T 0777/98 (Wiedereinsetzung/BASF) 30-03-2001
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I. Beruft sich ein Verfahrensbeteiligter zur Begründung seines eingegangenes Schriftstück habe die normale Postlaufzeit überschritten, so hat er zu belegen, daß die Sendung auf dem konkret von ihm gewählten Postweg das EPA normalerweise rechtzeitig erreicht hätte.
II. Zur Frage, ob die gebotene Sorgfalt für die Einhaltung einer Frist gewahrt ist, wenn sich der Beteiligte darauf verläßt, das fristgebundene Schriftstück werde von der Deutschen Post AG innerhalb der regelmäßigen Postlaufzeit zugestellt werden (offengelassen).
Regelmäßige Postlaufzeit
Gebotene Sorgfalt
Übertragung nationaler Maßstäbe (offengelassen)
Alle gebotene Sorgfalt (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Mit Entscheidung, zur Post gegeben am 29. Mai 1998, hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß das europäische Patent Nr. 0 642 558 in geänderter Fassung den Erfordernissen des Übereinkommens genüge.
II. Mit ihrer am 29. Juli 1998 eingegangenen Eingabe legte die Einsprechende Beschwerde ein; gleichzeitig entrichtete sie die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 9. Oktober 1998 ein.
III. Durch Mitteilung der Geschäftsstelle der Kammer vom 15. Oktober 1998 wurde die Beschwerdeführerin (Einsprechende) davon unterrichtet, daß die Beschwerdebegründung erst nach Fristablauf eingegangen sei. Demgemäß sei mit der Verwerfung der Beschwerde als unzulässig zu rechnen.
IV. Mit Eingabe, eingegangen am 30. November 1998, beantragte die Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung; gleichzeitig entrichtete sie die Wiedereinsetzungsgebühr.
V. Zur Begründung trug der Vertreter der Beschwerdeführerin in dem Wiedereinsetzungsantrag vor, die Beschwerdebegründung sei am 7. Oktober 1998 in den Briefkasten des Hauptpostamts Ratingen vor dessen regelmäßiger Leerung um 19 Uhr eingeworfen worden. Er reichte Mittel zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts ein. Nach den üblichen Postlaufzeiten und nach seinen Erfahrungen habe er davon ausgehen können, daß der Brief innerhalb eines Tages und damit rechtzeitig beim EPA eingehen werde. Er berief sich auf die einschlägige deutsche Rechtsprechung, nach der eine Partei Fristen bis zum Ende ausnützen und darauf vertrauen dürfe, daß die Post fristgebundene Sendungen innerhalb der regelmäßigen Laufzeit zustellen werde.
VI. Die Beschwerdegegnerin trat dem entgegen und trug vor, die Beschwerdeführerin habe nicht alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet. Nach telefonischer Auskunft der Post betrage die übliche Laufzeit von Inlandsbriefen 1 bis 2 Tage. Demgemäß erscheine es leichtfertig, eine Beschwerdebegründung erst am Abend vor Fristablauf aufzugeben. Die Sorgfaltspflicht des Anwalts habe es vielmehr erfordert, die Beschwerdebegründung mit Fax zu übermitteln oder durch einen Kurier, der die Zustellung am nächsten Tag garantiere. In jedem Fall hätte sich die Beschwerdeführerin am Tag des Fristablaufs noch vom EPA telefonisch bestätigen lassen können, daß die Eingabe rechtzeitig eingegangen sei.
VII. In ihrem Bescheid zur Vorbereitung der von beiden Parteien hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung wies die Kammer unter anderem darauf hin, daß kein Beleg, etwa durch eine Auskunft der Post, für die Behauptung der Beschwerdeführerin vorliege, die übliche Postlaufzeit von Ratingen nach München betrage 1 Tag. Im Hinblick auf die Zustellung an das EPA sei zu beachten, daß die Briefpost morgens gegen 8 Uhr von der Post angeliefert werde. Im Laufe des Tages würden weitere Sendungen nur nachgeliefert, wenn es sich um Eilsendungen handle. Im übrigen stelle sich die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin herangezogene nationale Rechtsprechung auf das Verfahren vor dem EPA anwendbar sei.
VIII. In Erwiderung hierauf und in der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2001 trug die Beschwerdeführerin ergänzend im wesentlichen folgendes vor:
i) Sie sei berechtigt gewesen, die Frist für die Begründung der Beschwerde bis zum Ende auszunutzen. Hierzu habe auch konkreter Anlaß bestanden, da nach Beginn der Ausarbeitung der Eingabe noch Rückfragen des Vertreters bei der Mandantin erforderlich gewesen seien. Als Beleg dafür, daß die Sendung bei Einhaltung der üblichen Postlaufzeit das EPA noch rechtzeitig erreicht hätte, legte sie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eine Auskunft der Post AG vom 19. Januar 2001 vor. Danach ist die Organisation des Beförderungsdienstes der Post so ausgerichtet, daß Briefsendungen unter Berücksichtigung der Einlieferungsschlußzeiten am ersten Werktag nach der Einlieferung beim Empfänger zugestellt werden. Dies gelte für ganz Deutschland. Nach aktuellen Messungen eines unabhängigen Marktforschungsinstituts erreichten rund 96% der eingelieferten Briefe ihre Empfänger laufzeitgerecht; über 99 % würden am zweiten Werktag ausgeliefert. Witterungseinflüsse, Verkehrssituation, technische Ausfälle, aber auch menschliche Fehler verhinderten ein hundertprozentiges Erreichen der Laufzeitvorgaben. Angaben über den konkreten Zeitablauf für den Weg eines Briefs von Ratingen zum EPA unter den Umständen des hier zu entscheidenden Falles enthält die Auskunft nicht.
ii) Die Angaben der Post würden durch die eigenen Erfahrungen des Vertreters bestätigt, nach denen Eingaben an die Patentbehörden in München regelmäßig innerhalb eines Tages ankämen. Eine Fristversäumung wegen verzögerter Beförderung sei bisher nicht vorgekommen. Auch auf dem umgekehrten Weg vom EPA zur Kanzlei des Vertreters werde die Post innerhalb eines Tages zugestellt. Hierfür legte dieser Beispiele vor.
iii) Interne Vorgänge beim EPA dürften nicht zu einer Verkürzung der Fristen für die Beteiligten führen. Das EPA müsse dafür sorgen, daß es im Lauf des Tages in München ankommende Sendungen auch noch zugestellt erhalte. Die Beschwerdeführerin verwies auf die Praxis des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA), das nach eigener Auskunft die Post zweimal, um 9 Uhr und um 12 Uhr, abhole und damit sicherstelle, daß alle Sendungen am Eingangstag Berücksichtigung fänden.
iv) Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Postbeförderung innerhalb Deutschlands. Daher seien nicht nur die in Deutschland gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, sondern auch derselbe Sorgfaltsmaßstab anzuwenden, wie er in Deutschland für die Einhaltung von Fristen gegenüber Behörden und Gerichten gelte. Im übrigen würde auch die Wahl einer anderen Beförderungsart den Beteiligten keine letzte Sicherheit geben, daß eine Sendung rechtzeitig ankomme.
v) Nach dem Maß zumutbarer Sorgfalt sei sie daher nicht verpflichtet gewesen, einen anderen Übermittlungsweg zu wählen oder den rechzeitigen Eingang der Sendung beim EPA zu überwachen. Solche Verpflichtungen würden zu Lasten der Beteiligten die Rechtssicherheit beeinträchtigen.
IX. Dem trat die Beschwerdegegnerin wie folgt entgegen:
i) Nach den gegebenen Umständen hätten für die Beförderung zum EPA nur 13 Stunden zur Verfügung gestanden. Demnach sei es eher unwahrscheinlich gewesen, daß die Eingabe rechtzeitig das EPA erreichen konnte. Hieran ändere die Auskunft der Post nichts. Die Beschwerdegegnerin habe auf Nachfrage von der Post die telefonische Auskunft erhalten, daß die regelmäßige Laufzeit von Briefen innerhalb Deutschlands 1 bis 2 Tage betrage. Wenn auch nach ihren Informationen 95 % der Briefe am ersten Tag nach Aufgabe zugestellt würden, besage dies noch nichts konkret über die zu erwartende Laufzeit eines Briefs an das EPA, der gegen 19 Uhr in Ratingen eingeworfen werde. Die Beschwerdeführerin habe mit der Absendung als einfachem Brief die gebotene Sorgfalt nicht gewahrt und besondere Maßnahmen für eine schnelle Übermittlung oder eine Überwachung des Eingangs unterlassen. Es würde aber auch gegen die Sorgfaltsplicht des Anwalts verstoßen, sich auf eine Sicherheit von 95 % zu verlassen, daß die Frist gewahrt wird. Im übrigen habe keine Veranlassung bestanden, die Beschwerdebegründung erst am letzten Tag vor Fristablauf abzusenden. Die Eingabe sei bereits am 30. September 1998 fertiggestellt worden und hätte noch an diesem Tag zur Post gegeben werden können.
ii) Die eigenen Erfahrungen des Vertreters der Beschwerdeführerin seien nicht substantiiert und keine verifizierbare Grundlage für die Annahme regelmäßiger Postlaufzeiten.
iii) Der von der Beschwerdeführerin gezogene Vergleich mit dem DPMA sei unzutreffend. Wenn das DPMA seine Sendungen selbst abhole, liege die Beförderung vom Zustellpostamt auch in seinem eigenen Verantwortungsbereich. Das EPA erhalte jedoch die Sendungen von der Post zugestellt, so daß die Post die Verantwortung für die Beförderung vom Zustellpostamt zum EPA trage.
iv) Die in Deutschland geltenden Sorgfaltsmaßstäbe könnten nicht ohne weiteres auf das EPA übertragen werden. Artikel 125 EPÜ sei hierfür keine geeignete Grundlage, weil für die Heranziehung dieser Vorschrift erforderlich sei, daß der betreffende Grundsatz in den Vertragsstaaten des EPÜ allgemein anerkannt sei. Für die Rechtslage in anderen Staaten habe die Beschwerdeführerin aber nichts vorgetragen.
v) Wenn die Beschwerdeführerin tatsächlich berechtigten Anlaß gehabt haben sollte, die Frist bis zum letztmöglichen Zeitpunkt auszunutzen, dann seien ihr auch einfache und im Verfahren vor dem EPA übliche Maßnahmen zur Sicherstellung des rechtzeitigen Eingangs wie die Benutzung von Expresspost oder Fax sowie eine Rückfrage bei der Poststelle zuzumuten gewesen.
X. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, sie in die versäumte Frist zur Begründung der Beschwerde wiedereinzusetzen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückzuweisen und die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die am 29. Mai 1998 zur Post gegebene Entscheidung galt am 8. Juni 1998 als zugestellt (Regeln 78 (2), 83 (2) EPÜ). Demgemäß endete die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung am 8. Oktober 1998 (Artikel 108 Satz 3 i. V. m. Regel 83 (4) EPÜ). Die einen Tag später eingegangene Begründung ist daher verspätet mit der Folge, daß die Beschwerde unzulässig ist (Regel 65 (1) EPÜ). Die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist ist statthaft (G 1/86, ABl. EPA 1987, 447; Hinweise für die Parteien und ihre Vertreter im Beschwerdeverfahren, ABl. EPA 1996, 342, Nr. 1.5). Formelle Mängel des Wiedereinsetzungsantrags sind nicht ersichtlich.
2. Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht gezeigt, daß die Frist trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt versäumt wurde (Artikel 122 (1) EPÜ).
2.1 Der Wiedereinsetzungsantrag ist im wesentlichen darauf gestützt, daß die Beschwerdeführerin darauf vertrauen durfte, daß die Beschwerdebegründung bei Einhaltung der regelmäßigen Postlaufzeit innerhalb der Frist beim EPA eingegangen wäre.
2.2 Die Beschwerdeführerin hat aber nicht hinreichend belegt, wie lange unter den gegebenen Umständen die regelmäßige Postlaufzeit war. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, welchen konkreten Weg die Sendung bei der normalerweise vorgesehenen Beförderung genommen hätte.
2.2.1 Als Beleg für die regelmäßige Postlaufzeit hat die Beschwerdeführerin eine Auskunft der Post AG vorgelegt. Diese Auskunft wurde erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt, obwohl sie der Beschwerdeführerin schon mehr als zwei Monate vorher vorlag und die Parteien aufgefordert waren, weitere Stellungnahmen spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung einzureichen. Die Kammer hat aber davon abgesehen, dieses Beweismittel nach Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet zurückzuweisen, da sich die Beschwerdegegnerin inhaltlich dazu äußern konnte und daher seine Berücksichtigung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens führte. Im übrigen stimmt diese Auskunft teilweise mit dem überein, was die Beschwerdegegnerin selbst telefonisch bei der Post ermittelt hat.
2.2.2 Die Auskunft der Post ist aus mehreren Gründen inhaltlich nicht ausreichend, um aufzuzeigen, daß die bei Absendung der Beschwerdebegründung bis zum Fristablauf noch verfügbare Zeit innerhalb der regelmäßigen Postlaufzeit lag.
2.2.2.1 Zum ersten bezieht sich diese Auskunft auf aktuelle Messungen. Sie kann daher keinen Hinweis darauf geben, wie die Verhältnisse im Oktober 1998 bei Einreichung der Beschwerdebegründung waren. Es besteht keine Vermutung dafür, daß sich die Verhältnisse in mehr als zwei Jahren nicht geändert haben.
2.2.2.2 Zum zweiten bezieht sich die Auskunft ganz generell auf Briefsendungen in Deutschland und stellt in keiner Weise auf die konkreten Umstände der Übermittlung im vorliegenden Fall ab. Es liegt auf der Hand, daß nicht alle Sendungen gleich lang vom Absender bis zum Empfänger benötigen. Maßgebliche Faktoren hierfür können Länge des Weges, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der benutzten Verkehrsmittel oder Häufigkeit des Umladens sein. Auch der Zeitpunkt der Aufgabe spielt möglicherweise eine wichtige Rolle für die Frage, ob eine Sendung am nächsten Tag den Empfänger erreicht. Wird die Sendung schon im Lauf des Tages der Einlieferung einen Teil ihres Wegs befördert, so dürfte die Wahrscheinlichkeit steigen, daß sie am nächsten Tag ankommt. Mangels konkreter Angaben wäre die Kammer aber auf Spekulationen angewiesen, wenn sie überprüfen wollte, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit im vorliegenden Fall zu erwarten war, daß die Beschwerdebegründung das EPA rechtzeitig erreichen konnte. Die allgemeine Aussage der Post, 96 % der Sendungen erreichten den Empfänger am ersten Werktag nach Einlieferung, kann eine Darlegung der Verhältnisse im Einzelfall nicht ersetzen. Da - wie dargelegt - die Verhältnisse bei verschiedenen Sendungen unterschiedlich sind, so daß zu vermuten ist, daß sie auch zu einer unterschiedlichen Beförderungsdauer führen, hat die Kammer keine tatsächliche Grundlage für eine Annahme, daß 96 % der in Ratingen gegen 19 Uhr in den Briefkasten des Hauptpostamts eingeworfenen Sendungen dem EPA am nächsten Tag zugestellt werden. Ebenso fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, wie breit die Streuung der Wahrscheinlichkeit der Zustellung am ersten Tag nach Einlieferung in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren sein könnte. Auch die allgemeine Aussage der Post AG, die Organisation des Beförderungsdienstes sei so ausgerichtet, daß Briefsendungen unter Berücksichtigung der Einlieferungsschlußzeiten dem Empfänger am ersten Werktag zugestellt werden, muß im Licht der tatsächlich bestehenden Ausnahmen von der Zustellung am ersten Werktag nach Einlieferung bewertet werden. Dies kann auch die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene telefonische Auskunft der Post erklären, nach der die gewöhnliche Postlaufzeit innerhalb Deutschlands ein bis zwei Tage betragen soll (ebenso Schulte, 5. Aufl. 1994, § 123 PatG, Rdn. 40 unter Hinweis auf BGH NJW 1990, 188).
2.2.3 Im Ergebnis stehen sich zu der Frage, ob die Beschwerdeführerin nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post mit ausreichender Sicherheit erwarten konnte, daß ein vor 19 Uhr in Ratingen eingeworfener Brief am nächsten Tag in München zugestellt werde, gegensätzliche Behauptungen der Parteien gegenüber. Die Kammer hat keine überprüfbaren Fakten verfügbar, die es erlauben würden, dem Vortrag der Beschwerdeführerin zu folgen und davon auszugehen, daß die Sendung auf dem konkret gewählten Postweg das EPA normalerweise rechtzeitig erreicht hätte. Es war aber Sache der Beschwerdeführerin, die Tatsachen vorzutragen und zu belegen, aus denen sich die Wahrung der erforderlichen Sorgfalt ergibt (Artikel 122 (3) Satz 1 EPÜ; Singer/Stauder, 2. Aufl. 2000, Artikel 122 EPÜ, Rdn. 120).
2.2.4 Aus den genannten Gründen ist der vorliegende Fall auch nicht mit den Fällen aus der deutschen Rechtsprechung vergleichbar, auf die sich die Beschwerdeführerin berufen hat. So zeigt etwa der Sachverhalt der von ihr zitierten Entscheidung BVerfGE 62, 216, daß Auskünfte der Post vorlagen, die den konkreten Weg der Sendung vom Einlieferungs- bis zum Zielort und ihre weitere Behandlung am Zielort darstellten, so daß die normale Laufzeit konkret überprüfbar war (aaO, S. 218 ff). Auch aus der zitierten Rechtsprechung des Bundespatentgerichts kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten herleiten. In dem einen Fall wird festgestellt, daß der Brief innerhalb einer normalen Laufzeit von zwei Tagen hätte ankommen müssen (BPatG Bl.f.PMZ 1979, 180; ebenso BPatGE 21, 80), in dem anderen wurde zwar eine Absendung am Vortag als ausreichend angesehen, doch war im Vergleich zum vorliegenden Fall die Entfernung ungleich geringer und die Sendung schon zwei Stunden früher aufgegeben, und zwar unmittelbar beim Bahnpostamt des Bahnhofs, von dem noch mehrere in Betracht kommende direkte Züge nach München verkehrten. Vergleichbare Umstände hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen. Eine allgemeine Regel, nach der ohne einen konkreten Nachweis des Wegs der Sendung mit einer Zustellung am nächsten Tag gerechnet werden darf, ist jedenfalls in der deutschen Rechtsprechung nicht ersichtlich (vgl. weiter die zahlreichen Nachweise über die Rechtsprechung bei Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 59. Aufl. 2001, § 233 ZPO, Rdn. 37, 39, 154 ff., wo über eine Verlängerung der Postlaufzeiten insbes. bei größeren Nord-Süd-Entfernungen in jüngster Zeit berichtet wird, aaO, Rdn. 39).
2.3 Auch die vom Vertreter der Beschwerdeführerin vorgetragenen eigenen Erfahrungen sind kein geeigneter Beleg für die Behauptung, unter den gegebenen Umständen habe damit gerechnet werden dürfen, daß der Brief bei Einhaltung der regelmäßigen Postlaufzeit rechtzeitig ankommen werde. Wie sich aus der mündlichen Verhandlung ergeben hat, stützen sich diese Erfahrungen im wesentlichen darauf, daß es bisher in der Kanzlei nicht zu Fristversäumnissen wegen Postverzögerungen gekommen sei. Der Vertreter hat aber nicht behauptet, daß Fristen stets bis zum Abend vor Fristablauf ausgenutzt würden. So ist etwa die Beschwerde 10 Tage vor Fristablauf eingegangen, der Wiedereinsetzungsantrag mehr als 2 Wochen vor Fristablauf. Wie sich aus den Akten der Vorinstanz ergibt, wurde die fristgebundene Erwiderung auf den Ladungsbescheid mit Telefax übermittelt. Da in anderen Fällen offenbar ein Risiko vermieden wird, ist die Tatsache, daß es bisher nicht zu Rechtsverlusten gekommen ist, wenig aussagekräftig. Auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Mitteilungen des EPA, die der Kanzlei des Vertreters am Tag nach Absendung zugegangen sind, rechtfertigen die von der Beschwerdeführerin gezogenen Schlußfolgerungen nicht. Zum einen gibt das EPA seine Post bereits im Lauf des Nachmittags auf. Zum anderen genügt es nicht, daß in einzelnen Fällen die Zustellung am ersten Tag nach Absendung erfolgt. Hätte die Beschwerdeführerin ihre Beispiele rechtzeitig vorgelegt, wäre möglicherweise die Beschwerdegegnerin in der Lage gewesen, andere Beispiele zu ermitteln, in denen Sendungen des EPA erst am zweiten Tag nach Aufgabe oder noch später zugestellt wurden.
2.4 Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die deutsche Rechtsprechung, daß sich ein Beteiligter auf die Einhaltung der regelmäßigen Postlaufzeiten verlassen kann, auf Fristversäumnisse im Verfahren vor dem EPA übertragbar ist. Ohne daß dieser Frage hier näher nachzugehen wäre, besteht doch Anlaß zu dem Hinweis, daß der Sorgfaltsmaßstab in Artikel 122 (1) EPÜ die Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verlangt und bewußt abweichend von nationalen Vorbildern gewählt wurde (Singer/Stauder, aaO, Artikel 122 EPÜ, Rdn. 66, m. weit. Nachw.). In diesem Zusammenhang könnte zu fragen sein, ob die tatsächlich gegebenen und üblichen Möglichkeiten zur Sicherstellung einer rechtzeitigen Übermittlung und die zusätzliche in Regel 84a EPÜ geschaffene Möglichkeit, Rechtsverluste durch verzögerte Übermittlung auszuschließen, die Konkretisierung des Maßstabs der gebotenen Sorgfalt beeinflussen (vgl. Zwischenentscheidung T 667/92 vom 10. März 1994, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Gründe Nr. 5, zur Benutzung von Telefax).
2.5 Die Beschwerdeführerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das EPA habe den rechtzeitigen Zugang der Beschwerdebegründung verhindert.
2.5.1 Soweit die Beschwerdeführerin darauf abgestellt hat, das EPA sei generell verpflichtet, im Lauf des Tages beim Zustellpostamt eingegangene Sendungen noch als an diesem Tag eingegangen zu behandeln, ist dies schon im rechtlichen Ausgangspunkt unzutreffend. Eine von der Post zuzustellende Sendung ist erst dann zugegangen, wenn sie beim Empfänger eingegangen ist, da sie erst dann in dessen Verfügungsbereich gelangt. Insofern ist die Sachlage anders, wenn der Empfänger ein Abholfach bei der Post unterhält, da er dann schon nach Einlegen einer Sendung in das Abholfach über die Sendung verfügen kann. Das EPA unterhält jedoch kein Abholfach bei der Post. Vielmehr werden ihm die Sendungen von der Post zugestellt mit der Folge, daß die Sendungen mit ihrer Übergabe an das EPA zugegangen sind und ihr Eingang beim Zustellpostamt ohne rechtliche Bedeutung ist. Die Zustellung an das EPA unterscheidet sich von der Zustellung einfacher Briefe in anderen Fällen lediglich dadurch, daß sie wegen der Menge der Briefe mit dem LKW statt mit dem Fahrrad oder dem PKW durchgeführt wird. Will ein Absender, daß auch im Lauf des Tages beim Zustellpostamt eingehende Sendungen noch zugestellt werden, kann er dies durch Übermittlung per Eilboten erreichen.
2.5.2 Die von der Beschwerdeführerin zu der Entscheidung BVerfGE 62, 216 gezogene Parallele ist auch hier nicht einschlägig.
2.5.2.1 In dem genannten Fall war festgestellt worden, daß die Sendung bei regelmäßiger Postlaufzeit das Zustellpostamt während der Verteilung der Nacht- und Morgenpost erreichte. Die Justizbehörden als Empfänger holten ihre Sendungen nur einmal täglich kurz nach 8 Uhr ab, bevor die Verteilung gegen 9 Uhr abgeschlossen war. Das Bundesverfassungsgericht sah den Zugang der Sendung als rechtzeitig an. Die Verspätung beruhe auf den besonderen Vorkehrungen des Empfängers, der seine Post bereits vor Abschluß der Sortierung abhole. Dem Bürger dürfe es nicht angelastet werden, wenn eine Behörde den fristgerechten Eingang eines Schriftstücks dadurch vereitle, daß sie einen eigenen Abholdienst bei der Post unterhalte, zugleich aber durch dessen Organisation den Bürger schlechter stelle, als es bei einer Anlieferung der Schriftstücke durch Zusteller der Post der Fall wäre.
2.5.2.2 Vergleichbares ist im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das EPA erhält seine Sendungen durch Zusteller der Post und greift nicht in die internen Abläufe der Post ein. Die einmalige Zustellung ist der Normalfall, mit dem jeder Absender einer fristgebundenen Sendung rechnen muß. Es ist auch nicht ersichtlich, daß eine Zustellung um 8 Uhr morgens ungewöhnlich wäre. Im übrigen kann angenommen werden, daß die Post ihren internen Betrieb so einrichtet, daß die verschiedenen Abläufe aufeinander abgestimmt sind; Anhaltspunkte für das Gegenteil sind nicht vorgetragen. In jedem Fall liegt die Wahl der geeigneten organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für die Beförderung der Sendungen einschließlich ihrer Zustellung, die Grundlage der normalen Postlaufzeiten sind, in der Verantwortung der Post (vgl. BVerfGE 62, 216, 221) und ist nicht dem EPA zuzurechnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.