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T 1549/16 02-03-2020
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Verfahren zur Applikation eines Wirkstoffs in Duschwasser
Ausnahmen von der Patentierbarkeit - Verfahren zur therapeutischen Behandlung
Ausnahmen von der Patentierbarkeit - (nein)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Lösung
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Europäische Anmeldung Nr. 11007130.5 (im Folgenden: die Anmeldung) zurückgewiesen wurde.
Die Prüfungsabteilung hat entschieden, dass
- Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag die
Erfordernisse der Artikel 123(2), 84 und 56 EPÜ
nicht erfüllt und
- Anspruch 5 gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des
Artikels 53 c) EPÜ nicht erfüllt.
II. Hiergegen hat die Anmelderin (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
III. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2007 (VOBK 2007) teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.
IV. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2019 reichte die Beschwerdeführerin unter anderem einen neuen Haupt- und Hilfsantrag sowie eine daran angepasste Beschreibung ein.
V. Mit einer Mitteilung vom 31. Januar 2020 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre Einschätzung zu diesen neuen Anträgen mit und und stellte in Aussicht, die Ladung zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, sollte die Beschwerdeführerin die ausstehenden Einwände ausräumen.
VI. Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag ein.
VII. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin aufgehoben.
VIII. Hauptantrag
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Basis des mit Schreiben vom 13. Februar 2020 eingereichten Hauptantrags.
IX. Anspruchswortlaut
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag inklusive einer von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Merkmalsgliederung lautet:
1 "Verfahren zur Applikation wenigstens eines Wirkstoffs
in zum Abduschen des Körpers eines Lebewesens vorgesehenes Wasser, das einen Duschkopf durchströmt, der eine durch Durchströmöffnungen durchströmbare Aufnahmekammer für eine Wirkstoffdarreichung aufweist, wobei
2 während des Duschvorgangs die Wirkstoffdarreichung mit
durchströmbaren Gebinden für jeweils eine Anwendung erfolgen soll,
3 die durchströmbaren Gebinde Pflanzenbestandteile und/
oder Pflanzenextrakte enthalten und
4 durch durchströmbare Kapseln, Filterbeutel oder Pads
gebildet werden,
5 vor jedem Duschvorgang, bei dem Wirkstoffe dem Körper
zugeführt werden sollen, der Duschkopf geöffnet, das Gebinde eingelegt und die Aufnahmekammer mit Ausnahme der Durchströmöffnungen wasserdicht verschlossen wird,
6 eine dosierte Wirkstoffabgabe dadurch erfolgen soll,
dass der Wirkstoff während des Duschvorgangs aus dem Gebinde abgegeben wird, bis die Wirkstoffdarreichung aufgebraucht ist, und
7 nach dem Duschvorgang oder vor dem nächsten
Duschvorgang, mit dem eine gezielte Wirkstoffabgabe wieder erfolgen soll, das Gebinde entnommen wird."
Die übrigen Ansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag sind auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 gerichtet.
X. Entgegenhaltungen
In der angefochtenen Entscheidung werden folgende Entgegenhaltungen genannt:
D1: US 2002/070293 A1;
D2: US 2009/101733 A1;
D3: DE 72 41 861 U;
D4: DE 29 51 318 A1;
D5: EP 2 210 986 A1.
In der Anlage zur Ladung verwies die Kammer zudem auf folgendes Dokument:
D6: "Wichtige Information zu Ihrer Handbrause", von
Beauty-Sense Europe, https://www.beauty-
sense.eu/webcopy/UserFiles/File/
Reinigungsanleitung-mit%20Entfernung.pdf
veröffentlicht laut der Suchmaschine Google am
4. Dezember 2009.
XI. Vorbringen der Beschwerdeführerin
Die vorgenommenen Änderungen in den Ansprüchen räumten die Klarheitseinwände in der angefochtenen Entscheidung aus und erfüllten zudem die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Anspruch 1 entspreche einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 2 und 5 mit der Lehre in den Absätzen [0010] und [0014] der
A-Publikation der Anmeldung.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei ausgehend von D1 oder D6 nicht naheliegend. Keines der zitierten Dokumente offenbare einen Duschkopf, der das Duschwasser nur mit einer Einzeldosis eines Wirkstoffs anreichere und daher eine Überdosierung vermeide. Die übrigen, in der Entscheidung zitierten Dokumente seien nicht relevant.
Der Gegenstand der Ansprüche sei nicht auf eine Therapie des Menschen gerichtet, sondern auf eine Bereitstellung von Duschwasser und falle daher nicht unter das Patentierungsverbot gemäß Artikel 53 c) EPÜ.
Entscheidungsgründe
1. Artikel 53 c) EPÜ
Anspruch 1 und der davon abhängige Anspruch 5 sind auf ein Verfahren zur Applikation eines Wirkstoffs in zum Abduschen des Körpers eines Lebewesens vorgesehenes Wasser gerichtet.
Auch wenn es sich bei dem Wirkstoff gemäß Anspruch 5 um einen pharmazeutischen Wirkstoff handeln kann, richtet sich der Anspruch 1 nicht auf ein Verfahren zur Therapie eines Lebewesens, sondern auf ein Verfahren zum Bereitstellen von Duschwasser. In Analogie zu solchen Ansprüchen, die auf ein Verfahren zur Herstellung eines Medikaments gerichtet sind, definiert Anspruch 1 also die Herstellung eines Mittels und nicht die unmittelbare Verwendung dessen zur Therapie eines Lebewesens.
Da die Bereitstellung von Duschwasser nicht unmittelbar mit einer therapeutischen oder gar chirurgischen Behandlung eines Menschen verknüpft ist, sind auch die in G1/07 in Bezug auf chirurgische Verfahren aufgestellten Prinzipien, auf die in der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird, für den in den Ansprüchen 1 bis 5 definierten Gegenstand unerheblich.
Der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag fällt daher nicht unter die Ausnahmen von der Patentierbarkeit gemäß Artikel 53 c) EPÜ.
2. Artikel 123(2) EPÜ
2.1 Das in Punkt 2.2.1 der angefochtenen Entscheidung diskutierte Merkmal "während des Duschvorgangs die Wirkstoffdarreichung unabhängig von der üblichen Reinigung .... erfolgt" wurde von der Beschwerdeführerin gestrichen und ist im vorliegenden Hauptantrag nicht mehr existent.
Dieser Zurückweisungsgrund ist daher obsolet.
2.2 Anspruch 1 beruht auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2 und 5 in Kombination mit der Lehre auf Seite 3, Zeilen 16 bis 25 und Seite 4, Zeilen 13 bis 17 der ursprünglich eingereichten Anmeldung (Absätze [0010] und [0014] der entsprechenden A-Publikation).
Anspruch 5 entspricht der Offenbarung auf Seite 4, Zeilen 9 bis 11 der Anmeldung (Absatz [0013] der
A-Publikation). Die Ansprüche 2 bis 4 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 3, 6 und 7.
Die Änderungen in den Ansprüchen 1 bis 5 gemäß Hauptantrag erfüllen daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
3. Artikel 84 EPÜ
3.1 Der in Punkt 2.3.1 der angefochtenen Entscheidung beanstandete Ausdruck "üblichen Reinigung" wurde von der Beschwerdeführerin gestrichen und ist im vorliegenden Hauptantrag nicht mehr existent.
3.2 Der in Punkt 2.3.2 der angefochtenen Entscheidung diskutierte Ausdruck "eine dosierte Wirkstoffabgabe dadurch erfolgt" ist im Zusammenhang mit den übrigen Merkmalen des Anspruchs 1 zu lesen.
Eine dosierte Wirkstoffabgabe bedeutet im Zusammenhang mit dem beanspruchten Gegenstand und wie in Anspruch 1 selbst definiert, dass der Wirkstoff während des Duschvorgangs aus dem Gebinde abgegeben werden soll. Der Wirkstoff muss also entsprechend löslich und dosiert sein, dass dieser in einer üblichen Duschzeit mit der üblichen Wassermenge und bei gängigen Duschtemperaturen dem Duschwasser zugeführt werden kann.
Aus der Tatsache, dass sich die menschlichen Duschgewohnheiten unterscheiden, entsteht diesbezüglich keine Unklarheit, da derartige Produkte immer für eine Standardanwendung konzipiert werden, die dann dem Konsumenten in Form einer Bedienungsanleitung mitgeteilt wird.
Der Ausdruck "eine dosierte Wirkstoffabgabe dadurch erfolgen soll" in Anspruch 1 ist daher klar.
3.3 Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag erfüllt mithin die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
4. Artikel 56 EPÜ
4.1 D1 als nächstliegender Stand der Technik
In der angefochtenen Entscheidung wird D1 als nächstliegender Stand der Technik identifiziert.
D1 offenbart ein Gerät, das zur Filtration von Duschwasser und zur Applikation wenigstens eines Hautpflegemittels in das Duschwasser eingesetzt wird (Ansprüche 1 und 10).
Das Gerät weist Aufnahmekammern auf ("main shell 10" und "secondary shell 40") und wird zwischen Zuleitung und Duschkopf ("spray nozzle 1") eingesetzt, siehe die Figuren 7 und 8. Das Hautpflegemittel ("skin care product 60") kann vor einem Duschvorgang über den Deckel 44 in die zweite Aufnahmekammer (secondary shell) eingefüllt werden (Absatz [0065]), die gemäß Figur 8 eine Durchströmöffnung 413 für das Duschwasser aufweist. Das Pflegemittel ist wasserlöslich (Absatz [0062]) und flüssig (Absatz [0066], Figur 10). Ein Teil des Duschwassers durchströmt die zweite Aufnahmekammer und führt zur Abgabe des Pflegemittels an das Duschwasser (Absätze [0059] und [0065]).
Das in D1 beschriebene Gerät stellt allerdings keinen Teil eines Duschkopfs einer Handbrause dar, sondern eine weiteres Gerät, das gemäß der Lehre in den Absätze [0009], [0042], [0043], [0053], [0067], [0068] und wie in den Figuren gezeigt mit jeder beliebigen Handbrause kombiniert werden kann.
Ferner stellt ein flüssiges, wasserlösliches Pflegemittel kein Gebinde in Form einer Kapsel, eines Filterbeutels oder Pads dar, das nach der Anwendung wieder entfernt werden muss.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit von dem aus D1 bekannten Verfahren dadurch, dass
- der zu verwendende Duschkopf eine Aufnahmekammer
aufweist,
- das Gebinde Pflanzenbestandteile und/oder
Pflanzenextrakte enthält,
- das einzusetzende Gebinde in Form einer durchström-
baren Kapsel, eines Filterbeutels oder Pads
vorliegt und
- das Gebinde nach der Anwendung entnommen wird.
Ausgehend von D1 kann die objektive, technische Aufgabe darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Applikation eines Wirkstoffs in Duschwasser zur Verfügung zu stellen.
Die komplette Lehre der D1 zielt darauf ab, ein Gerät zur Verfügung zu stellen, das mit jeder beliebigen Handbrause kombiniert eingesetzt werden kann, siehe die Absätze [0009], [0042], [0043], [0053], [0067], [0068] und die Figuren. Der Duschkopf einer Handbrause selbst soll also gemäß D1 gerade nicht modifiziert werden.
Es ist somit kein Grund erkennbar, warum ein Fachmann ohne jeglichen Anreiz dazu, sondern vielmehr entgegen der Lehre der D1 den Duschkopf mit einer Aufnahmekammer ausstatten würde.
Selbst wenn ein Fachmann dies in Erwägung ziehen würde, wäre es aufgrund der Größe des in den Figuren dargestellten Geräts fraglich, ob die in D1 gezeigte Ausführungsform ohne weiteres in einen Duschkopf bei gleichbleibender Funktionalität integriert werden könnte. Selbst wenn dies von einem Fachmann ohne weiteres realisierbar wäre, erhält er aus D1 keinen Hinweis, zudem ein Gebinde in Form einer durchströmbaren Kapsel, eines Filterbeutels oder Pads einzusetzen, das Pflanzenbestandteile und/oder Pflanzenextrakte enthält. Derartig viele Modifikationen sind, ohne jeglichen Anreiz dazu in D1, nicht naheliegend.
4.2 D6 als nächstliegender Stand der Technik
D6 ist ein Informationsblatt für Handbrausen der Firma Beauty-Sense, Europe.
D6 zeigt auf Seite 2, wie die in Absatz [0006] der Anmeldung genannte Handbrause Aroma Sense 701 aussieht.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Die Handbrause Aroma Sense 701 enthält im Griff ein Gebinde in Form einer Filterkartusche, die während der Anwendung einen Wirkstoff (Zitronenaroma) an das Wasser abgibt. Die Kartusche hat gemäß Absatz [0006] der Anmeldung eine Haltbarkeit für ca. 260 Duschvorgänge.
D6 zeigt auf Seite 2 neben der Handbrause Aroma Sense 701 auch die Handbrause mit der Bezeichnung "Aroma Sense", bei dem das Gebinde in Form einer Kapsel in den Duschkopf eingesetzt werden kann, die als Aroma-Gel-Filter bezeichnet wird:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit von dem aus D6 inhärent implizierten Verfahren dadurch, dass das Gebinde:
- nur Wirkstoff für eine Anwendung enthält,
- Pflanzenbestandteile und/oder Pflanzenextrakte
enthält und
- nach jedem Duschvorgang ersetzt wird.
Der Einsatz eines Gebindes, dessen Wirkstoff innerhalb eines Duschvorgangs erschöpft ist, hat im Vergleich zu einem in D6 beschriebenen Gel-Filter, der für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden soll, den Vorteil, dass die Wirkstoffdarreichung für jede Anwendung kontrolliert, gezielt und gleichmäßig wiederholbar erfolgen kann, siehe Seite 3, Zeilen 5 bis 7 der Anmeldung bzw. Absatz [0008] der A-Publikation.
D6 enthält nur allgemeine Hinweise zur Pflege der Handbrausen. Anreize dazu, den Gel-Filter durch ein Gebinde zu ersetzen, das bereits während eines Duschvorgangs den gesamten Wirkstoffinhalt abgibt und nach jedem Duschvorgang ersetzt werden muss, lassen sich in D6 nicht finden.
Keines der weiteren zitierten Dokumente D1 bis D5 offenbart ein Gebinde in Form einer durchströmbaren Kapsel, eines Filterbeutels oder Pads, das eine Einzeldosis eines Wirkstoffs enthält. Die in diesen Dokumenten beschriebenen Gebinde sind noch nicht einmal dazu geeignet, anstelle des in D6 gezeigten Aroma-Gel-Filters in einen Brausekopf eingesetzt zu werden.
Ausgehend von D6 ist der Gegenstand von Anspruch 1 daher nicht naheliegend.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der
Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 13. Februar 2020;
Beschreibungsseiten 1 bis 6, eingereicht mit Schreiben vom 13. Februar 2020.