T 0440/02 (Semifluorierte Alkane/MEINERT) 30-09-2004
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Semifluorierte Alkane und ihre Verwendung
Hauptantrag, Hilfsantrag 1: Verwendungsanspruch nicht im gesamten Umfang ausführbar
Hilfsantrag 2: von Einspruchsumfang nicht umfaßt - keine Entscheidungsbefugnis der Kammer
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 4. Mai 2002 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 27. Februar 2002 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäischen Patent Nr. 859 751 zurückgewiesen wurde. Das Streitpatent enthielt zehn Ansprüche, deren Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1. Verwendung eines semifluorierten Alkans der allgemeinen Formel
RFRH oder RFRHRF
wobei
RF eine lineare oder verzweigte Perfluoralkyl-Gruppe und RH eine lineare oder verzweigte, gesättigte (Kohlenwasserstoff)-Alkyl-Gruppe ist, das unverzweigte semifluorierte Alkan die Formel
F(CH2)n(CH2)mH oder F(CH2)n(CH2)m(CH2)nF
besitzt,
das verzweigte semifluorierte Alkan innerhalb der Perfluoralkyl-Gruppen -FCX- -Einheiten mit
X = C2F5, C3F7 oder C4F9
sowie innerhalb der Alkyl-Gruppen -HCY- -Einheiten mit
Y = C2H5, C3H7 oder C4H9
enthält,
innerhalb einer Perfluoralkyl-Kette eine -CX2- -Gruppe sowie innerhalb einer Alkyl-Kette eine -CY2- - Gruppe enthalten ist, und wobei für alle genannten linearen oder verzweigten semifluorierten Alkane die Gesamtzahlen der Kohlenstoffatome im Perfluoralkyl-Teil von n = 3 - 20 und im Kohlenwasserstoff-Alkyl-Teil von m = 3 - 20 betragen, zur Herstellung eines Hilfsmittels für die Augenheilkunde."
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent nur im Umfange der Ansprüche 1 bis 8 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderen die folgenden Druckschriften angezogen:
(1) EP-A-563 446 und
(7) US-A-5 275 669.
Die Einspruchabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung, welche allein die erteilten Patentansprüche 1 bis 8 betraf, fest, daß der Gegenstand des Streitpatents ausführbar und erfinderisch sei.
Zur Ausführbarkeit der Erfindung führte sie aus, daß die Beschreibung des Streitpatentes ausführlich beschreibe, in welcher Art und Weise die semifluorierten Alkane in der Augenheilkunde einsetzbar seien. Daher könne der Fachmann die Erfindung ausführen.
III. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 30. September 2004 hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) neue Hilfsanträge eingereicht, und zwar einen aus drei Ansprüchen bestehenden Hilfsantrag 1 und einen aus zwei Ansprüchen bestehenden Hilfsantrag 2. Der Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages lautet:
"1. Verwendung eines semifluorierten Alkans der allgemeinen Formel
RFRH
wobei
RF eine lineare oder verzweigte Perfluoralkyl-Gruppe und RH eine lineare oder verzweigte, gesättigte (Kohlenwasserstoff)-Alkyl-Gruppe ist, das unverzweigte semifluorierte Alkan die Formel
F(CH2)n(CH2)mH
besitzt,
das verzweigte semifluorierte Alkan innerhalb der Perfluoralkyl-Gruppen -FCX- -Einheiten mit
X = C2F5, C3F7 oder C4F9
sowie innerhalb der Alkyl-Gruppen -HCY- -Einheiten mit
Y = C2H5, C3H7 oder C4H9
enthält,
innerhalb einer Perfluoralkyl-Kette eine -CX2- -Gruppe sowie innerhalb einer Alkyl-Kette eine -CY2- - Gruppe enthalten ist, und wobei für alle genannten linearen oder verzweigten semifluorierten Alkane die Gesamtzahlen der Kohlenstoffatome im Perfluoralkyl-Teil von n = 3 - 20 und im Kohlenwasserstoff-Alkyl-Teil von m = 3 - 20 betragen, zur Herstellung eines Lösungsmittels für in der Augenheilkunde verwendbaren Arzneimittels oder zur Herstellung eines Verdünnungs- und/oder Auswaschmittels für Silikonöl nach einer Silikonöl- Netzhauttamponade oder zur Herstellung einer Lösung des semifluorierten Alkans in Silikonöl als Hilfsmittel für die Augenheilkunde."
Der Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages unterscheidet sich vom Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages ausschließlich dadurch, daß die erste der dort aufgezählten alternativen Verwendungen, nämlich "zur Herstellung eines Lösungsmittels für in der Augenheilkunde verwendbaren Arzneimittels oder" gestrichen ist. Diesem Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages schließt sich als alleiniger weiterer Anspruch der folgende Anspruch 2 an:
"2. Verwendung nach Anspruch 1, wobei endständig im Molekül anstelle der Perfluoralkyl-Gruppe F3C- eine FCX2- oder F2CX- -Gruppe gebunden ist und ebenso endständig im Molekül anstelle der Alkyl-Gruppe H3C- eine HCY2- oder H2CY--Gruppe gebunden ist."
IV. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, die Ausführbarkeit der Erfindung sei nicht im gesamten beanspruchten Bereich gegeben. Wie aus dem der Beschwerdebegründung beigefügten Versuchsbericht des Prüflabors Medical Device Testing "mdt" hervorgehe, sei die vom geltenden Anspruch 1 umfaßte Verbindung F3H8 zelltoxisch und daher nicht in der Augenheilkunde verwendbar. Die Ergebnisse dieses Versuchsberichtes stünden auch im Einklang mit denen des Versuchsberichts des Beschwerdegegners, denn in beiden Versuchsberichten werde lediglich bei niedrigen Konzentrationen der Prüfsubstanz keine Zelltoxizität gemessen.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Beschwerdeführer das Streitpatent erstmalig in seinem gesamten Umfange angegriffen, also auch hinsichtlich der abhängigen Ansprüche 9 und 10, gegen welche er weder Einspruch eingelegt, noch sonst im Verfahren bisher Einwände erhoben hatte. Zur Begründung hat er auf die Entscheidung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408) abgehoben, welche einen Einspruch implizit auch auf solche Ansprüche ausdehne, die von einem vernichteten unabhängigen Anspruch, hier des Anspruchs 1, abhingen. Der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 9 und 10 sei auch im Hinblick auf die Druckschriften (1) und (7) naheliegend, da sie das Lösevermögen von fluorierten Alkanen, auch mit Silikonölen, beträfen.
V. Der Beschwerdegegner hat mit seinem Schriftsatz vom 10. August 2004 einen eigenen Versuchsbericht des Prüflabors Bioservice Scientific Laboratories "BSL" betreffend die Zelltoxizität von acht anspruchsgemäßen Verbindungen eingereicht. Darunter war auch die vom Beschwerdeführer bereits untersuchte Verbindung F3H8. Gestützt auf diesen Versuchsbericht trug der Beschwerdegegner vor, daß keine der untersuchten Verbindungen, auch nicht die Verbindung F3H8, zelltoxisch sei. Die Versuche seien nach der für Arzneimittel maßgeblichen ISO-Norm 10993 durchgeführt worden und daher aussagekräftig. Dies sei der Versuchsbericht des Beschwerdeführers nicht, denn er enthalte keine Angaben über die chemische Reinheit des Prüfmusters, welche jedoch für die durchgeführten Versuche zur Zelltoxizität wesentlich sei. Daher könne er die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung nicht in Frage stellen.
Der Beschwerdegegner hat der Ausweitung des Einspruchs auf die erteilten Ansprüche 9 und 10 widersprochen, deren Gegenstand nunmehr den zweiten Hilfsantrag bilde. Gegen diese Ansprüche habe der beschwerdeführende Einsprechende explizit gerade nicht eingesprochen und habe diese auch im gesamten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren bislang nicht angegriffen. Erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer habe er dies überraschenderweise versucht. Im übrigen betreffe die angezogene Druckschrift (1) keine Auswaschmittel, im Gegensatz zum erteilten Anspruch 9, und die Druckschrift (7) nicht das Gebiet der Augenheilkunde, im Gegensatz zu den erteilten Ansprüchen 9 und 10, so daß beide Entgegenhaltungen deren Gegenstand nicht nahelegen könnten.
VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in seinem gesamten Umfange zu widerrufen.
Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 1 oder 2 aufrechtzuerhalten.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
2.1. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der Ausführbarkeit nur dann erfüllt, wenn die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden kann (siehe Entscheidungen T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Punkt 3.5; T 435/91, ABl. EPA 1995, 188, Punkt 2.2.1; T 534/96, Punkt 4, nicht veröffentlicht in ABl. EPA). Dieser Grundsatz gilt für jede Erfindung ungeachtet dessen, wie sie anspruchsgemäß definiert ist, sei es etwa in Form eines Stoffanspruches oder, wie hier, eines Verwendungsanspruches.
Ein Verwendungsanspruch gibt definitionsgemäß mindestens zwei technische Merkmale an, nämlich einerseits den verwendeten Gegenstand und andererseits einen bestimmten Verwendungszweck. Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, daß die Erfindung als Verwendungsanpruch "schweizerischen Typs" auf eine zweite medizinische Verwendung gerichtet ist (siehe G 1/83, ABl. EPA 1985, 60). Daher spezifiziert der geltende Verwendungsanspruch 1. den verwendeten Gegenstand als formelmäßig näher beschriebene semifluorierte Alkane und deren Verwendung zur Herstellung eines Hilfsmittels für die Augenheilkunde als Zweckangabe. Folglich enthält das streitgegenständliche Schutzbegehren zwei technische Merkmale, die beide gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit die Erfindung ausgeführt werden kann. Daher ist zu prüfen, ob beide Merkmale auch tatsächlich im gesamten beanspruchten Umfange erfüllt werden.
2.2. Der Beschwerdeführer hat in dieser Hinsicht vorgetragen, daß nicht alle patentgemäßen semifluorierten Alkane für den patentgemäßen Zweck verwendbar seien, denn einige dieser Alkane seien wegen ihrer Zelltoxizität nicht auf dem Gebiet der Augenheilkunde verwendbar mit der Folge, daß die gerade auf diese Verwendung gerichtete Erfindung in diesem Umfange nicht ausführbar sei.
Der Beschwerdeführer hat zum Nachweis seiner Behauptung einen Versuchsbericht des Prüflabors "mdt" zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. In diesem Versuchsbericht werden die Ergebnisse von Untersuchungen der patentgemäß verwendeten Verbindung F3H8 auf Zelltoxizität, angabegemäß nach ISO-Norm 10993 durchgeführt, angegeben. Die Probenvorbereitung erfolgte dabei unter anderem dergestalt, daß die zu prüfende Verbindung F3H8 mit Zellkulturmedium vermischt und nach Phasentrennung der überstehende Extrakt als solcher (100% Konzentration) und als Verdünnungsreihe bis zu einer 3%igen Verdünnungsstufe getestet wurde. Der unverdünnte und die verdünnten Extrakte sowie die zu prüfende Substanz selbst wurden auf Zelltoxizität untersucht. Der unverdünnte Extrakt zeigte eine geringe Zelltoxizität und die zu prüfende Verbindung als solche eine starke zelltoxische Wirkung selbst in geringen Mengen, während die verdünnten Extrakte keine Zelltoxizität zeigten (Seite 11, Absatz 2 und Tabellen). Diese Versuchsanordnung erscheint auch realitätsnah, denn bei der Verwendung auf dem Gebiet der Augenheilkunde wird die Verbindung als solche für längere Zeit (Langzeittamponade) oder sogar dauerhaft (Glaskörperersatz) in das Auge eingebracht. Die Versuchsergebnisse zeigen somit, daß die patentgemäß verwendete Verbindung F3H8 bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zelltoxisch ist.
2.3. Der Beschwerdegegner hat nun unter dem 10. August 2004 ebenfalls einen Versuchsbericht des Prüflabors "BSL" eingereicht, in dem die Ergebnisse von Untersuchungen einiger patentgemäß verwendeter Verbindung auf Zelltoxizität, angabegemäß ebenso nach ISO-Norm 10993 durchgeführt, angeführt werden. Unter den untersuchten Verbindungen ist auch die vom Beschwerdeführer bereits untersuchte Verbindung F3H8. Gestützt auf diesen Versuchsbericht hat der Beschwerdegegner vorgetragen, daß diese Verbindung F3H8, im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdeführers, doch nicht zelltoxisch sei.
2.3.1. Allerdings trägt der vorgelegte Versuchsbericht nicht diese Schlußfolgerung des Beschwerdegegners in ihrer Absolutheit, denn das Prüflabor hält als eigene Schlußfolgerung lediglich fest, daß "unter den angegebenen Bedingungen keine zelltoxisch wirkenden Substanzen aus dem Prüfmaterial freigesetzt wurden." (Seite 11, Ende; Hervorhebung durch die Kammer). Bei der Versuchsdurchführung hat das Prüflabor "BSL" ebenfalls einen Extrakt der zu prüfenden Verbindung F3H8 hergestellt. Allerdings wurden weder der unverdünnte Extrakt, noch die zu prüfende Substanz selbst auf Zelltoxizität untersucht, sondern nur verdünnte Extrakte (Seite 11, Absatz 2), bei denen keine zelltoxische Wirkung gefunden wurde. Dieses Ergebnis stimmt mit dem des Prüflabors des Beschwerdeführers überein, denn auch letzteres hat bei verdünnten Extrakten keine Zelltoxizität gefunden. Damit entkräftet der Versuchsbericht des Beschwerdegegners jedoch nicht die Feststellung des Versuchsberichtes des Beschwerdeführers, daß bei unverdünntem Extrakt eine zelltoxische Wirkung eintritt und folglich die patentgemäß verwendete Verbindung F3H8 Zelltoxizität aufweist.
2.3.2. Der Beschwerdegegner hat gegen den Versuchsbericht des Beschwerdeführers eingewandt, daß die Reinheit der dort untersuchten Verbindung, die möglicherweise für eine Zelltoxizität (mit)verantwortlich sein könne, nicht angegeben worden sei.
Dieser Einwand überzeugt indessen nicht, denn die vom Prüflabor des Beschwerdeführers untersuchte Verbindung zeigt, ebenso wie die vom Prüflabor des Beschwerdegegners untersuchte, keine Toxizität bei verdünnten Extrakten, so daß insoweit auch von keinem unterschiedlichen Reinheitsgrad auszugehen ist, worauf der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auch unwidersprochen hingewiesen hat.
2.3.3. Der Beschwerdegegner hat außerdem behauptet, daß die Versuchsdurchführung des Prüflabors des Beschwerdeführers, und insbesondere die Untersuchung des unverdünnten Extraktes, nicht der angegebenen ISO-Norm entsprochen habe.
Indessen trägt gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern jede am Verfahren beteiligte Partei die Beweislast für die von ihr geltend gemachten Tatsachenbehauptungen. Wenn eine Partei, deren Sachvortrag auf der behaupteten Tatsache beruht, dieser Beweislast nicht genügt, so unterliegt sie insoweit (siehe u. a. T 270/90, ABl. EPA 1993, 725, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe; T 355/97, Punkt 2.5.1 der Entscheidungsgründe, unveröffentlicht in ABl. EPA). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner allerdings für seine Behauptung kein einziges Beweismittel vorgelegt und damit den erforderlichen Beweis nicht angetreten. Die Kammer kann somit weder nachvollziehen noch überprüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange der angegriffene Versuchsbericht von dieser Norm abweicht sollte. Die Behauptung des Beschwerdegegners muß daher unberücksichtigt bleiben.
2.4. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluß, daß zumindest die anspruchsgemäße Verbindung F3H8 wegen ihrer Zelltoxizität für den anspruchsgemäßen Verwendungszweck auf dem Gebiet der Augenheilkunde nicht einsetzbar ist.
2.5. Die in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob die Zelltoxizität der untersuchten patentgemäßen Verbindung F3H8 möglicherweise einen isolierten, ausnahmsweisen Fehlschlag am Rande der Erfindung darstelle, ist weder vom Beschwerdeführer noch vom Beschwerdegegner vertieft worden. Der Beschwerdeführer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die untersuchte Verbindung F3H8 mit einer Kettenlänge der Kohlenwasserstoffgruppe von 8 Kohlenstoffatomen in der Mitte des anspruchsgemäßen Bereiches von 3 bis 20 und damit nicht am Rande der Erfindung liege. Der Beschwerdegegner hat dem Beschwerdeführer die gezielte Auswahl der untersuchten Verbindung vorgehalten, weil bei Verbindungen mit kurzer Perfluoralkylgruppe und mittellanger Kohlenwasserstoffgruppe am ehesten Zelltoxizität zu befürchten gewesen sei. Damit hat er indessen gleichzeitig eingeräumt, daß die einzig untersuchte patentgemäße Verbindung mit ihren toxischen Eigenschaften nicht als isolierter, ausnahmsweiser Fehlschlag zu betrachten ist.
2.6. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß der geltende Verwendungsanspruch 1 Verbindungen umfaßt, die für den anspruchsgemäßen Zweck auf dem Gebiet der Augenheilkunde nicht verwendbar sind. Damit schließt das Streitpatent Ausführungsformen ein, die nicht ausführbar sind mit der Folge, daß der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Artikel 100 b) EPÜ durchgreift. Daher ist der Hauptantrag des Beschwerdegegners nicht gewährbar.
Hilfsantrag 1
3. Änderungen
Der geltende Verwendungsanspruch 1 ist gegenüber dem erteilten Anspruch 1 auf die semifluorierten Alkane der Formel RFRH beschränkt und zusätzlich durch Aufnahme der spezifischen Verwendungszwecke aus den erteilten abhängigen Ansprüche 6, 9 und 10 präzisiert worden. Unter diesen Umständen bestehen keine Einwände im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
4. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
Der geltende Verwendungsanspruch 1 schließt, wie jener des Hauptantrages, die Verbindung F3H8 ein. Der angegebene Verwendungszweck liegt auch weiterhin in der Herstellung von - nunmehr spezifizierten - Hilfsmitteln in der Augenheilkunde, wobei als erste Alternative, welche dem erteilten abhängigen Anspruch 6 entnommen ist, ein Lösungsmittel für in der Augenheilkunde verwendbare Arzneimittel genannt wird.
Damit trifft der gegen den Verwendungsanspruch 1 des Hauptantrages erhobene Einwand, daß die anspruchsgemäße Verbindung F3H8 wegen ihrer Zelltoxizität für den anspruchsgemäßen Verwendungszweck auf dem Gebiet der Augenheilkunde nicht einsetzbar ist, auch den Anspruch 1 des Hilfsantrages 1. Daraus ergibt sich notwendigerweise die gleiche Schlußfolgerung (siehe Punkt 2.6 supra), nämlich daß das Streitpatent gemäß Hilfsantrag 1 Ausführungsformen einschließt, die nicht ausführbar sind mit der Folge, daß der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Artikel 100 b) EPÜ auch insoweit durchgreift.
4.1. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß der Hilfsantrag 1 des Beschwerdegegners ebenfalls nicht gewährbar ist.
Hilfsantrag 2
5. Entscheidungsbefugnis der Kammer
In den geltenden Verwendungsanspruch 1 sind die beiden spezifischen Zweckangaben der erteilten abhängigen Ansprüche 9 und 10 als einzige Verwendungsalternativen aufgenommen worden (siehe Punkt III supra). Durch die Aufnahme der Merkmale dieser Ansprüche in den Anspruch 1 hat der beschwerdegegnerische Patentinhaber sein Schutzbegehren auf den Umfang der erteilten Ansprüche 9 und 10 beschränkt.
5.1. Indessen hat der beschwerdeführende Einsprechende ausdrücklich nur den erteilten Anspruch 1 und die davon abhängigen erteilten Ansprüche 2 bis 8 mit dem Einspruch angegriffen (Einspruchsformblatt: Einspruchsumfang Punkt V; Einspruchsschriftsatz Seite 12, Absatz 2 und Seite 14 "Anträge"; beide eingegangen am 19. Oktober 2000). Folgerichtig hat der Beschwerdeführer auch weder im Einspruchsverfahren noch im schriftlichen Beschwerdeverfahren den Gegenstand der erteilten Ansprüche 9 und 10 angegriffen. Er tat dies erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.
5.2. Die Befugnis einer Einspruchsabteilung wie auch einer Beschwerdekammer, über das Streitpatent im Rahmen eines Einspruchs(beschwerde)verfahrens zu entscheiden, hängt jedoch grundsätzlich von dem Umfange ab, in dem gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wurde (G 9/91, ABl. EPA 1993, 406). Nachdem im vorliegenden Fall der beschwerdeführende Einsprechende seinen Einspruch explizit nur gegen die erteilten Ansprüche 1 bis 8 gerichtet und die erteilten Ansprüche 9 und 10 mit dem Einspruch nicht angegriffen hat, hat die Kammer somit grundsätzlich keine Befugnis, über das Streitpatent in der Form des Hilfsantrages 2 zu entscheiden, das auf den Gegenstand eben dieser nicht angefochtenen Ansprüche 9 und 10 beschränkt ist.
5.3. Von diesem Grundsatz kann jedoch abgewichen werden, "wenn der Einspruch ausdrücklich nur gegen den Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs eines europäischen Patents gerichtet ist", da davon ausgegangen werden kann, daß ein abhängiger Gegenstand durch die Erklärung nach Regel 55 c) EPÜ implizit mit abgedeckt ist. Dies setzt allerdings die Erfüllung von zwei Bedingungen voraus, nämlich daß der unabhängige Anspruch vernichtet wird und das bereits vorliegende Material den abhängigen Ansprüchen prima facie entgegensteht (G 9/91, loc. cit., Punkt 11 der Entscheidungsgründe).
5.3.1. Es ist fraglich, ob diese implizite Ausdehnung des erklärten Umfangs des Einspruchs hier anwendbar ist, denn sie betrifft augenscheinlich den Fall, in welchem der Einspruch "nur" den unabhängigen Anspruch angreift. Der vorliegende Fall weicht jedoch davon ab, da nicht "nur" der unabhängige Anspruch 1 mit dem Einspruch angegriffen worden ist; die Einspruchserklärung umfaßt ausdrücklich auch abhängige Ansprüche, jedoch nicht alle, sondern explizit nur bestimmte, nämlich die Ansprüche 2 bis 8, und nicht Anspruch 9 oder 10.
5.3.2. Diese Frage kann indessen dahinstehen, da eine der oben genannten zwei Bedingungen für eine implizite Ausdehnung des Einspruchs auf alle abhängigen Ansprüche, nämlich daß das bereits vorliegende Material diesen Ansprüchen prima facie entgegensteht, nicht erfüllt ist.
Der Beschwerdeführer hat die Ausführbarkeit des verbliebenen Patentgegenstandes gemäß Hilfsantrag 2 mit dem vorliegenden Material nicht in Frage gestellt. Die Kammer sieht auch von sich aus keine Veranlassung, davon abzuweichen, denn das Schutzbegehren ist nun auf die Verwendung der semifluorierten Alkane stets vermischt mit Silikonöl beschränkt. Für ein solches Gemisch ist eine seine Verwendung ausschließende Toxizität weder mit dem vorliegenden Material belegt noch ohnedies vorgetragen worden.
Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich des bereits vorliegenden Materials ausschließlich auf die Druckschriften (1) und (7) abgehoben. Die Druckschrift (1) betrifft auf der angezogenen Seite 1, Zeilen 21 bis 26. weder die anspruchsgemäßen semifluorierten Alkane, noch deren Verwendung zur Herstellung eines Verdünnungs- /Auswaschmittels für oder einer Lösung mit Silikonöl gemäß erteilten Ansprüchen 9 und 10. Druckschrift (7) betrifft ein völlig anderes Fachgebiet, nämlich die Reinigung von technischen Oberflächen. Damit kann prima facie das vom Beschwerdeführer entgegengehaltene und bereits vorliegende Material den Gegenstand der erteilten abhängigen Ansprüche 9 und 10 und folglich auch nicht den des darauf beschränkten geltenden Anspruchs 1 in Frage stellen.
5.4. Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Schluß, daß der Einspruch weder explizit noch implizit den Gegenstand der erteilten Ansprüche 9 und 10 einschließt. Der Hilfsantrag 2, welcher auf den Gegenstand eben dieser nicht angefochtenen erteilten Ansprüche 9 und 10 beschränkt ist, wird folglich von der Erklärung des Einspruchs gemäß Regel 55 c) EPÜ nicht umfaßt. Nachdem die Kammer jedoch an den Umfang des Einspruchs gebunden ist, hat sie keine Befugnis, über den Hilfsantrag 2 zu entscheiden.
6. Das Streitpatent ist daher in Form des Hilfsantrages 2 aufrechtzuerhalten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf Grundlage der Ansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 2 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.