T 1510/12 29-09-2016
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NAVIGATIONSVERFAHREN UND NAVIGATIONSSYSTEM ZUM BESTIMMEN EINER ROUTE VON EINEM STARTORT ZU EINEM ZIELORT FÜR EIN FORTBEWEGUNGSMITTEL
Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen. Die Einspruchsabteilung hatte die Zurückweisung insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des erteilten unabhängigen Anspruchs 1 neu sei gegenüber dem Dokument
E4 = EP 0 735 517 A1
und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung abzuhalten.
III. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und ferner hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents aufgrund der Ansprüche 1-4 gemäß Hilfsantrag 1 oder aufgrund des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2, die beide bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden waren und mit der Beschwerdeerwiderung erneut eingereicht wurden.
IV. Die Kammer hat mit der Ladung zu einer mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Meinung und die in der mündlichen Verhandlung zu klärenden Punkte zum Ausdruck gebracht.
V. Mit Schreiben vom 29. August 2016 hat die Beschwerdeführerin in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung ihre Sicht zur Auslegung des erteilten Anspruchs 1 und der Offenbarung des Dokuments E4 dargelegt.
VI. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 29. September 2016 statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
VII. Der erteilte unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Navigationssystem zum Bestimmen einer Route von einem Startort zu einem Zielort für ein Fortbewegungsmittel, insbesondere für ein Kraftfahrzeug, Flugzeug oder Schiff, wobei zum Berechnen der Route eine digitale Kartenbasis vorgesehen ist, welche vorbestimmte Wegstrecken Wi mit entsprechend zugeordneten Knotenpunkten Ni, welche jeweilige Wegstrecken Wi miteinander verbinden, umfaßt, wobei den Wegstrecken Wi und/oder den Knotenpunkten Ni jeweilige Gewichte Gi zugeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß tageszeitabhängig variable Gewichte Gi vorgesehen sind, und daß die Gewichte dem Produkt Gi=Li*Ki entsprechen, wobei Li eine Länge der Wegstrecke Gi [sic] und Ki eine einer auf der Wegstrecke Wi möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit umgekehrt proportionale Wegstreckenklasse Ki ist."
VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt:
"Navigationssystem zum Bestimmen einer Route von einem Startort zu einem Zielort für ein Fortbewegungsmittel, insbesondere für ein Kraftfahrzeug, Flugzeug oder Schiff, wobei zum Berechnen der Route eine digitale Kartenbasis vorgesehen ist, welche vorbestimmte Wegstrecken Wi mit entsprechend zugeordneten Knotenpunkten Ni, welche jeweilige Wegstrecken Wi miteinander verbinden, umfasst, wobei den Wegstrecken Wi und/oder den Knotenpunkten Ni jeweilige Gewichte Gi zugeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, dass tageszeitabhängig variable Gewichte Gi vorgesehen sind, und dass die Gewichte dem Produkt Gi=Li*Ki entsprechen, wobei Li eine Länge der Wegstrecke Wi und Ki eine einer auf der Wegstrecke Wi möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit umgekehrt proportionale Wegstreckenklasse Ki ist und dass für jede Wegstrecke Wi zwei Gewichte Gi für zwei Tageszeiten vorgesehen sind."
IX. Und der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 definiert gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 zusätzlich :
"dass die beiden Tageszeiten einer Tages- und einer Nachtzeit entsprechen, dass für die zwei verschiedenen Tageszeiten jeweils eine Tabelle mit Wegstreckenklassen Ki vorgesehen ist und dass je nach momentaner Uhrzeit die Wegstreckenklasse Ki für eine Wegstrecke Wi aus der der Tageszeit zugeordneten Tabelle entnommen wird."
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Anspruch 1 wie erteilt
1.1 Auslegung des Anspruchs
Die Beschwerdeführerin führte an, dass die Feststellung, wonach die Gewichte dem Produkt Gi=Li*Ki entsprächen, keine Einschränkung des beanspruchten Gegenstands darstelle. Es handele sich lediglich um physikalisches Basiswissen, wie das Gewicht definiert sei.
1.1.1 Die Beschwerdegegnerin bestritt nicht, dass es sich bei dem Zusammenhang Gi=Li*Ki um eine physikalische Gesetzmäßigkeit handele, die deutlich mache, wie die Gewichte für jede Wegstrecke definiert seien.
Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an. Die Aufnahme dieser physikalischen Gesetzmäßigkeit in den Anspruch schränkt dessen Gegenstand nicht weiter ein.
1.1.2 Die Einspruchsabteilung hat die Wegstreckenklasse gemäß der Beschreibung in Spalte 3, Zeilen 33-37 und Spalte 4, Zeilen 23-29 als Straßenklasse interpretiert.
Die Wegstrecken Wi, die Gewichte Gi, die Längen Li und die Klassen Ki seien jeweils mit dem gleichen Index i versehen. Dies könne so aufgefasst werden, dass jeder Wegstrecke eine eigene Wegstreckenklasse zugeordnet sei, wodurch die Anzahl der verschiedenen Wegstreckenklassen bzw. Straßenklassen genau so groß sei wie die Gesamtzahl der Wegstrecken.
Auf dem Gebiet der Navigationssysteme sei aber davon auszugehen, dass die Anzahl der verschiedenen Wegstreckenklassen bzw. Straßenklassen Ki deutlich kleiner sei als die Gesamtzahl der Wegstrecken Wi.
Entgegen dem üblichen Verständnis einer Klasseneinteilung entspräche Ki somit nicht einer Ordnungszahl, sondern einer Messzahl (s/km).
Gemäß Anspruch 1 müssten die Gewichte so beschaffen sein, dass sie dem Produkt Gi=Li*Ki entsprächen. Zur hierdurch bewirkten Einschränkung wurde angenommen, dass die Länge Li jeder Wegstrecke konstant sei und dass aus der Menge der vorgesehenen Gewichte Gi erkennbar sei, ob diese dem Produkt Gi=Li*Ki entsprächen, z.B. indem die auf die jeweils zugehörige Länge bezogenen Gewichte (Gi/Li) eine Menge an diskreten Werten darstellten, deren Anzahl deutlich kleiner sei als die Anzahl der Wegstrecken Wi.
Die Kammer folgt dieser Auslegung nicht, sondern teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin (vgl. Seiten 4 und 5 der Beschwerdebegründung). Die Ausdrücke "Wegstreckenklasse" und "Straßenklasse" werden in der Anmeldung als Synonyme verwendet. Es ist der Anmeldung nicht zu entnehmen, dass der eine Begriff eine andere Bedeutung hat als der andere. Die Einspruchsabteilung scheint in den Begriff Straßenklasse eine besondere Bedeutung hineinzulesen. Laut Anspruch 1 ist die Wegstreckenklasse Ki zu einer auf der Wegstrecke Wi möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit umgekehrt proportional. In der Beschreibung wird in Absatz [0018] dazu ausgeführt, dass die mögliche Geschwindigkeit Ki auf einer Wegstrecke Wi beispielsweise in Sekunden pro Kilometer (s/km) gemessen wird. Dem Fachmann ist daraus klar, dass sich das Gewicht Gi (s) aus dem Produkt Li (km)* Ki (s/km) berechnet.
Die Kammer stellt fest, dass es grundsätzlich zwei Formen, eine Geschwindigkeit auszudrücken, gibt: Entweder wird sie in einer Länge pro Zeiteinheit (Meter pro Sekunde, Kilometer pro Stunde) oder in einer Zeit pro Längeneinheit (Sekunden pro Kilometer) ausgedrückt. Im Straßenverkehr wird üblicherweise die erste Variante benutzt, und auf diese erste Variante bezieht sich auch die Angabe im Anspruch, dass die Wegstreckenklasse umgekehrt proportional zur möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit ist. Deshalb ist es aber auch richtig, die Wegstreckenklasse Ki als Geschwindigkeit zu bezeichnen.
Laut der Definition des Anspruchs 1 ist nun jeder Wegstrecke Wi eine bestimmte Länge Li und eine bestimmte Wegstreckenklasse Ki zugeordnet, die zur möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit umgekehrt proportional ist. Aus dem Index i kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Anzahl der Wegstreckenklassen mit unterschiedlichen Werten genau so groß ist wie die Gesamtzahl der Wegstrecken. Bei einem großen Streckennetz werden natürlich viele Wegstrecken die gleiche Länge haben und viele Wegstrecken die gleiche mögliche Geschwindigkeit zulassen. Daher kann (z.B. in einer Tabelle der Kartenbasis) jeder Wegstrecke Wi eine eigene Klasse Ki zugeordnet sein (und die Anzahl der zugeordneten Klassen so groß sein wie die Anzahl der Wegstrecken) und manche Klassen die gleichen Werte enthalten wie andere Klassen. Dies stellt keine technische Schwierigkeit dar und steht nicht im Widerspruch zur Beschreibung des Patents.
Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung zu, dass der Begriff Klasse oft im Sinne einer Ordnungszahl, im Patent jedoch für eine Maßzahl (Geschwindigkeit) verwendet wird. Dies ist hinreichend klar und bedarf keiner weiteren Auslegung.
Dieser Auffassung der Kammer haben die Parteien nicht widersprochen.
1.1.3 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 breit ausgelegt werden müsse. Die Definition in Anspruch 1, wonach tageszeitabhängig variable Gewichte vorgesehen seien, lasse es offen, wie die Gewichte bei unterschiedlichen Tageszeiten bestimmt würden. Die Gewichte müssten bei unterschiedlichen Tageszeiten nur unterschiedlich sein. Eine Abhängigkeit von der Tageszeit sei durch diese Definition nicht gegeben. Gewichte, die aus empfangenen Verkehrsinformationen bestimmt würden, seien daher ebenfalls tageszeitabhängig variabel. Eine enge Auslegung des Anspruchs aufgrund des Ausführungsbeispiels, das in den Absätzen 18 und 19 der Beschreibung zu finden sei, sei nicht zulässig. Keinesfalls seien bei gleicher Tageszeit die Gewichte immer gleich. Der Anspruch schließe nicht aus, dass die Gewichte neben der Tageszeit auch noch von anderen Faktoren, z.B. vom Tag, bestimmt würden.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass die Definition, wonach die Gewichte Gi tageszeitabhängig variabel seien, eng ausgelegt werden müsse. Die Gewichte seien abhängig von der Tageszeit. Dies werde auch durch die Beschreibung gestützt. In Absatz 6 werde angegeben, dass die Gewichtung einer Straße als Funktion der Zeit bestimmt werde. Somit ergebe sich bei gleicher Tageszeit auch immer wieder das gleiche Gewicht.
Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdegegnerin dahingehend an, dass die Definition, wonach die Gewichte Gi tageszeitabhängig variabel seien, eine Abhängigkeit von der Tageszeit bestimmt. Der Anspruch schließt jedoch nicht aus, dass es zusätzlich noch weitere Abhängigkeiten gibt. Einer Auslegung, wonach die Gewichte tageszeitlich variabel sind, ohne durch die Tageszeit bestimmt zu sein, kann die Kammer nicht zustimmen.
1.2 Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
1.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu gegenüber dem Dokument E4. Das Dokument E4 offenbart
ein Navigationssystem zum Bestimmen einer Route von einem Startort zu einem Zielort für ein Fortbewegungsmittel, wobei zum Berechnen der Route eine digitale Kartenbasis vorgesehen ist, welche vorbestimmte Wegstrecken Wi mit entsprechend zugeordneten Knotenpunkten Ni, welche jeweilige Wegstrecken Wi miteinander verbinden, umfasst (vgl. Spalte 7, Zeilen 35-41; Spalte 8, Zeile 45 - Spalte 9, Zeile 1),
- wobei den Wegstrecken Wi und/oder den Knotenpunkten Ni jeweilige Gewichte Gi zugeordnet sind (wie aus der Tabelle der Figur 2 ersichtlich ist, sind jeder Wegstrecke (link) Gewichte (arc cost) zugeordnet, die aus einem Gewicht für die Wegstrecke (link cost) und einem Gewicht für die Knotenpunkte (connection cost) bestehen, wobei das Gewicht einer Wegstrecke (link cost) der für die Strecke erforderlichen Reisezeit (travel time) und ein Verbindungsgewicht (connection cost) der Zeit an einem Knotenpunkt (exit) entspricht; vgl. Spalte 9, Zeilen 19-25),
wobei tageszeitabhängig variable Gewichte Gi vorgesehen sind (vgl. Spalte 9, Zeilen 33-40; diese Stelle verwendet den Begriff "The route network data", der sonst an keiner anderen Stelle des Dokuments E4 verwendet wird; wie von der Beschwerdeführerin überzeugend ausgeführt, ist jedoch davon auszugehen, dass es sich dabei um Daten in der "route network table" (Figur 2) handelt; diese "route network data" werden als variabel gemäß u.a. der Tageszeit beschrieben (variable in accordance with ... time of the day); da in der Tabelle der Figur 2 einige Daten einer Wegstrecke nicht veränderlich sind (wie Länge, Straßentyp, Startpunktkoordinate, Endpunktkoordinate, Knotenform), können die Straßennetzdaten sich über die Zeit insbesondere in den Gewichten verändern; dies wird dadurch bekräftigt, dass als Grund für die zu variierenden "route network data" in diesem Abschnitt angegeben ist, dass sich das Staumaß (traffic jam level) mit der Tageszeit verändert (because of the fact that a traffic jam level ... [is] varied with ... time of the day); das Staumaß korreliert mit der für eine Strecke erforderlichen Zeit, bzw. deren Gewicht; daher sind insbesondere die Gewichte der Straßennetzdaten gemäß der Tageszeit variabel), und
- die Gewichte dem Produkt Gi=Li*Ki entsprechen, wobei Li eine Länge der Wegstrecke Wi und Ki eine einer auf der Wegstrecke Wi möglichen Durchschnittsgeschwindigkeit umgekehrt proportionale Wegstreckenklasse Ki ist (dies beschreibt die bereits oben genannte physikalische Gesetzmäßigkeit, die jedem Fachmann bekannt ist; durch das Nennen dieser Gesetzmäßigkeit wird der Gegenstand des Anspruchs nicht weiter eingeschränkt).
1.2.2 Die Beschwerdegegnerin konnte in dem Dokument E4 keine Tageszeitabhängigkeit der Gewichte erkennen. Es sei zwar in Dokument E4, Spalte 9, Zeilen 33-40 angegeben, dass die Streckennetzdaten (route network data) variabel seien, es handele sich aber nicht um eine echte Tageszeitabhängigkeit, da die Streckennetzdaten auch über Kalender und Wochentage variierten. In Spalte 20, Zeilen 49-50 und in Figur 14 gebe das Dokument auch an, dass es einen Verkehrsinformationsempfänger 45 gebe, der Verkehrsinformationen von Stationen erhalte. Damit sei klar, dass in Dokument E4 eine dynamische Anpassung der Streckennetzdaten erfolge und es sich nicht um eine tageszeitabhängig variable Anpassung der Daten handele. Durch die empfangenen Verkehrsinformationen würden im Dokument E4 die Gewichte der einzelnen Wegstrecken angepasst. Die Anpassung erfolge also nicht in Abhängigkeit von der Tageszeit, wie es der erteilte Anspruch 1 definiere. Es sei nicht zulässig, in das Dokument E4 hineinzuinterpretieren, dass die Streckennetzdaten sich in der Streckennetztabelle der Figur 2 befänden.
1.2.3 Die Beschwerdeführerin bestätigte, dass das in Dokument E4 offenbarte Navigationssystem Verkehrsinformationen erhalte. Es werde aber nicht offenbart, wie diese Verkehrsinformationen verwendet würden. Die Routenberechnung könne durchaus statisch sein, und die Verkehrsinformationen würden dann als zusätzliche Informationen dem Fahrer zur Verfügung gestellt. Die Streckennetzdaten (route network data) seien als variabel offenbart, eine Verwendung der Verkehrsinformationen sei aber nicht offenbart. In Spalte 7, Zeilen 35 folgende, sei offenbart, dass eine Strecke aufgrund von Straßenkartendaten, die auf der CD-ROM gespeichert seien, berechnet werde. In Spalte 8, Zeilen 45 folgende, sei aufgezeigt, welche Daten auf der CD-ROM gespeichert seien und zur Routenberechung verwendet würden. Die CD enthalte einen "route network table", der, wie in Figur 2 gezeigt, "link data" und "arc data" enthalte. Wie aus der Figur 2 und Spalte 9, Zeilen 20-25, ersichtlich sei, seien in den "arc data" die Gewichte (cost data) enthalten. Es sei dabei klar, dass es sich bei der Darstellung der Figur 2 um eine schematische Darstellung handele, die nicht alle Details zeige. So seien, wie aus der Beschreibung Spalte 9, Zeilen 20-25 ersichtlich, die "arc cost data" zwar weiter aufgeteilt in "link cost" und "connection cost", aber in der Figur 2 so nicht dargestellt. Auch zeige die Tabelle der Figur 2 nicht die für verschiedene Zeiten geltenden Streckengewichte (link cost), die aber in der Beschreibung, Spalte 9, Zeilen 33-40 eindeutig offenbart seien. Aus diesem eindeutigen Zusammenhang sei offensichtlich, dass die auf der CD-ROM gespeicherten Streckennetzdaten und damit auch die Gewichte (cost data) mit verschiedenen Werten in weiteren Tabellenfeldern, etwa in Spalten oder Reihen, unter der Überschrift "arc cost" gespeichert seien. Bei der Planung einer größeren Strecke sei es auch gar nicht sinnvoll, sich auf aktuelle Verkehrsinformationen zu verlassen, weil bei der Abfahrt die Verkehrslage am Zielort eine vollkommen andere sein könne als bei der Ankunft, einige Stunden später. Es sei daher sinnvoller sich auf gespeicherte Gewichte zu verlassen, die abhängig von der jeweils voraussichtlichen Tageszeit variierten.
1.2.4 Die Kammer folgt der Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht. Es ist richtig, dass das Dokument E4 einen Verkehrsinformationsempfänger (traffic information receiver 45) beschreibt und zeigt (vgl. Spalte 20, Zeilen 49-50; Figur 14). Das Dokument gibt jedoch nicht an, wie diese gewonnenen Verkehrsinformationen verwendet werden. Dokument E4 führt dagegen klar aus, dass die Routenberechnung mit den Streckennetzkarten und -daten von der CD-ROM ausgeführt wird. Dadurch dass diese Streckennetzdaten u.a. auch gemäß der Tageszeit variieren, sind auch die entsprechenden Gewichte der Strecken tageszeitabhängig variabel. Damit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu.
2. Hilfsantrag 1 - Anspruch 1
2.1 Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
2.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag im Wesentlichen durch das zusätzliche Merkmal, wonach für jede Wegstrecke Wi zwei Gewichte Gi für zwei Tageszeiten vorgesehen sind.
2.1.2 Die Beschwerdeführerin sieht darin kein weiter einschränkendes Merkmal. Die Definition "zwei Gewichte" schließe auch mehr als zwei Gewichte mit ein. Wie zum Hauptantrag ausgeführt, sei im Dokument E4 offenbart, dass in den Streckennetzdaten die Gewichte tageszeitabhängig variabel gespeichert seien. Wenn die Gewichte variabel seien, dann müssten sie mindestens zwei verschiedene Werte annehmen können. Daher ließen sich in dem Navigationssystem aus Dokument E4 sicher zwei Tageszeiten bestimmen, für die für eine Strecke zwei verschiedene Gewichte vorgesehen seien. Dies sei eine Selbstverständlichkeit. Daher sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ebenfalls nicht neu.
2.1.3 Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass der Anspruch eine klare, enge Zuordnung definiere: Für jede Wegstrecke seien genau zwei Gewichte für zwei Tageszeiten vorgesehen. Genau zwei Gewichte für eine Wegstrecke seien aber in Dokument E4 nicht offenbart.
2.1.4 Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an. In Dokument E4 sind die Gewichte in der Tabelle der Figur 2 unter "arc cost" variabel gespeichert. Damit die Gewichte gemäß Tageszeit variabel vorgesehen sein können, muss es mindestens zwei verschiedene Werte geben. Der Anspruch definiert nicht, dass genau zwei Gewichte vorgesehen sind. Daher fallen auch mehr als zwei Gewichte unter den Anspruch. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments E4.
3. Hilfsantrag 2 - Anspruch 1
3.1 Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
3.1.1 Die Neuheit des Anspruchs 1 wurde von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt.
3.2 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
3.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch das zusätzliche Merkmal wonach die beiden Tageszeiten einer Tages- und einer Nachtzeit entsprechen, für die zwei verschiedenen Tageszeiten jeweils eine Tabelle mit Wegstreckenklassen Ki vorgesehen ist und je nach momentaner Uhrzeit die Wegstreckenklasse Ki für eine Wegstrecke Wi aus der der Tageszeit zugeordneten Tabelle entnommen wird.
3.2.2 Die Beschwerdeführerin sah in diesen zusätzlichen Merkmalen im Grunde zwei Merkmale. Ein erstes Merkmal, wonach die beiden Tageszeiten einer Tages- und einer Nachtzeit entsprechen, und ein zweites Merkmal wonach die Wegstreckenklassen Ki für zwei verschiedene Tageszeiten jeweils in einer Tabelle vorgesehen sind.
Das erste Merkmal sei sehr breit und vage. Es sei nicht klar welche Zeit als Tag und welche als Nacht definiert sei. Es sei auch nicht definiert, dass es nur eine Tageszeit und eine Nachtzeit geben dürfe. Das Dokument E4 spreche in Spalte 9, Zeile 37, von einer "rush hour". Man könne daher davon ausgehen, dass es vor der "rush hour" Nacht sei und mit der "rush hour" der Tag beginne. Somit sei dieses erste Merkmal auch aus E4 bekannt.
Das zweite zusätzliche Merkmal sei aber nicht aus Dokument E4 bekannt. Die Beschwerdeführerin war jedoch der Auffassung, dass das zweite Merkmal ausgehend von Dokument E4 für einen Fachmann naheliegend sei. Wie in Bezug auf den Hauptantrag bereits ausgeführt, würden in dem Dokument E4 in der Tabelle der Figur 2 in den nicht dargestellten Tabellenfeldern unter "arc cost" die variablen Gewichte (cost data) gespeichert, wohingegen in den Tabellen des Anspruchs 1 die Wegstreckenklassen Ki vorgesehen seien. Da der Zusammenhang zwischen Gewicht und Wegstreckenklasse eine physikalische Gesetzmäßigkeit sei (Gi=Li*Ki), würde es sich nur um eine andere Berechnung handeln, die zu demselben Ergebnis komme. Diese andere Strukturierung der Daten habe keinen technischen Effekt. Auch sei in der Beschreibung kein Effekt dafür genannt, in der Tabelle statt der Gewichte die Wegstreckenklassen zu speichern. Somit handele es sich um eine Alternativlösung, die für den Fachmann naheliegend sei. Der in Absatz 10 der Patentschrift genannte Vorteil, wonach das Umschalten zwischen den zwei Tabellen je nach Tageszeit es erlaube, die Wegstreckenklassen Ki nur vor der Routenberechnung berechnen zu müssen und die Routenberechnung dann wie bei einer konstanten Gewichtung erfolge, sei ausgehend von Dokument E4 in Anbetracht der Unterschiedsmerkmale des Gegenstands des Hilfsantrags 2 nicht zutreffend. Bereits in Dokument E4 würden die Gewichte vorher berechnet und dann in der Tabelle der Figur 2 gespeichert und würden gemäß der Tageszeit die entsprechenden Tabellenfelder mit dem entsprechenden Gewicht ausgewählt. Stattdessen die Wegstreckenklasse Ki zu speichern, bewirke keinen wesentlichen Unterschied.
3.2.3 Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dass auch das erste Merkmal nicht aus Dokument E4 bekannt sei. Durch die Definition der zwei Tageszeiten als Tages- und als Nachtzeit seien genau zwei Tageszeiten definiert. Diese genau zwei Tageszeiten seien aber nicht aus E4 bekannt, da durch die "rush hour" nicht lediglich zwei Tageszeiten definiert würden. Es gäbe üblicherweise eine morgendliche und eine abendliche rush hour und die Zeit vor, während und nach der rush hour.
Bezüglich des zweiten Merkmals betonte die Beschwerdegegnerin den in Absatz 10 der Patentschrift genannten Vorteil. Es werde einfach abhängig von der Tageszeit eine Tabelle ausgewählt, und es würden die dort gespeicherten Werte für die Strecken entnommen. Das habe gegenüber E4 den zusätzlichen Vorteil, dass das Navigationssystem keine Daten von einer Station empfangen müsse, was wesentlich zuverlässiger sei. Bei dem Navigationssystem aus Dokument E4 handele es sich um eine dynamische Berechnung der Gewichte aufgrund der aktuellen Verkehrsinformation und nicht um das Verwenden von in zwei Tabellen gespeicherten Werten.
3.2.4 Bezüglich des ersten zusätzlichen Merkmals kann es dahingestellt bleiben, ob durch die in Dokument E4 offenbarte rush hour auch eine Tag- und Nachtzeit mitoffenbart wird. Die Kammer ist der Meinung, dass es im Navigationssystem des Dokuments E4 auf jeden Fall naheliegend ist, wenigstens eine Zeit für die Nacht und eine Zeit für den Tag mit entsprechenden Gewichten vorzusehen, da bekannterweise das Verkehrsaufkommen nachts geringer ist als tagsüber. Eine Einschränkung des beanspruchten Gegenstands auf genau zwei Gewichte, ein Gewicht für die Tagzeit und ein Gewicht für die Nachtzeit, kann die Kammer dem Wortlaut des Anspruchs nicht entnehmen. Der Anspruch lässt es offen, ob es noch mehr Gewichte für tags und nachts gibt.
Auch das zweite Merkmal beruht, ausgehend von der Lehre des Dokuments E4, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Im Navigationssystem dieses Stands der Technik werden in der Tabelle der Figur 2 bereits Gewichte für die Strecken gespeichert und je nach Zeit verwendet. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die verschiedenen Gewichte jeweils in einer Tabelle oder, wie in Dokument E4 implizit offenbart, jeweils in einer Spalte oder Reihe der Tabelle der Figur 2 gespeichert sind. Es gibt zwar einen Verkehrsinformationsempfänger 45, das Dokument E4 offenbart jedoch nicht, wie diese Informationen berücksichtigt werden. Nichts deutet darauf hin, dass durch die Verkehrsinformationen die gespeicherten Gewichte überflüssig werden. Anspruch 1 definiert, die Wegstreckenklassen Ki in den Tabellen zu speichern und daraus die Gewichte mittels der physikalischen Gesetzmäßigkeit Gi=Li*Ki zu berechnen. Somit besteht der Unterschied zum Stand der Technik lediglich darin, die Streckeninformation in einer anderen Form zu speichern. Die Kammer kann keine erfinderische Tätigkeit darin erkennen, die Ki-Werte in den Tabellen zu speichern und daraus gemäß der genannten Gesetzmäßigkeit die Gewichte jeweils zu berechnen. Dies ist für den Fachmann nur eine andere Form der Speicherung der Information ohne technischen Vorteil.
3.2.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich für den Fachmann als naheliegende Variante der Lehre des Dokuments E4 ergibt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.