T 0035/87 (Hydroxypyrazole) 27-04-1987
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Einheitlichkeit von Zwischenprodukt-Endprodukterfindungen
Zwischenprodukt-Endprodukterfindungen/Einheitlichkeit
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 7. Februar 1983 angemeldete und am 7. September 1983 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 83 101 128.3 mit der Veröffentlichungsnummer 87 615, für welche die Priorität von zwei Voranmeldungen vom 16. Februar 1982 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 14. November 1986 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen neun Patentansprüche zugrunde, von denen die ersten drei wie folgt lauteten:
1. 1-Pyrazolyl-phosphorsäureester der Formel
(FORMEL)
in der
R1, R2, R3, gleich oder verschieden sind und Wasserstoff, Chlor, Brom oder Iod,
R4, R5 gleiche oder verschiedene C1-C6-Alkylreste bedeuten und
X, Y für Sauerstoff oder Schwefel stehen.
2. 1-Pyrazolyl-phosphorsäureester der Formel II gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß R1, R2 und R3 nicht gleichzeitig Wasserstoff bedeuten.
3. Halogenierte 1-Hydroxypyrazole der Formel
(FORMEL)
in der
R1, R2 und R3 unabhängig voneinander Wasserstoff, Chlor, Brom oder Iod bedeuten, mit der Maßgabe, daß R1, R2 und R3 nicht gleichzeitig für Wasserstoff stehen, insbesondere zur Herstellung der 1-Pyra-zolylphosphorsäureester gemäß Anspruch 2.
Dem schließen sich ein weiterer Stoffanspruch, Verfahrens ansprüche, Mittelansprüche und ein Verwendungsanspruch an.
II. Die Zurückweisung wurde mit mangelnder Einheitlichkeit des Anmeldungsgegenstandes im Hinblick auf Artikel 82 EPÜ begründet.
Die Prüfungsabteilung beruft sich in erster Linie auf die Entscheidungen T 65/82 und T 110/82, die sich beide auf niedermolekulare Zwischenprodukt- und Endprodukt-Erfindungen beziehen. In Anlehnung an den Leitsatz der Entscheidung T 110/82 führt sie aus, daß Endprodukte und Zwischenprodukte dann als einheitlich anzusehen seien, wenn die mit der Zielrichtung auf die Endprodukte bereitgestellten Zwischenprodukte mit den Endprodukten ein wesentliches Strukturelement teilten und dadurch mit letzteren im engen technischen Zusammenhang stünden. Zur Definition des Begriffs "wesentliches Strukturelement" verweist sie auf die Entscheidung T 65/82 und kommt zu dem Ergebnis, daß darunter das strukturelle Merkmal zu verstehen sei, welches die anmeldungsgemäßen Endprodukte von den Produkten des nächstliegenden Standes der Technik unterscheide.
Berücksichtige man dieses, so sei im vorliegenden Fall die Gruppierung
(FORMEL)
das wesentliche strukturelle Element, welches in Endprodukt und Zwischenprodukt identisch sein müsse. Die Bedingung der Kongruenz, d. h. der vollständigen Deckung im wesentlichen Strukturteil sei bei der Anmeldung nicht erfüllt. Anspruch 2 müsse bei der Klärung der Einheitlichkeitsfrage außer Betracht bleiben, da er nicht der breiteste Anspruch sei.
Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung hat die Beschwerdeführerin mit dem am 5. Dezember 1986 eingegangenen Schriftsatz unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese gleichzeitig begründet. Die Beschwerdeführerin stellt u. a. fest, daß im EPÜ keine Vorschrift existiere, die verbiete, Endprodukte zusammen mit Vorprodukten zu beanspruchen, wenn deren Umfang nicht deckungsgleich sei. Nach der Rechtsprechung des EPA verwirklichten Vor- und Endprodukte und deren Verwendung eine allgemeine erfinderische Idee und könnten in einer Anmeldung beansprucht werden. Es müsse dem Anmelder unbenommen bleiben, niedermolekulare Endprodukte zusammen mit einer bestimmten Gruppe von Zwischenprodukten zu beanspruchen, auch wenn dadurch das Umfeld der Erfindung nicht vollständig abgedeckt werden.
Die allgemeine erfinderische Idee bestünde bei der vorliegenden Erfindung darin, Pyrazol-substituierte Phosphorsäureester mit insektizider Wirkung und, soweit nötig, auch die hierzu erforderlichen Vorprodukte zu schaffen. Das allen Wirkstoffen und beanspruchten Vorprodukten zukommende gemeinsame Strukturelement sei entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung allein der Rest
(FORMEL)
Auch müsse zulässig sein, einen Unteranspruch auf solche Phosphorsäureester zu richten, die im Pyrazolteil substituiert seien und einen Anspruch auf Vorprodukte zu richten, die nur zur Herstellung von Endprodukten dieses Unteranspruchs geeignet seien.
Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der vorliegenden Anmeldeunterlagen zu erteilen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht Artikel 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die nunmehr geltenden Ansprüche sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Ansprüche 1 und 3 bis 9 gehen auf die ursprünglichen Ansprüche 2, 1 und 3 bis 8 zurück; Anspruch 2 findet seine Stütze auf Seite 10 der ursprünglichen Unterlagen.
3. Die Streitanmeldung betrifft eine auf niedermolekulare Zwischen- und Endprodukte gerichtete Erfindung. Die Prüfungsabteilung hat die Anmeldung unter Hinweis auf Art. 82 EPÜ zurückgewiesen, weil der auf die Zwischenprodukte gerichtete Anspruch 3 und der auf die Endprodukte gerichtete Anspruch 1 in ihrem Umfang nicht deckungsgleich sind und der Anmeldungsgegenstand damit uneinheitlich ist.
4. Zur Frage der Einheitlichkeit von Zwischenprodukt-Endprodukt-Erfindungen hat eine andere Kammer bereits Stellung genommen und diese für mehrere Gruppen von niedermolekularen Zwischenprodukten sowie für eine Gruppe von niedermolekularen Endprodukten im Grundsatz bejaht, wenn die mit der Zielrichtung auf die Endprodukte bereitgestellten Zwischenproduktgruppen durch den Einbau eines wesentlichen Strukturelements in die Endprodukte mit diesen im engen technischen Zusammenhang stehen und wenn der Ordnungsfunktion des Art. 82 EPÜ Rechnung getragen wird (T 110/82, "Benzylester", ABl. 1983, 274).
In dem entschiedenen Fall ging es um die Bereitstellung von insektizid wirksamen Benzylestern (Endprodukte), die sich unter der vereinfachten Formel B-CHHR2-ester subsumieren lassen (R2 = Wasserstoff; Cyan, C1-C4-Alkyl, Ethinyl) und um die von Zwischenprodukten aus der Gruppe der Benzylalkohole (B-CHR2-OH), Benzylchloride (B-CHR2-Hal), Benzaldehyde (B-CHO) und Benzylamine (B-CH2-NH2). Charakteristisch für die verschiedenen Vorprodukte ist die Benzylidengruppierung B-CH =, welche als wesentliches Strukturelement in die Endprodukte eingebaut wird.
5. Demgegenüber wird im Rahmen der vorliegenden Zwischenprodukt-Endprodukt-Erfindung Schutz für nur noch eine Gruppe von Zwischenprodukten begehrt.
Bei der Zwischenproduktgruppe handelt es sich um halogenierte 1-Hydroxypyrazole, die in der Formel I des Anspruchs 3 zwanglos zusammengefaßt sind; die Substituenten R1, R2 und R3 haben die Bedeutung Wasserstoff, Chlor, Brom oder Jod, können aber nicht gleichzeitig Wasserstoff bedeuten.
Gegen die disclaimerartige Formulierung, mit der das offensichtlich schon bekannte 1-Hydroxypyrazol ausgenommen wird, ist nichts einzuwenden; eine derartige Einschränkung hätte von vorneherein ebensogut aus anderen beispielsweise firmeninternen Gründen freiwillig erfolgen können.
Mit Hilfe dieser Zwischenprodukte wird der Zugang zu den begehrten Pyrazolyl-1-phosphorsäureestern der Formel II eröffnet, welche als Wirkstoffe von Interesse sind; in der Formel II können die Substituenten R1 bis R3 über obige Bedeutungen hinaus zugleich noch für Wasserstoff stehen. Der Übergang der Zwischenprodukte in die Endprodukte vollzieht sich problemlos in einer einstufigen Reaktion.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die anmeldungsgemäßen Zwischenprodukte nur mit Blick auf die Endprodukte zur Verfügung gestellt worden sind und daß zwischen beiden Gegenständen ein hinreichend enger technischer Zusammenhang besteht; dieser kommt dadurch zum Ausdruck, daß sich die Pyrazolyl-1-oxy-Reste (I) unverändert in den korrespondierenden Endprodukten wiederfinden.
Da alle Vertreter der Zwischenproduktgruppe ersichtlich auf den 1-Oxypyrazolkern zurückführbar sind, bedarf es nicht eigens der Festlegung eines gemeinsamen, wesentlichen Strukturelements.
Dessen Ermittlung erlangt allerdings dann Bedeutung, wenn, wie im Abschnitt 4 gezeigt, mehrere Vorproduktgruppen im Vorfeld der Endprodukte beansprucht sind und es der Zweckmäßigkeitsnorm des Art. 82 EPÜ entsprechend darauf ankommt, nur diejenigen der Gruppen zusammenzufassen, die noch ein Mindestmaß an struktureller Gemeinsamkeit aufweisen und deshalb als Einbaukomponenten für die Endprodukte infrage kommen. Dadurch soll vermieden werden, daß zu heterogene Gegenstände in einer Anmeldung behandelt werden.
5.1. In dem Umstand, daß Anspruch 3, was die stoffliche Breite seiner Substituenten anbelangt, enger ausgelegt ist als Anspruch 1, hat die Prüfungsabteilung einen die Einheitlichkeit des Anmeldungsgegenstandes störenden Faktor gesehen. Ihrer Ansicht nach ist eine allgemeine erfinderische Idee gemäß Art. 82 EPÜ nur verwirklicht, wenn das wesentliche Strukturelement - damit gemeint ist der Pyrazolyl-1-oxy-Rest des Endprodukts II - in End- und Zwischenprodukt identisch ist (Grundsatz des gleichen Umfangs; Zurückweisungsbeschluß vom 14. November 1986, Seite 4 c, Seite 7, Zeile 15).
5.2. Die Kammer vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Die Frage, ob Zwischenprodukt- und Endprodukt-Anspruch, wenn sie dem Erfordernis der Einheitlichkeit entsprechen sollen, im Umfang grundsätzlich deckungsgleich sein müssen, beantwortet sich bereits aus der Benzylester-Entscheidung.
Geht man von den unter Abschnitt 4 als Vorproduktgruppe aufgeführten Benzylaminen aus und bringt deren Formel (B-CH2-NH2) mit der Formel der Benzylester-Endprodukte in Beziehung (B-CHR2-ester), so stellt man fest, daß mit besagten Ausgangsverbindungen nur solche Endprodukte erhalten werden, in denen R2 Wasserstoff bedeutet; R2=Cyan-, C1-C4-Alkyl- oder Ethinyl-substituierte Endprodukte sind dagegen auf diesem Wege nicht zugänglich.
Die Tatsache, daß bei dem ausgewählten Substanzpaar der Zwischenprodukt-Anspruch umfangmäßig nicht mit dem Endprodukt- Anspruch kongruent ist, sondern gegenüber diesem - ebenso wie bei der Streitanmeldung - enger gefaßt ist, hat bei der letztinstanzlichen Überprüfung jener Anmeldung zu keiner Beanstandung der Uneinheitlichkeit geführt. Daran erkennt man, daß es auf das Prinzip des gleichen Umfangs, auf das sich die Prüfungsabteilung beruft, bei Klärung der Einheitlichkeit in Wirklichkeit nicht ankommt.
Der Zurückweisungsbeschluß setzt sich weder mit diesen Gegebenheiten auseinander, noch wird darin dargelegt, weswegen die Beschwerdeführerin abweichend von dort zur Vorlage von im Umfang aufeinander abgestimmten Zwischenprodukt-Endprodukt-Ansprüchen aufgefordert werden müßte. Die Kammer sieht daher keinen Grund, die vorliegende Sache anders als in der Benzylester-Entscheidung geschehen zu beurteilen.
5.3. Würde man der Forderung der Prüfungsabteilung nachgeben, so müßte in letzter Konsequenz entweder auf die überstehenden, vom (unsubstituierten) 1-Hydroxypyrazol abgeleiteten und vom Zwischenprodukt-Anspruch nicht abgedeckten Pyrazolyl-1-phosphorsäureester des Anspruchs 1 verzichtet werden, was unbillig wäre, oder es müßte dieser Teil in einer gesonderten Anmeldung weiterverfolgt werden, was einer unnötigen Zerstückelung von technisch Zusammengehörigem gleichkäme und mit der Ordnungsvorschrift des Art. 82 EPÜ nicht vereinbar wäre.
Eine Störung des rationellen Ablaufs des Erteilungsverfahrens ist dagegen nicht zu befürchten, wenn der Anspruch 1 in seiner vollen Breite neben dem Anspruch 3 beibehalten wird, was von der Prüfungsabteilung auch nicht in Abrede gestellt wird.
5.4. Es kann somit bei der Feststellung verbleiben, daß eine auf eine niedermolekulare Zwischenproduktgruppe und eine niedermolekulare Endproduktgruppe gerichtete Erfindung, bei welcher der Zwischenprodukt-Anspruch im Umfang enger gefaßt ist als der Endprodukt-Anspruch, jedenfalls dann einheitlich ist, wenn - wie hier - die beiden Gegenstände in einem engen technischen Zusammenhang stehen (einstufige Übertragung eines Strukturelements) und durch die Zielrichtung der Zwischenprodukte auf die Endprodukte zu einer einzigen allgemeinen erfinderischen Idee verbunden sind (im Anschluß an Benzylester-Entscheidung, loc cit; T 57/82, "Copolycarbonate", ABl. 1982, 306).
Auch die Weiterbehandlung der Ansprüche 1 und 3 mit den übrigen, auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüchen der gleichen oder anderen Kategorie in der vorliegenden Anmeldung stößt auf keine Bedenken (Regel 29 (2), 30 EPÜ).
5.5. Das schließt nicht aus, daß es nicht auch Zwischenprodukt-Endprodukt-Ansprüche gibt, die im Umfang exakt aufeinander abgestimmt sind, wo also für jedes Zwischenprodukt bzw. Endprodukt das entsprechende Gegenstück existiert. Beispiele dieser Art finden sich sowohl in der Benzylester-Anmeldung (z. B. B-CHR2-OH) als auch in der Cyclopropan-Anmeldung, die ebenfalls eine niedermolekulare Zwischenprodukt-Endprodukt-Erfindung betrifft (vgl. T 65/82, "Cyclopropan", ABl. 1983, 327).
Soweit die Vorstellungen der Prüfungsabteilung bei ihrer Deutung des Begriffs vom "wesentlichen Strukturelement" auf die Cyclopropan-Entscheidung zurückgehen und dazu geführt haben, daß darunter das strukturelle Merkmal verstanden wird, welches die anmeldungsgemäßen Endprodukte von den Produkten des nächstliegenden Standes der Technik unterscheidet, lassen diese außer Betracht, daß es bei der Cyclopropan-Entscheidung vordergründig um die Festlegung von Kriterien geht, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit für Zwischenprodukte maßgeblich sind, nicht aber um die hier ausschließlich interessierenden Einheitlichkeitsfragen (vgl. lediglich Abschnitt 13). Die dort gewonnenen Erkenntnisse verstehen sich als das Ergebnis einer unter Einbeziehung des Zwischenprodukt-nahen und Endprodukt-nahen Standes der Technik erfolgten Prüfung nach Art. 56 EPÜ. Sie können daher nicht zur Interpretation des vorstehenden, in anderem Zusammenhang geprägten Begriffs herangezogen werden und nicht so ausgelegt werden, als ob sich das wesentliche Strukturelement generell am Endprodukt zu orientieren hätte bzw. als ob dieses im vorliegenden Fall mit dem Pyrazolyl-1-oxy-rest des Esters II identisch sein müßte.
6. Nach alledem tragen die Zurückweisungsgründe den angefochtenen Beschluß nicht. Einer Erteilung des nachgesuchten Patents steht entgegen, daß eine Prüfung der weiteren Patentierungsvoraussetzungen vor der Prüfungsabteilung bisher noch nicht erfolgt ist. Nicht auszuschließen ist, daß sich in deren Verlauf erneut die Frage der Einheitlichkeit des Anmeldungsgegenstandes stellt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 14. November 1986 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zur weiteren Sachprüfung auf der Grundlage der geltenden Patentansprüche zurückverwiesen.