position in Abhängigkeit einer Signallaufzeit erfolgt. Im Übrigen ist der Anmeldung nicht zu entnehmen, wie diese Abhängigkeit konkret zur Positionsermittlung ausgenutzt wird. Das Merkmal, wonach die Positionsermittlungseinheit zum Ermitteln der Ortsposition in Abhängigkeit einer Signallaufzeit eingerichtet ist, unterscheidet das beanspruchte System folglich nicht von D7.
4. Jedoch offenbart D7 nicht unmittelbar, dass das System auch zum Ermitteln der Raumlage des Flugobjektes in Abhängigkeit der Ortspositionen der objektfesten Empfangseinheiten und der relativen Lage der objektfesten Empfangseinheiten untereinander eingerichtet ist. In D7 erfolgt eine Schätzung der Ortsposition unter der Annahme, dass der Geschwindigkeitsvektor des Flugzeugs entlang der Längsachse des Flugzeugs zeigt und damit orthogonal zu den Strecken S-S1 und S-S2 ist; weicht der Geschwindigkeitsvektor von der Längsache des Flugzeugs ab und ist diese Abweichung nur gering, kann die Auswirkung der Abweichung auf die Positionsbestimmung des Flugzeugs vernachlässigt werden (Spalte 4, Zeilen 42-49). Daher mag bei geringen Abweichungen aus der Ansicht der drei Marker auf einer Anzeige die momentane Position des Flugzeugs in Relation zu der Landebahn durchaus abgeschätzt werden. Dies impliziert jedoch nicht, dass die Positionserkennungseinrichtung dazu ausgebildet ist, die Raumlage des Flugobjekts tatsächlich zu ermitteln.
5. Das System gemäß Anspruch 1 ist daher neu gegenüber D7.
6. Die Prüfungsabteilung befand in der angefochtenen Entscheidung (Gründe, Punkte 9 und 10) unter den Entscheidungsgründen zur Zurückweisung der damaligen Hilfsanträge 4 und 5, dass eine Ermittlung der Raumlage in D7 offenbart sei. Die Kammer folgt dieser Beurteilung nicht. Das System gemäß D7 bietet dem Piloten oder der Pilotin die Möglichkeit, aus der zeitlichen Sequenz aktualisierter Darstellungen der Marker auf einem Display die Position und Lage des Flugzeugs relativ zur Landebahn zu erkennen, ob das Flugzeug sich auf einer korrekten Anflugroute befindet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in D7 die vollständigen Raumlage des Flugzeugs eingerichtet ist, die Raumlage des Flugzeugs abhängig von den Ortspositionen der Empfangseinheiten tatsächlich zu ermitteln.
7. Der Gegenstand des Anspruchs 9 ist aus analogen Gründen neu gegenüber D7.
8. Der Grund, auf den die Zurückweisung des Hilfsantrags 5 in der angefochten Entscheidung sich stützt, ist daher entfallen. Die Angelegenheit ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ, Artikel 11 VOBK 2020)
9. Die Kammer hat sich auf die Überprüfung des für den vorliegenden Hauptantrag relevanten Grunds der Zurückweisung aufgrund mangelnder Neuheit gegenüber D7 beschränkt. Die Prüfungsabteilung wird im fortgesetzten Verfahren weiter zu prüfen haben, ob der Hauptantrag die sonstigen Erfordernisse für die Patentierbarkeit nach dem EPÜ erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.