T 0085/08 03-09-2009
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Vorrichtung zum Einschieben von Packgut in Packmittel
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) wendet sich mit ihrer mit Schriftsatz vom 3. März 2008 begründeten Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der diese das europäische Patent Nr. 1 389 166 widerrief.
II. Gegen das Patent hatte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) Einspruch mit dem Antrag eingelegt, "das Patent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 und 15 bis 19 zu widerrufen, da der Gegenstand des Streitpatents insofern gemäß Art. 100 EPÜ i.V.m. Art. 56 und Art. 54 Abs. 2 EPÜ nicht patentfähig ist".
III. Die Einspruchsabteilung stützte ihre Entscheidung über den Widerruf des Patents darauf, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 4 und 15 bis 19 sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergäbe.
IV. Am 3. September 2009 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an deren Schluss die Parteien folgende Anträge stellten: Nach Rücknahme aller zuvor im schriftlichen Beschwerdeverfahren gestellten Anträge, beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatzes. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerin lauten wie folgt:
(Die Unterteilung in den Merkmalen a) bis d) wurde von der Kammer zum besseren Verständnis der Gründe, Punkt 1 eingeführt.)
"1. Vorrichtung (1) zum Einschieben von Packgut in Packmittel, insbesondere von Blisterstreifen in vorzugsweise Faltschachteln, wobei eine erste Fördereinrichtung zum Bereitstellen von Packgut und eine zweite Fördereinrichtung zum Bereitstellen von Packmitteln im Bereich einer Einschubeinrichtung (2) und einer Vorschubeinrichtung (3) vorgesehen sind, wobei die Einschubeinrichtung (2) wenigstens einen Einschubstößel (5a - 5c) zum Verschieben des Packgutes und die Vorschubeinrichtung (3) eine mit dem Einschubstößel (5a - 5c) korrespondierende Abdeckzunge (7a - 7c) aufweist, und wobei der Einschubstößel (5a - 5c) und die Abdeckzunge (7a - 7c) im Wesentlichen quer zu einer Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen führbar sind und die Bewegungen des Einschubstößels (5a - 5c) und der Abdeckzunge (7a - 7c) mittels jeweils einer mit dem Einschubstößel (5a - 5c) und der Abdeckzunge (7a - 7c) gekoppelten servomotorischen Antriebseinrichtung (8, 9) erzeugbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Einschubeinrichtung (2) und die Voreinschubeinrichtung (3) parallel zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen über eine mit diesen gekoppelte weitere servomotorische Antriebseinrichtung (11) oszillierend mit variierbarer Geschwindigkeit verstellbar sind, wobei die Antriebseinrichturigen (8, 9, 11) über eine Antriebssteuereinrichtung separat ansteuerbar sind,
a) dass die Antriebseinrichtungen (8, 9, 11) jeweils wenigstens einen Servomotor (15, 16, 18) aufweisen und die Voreinschubeinrichtung (3) zur Verstellung der Voreinschubeinrichtung (3) vertikal zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen mit einer zusätzlichen servomotorischen Antriebseinrichtung (10) gekoppelt ist,
b) dass die Antriebseinrichtungen (8, 9, 10, 11) der Einschubeinrichtung (2) und der Voreinschubeinrichtung (3) jeweils wenigstens ein Zwischengetriebe (19, 20, 21, 22) aufweisen,
c) und dass die Antriebseinrichtung (8) zur Erzeugung der Bewegung des Einschubstößels (5A bis 5C) quer zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen ein als Zahnriemengetriebestufe (19) ausgebildetes Zwischengetriebe aufweist, über welche ein Antrieb des Servomotors (15) auf eine in den Gestellplatten (12A, 12B) gelagerte Profilwelle (27) führbar ist". "2. Vorrichtung (1) zum Einschieben von Packgut in Packmittel, insbesondere von Blisterstreifen in vorzugsweise Faltschachteln, wobei eine erste Fördereinrichtung zum Bereitstellen von Packgut und eine zweite Fördereinrichtung zum Bereitstellen von Packmitteln im Bereich einer Einschubeinrichtung (2) und einer Vorschubeinrichtung (3) vorgesehen sind, wobei die Einschubeinrichtung (2) wenigstens einen Einschubstößel (5a - 5c) zum Verschieben des Packgutes und die Vorschubeinrichtung (3) eine mit dem Einschubstößel (5a - 5c) korrespondierende Abdeckzunge (7a - 7c) aufweist, und wobei der Einschubstößel (5a - 5c) und die Abdeckzunge (7a - 7c) im Wesentlichen quer zu einer Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen führbar sind und die Bewegungen des Einschubstößels (5a - 5c) und der Abdeckzunge (7a - 7c) mittels jeweils einer mit dem Einschubstößel (5a - 5c) und der Abdeckzunge (7a - 7c) gekoppelten servomotorischen Antriebseinrichtung (8, 9) erzeugbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Einschubeinrichtung (2) und die Voreinschubeinrichtung (3) parallel zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen über eine mit diesen gekoppelte weitere servomotorische Antriebseinrichtung (11) oszillierend mit variierbarer Geschwindigkeit verstellbar sind, wobei die Antriebseinrichturigen (8, 9, 11) über eine Antriebssteuereinrichtung separat ansteuerbar sind,
a) dass die Antriebseinrichtungen (8, 9, 11) jeweils wenigstens einen Servomotor (15, 16, 18) aufweisen und die Voreinschubeinrichtung (3) zur Verstellung der Voreinschubeinrichtung (3) vertikal zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen mit einer zusätzlichen servomotorischen Antriebseinrichtung (10) gekoppelt ist,
d) dass die Bewegungen der Voreinschubeinrichtung (3) über zwei mit Servomotoren (16, 17) gekoppelte Antriebswellen (23, 24) und mit den Antriebswellen (23, 24) verbundene Hebelgetriebe (25) erzeugbar sind, wobei die beiden Bewegungen mittels einer Führungswelle (26) zu einer kombinierten Bewegung überlagerbar sind,
c) und dass die Antriebseinrichtung (8) zur Erzeugung der Bewegung des Einschubstößels (5A bis 5C) quer zur Bewegungsrichtung der Fördereinrichtungen ein als Zahnriemengetriebestufe (19) ausgebildetes Zwischengetriebe aufweist, über welche ein Antrieb des Servomotors (15) auf eine in den Gestellplatten (12A, 12B) gelagerte Profilwelle (27) führbar ist".
VI. Die Beschwerdegegnerin hat sich hinsichtlich dieses geänderten Anspruchssatzes lediglich gegen dessen Zulassung ins Verfahren mit dem Argument gewandt, die unabhängigen Vorrichtungsansprüche 1 und 2 verstießen gegen die Erfordernisse der Regel 29(2) EPÜ [1973]. In der Sache selbst hat sie erklärt, keine Einwände gegen die geänderten Anspruchsfassungen zu haben.
VII. Die Beschwerdeführerin hat Folgendes vorgetragen: Der erteilte Anspruch 6 enthalte eine Rückbeziehung auf den erteilten Anspruch 4 und eine auf den erteilten Anspruch 5. Die geltenden unabhängigen Vorrichtungsansprüche 1 und 2 entsprechen diesen zwei, in dem erteilten Anspruch 6 enthaltenen Alternativen in ausformulierter Form. Nur ein Anspruch in der Kategorie "Vorrichtungsanspruch" sei nicht möglich. Der erteilte Anspruch 6 sei mit dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Einspruch nicht angegriffen worden und könne daher im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachträglich in Frage gestellt werden. Entsprechendes gelte für die jetzt vorliegenden unabhängigen Vorrichtungsansprüche 1 und 2.
Entscheidungsgründe
1. Anspruch 6 (mit den Merkmalen c)) in der erteilten Fassung war zurückbezogen auf entweder Anspruch 5 (mit den Merkmalen d)) oder Anspruch 4 (mit den Merkmalen b)). Anspruch 5 bezog sich auf Anspruch 4 oder 3 (mit den Merkmalen a)). Anspruch 4 bezog sich auf Anspruch 3 (und irrtümlicherweise auf sich selbst). Anspruch 3 bezog sich auf Anspruch 2 oder Anspruch 1.
Anspruch 1 in der jetzt vorliegenden Fassung setzt sich zusammen aus Anspruch 1 in der erteilten Fassung, vervollständigt mit den Merkmalen a), b) und c), d. h. mit dem Wortlaut der Ansprüche 3, 4 und 6 in der erteilten Fassung. Dies entspricht der einen in Anspruch 6 enthaltenen Alternative mit dem "kürzest möglichen" Rückbezug auf Anspruch 1. Anspruch 2 in der jetzt vorliegenden Fassung setzt sich zusammen aus Anspruch 1 in der erteilten Fassung, vervollständigt mit den Merkmalen a), d) und c), d. h. mit dem Wortlaut der Ansprüche 3, 5 und 6 in der erteilten Fassung. Dies entspricht der anderen in Anspruch 6 enthaltenen Alternative mit dem "kürzest möglichen" Rückbezug auf Anspruch 1.
2. Die Beschwerdeführerin verfolgt daher mit dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatz die Aufrechterhaltung des Patents nur noch in einer Fassung weiter, die von der Beschwerdegegnerin nicht mit deren Einspruch angegriffen und auch nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung war.
3. Bereits aus diesem Grunde war der von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung eingereichte (neue) Hauptantrag mit den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 sowie den abhängigen Ansprüchen 3 bis 18 in das Verfahren zuzulassen.
3.1 Der Zulassung steht auch nicht der Einwand der Beschwerdegegnerin bezüglich eines Verstoßes gegen Regel 29(2) EPÜ [1973] entgegen. Die Kammer teilt die in den Punkten 5.16 und 5.19 der Entscheidung T 263/05 (ABl. EPA 2008, 329) geäußerte Meinung, wonach die Regel 29(2) EPÜ [1973] im Einspruchsverfahren nicht anwendbar ist. Im vorliegenden Einspruchsbeschwerde-verfahren zu einem vor in Kraft treten des revidierten Übereinkommens (EPÜ 2000) erteilten Patent ist es die Regel 29(2) EPÜ [1973] und nicht die Regel 43(2) EPÜ [2000], welche in Frage käme, denn das revidierte Übereinkommen (EPÜ 2000) ist nach Artikel 7(1) der Revisionsakte nicht auf solche Patente anwendbar und die dieser Regel übergeordnete Vorschrift des Artikels 84 EPÜ [2000] ist nach Artikel 1 der Übergangsbestimmungen auch nicht für anwendbar erklärt worden. Die Zulässigkeit des die beiden unabhängigen Vorrichtungsansprüche 1 und 2 enthaltenden (neuen) Hauptantrags kann daher hiermit nicht in Frage gestellt werden.
3.2 Im übrigen würden nach Meinung der Kammer auch die Erfordernisse der vorliegend relevanten Regel 29(2)(c) EPÜ [1973] erfüllt sein, denn die geänderten Ansprüche 1 und 2 betreffen Alternativlösungen zu der selben Aufgabe, eine vollständige Unabhängigkeit der Einschubkomponenten, mit geringerem Verschleiß (siehe Absätze [0013] und [0014] des Streitpatents), zu erreichen.
4. Maßgeblich für die Begründetheit der Beschwerde ist die Entscheidung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408), Punkt 10 der Gründe. Danach ist das EPA nicht befugt sich mit den Gegenständen zu befassen, die deshalb nicht vom Einspruch umfasst sind, weil der Einsprechende seinen Einspruch auf einzelne, andere Gegenstände des Patents beschränkt hat.
4.1 Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin ihren Einspruch explizit auf die Gegenstände der erteilten Ansprüche 1 bis 4 und 15 bis 19 beschränkt. Dadurch, dass die Beschwerdegegnerin ausdrücklich erklärt hat, dass sie in der Sache keine Einwände gegen die geänderten Anspruchsfassungen hat, hat sie auch die Gültigkeit dieser Ansprüche durch den bereits vorliegenden Stand der Technik nicht prima facie im Sinne der G 9/91 (supra) in Frage gestellt. Die Kammer sah auch keine Veranlassung dies von sich aus zu tun.
Die erteilten Ansprüche 5 bis 14 und 20 hat die Beschwerdegegnerin mit dem Einspruch nicht in Frage gestellt und damit (bewusst) auf die Ausübung ihres im EPÜ vorgesehenen Rechts auf die Beantragung des Widerrufs des gesamten Patents verzichtet. Dieser Verzicht schließt mithin gerade auch den vorliegend relevanten erteilten Anspruch 6 ein, der damit nie Gegenstand des Einspruchsverfahrens und folglich auch nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung geworden ist. Insofern hat sich die Einspruchsabteilung zu Recht in ihrer Entscheidung nur mit der Patentierbarkeit der Gegenstände der erteilten Ansprüche 1 bis 4 und 15 bis 19 auseinandergesetzt.
4.2 Nachdem der Gegenstand des erteilten Anspruchs 6 im Lichte der G 9/91 (supra) kein Gegenstand des Einspruchsverfahrens ist, entzieht er sich einer (Über-)Prüfung durch die Beschwerdekammer.
5. Die selbe Schlussfolgerung trifft die jetzt vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 2, denn - wie bereits in Punkt 1 ausgeführt - die Gegenstände dieser Ansprüche bestehen ausschließlich aus den Merkmalen der Ansprüche, die in den beiden Rückbeziehungsketten des erteilten Anspruchs 6 ausnahmslos vorhanden waren, wie dies die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zutreffend dargelegt hat.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche 1 - 18 eingereicht während der mündlichen Verhandlung,
Beschreibung Seiten 2, 4 - 7 des Patents in der erteilten Fassung, Seite 3 eingereicht während der mündlichen Verhandlung,
Figuren 1 - 5 des Patents in der erteilten Fassung.