T 1175/18 02-03-2021
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Tragbares Sauggerät für Flüssigkeiten oder Flüssigkeits-/Luftgemische
Erfinderische Tätigkeit - Verbesserung nicht für gesamte beanspruchte Breite glaubhaft
Beschwerdeerwiderung - nicht vollständiger Sachvortrag
Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer die vorläufige Auffassung geäußert, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu sei, aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
III. Am 2. März 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung aller Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und somit die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag) oder, hilfsweise, die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang gemäß eines der Hilfsanträge 1 und 2, wie eingereicht im Einspruchsverfahren am 18. Dezember 2017.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Tragbares Sauggerät für Flüssigkeiten oder Flüssigkeits-/Luftgemische mit einem Saugmund (1), einem mit dem Saugmund (1) in Strömungsverbindung stehenden Ansaugkanal (3), der in einem Sauggutbehälter (2) mündet, und mit einem den Sauggutbehälter (2) mit einer Unterdruckquelle verbindenden Absaugkanal (4), wobei Mittel zum Trennen der Luftströmung von den sonstigen Anteilen der angesaugten Strömung vorgesehen sind und der Absaugkanal (4) mit einem Rohrstutzen in den Sauggutbehälter (2) hineinragt, der zwischen einem ersten Wandabschnitt und einem, dem ersten Wandabschnitt gegenüberliegenden zweiten Wandabschnitt des Sauggutbehälters (2) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass
in dem Sauggutbehälter (2) ein Schwappschutz (6) in Form einer Scheibe angeordnet ist, der sich von der Achse des Rohrstutzens bis zu wenigstens einer Wand des Sauggutbehälters (2) erstreckt, wobei der Schwappschutz (6) nicht mehr als 70%, bevorzugt nicht mehr als 60% der Querschnittsfläche des Sauggutbehälters (2) abdeckt.
Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 des Hauptantrags dadurch, dass
"der als ebene Schreibe ausgebildete Schwappschutz (6) ... sich von einer durch die Achse des Rohrstutzens verlaufenden Mittelebene des Sauggutbehälters (2) bis zur Decke des Sauggutbehälters (2) erstreckt, wobei zwischen dem rechtwinklig zum Absaugkanal (4) angeordneten Schwappschutz (6) und der angrenzenden oberen Wandung des Sauggutbehälters (2) ein Spalt mit einer Breite von weniger als 5 mm vorgesehen ist."
Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 des Hauptantrags dadurch, dass
"der Schwappschutz (6) nicht mehr als 60% der Querschnittsfläche des Sauggutbehälters (2) abdeckt und sich von einer durch die Achse des Rohrstutzens verlaufenden Mittelebene des Sauggutbehälters (2) bis zur Decke des Sauggutbehälters (2) erstreckt, wobei zwischen dem rechtwinklig zum Absaugkanal (4) angeordneten Schwappschutz (6) und der angrenzenden oberen Wandung des Sauggutbehälters (2) ein Spalt mit einer Breite von weniger als 5 mm vorgesehen ist und der Schwappschutz (6) auf den, in den Sauggutbehälter (2) hineinragenden Absaugkanal (4) aufgesteckt ist und sich von einer durch die Achse des Rohrstutzens verlaufenden, zum Boden parallelen Ebene des Sauggutbehälters (2) unter Belassung des Spaltes bis zur Decke des Sauggutbehälters (2) erstreckt."
In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:
E9: Fotografie eines von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hergestellten tragbaren Sauggeräts mit vom Sauggutbehälter entnommenem Rohrstutzen und Schwappschutz
E9 ist Teil des Beweiskonvoluts einer erstinstanzlich geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Sauggerät des erteilten Anspruchs 1 beruht ausgehend von der in E9 abgebildeten Vorbenutzung nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 genügt den Erfordernissen des EPÜ hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Streitpatent betrifft tragbare Sauggeräte wie insbesondere Fenstersauger, die ein Flüssigkeitsluftgemisch durch einen Saugmund und einen Ansaugkanal in einen Sauggutbehälter befördern, wo Flüssigkeit und Verschmutzungen abgeschieden werden. Aus dem Sauggutbehälter wird Luft über einen Absaugkanal abgesaugt.
Um das Eindringen von Flüssigkeit in den Absaugkanal zu verhindern, wenn das Sauggerät bewegt wird, ist ein scheibenförmiger Schwappschutz derart im Sauggutbehälter angeordnet, dass er weniger als 70% der Querschnittsfläche des Sauggutbehälters abdeckt.
Aus den in den Fig. 3 - 8 der Patentschrift dargestellten Ausführungsbeispielen ist ersichtlich, dass der Schwappschutz dort auf den Rohrstutzen des Absaugkanals aufgeschoben ist, der durch ihn hindurchragt.
3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
3.1 Im Einspruchsverfahren hat die Beschwerdeführerin eine offenkundige Vorbenutzung des in E9 abgebildeten Sauggeräts durch die Beschwerdegegnerin vor dem Prioritätszeitpunkt geltend gemacht und Belege entsprechender Testkäufe vorgelegt. Die Beschwerdegegnerin hat diese Vorbenutzung weder im Einspruchsverfahren, noch im Beschwerdeverfahren bestritten. Folglich betrachtet die Kammer wie bereits zuvor die Einspruchsabteilung das in E9 gezeigte Sauggerät als Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ.
3.2 Unstreitig handelt es sich dabei um ein tragbares Sauggerät, von dem sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch unterscheidet, dass der Schwappschutz nicht mehr als 70% der Querschnittsfläche des Sauggutbehälters abdeckt.
In sinnstiftender Lesart handelt es sich hierbei um die "freie" Querschnittsfläche, die innerhalb des Sauggutbehälters in der Ebene des Schwappschutzes liegt. Nur dort kann ein einzudämmendes Schwappen auftreten, nicht jedoch innerhalb des Rohrstutzens des Absaugkanals.
3.3 Die in Absatz [0008] der Patentschrift genannte Aufgabe, den Eintritt von Flüssigkeit in den Absaugkanal zu minimieren, wird offensichtlich nicht durch den Gegenstand des Anspruchs 1 gelöst. Dazu müsste der Schwappschutz sich möglichst großflächig über die freie Querschnittsfläche erstrecken und lediglich einen schmalen Randbereich freilassen, um einen Flüssigkeitsaustausch zwischen den beiden durch einen solchen Schwappschutz ansonsten voneinander getrennten Kammern im Sauggutbehälter zu ermöglichen.
Die Beschwerdegegnerin erklärt, eine geringfügige Vergrößerung des freien Randbereichs bzw. Verkleinerung des Schwappschutzes wie in E9 habe zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt, da bei Bewegung des Sauggeräts zu viel Spritzwasser entstanden und fliegendes Wasser in den Absaugkanal eingetreten sei. Wie in Absatz [0012] der Patentschrift festgehalten, habe überraschenderweise und entgegen jeder Erwartung aber ein viel größerer freier Randbereich bzw. kleinerer Schwappschutz mit maximal 70% Querschnittsflächenabdeckung zu besseren Ergebnissen als in E9 geführt, obschon diese natürlich immer noch hinter denen des nahezu vollflächigen Schwappschutzes zurückblieben.
Von einer bewährten Lösung abzugehen, stellt aber keine erfinderische Tätigkeit dar, solange dabei lediglich zu erwartende Nachteile in Kauf genommen werden, ohne in nicht naheliegender Weise andere Vorteile zu erzielen, vgl. RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.9.19.1. Nach Ansicht der Kammer gälte dies auch dann, wenn die zu erwartenden Nachteile möglichst gering gehalten würden.
3.4 Vorliegend liegt zudem kein Nachweis für die überraschende Wirkung vor, wie dies nach geltender Rechtsprechung bei Geltendmachung eines angeblichen Vorteils erforderlich ist, vgl. RdBK, I.D.4.2.
Weder in der Patentschrift, noch durch Versuchergebnisse wurde glaubhaft dargelegt, dass unterhalb des beanspruchten oberen Grenzwerts von 70% Querschnittsflächenabdeckung der Schwappschutz signifikant besser funktioniert als jenseits davon, z.B. bei 75%.
Bei der im erteilten Anspruch 4 beanspruchten Ausgestaltung soll die überraschende Wirkung sogar schon ab einem freien Randbereich von durchgehend 10 mm auf einer Seite des Schwappschutzes erzielt werden, obwohl bei E9 laut Auskunft der Beschwerdegegnerin der freie Randbereich bereits einen Maximalwert von 10 mm in der Mitte einer Seite erreicht. Der Kammer erschiene es in der Tat überraschend, wenn solch ein vergleichweise kleiner Unterschied eine wesentlich geringere Wasseraufnahme als bei E9 bewirken würde. Auch für diese besondere Ausgestaltung fehlt es jedenfalls an einem Nachweis einer solchen Wirkung.
Unter diesen Umständen betrachtet die Kammer den oberen Grenzwert von 70% als willkürlich gewählt.
3.5 Ein unterer Grenzwert ist überhaupt nicht beansprucht, obwohl weder anzunehmen, noch durch Versuchsergebnisse belegt ist, dass ein beliebig kleiner Schwappschutz immer noch zufriedenstellend, geschweige denn überraschenderweise besser funktionieren würde.
Die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass der Schwappschutz in Anspruch 1 als scheibenförmig, nicht als stegförmig definiert sei. Zudem könne ein Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand herausfinden, ab welcher Mindestgröße ein Schwappschutz noch hinreichend funktioniere. Nur solche Schwappschütze seien offensichtlich beansprucht.
Die Kammer kann zum einen keinen zahlenmäßigen Unterschied zwischen der von einer Scheibe und der von einem Steg abgedeckten Querschnittsfläche ermitteln, aus dem sich implizit eine konkrete prozentuale Untergrenze für die Flächenabdeckung ableiten ließe.
Zum anderen sind keinerlei nachprüfbare Kriterien für den mindestens erforderlichen Abdeckungsgrad in der Patentschrift benannt, wie z.B. welche in den Absaugkanal noch eintretenden Wassermengen als tolerierbar erachtet werden. Folglich ist auch kein entsprechender Toleranzbereich für die Querschnittsflächenabdeckung plausibel und nachvollziehbar solchen Kriterien zugeordnet worden. Es scheint also nicht aus der Patentschrift hervorzugehen oder anderweitig ableitbar zu sein, dass nur ein bestimmter Mindestflächen-Anteil noch von Anspruch 1 umfasst sein soll.
Deshalb ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass der Fachmann implizit einen bestimmten, wie auch immer gearteten unteren Grenzwert für den Flächenbereich des Schwappschutzes in Anspruch 1 "mitliest".
Vielmehr schließt Anspruch 1 Ausführungsformen ein, deren offensichtlich unzureichender Schwappschutz keine erkennbare technische Wirkung zeitigt und folglich auch nicht zur Lösung einer technischen Aufgabe beitragen kann. Auch in dieser Hinsicht ist der beanspruchte Bereich für die Flächenabdeckung des Schwappschutzes deshalb als willkürlich anzusehen.
3.6 Da das Unterschiedsmerkmal des Anspruchs 1 somit keinen Beitrag zur Lösung einer technischen Aufgabe liefert, ist es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen, RdBK, I.D.9.5. Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von dem in E9 gezeigten Sauggerät nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
4. Zulassung der Hilfsanträge
4.1 Die Beschwerdegegnerin hat sich in ihrer Beschwerdeerwiderung darauf beschränkt, zu beantragen, das Streitpatent hilfsweise "mit den im Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 eingereichten Hilfsanträgen 1 und 2 aufrechtzuerhalten", ohne weitere Erläuterungen zu den Hilfsanträgen hinzuzufügen.
4.2 In besagtem Schriftsatz ist mit einem Satz allgemein auf Anspruch 2, Absatz [0013] und Fig. 3 der Offenlegungsschrift als Offenbarungsgrundlage für beide Hilfsanträge verwiesen worden, obwohl die jeweils im unabhängigen Anspruch hinzugefügten Merkmale dort nicht unmittelbar und eindeutig aufzufinden sind. Hierauf hatte die Kammer auch in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK unter den Punkten 9.1. und 9.2 hingewiesen.
Aus welchen Gründen und auf welche Weise die jeweils dem unabhängigen Anspruch hinzugefügten Merkmale den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausräumen sollen, ist weder in diesem Schriftsatz, noch in der Beschwerdeerwiderung dargelegt. Insbesondere ist die Beschwerdegegnerin nicht hierauf eingegangen, indem sie die technischen Wirkungen der hinzugefügten Merkmale, die mit ihrer Hilfe gelösten Aufgaben und deren fehlende Offenbarung im zitierten Stand der Technik aufgezeigt hätte.
Die Kammer betrachtet den in der Beschwerdeerwiderung zu den Hilfsanträgen enthaltenen Sachvortrag der Beschwerdegegnerin deshalb nicht als vollständig im Sinne von Artikel 12(2) VOBK 2007.
4.3 Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene Rechtfertigung, sie hätte von der Gewährbarkeit des Hauptantrags ausgehen dürfen, die schließlich von der Einspruchsabteilung bestätigt worden sei, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Warum hätte sie dann Hilfsanträge in einem Einspruchs- oder nachfolgenden Beschwerdeverfahren eingereicht, wenn nicht vorsorglich für den Fall, dass die erteilten Ansprüchen als nicht gewährbar erachtet werden?
Im Beschwerdeverfahren hat aber grundsätzlich jede Partei die von ihr gestellten Anträge frühzeitig und vollständig zu begründen, sei es mit Beschwerdebegründung oder mit Erwiderung, um ein faires Verfahren sicherzustellen und gegebenenfalls den anderen Parteien und der Kammer eine zielgerichtete Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zu ermöglichen, siehe RSBK V.4.12.5.
4.4 Weil die Hilfsanträge 1 und 2 somit die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 nicht erfüllen, hat sie die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zugelassen.
5. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) erfolgreich gegen die in der Einspruchsentscheidung hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit getroffenen Feststellungen.
Da der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100a) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag entgegensteht, ist es zu widerrufen, Artikel 101(2) i.V.m. Artikel 111 EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.