T 2663/19 05-02-2021
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Vorrichtung zum automatisierten Entnehmen von in einem Behälter angeordneten Werkstücken
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Vollständige oder anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) hat gegen die Entscheidung über die Zurückweisung der europäischen Anmeldung Nr. 13 003 101.6 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
II. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sowie Hilfsanträgen I und II, eingereicht mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2018, ausgehend von Dokument D3 (JP 2011 000685 A) als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
III. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin
"1. die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und die vorliegende Anmeldung auf Grundlage der Ansprüche des Hauptantrages, welcher der vorliegenden Beschwerdebegründung beiliegt, sowie der im Prüfungsverfahren vorgelegten angepassten Beschreibung zu erteilen,
2. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen,
3. hilfsweise, die vorliegende Europäische Patentanmeldung auf Grundlage der Ansprüche der Hilfsanträge I und II, welche der vorliegenden Beschwerdebegründung beiliegen, zu erteilen.
4. weiter hilfsweise, das Verfahren an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen,
5. weiter hilfsweise, die vorliegende Europäische Patentanmeldung auf Grundlage der Hilfsanträge III bis V, welche der vorliegenden Beschwerdebegründung beiliegen, zu erteilen und
6. hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag unter 1. nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann, eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer anzuberaumen."
IV. Während einer telefonischen Rücksprache am 18. Mai 2020 teilte die Berichterstatterin dem Vertreter der Beschwerdeführerin die vorläufige positive Meinung der Kammer betreffend die grundsätzliche Gewährbarkeit des Anspruchssatzes gemäß Hauptantrag sowie die vorläufige negative Meinung der Kammer bezüglich einer Stattgabe des Antrags auf vollständige Rückzahlung der Beschwerdegebühr dem Vertreter der Beschwerdeführerin mit.
V. In Reaktion darauf reichte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 einen geänderten Anspruchssatz und eine geänderte Beschreibung gemäß Hauptantrag ein.
Die Beschwerdeführerin erklärte
"Der hilfsweise Antrag auf mündliche Verhandlung für den Fall, dass unserem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann, wird hiermit zurückgenommen, so dass über die Frage der Rückzahlung im schriftlichen Verfahren entschieden werden kann."
Weiterhin beantragte die Beschwerdeführerin die anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ.
VI. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 18. Juni 2020 zur Vorbereitung der für den 5. Februar 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge dem vorliegenden Hauptantrag zwar stattgegeben werden dürfte, aber der Antrag auf vollständige oder teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen wäre.
VII. Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2020 nahm die Beschwerdeführerin den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück, beantragte eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren und bekräftigte den Antrag auf vollständige oder teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
VIII. Am 5. Februar 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die Sach- und Rechtslage mit der Beschwerdeführerin zur Frage der beantragten vollständigen oder zumindest teilweisen Rückzahlung der Beschwerdegebühr erörtert wurde. Während der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beschwerdeführerin ihre Anträge aus dem schriftlichen Verfahren und beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Basis folgender Unterlagen:
Ansprüche 1 bis 12, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 als Hauptantrag,
Beschreibung Seiten 1 bis 61, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020, und
Figuren 1 bis 25, wie ursprünglich eingereicht,
oder hilfsweise
die Erteilung eines Patents auf der Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen I bis V, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 23. August 2019, wobei für die Prüfung der Hilfsanträge III bis V das Verfahren vorrangig an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen ist.
Ferner beantragte die Beschwerdeführerin
die vollständige oder jedenfalls teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll Bezug genommen. Die Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
IX. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 12 gemäß Hauptantrag, die im Wesentlichen inhaltlich den Ansprüchen 1 und 12 gemäß dem Hauptantrag entsprechen, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, lauten wie folgt (Änderungen gegenüber den ursprünglich eingereichten Ansprüchen sind durchgestrichen oder in Fettschrift hervorgehoben):
"1. Vorrichtung zum automatisierten Entnehmen von in einem Behälter angeordneten Werkstücken,
mit einer ersten Objekterkennungseinrichtung (30) zum Erfassen der Werkstücke und einem ersten Greifer (34) zum Greifen und Entnehmen der Werkstücke aus dem Behälter,
[deleted: und] einer Steuerung zur Auswertung der Daten der ersten Objekterkennungseinrichtung (30), zur Pfadplanung und zur Ansteuerung des ersten Greifers (34),
[deleted: gekennzeichnet durch]
einer Zwischenstation, auf welcher der erste Greifer (34) die Werkstücke nach dem Entnehmen aus dem Behälter ablegt, und einer Positioniervorrichtung, welche die Werkstücke ausgehend von der Zwischenstation genauer positioniert und/oder vereinzelt, wobei die Positioniervorrichtung einen zweiten Greifer (41) zum Abnehmen der Werkstücke von der Zwischenstation umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Zwischenstation eine Transporteinrichtung (38) aufweist, welche die Werkstücke von einem Ablegebereich (35) zu einem Entnahmebereich (44) transportiert, in welchem die Werkstücke durch den zweiten Greifer (41) gegriffen und von der Zwischenstation abgenommen werden."
"12. Verfahren zum automatisierten Entnehmen von in einem Behälter angeordneten Werkstücken unter Verwendung einer Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 11, mit den Schritten:
- Erfassen der Werkstücke,
- Greifen mindestens eines Werkstückes mit [deleted: einem] dem ersten Greifer (34),
- Entnehmen des Werkstückes aus dem Behälter,
[deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei die Werkstücke nach dem Entnehmen aus dem Behälter auf einer Zwischenstation abgelegt werden, von welcher aus die Werkstücke durch mindestens einen weiteren Positionier-Schritt mittels des zweiten Greifers (41) genauer positioniert und/oder vereinzelt werden."
X. Im Hinblick auf die Stattgabe der Beschwerde zum Hauptantrag ist eine Wiedergabe des Wortlauts der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge nicht erforderlich.
XI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin beziehen sich im Kern darauf, dass die angefochtene Entscheidung zum Hauptantrag auf einem von der Prüfungsabteilung lediglich behaupteten vermeintlichen Fachwissen des Fachmanns beruhe, welches ohne Vorlage von Nachweisen durch nichts belegt worden sei. Zudem führte selbst dieses vermeintliche Fachwissen nicht zur vorliegenden Erfindung, so dass es auf einen solchen Nachweis noch nicht einmal ankäme.
Die Vorraussetzungen für die vollständige oder zumindest teilweise Rückzahlung der Beschwerdegebühr lägen vor.
Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin ist im Detail in den nachfolgenden Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensaspekte
Die von Amts wegen anberaumte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurde zur Gewährung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin zur Frage der beantragten vollständigen oder jedenfalls anteiligen Rückzahlung der Beschwerdegebühr von der Beschwerdekammer für sachdienlich erachtet (Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ).
Aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung bleibt die Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung und der Antrag einer schriftlichen Fortsetzung des Verfahrens der Beschwerdeführerin wirkungslos (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.C.3.3).
2. Hauptantrag
2.1 Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
2.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf den Merkmalen der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 4 und 9 sowie der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 12, vorletzter Absatz.
Der Gegenstand des Anspruchs 3 beruht auf den Merkmalen des ursprünglich eingereichten Anspruchs 3 sowie der ursprünglich eingereichten Beschreibung im Brückenabsatz von Seite 5 auf Seite 6.
Ansprüche 2 und 4 bis 12 entsprechen oder beruhen jeweils auf den korrespondierenden ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 5 bis 13.
Folglich erfüllt der Anspruchssatz gemäß Hauptantrag die Erfordernisse nach Artikel 123 (2) EPÜ.
2.1.2 Die in der Beschreibung vorgenommenen Änderungen betreffen die Erwähnung von im Prüfungsverfahren genannten Dokumenten, wie z. B. Dokument D3, die Anpassung der Beschreibung an den Anspruchssatz gemäß Hauptantrag sowie die Aufnahme von Erläuterungen aus den ursprünglich eingereichten Figuren in die Figurenbeschreibung.
Somit erfüllen die Änderungen der Beschreibung ebenfalls die Erfordernisse nach Artikel 123 (2) EPÜ.
2.2 Erfinderische Tätigkeit - Artikel 52 (1) und 56 EPÜ
2.2.1 Offenbarungsgehalt von D3
Dokument D3, das als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist, offenbart eine Vorrichtung zum automatisierten Entnehmen von in einem Behälter angeordneten Werkstücken (siehe Figur 7),
mit einer ersten Objekterkennungseinrichtung (6) zum Erfassen der Werkstücke (W) und einem ersten Greifer (32) zum Greifen und Entnehmen der Werkstücke aus dem Behälter (4),
einer Steuerung (42) zur Auswertung der Daten der ersten Objekterkennungseinrichtung (6), zur Pfadplanung und zur Ansteuerung des ersten Greifers (32),
einer Zwischenstation (8), auf welcher der erste Greifer (32) die Werkstücke (W) nach dem Entnehmen aus dem Behälter (4) ablegt, und
einer Positioniervorrichtung, welche die Werkstücke ausgehend von der Zwischenstation (8) genauer positioniert und/oder vereinzelt, wobei die Positioniervorrichtung einen zweiten Greifer (33) zum Abnehmen der Werkstücke (W) von der Zwischenstation (8) umfasst.
2.2.2 Unterscheidungsmerkmale
Die Vorrichtung nach Anspruch 1 unterscheidet sich von der aus D3 bekannten Vorrichtung dadurch, dass die Zwischenstation eine Transporteinrichtung aufweist, welche die Werkstücke von einem Ablegebereich zu einem Entnahmebereich transportiert, in welchem die Werkstücke durch den zweiten Greifer gegriffen und von der Zwischenstation abgenommen werden.
2.2.3 Technische Wirkung
Nach den Feststellungen der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, Punkt 14.3, ist die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale in der Trennung der Ablege- und Abnahmeplätze zu sehen.
Entgegen dieser Auffassung folgt die Kammer der Meinung der Beschwerdeführerin, dass die technische Wirkung der Transporteinrichtung die Verbesserung der Entleerbarkeit des Behälters bei gleichzeitiger Beibehaltung oder Erhöhung der Effizienz der Gesamtvorrichtung ist.
Denn durch die Transportvorrichtung der Zwischenstation muss der erste Greifer die Werkstücke beim Entnehmen aus dem Behälter noch nicht mit der für die Weiterverarbeitung der Werkstücke notwendigen End-Genauigkeit greifen bzw. ablegen, was das Entleeren des Behälters erheblich vereinfacht. Beim Entnehmen der Werkstücke aus dem Behälter muss noch nicht sichergestellt werden, dass die Werkstücke komplett und zuverlässig vereinzelt werden. Vielmehr wird die Transporteinrichtung dazu eingesetzt, um die Werkstücke genauer zu positionieren und ggf. endgültig zu vereinzeln (siehe Brückenabsatz von Seite 2 bis Seite 3 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen).
2.2.4 Aufgabe
Die zu lösende Aufgabe ist daher darin zu sehen, eine Verbesserung der Entleerbarkeit des Behälters zu erreichen, ohne die Effizienz der Gesamtvorrichtung zu verringern.
2.2.5 Erfinderische Tätigkeit
Die Prüfungsabteilung stützt ihre Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 15 darauf, dass selbst, wenn die Aufgabe als die Erhöhung der Effizienz der Vorrichtung angesehen werden sollte, die Transporteinrichtung zum Transportieren der Werkstücke von einem Ablegebereich zu einem Entnahmebereich auch als fachüblich zu betrachten sei. Es sei nämlich allgemein bekannt, einen Zwischenspeicher zwischen zwei Maschinen einer Behandlungslinie vorzusehen, wenn die zwei Maschinen nicht vollständig synchronisiert arbeiteten, und dies zur Erhöhung der Effizienz der Behandlungslinie. Transportvorrichtungen seien eine fachübliche Art von Zwischenspeichern. Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Diese Begründung hält einer Überprüfung durch die Kammer nach Artikel 12 (2) VOBK 2020 auf der Basis des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin nicht stand.
Zum einen stützt sich die Prüfungsabteilung auf ein allgemeines Fachwissen, ohne einen Nachweis hierfür vorzulegen. Nach ständiger Rechtsprechung liegt im Prüfungsverfahren jedoch bei Fragen der Patentierbarkeitserfordernissen die Verpflichtung zum Darlegen der einschlägigen Tatsachen zunächst bei der Prüfungsabteilung, die Belege zur Stützung ihres Einwandes vorbringen muss (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, III.G.5.1.2 b)). Ohne entsprechenden Nachweis ist daher vorliegend das von der Prüfungsabteilung behauptete allgemeine Fachwissen nicht als belegt zu betrachten.
Zum anderen ist in Absatz [0060] von D3 im Hinblick auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 7 angegeben, dass die beiden Roboter 32 und 33 so angesteuert werden, dass sie sich nicht gegenseitig stören. Dabei gibt D3 keinen Hinweis darauf, dass durch zwei nicht synchron arbeitende Greifer die Entleerbarkeit des Behälters verbessert werden kann.
Ferner fehlt in D3 jegliche Anregung für den Fachmann dahingehend, den Zwischenspeicher als Transporteinrichtung oder eine Transporteinrichtung zur räumlichen Trennung zwischen den beiden Robotern vorzusehen, wie in der angefochtenen Entscheidung argumentiert. Denn in Absatz [0061] von D3 wird als Vorteil der dort gewählten Anordnung gerade angegeben, dass es nicht erforderlich ist, einen großen Raum zum Verteilen der Werkstücke vorzusehen. Vielmehr reicht es aus, genügend Raum zur Verfügung zu stellen, um ein einziges Werkstück aufzunehmen und abzulegen. Hierdurch sei es möglich, die Größe der gesamten Vorrichtung zu reduzieren. Damit lehrt D3 aber gerade davon weg, den Abstand zwischen den Robotern zu vergrößern.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.2.6 Da der Gegenstand von Anspruch 12 ein Verfahren zum automatisierten Entnehmen von in einem Behälter angeordneten Werkstücken unter Verwendung einer Vorrichtung nach Anspruch 1 betrifft, beruht der Gegenstand des Anspruchs 12 aus den oben angegebenen Gründen ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
3.1 Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ
3.1.1 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei die Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ zurückzuzahlen, da die angefochtene Entscheidung in zweifacher Hinsicht auf wesentlichen Verfahrensmängeln beruhe und die Rückzahlung daher der Billigkeit entspreche.
Zum einen stütze sich die Entscheidung entgegen der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern und trotz einer Aufforderung durch die Anmelderin auf ein von der Anmelderin bestrittenes vermeintliches Fachwissen, ohne dieses zu belegen. Insofern beruhe die angefochtene Entscheidung auf einer reinen Behauptung und sei nicht überprüfbar.
Zum anderen gehe die angefochtene Entscheidung mit keinem Wort auf die anmelderseitig vorgetragene, umfangreiche Argumentation dazu ein, dass selbst bei Vorliegen eines solchen Fachwissens die Erfindung ausgehend von D3 nicht nahegelegen hätte. Es fehle daher an einer ausreichenden Begründung der Entscheidung. Weiterhin wurde, da die Argumentation der Anmelderin erkennbar nicht wahrgenommen wurde, auch das rechtliche Gehör verletzt.
Wenn auch nur einer dieser beiden Verfahrensmängel unterblieben wäre, hätte die vorliegende Beschwerde vermieden werden können. Es entspreche daher der Billigkeit, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
3.1.2 Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht.
Nach Regel 103 (1) a) EPÜ ist eine der Voraussetzungen für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels.
Hierbei stellt eine abweichende Auffassung der Prüfungsabteilung über die anzuwendenden Fachkenntnisse bzw. das anzuwendende allgemeine Fachwissen bei der Beurteilung des technischen Inhalts der Erfindung, die zur angefochtenen Entscheidung geführt hat, keinen Verfahrensmangel und schon gar keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.9.5.10 b)). Auch kann die Kammer keinen wesentlichen Verfahrensmangel darin erkennen, dass bestrittenes Fachwissens nicht konkret belegt wurde.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Prüfungsabteilung, entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin, auch nicht verpflichtet, auf jedes Argument der Anmelderin einzugehen, sofern die Beschwerdeführerin und die Kammer anhand der Begründung prüfen können, ob die Entscheidung gerechtfertigt ist oder nicht (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.9.5.9).
Da selbst die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerdebegründung offensichtlich in der Lage war, auf die in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Gründe entsprechend zu reagieren und dadurch die Einwände der Prüfungsabteilung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit auszuräumen, erachtet die Kammer die Begründung der angefochtenen Entscheidung, selbst bei einem nur behaupteten Fachwissen des Fachmanns, vorliegend durchaus als hinreichend.
Dass die angefochtene Entscheidung auf die anmelderseitig vorgetragene Argumentation durchaus eingeht, wird im Übrigen seitens der Beschwerdeführerin selbst eingeräumt, da sich die Prüfungsabteilung in Abschnitt 15 der angefochtenen Entscheidung mit der von der Anmelderin angegebenen Aufgabe auseinandersetzt (siehe Beschwerdebegründung, Seite 5, letzter Absatz). Somit wurde die Argumentation der Beschwerdeführerin zur erfinderischen Tätigkeit im Prüfungsverfahren erkennbar im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs von der Prüfungsabteilung wahrgenommen, geprüft und in der angefochtenen Entscheidung diskutiert.
Daher liegen die Voraussetzungen von Regel 103 (1) a) EPÜ offensichtlich nicht vor, so dass der Antrag auf Rückerstattung unbegründet und eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht gerechtfertigt ist.
3.2 Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ
Insoweit die Beschwerdeführerin eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ begehrt, ist festzuhalten, dass nach Regel 103 (4) c) EPÜ die Voraussetzungen für eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr sind, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt ist, dieser Antrag innerhalb der in Regel 103 (4) c) EPÜ angegeben Frist zurückgenommen wird und keine mündliche Verhandlung stattfindet.
Wie von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung bestätigt, wurde ein Antrag auf mündliche Verhandlung zwar mit der Beschwerdebegründung gestellt. Die Kammer merkt jedoch an, dass dieser Antrag auf mündliche Verhandlung nur für den Fall formuliert ist, dass dem Hauptantrag nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann (siehe Beschwerdebegründung unter 1. Anträge, Punkt 6.). Ein Antrag auf mündliche Verhandlung für den Fall, dass dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann, wurde mit der Beschwerdebegründung hingegen nicht gestellt und konnte demnach auch gar nicht von der Beschwerdeführerin zurückgenommen werden. Insofern geht die Erklärung der Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 5. Juni 2020 (dort Punkt 2) verfahrensrechtlich ins Leere.
Abgesehen davon, dass schon kein Antrag auf mündliche Verhandlung für die vorliegende Fallkonstellation jemals überhaupt gestellt wurde, ist zumindest die Voraussetzung nicht erfüllt, dass keine mündliche Verhandlung stattfindet, die die Kammer nach ihrem Ermessen gemäß Artikel 116 (1) EPÜ anberaumt hat, so dass auch die Rücknahmeerklärung der Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 6. Juli 2020 gebührenrechtlich wirkungslos bleibt.
Da somit die Voraussetzungen nach Regel 103 (4) c) EPÜ nicht erfüllt sind, ist auch eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (4) c) EPÜ nicht gerechtfertigt.
Dies scheint die Beschwerdeführerin im Übrigen auch selbst anzuerkennen, da sie ihr Begehren argumentativ gerade darauf stützt, dass vor ihrem Antrag auf teilweise Rückerstattung der Beschwerdegebühr mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 noch keine Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgt war (siehe ersten vollständigen Absatz auf Seite 4 des Schriftsatzes vom 5. Juni 2020). Das Argument der Beschwerdeführerin, sie werde ansonsten "bestraft", weil sie auf eine Telefonkonferenz mit der Berichterstatterin die Ansprüche nach ihrem Hauptantrag geändert und eine darauf angepasste Beschreibung eingereicht habe, liegt offensichtlich neben der Sache. Diese Änderung im Vorbringen der Beschwerdeführerin diente erkennbar dazu, ihrem Sachantrag auf Erteilung eines Patents Vorschub zu leisten, nicht aber aus Gebührengründen. Die Gebührenrückzahlungstatbestände sind in Regel 103 EPÜ eindeutig und abschließend geregelt und lassen keinen Raum für extensive Anwendung auf Fallkonstellation oder Überlegungen, die sich offensichtlich nicht unter die ausdrücklich normierten Tatbestandsvoraussetzungen subsumieren lassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Beschreibung:
Seiten 1 bis 61, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020,
Ansprüche:
Nrn. 1 bis 12, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020,
Zeichnungen:
Figuren 1 bis 25, wie ursprünglich eingereicht.
3. Der Antrag auf vollständige oder anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.