G 0001/07 (Treatment by surgery/MEDI-PHYSICS) 15-02-2010
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Die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fragen werden wie folgt beantwortet:
1. Ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren ist als ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nach Artikel 53 c) EPÜ vom Patentschutz auszuschließen, wenn bei seiner Durchführung die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit des Körpers von Bedeutung ist und wenn es einen invasiven Schritt aufweist oder umfasst, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden ist.
2a. Ein Anspruch, der einen Schritt mit einer Ausführungsform umfasst, die ein "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist, kann nicht so belassen werden, dass er diese Ausführungsform weiter umfasst.
2b. Der Ausschluss von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 c) EPÜ kann vermieden werden, indem die Ausführungsform durch einen Disclaimer ausgeklammert wird, wobei der Anspruch, der den Disclaimer enthält, natürlich nur dann gewährbar ist, wenn er alle Erfordernisse des EPÜ und gegebenenfalls auch die Erfordernisse für die Zulässigkeit von Disclaimern erfüllt, wie sie in den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 der Großen Beschwerdekammer festgelegt wurden.
2c. Ob der Wortlaut eines Anspruchs so geändert werden kann, dass der chirurgische Verfahrensschritt ohne Verstoß gegen das EPÜ weggelassen wird, ist anhand der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.
3. Ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren kann nicht allein schon deshalb als eine "chirurgische Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ betrachtet werden, weil ein Chirurg anhand der mit diesem Verfahren gewonnenen Daten während eines chirurgischen Eingriffs unmittelbar über das weitere Vorgehen entscheiden kann.
Anwendbare Bestimmungen - Art. 112 (1) EPÜ 1973 - Art. 53 c) EPÜ
Zulässigkeit der Vorlage bejaht
Wiener Übereinkommen - Grundsatz einer engen Auslegung der Ausschlussbestimmungen verneint
Ein chirurgischer Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren - von der Patentierbarkeit ausgeschlossen bejaht
Auf chirurgische Verfahren zu therapeutischen Zwecken begrenzt verneint
Bedeutung des Wortlauts der Ausschlussbestimmungen - Rechtsgeschichte - Wirkung von Rechtsprechung und Praxis Gesetzeszweck
Art der Eingriffe - Beteiligung eines Mediziners verneint
Medizinisches Fachwissen und Gesundheitsrisiko - weitere Kriterien
Anspruch, der immer noch einen chirurgischen Verfahrensschritt umfasst verneint
Disclaimer nach Artikel 53 c) EPÜ - bejaht - vorbehaltlich der übrigen Erfordernisse des EPÜ
Weglassung - Verfahren, die nur den internen Betrieb eines Geräts betreffen - bejaht - vorbehaltlich der übrigen Erfordernisse des EPÜ
Mögliche Verwendung eines nicht chirurgischen Verfahrens in einem chirurgischen Verfahren - unerheblich, wenn das nicht chirurgische Verfahren selbst eine vollständige Lehre ist
I. Vorlagefragen
Die Technische Beschwerdekammer 3.4.01 hat der Großen Beschwerdekammer mit der Zwischenentscheidung T 992/03 vom 20. Oktober 2006 (in der durch Entscheidung der Kammer vom 20. August 2007 berichtigten Fassung) folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (Untersuchungsphase im Sinne von G 1/04), das einen Schritt aufweist oder umfasst, der in einem physischen Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper besteht (im vorliegenden Fall Injektion eines Kontrastmittels in das Herz), als "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz auszuschließen, wenn dieser Schritt per se nicht auf die Erhaltung von Leben und Gesundheit abzielt?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird, könnte dann der Ausschluss vom Patentschutz vermieden werden, indem der Wortlaut des Anspruchs so geändert wird, dass der fragliche Schritt weggelassen oder durch einen Disclaimer ausgeklammert wird oder der Anspruch ihn zwar umfasst, aber sich nicht darauf beschränkt?
3. Ist ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (Untersuchungsphase im Sinne von G 1/04) als konstitutiver Schritt einer "chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" gemäß Artikel 52 (4) EPÜ anzusehen, wenn ein Chirurg anhand der mit diesem Verfahren gewonnenen Daten während eines chirurgischen Eingriffs unmittelbar über das weitere Vorgehen entscheiden kann?
II. Angefochtene Entscheidung der Prüfungsabteilung
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor der vorlegenden Kammer ist die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 17. April 2003, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 99918429.4 zurückgewiesen wurde. Die Prüfungsabteilung hatte befunden, dass es sich bei den beanspruchten Verfahren nach den damaligen Anträgen um Diagnostizierverfahren handle, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen würden und somit gemäß Artikel 52 (4) EPÜ 1973 vom Patentschutz ausgeschlossen seien. Außerdem umfassten die beanspruchten Verfahren den Schritt der Gabe von polarisiertem 129Xe als Kontrastmittel an ein lebendes Objekt mittels Inhalation oder Injektion. Die beanspruchten Verfahren seien - soweit die Verabreichung des Kontrastmittels mittels Injektion erfolge - nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 vom Patentschutz ausgeschlossen, weil sie einen chirurgischen Verfahrensschritt aufwiesen.
III. Der Vorlageentscheidung zugrunde liegende Ansprüche
Die Anmeldung betrifft Magnetresonanzverfahren zur Abbildung von Lungen- und/oder Herzgefäßen und zur Beurteilung des Blutflusses unter Verwendung von gelöstem polarisiertem 129Xe.
Die der Vorlageentscheidung zugrunde liegenden Ansprüche 1, 11 und 17 lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur MRT-Abbildung von Lungen- und/oder Herzgefäßen unter Verwendung von polarisiertem 129Xe in gelöster Phase, das folgende Schritte umfasst:
Positionieren eines Patienten in einem MRT-Gerät mit einem zugehörigen Magnetfeld;
Verabreichen eines polarisierten 129Xe-Gases in eine vorgegebene Körperregion des Patienten, wobei das polarisierte Gas eine zur Bildgebung geeignete gelöste Phase aufweist;
Anregen einer vorgegebenen Körperregion des Patienten, in der sich ein Teil des polarisierten Gases in gelöster Phase befindet, durch mindestens einen RF-Anregungsimpuls mit großem Kippwinkel; und
Gewinnen mindestens eines auf das polarisierte Gas in gelöster Phase zurückgehenden MR-Bildes nach dem Schritt der Anregung."
"11. Verfahren zur Ermittlung eines spektroskopischen Signals, das ein Blutvolumen oder eine Blutflussgeschwindigkeit eines Patienten repräsentiert, das folgende Schritte umfasst:
Positionieren eines lebenden Objekts in einem MR-Spektroskopiegerät, das spektroskopische Signale in einem lebenden Objekt mit Lungengefäßen erfassen kann;
Verabreichen von gasförmigem polarisiertem 129Xe an das lebende Objekt;
Lösen eines Teils des gasförmigen polarisierten 129Xe in den Lungengefäßen, die über einen zugehörigen Blutkreislauf verfügen;
Anregen des gelösten Teils des 129Xe durch einen RF-Anregungsimpuls zur MR-Spektroskopie; und
Ermitteln eines spektroskopischen Signals, das auf das 129Xe in gelöster Phase zurückgeht und ein Blutvolumen oder die Blutflussgeschwindigkeit repräsentiert."
"17. Bildgebendes Verfahren für das Herz, das folgende Schritte umfasst:
Positionieren eines lebenden Objekts mit einem Herzblutkreislauf in einem MRT-System;
Verabreichen von polarisiertem 129Xe an das lebende Objekt;
Lösen zumindest eines Teils des polarisierten 129Xe im Herzblutkreislauf des lebenden Objekts;
Anregen des gelösten polarisierten 129Xe in einer Zielregion entlang des Blutkreislaufs durch mindestens einen RF-Anregungsimpuls mit großem Kippwinkel; und
Aufnehmen eines MR-Bildes, das auf das angeregte gelöste polarisierte 129Xe zurückgeht."
IV. Vorlageentscheidung
1. Technischer Hintergrund
Alle beanspruchten Verfahren umfassen den Schritt des Verabreichens von polarisiertem 129Xe an das lebende Objekt, und zwar insbesondere mittels Inhalation. Eine Injektion von polarisiertem 129Xe ins Herz, wie sie in der Beschreibung vorgesehen ist, ist durch den Wortlaut der vorliegenden Ansprüche 1, 11 und 17 abgedeckt (Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe).
Beim bildgebenden Verfahren für das Herz beruht eine Ausführungsform, die unter den Wortlaut des Anspruchs 17 fällt, auf dem direkten Verabreichen von polarisiertem 129Xe in eine Region des Herzes, beispielsweise mittels Injektion oder Ähnlichem in den linken Ventrikel. Das direkte Verabreichen in den rechten Vorhof oder Ventrikel ist ebenfalls vorgesehen. Das polarisierte 129Xe kann in verschiedenen Phasen, also z. B. gasförmig, gelöst oder flüssig, injiziert werden, wobei diese Beispiele nicht erschöpfend sind.
Die erfindungsgemäßen bildgebenden Verfahren können einem chirurgischen Eingriff oder einer medikamentösen Therapie zur Behandlung von Lungen- oder Herzgefäßproblemen vorausgehen. Während eines chirurgischen Eingriffs können sie Echtzeit-Rückmeldungen zur Kontrolle des Erfolgs des Eingriffs liefern, z. B. Aufschluss über chirurgisch induzierte Veränderungen der Durchblutung geben. Im Rahmen einer medikamentösen Therapie können sie der Ermittlung der Medikamentenwirkung dienen.
2. Diagnostizierverfahren
In der Vorlageentscheidung befand die Kammer vor dem Hintergrund der Stellungnahme G 1/04 (Nrn. 5 und 6.2.1 der Begründung) Folgendes: Die vorliegenden Verfahrensansprüche sind nicht auf Diagnostizierverfahren am menschlichen oder tierischen Körper gerichtet, die unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fallen. Die beanspruchten Verfahren dienen der Gewinnung von Daten in Form von Bildern oder spektroskopischen Signalen, die anschließend zur Diagnosestellung verwendet werden können. Damit beziehen sie sich auf die Untersuchungsphase, weisen aber nicht die Schritte des Vergleichs der gewonnenen Daten mit Normwerten, der Feststellung signifikanter Abweichungen und der Zuordnung dieser Abweichungen zu einem bestimmten Krankheitsbild auf, die als konstitutive Schritte einer Diagnosestellung gelten (Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
3. Verfahren zur chirurgischen Behandlung
Die Injektion von polarisiertem 129Xe ins Herz, wie sie in der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung vorgesehen ist, ist ein erheblicher physischer Eingriff am Körper, der mit einem Gesundheitsrisiko verbunden ist und dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert. Eine solche Injektion, die durch den Wortlaut der vorliegenden Ansprüche 1, 11 und 17 abgedeckt ist, könnte als ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 angesehen werden, auch wenn bei den beanspruchten bildgebenden Verfahren der physische Eingriff am Körper selbst nicht auf die Erhaltung von Leben oder Gesundheit gerichtet ist, sondern eine Voraussetzung für die Sammlung von Daten im Laufe der Untersuchungsphase einer ärztlichen Diagnose ist.
Damit stellt sich nach Auffassung der vorlegenden Kammer die Frage, ob die beanspruchten bildgebenden Verfahren, die einen solchen Schritt aufweisen oder umfassen, unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fallen, obwohl sie selbst keine heilende Wirkung erzielen (Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe).
Außerdem wird in der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung wiederholt auf den Nutzen der erfindungsgemäßen bildgebenden Verfahren während eines chirurgischen Eingriffs abgehoben. Tatsächlich geht es bei den beanspruchten Verfahren weniger darum, wie Bilddaten gewonnen werden, sondern lediglich darum, dass solche Daten erzeugt werden. Wenn die beanspruchten Verfahren in der beschriebenen Weise eingesetzt werden, erzeugen sie offensichtlich Bilder, die es einem Chirurgen unmittelbar, d. h. in Echtzeit und ohne sonstige Schritte außer rein gedanklichen Tätigkeiten, ermöglichen, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Daraus ergibt sich die Frage, ob Verfahren, die diagnostisch verwertbare Informationen liefern, bei Einsatz im Rahmen einer chirurgischen Behandlung insgesamt als konstitutiver Bestandteil oder Schritt einer solchen Behandlung anzusehen sind.
4. Definitionen des Begriffs "Chirurgie"
In der bisherigen Rechtsprechung sind unterschiedliche Definitionen des Begriffs "chirurgische Behandlung" zu finden.
So ist die Kammer in der Entscheidung T 182/90 (ABl. EPA 1994, 641) zu dem Schluss gelangt, dass der Begriff "chirurgische Behandlung" ganz offenbar einen Bedeutungswandel erfahren hat und im heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch auch besondere Behandlungsverfahren umfassen kann, die nicht auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers gerichtet sind. Die Begründung der Entscheidung T 182/90 ist in der Sache T 35/99 (ABl. EPA 2000, 447) bestätigt worden.
In der Entscheidung T 383/03 (ABl. EPA 2005, 159) hat die Kammer festgestellt, dass der Begriff "chirurgische Behandlung" zwar im heutigen medizinischen Sprachgebrauch Behandlungen mit einschließt, die nicht auf die Gesundheit von Mensch oder Tier gerichtet sind (Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe), andererseits aber chirurgische Behandlungen, die eindeutig weder geeignet noch potenziell geeignet sind, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen von Menschen oder Tieren zu erhalten oder wiederherzustellen, nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fallen (Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe). Dieselbe Linie ist in den Entscheidungen T 1102/02 (Nr. 3 Abs. 4 der Entscheidungsgründe) und T 9/04 (Nr. 6 Abs. 2 der Entscheidungsgründe) verfolgt worden, wo ebenfalls befunden wurde, dass ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 geeignet oder zumindest potenziell geeignet sein muss, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder Tieres zu erhalten oder wiederherzustellen.
In ihrer Stellungnahme G 1/04 (a. a. O.) hat die Große Beschwerdekammer als "obiter dictum" ausgeführt, dass chirurgische Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 alle physischen Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper umfassen, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist (Nr. 6.2.1 Satz 1 der Begründung). Außerdem hat die Große Beschwerdekammer auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern verwiesen, wonach ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt (Nr. 6.2.1 Satz 3 der Begründung).
5. Folgen der Definitionen
In der angeführten Rechtsprechung werden bei der Definition des Begriffs "Chirurgie" zwei Aspekte herausgehoben, nämlich das Wesen des physischen Eingriffs einerseits und sein Zweck andererseits.
In den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (Juni 2005) heißt es: "Der Begriff Chirurgie kennzeichnet nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung" (C-IV, 4.2.1).
Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Auslegung der in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 genannten "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" scheint nicht einheitlich zu sein. Während ein Konzept auf der Beurteilung des Wesens des physischen Eingriffs am Körper basiert, konzentriert sich das andere darauf, ob der physische Eingriff zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, der physischen Unversehrtheit oder des physischen Wohlergehens eines Menschen oder Tieres geeignet ist. Die Definition in der Stellungnahme G 1/04 (a. a. O.), wonach "chirurgische Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 alle physischen Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper umfassen, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist", scheint eher auf den Zweck des Eingriffs als auf sein Wesen abzuheben.
Das auf dem Zweck basierende Konzept könnte dazu führen, dass über den Ausschluss ein und desselben physischen Eingriffs gegensätzlich entschieden würde. Beispielsweise wäre die Injektion eines Arzneimittels zur Behandlung einer Krankheit vom Patentschutz ausgeschlossen, während die Injektion eines Stoffes zur Reduzierung von Falten für kosmetische Zwecke möglicherweise nicht als eine chirurgische Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 angesehen würde, weil sie nicht geeignet ist, die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. In beiden Fällen wäre der physische Eingriff am Körper im Wesentlichen derselbe, nämlich eine Injektion.
6. Andere Konzepte
Neben dem Wesen und dem Zweck des physischen Eingriffs sind noch andere Konzepte denkbar.
Ein Konzept könnte sich am medizinischen Risiko des physischen Eingriffs orientieren. Dieses Risiko ist auch an die Frage gekoppelt, ob die Durchführung der Verfahrensschritte einem Human- oder Veterinärmediziner obliegen sollte. In diesem Zusammenhang erscheint das auf dem Wesen des physischen Eingriffs basierende Konzept zumindest für diejenigen Verfahren, deren Ausführung medizinische Fachkenntnisse erfordern und somit in die Zuständigkeit eines Human- oder Veterinärmediziners fallen würde, besser geeignet als das auf dem Zweck basierende Konzept. Allerdings hat die Große Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 (a. a. O.) befunden, dass es schwierig ist, eine Definition des Human- oder Veterinärmediziners auf europäischer Ebene aufzustellen, und daher das europäische Patenterteilungsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit nicht davon abhängig gemacht werden soll, ob solche Mediziner an einem Verfahren beteiligt sind (Nr. 6.1 der Begründung). Ungeachtet dieser objektiven Schwierigkeit liegt es im vorliegenden Fall nahe, dass eine Injektion ins Herz von einem Human- oder Veterinärmediziner vorgenommen werden sollte. Andere Konzepte könnten an Faktoren wie dem Invasivitätsgrad oder der operativen Komplexität des physischen Eingriffs ansetzen.
7. Form zulässiger Ansprüche
Würde argumentationshalber angenommen, dass der Schritt der Injektion eines Kontrastmittels im Rahmen eines bildgebenden Verfahrens dieses Verfahren tatsächlich nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 vom Patentschutz ausschlösse, stellte sich die Frage, ob ein solcher Ausschluss verhindert werden könnte, indem dieser Schritt entweder aus dem Anspruch weggelassen oder durch einen Disclaimer ausgeklammert würde, der beispielsweise klarstellt, dass dieser Schritt dem beanspruchten bildgebenden Verfahren vorausgeht, aber kein Bestandteil davon ist. Denkbar wären Formulierungen wie "vorher verabreichtes Kontrastmittel".
In Bezug auf die Entscheidung G 1/03 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 2004, 413), in der es für zulässig erachtet wurde, einen Disclaimer aufzunehmen, um einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ aus nicht technischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist, führte die Kammer aus, dass gemäß der Stellungnahme G 1/04 ein Merkmal, das "als für die Definition der Erfindung konstitutiv anzusehen ist", wie im vorliegenden Fall die Verabreichung eines Kontrastmittels, gemäß Artikel 84 EPÜ als wesentliches Merkmal in den Anspruch aufgenommen werden muss (Nr. 6.2.4 der Begründung).
Außerdem bezog sich die vorlegende Kammer auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Entscheidung G 1/98 (ABl. EPA 2000, 111). Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, dass ein stärker abstrahierter Anspruch, der einen vom Patentschutz ausgeschlossenen Gegenstand umfasse, ohne ihn ausdrücklich zu beanspruchen, zulässig sein solle. So solle gemäß der Beschwerdeführerin ein Anspruch, der den Schritt der "Verabreichung eines Kontrastmittels" umfasse, dabei aber offenlasse, wie dieser Schritt zu erfolgen habe, zumindest dann zugelassen werden, wenn unkritische Verfahren zur Verabreichung des Kontrastmittels, z. B. mittels Inhalation oder oral, offenbart oder verfügbar seien.
8. Befassung der Großen Beschwerdekammer
In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind unterschiedliche Definitionen des Begriffs "Chirurgie" zu finden. Die Frage, welcher Auslegung zu folgen ist, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Daneben stellt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob ein bildgebendes Verfahren, das diagnostisch verwertbare Informationen liefert, als konstitutiver Schritt einer chirurgischen Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 anzusehen ist, wenn feststeht, dass die unmittelbaren Ergebnisse, d. h. die erzeugten Bilddaten, es einem Chirurgen in bestimmten Fällen ermöglichen, durch bloße Kenntnisnahme dieser Daten über das weitere Vorgehen bei einem chirurgischen Eingriff zu entscheiden.
V. Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer
Mit Entscheidung vom 25. Mai 2007 forderte die Große Beschwerdekammer die Präsidentin des EPA auf, sich zu den vorgelegten Rechtsfragen schriftlich zu äußern, und lud auch die Öffentlichkeit ein, Stellungnahmen einzureichen. Die Präsidentin des EPA und zahlreiche Dritte haben schriftliche Stellungnahmen eingereicht. Am 16. Juni 2009 versendete die Große Beschwerdekammer eine Ladung zur mündlichen Verhandlung und am 16. September 2009 eine Mitteilung, in der sie auf verschiedene Punkte hinwies, die für die Erörterung in der mündlichen Verhandlung von besonderer Bedeutung zu sein schienen. Die mündliche Verhandlung fand am 17. November 2009 statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende, dass die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in schriftlicher Form ergehen werde.
VI. Vorbringen der Beschwerdeführerin
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Anwendbares Recht
Die Rechtsgrundlage für die Antworten der Großen Beschwerdekammer müsse Artikel 53 c) EPÜ sein. Für das Vorbringen der Beschwerdeführerin seien jedoch Artikel 52 (4) EPÜ 1973 und Artikel 53 c) EPÜ gleichermaßen maßgeblich.
2. Auslegung von Artikel 52 (4) EPÜ 1973
a) Rechtsgeschichtlicher Hintergrund
Es entspreche dem gesetzgeberischen Zweck, dass das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen auf Verfahren beschränkt werde, die einen eigenen therapeutischen Zweck haben.
In den ersten Entwurfsfassungen des EPÜ sei kein Ausschluss medizinischer Verfahren von der Patentierbarkeit vorgesehen gewesen. Die Ausnahme von therapeutischen Verfahren und Diagnostizierverfahren sei 1965 aufgenommen worden; so sei zunächst befunden worden, dass solche Verfahren keine "Erfindungen" seien, und schließlich in den damaligen Artikel 50 (4) der Entwurfsfassung des EPÜ 1973 die Rechtsfiktion der fehlenden gewerblichen Anwendbarkeit aufgenommen worden. Der Ausschluss chirurgischer Verfahren von der Patentierbarkeit erscheine erstmals in einem Entwurf aus dem Jahr 1969 und entspreche im Wortlaut der Regel 39.1 iv) des damaligen PCT-Entwurfs, der jedoch lediglich auf die Gegenstände gerichtet gewesen sei, zu denen die Internationale Recherchenbehörde unter Umständen keine vorläufige Recherche durchführen müsse. Die auf eine Frage hin geäußerte und in den Materialien zum EPÜ (BR/177d/72 nan/JF/prk, S. 6 und 9d) protokollierte Erklärung der Arbeitsgruppe, dass die chirurgische Behandlung von Tieren zu destruktiven Zwecken nicht unter diese Bestimmungen falle, deute auf eine weiter gefasste Absicht des Gesetzgebers hin, das Patentierungsverbot nicht auf Verfahren mit einem nicht therapeutischen Zweck zu erstrecken. Bei der Abfassung des EPÜ 2000 habe sich die Begründung für das Patentierungsverbot geändert, das jetzt mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werde. Mit anderen Worten bestehe der Leitgedanke hinter Artikel 52 (4) EPÜ 1973 - wie auch der bisherigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu entnehmen sei - darin, Human- und Veterinärmediziner nicht durch Patente zu behindern, und sei somit sozialethisch motiviert. Der Wortlaut der Ausschlussbestimmungen sei zwar auf konkrete Handlungen ausgerichtet; ob diese Handlungen im Falle einer bestimmten Erfindung von der Patentierbarkeit auszuschließen seien, müsse jedoch im Einklang mit dem Zweck des Patentierungsverbots entschieden werden und dürfe nicht zu einer über die Absicht des Patentierungsverbots hinausgehenden Auslegung führen.
b) Grundsatz einer engen Auslegung der Ausschlussbestimmungen gemäß dem Wiener Übereinkommen
Die Rechtsgrundlage für eine enge Auslegung der Ausschlussbestimmungen sei in den Artikeln 31 und 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (nachstehend "Wiener Übereinkommen" genannt) zu finden. Die Beschwerdekammern hätten in ihrer Rechtsprechung wiederholt - auch in Zusammenhang mit Artikel 52 (4) EPÜ 1973 - auf diesen Grundsatz verwiesen, so beispielsweise die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 1/83. Selbst wenn die Große Beschwerdekammer in ihrer Stellungnahme G 1/04 als "obiter dictum" festgestellt habe, dass der Grundsatz der engen Auslegung der Ausschlussbestimmungen nicht ausnahmslos gelte, habe sie in diesem konkreten Fall das für Diagnostizierverfahren geltende Patentierungsverbot eng ausgelegt.
c) Ansatz der Beschwerdekammern hinsichtlich Artikel 52 (4) EPÜ 1973
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Definition des Begriffs "chirurgisch" in der Entscheidung T 182/90 falsch. Die klare Trennung der Begriffe "Therapie" und "Chirurgie" sei zwar historisch begründbar, erscheine jedoch nicht angemessen, da sie nicht so sehr Ausdruck einer gewollten Unterscheidung des Gesetzgebers sei, sondern vielmehr die Umsetzung einer historischen Unterscheidung in der Medizin, wo spezifisch chirurgische Behandlungsarten generell nicht als traditionelle medizinische Behandlungen gegolten hätten, in die Rechtssprache darstelle. Auf dieser Grundlage könne der Begriff "Therapie" als Bezeichnung für medizinische Behandlungen betrachtet werden, die mit Mitteln der traditionellen medizinischen Praxis ausgeführt würden, während "Chirurgie" eine spezifische Unterart der "Therapie" beschreibe, die den Einsatz invasiver Methoden erfordere.
d) Breite der Definition in T 182/90
Die Breite der in der Entscheidung T 182/90 festgelegten Definition könne auch insofern infrage gestellt werden, als unter dem Begriff "chirurgische Behandlung" Aktivitäten subsumiert würden, die der gesunde Menschenverstand nicht einmal annähernd als chirurgisch gelten ließe. So wäre nach dieser Definition beispielsweise die Routineinjektion eines therapeutischen oder prophylaktischen Wirkstoffs wie die Verabreichung einer Grippeimpfung eine "chirurgische Behandlung". Ein Verfahren sollte nicht als "chirurgische Behandlung" bezeichnet werden, wenn dabei lediglich ein therapeutischer Wirkstoff verabreicht werde: Es sei nur dann wirklich "chirurgisch", wenn der Eingriff selbst der Zweck des Verfahrens sei. Ebenso wenig sei die Entnahme eines einzigen Blutstropfens im Rahmen eines Diagnosetests chirurgisch; die Punktion der Haut sei kein sicheres Kriterium dafür, was Chirurgie ausmache. Noch weniger "chirurgisch" sei die nicht invasive Verabreichung eines therapeutischen Wirkstoffs, beispielsweise durch das Einnehmen einer Tablette oder das Inhalieren eines Mittels. Und doch seien all diese und weitere Verfahren laut der Kammer in der Entscheidung T 182/90 als "chirurgisch" anzusehen. Außerdem hätte die Kammer den Begriff "chirurgische Behandlung" vor dem Hintergrund des "Gesundheitsschutzes" auf Heilzwecke beschränken müssen.
e) Chirurgischer Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren
Die Aussage in T 182/90, dass ein chirurgischer Verfahrensschritt einem mehrstufigen Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers in der Regel chirurgischen Charakter verleihe, sei ebenfalls falsch und widerspreche der eigentlichen Bedeutung des Wortlauts von Artikel 52 (4) EPÜ 1973, wonach Verfahren zur chirurgischen Behandlung von der Patentierbarkeit ausgeschlossen seien, weil sie nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen zu betrachten seien. Daher müsse ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung mit dem Umfang eines Anspruchs verglichen werden. Wie bei der Beurteilung der Neuheit müsse der beanspruchte Gegenstand auch dann in seiner Gesamtheit betrachtet werden, wenn es zu entscheiden gelte, ob es sich um ein von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes chirurgisches Verfahren handle. Die Entscheidung der Kammer in der Sache T 182/90 sei nicht notwendig gewesen, um dem zugrunde liegenden Leitgedanken der Handlungsfreiheit des Arztes - und hier insbesondere des Chirurgen - Wirkung zu verleihen. Führe ein Chirurg nur einen chirurgischen Verfahrensschritt eines mehrstufigen Verfahrens aus, so wende er nicht den Anspruch als Ganzen an, sodass auch kein Grund für eine schützende Ausnahmebestimmung bestehe. Führe der Chirurg dagegen alle Verfahrensschritte des Anspruchs aus, gehe dies über bloße Chirurgie hinaus, und die Rechtfertigung für das Patentierungsverbot entfalle.
f) Richtiger Ansatz
Der richtige Ansatz bei der Interpretation des Patentierungsverbots für chirurgische Behandlungen, nämlich die zweckorientierte Auslegung, könne den Entscheidungen T 383/03, T 1102/02 und T 9/04 entnommen werden, die auch von der vorlegenden Kammer angeführt würden.
Die Aussage der Großen Beschwerdekammer in Nr. 6.2.1 der Begründung ihrer Stellungnahme G 1/04, wonach der chirurgische oder therapeutische Charakter eines Verfahrens durchaus in einem einzigen Verfahrensschritt begründet werden könne, ohne dass gegen Artikel 84 EPÜ verstoßen würde, sei im Wesentlichen als "obiter dictum" formuliert und beruhe auf der Entscheidung T 182/90, die in diesem Punkt fehlerhaft sei. Die Große Beschwerdekammer habe diesen Aspekt lediglich im Rahmen ihrer Beweisführung als Argument dafür herangezogen, warum Verfahren zur therapeutischen oder chirurgischen Behandlung - im Gegensatz zu den inhärent mehrstufigen Diagnostizierverfahren - als im Wesentlichen nur einen Verfahrensschritt umfassende Verfahren zu betrachten seien.
Der Wortlaut der Ausführungen zu chirurgischen Verfahren in Nr. 6.2.1 der Begründung der Stellungnahme G 1/04 der Großen Beschwerdekammer, wonach solche Verfahren alle physischen Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper umfassten, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung sei, entspreche der Aussage in T 35/99. Dies könne jedoch nur Fälle betreffen, in denen der Zweck des Verfahrens die Erhaltung von Leben oder Gesundheit sei. Ansonsten würde das Patentierungsverbot erheblich und unangemessen erweitert. Sei die Erhaltung von Leben oder Gesundheit zwar wichtig (wie bei jeder menschlichen Tätigkeit), aber einem anderen Zweck untergeordnet, so solle die Ausnahmebestimmung nicht anwendbar sein.
Die Schlussfolgerungen zur Auslegung könnten dahin gehend zusammengefasst werden, dass das Patentierungsverbot für chirurgische Verfahren nicht greife, wenn der eigentliche Zweck des Verfahrens nicht therapeutischer, sondern sonstiger Art sei (z. B. der kosmetische Zweck in T 383/03, das Ziel, ein diagnostisch verwertbares Bild zu erhalten, in T 9/04 oder der Zweck, einen Analyt zu gewinnen, in T 924/05).
g) Sozialethische und kommerzielle Erwägungen
Das Patentsystem unterliege dem ethischen Gebot, die Entwicklung von Erfindungen zu fördern, die dem Wohle der Menschheit dienen; an erster Stelle stünden dabei Erfindungen auf dem Gebiet der Medizin, sei es nun zu therapeutischen oder - wie im vorliegenden Fall - zu diagnostischen Zwecken. Das Patentsystem sei erforderlich, um die beträchtlichen Investitionen zu schützen, die im Bereich der medizinischen Diagnostik getätigt würden. Als Beispiele anzuführen seien die Magnetresonanztomographie (MRT), die Computertomographie (CT) und Röntgenverfahren. Fortschritte in der medizinischen Diagnostik seien von entscheidender Bedeutung für die Gesellschaft.
Das auf ethischen Gründen fußende Patentierungsverbot für medizinische Verfahren in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 erfülle seinen Zweck nicht, da Produktschutz gewährt werde, der die Handlungsfreiheit des Arztes ebenfalls einschränke. Somit sei zumindest schwierig festzustellen, welche Tragweite das Verbot eigentlich habe. In ihrer Stellungnahme G 1/04 habe die Große Beschwerdekammer dankenswerterweise den Grundsatz bestätigt, wonach Patente auf Verfahren, die in Zusammenhang mit Diagnosen stünden (aber keine Diagnostizierverfahren seien), nicht unter das in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 verankerte Patentierungsverbot für Diagnostizierverfahren fielen. Diagnostika spielten eine wichtige Rolle bei der Verbesserung von Diagnostizierverfahren und müssten dem Patienten verabreicht werden - gelegentlich auch parenteral, d. h. durch topische oder systemische Injektion. Bedeute die Festlegung der Verabreichungsform eines Diagnostikums, insbesondere auf die invasivste der in der Anmeldung genannten Formen (Injektion), dass eine solche auf die Untersuchungsphase bezogene Erfindung nicht patentfähig sei, so verliere G 1/04 für eine wichtige Untergruppe solcher Erfindungen, die die Verwendung eines Diagnostikums umfassten, ihre Wirkung. In Analogie zur Auslegung des Patentierungsverbots nach Artikel 53 b) EPÜ 1973 in Bezug auf Pflanzensorten in der Entscheidung G 1/98 der Großen Beschwerdekammer solle außerdem die Tatsache, dass der Verabreichungsvorgang einen "chirurgischen Verfahrensschritt" umfassen könnte, nicht bedeuten, dass der Vorgang als Ganzes - der in der beanspruchten höheren Abstraktionsform auf jede angemessene Verabreichungsform gerichtet sei - ebenfalls als chirurgisch gelte.
Zum Schutz der ärztlichen Tätigkeit gebe es im Bedarfsfall zufriedenstellendere (nationale) Regelungen. Eine logisch sinnvollere Ebene dafür sei die Gesetzgebung zur Patentverletzung. So seien beispielsweise in den Vereinigten Staaten Verfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung sowie Diagnostizierverfahren zwar seit langem patentierbar; ein Gericht könne dort aber keine Unterlassung anordnen oder keinen Schadensersatz zusprechen, wenn ein Arzt in Ausübung einer medizinischen Tätigkeit ein Patent verletze.
Die Große Beschwerdekammer habe in Nr. 6.1 der Begründung ihrer Stellungnahme G 1/04 ebenfalls anerkannt, dass ein umfassender Schutz von Human- und Veterinärmedizinern erforderlichenfalls auch auf anderem Wege zu erreichen sei. Im Übrigen versuchten die auf den Gebieten der Therapie und Diagnostik tätigen Unternehmen nur sehr selten oder gar nicht, ihre Patente gegenüber solchen Nutzern durchzusetzen.
3. Fragen 2 und 3
Falls Frage 2 zu beantworten sei, könne aus Sicht der Beschwerdeführerin ein Anspruch, der einen von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gegenstand umfasse, sich aber nicht darauf beschränke, aus den vorstehend genannten Gründen in dieser Form belassen werden. Außerdem könnte ein auf die Verabreichung eines Diagnostikums gerichteter Schritt zu Recht weggelassen werden, indem er passiv dargestellt werde und so kein aktiver Schritt des Anspruchs mehr sei.
Gemäß der Entscheidung G 1/03 könnte auch die Ausführungsform der Verabreichung des Kontrastmittels mittels Injektion ins Herz durch einen Disclaimer ausgeklammert werden. Dies sei jedoch keine besonders zufriedenstellende Lösung, weil der Anmelder dadurch nicht nur eines wertvollen Schutzrechts beraubt, sondern auch noch ermutigt würde, seine Anmeldung so zu formulieren, dass Ausführungsformen nicht erwähnt würden, die möglicherweise durch einen Disclaimer ausgeklammert werden müssten.
Sollte Frage 2 allerdings verneint werden, wäre es für die Beschwerdeführerin von entscheidender Bedeutung, ein Schutzrecht in Form eines auf eine zweite medizinische Verwendung gerichteten Anspruchs zu erhalten, wobei unklar sei, ob solche Ansprüche auch für Diagnostika zulässig seien und wie detailliert die Verwendung im Anspruch beschrieben werden müsse. Die Beschwerdeführerin wisse, dass diese Fragen in der Vorlage nicht gestellt wurden, würde aber eine Bestätigung ihrer Auslegung durch die Große Beschwerdekammer begrüßen.
Frage 3 sei zu verneinen. Die Tatsache, dass durch ein erfindungsgemäßes Verfahren gewonnene Daten bei einem chirurgischen Eingriff verwendet werden könnten, bedeute nicht, dass das Verfahren ein konstitutiver Schritt einer chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers sei. Ansonsten wären keine der heutzutage von Chirurgen angewendeten Technologien - wie z. B. eine Endoskopkamera, die auf den verschiedensten erfinderischen Verfahren wie Bildbearbeitung, Signalmodulation und Datenkompression beruhen könnte - patentfähig und dies lediglich, weil sie von einem Chirurgen in einem chirurgischen Verfahren eingesetzt werden könnten.
VII. Anträge der Beschwerdeführerin
Die Beschwerdeführerin beantragte, dass Frage 1 verneint werde. Dann müsse Frage 2 nicht beantwortet werden. Sollte Frage 2 dennoch erörtert werden, sei sie zu bejahen. Frage 3 müsse verneint werden.
VIII. Stellungnahme der Präsidentin des EPA
1. Rechtsprechung, relevante Aspekte, "Travaux préparatoires" und Revision des EPÜ
Die Präsidentin gibt zunächst einen Überblick über die einschlägige Rechtsprechung zu der in T 383/03 entwickelten Einschränkung des Begriffs "chirurgische Behandlung" auf Heilbehandlungen, erörtert dann eingehend Fragen, die sich aus der dort gewählten Definition ergeben, und legt schließlich den rechtsgeschichtlichen Hintergrund sowie die Schlussfolgerungen dar, die aus den vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 ("Travaux préparatoires") sowie den Revisionsarbeiten für das EPÜ 2000 gezogen werden können. Da diese Aspekte in den Entscheidungsgründen umfassend beleuchtet werden, werden die entsprechenden Ausführungen der Präsidentin hier nicht im Detail wiedergegeben; es wird auf die Akte verwiesen.
2. Terminologische und systematische Analyse
Nach Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens, so die Präsidentin, sei ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Sprachlich sei der Begriff "Behandlung" in der in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 verwendeten Bedeutung nicht auf Verfahren beschränkt, die Heilzwecken dienten. Artikel 52 (4) EPÜ 1973 führe sogar drei alternative Behandlungsverfahren an, nämlich chirurgische und therapeutische Verfahren sowie Diagnostizierverfahren. Gelte das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 für chirurgische Behandlungsverfahren in dem in T 383/03 vorgeschlagenen Umfang - nämlich unter Ausschluss aller chirurgischen Behandlungen, die anderen Zwecken als Heilzwecken dienen -, so würde eine jetzt eindeutig als solche erkennbare Alternative zu einer bloßen Unterkategorie der therapeutischen Verfahren degradiert und somit überflüssig.
3. Gesetzeszweck des Artikels 52 (4) EPÜ 1973
Die vorherrschende Meinung sei immer gewesen, dass die Ausübung der Medizin nicht durch Patentrechte beeinträchtigt werden dürfe. Die Gründe dafür ließen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen, nämlich a) die Überlegung, dass die Medizin nicht als Industriezweig angesehen werden könne, und b) die Notwendigkeit, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen; mit der Zeit scheine sich allerdings der Schwerpunkt vom ersten auf den zweiten Aspekt verlagert zu haben. Inzwischen beruhe der Ausschluss medizinischer Verfahren von der Patentierung eher auf dem Grundsatz, dass aus ethischen und sozialen Gründen zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung die Ausübung der ärztlichen Kunst nicht durch Patente eingeschränkt und behindert werden dürfe (s. Stellungnahme G 1/04 und weitere Quellen). Der Zweck des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 bestehe somit darin, alle Hindernisse auszuräumen, die der Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl der besten medizinischen Behandlung des Patienten entgegenstehen könnten, und jede Verzögerung bei der Anwendung dieser Behandlung zu vermeiden. Das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 diene demnach dem Schutz der Patienten. Mit dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 werde die Loslösung vom Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit auch formell umgesetzt sein, da das Patentierungsverbot für medizinische Verfahren an der systematisch richtigen Stelle erscheine, nämlich bei den in Artikel 53 EPÜ aufgelisteten Ausnahmen von der Patentierbarkeit. Die beabsichtigte Freiheit, ohne Einschränkungen durch Patentrechte die beste medizinische Behandlung wählen zu können, könne nicht auf chirurgische Verfahren beschränkt werden, die Heilzwecken dienten. Vielmehr soll das zweckmäßigste chirurgische Verfahren in jedem Fall frei anwendbar sein, und diesem Aspekt komme immer dann besondere Bedeutung zu, wenn die Anwendung eines chirurgischen Verfahrens Gesundheitsrisiken für den Patienten mit sich bringe. Schließlich müsse auch berücksichtigt werden, dass das Verhältnis zwischen Patient und Arzt naturgemäß ein Vertrauensverhältnis sei. Jeder potenzielle Störfaktor - so beispielsweise Erwägungen in Bezug auf Lizenzgebühren - solle daher sorgfältig ausgeschlossen werden; dies könne sich allerdings als schwierig erweisen, wenn Patente für medizinische Verfahren erteilt würden. Dasselbe gelte für chirurgische Behandlungen, und zwar unabhängig von ihrem Zweck. Daraus folge, dass es dem Gesetzeszweck des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 entsprechen würde, wenn der Ausdruck "Verfahren zur chirurgischen Behandlung" auf die Art und nicht auf den Zweck der Behandlung bezogen würde.
4. Nationales und internationales Patentrecht in Theorie und Praxis
Dieser Teil der Stellungnahme der Präsidentin wird im Folgenden ausführlich behandelt, weil in der Begründung der vorliegenden Entscheidung umfassend darauf Bezug genommen wird. Weitere Verweise auf Rechtsnormen, Ausführungsvorschriften und Entscheidungen sind der ebenfalls in der Akte enthaltenen Stellungnahme zu entnehmen.
In den Regeln 39.1 und 67.1 PCT, die der entsprechenden Vorschrift in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 als Vorbild gedient hätten, würden chirurgische und therapeutische Verfahren sowie Diagnostizierverfahren als drei gesonderte Alternativen genannt. Auch wenn diese PCT-Bestimmungen eine andere normative Funktion hätten, werde die "chirurgische" Alternative doch ebenfalls so ausgelegt, dass sie nicht auf Heilbehandlungen begrenzt sei. So könnten beispielsweise Verfahren der kosmetischen Chirurgie von der Recherche oder der vorläufigen Prüfung ausgeschlossen werden.
Artikel 27.3 a) des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (nachstehend "TRIPS-Übereinkommen" genannt), wonach die Mitglieder diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren für die Behandlung von Menschen oder Tieren von der Patentierbarkeit ausschließen könnten, sei ebenfalls dem PCT nachgebildet. Auch hier scheine der Begriff "chirurgische Verfahren" nicht auf Heilbehandlungen beschränkt zu sein. Vor der Anpassung an den PCT habe die Bestimmung den Ausdruck "Verfahren zur [medizinischen] Behandlung von Menschen [oder Tieren]" enthalten.
Gemäß den Richtlinien des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum sei der Begriff "chirurgische Verfahren" im Sinne des Artikels 2 (2) PatG ebenfalls unabhängig vom jeweiligen Zweck auszulegen, sodass darunter auch Verfahren für kosmetische Zwecke oder zur Verpflanzung von Embryonen fielen.
Auch in Deutschland sei bei der Definition der "Verfahren zur chirurgischen Behandlung" im Sinne von § 5 (2) Satz 1 PatG die Art der Behandlung maßgeblich. So sei zum Beispiel ein Verfahren zum Implantieren von Haarbündeln als nach § 5 (2) PatG von der Patentierbarkeit ausgeschlossen betrachtet worden, weil das Verfahren unter Einsatz chirurgischer Mittel am Körper durchgeführt werde und ärztliches Fachwissen erfordere. Die Frage, ob das strittige Verfahren der Heilung einer Krankheit diene oder nur zu kosmetischen Zwecken angewandt werde, habe unbeantwortet bleiben können.
Im Vereinigten Königreich sei das Patentierungsverbot für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne von Abschnitt 4 (2) des Patentgesetzes von 1977 ebenfalls nicht auf die therapeutische Chirurgie beschränkt. Entsprechend seien chirurgische Verfahren zu kosmetischen und anderen nicht therapeutischen Zwecken - z. B. Sterilisation - nicht patentierbar. Dieser Ansatz stütze sich insbesondere auf die Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 sowie auf die Entscheidungen Unilever Ltd. (Davis's) Application und Occidental Petroleum Corporation's Application. In der letzteren sei ein Verfahren zur Implantation von Embryonen, das die Beteiligung eines Chirurgen erfordere, als ein von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes chirurgisches Verfahren befunden worden. In den Prüfungsrichtlinien des britischen Patentamts werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Amt dem in T 383/03 entwickelten Ansatz nicht folgen, sondern an seiner bisherigen Praxis festhalten werde.
5. Enge Auslegung des Ausdrucks "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers"
Auch ohne Begrenzung des Patentierungsverbots auf chirurgische Verfahren zu therapeutischen Zwecken könne der Anwendungsbereich von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 anhand folgender Kriterien eng ausgelegt werden:
Erstens solle ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nur unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 fallen, wenn die Anwendung des Verfahrens nicht zum Tod führe, d. h. wenn es sich nicht um ein destruktives Verfahren handle.
Zweitens solle überlegt werden, ob Verfahren, die sowohl chirurgische als auch nicht chirurgische Verfahrensschritte umfassten, von der Patentierbarkeit auszuschließen seien oder ob ein anderer Ansatz gewählt werden sollte.
Drittens könne argumentiert werden, dass nicht jede nicht unerhebliche Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Körper als chirurgische Behandlung im Sinne dieser Vorschrift betrachtet werden solle.
Wie in der Stellungnahme G 1/04 in Bezug auf Diagnostizierverfahren ausgeführt sei, solle die Beurteilung aus Gründen der Rechtssicherheit nicht davon abhängen, ob das betreffende Verfahren von einem Human- oder Veterinärmediziner ausgeführt werde.
Allerdings könnte die Forderung nach einer engen Auslegung auf die Überlegung gestützt werden, warum bestimmte Tätigkeiten von Einschränkungen durch Patentrechte freigehalten werden sollten. Da mit Artikel 52 (4) EPÜ 1973 auch das lebende Objekt geschützt werden solle, an dem das Verfahren angewendet werde, könnte von Bedeutung sein, ob das Verfahren über einen bestimmten Invasivitätsgrad hinausgehe und/oder mit schädlichen Nebenwirkungen oder Gesundheitsrisiken verbunden sei. Mit diesem Ansatz könnte vermieden werden, dass "oberflächliche" Verfahren, die im alltäglichen Sinne des Begriffs nicht als chirurgisch betrachtet würden, als chirurgische Verfahren anfechtbar wären. Dazu führt die Präsidentin einschlägige Beispiele an. Verfahren, die vorrangig oder ausschließlich nicht therapeutischen Zwecken dienten und einen wesentlichen ("invasiven") Eingriff in den lebenden Körper umfassten - wie Geschlechtsumwandlung, Sterilisation, operative Faltenentfernung oder Brustvergrößerung bzw. -verkleinerung -, wären dagegen weiterhin von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Verfahren, die eine subkutane, intramuskuläre oder intravenöse Injektion umfassten, seien seit T 182/90 nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 anfechtbar. Dasselbe gelte für die Katheterisierung. Solche Verfahren wiesen vermutlich auch einen gewissen Invasivitätsgrad auf und könnten daher weiterhin als chirurgische Verfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 beanstandet werden. Es sei zugegebenermaßen nicht einfach, hier eine klare Abgrenzung vorzunehmen, weshalb es sich unter Umständen als unmöglich erweisen könnte, ein Kriterium für den Invasivitätsgrad genau zu definieren. Allerdings bestehe nach der aktuellen Praxis auch keine exakte Definition der "nicht unerheblichen" Einwirkung, die Voraussetzung für eine "Behandlung" sei. Da dieses geltende Kriterium trotzdem im Einzelfall mit recht sinnvollen und allgemein akzeptierten Ergebnissen angewandt werde, sei davon auszugehen, dass dies auch bei einem neuen Kriterium der Fall wäre. Bei Anwendung eines solchen Ansatzes, wonach ein nicht unerheblicher Eingriff nur von der Patentierbarkeit ausgeschlossen wäre, wenn er auch ausreichend invasiv wäre, würde ein Verfahren, das den Schritt der Injektion eines Kontrastmittels in das Herz umfasse, höchstwahrscheinlich beide Kriterien erfüllen und somit als Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 gelten.
6. Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren?
Die umstrittenen chirurgischen Behandlungsverfahren seien noch nicht im Wortlaut von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 enthalten gewesen, als im Zuge der Abfassung des EPÜ 1973 die Frage der Beibehaltung oder Streichung der Bezugnahme auf den tierischen Körper erörtert worden sei. Trotzdem werde in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 nicht zwischen der Behandlung des menschlichen und des tierischen Körpers unterschieden.
Der erste Entwurf der EG-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen von 1988 habe eine Bestimmung enthalten, wonach der Ausschluss von am tierischen Körper zur chirurgischen Behandlung oder zur Diagnose angewandten Verfahren von der Patentierbarkeit oder aus dem Bereich der gewerblichen Anwendbarkeit für derartige Verfahren nur insoweit gelte, als solche Verfahren zu therapeutischen Zwecken angewandt würden. Diese "Auslegungsvorschrift" basiere auf der Überlegung, dass der Gesetzgeber die Entwicklung chirurgischer Verfahren, die keinen therapeutischen, sondern einen gewerblichen Charakter aufwiesen, nicht ausreichend vorausgesehen habe. Die Bestimmung sei aber weder im zweiten Entwurf der Richtlinie noch in der verabschiedeten Fassung enthalten. Die Verfasser des EPÜ hätten diese Frage bei der EPÜ-Revision im November 2000 nicht wieder aufgegriffen, sondern Artikel 52 (4) EPÜ 1973 inhaltlich unverändert belassen. Es sei ihre erklärte Absicht gewesen, den Inhalt der Bestimmung in die Liste der Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu überführen und so die bestehende Praxis fortzuführen. Eine für Tiere und Menschen unterschiedliche Auslegung des Begriffs "chirurgische Behandlung" würde aber eine entsprechende Grundlage im Wortlaut von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 erfordern und dies umso mehr, als weder die Rechtsgeschichte der Vorschrift selbst noch die Rechtsvorschriften auf benachbarten Gebieten (Biotechnologierichtlinie) einschlägige Hinweise enthielten.
7. Schlussfolgerungen
Frage 1: Angesichts der vorstehenden Erwägungen führe die Anwendung des vorgeschlagenen Ansatzes zu der Schlussfolgerung, dass die Injektion eines Kontrastmittels in das Herz eines lebenden Menschen oder Tieres als eine chirurgische Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 angesehen werden solle. Ein Verfahren, das diesen Schritt umfasse, solle von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden.
Frage 2: Die in der Entscheidung G 1/98 aufgestellten Grundsätze seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil Artikel 53 b) EPÜ - ausschließlich - auf dem Gedanken beruhe, dass europäische Patente nicht für Gegenstände erteilt werden sollten, die aufgrund des Doppelschutzverbots im UPOV-Übereinkommen von 1961 vom Patentschutz ausgeschlossen waren. Die Zulassung von Ansprüchen, die auf Behandlungsverfahren gerichtet seien, sich aber nicht ausdrücklich auf chirurgische Verfahrensschritte bezögen, würde eher neue Probleme schaffen. Ein Einwand nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 könnte dann recht einfach durch die Verwendung entsprechend allgemeinerer Begriffe umgangen werden.
Eine angemessene Lösung könnte in allen drei Fällen eine positive Begrenzung auf die in der Beschreibung offenbarten "unkritischen" Verabreichungsverfahren sein. Falls dies nicht machbar sei, könnte sicher - wie auch in den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 ausdrücklich vorgesehen - die Aufnahme eines Disclaimers in Betracht gezogen werden. Dann müsste entschieden werden, ob ein Disclaimer mit Formulierungen wie "nicht chirurgisch" oder "nicht invasiv" insbesondere dem Erfordernis der Klarheit nach Artikel 84 EPÜ genüge.
Änderungen des unabhängigen Anspruchs durch Weglassen oder Streichen des chirurgischen Verfahrensschritts müssten insbesondere den Artikeln 84 und 123 (2) EPÜ genügen. Dies könne nur auf Einzelfallbasis entschieden werden. Insbesondere in Fällen, in denen der chirurgische Verfahrensschritt wesentlich für eine deutliche und vollständige Definition der Erfindung sei, wäre eine Weglassung oder Streichung im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ nicht möglich.
Änderungen, mit denen klargestellt werden solle, dass der chirurgische Verfahrensschritt dem beanspruchten Verfahren vorausgehe oder folge, aber kein Verfahrensbestandteil sei (z. B. durch Formulierungen wie "vorher verabreicht", "vorher implantiert" oder "vorher eingeführt"), sollten anhand derselben Kriterien beurteilt werden wie die Weglassung oder Streichung des chirurgischen Verfahrensschritts. Eine solche zeitliche Begrenzung sei sicher in bestimmten eindeutigen Fällen möglich. Werde jedoch ein chirurgischer Schritt nur für das beanspruchte (nicht chirurgische) Verfahren durchgeführt und bestehe ein enger zeitlicher, kausaler und funktioneller Zusammenhang zwischen Schritt und Verfahren, so wäre eine solche Änderung vermutlich problematisch. So scheine eine zeitliche Begrenzung in den Fällen unmöglich zu sein, in denen nicht chirurgische und chirurgische Verfahrensschritte eng miteinander zusammenhingen - wie beispielsweise bei iterativen Verfahren, wenn ein Instrument nach der Einführung in den Körper weiter bedient werde oder wenn während eines chirurgischen Eingriffs die Position des Patienten kontinuierlich angepasst werde.
Frage 3: Könne ein beanspruchtes Verfahren für sich genommen nicht als Verfahren zur chirurgischen Behandlung des Körpers betrachtet werden, so verleihe die bloße Tatsache, dass das Verfahren bei einer chirurgischen Behandlung von Nutzen sei, dem beanspruchten Verfahren noch keinen chirurgischen Charakter. Entscheidend sei vielmehr, ob ein funktioneller Zusammenhang oder eine physikalische Kausalität zwischen dem beanspruchten Verfahren und dem chirurgischen Eingriff bestehe. Ein bloßes zeitliches Zusammentreffen eines bildgebenden Verfahrens mit einem chirurgischen Eingriff scheine nicht auszureichen. Demnach solle ein diagnostisches bildgebendes Verfahren, das der Überwachung und Bewertung des Verlaufs eines chirurgischen Eingriffs diene, auch dann nicht als chirurgisch betrachtet werden, wenn es in Echtzeit ausgeführt werde und dem Chirurg ermögliche, unmittelbar über das weitere Vorgehen zu entscheiden, ohne jedoch in seiner Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die anzuwendende Behandlung eingeschränkt zu sein, sofern es sich lediglich um ein bildgebendes Verfahren handle, das selbst keinen physischen Eingriff am Patienten verursache.
Dagegen sollten "aktive", beispielsweise auf die automatisierte Steuerung von chirurgischen Instrumenten gerichtete Verfahren ("robotergestützte Chirurgie"), bei denen die gewonnenen Bilddaten - z. B. mittels eines geschlossenen Regelkreises - unmittelbar zur Steuerung der Bewegung des Instruments im menschlichen Körper verwendet werden, als chirurgisch angesehen werden, weil in diesem Fall ein funktioneller Zusammenhang bzw. eine physikalische Kausalität zwischen dem beanspruchten Verfahren und dem chirurgischen Eingriff bestehe.
IX. Stellungnahmen Dritter ("Amici Curiae")
Es sind Stellungnahmen folgender Amici Curiae eingegangen: European Federation of Neurological Associations ("EFNA") und European Parkinson's Disease Association ("EPDA"), epi, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Bundesärztekammer, Philips Intellectual Property and Standards, Deutsche Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Institute for Scientific Policy Analysis ("SCIAN"), Roche Diagnostics, CIPA, IIPI, Dr. Martin Prince und Udo W. Altenburg (zugelassener Vertreter vor dem EPA).
1. Die Befürworter einer engen Auslegung des Patentierungsverbots orientierten sich am Vorbringen der Beschwerdeführerin. Außerdem wurde die Große Beschwerdekammer aufgefordert, über den Wortlaut der Vorlagefragen hinauszugehen und in einem weiteren Sinne nicht nur "bildgebende" Verfahren zu betrachten, sondern auch andere auf das Messen physiologischer Parameter gerichtete Verfahren, die einen physischen Eingriff erfordern.
2. Die Gegner einer Beschränkung des Patentierungsverbots auf chirurgische Verfahren zu therapeutischen Zwecken brachten im Wesentlichen Folgendes vor:
Es gebe zahlreiche Beispiele für Verfahren, die zwar nicht auf die Erhaltung von Gesundheit und Leben gerichtet, aber dennoch im medizinischen Sinne als chirurgisch zu bezeichnen seien (z. B. plastische Chirurgie, Organentnahme). Es sei von großer Bedeutung, dass Ärzte, die solche Verfahren anwendeten, nicht durch Patente in der freien Wahl des geeigneten Behandlungsverfahrens eingeschränkt würden. Aus diesem Grund sollten auch Verfahren zur chirurgischen Behandlung von der Patentierbarkeit ausgenommen werden, die nicht therapeutischen Zwecken dienten.
Jede andere Auslegung würde die - aus guten Gründen bestehende - Unterscheidung zwischen chirurgischen und therapeutischen Behandlungsverfahren überflüssig machen.
3. Auch die Fragen 2 und 3 waren Gegenstand von Stellungnahmen.
1. Anwendbare Rechtsvorschriften
1.1 Zulässigkeit der Vorlage
Die Vorlage wurde vor dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 an die Große Beschwerdekammer gerichtet. Nach Artikel 7 (1) der Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5. Oktober 1973, zuletzt revidiert am 17. Dezember 1991, findet "die revidierte Fassung des Übereinkommens auf alle nach ihrem Inkrafttreten eingereichten europäischen Patentanmeldungen Anwendung. Sie findet nicht auf europäische Patentanmeldungen Anwendung, die in diesem Zeitpunkt anhängig sind, soweit der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation nichts anderes bestimmt." Da Artikel 112 in Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 nicht als eine der Bestimmungen genannt wird, die auf bei Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens anhängige europäische Patentanmeldungen anzuwenden sind, bleibt Artikel 112 EPÜ 1973 auf europäische Patentanmeldungen anwendbar, die bei Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens anhängig sind. Die Zulässigkeit dieser Vorlage ist daher auf der Grundlage von Artikel 112 EPÜ 1973 zu bestimmen.
Dies ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit gerechtfertigt, damit die Zulässigkeit einer Verfahrenshandlung zu dem Zeitpunkt ermittelt werden kann, an dem sie vorgenommen wird. Dazu gehört, dass das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht anwendbar ist (s. auch J 10/07, ABl. EPA 2008, 567, Nr. 1 der Entscheidungsgründe und T 1366/04 vom 16. April 2008, Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe).
Artikel 112 EPÜ wurde zwar im Rahmen der Revision nicht geändert, aber später vom Verwaltungsrat umformuliert, der von seiner Befugnis nach Artikel 3 (1) der Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente Gebrauch machte, eine Neufassung des Europäischen Patentübereinkommens zu erstellen, in der die Vorschriften des Übereinkommens in den drei Amtssprachen, soweit dies erforderlich ist, redaktionell anzupassen sind. Artikel 112 wurde dahingehend "angepasst", dass in der englischen Fassung des Artikels 112 (1) die Formulierung "if an important point of law arises" durch die Formulierung "if a point of law of fundamental importance arises" ersetzt wurde. Es erscheint nicht sofort offensichtlich, dass diese "redaktionelle Anpassung" der englischen Fassung keinerlei Auswirkung auf die allgemeine Bedeutung des Artikels 112 (1) hat, und dies selbst wenn die gemäß Artikel 177 (1) EPÜ 1973 gleichermaßen verbindlichen Fassungen dieses Artikels in französischer und deutscher Sprache herangezogen werden. Damit kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass es irrelevant ist, ob die alte oder die neue Fassung von Artikel 112 EPÜ anwendbar ist. Aus diesem Grund wird die Große Beschwerdekammer die Zulässigkeit der Vorlage auf der Grundlage von Artikel 112 EPÜ 1973 prüfen.
1.2 Anwendbares materielles Recht
Die Vorlageentscheidung hat Fragen zur Anwendung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 aufgeworfen. Im Rahmen der EPÜ-Revision wurde der Artikel 52 (4) EPÜ 1973 inhaltlich in Artikel 53 c) EPÜ überführt. Nach Artikel 1 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2001, Sonderausgabe Nr. 4, 139) ist Artikel 53 EPÜ auf die bei seinem Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen anzuwenden. Da die vorlegende Kammer somit bei der Entscheidung in der Sache Artikel 53 c) EPÜ anzuwenden hat, wird die Große Beschwerdekammer zur Beantwortung der ihr vorgelegten Fragen das EPÜ 2000 heranziehen.
2. Zulässigkeit der Vorlage
Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ 1973 befasst eine Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen die Große Beschwerdekammer, wenn sie - zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt - hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
In der Vorlageentscheidung wurden verschiedene Auslegungen des Patentierungsverbots für chirurgische Behandlungen nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern aufgezeigt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die Patentierbarkeit von potenziell unter das Patentierungsverbot fallenden Gegenständen führen. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Rechtsanwendung in der angeführten Rechtssprechung uneinheitlich ist.
Bei der Frage, welche Auslegung des im jetzigen Artikel 53 c) EPÜ enthaltenen Begriffs "chirurgische Behandlung" die richtige ist, handelt es sich eindeutig um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Daher muss nicht darüber befunden werden, ob die angeführten Entscheidungen eine uneinheitliche Rechtsanwendung im Sinne des Artikels 112 (1) EPÜ 1973 darstellen oder ob diese Entscheidungen, die alle von der Kammer 3.2.02 - allerdings in unterschiedlicher Zusammensetzung - erlassen wurden, nicht vielmehr einen Sinneswandel der Kammer bei ihrer Rechtsprechung widerspiegeln.
Im erstinstanzlichen Verfahren hatte sich die Prüfungsabteilung lediglich mit der Frage des Ausschlusses der beanspruchten Erfindung vom Patentschutz gemäß dem damaligen Artikel 52 (4) EPÜ 1973 befasst. Nach Auffassung der vorlegenden Kammer müsste die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden, falls der Beschwerde stattgegeben wird. Deshalb muss zunächst über die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fragen entschieden werden, bevor die vorlegende Kammer eine Entscheidung über die Beschwerde fällen kann.
3. Frage 1:
Ist ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (Untersuchungsphase im Sinne von G 1/04), das einen Schritt aufweist oder umfasst, der in einem physischen Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper besteht (im vorliegenden Fall Injektion eines Kontrastmittels in das Herz), als "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz auszuschließen, wenn dieser Schritt per se nicht auf die Erhaltung von Leben und Gesundheit abzielt?
3.1 Enge Auslegung des Patentierungsverbots - das Wiener Übereinkommen
Die Beschwerdeführerin, die auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern Bezug nimmt (s. die von der Beschwerdeführerin unter Nr. 46 ihres Vorbringens angeführten Entscheidungen), und die meisten Amici Curiae machen geltend, dass die Ausnahmen von der Patentierbarkeit auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens eng auszulegen seien, da die Aufgabe der Organisation gemäß Artikel 4 (3) EPÜ darin bestehe, europäische Patente zu erteilen.
Seit der Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 64, Nr. 3 ff. der Entscheidungsgründe) ist in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer verankert, dass die Auslegungsgrundsätze der Artikel 31 und 32 des Wiener Übereinkommens bei der Auslegung des EPÜ anzuwenden sind, auch wenn die Bestimmungen des Übereinkommens nicht unmittelbar auf das EPÜ angewendet werden können.
Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens sieht vor, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Anschließend werden zwar weitere Auslegungsmittel definiert (so in Artikel 32 die vorbereitenden Arbeiten zum Vertrag); weder in dieser Vorschrift noch in der Entscheidung G 1/83 wird jedoch ein Grundsatz der engen bzw. breiten Auslegung - und sei es auch nur von Ausnahmen - erwähnt.
Somit lässt sich aus dem Wiener Übereinkommen kein allgemeiner Grundsatz einer engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit ableiten, der a priori auf die Auslegung solcher Ausnahmen anwendbar wäre. Vielmehr ist die allgemeine Regel in Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist, auf die Ausnahmeregelung des EPÜ in der gleichen Weise anzuwenden wie auf jede andere Bestimmung - einschließlich der positiv formulierten Patentierungserfordernisse.
Ergibt die Interpretation der betreffenden Vorschrift gemäß diesen Auslegungsgrundsätzen, dass eine enge Auslegung der richtige Ansatz ist, dann - und nur dann - kann ihr eine solche restriktive Bedeutung gegeben werden.
Soll allerdings der Hintergrund einer Rechtsvorschrift zur Auslegung herangezogen werden, so kann die Tatsache, dass es sich bei der Vorschrift um eine Ausnahme zu einer allgemeinen Regel handelt, sicherlich nicht außer Acht gelassen werden; dieser Aspekt ist jedoch nur einer der Faktoren, von denen die richtige Auslegung der betreffenden Bestimmung abhängt. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als die Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung des Wortlauts der Bestimmung ist die Auslegung der Vorschrift dahin gehend, dass sie ihre Wirkung voll entfalten kann und ihren eigentlichen Zweck erfüllt. Wie bereits angeführt, gilt dies für eine Ausnahmeregelung in der gleichen Weise wie für jedes andere Patentierungserfordernis.
In der Stellungnahme G 1/04 (ABl. EPA 2006, 334, Nr. 6 der Begründung) hatte die Große Beschwerdekammer unter Berufung auf einschlägige Entscheidungen der Beschwerdekammern, in denen ein entsprechendes Grundprinzip anerkannt wurde, befunden, dass der "häufig angeführte Grundsatz", wonach im EPÜ vorgesehene Ausschlussbestimmungen zur Patentierbarkeit restriktiv auszulegen sind, nicht ausnahmslos gilt. Interessanterweise kam die Große Beschwerdekammer in dieser Stellungnahme, die die Definition des Begriffs "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren" betraf, erst nach einer eingehenden Analyse des Wortlauts und des Zwecks der betreffenden Ausnahmebestimmung zu dem Schluss, dass sie eng auszulegen ist.
Derselbe Ansatz findet sich auch in G 2/06 (ABl. EPA 2009, 306), einer jüngeren Entscheidung der Großen Beschwerdekammer. Darin befasst sich die Große Beschwerdekammer mit der Auslegung des Patentierungsverbots für biotechnologische Erfindungen, die die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken zum Gegenstand haben, gemäß Regel 28 c) EPÜ (und dem entsprechenden Artikel 6 (2) der EG-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen). Ein Grundsatz der engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit wird in dieser Entscheidung mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen zieht die Große Beschwerdekammer zur Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots direkt die im Wiener Übereinkommen festgelegten Auslegungsgrundsätze heran, d. h. sie prüft den Wortlaut, das Ziel und den Zweck der Bestimmung (Nr. 16 der Entscheidungsgründe). In den weiteren Entscheidungsgründen ist an keiner Stelle von einem engen oder restriktiven Ansatz die Rede, der hätte gewählt werden müssen, weil es um eine Ausnahme von der Patentierbarkeit gehe; im vorliegenden Fall wird die Große Beschwerdekammer ebenso vorgehen.
3.2 Schließt das Vorhandensein eines chirurgischen Verfahrensschritts in einem mehrstufigen Verfahren dieses Verfahren von der Patentierbarkeit aus?
Aus Frage 1 und den dem Vorlageverfahren zugrunde liegenden Ansprüchen ergibt sich, dass der potenziell als chirurgisch anzusehende Verfahrensschritt nur ein Schritt in einem mehrstufigen Verfahren ist und das beanspruchte bildgebende Verfahren nicht auf eine chirurgische Behandlung als solche gerichtet ist. Wird daher die obige Frage verneint, so müsste auch die erste Vorlagefrage verneint werden.
Eine der Alternativen in Frage 1 bezieht sich auf den Fall, dass das beanspruchte Verfahren einen chirurgischen Schritt umfasst. Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass die Akte zum Vorlageverfahren bislang keinen Anspruch enthält, mit dem der potenziell chirurgische Schritt, nämlich die Injektion ins Herz, als solcher als Verfahrensschritt beansprucht wird; vielmehr umfasst das Merkmal in den unabhängigen Ansprüchen 1, 11 und 17, das auf die Verabreichung des Kontrastmittels an das lebende Objekt (den Patienten) gerichtet ist, eine Ausführungsform, wonach die Verabreichung in das Herz mittels Injektion oder Ähnlichem erfolgt.
Da die Beschwerdeführerin im Vorlageverfahren aber noch (durch Beschränkung oder Formulierung eines entsprechenden abhängigen Anspruchs) die Möglichkeit hätte, einen Anspruch mit dem Schritt abzufassen, dass das Kontrastmittel dem Patienten mittels einer Injektion in das Herz verabreicht wird - sofern dies von der Großen Beschwerdekammer nicht für nach Artikel 53 c) EPÜ ausgeschlossen erachtet wird -, erscheint es der Großen Beschwerdekammer zweckmäßig, diesen Aspekt der Frage in ihrer Antwort zu behandeln. Dies ist umso mehr geboten, als die Erwägungen, von denen die Antwort auf die Frage abhängt, für beide Alternativen gleichermaßen gelten und in der Rechtsprechung diesbezüglich nicht unterschieden wird.
3.2.1 Stellungnahme G 1/04
Die Große Beschwerdekammer stellte in ihrer Stellungnahme G 1/04, a. a. O., Nr. 6.2.1 der Begründung Folgendes fest:
"Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern fällt ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Dies bedeutet, dass der chirurgische oder therapeutische Charakter eines Verfahrens durchaus in einem einzigen Verfahrensschritt begründet werden kann, ohne dass gegen Artikel 84 EPÜ verstoßen würde."
3.2.2 Gegenposition
Dieser Ansatz wird von der Beschwerdeführerin und den Amici Curiae kritisiert. Sie machen geltend, dass eine solche breite Auslegung des Patentierungsverbots nicht nötig sei, um dem postulierten Grundsatz der Handlungsfreiheit des Arztes - hier insbesondere des Chirurgen - Wirkung zu verleihen. Führe ein Chirurg nur einen chirurgischen Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren aus, so setze er nicht den Anspruch als Ganzen um, und es bestehe daher auch kein Grund für eine schützende Ausnahmebestimmung. Führe der Chirurg dagegen alle Verfahrensschritte des Anspruchs aus, gehe dies über eine bloße chirurgische Behandlung hinaus, und die Rechtfertigung für das Patentierungsverbot entfalle. Darüber hinaus seien die Aussagen in der Stellungnahme G 1/04 sowie der Verweis auf die "ständige Rechtsprechung" im Wesentlichen als "obiter dictum" formuliert und beruhten auf der Entscheidung T 182/90 (die in diesem Punkt fehlerhaft sei) sowie auf späteren, auf ihr basierenden Entscheidungen. Eine frühere Rechtsprechung zu diesem Aspekt gebe es nicht.
3.2.3 Stichhaltigkeit der Gegenposition
3.2.3.1 Der Grundsatz, dass ein Anspruch nicht patentiert werden kann, wenn er einen nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren umfasst, wurde in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Umkehrschluss von Artikel 52 (3) EPÜ 1973 abgeleitet, wonach die in Artikel 52 (2) EPÜ 1973 genannten Erfindungen insoweit von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, als sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent auf diese Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht. Da Artikel 52 (4) EPÜ 1973 keinen solchen Vorbehalt enthält, der das Patentierungsverbot einschränkt, befanden die Kammern, dass Verfahren, die nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, nicht Gegenstand oder auch nur Teil des Gegenstands eines Patentanspruchs sein können. Dieser Grundsatz ist seither durchgehend auf das Patentierungsverbot für therapeutische und chirurgische Verfahren angewendet worden (s. beispielsweise T 820/92, ABl. EPA 1995, 113, Nrn. 5.4 und 5.5 der Entscheidungsgründe, wo verschiedene frühere Entscheidungen zu therapeutischen Verfahren, aber auch T 182/90 angeführt werden).
Im oben zitierten Abschnitt aus der Stellungnahme G 1/04 bestätigt die Große Beschwerdekammer diese Rechtsprechung klar und ausdrücklich für Verfahrensschritte zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung. Obiter dictum oder nicht: Die eindeutige Formulierung dieses Abschnitts lässt keinen Zweifel daran, dass die Große Beschwerdekammer den in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelten Grundsatz bestätigt, wonach ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Dass dieses Prinzip erstmals in der Entscheidung T 182/90 ausdrücklich anerkannt wurde, ist unerheblich, weil es damals bereits seit langem Bestandteil der ständigen Rechtsprechung war. Überdies wird die Entscheidung T 182/90 in der Stellungnahme G 1/04 überhaupt nicht erwähnt. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die besagten Ausführungen in der Stellungnahme G 1/04 beruhten auf der Entscheidung T 182/90, entbehrt daher jeder Grundlage.
3.2.3.2 Auch wenn die Annahme nicht gänzlich abwegig sein mag, dass ein Arzt, der einen einzigen therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritt eines mehrstufigen Verfahrens ausführt, damit in der Regel keinen auf dieses mehrstufige Verfahren gerichteten Patentanspruch verletzt, hängen etwaige Verletzungsfragen letztlich doch von der Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts ab. Auch herrscht Einvernehmen darüber, dass die dem Patentierungsverbot für therapeutische und chirurgische Verfahren sowie Diagnostizierverfahren zugrunde liegende sozialethische Erwägung, die Ärzteschaft von möglichen Einschränkungen durch Patentrechte befreien zu wollen, bei der Auslegung des Artikels 53 c) EPÜ zu berücksichtigen ist. Allerdings lässt nichts im Wortlaut von Artikel 53 c) EPÜ den Schluss zu, dass eine Einschränkung der ärztlichen Freiheit gegeben sein muss, damit das Patentierungsverbot im betreffenden Einzelfall greifen kann. Artikel 53 c) EPÜ nennt als einzige Bedingung für den Ausschluss eines Anspruchs von der Patentierbarkeit, dass dieser einen Gegenstand enthält, der auf ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers oder auf ein entsprechendes Diagnostizierverfahren gerichtet ist. Dann ist der Anspruch nicht patentierbar, und es ist ohne Belang, ob ein Arzt in diesem Einzelfall den Anspruch verletzen würde oder könnte. Für die Richtigkeit dieses Ansatzes spricht auch das von der Beschwerdeführerin (sowie in ähnlicher Form von einigen Amici Curiae) vorgelegte Argument zugunsten einer engen Auslegung der Ausnahmebestimmung, wonach für medizinische Produkte Erzeugnisschutz gewährt wird, obwohl dadurch ebenfalls die Handlungsfreiheit des Arztes eingeschränkt werden könnte. Ob dieses Argument nun stichhaltig ist oder nicht - insbesondere aber, wenn ja -, lässt sich daran ablesen, dass die Patentierungserfordernisse wie auch die Kriterien für einen Ausschluss von der Patentierbarkeit von der allgemeinen Entscheidung abhängen, die der Gesetzgeber mit der Formulierung der entsprechenden Bestimmungen über die Grenzen zwischen patentierbaren und nicht patentierbaren Gegenständen getroffen hat.
Selbst wenn das nationale Recht wie das der Vereinigten Staaten, das zwar Patentschutz zulässt, aber vorsieht, dass keine Sanktionen gegen Ärzte verhängt werden können, die in Ausübung einer medizinischen Tätigkeit eine Patentverletzung begehen, tatsächlich bessere Lösungen kennte, hat sich der europäische Gesetzgeber doch für einen anderen Weg entschieden. So hat er bei der Revision des EPÜ die Ausnahmebestimmungen des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 sogar ganz bewusst aufrechterhalten und in den neuen Artikel 53 c) EPÜ überführt. Damit wurde der Grundsatz bestätigt, dass die Freiheit von Human- und Veterinärmedizinern, ihren Patienten die beste verfügbare Behandlung angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen, geschützt wird, und zwar dadurch, dass solche Aktivitäten von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Durch die Ausweitung des Patentierungsverbots auf mehrstufige Verfahren, die einen therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritt aufweisen oder umfassen, soll diesem gesetzgeberischen Zweck volle Wirksamkeit verliehen werden. Somit ist der in der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass das Vorhandensein auch nur eines therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritts in einem mehrstufigen Verfahren dieses Verfahren von der Patentierbarkeit ausschließt, nicht nur formal dadurch gerechtfertigt, dass der Ausschluss in Artikel 53 c) EPÜ keinerlei Einschränkung dahin gehend enthält, dass die dort definierten Verfahren nur auszuschließen sind, wenn sie als solche beansprucht werden. Er ist vielmehr auch in der Sache gerechtfertigt, denn er dient dem gesetzgeberischen Zweck, den es mit dem Ausschluss zu erreichen gilt.
3.2.4 Relevanz einer weiteren von der Beschwerdeführerin angeführten Aussage in der Stellungnahme G 1/04
Zur Stützung ihres weiteren Arguments, dass das - gegebenenfalls bestehende - Problem des Schutzes der Ärzteschaft besser im nationalen (Verletzungs?)Recht als über ein Patentierungsverbot geregelt werden könne, verweist die Beschwerdeführerin auf Nr. 6.1 der Begründung der Stellungnahme G 1/04, a. a. O., wo die Große Beschwerdekammer in Zusammenhang mit ihrer restriktiven Definition des Begriffs "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren" Folgendes ausführt:
"Da ein umfassender Schutz von Human- und Veterinärmedizinern erforderlichenfalls auch auf anderem Wege zu erreichen ist, und zwar insbesondere durch Rechtsvorschriften auf der nationalen Ebene der EPÜ-Vertragsstaaten, die diesen Personen ein Recht zur Ausführung der betreffenden Verfahren einräumen, ist eine enge Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots in dem oben beschriebenen Sinne gerechtfertigt."
Diese Ausführungen sind in ihrem Kontext zu sehen und dürften nicht isoliert betrachtet werden. Dieser Kontext umfasst zunächst den von der Großen Beschwerdekammer in genau dieser Stellungnahme ausdrücklich bestätigten Ansatz, dass ein Verfahrensanspruch unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Wie aus den Sätzen vor und nach der zitierten Aussage in Nr. 6.1 sowie aus Nr. 6.3 ff. der Begründung hervorgeht, ist zudem zu berücksichtigen, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist, auf europäischer Ebene im Rahmen des EPÜ zu definieren, wer als Mediziner anzusehen ist. Anschließend heißt es, dass das europäische Patenterteilungsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob solche Mediziner an einem Verfahren beteiligt sind. In Nr. 6.3 der Begründung wird dies näher ausgeführt, wo erneut auf die Bedeutung der Rechtssicherheit hingewiesen wird und mehrere Gründe angeführt werden, warum die Frage, ob ein Verfahren ein Verfahren (hier: ein Diagnostizierverfahren) im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 ist oder nicht, "weder von der Beteiligung eines Human- oder Veterinärmediziners abhängen [sollte] noch davon, dass alle Verfahrensschritte auch oder nur von medizinischem oder nichtmedizinischem Hilfspersonal vorgenommen werden können." Aus diesem Kontext ergibt sich also, dass das Argument, wonach der Schutz der Ärzteschaft erforderlichenfalls auch auf anderem Wege zu erreichen ist, lediglich der Erläuterung dienen sollte, dass die von der Großen Beschwerdekammer im Interesse der Rechtssicherheit für nötig befundene enge Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973, wonach darunter nur solche Verfahren zu verstehen sind, die auch den diagnostischen Schritt im strengen Sinne umfassen, keine völlig ungerechtfertigten Ergebnisse zeitigen würde, weil der nationale Gesetzgeber noch die Möglichkeit hat, die Human- und Veterinärmediziner stärker zu schützen, falls er dies für erforderlich hält.
Dieser Abschnitt bestätigt somit eher die These, wonach die Auslegung des Patentierungsverbots nach Artikel 53 c) EPÜ nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob eine Verletzung vorliegen würde oder nicht.
3.2.5 Schlussfolgerung
In Anbetracht dieser Ausführungen sieht die Große Beschwerdekammer keinen triftigen Grund, von dem in der Stellungnahme G 1/04, Nr. 6.2.1 der Begründung bestätigten Grundsatz abzuweichen, auf dem die gesamte bisherige Praxis und Rechtsprechung beruht und dem zufolge ein Verfahrensanspruch dann unter das jetzt in Artikel 53 c) EPÜ verankerte Patentierungsverbot für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fällt, wenn er auch nur ein Merkmal aufweist oder umfasst, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt.
3.3 Ist das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen auf chirurgische Eingriffe zu therapeutischen Zwecken begrenzt?
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass diese Frage im Rahmen der vorliegenden Sache nicht beantwortet werden müsse, weil die Vorlagefrage ausschließlich ein zu diagnostischen Zwecken ausgeführtes Verfahren betreffe. Auch wenn die Bedeutung des Begriffs "Chirurgie" nicht auf chirurgische Eingriffe zu therapeutischen Zwecken begrenzt wäre, wäre das Patentierungsverbot selbst dann nicht auf Verfahren zu diagnostischen Zwecken anwendbar, wenn diese Verfahren einen chirurgischen Schritt aufwiesen oder umfassten. Bei der Anwendung eines Verfahrens für diagnostische Zwecke müsse häufig auch ein potenziell chirurgischer Schritt - wie die Verabreichung eines Kontrastmittels - ausgeführt werden, um eine sinnvolle Diagnose zu erhalten. Betrachtete man solche Verfahren als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, so würde dadurch die in der Stellungnahme G 1/04 postulierte enge Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren aufgeweicht, wonach die Patentierung von Verfahren, die zwar auf die Erstellung einer sinnvollen Diagnose gerichtet seien, aber keine Diagnostizierverfahren im strengen Sinne darstellten, ausdrücklich zulässig sei.
Um patentfähig zu sein, muss eine beanspruchte Erfindung alle Patentierungserfordernisse erfüllen und darf nicht nach einer der Ausschlussbestimmungen des EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sein. Die drei alternativen Ausnahmen in Artikel 53 c) EPÜ sind daher kumulativ anzuwenden. Ein beanspruchtes Verfahren ist nur dann patentfähig, wenn es weder therapeutisch noch chirurgisch noch diagnostisch ist. Auch wenn die dem Vorlageverfahren zugrunde liegende Erfindung nicht als Diagnostizierverfahren im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, könnte sie also noch als Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn der Entscheidung T 383/03, in der das Patentierungsverbot auf Behandlungen zu therapeutischen Zwecken begrenzt wird, nicht gefolgt wird.
3.3.1 Bedeutung des Wortlauts der Bestimmung
In der Entscheidung T 182/90 (ABl. EPA 1994, 641) analysierte die Kammer die allgemeine Bedeutung des Begriffs "Chirurgie" und stellte fest, dass im heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch auch unter den nicht der Heilung dienenden Behandlungsverfahren eine chirurgische Behandlung verstanden werde, wenn sie sich der Chirurgie bedienten (Nrn. 2.2 bis 2.4 der Entscheidungsgründe). Diese Feststellung an sich wurde in den späteren Entscheidungen nicht infrage gestellt. Bestritten wurde aber, dass mit Artikel 52 (4) EPÜ 1973 solche Behandlungen von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollen.
Die Tatsache, dass es sich beim Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungsverfahren um eine von drei alternativen Ausnahmebestimmungen handelt, deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass jede dieser Alternativen andere Fälle abdeckt, weil die Aufnahme des Begriffs "chirurgisch" in Artikel 53 c) EPÜ sinnlos wäre, wenn der Bedeutungsgehalt dieser Alternative bereits vollständig in einer anderen Ausschlussalternative, nämlich der "therapeutischen Behandlung", enthalten wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Ausschlussbestimmung "chirurgisch" im ursprünglichen Entwurf des EPÜ nicht enthalten war, sondern erst später zu den Ausnahmen in Bezug auf therapeutische Verfahren und Diagnostizierverfahren hinzugefügt wurde. Daher ist es sinnvoll, vor einer Definition des Umfangs des Begriffs "chirurgisch" zunächst den rechtsgeschichtlichen Hintergrund und den Zweck seiner Aufnahme ins EPÜ zu beleuchten.
3.3.2 Rechtsgeschichtliche Aspekte
3.3.2.1 Das EPÜ 2000
Im Rahmen der Revision des EPÜ wurde der frühere Artikel 52 (4) EPÜ in Artikel 53 c) EPÜ überführt. Die in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 enthaltene Rechtsfiktion, wonach Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, "nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des Absatzes 1" gelten, wurde mit der Begründung gestrichen, dass nicht mehr mit dieser Rechtsfiktion argumentiert werden sollte, weil Behandlungs- und Diagnostizierverfahren aus Gründen des öffentlichen Gesundheitswesens von der Patentierbarkeit ausgenommen sind. Es wurde für angebracht erachtet, diese Erfindungen stattdessen unter den Ausnahmen von der Patentierbarkeit aufzuführen und alle Ausnahmebestimmungen in Artikel 53 EPÜ zusammenzuführen. Der verbleibende Text des früheren Artikels 52 (4) EPÜ 1973 wurde unverändert belassen, und es wurde davon ausgegangen, dass die Überführung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 in Artikel 53 c) EPÜ 2000 keine Änderungen der Praxis des EPA mit sich bringen werde (s. "Das revidierte Europäische Patentübereinkommen (EPÜ 2000), Synoptische Darstellung EPÜ 1973/2000 - Teil I: Die Artikel", ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 50).
Die Große Beschwerdekammer hat diese Auffassung in ihrer Stellungnahme G 1/04, a. a. O., Nrn. 10 und 11 der Begründung bestätigt, wo sie ausführte, dass ihre Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots für am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 auch nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 ihre Gültigkeit behalten werde.
Insofern sind bei der Frage nach der richtigen Bedeutung des Begriffs "chirurgische Behandlung" die vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 heranzuziehen.
3.3.2.2 Das EPC 1973 und die vorbereitenden Arbeiten ("Travaux préparatoires")
a) In der Entscheidung T 383/03 (ABl. EPA 2005, 159) leitete die Technische Beschwerdekammer 3.2.02 aus zwei Dokumenten der "Travaux préparatoires" ab, dass der Gesetzgeber nur solche chirurgischen Behandlungen von der Patentierbarkeit ausschließen wollte, die heilende Tätigkeiten betreffen, d. h. die geeignet sind, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tieres zu erhalten oder wiederherzustellen und Krankheiten vorzubeugen (s. Ende von Nr. 3.2 b) sowie Nr. 3.2 c) der Entscheidungsgründe). Das erste dieser Dokumente ist das (seinerzeit nur in deutscher und französischer Sprache abgefasste) Protokoll der 15. Sitzung der Arbeitsgruppe "Patente" (Brüssel, 19. - 29. Oktober 1964), 11821/IV/64-D, S. 4. Darin heißt es, dass "Heilmethoden der Human- und Veterinärmedizin einschließlich diagnostischer Verfahren vom Begriff der Erfindung ausgenommen sind". Laut der französischen Fassung 11821/IV/64-F dient die Vorschrift folgendem Zweck: "indiquer l'exception des méthodes curatives du corps humain ou des animaux y compris les méthodes de diagnostic". Beim zweiten angeführten Dokument handelt es sich um das Protokoll der 6. Sitzung der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens (Luxemburg, 19. - 30. Juni 1972), BR/219 d/72, wo es unter Nr. 27 im Zusammenhang mit einer Debatte über die Behandlung von Tieren heißt, "der Text besage ... lediglich, dass man alle therapeutischen Behandlungen an Tieren von der Patentierbarkeit ausschließen will , die als Maßnahmen zur Heilung von Tieren oder zur Linderung ihrer Leiden verstanden werden."
b) Bezüglich des ersten der von der Kammer 3.2.02 angeführten Dokumente ist darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt der Abfassung des Dokuments 11821/IV/64 ein Patentierungsverbot für chirurgische Verfahren noch nicht in Betracht gezogen worden war und sich die Ausführungen in diesem Dokument ausschließlich auf die vorgeschlagene Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in Bezug auf therapeutische und diagnostische Verfahren in den damaligen Artikel 9 beziehen. Die Formulierungen "Heilmethoden der Human- und Veterinärmedizin einschließlich diagnostischer Verfahren vom Begriff der Erfindung ausgenommen sind" bzw. "indiquer l'exception des méthodes curatives du corps humain ou des animaux y compris les méthodes de diagnostic" sind in diesem Kontext zu betrachten; eine Schlussfolgerung auf die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem erst später hinzugefügten Begriff "chirurgische Behandlung" geben wollte, kann daraus nicht abgeleitet werden.
c) Das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen wurde - erst - in der Sitzung der Arbeitsgruppe I (Luxemburg, 8. - 11. Juli 1969, s. Sitzungsprotokoll BR/7e/69, Nr. 22) in den Entwurf des Artikels 9 (2) aufgenommen, um ihn an den entsprechenden Entwurf der Regel 39.1 PCT anzupassen; allerdings sind dem Protokoll keine weiteren Informationen darüber zu entnehmen, wie die Verfasser des EPÜ den so in das Übereinkommen eingegangenen Begriff "chirurgische Behandlung" verstanden.
Was Regel 39.1 PCT anbelangt, so geht aus den Aufzeichnungen der Washingtoner Diplomatischen Konferenz zum PCT hervor, dass die Ursache für die Einführung der Regel die Befürchtung war, die Internationalen Recherchenbehörden könnten Schwierigkeiten haben, den Stand der Technik für Gegenstände zu recherchieren, die nach nationalem Recht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind (s. Records of the Washington Diplomatic Conference on the PCT, 1970, Regel 39, Nr. 1174 ff.). In den Aufzeichnungen ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung des japanischen Delegierten protokolliert, wonach chirurgische oder therapeutische Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers nach japanischem Patentrecht nicht patentierbar seien. Sie enthalten jedoch keine konkreten Angaben, warum chirurgische Verfahren als gesonderte Alternative in Regel 39.1 des PCT-Entwurfs aufgenommen wurden.
d) Im Rahmen der anschließenden Erörterungen zum EPÜ-Entwurf entwickelte sich eine ausführliche Diskussion um den (bis dahin noch nicht im EPÜ-Entwurf enthaltenen Verweis) auf den Ausschluss von "Tieren". Von verschiedenen Seiten wurde vorgeschlagen, diesen Verweis zu streichen,
i) weil es kaum möglich sei, zwischen Verfahren zur Züchtung von Tieren und Verfahren zum Schutz der Tiere vor Krankheiten zu unterscheiden (Protokoll der 9. Sitzung der Arbeitsgruppe I, Luxemburg, 12. bis 22. Oktober 1971, BR/135 d/71, Nr. 94),
ii) weil es schwierig sei, zwischen den rein tierärztlichen Behandlungsverfahren und sonstigen Verfahren zu unterscheiden, die beispielsweise die Viehzucht oder die Sterilisation bestimmter Insektenarten beträfen und eindeutigen industriellen Charakter haben könnten (Bericht über die 5. Tagung der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, 2. Teil - Anhörung der nichtstaatlichen internationalen Organisationen , Luxemburg, 26. Januar bis 1. Februar 1972, BR/169 d/72, Nr. 17), und
iii) damit die Rechtsprechung die Möglichkeit erhalte, zwischen veterinärmedizinischen Behandlungen und mehr "industriellen" Fällen (d. h. den vorstehend genannten Beispielen) zu unterscheiden (Bericht über die 5. Tagung der Regierungskonferenz, 1. und 3. Teil, Luxemburg, 24. und 25. Januar sowie 2. bis 4. Februar 1972, BR/168 d/72).
e) Das einzige Dokument, in dem ausdrücklich auf die Frage eingegangen wird, ob chirurgische Behandlungen von Tieren, die nicht therapeutischen, sondern vielmehr destruktiven Zwecken dienen (z. B. Sterilisation von Insekten), unter die Bestimmung fallen oder nicht, ist das von der Beschwerdeführerin angeführte Dokument, nämlich der Bericht über die 11. Sitzung der Arbeitsgruppe I vom 28. Februar bis 3. März 1972 in Luxemburg, BR/177 d/72. Darin heißt es unter Nr. 9 d): "Die Gruppe vertrat die Ansicht, dass solche Behandlungsarten in der Tat nicht unter diese Bestimmungen fielen, hielt es aber nicht für erforderlich, dies ausdrücklich im Text festzuhalten."
3.3.2.3 Schlussfolgerungen aus den "Travaux préparatoires"
Offenbar herrschte die Ansicht, bei der Frage der Patentfähigkeit bestimmter Arten der Behandlung von Tieren gehe es im allgemeineren Sinne darum, eine angemessene Unterscheidung zu treffen zwischen Verfahren zur gewerblichen Nutzung von Tieren, die patentierbar sein sollten, und Verfahren zur therapeutischen Behandlung von Tieren, die aus humanitären Gründen und Gründen des Gesundheitsschutzes von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollten (BR/168 d/72, Nr. 32). Weder aus BR/177 d/72 noch aus irgendeinem anderen Dokument der "Travaux préparatoires" - einschließlich des von der Kammer 3.2.02 angeführten Dokuments - geht jedoch die allgemeine Auffassung hervor, dass der Gesetzgeber mit der Wahl des Wortlauts von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 nur solche chirurgischen Verfahren von der Patentierbarkeit ausschließen wollte, die einen therapeutischen Charakter aufweisen.
3.3.2.4 Spätere Gesetzgebung
Dieselbe Schlussfolgerung ergibt sich auch aus dem Wortlaut der endgültigen Fassung der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. EPA 1999, 101). Die Präsidentin führt aus (s. Sachverhalt und Anträge, Nr. VIII, 6. oben), dass der erste Entwurf der EG-Richtlinie aus dem Jahr 1988 eine "Auslegungsvorschrift" enthalten habe, wonach der Ausschluss von am tierischen Körper zur chirurgischen Behandlung oder zur Diagnose angewandten Verfahren von der Patentierbarkeit oder aus dem Bereich der gewerblichen Anwendbarkeit für derartige Verfahren nur insoweit gelte, als solche Verfahren zu therapeutischen Zwecken angewandt würden; dieser Vorschrift liege die Überlegung zugrunde, dass der Gesetzgeber die Entwicklung chirurgischer Verfahren, die keinen therapeutischen, sondern einen gewerblichen Charakter aufwiesen, nicht ausreichend vorausgesehen habe. Die Vorschrift betraf aber nur Tiere und ist darüber hinaus weder im zweiten Entwurf noch in der endgültigen Fassung der Richtlinie zu finden. In Erwägungsgrund 35 der Richtlinie heißt es lediglich, dass die Richtlinie nicht die Vorschriften des nationalen Patentrechts berührt, wonach Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Auch haben die Verfasser des EPÜ diese Frage bei der Revision des EPÜ im November 2000 nicht wieder aufgegriffen, sondern Artikel 52 (4) EPÜ 1973 inhaltlich unverändert übernommen. Ihre erklärte Absicht war es, den Inhalt der Bestimmung in die Liste der Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu überführen und die bestehende Praxis fortzuführen.
3.3.2.5 Schlussfolgerungen aus Nr. 3.3.2
Somit scheint die normale Lesart des Wortlauts von Artikel 53 c) EPÜ als eine Bestimmung, die drei Alternativen enthält, die sich in ihrem Geltungsbereich unterscheiden, sodass der Ausschluss von "chirurgischen Behandlungen" nicht so aufgefasst werden kann, als beschränke er sich auf chirurgische Behandlungen zu therapeutischen Zwecken - denn die wären ja bereits dadurch vollständig abgedeckt, dass therapeutische Verfahren vom Patentschutz ausgenommen sind -, nicht im Widerspruch, sondern vielmehr im Einklang mit den vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 und dem Ergebnis späterer Gesetzgebungsinitiativen zu stehen.
3.3.3 Von der vorlegenden Kammer angeführte Rechtsprechung der Beschwerdekammer 3.2.02
In der Entscheidung T 182/90 (ABl. EPA 1994, 641) stellte die Beschwerdekammer unter Berufung auf die Richtlinien für die Prüfung fest, dass der Begriff "Chirurgie" nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung kennzeichne, was jedoch nicht in allen Fällen richtig sein müsse.
Nach dem heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch beschränke sich der Begriff "Behandlung" nicht auf eine Behandlung zu Heilzwecken, sondern könne sich auch auf Behandlungen zu anderen Zwecken als Heilzwecken erstrecken, so etwa kosmetische Behandlungen, Schwangerschaftsabbrüche, Kastrationen, Sterilisationen, künstliche Inseminationen, Embryotransplantierungen, Behandlungen zu Versuchs- und Forschungszwecken und die Entnahme von Organen, Haut oder Knochenmark bei einem lebenden Spender. Bedienten sich solche Behandlungen der Chirurgie, würden sie als chirurgische Behandlungen betrachtet (Nrn. 2.2, 2.4 und 2.5.2 der Entscheidungsgründe).
Dieser Ansatz wurde in der Entscheidung T 35/99 (ABl. EPA 2000, 447) bestätigt, worin es heißt (s. Leitsatz), dass physische Eingriffe, die unabhängig von ihrem spezifischen Zweck vorrangig der Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers dienen, an dem sie vorgenommen werden, "ihrem Wesen nach" Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 seien. Demnach gelte das Patentierungsverbot auch für die kosmetische Chirurgie sowie ganz allgemein für alle physischen Eingriffe, mit denen Funktionen des lebenden Organismus geändert werden sollen (z. B. Kastration zur Änderung der mit dem Geschlechtstrieb zusammenhängenden Körperfunktionen) und auch für die Entnahme von Körperteilen (z. B. zu Transplantationszwecken) (Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe). Nicht unter die Ausschlussbestimmung fielen nur "destruktive Behandlungen", d. h. Verfahren, die - gewollt oder ungewollt - mit dem Tod des "behandelten" Lebewesens enden, weil der Gesetzgeber mit den Ausnahmen für den medizinischen Bereich gesonderte Regelungen festgelegt habe (Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe). Daher sei ein Verfahren, das Schritte zur Einführung eines Katheters in das Herz umfasse, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
In der Entscheidung T 383/03 (ABl. EPA 2005, 159) befand die Kammer dagegen, dass bei einem Verfahren, das zwar eine nicht unerhebliche gewollte physische Einwirkung auf den Körper beinhaltet, die als chirurgischer Eingriff zu betrachten ist, aber eindeutig nicht potenziell geeignet ist, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tiers zu erhalten oder wiederherzustellen, sondern lediglich zu einer ästhetischen Verbesserung des Erscheinungsbilds dieser Person führt, die Ansprüche auf ein "kosmetisches Verfahren" gerichtet sind, das als solches nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt (Nr. 3.4 ff. der Entscheidungsgründe). Dementsprechend wurde das beanspruchte Verfahren zur Haarentfernung mittels optischer Strahlung für patentierbar erachtet.
Obwohl die von der vorlegenden Kammer angeführten späteren Entscheidungen T 1102/02 vom 13. Juli 2006 und T 9/04 vom 8. September 2006 offenbar vorrangig damit begründet wurden, dass die beanspruchten Erfindungen als rein technische Verfahren betrachtet wurden, die lediglich auf den Betrieb der verwendeten Geräte gerichtet waren und keineswegs ein Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 darstellten (s. Nr. 4.3.2 unten), wird in beiden Entscheidungen der in T 383/03 entwickelte Ansatz formal bestätigt, indem darauf verwiesen und zudem ausgeführt wird, dass es sich bei den betreffenden Verfahren "nicht um Verfahren handelt, die geeignet sind oder potenziell geeignet sind, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tiers zu erhalten oder wiederherzustellen und Krankheiten vorzubeugen (s. T 383/03, ABl. EPA 2005, 159, Nr. 3.2 bis 3.4 der Entscheidungsgründe)" (T 1102/02, Nr. 3 der Entscheidungsgründe, T 9/04, Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
3.3.4 Richtlinien für die Recherche/Prüfung
Auch in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (Stand: April 2009) wird nach wie vor der Ansatz verfolgt, dass der Begriff "Chirurgie" nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung kennzeichnet. Weiter heißt es dort, dass beispielsweise ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung für kosmetische Zwecke oder zur Verpflanzung eines Embryos vom Patentschutz ausgeschlossen ist (C-IV, 4.8.1).
In Teil III, Kapitel 9, Nr. 9.10 der PCT-Richtlinien für die internationale Recherche und die internationale vorläufige Prüfung heißt es ausdrücklich, dass die Chirurgie nicht auf Heilbehandlungen beschränkt ist, weil sie eher die Art der Behandlung kennzeichnet; Verfahren der kosmetischen Chirurgie können daher von der Recherche oder der vorläufigen Prüfung ausgeschlossen werden. Weiter oben wird unter Nr. 9.09 ausgeführt, dass zu einer kosmetischen Behandlung, die einen chirurgischen Eingriff umfasst, jedoch keine Recherche oder vorläufige Prüfung durchgeführt werden muss (s. Nr. 9.10, letzter Satz).
3.3.5 Stellungnahme G 1/04
In der Stellungnahme G 1/04, a. a. O der Großen Beschwerdekammer heißt es in Nr. 6.2.1 der Begründung: "Chirurgische Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ [1973] umfassen alle physischen Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist."
In dieser Stellungnahme befasste sich die Große Beschwerdekammer vorrangig mit der Bedeutung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 und nicht mit der Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung". Ihre Ausführungen zu chirurgischen oder therapeutischen Verfahren in diesem Zusammenhang dienen nur dazu, diese Verfahren von Diagnostizierverfahren abzugrenzen, die per Definition mehrstufige Verfahren sind. Außerdem deutet schon die Verwendung des Begriffs "umfassen" im zitierten Satz darauf hin, dass die Große Beschwerdekammer damit keine erschöpfende Definition des Begriffs "Verfahren zur chirurgischen Behandlung" geben wollte.
Die Aussage, dass chirurgische Behandlungen physische Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper umfassen, "bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist", bedeutet nicht, dass der Begriff "chirurgische Behandlung" nur therapeutische Verfahren umfasst. Ganz offensichtlich ist außer bei destruktiven Verfahren bei allen chirurgischen Verfahren, d. h. auch im Falle der bereits erwähnten Beispiele der kosmetischen Chirurgie, der Organentnahme und der Embryoverpflanzung, aber auch der in der vorliegenden Anmeldung beanspruchten bildgebenden Verfahren - insbesondere wenn sie potenziell riskante Eingriffe wie eine Injektion in das Herz umfassen - die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung. Daher kann die Definition der Großen Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 nicht in dem Sinne zu verstehen sein, dass nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer der Begriff "chirurgische Behandlung" auf die therapeutische Chirurgie beschränkt ist. Die Definition fügt sich vielmehr sehr gut in die bisherige Rechtsprechung ein: In den Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 heißt es, dass unter dem Begriff "chirurgische Behandlung" solche Eingriffe zu verstehen sind, die unabhängig von ihrem spezifischen Zweck vorrangig der Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers dienen, an dem sie vorgenommen werden (T 35/99, a. a. O., Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe), dass jedoch der Begriff angesichts des Zwecks des Patentierungsverbots, nämlich für den medizinischen Bereich gesonderte gesetzliche Regelungen festzulegen, nicht so breit ausgelegt werden kann, dass darunter auch destruktive Verfahren fallen, d. h. Verfahren, die bewusst (gewollt oder ungewollt) mit dem Tod des "behandelten" Lebewesens enden (T 182/90, a. a. O., Nr. 2.5.2 der Entscheidungsgründe; T 35/99, a. a. O., Nr. 3 ff. der Entscheidungsgründe). Solche Verfahren können nicht als Verfahren betrachtet werden, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist. Daher kann die von der Großen Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 aufgestellte Definition als solche nicht so ausgelegt werden, dass sie über den in den Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 entwickelten Ansatz hinausgeht.
Ebenso wenig kann das in diesem Zusammenhang genannte Beispiel der Lumbalpunktion dahin gehend interpretiert werden, dass die Große Beschwerdekammer unter "chirurgische Behandlungen" nur solche Verfahren versteht, die einem therapeutischen Zweck dienen. Die Tatsache, dass die Große Beschwerdekammer therapeutische chirurgische Behandlungen als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen betrachtet, sagt nichts darüber aus, welche Position sie in Bezug auf nicht therapeutische chirurgische Behandlungen einnehmen würde.
3.3.6 Gesetzeszweck des Artikels 53 c) EPÜ
Wie oben ausgeführt, geht aus den "Travaux préparatoires" kein genauer Rechtszweck hervor, zu dem das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen in das EPÜ aufgenommen wurde. Was den übergeordneten Zweck des Patentierungsverbots für therapeutische und chirurgische Verfahren sowie für Diagnostizierverfahren anbelangt, so war hingegen schon unter dem EPÜ 1973 allgemein anerkannt, dass der eigentliche Grund für die Ausnahme dieser Verfahren von der Patentierbarkeit sozialethische Erwägungen und Aspekte des Gesundheitsschutzes waren. Die Rechtsfiktion der mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit als Begründung für den Ausschluss von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und von Diagnostizierverfahren von der Patentierbarkeit war nur der Rechtsmechanismus, um dies zu erreichen. Human- und Veterinärmedizinern sollte es freistehen, ihren Patienten die ihrer Erfahrung und Kenntnis nach beste verfügbare Behandlung zu dem optimalen Nutzen angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen. Durch die Überführung von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 in Artikel 53 c) EPÜ haben die Verfasser des EPÜ 2000 diesen Gedanken sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht.
3.3.7 Auswirkung des Gesetzeszwecks auf die Auslegung des Begriffs "chirurgische Behandlung"
Zumindest im Falle des Menschen würde eine Begrenzung des Patentierungsverbots auf therapeutische chirurgische Verfahren dem Zweck des Verbots nicht vollständig gerecht und verliehe ihm auch nicht die volle Wirkung. Insbesondere bei schweren und riskanten chirurgischen Eingriffen, wie sie in der kosmetischen Chirurgie, bei Organtransplantationen, Embryoverpflanzungen, Geschlechtsumwandlungen, Sterilisationen und Kastrationen vorkommen, d. h. bei chirurgischen Verfahren, deren Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und die, selbst wenn sie mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden sind, ist der Gesetzeszweck des Patentierungsverbots - nämlich die Mediziner davor zu bewahren, bei der Anwendung der bestmöglichen Behandlung ihrer Patienten möglicherweise durch Patentrechte behindert zu werden - von entscheidender Bedeutung und bedingt den Ausschluss solcher Verfahren von der Patentierbarkeit.
Auch wenn man im Falle von Tieren grundsätzlich die Auffassung vertreten könnte, dass chirurgische Verfahren wie Organtransplantation, Embryoverpflanzung, Sterilisation und Kastration als potenziell patentfähige gewerblich anwendbare Verfahren zu betrachten sind, ist die Sachlage nach dem EPÜ doch so, dass sich der Gesetzgeber anders entschieden hat: Nach langen Beratungen wurde aus Gründen des Gesundheitsschutzes beschlossen, das Patentierungsverbot auf Tiere auszudehnen und dabei dieselben Kriterien anzuwenden wie beim Menschen; auch als dieses Thema in jüngerer Zeit im Rahmen der Abfassung der EG-Biotechnologierichtlinie erneut erörtert wurde, war das Ergebnis immer noch dasselbe (s. Nr. 3.3.2.4 oben). Demnach darf bei der Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots nicht zwischen Menschen und Tieren unterschieden werden.
3.3.8 Auswirkung des Ansatzes in T 383/03
Wie die Präsidentin in Nr. 13 ff. ihrer Stellungnahme ausführlich dargelegt hat, führte der in T 383/03 angewandte Ansatz dazu, dass der Begriff "therapeutisch" im Zusammenhang mit einer "therapeutischen Behandlung" und einer "chirurgischen Behandlung" unterschiedlich definiert wird.
3.3.8.1 Erstens ist anerkannt, dass im Falle der "therapeutischen Behandlung" eine symptomatische Therapie, mit der ein Symptom, aber nicht die ursächliche Krankheit geheilt wird, von der Patentierbarkeit auszuschließen ist, während diese Vorgehensweise in Bezug auf potenziell chirurgische Verfahren nicht - oder zumindest nicht im gleichen Maße - anerkannt zu sein scheint. In der Entscheidung T 383/03 führte die Kammer in einem "obiter dictum" aus, dass sowohl ein chirurgisches Verfahren zur Brustvergrößerung als auch eine Nasenkorrektur unter Artikel 52 (4) EPÜ 1973 fallen, weil diese Verfahren auch zur Wiederherstellung der physischen Unversehrtheit des Körpers angewandt werden können (z. B. nach einer Krebsoperation oder nach einem Verkehrsunfall). Dagegen wurde ein Verfahren zur Haarentfernung mittels optischer Strahlung nicht als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen befunden, wobei die Kammer jedoch einräumte, dass übermäßige (unerwünschte) Behaarung durch eine Reihe von Pathologien hervorgerufen und daher als Symptom einer Krankheit betrachtet werden kann. Das Verfahren wurde trotzdem für patentfähig erachtet, weil die Behaarung als solche nicht schädlich ist und weder mit ihrer Entfernung die Ursache von unerwünschtem Haarwuchs behandelt wird noch die Haarentfernung für die physische Gesundheit der behandelten Person relevant ist (Nrn. 4.1 und 4.2 der Entscheidungsgründe).
3.3.8.2 Zweitens geht aus dieser Definition hervor, dass nach Auffassung der Kammer in T 383/03 bei der erläuterten zweckbestimmten Auslegung nur Aspekte berücksichtigt werden sollten, die für die physische Gesundheit relevant sind, während der Begriff "therapeutische Behandlung" auch Behandlungen einschließt, die auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der mentalen Gesundheit des Patienten gerichtet sind. Die Präsidentin führt hierzu an, dass beispielsweise die Kosten für otoplastische Operationen zur Korrektur abstehender Ohren bei Kindern unter bestimmten Umständen von deutschen Krankenkassen übernommen werden.
3.3.8.3 Drittens müsste bei Verfahren, die allgemein als chirurgische Behandlung gelten und zu therapeutischen wie auch zu nicht therapeutischen Zwecken, z. B. aus ästhetischen oder anderen persönlichen Gründen, durchgeführt werden können, in jedem Einzelfall neu entschieden werden, ob sich die nicht therapeutische Wirkung von der therapeutischen Wirkung unterscheiden lässt. Wenn nicht, ist das beanspruchte Verfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (s. die in T 1172/03 der Kammer 2.2.05, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe angeführten Entscheidungen).
3.3.8.4 Während die Kammer in der Entscheidung T 383/03 der Heilung eines Symptoms (übermäßige Behaarung) den therapeutischen und damit chirurgischen Charakter absprach, wobei sie einräumte, dass übermäßige Behaarung ein Symptom für eine Krankheit sein kann, bestätigte die Kammer in der Sache T 1172/03 den therapeutischen und damit chirurgischen Charakter eines als kosmetisch beanspruchten chirurgischen Verfahrens zur Straffung der Hautoberfläche durch Leitung von elektromagnetischer Energie durch die Hautoberfläche und die Epidermis bis zu einer tieferen, Kollagen enthaltenden Gewebestelle mit der Begründung, dass das beanspruchte Verfahren für verschiedene therapeutische Zwecke einschließlich der Anwendung an Gesicht und Hals zu rekonstruktiven Zwecken eingesetzt werden kann.
3.3.8.5 Bei einem Vergleich der den Entscheidungen T 1172/03 und T 383/03 zugrunde liegenden Fälle ist zumindest nicht auf den ersten Blick offensichtlich, warum die Entfernung übermäßiger Behaarung keine therapeutische Behandlung darstellt, obwohl die Ursache für den übermäßigen Haarwuchs eine Krankheit ist und es sich somit um die Heilung eines Krankheitssymptoms handelt, während die "Änderung der Konsistenz und Anordnung von Weichgewebe" auch bei einer Begrenzung auf kosmetische Verfahren nur deshalb von der Patentierbarkeit ausgeschlossen wird, weil sie auch für rekonstruktive (d. h. therapeutische) Zwecke eingesetzt werden kann (T 1172/03, Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe).
3.3.8.6 Die vorstehenden Überlegungen und insbesondere der Vergleich zwischen T 1172/03 und T 383/03 und zeigen, wie uneinheitlich die Entscheidungen ausfallen könnten, wenn man den Begriff "chirurgische Behandlung" auf therapeutische chirurgische Behandlungen beschränkt. Sicher ist es oft schwierig, eine genaue Abgrenzung zwischen nicht patentierbaren therapeutischen und patentierbaren kosmetischen Behandlungen zu treffen. Dieses Problem kann hier jedoch nicht umgangen werden, da Artikel 53 c) EPÜ ausdrücklich nur therapeutische Verfahren von der Patentierbarkeit ausschließt (nicht aber kosmetische Verfahren) und dieser Ausschluss nicht auf Behandlungsverfahren ausgeweitet werden kann, die ihrem Charakter nach nicht therapeutisch sind (T 1172/03, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe mit Bezugnahme auf T 144/83, ABl. EPA 1986, 301).
3.3.9 Rechtsvergleich
In den Nummern 54 bis 58 ihrer Stellungnahme vergleicht die Präsidentin die Rechtslage nach dem PCT sowie nach schweizerischem, deutschem und britischem Recht (s. Sachverhalt und Anträge, Nr. VIII, 4. oben) und führt aus, dass nach diesen Rechtsordnungen und -praktiken die Art der Behandlung entscheidend ist und das Patentierungsverbot nicht auf die therapeutische Chirurgie beschränkt ist (siehe z. B. den Verweis in Fußnote 68 der Stellungnahme der Präsidentin auf eine Entscheidung des Bundespatentgerichts, in der ein Verfahren zum Implantieren von Haarbündeln für nicht patentierbar erachtet wurde, weil es sich um ein chirurgisches Verfahren handelte ("Glatzenoperation")). Dies steht in direktem Gegensatz zur Entscheidung T 383/03 - mit dem einzigen Unterschied, dass es dort nicht um Haarimplantation, sondern um Haarentfernung ging. Wie die Präsidentin berichtet, heißt es in den Prüfungsrichtlinien des britischen Patentamts ausdrücklich, dass der in T 383/03 entwickelte Ansatz nicht angewendet wird. Interessanterweise stammt das einzige von der Beschwerdeführerin angeführte Vergleichsbeispiel aus dem US-Recht, das völlig anders gelagert ist.
3.3.10 Schlussfolgerung
Zusammenfassend ergibt sich, dass weder die Rechtsgeschichte noch Ziel oder Zweck ("ratio legis") der Ausnahmebestimmungen in Artikel 53 c) EPÜ es rechtfertigen, den Begriff "chirurgische Behandlung" auf chirurgische Heilbehandlungen zu beschränken; eine solche Beschränkung ließe sich weder mit der landläufigen Bedeutung des Wortes "chirurgisch" vereinbaren noch mit der Tatsache, dass in Artikel 53 c) EPÜ drei separate alternative Ausschlüsse definiert werden, was darauf hindeutet, dass diese in ihrer Reichweite nicht einfach deckungsgleich sind.
Die Große Beschwerdekammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Begriff "chirurgische Behandlung" nicht dahin gehend auszulegen ist, dass er auf chirurgische Verfahren beschränkt ist, die einem therapeutischen Zweck dienen.
3.4 Umfang von Eingriffen, die eine "chirurgische Behandlung" darstellen
3.4.1 Ist die Beteiligung eines Mediziners erforderlich?
Diese Frage wurde von der Großen Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04, Nr. 6.3 der Begründung umfassend erörtert und beantwortet, und die Große Beschwerdekammer wird hier nicht nochmals im Einzelnen darauf eingehen. Die Frage, ob ein Verfahren nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit auszuschließen ist, kann nicht davon abhängen, wer dieses Verfahren ausführt. Die Feststellungen der Großen Beschwerdekammer in Nr. 6.3 der Begründung beziehen sich zwar auf Diagnostizierverfahren, betreffen aber ganz allgemein das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 und sind daher auch auf die anderen im jetzigen Artikel 53 c) EPÜ enthaltenen Ausschlussbedingungen anwendbar. Dass die Verfasser des EPÜ die ihnen damals im Zusammenhang mit Human- und Veterinärmedizinern problematisch erscheinenden Aspekte erörtert haben, kann kein Grund sein, die Anwendung der Ausschlussbestimmung nicht an die sich im Zuge des technischen Fortschritts verändernden Gegebenheiten im Bereich der Human- und Veterinärmedizin anzupassen, wobei sich mit diesem Fortschritt auch wandelt, wer wie im Gesundheitswesen tätig wird (s. Stellungnahme G 1/04, Nr. 6.3 der Begründung).
3.4.2 Eingriffe, die ihrem Wesen nach eine "chirurgische Behandlung" sind
3.4.2.1 Breite Auslegung
Die in der Entscheidung T 182/90, Nrn. 2.2 und 2.3 der Entscheidungsgründe entwickelte breite Auslegung des Begriffs "chirurgischer Charakter von Eingriffen", die darunter jede nicht unerhebliche Einwirkung auf die Struktur eines Organismus durch konservative (nicht invasive, unblutige) Verfahren wie Reposition oder operative (blutige) Eingriffe mit Instrumenten einschließlich Endoskopie, Punktion, Injektion, Exzision, Eröffnung von Körperhöhlen und Katheterisierung umfasst, wurde in T 383/03 und den ihr folgenden späteren Entscheidungen, in denen der therapeutische Zweck als zusätzliche Voraussetzung für die Ausnahme von der Patentierbarkeit festgelegt wurde, nicht infrage gestellt.
Die derzeitige Praxis des EPA und der von der Präsidentin vertretene Standpunkt sind in den Nummern 64 bis 72 und insbesondere den Nummern 68 bis 70 ihrer Stellungnahme dargelegt. Auf der Grundlage der Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 werden alle Verfahren, die mit einer unumkehrbaren Schädigung oder Zerstörung von lebenden Zellen oder Gewebeteilen des lebenden Körpers einhergehen, als nicht unerhebliche Einwirkung und somit - unabhängig von der Art des Eingriffs (z. B. mechanisch, elektrisch, thermisch, chemisch) - als chirurgische Behandlung betrachtet.
3.4.2.2 Ist diese breite Auslegung immer noch gerechtfertigt?
Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer kritisiert die Beschwerdeführerin zurecht, dass die derzeitige großzügige Auslegung dessen, was als eine von der Patentierbarkeit ausgeschlossene chirurgische Tätigkeit anzusehen ist, angesichts der heutigen technischen Realität übermäßig breit ist.
Die Fortschritte im Bereich der Sicherheit und die Tatsache, dass verschiedene, wenn auch invasive Techniken mittlerweile - zumindest an nicht lebenswichtigen Körperteilen - routinemäßig angewendet werden, haben dazu geführt, dass viele solcher Verfahren inzwischen in der Regel in einer nicht medizinischen, kommerziellen Umgebung wie in Kosmetikstudios oder Schönheitssalons ausgeführt werden, sodass es kaum noch gerechtfertigt erscheint, solche Verfahren von der Patentierbarkeit auszuschließen. Dies ist generell der Fall bei Behandlungen wie Tätowieren, Piercen, Haarentfernung mittels optischer Strahlung und Mikrodermabrasion.
Für die Durchführung von Routineeingriffen in der Medizin muss dann aber dasselbe gelten.
Heutzutage sind in der Medizin zahlreiche fortschrittliche Technologien verbreitet, die den Einsatz technischer Geräte umfassen, die nur funktionieren, wenn sie in irgendeiner Weise mit dem Patienten verbunden sind. Verfahren zum Erheben von Patientendaten für Diagnosezwecke können die Verabreichung eines Wirkstoffs an den Patienten erfordern, möglicherweise durch einen invasiven Schritt wie eine Injektion, damit Ergebnisse erzielt werden können, oder liefern zumindest bessere Ergebnisse, wenn ein solcher Schritt ausgeführt wird.
Angesichts dieser technischen Realität scheint der Ausschluss grundsätzlich sicherer und routinemäßig angewandter - wenn auch invasiver - Verfahren von der Patentierbarkeit über den Zweck des Patentierungsverbots für chirurgische Behandlungen im Interesse des Gesundheitsschutzes hinauszugehen.
Insofern scheint die Definition in der Stellungnahme G 1/04, wonach "jeder physische Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper" ein chirurgisches Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 darstellt (Nr. 6.2.1 der Begründung), zu breit gefasst.
3.4.2.3 Aspekte einer engeren Auslegung
Daher ist ein engeres Verständnis dessen vonnöten, was seinem Wesen nach eine "chirurgische Behandlung" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist. Es muss dem Zweck des Patentierungsverbots entsprechen, darf aber nicht darüber hinausgehen. Die Ausschlussbestimmung dient im Interesse des Gesundheitsschutzes und der Patienten dem konkreten Zweck, die Ärzteschaft von Einschränkungen zu befreien, die durch Patente auf chirurgische oder therapeutische Behandlungsverfahren entstehen könnten, sodass die Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung" die Arten von Eingriffen abdecken muss, die die Kerntätigkeit des Arztberufs ausmachen, d. h. Eingriffe, für die der Berufsstand der Ärzte speziell ausgebildet wird und für die Ärzte besondere Verantwortung übernehmen.
Gemeint sind damit physische Eingriffe am Körper, deren Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und die, selbst wenn sie mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden, mit einem Gesundheitsrisiko verbunden sind. An dieser Stelle kommt der Gesetzeszweck der Bestimmung ins Spiel: Die Ärzteschaft soll von patentrechtlichen Einschränkungen befreit werden. Eine solche engere Auslegung schließt Verfahren vom Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung aus, die unkritisch sind und nur einen minimalen Eingriff und kein wesentliches Gesundheitsrisiko umfassen, wenn sie mit der erforderlichen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden, und bietet den Ärzten dennoch einen angemessenen Schutz.
Ein Amicus Curiae wies darauf hin, dass die Verabreichung von Diagnostika häufig mit Nebenwirkungen verbunden sei. Daher ist klarzustellen, dass ein chirurgisches Verfahren nur dann von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, wenn sich das damit verbundene Gesundheitsrisiko aus der Verabreichungsart und nicht nur aus dem Wirkstoff selbst ergibt.
Auch wurde auch zu bedenken gegeben, dass es absurd wäre, die Verabreichung eines Diagnostikums durch Injektion von der Patentierbarkeit auszuschließen, nicht aber die Verabreichung mittels Inhalation. Es obliegt der Großen Beschwerdekammer nicht zu entscheiden, ob ein Verfahren, das die Injektion eines Kontrastmittels umfasst, nach der hier gegebenen Definition der "chirurgischen Behandlung" tatsächlich von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Aus patentrechtlicher Sicht ist das Argument aber nicht stichhaltig, weil im Gegensatz zu einem früheren Entwurf von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 weder die endgültige Fassung dieses Artikels noch Artikel 53 c) EPÜ ein umfassendes Patentierungsverbot für medizinische Verfahren generell vorsieht. Beide Vorschriften schließen lediglich die in den Artikeln aufgeführten therapeutischen und chirurgischen Verfahren sowie Diagnostizierverfahren von der Patentierbarkeit aus. Die geltende Rechtslage war und ist also, dass Schritte, die weder ein therapeutisches noch ein diagnostisches noch ein chirurgisches Verfahren sind, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind.
3.4.2.4 Umfang der in dieser Entscheidung festgelegten Definition
Es ist der Großen Beschwerdekammer eindeutig nicht möglich, im Rahmen dieser Vorlage eine neue Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung" festzulegen, die diesen neuen Ansatz ein für allemal in Bezug auf sämtliche potenziell darunter fallenden technischen Entwicklungen genau eingrenzt.
Eine solche Aufgabe würde weit über den Rahmen der Vorlagefrage 1 hinausgehen. Die der Vorlage zugrunde liegenden Umstände umfassen laut Vorlageentscheidung einen invasiven Schritt, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der mit einem Gesundheitsrisiko verbunden ist. Zur Beantwortung von Frage 1 muss die Große Beschwerdekammer somit den Umfang des Begriffs "chirurgische Behandlung" so weit bestimmen, dass die vorlegende Kammer auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der in der strittigen Anmeldung beanspruchte Schritt unter diese Definition fällt oder nicht.
Außerdem soll dadurch eine Richtung vorgegeben werden, in die sich Praxis und Rechtsprechung künftig zu entwickeln haben. Dabei sollte das Patentierungsverbot nicht auf Verfahren angewendet werden, deren Ausschluss weder im Interesse des Gesundheitsschutzes noch zum Schutze der Patienten noch als Gegengewicht zur Freiheit der Ärzte erforderlich ist, ihren Patienten die ihnen angemessen erscheinende Behandlung angedeihen zu lassen.
In Situationen, die anders sind als der Vorlagesachverhalt, können die erstinstanzlichen Organe und die Beschwerdekammern viel besser - nämlich unter Berücksichtigung der technischen Realität des jeweiligen Einzelfalls - die Grenzen eines enger ausgelegten Konzepts der "chirurgischen Behandlung" abstecken.
So sind möglicherweise das erforderliche medizinische Fachwissen und das jeweilige Gesundheitsrisiko nicht die einzigen Kriterien, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, ob ein beanspruchtes Verfahren tatsächlich ein "chirurgisches Verfahren" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist. Die vorlegende Kammer und die Präsidentin haben den Invasivitätsgrad oder die Komplexität des vorgenommenen Eingriffs genannt, die im der Vorlageentscheidung zugrunde liegenden Fall aber nicht relevant erscheinen. Zumindest enthält die Vorlageentscheidung keine Hinweise auf derartige Tatbestände, die die Große Beschwerdekammer bei ihrer Antwort zu berücksichtigen hätte. Obwohl Eingriffe, die einen hohen Komplexitäts- und/oder Invasivitätsgrad aufweisen, in der Regel wahrscheinlich auch medizinische Fachkenntnisse erfordern und - selbst wenn sie mit der erforderlichen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden - mit einem gewissen Gesundheitsrisiko verbunden sind, will die Große Beschwerdekammer nicht von vornherein die Möglichkeit ausschließen, dass je nach den Umständen im Einzelfall auch andere Kriterien bei der Beantwortung der Frage herangezogen werden könnten, ob ein physischer Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper eine "chirurgische Behandlung" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist.
3.4.2.5 Variabilität des Konzepts der "Chirurgie" im medizinischen Sinne
Ein weiterer Grund, warum die Große Beschwerdekammer im Rahmen dieser Vorlage keine verbindliche und allgemein gültige Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung" geben kann, besteht darin, dass wohl auch der Begriff "Chirurgie" angesichts des ständigen technischen und medizinischen Wandels keine allgemein gültige feste Bedeutung hat. So scheint es kein allgemein anerkanntes Konzept für die Handlungen zu geben, die generell als chirurgisch im medizinischen Sinne zu betrachten sind. Vielmehr scheint es weitgehend eine Frage der Konvention zu sein, was unter "chirurgisch" im medizinischen Sinne zu verstehen ist. So muss ein chirurgischer Eingriff nicht notwendigerweise invasiv sein oder Gewebe durchdringen (T 5/04 vom 17. Januar 2006, Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Die Reposition von Gliedmaßen oder die Manipulation von Köperteilen gilt traditionell als chirurgisches Verfahren. Bereits die bloße Katheterisierung oder Einführung von Geräteteilen in den Körper ist als chirurgischer Verfahrensschritt von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, auch wenn dabei kein Gewebe durchdrungen werden muss (T 5/04, a. a. O.). Daraus folgt, dass der Begriff "chirurgisch" - wie schon in der Entscheidung T 182/90, a. a. O., Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe angeführt - im Laufe der Zeit und angesichts neuer technischer Entwicklungen durchaus einen Bedeutungswandel erfahren kann.
3.4.2.6 Entwicklung eines neuen Ansatzes
Es lässt sich gewiss nicht immer leicht feststellen, ob die Ausführung eines in einem Anspruch enthaltenen invasiven Schritts, der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, medizinische Fachkenntnisse erfordert und ob er, selbst wenn er mit der erforderlichen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden ist. Allerdings hat selbst die für die erstinstanzlichen Organe sprechende Präsidentin in Bezug auf ein etwaiges Invasivitätskriterium eingeräumt, dass es zwar nicht einfach sei, klare Grenzen zu ziehen, aber man davon ausgehen könne, dass ein solches Kriterium im Einzelfall mit ganz angemessenen und akzeptablen Ergebnissen angewandt würde, wie es derzeit bereits bei der Definition der Fall sei, was ein "nicht unerheblicher" Eingriff sei, der Kennzeichen einer "Behandlung" sei.
Einige der mit Entwicklungen im Bereich der Medizintechnik befassten Amici Curiae, auf deren Tätigkeit sich das Patentierungsverbot für chirurgische Verfahren auswirken könnte, wiesen darauf hin, wie wichtig die Rechtssicherheit sei, damit von vornherein beurteilt werden könnte, welche Entwicklungen potenziell patentierbar seien und welche nicht. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist es jedoch nicht minder wichtig, solchen Erfindungen den ihnen gebührenden Patentschutz zu gewähren und zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Patentierungsverbot und Patentierbarkeit zu finden. Ändert sich die Auslegung eines Patentierbarkeitskriteriums - ob positiv formuliertes Erfordernis oder Ausschlussbestimmung -, so ist es normal und unvermeidlich, dass die Entwicklung einer einheitlichen Linie für die Anwendung des neuen Konzepts in Praxis und Rechtsprechung eine gewisse Zeit und die Entscheidung einiger einschlägiger Fälle erfordert. Es ist unvermeidlich, dass im jetzigen Vorlageverfahren unter Umständen noch Fragen offen bleiben, deren Beantwortung sich für die Entscheidung künftiger Fälle möglicherweise als entscheidend herausstellt. Allerdings gibt es so viele Verfahren, die potenziell chirurgische Verfahrensschritte umfassen, dass jede Fallkategorie gesondert bewertet werden muss. Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer kann dies aber kein Grund dafür sein, Lösungen abzulehnen, da der bisherige Ansatz nicht zufriedenstellend ist.
3.4.2.7 Schlussfolgerungen
Aus den vorstehend genannten Gründen hält es die Große Beschwerdekammer für angemessen, im Rahmen dieser Vorlage den Begriff "Verfahren zur chirurgischen Behandlung" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ nur so weit zu definieren, wie es für die Entscheidung der vorlegenden Kammer nötig ist, ob die in der strittigen Anmeldung beanspruchten Schritte unter diesen Begriff fallen oder nicht. Laut der vorlegenden Kammer betrifft der Frage 1 zugrunde liegende Fall einen invasiven Schritt (nämlich eine Injektion in das Herz), der einen erheblichen physischen Eingriff am Körper darstellt, dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem Gesundheitsrisiko verbunden ist. Auf diesen Aspekt ist daher die Antwort der Großen Beschwerdekammer gerichtet.
4. Frage 2:
Falls die Frage 1 bejaht wird, könnte dann der Ausschluss vom Patentschutz vermieden werden, indem der Wortlaut des Anspruchs so geändert wird, dass der fragliche Schritt weggelassen oder durch einen Disclaimer ausgeklammert wird oder der Anspruch ihn zwar umfasst, aber sich nicht darauf beschränkt?
4.1 Anspruch, der immer noch einen chirurgischen Verfahrensschritt umfasst
Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss ein Anspruch, der eine nach dem jetzigen Artikel 53 c) EPÜ bzw. dem früheren Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Ausführungsform umfasst, geändert werden.
Dagegen bringt die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Entscheidung G 1/98 (ABl. EPA 2000, 111) der Großen Beschwerdekammer vor, dass ein stärker abstrahierter Anspruch, der einen vom Patentschutz ausgeschlossenen Gegenstand umfasse, ohne ihn ausdrücklich zu beanspruchen, zulässig sein solle. In G 1/98 hatte die Große Beschwerdekammer befunden, dass ein Anspruch, in dem bestimmte Pflanzensorten nicht individuell beansprucht werden, nicht nach Artikel 53 b) EPÜ 1973 vom Patentschutz ausgeschlossen ist, auch wenn er möglicherweise Pflanzensorten umfasst (Leitsatz I).
In Nr. 3.3.3 der Begründung dieser Entscheidung stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass die von der damaligen vorlegenden Kammer aufgestellte Regel, wonach eine Erfindung nicht patentierbar ist, wenn sie eine Ausführungsart umfasst, die die Patentierungserfordernisse nicht erfüllt, nicht ohne Ausnahme gilt. Die vorlegende Kammer hatte sich bei der Formulierung dieser allgemeinen Regel unter anderem auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Fällen gestützt, die Artikel 52 (4) EPÜ 1973 betrafen (Nr. 63 der Entscheidungsgründe der Vorlageentscheidung T 1054/96, ABl. EPA 1998, 511).
Die Beispiele, die die Große Beschwerdekammer als Nachweis dafür anführt, dass die von der vorlegenden Kammer aufgestellte Regel nicht ohne Ausnahme gilt, betreffen jedoch nicht Artikel 52 (4) EPÜ 1973, sondern Artikel 53 a) EPÜ und Artikel 83 EPÜ 1973. Die Feststellungen der vorlegenden Kammer zu Artikel 52 (4) EPÜ 1973 wurden somit von der Großen Beschwerdekammer nicht infrage gestellt.
Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist bei der Beantwortung der Frage "Welche Auslegung ist die richtige?" dem Zusammenhang wie auch dem Sinn und Zweck der Bestimmung Rechnung zu tragen.
Hinsichtlich Artikel 53 b) EPÜ 1973 ist festzustellen, dass diese Bestimmung nicht auf der Vorstellung basiert, dass für Pflanzensorten kein Patentschutz erlangt werden sollte (s. Ende von Nr. 3.4 sowie Nr. 3.6 der Entscheidungsgründe), sondern auf der Idee, den im EPÜ verankerten Ausschluss an die Verfügbarkeit von Schutz nach dem UPOV-Übereinkommen zu koppeln, sodass diese beiden Schutzrechtsformen ein einziges umfassendes System des gewerblichen Rechtsschutzes für Innovationen im Bereich von Pflanzen bilden, das weder Überschneidungen noch Lücken beim Schutz der in Frage kommenden Gegenstände aufweist. Diesbezüglich unterscheidet sich der Zweck des Artikels 53 b) EPÜ 1973 deutlich von dem des Artikels 52 (4) EPÜ 1973, so die Große Beschwerdekammer. "Letzterer nimmt Lücken bei den patentierbaren Gegenständen bewusst in Kauf, um die nicht kommerziellen und nicht industriellen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human- und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freizuhalten (G 1/83, ABl. EPA 1985, Nr. 22 der Entscheidungsgründe)" (G 1/98, Nr. 3.7 der Entscheidungsgründe, letzter Absatz).
Was die Ausschlussbestimmung in Artikel 53 c) EPÜ (Art. 52 (4) EPÜ 1973) anbelangt, so hat die Große Beschwerdekammer den Grundsatz, dass ein Anspruch, der eine nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Ausführungsform umfasst, nicht in dieser Form belassen werden kann, daher in G 1/98 nicht infrage gestellt, sondern vielmehr bestätigt.
4.2 Disclaimer
4.2.1 Gemäß den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 (ABl. EPA 2004, 413, Nr. 2 der Entscheidungsgründe) ist unter "Disclaimer" die Änderung eines Anspruchs zu verstehen, die in der Aufnahme eines "negativen" technischen Merkmals in den Anspruch resultiert, womit bestimmte Ausführungsformen oder Bereiche eines allgemeinen Merkmals ausgeschlossen werden. Formulierungen wie "vorher verabreicht" oder "vorher implantiert" stellen also keine Disclaimer im Sinne der Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 dar, sondern die Weglassung eines Schritts aus dem Anspruch, wobei klargestellt wird, dass dieser Schritt kein Bestandteil des beanspruchten Verfahrens ist. Im Folgenden wird daher untersucht, ob und, wenn ja, unter welchen Umständen solche Formulierungen zulässig sind, d. h. ob ein solcher Schritt aus dem Anspruch weggelassen werden kann.
4.2.2 In Frage 2 ging es der vorlegenden Kammer darum, ob der Ausschluss vom Patentschutz nach dem damaligen Artikel 52 (4) EPÜ 1973 (dem jetzigen Artikel 53 c) EPÜ) vermieden werden kann, indem der Wortlaut des Anspruchs so geändert wird, dass der fragliche Schritt (d. h. die fragliche Ausführungsform, s. 4.2.1 oben) durch einen Disclaimer ausgeklammert wird. Angesichts dieser Fragestellung ist nur schwer vorstellbar, wie noch ein Problem in Bezug auf Artikel 53 c) EPÜ bestehen kann, wenn die beanspruchte Erfindung infolge der Ausklammerung des chirurgischen Gegenstands durch einen Disclaimer überhaupt keinen nach diesem Artikel von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gegenstand mehr enthält.
Das Problem solcher Disclaimer scheint vielmehr darin zu bestehen, dass sie den übrigen Erfordernissen des EPÜ, insbesondere Artikel 84 EPÜ, genügen müssen. Allerdings könnten auch die Artikel 56 und 83 EPÜ betroffen sein, z. B. wenn das einzige Ausführungsbeispiel für das Verfahren die ausgeklammerte chirurgische Ausführungsform ist.
Dieser Teil der Vorlagefrage 2 ist somit dahin gehend zu beantworten, dass der Ausschluss von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 c) EPÜ vermieden werden kann, indem Ausführungsformen, die Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ darstellen, durch Disclaimer ausgeklammert werden, wobei die generelle Patentierbarkeit eines solchen Anspruchs aber von der Erfüllung der übrigen Erfordernisse des EPÜ und gegebenenfalls auch der in den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 festgelegten Kriterien abhängt.
Ob die Erfordernisse erfüllt sind, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Dies gilt auch für die Frage, welche Form der Disclaimer annehmen kann oder muss, d. h. ob - nur - eine bestimmte Ausführungsform ausgeklammert werden kann oder muss oder ob der Disclaimer allgemeiner formuliert werden kann und/oder muss, z. B. durch die Verwendung des Begriffs "nicht chirurgisch".
4.2.3 Der Großen Beschwerdekammer ist bekannt, dass in der Rechtsprechung im Anschluss an die Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten wurden, ob diese Entscheidungen die Ausklammerung von Ausführungsformen betreffen, die - wie im vorliegenden Fall - in der eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart sind, oder ob dann die frühere Rechtsprechung in Anlehnung an die Entscheidung T 4/80 (ABl. EPA 1982, 149) zur Anwendung kommt (s. die umfassende Erörterung dieser Frage in T 1107/06 vom 3. Dezember 2008, Nr. 31 ff. der Entscheidungsgründe sowie die zahlreichen anderen darin angeführten Entscheidungen).
Nachdem die vorlegende Kammer aber nur gefragt hat, ob der Ausschluss vom Patentschutz nach Artikel 53 c) EPÜ vermieden werden kann, indem die chirurgische Ausführungsform durch einen Disclaimer ausgeklammert wird, hält die Große Beschwerdekammer es nicht für angemessen, sich im Rahmen der jetzigen Vorlage zu dieser Frage zu äußern. Die Vorlage insgesamt ist auf ein ganz anderes Problem gerichtet, das in keinem Zusammenhang damit steht, und mit Frage 2 wird lediglich ganz allgemein gefragt, welche Lösungen sich im Hinblick auf mögliche Anspruchsänderungen grundsätzlich anbieten würden, falls sich die Antwort der Großen Beschwerdekammer auf Frage 1 negativ auf die Patentierbarkeit der derzeit vorliegenden Ansprüche nach Artikel 53 c) EPÜ auswirken sollte. Daher hat die Große Beschwerdekammer über die vorstehend genannte Frage ebenso wenig im Rahmen dieser Vorlage zu entscheiden wie über jeden anderen Aspekt, der die Zulässigkeit eines eventuell von der Beschwerdeführerin formulierten Disclaimers betrifft. Sollte die Beschwerdeführerin beschließen, einen Anspruch mit einem Disclaimer abzufassen, durch den eine als chirurgisch im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ einzustufende Ausführungsform ausgeklammert wird, so müsste die vorlegende Kammer über die Kriterien entscheiden, die auf einen solchen Disclaimer anzuwenden wären.
4.3 Weglassen eines Schritts
4.3.1 Allgemeine Bemerkungen
Nach Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 43 EPÜ müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Das heißt, der Anspruch sollte alle wesentlichen Merkmale ausdrücklich angeben, die zur Definition der Erfindung erforderlich sind. Außerdem muss der Anspruch klar sein (G 1/04, a. a. O., Nr. 6.2 der Entscheidungsgründe). Ob ein Schritt, der einen von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen chirurgischen Verfahrensschritt darstellt oder umfasst, durch eine positive Formulierung wie "vorher verabreicht" oder durch einfaches Weglassen aus dem Anspruch ausgeklammert werden kann, hängt nach Artikel 84 EPÜ davon ab, ob die beanspruchte Erfindung auch ohne diesen Schritt durch die übrigen Anspruchsmerkmale vollständig und umfassend beschrieben ist. Dies muss jeweils im Einzelfall entschieden werden.
4.3.2 Verfahren zum Betreiben eines Geräts
Eine typische Kategorie von Fällen, bei denen die Erfindung umfassend definiert ist, ohne dass der potenziell chirurgische Verfahrensschritt als positives Merkmal im Anspruch vorhanden sein muss, wären jedoch Fälle, in denen die Erfindung nur das Betreiben eines Geräts betrifft. In Bezug auf solche Erfindungen haben die Beschwerdekammern konsequent entschieden, dass ein Verfahren zum Betreiben eines Geräts nicht als ein Behandlungsverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 angesehen werden kann, wenn zwischen dem beanspruchten Verfahren und den Wirkungen des Geräts auf den Körper kein funktioneller Zusammenhang besteht (T 245/87, ABl. EPA 1989, 171, Nr. 3.2.3 der Entscheidungsgründe; T 789/96, ABl. EPA 2002, 364, Nr. 2.2.2.1 ff. der Entscheidungsgründe). Besteht dagegen ein solcher funktioneller Zusammenhang, ist das Verfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (T 82/93, ABl. EPA 1996, 274, Nr. 1.5 der Entscheidungsgründe).
Diese Grundsätze wurden in Fällen anerkannt, in denen das Gerät im Rahmen einer therapeutischen Behandlung eingesetzt wurde (T 245/87, T 82/93 und T 789/96), aber auch wenn die Anwendung des Geräts selbst einen am Körper vorgenommenen chirurgischen Verfahrensschritt erforderte (T 329/94, ABl. EPA 1998, 241, Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe und die nachstehend angeführten Entscheidungen), wobei in Fällen, in denen der Betrieb des Geräts selbst einen chirurgischen Verfahrensschritt umfasste, Formulierungen wie "vorher verabreicht" oder "vorher implantiert" zugelassen wurden, um klarzustellen, dass das diesem Verfahrensschritt entsprechende Merkmal nicht Bestandteil der beanspruchten Erfindung war.
In den von der vorlegenden Kammer angeführten Entscheidungen T 1102/02 und T 9/04 wurde der in T 383/03 entwickelte Ansatz einer Beschränkung des Patentierungsverbots auf chirurgische Verfahren mit therapeutischem Zweck formal bestätigt, wobei die zugrunde liegenden Erfindungen jedoch den rein technischen Verfahren zugerechnet wurden. Den gleichen Grundsatz wendete die Technische Beschwerdekammer 3.2.02 in ihren Entscheidungen T 542/06 vom 10. September 2007 und T 810/06 vom 9. Oktober 2007 an, die die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2009 anführt. In der Praxis wird dieser Grundsatz ebenfalls anerkannt (s. Richtlinien für die Prüfung, C-IV, 12).
Der in diesen Entscheidungen verfolgte Ansatz wurde im jetzigen Verfahren nicht infrage gestellt, und die Große Beschwerdekammer sieht auch keinen Grund dafür. Verfahren, die lediglich auf den Betrieb eines Geräts gerichtet sind und selbst keine funktionelle Interaktion mit den Wirkungen des Geräts auf den Körper vorsehen, erfordern keine Durchführung einer physischen Tätigkeit oder Maßnahme, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt, damit die Lehre der beanspruchten Erfindung vollständig ist. Auch wenn in einem solchen Fall also die Verwendung des Geräts selbst die Ausführung eines chirurgischen Verfahrensschritts am Körper voraussetzt oder im Rahmen einer therapeutischen Behandlung erfolgt, gilt dies doch nicht für das beanspruchte Verfahren zum Betreiben eines Geräts. Somit kann festgestellt werden, dass solche Erfindungen keine Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ sind und in der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern angemessen unterschieden wird zwischen patentierbaren Verfahren mit rein technischem Charakter und Erfindungen, die unter das Patentierungsverbot nach Artikel 53 c) EPÜ fallen. Ob eine beanspruchte Erfindung lediglich den Betrieb eines Geräts betrifft und keinen funktionellen Zusammenhang mit den Wirkungen des Geräts auf den Körper aufweist, ist keine Rechtsfrage, sondern erfordert eine Bewertung aller technischen Umstände des Falls und muss daher von den erstinstanzlichen Organen und den Technischen Beschwerdekammern im jeweiligen Einzelfall entschieden werden.
4.3.3 Weitere Anforderungen an die Zulässigkeit der Weglassung
Wird in Betracht gezogen, einen Schritt aus einem Anspruch wegzulassen, so müssen auch die übrigen Erfordernisse des EPÜ an die Zulässigkeit einer solchen Weglassung sowie an die Patentierbarkeit des Anspruchs ohne das weggelassene Merkmal berücksichtigt werden. Dies sind insbesondere die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ und - im Einspruchsverfahren - 123 (3) EPÜ; die Artikel 83 und 56 EPÜ können jedoch ebenfalls relevant werden, z. B. wenn infolge der Weglassung die beanspruchte Erfindung nicht mehr im gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden kann oder die Aufgabe nicht gelöst wird.
5. Frage 3:
Ist ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (Untersuchungsphase im Sinne von G 1/04) als konstitutiver Schritt einer "chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" gemäß Artikel 52 (4) EPÜ anzusehen, wenn ein Chirurg anhand der mit diesem Verfahren gewonnenen Daten während eines chirurgischen Eingriffs unmittelbar über das weitere Vorgehen entscheiden kann?
Die vorlegende Kammer hat nicht erläutert, welches rechtliche Problem mit dieser Frage genau angesprochen werden soll. Die Frage kann offensichtlich nur dann relevant werden, wenn das beanspruchte bildgebende Verfahren bei Anwendung der vorstehenden Überlegungen nicht an sich nach Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist oder wenn die Ansprüche geändert werden, damit sie Artikel 53 c) EPÜ entsprechen.
Da das bildgebende Verfahren in diesem Fall eine vollständige Lehre per se darstellt, schließt die Tatsache, dass es sich auf eine potenziell besonders nützliche Weise im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs einsetzen lässt, nicht aus, dass es auch als solches beansprucht wird. Selbst wenn das bildgebende Verfahren im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs angewendet wird, ändert dies zudem nichts daran, dass es an sich kein chirurgischer Schritt ist.
Artikel 53 c) verbietet die Patentierung von chirurgischen Verfahren, nicht aber die Patentierung jeglicher Verfahren, die im Zusammenhang mit der Ausführung eines chirurgischen Verfahrens angewendet werden können. Andernfalls wären zahlreiche Verfahren, die zwar zu ihrer Ausführung am Körper keinen chirurgischen Verfahrensschritt erfordern, aber bei chirurgischen Eingriffen angewendet werden - z. B. alle Verfahren für den Betrieb von Operationsgeräten, die in Verbindung mit chirurgischen Tätigkeiten eingesetzt werden -, nicht patentierbar.
In der Stellungnahme G 1/04, a. a. O., Nr. 6.2.4 der Begründung untersuchte die Große Beschwerdekammer, welche Merkmale nach Artikel 84 EPÜ in einem Anspruch enthalten sein müssen, der auf ein Diagnostizierverfahren gerichtet ist. Sie stellte fest, dass nach Artikel 84 EPÜ ein - unabhängiger - Anspruch alle wesentlichen Merkmale angeben muss, die für die deutliche und vollständige Definition der Erfindung notwendig sind. Ergibt sich aus der Anmeldung zweifelsfrei, dass die Diagnose als für die Definition der Erfindung konstitutiv anzusehen ist, so muss sie auch als wesentliches Merkmal in den Anspruch aufgenommen werden.
Dies ist nicht mit der Sachlage in Frage 3 der Vorlageentscheidung vergleichbar, weil das bildgebende Verfahren dort per se eine vollständige Lehre darstellt. Die Tatsache, dass als eine der möglichen Anwendungen des bildgebenden Verfahrens die Nutzung durch einen Chirurgen im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs beschrieben ist, die es diesem ermöglicht, durch Kenntnisnahme der unmittelbar erzeugten Bilddaten während des Eingriffs über das weitere Vorgehen zu entscheiden, schließt dieses bildgebende Verfahren damit nicht von der Patentierbarkeit aus.
1. Anwendbare Rechtsvorschriften
1.1 Zulässigkeit der Vorlage
Die Vorlage wurde vor dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 an die Große Beschwerdekammer gerichtet. Nach Artikel 7 (1) der Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5. Oktober 1973, zuletzt revidiert am 17. Dezember 1991, findet "die revidierte Fassung des Übereinkommens auf alle nach ihrem Inkrafttreten eingereichten europäischen Patentanmeldungen Anwendung. Sie findet nicht auf europäische Patentanmeldungen Anwendung, die in diesem Zeitpunkt anhängig sind, soweit der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation nichts anderes bestimmt." Da Artikel 112 in Artikel 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 nicht als eine der Bestimmungen genannt wird, die auf bei Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens anhängige europäische Patentanmeldungen anzuwenden sind, bleibt Artikel 112 EPÜ 1973 auf europäische Patentanmeldungen anwendbar, die bei Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens anhängig sind. Die Zulässigkeit dieser Vorlage ist daher auf der Grundlage von Artikel 112 EPÜ 1973 zu bestimmen.
Dies ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit gerechtfertigt, damit die Zulässigkeit einer Verfahrenshandlung zu dem Zeitpunkt ermittelt werden kann, an dem sie vorgenommen wird. Dazu gehört, dass das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht anwendbar ist (s. auch J 10/07, ABl. EPA 2008, 567, Nr. 1 der Entscheidungsgründe und T 1366/04 vom 16. April 2008, Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe).
Artikel 112 EPÜ wurde zwar im Rahmen der Revision nicht geändert, aber später vom Verwaltungsrat umformuliert, der von seiner Befugnis nach Artikel 3 (1) der Akte zur Revision des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente Gebrauch machte, eine Neufassung des Europäischen Patentübereinkommens zu erstellen, in der die Vorschriften des Übereinkommens in den drei Amtssprachen, soweit dies erforderlich ist, redaktionell anzupassen sind. Artikel 112 wurde dahingehend "angepasst", dass in der englischen Fassung des Artikels 112 (1) die Formulierung "if an important point of law arises" durch die Formulierung "if a point of law of fundamental importance arises" ersetzt wurde. Es erscheint nicht sofort offensichtlich, dass diese "redaktionelle Anpassung" der englischen Fassung keinerlei Auswirkung auf die allgemeine Bedeutung des Artikels 112 (1) hat, und dies selbst wenn die gemäß Artikel 177 (1) EPÜ 1973 gleichermaßen verbindlichen Fassungen dieses Artikels in französischer und deutscher Sprache herangezogen werden. Damit kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass es irrelevant ist, ob die alte oder die neue Fassung von Artikel 112 EPÜ anwendbar ist. Aus diesem Grund wird die Große Beschwerdekammer die Zulässigkeit der Vorlage auf der Grundlage von Artikel 112 EPÜ 1973 prüfen.
1.2 Anwendbares materielles Recht
Die Vorlageentscheidung hat Fragen zur Anwendung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 aufgeworfen. Im Rahmen der EPÜ-Revision wurde der Artikel 52 (4) EPÜ 1973 inhaltlich in Artikel 53 c) EPÜ überführt. Nach Artikel 1 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2001, Sonderausgabe Nr. 4, 139) ist Artikel 53 EPÜ auf die bei seinem Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen anzuwenden. Da die vorlegende Kammer somit bei der Entscheidung in der Sache Artikel 53 c) EPÜ anzuwenden hat, wird die Große Beschwerdekammer zur Beantwortung der ihr vorgelegten Fragen das EPÜ 2000 heranziehen.
2. Zulässigkeit der Vorlage
Gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ 1973 befasst eine Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen die Große Beschwerdekammer, wenn sie - zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt - hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
In der Vorlageentscheidung wurden verschiedene Auslegungen des Patentierungsverbots für chirurgische Behandlungen nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern aufgezeigt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die Patentierbarkeit von potenziell unter das Patentierungsverbot fallenden Gegenständen führen. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Rechtsanwendung in der angeführten Rechtssprechung uneinheitlich ist.
Bei der Frage, welche Auslegung des im jetzigen Artikel 53 c) EPÜ enthaltenen Begriffs "chirurgische Behandlung" die richtige ist, handelt es sich eindeutig um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Daher muss nicht darüber befunden werden, ob die angeführten Entscheidungen eine uneinheitliche Rechtsanwendung im Sinne des Artikels 112 (1) EPÜ 1973 darstellen oder ob diese Entscheidungen, die alle von der Kammer 3.2.02 - allerdings in unterschiedlicher Zusammensetzung - erlassen wurden, nicht vielmehr einen Sinneswandel der Kammer bei ihrer Rechtsprechung widerspiegeln.
Im erstinstanzlichen Verfahren hatte sich die Prüfungsabteilung lediglich mit der Frage des Ausschlusses der beanspruchten Erfindung vom Patentschutz gemäß dem damaligen Artikel 52 (4) EPÜ 1973 befasst. Nach Auffassung der vorlegenden Kammer müsste die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden, falls der Beschwerde stattgegeben wird. Deshalb muss zunächst über die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Fragen entschieden werden, bevor die vorlegende Kammer eine Entscheidung über die Beschwerde fällen kann.
3. Frage 1:
Ist ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (Untersuchungsphase im Sinne von G 1/04), das einen Schritt aufweist oder umfasst, der in einem physischen Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper besteht (im vorliegenden Fall Injektion eines Kontrastmittels in das Herz), als "Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz auszuschließen, wenn dieser Schritt per se nicht auf die Erhaltung von Leben und Gesundheit abzielt?
3.1 Enge Auslegung des Patentierungsverbots - das Wiener Übereinkommen
Die Beschwerdeführerin, die auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern Bezug nimmt (s. die von der Beschwerdeführerin unter Nr. 46 ihres Vorbringens angeführten Entscheidungen), und die meisten Amici Curiae machen geltend, dass die Ausnahmen von der Patentierbarkeit auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens eng auszulegen seien, da die Aufgabe der Organisation gemäß Artikel 4 (3) EPÜ darin bestehe, europäische Patente zu erteilen.
Seit der Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 64, Nr. 3 ff. der Entscheidungsgründe) ist in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer verankert, dass die Auslegungsgrundsätze der Artikel 31 und 32 des Wiener Übereinkommens bei der Auslegung des EPÜ anzuwenden sind, auch wenn die Bestimmungen des Übereinkommens nicht unmittelbar auf das EPÜ angewendet werden können.
Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens sieht vor, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Anschließend werden zwar weitere Auslegungsmittel definiert (so in Artikel 32 die vorbereitenden Arbeiten zum Vertrag); weder in dieser Vorschrift noch in der Entscheidung G 1/83 wird jedoch ein Grundsatz der engen bzw. breiten Auslegung - und sei es auch nur von Ausnahmen - erwähnt.
Somit lässt sich aus dem Wiener Übereinkommen kein allgemeiner Grundsatz einer engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit ableiten, der a priori auf die Auslegung solcher Ausnahmen anwendbar wäre. Vielmehr ist die allgemeine Regel in Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist, auf die Ausnahmeregelung des EPÜ in der gleichen Weise anzuwenden wie auf jede andere Bestimmung - einschließlich der positiv formulierten Patentierungserfordernisse.
Ergibt die Interpretation der betreffenden Vorschrift gemäß diesen Auslegungsgrundsätzen, dass eine enge Auslegung der richtige Ansatz ist, dann - und nur dann - kann ihr eine solche restriktive Bedeutung gegeben werden.
Soll allerdings der Hintergrund einer Rechtsvorschrift zur Auslegung herangezogen werden, so kann die Tatsache, dass es sich bei der Vorschrift um eine Ausnahme zu einer allgemeinen Regel handelt, sicherlich nicht außer Acht gelassen werden; dieser Aspekt ist jedoch nur einer der Faktoren, von denen die richtige Auslegung der betreffenden Bestimmung abhängt. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als die Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung des Wortlauts der Bestimmung ist die Auslegung der Vorschrift dahin gehend, dass sie ihre Wirkung voll entfalten kann und ihren eigentlichen Zweck erfüllt. Wie bereits angeführt, gilt dies für eine Ausnahmeregelung in der gleichen Weise wie für jedes andere Patentierungserfordernis.
In der Stellungnahme G 1/04 (ABl. EPA 2006, 334, Nr. 6 der Begründung) hatte die Große Beschwerdekammer unter Berufung auf einschlägige Entscheidungen der Beschwerdekammern, in denen ein entsprechendes Grundprinzip anerkannt wurde, befunden, dass der "häufig angeführte Grundsatz", wonach im EPÜ vorgesehene Ausschlussbestimmungen zur Patentierbarkeit restriktiv auszulegen sind, nicht ausnahmslos gilt. Interessanterweise kam die Große Beschwerdekammer in dieser Stellungnahme, die die Definition des Begriffs "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren" betraf, erst nach einer eingehenden Analyse des Wortlauts und des Zwecks der betreffenden Ausnahmebestimmung zu dem Schluss, dass sie eng auszulegen ist.
Derselbe Ansatz findet sich auch in G 2/06 (ABl. EPA 2009, 306), einer jüngeren Entscheidung der Großen Beschwerdekammer. Darin befasst sich die Große Beschwerdekammer mit der Auslegung des Patentierungsverbots für biotechnologische Erfindungen, die die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken zum Gegenstand haben, gemäß Regel 28 c) EPÜ (und dem entsprechenden Artikel 6 (2) der EG-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen). Ein Grundsatz der engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit wird in dieser Entscheidung mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen zieht die Große Beschwerdekammer zur Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots direkt die im Wiener Übereinkommen festgelegten Auslegungsgrundsätze heran, d. h. sie prüft den Wortlaut, das Ziel und den Zweck der Bestimmung (Nr. 16 der Entscheidungsgründe). In den weiteren Entscheidungsgründen ist an keiner Stelle von einem engen oder restriktiven Ansatz die Rede, der hätte gewählt werden müssen, weil es um eine Ausnahme von der Patentierbarkeit gehe; im vorliegenden Fall wird die Große Beschwerdekammer ebenso vorgehen.
3.2 Schließt das Vorhandensein eines chirurgischen Verfahrensschritts in einem mehrstufigen Verfahren dieses Verfahren von der Patentierbarkeit aus?
Aus Frage 1 und den dem Vorlageverfahren zugrunde liegenden Ansprüchen ergibt sich, dass der potenziell als chirurgisch anzusehende Verfahrensschritt nur ein Schritt in einem mehrstufigen Verfahren ist und das beanspruchte bildgebende Verfahren nicht auf eine chirurgische Behandlung als solche gerichtet ist. Wird daher die obige Frage verneint, so müsste auch die erste Vorlagefrage verneint werden.
Eine der Alternativen in Frage 1 bezieht sich auf den Fall, dass das beanspruchte Verfahren einen chirurgischen Schritt umfasst. Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass die Akte zum Vorlageverfahren bislang keinen Anspruch enthält, mit dem der potenziell chirurgische Schritt, nämlich die Injektion ins Herz, als solcher als Verfahrensschritt beansprucht wird; vielmehr umfasst das Merkmal in den unabhängigen Ansprüchen 1, 11 und 17, das auf die Verabreichung des Kontrastmittels an das lebende Objekt (den Patienten) gerichtet ist, eine Ausführungsform, wonach die Verabreichung in das Herz mittels Injektion oder Ähnlichem erfolgt.
Da die Beschwerdeführerin im Vorlageverfahren aber noch (durch Beschränkung oder Formulierung eines entsprechenden abhängigen Anspruchs) die Möglichkeit hätte, einen Anspruch mit dem Schritt abzufassen, dass das Kontrastmittel dem Patienten mittels einer Injektion in das Herz verabreicht wird - sofern dies von der Großen Beschwerdekammer nicht für nach Artikel 53 c) EPÜ ausgeschlossen erachtet wird -, erscheint es der Großen Beschwerdekammer zweckmäßig, diesen Aspekt der Frage in ihrer Antwort zu behandeln. Dies ist umso mehr geboten, als die Erwägungen, von denen die Antwort auf die Frage abhängt, für beide Alternativen gleichermaßen gelten und in der Rechtsprechung diesbezüglich nicht unterschieden wird.
3.2.1 Stellungnahme G 1/04
Die Große Beschwerdekammer stellte in ihrer Stellungnahme G 1/04, a. a. O., Nr. 6.2.1 der Begründung Folgendes fest:
"Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern fällt ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Dies bedeutet, dass der chirurgische oder therapeutische Charakter eines Verfahrens durchaus in einem einzigen Verfahrensschritt begründet werden kann, ohne dass gegen Artikel 84 EPÜ verstoßen würde."
3.2.2 Gegenposition
Dieser Ansatz wird von der Beschwerdeführerin und den Amici Curiae kritisiert. Sie machen geltend, dass eine solche breite Auslegung des Patentierungsverbots nicht nötig sei, um dem postulierten Grundsatz der Handlungsfreiheit des Arztes - hier insbesondere des Chirurgen - Wirkung zu verleihen. Führe ein Chirurg nur einen chirurgischen Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren aus, so setze er nicht den Anspruch als Ganzen um, und es bestehe daher auch kein Grund für eine schützende Ausnahmebestimmung. Führe der Chirurg dagegen alle Verfahrensschritte des Anspruchs aus, gehe dies über eine bloße chirurgische Behandlung hinaus, und die Rechtfertigung für das Patentierungsverbot entfalle. Darüber hinaus seien die Aussagen in der Stellungnahme G 1/04 sowie der Verweis auf die "ständige Rechtsprechung" im Wesentlichen als "obiter dictum" formuliert und beruhten auf der Entscheidung T 182/90 (die in diesem Punkt fehlerhaft sei) sowie auf späteren, auf ihr basierenden Entscheidungen. Eine frühere Rechtsprechung zu diesem Aspekt gebe es nicht.
3.2.3 Stichhaltigkeit der Gegenposition
3.2.3.1 Der Grundsatz, dass ein Anspruch nicht patentiert werden kann, wenn er einen nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Verfahrensschritt in einem mehrstufigen Verfahren umfasst, wurde in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Umkehrschluss von Artikel 52 (3) EPÜ 1973 abgeleitet, wonach die in Artikel 52 (2) EPÜ 1973 genannten Erfindungen insoweit von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, als sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent auf diese Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht. Da Artikel 52 (4) EPÜ 1973 keinen solchen Vorbehalt enthält, der das Patentierungsverbot einschränkt, befanden die Kammern, dass Verfahren, die nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, nicht Gegenstand oder auch nur Teil des Gegenstands eines Patentanspruchs sein können. Dieser Grundsatz ist seither durchgehend auf das Patentierungsverbot für therapeutische und chirurgische Verfahren angewendet worden (s. beispielsweise T 820/92, ABl. EPA 1995, 113, Nrn. 5.4 und 5.5 der Entscheidungsgründe, wo verschiedene frühere Entscheidungen zu therapeutischen Verfahren, aber auch T 182/90 angeführt werden).
Im oben zitierten Abschnitt aus der Stellungnahme G 1/04 bestätigt die Große Beschwerdekammer diese Rechtsprechung klar und ausdrücklich für Verfahrensschritte zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung. Obiter dictum oder nicht: Die eindeutige Formulierung dieses Abschnitts lässt keinen Zweifel daran, dass die Große Beschwerdekammer den in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelten Grundsatz bestätigt, wonach ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Dass dieses Prinzip erstmals in der Entscheidung T 182/90 ausdrücklich anerkannt wurde, ist unerheblich, weil es damals bereits seit langem Bestandteil der ständigen Rechtsprechung war. Überdies wird die Entscheidung T 182/90 in der Stellungnahme G 1/04 überhaupt nicht erwähnt. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die besagten Ausführungen in der Stellungnahme G 1/04 beruhten auf der Entscheidung T 182/90, entbehrt daher jeder Grundlage.
3.2.3.2 Auch wenn die Annahme nicht gänzlich abwegig sein mag, dass ein Arzt, der einen einzigen therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritt eines mehrstufigen Verfahrens ausführt, damit in der Regel keinen auf dieses mehrstufige Verfahren gerichteten Patentanspruch verletzt, hängen etwaige Verletzungsfragen letztlich doch von der Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts ab. Auch herrscht Einvernehmen darüber, dass die dem Patentierungsverbot für therapeutische und chirurgische Verfahren sowie Diagnostizierverfahren zugrunde liegende sozialethische Erwägung, die Ärzteschaft von möglichen Einschränkungen durch Patentrechte befreien zu wollen, bei der Auslegung des Artikels 53 c) EPÜ zu berücksichtigen ist. Allerdings lässt nichts im Wortlaut von Artikel 53 c) EPÜ den Schluss zu, dass eine Einschränkung der ärztlichen Freiheit gegeben sein muss, damit das Patentierungsverbot im betreffenden Einzelfall greifen kann. Artikel 53 c) EPÜ nennt als einzige Bedingung für den Ausschluss eines Anspruchs von der Patentierbarkeit, dass dieser einen Gegenstand enthält, der auf ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers oder auf ein entsprechendes Diagnostizierverfahren gerichtet ist. Dann ist der Anspruch nicht patentierbar, und es ist ohne Belang, ob ein Arzt in diesem Einzelfall den Anspruch verletzen würde oder könnte. Für die Richtigkeit dieses Ansatzes spricht auch das von der Beschwerdeführerin (sowie in ähnlicher Form von einigen Amici Curiae) vorgelegte Argument zugunsten einer engen Auslegung der Ausnahmebestimmung, wonach für medizinische Produkte Erzeugnisschutz gewährt wird, obwohl dadurch ebenfalls die Handlungsfreiheit des Arztes eingeschränkt werden könnte. Ob dieses Argument nun stichhaltig ist oder nicht - insbesondere aber, wenn ja -, lässt sich daran ablesen, dass die Patentierungserfordernisse wie auch die Kriterien für einen Ausschluss von der Patentierbarkeit von der allgemeinen Entscheidung abhängen, die der Gesetzgeber mit der Formulierung der entsprechenden Bestimmungen über die Grenzen zwischen patentierbaren und nicht patentierbaren Gegenständen getroffen hat.
Selbst wenn das nationale Recht wie das der Vereinigten Staaten, das zwar Patentschutz zulässt, aber vorsieht, dass keine Sanktionen gegen Ärzte verhängt werden können, die in Ausübung einer medizinischen Tätigkeit eine Patentverletzung begehen, tatsächlich bessere Lösungen kennte, hat sich der europäische Gesetzgeber doch für einen anderen Weg entschieden. So hat er bei der Revision des EPÜ die Ausnahmebestimmungen des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 sogar ganz bewusst aufrechterhalten und in den neuen Artikel 53 c) EPÜ überführt. Damit wurde der Grundsatz bestätigt, dass die Freiheit von Human- und Veterinärmedizinern, ihren Patienten die beste verfügbare Behandlung angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen, geschützt wird, und zwar dadurch, dass solche Aktivitäten von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Durch die Ausweitung des Patentierungsverbots auf mehrstufige Verfahren, die einen therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritt aufweisen oder umfassen, soll diesem gesetzgeberischen Zweck volle Wirksamkeit verliehen werden. Somit ist der in der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass das Vorhandensein auch nur eines therapeutischen oder chirurgischen Verfahrensschritts in einem mehrstufigen Verfahren dieses Verfahren von der Patentierbarkeit ausschließt, nicht nur formal dadurch gerechtfertigt, dass der Ausschluss in Artikel 53 c) EPÜ keinerlei Einschränkung dahin gehend enthält, dass die dort definierten Verfahren nur auszuschließen sind, wenn sie als solche beansprucht werden. Er ist vielmehr auch in der Sache gerechtfertigt, denn er dient dem gesetzgeberischen Zweck, den es mit dem Ausschluss zu erreichen gilt.
3.2.4 Relevanz einer weiteren von der Beschwerdeführerin angeführten Aussage in der Stellungnahme G 1/04
Zur Stützung ihres weiteren Arguments, dass das - gegebenenfalls bestehende - Problem des Schutzes der Ärzteschaft besser im nationalen (Verletzungs?)Recht als über ein Patentierungsverbot geregelt werden könne, verweist die Beschwerdeführerin auf Nr. 6.1 der Begründung der Stellungnahme G 1/04, a. a. O., wo die Große Beschwerdekammer in Zusammenhang mit ihrer restriktiven Definition des Begriffs "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren" Folgendes ausführt:
"Da ein umfassender Schutz von Human- und Veterinärmedizinern erforderlichenfalls auch auf anderem Wege zu erreichen ist, und zwar insbesondere durch Rechtsvorschriften auf der nationalen Ebene der EPÜ-Vertragsstaaten, die diesen Personen ein Recht zur Ausführung der betreffenden Verfahren einräumen, ist eine enge Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots in dem oben beschriebenen Sinne gerechtfertigt."
Diese Ausführungen sind in ihrem Kontext zu sehen und dürften nicht isoliert betrachtet werden. Dieser Kontext umfasst zunächst den von der Großen Beschwerdekammer in genau dieser Stellungnahme ausdrücklich bestätigten Ansatz, dass ein Verfahrensanspruch unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt. Wie aus den Sätzen vor und nach der zitierten Aussage in Nr. 6.1 sowie aus Nr. 6.3 ff. der Begründung hervorgeht, ist zudem zu berücksichtigen, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist, auf europäischer Ebene im Rahmen des EPÜ zu definieren, wer als Mediziner anzusehen ist. Anschließend heißt es, dass das europäische Patenterteilungsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob solche Mediziner an einem Verfahren beteiligt sind. In Nr. 6.3 der Begründung wird dies näher ausgeführt, wo erneut auf die Bedeutung der Rechtssicherheit hingewiesen wird und mehrere Gründe angeführt werden, warum die Frage, ob ein Verfahren ein Verfahren (hier: ein Diagnostizierverfahren) im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 ist oder nicht, "weder von der Beteiligung eines Human- oder Veterinärmediziners abhängen [sollte] noch davon, dass alle Verfahrensschritte auch oder nur von medizinischem oder nichtmedizinischem Hilfspersonal vorgenommen werden können." Aus diesem Kontext ergibt sich also, dass das Argument, wonach der Schutz der Ärzteschaft erforderlichenfalls auch auf anderem Wege zu erreichen ist, lediglich der Erläuterung dienen sollte, dass die von der Großen Beschwerdekammer im Interesse der Rechtssicherheit für nötig befundene enge Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973, wonach darunter nur solche Verfahren zu verstehen sind, die auch den diagnostischen Schritt im strengen Sinne umfassen, keine völlig ungerechtfertigten Ergebnisse zeitigen würde, weil der nationale Gesetzgeber noch die Möglichkeit hat, die Human- und Veterinärmediziner stärker zu schützen, falls er dies für erforderlich hält.
Dieser Abschnitt bestätigt somit eher die These, wonach die Auslegung des Patentierungsverbots nach Artikel 53 c) EPÜ nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob eine Verletzung vorliegen würde oder nicht.
3.2.5 Schlussfolgerung
In Anbetracht dieser Ausführungen sieht die Große Beschwerdekammer keinen triftigen Grund, von dem in der Stellungnahme G 1/04, Nr. 6.2.1 der Begründung bestätigten Grundsatz abzuweichen, auf dem die gesamte bisherige Praxis und Rechtsprechung beruht und dem zufolge ein Verfahrensanspruch dann unter das jetzt in Artikel 53 c) EPÜ verankerte Patentierungsverbot für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fällt, wenn er auch nur ein Merkmal aufweist oder umfasst, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt.
3.3 Ist das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen auf chirurgische Eingriffe zu therapeutischen Zwecken begrenzt?
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass diese Frage im Rahmen der vorliegenden Sache nicht beantwortet werden müsse, weil die Vorlagefrage ausschließlich ein zu diagnostischen Zwecken ausgeführtes Verfahren betreffe. Auch wenn die Bedeutung des Begriffs "Chirurgie" nicht auf chirurgische Eingriffe zu therapeutischen Zwecken begrenzt wäre, wäre das Patentierungsverbot selbst dann nicht auf Verfahren zu diagnostischen Zwecken anwendbar, wenn diese Verfahren einen chirurgischen Schritt aufwiesen oder umfassten. Bei der Anwendung eines Verfahrens für diagnostische Zwecke müsse häufig auch ein potenziell chirurgischer Schritt - wie die Verabreichung eines Kontrastmittels - ausgeführt werden, um eine sinnvolle Diagnose zu erhalten. Betrachtete man solche Verfahren als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, so würde dadurch die in der Stellungnahme G 1/04 postulierte enge Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren aufgeweicht, wonach die Patentierung von Verfahren, die zwar auf die Erstellung einer sinnvollen Diagnose gerichtet seien, aber keine Diagnostizierverfahren im strengen Sinne darstellten, ausdrücklich zulässig sei.
Um patentfähig zu sein, muss eine beanspruchte Erfindung alle Patentierungserfordernisse erfüllen und darf nicht nach einer der Ausschlussbestimmungen des EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sein. Die drei alternativen Ausnahmen in Artikel 53 c) EPÜ sind daher kumulativ anzuwenden. Ein beanspruchtes Verfahren ist nur dann patentfähig, wenn es weder therapeutisch noch chirurgisch noch diagnostisch ist. Auch wenn die dem Vorlageverfahren zugrunde liegende Erfindung nicht als Diagnostizierverfahren im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, könnte sie also noch als Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn der Entscheidung T 383/03, in der das Patentierungsverbot auf Behandlungen zu therapeutischen Zwecken begrenzt wird, nicht gefolgt wird.
3.3.1 Bedeutung des Wortlauts der Bestimmung
In der Entscheidung T 182/90 (ABl. EPA 1994, 641) analysierte die Kammer die allgemeine Bedeutung des Begriffs "Chirurgie" und stellte fest, dass im heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch auch unter den nicht der Heilung dienenden Behandlungsverfahren eine chirurgische Behandlung verstanden werde, wenn sie sich der Chirurgie bedienten (Nrn. 2.2 bis 2.4 der Entscheidungsgründe). Diese Feststellung an sich wurde in den späteren Entscheidungen nicht infrage gestellt. Bestritten wurde aber, dass mit Artikel 52 (4) EPÜ 1973 solche Behandlungen von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollen.
Die Tatsache, dass es sich beim Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungsverfahren um eine von drei alternativen Ausnahmebestimmungen handelt, deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass jede dieser Alternativen andere Fälle abdeckt, weil die Aufnahme des Begriffs "chirurgisch" in Artikel 53 c) EPÜ sinnlos wäre, wenn der Bedeutungsgehalt dieser Alternative bereits vollständig in einer anderen Ausschlussalternative, nämlich der "therapeutischen Behandlung", enthalten wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Ausschlussbestimmung "chirurgisch" im ursprünglichen Entwurf des EPÜ nicht enthalten war, sondern erst später zu den Ausnahmen in Bezug auf therapeutische Verfahren und Diagnostizierverfahren hinzugefügt wurde. Daher ist es sinnvoll, vor einer Definition des Umfangs des Begriffs "chirurgisch" zunächst den rechtsgeschichtlichen Hintergrund und den Zweck seiner Aufnahme ins EPÜ zu beleuchten.
3.3.2 Rechtsgeschichtliche Aspekte
3.3.2.1 Das EPÜ 2000
Im Rahmen der Revision des EPÜ wurde der frühere Artikel 52 (4) EPÜ in Artikel 53 c) EPÜ überführt. Die in Artikel 52 (4) EPÜ 1973 enthaltene Rechtsfiktion, wonach Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, "nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des Absatzes 1" gelten, wurde mit der Begründung gestrichen, dass nicht mehr mit dieser Rechtsfiktion argumentiert werden sollte, weil Behandlungs- und Diagnostizierverfahren aus Gründen des öffentlichen Gesundheitswesens von der Patentierbarkeit ausgenommen sind. Es wurde für angebracht erachtet, diese Erfindungen stattdessen unter den Ausnahmen von der Patentierbarkeit aufzuführen und alle Ausnahmebestimmungen in Artikel 53 EPÜ zusammenzuführen. Der verbleibende Text des früheren Artikels 52 (4) EPÜ 1973 wurde unverändert belassen, und es wurde davon ausgegangen, dass die Überführung des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 in Artikel 53 c) EPÜ 2000 keine Änderungen der Praxis des EPA mit sich bringen werde (s. "Das revidierte Europäische Patentübereinkommen (EPÜ 2000), Synoptische Darstellung EPÜ 1973/2000 - Teil I: Die Artikel", ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 50).
Die Große Beschwerdekammer hat diese Auffassung in ihrer Stellungnahme G 1/04, a. a. O., Nrn. 10 und 11 der Begründung bestätigt, wo sie ausführte, dass ihre Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots für am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 auch nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 ihre Gültigkeit behalten werde.
Insofern sind bei der Frage nach der richtigen Bedeutung des Begriffs "chirurgische Behandlung" die vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 heranzuziehen.
3.3.2.2 Das EPC 1973 und die vorbereitenden Arbeiten ("Travaux préparatoires")
a) In der Entscheidung T 383/03 (ABl. EPA 2005, 159) leitete die Technische Beschwerdekammer 3.2.02 aus zwei Dokumenten der "Travaux préparatoires" ab, dass der Gesetzgeber nur solche chirurgischen Behandlungen von der Patentierbarkeit ausschließen wollte, die heilende Tätigkeiten betreffen, d. h. die geeignet sind, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tieres zu erhalten oder wiederherzustellen und Krankheiten vorzubeugen (s. Ende von Nr. 3.2 b) sowie Nr. 3.2 c) der Entscheidungsgründe). Das erste dieser Dokumente ist das (seinerzeit nur in deutscher und französischer Sprache abgefasste) Protokoll der 15. Sitzung der Arbeitsgruppe "Patente" (Brüssel, 19. - 29. Oktober 1964), 11821/IV/64-D, S. 4. Darin heißt es, dass "Heilmethoden der Human- und Veterinärmedizin einschließlich diagnostischer Verfahren vom Begriff der Erfindung ausgenommen sind". Laut der französischen Fassung 11821/IV/64-F dient die Vorschrift folgendem Zweck: "indiquer l'exception des méthodes curatives du corps humain ou des animaux y compris les méthodes de diagnostic". Beim zweiten angeführten Dokument handelt es sich um das Protokoll der 6. Sitzung der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens (Luxemburg, 19. - 30. Juni 1972), BR/219 d/72, wo es unter Nr. 27 im Zusammenhang mit einer Debatte über die Behandlung von Tieren heißt, "der Text besage ... lediglich, dass man alle therapeutischen Behandlungen an Tieren von der Patentierbarkeit ausschließen will , die als Maßnahmen zur Heilung von Tieren oder zur Linderung ihrer Leiden verstanden werden."
b) Bezüglich des ersten der von der Kammer 3.2.02 angeführten Dokumente ist darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt der Abfassung des Dokuments 11821/IV/64 ein Patentierungsverbot für chirurgische Verfahren noch nicht in Betracht gezogen worden war und sich die Ausführungen in diesem Dokument ausschließlich auf die vorgeschlagene Aufnahme einer Ausnahmebestimmung in Bezug auf therapeutische und diagnostische Verfahren in den damaligen Artikel 9 beziehen. Die Formulierungen "Heilmethoden der Human- und Veterinärmedizin einschließlich diagnostischer Verfahren vom Begriff der Erfindung ausgenommen sind" bzw. "indiquer l'exception des méthodes curatives du corps humain ou des animaux y compris les méthodes de diagnostic" sind in diesem Kontext zu betrachten; eine Schlussfolgerung auf die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem erst später hinzugefügten Begriff "chirurgische Behandlung" geben wollte, kann daraus nicht abgeleitet werden.
c) Das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen wurde - erst - in der Sitzung der Arbeitsgruppe I (Luxemburg, 8. - 11. Juli 1969, s. Sitzungsprotokoll BR/7e/69, Nr. 22) in den Entwurf des Artikels 9 (2) aufgenommen, um ihn an den entsprechenden Entwurf der Regel 39.1 PCT anzupassen; allerdings sind dem Protokoll keine weiteren Informationen darüber zu entnehmen, wie die Verfasser des EPÜ den so in das Übereinkommen eingegangenen Begriff "chirurgische Behandlung" verstanden.
Was Regel 39.1 PCT anbelangt, so geht aus den Aufzeichnungen der Washingtoner Diplomatischen Konferenz zum PCT hervor, dass die Ursache für die Einführung der Regel die Befürchtung war, die Internationalen Recherchenbehörden könnten Schwierigkeiten haben, den Stand der Technik für Gegenstände zu recherchieren, die nach nationalem Recht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind (s. Records of the Washington Diplomatic Conference on the PCT, 1970, Regel 39, Nr. 1174 ff.). In den Aufzeichnungen ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung des japanischen Delegierten protokolliert, wonach chirurgische oder therapeutische Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers nach japanischem Patentrecht nicht patentierbar seien. Sie enthalten jedoch keine konkreten Angaben, warum chirurgische Verfahren als gesonderte Alternative in Regel 39.1 des PCT-Entwurfs aufgenommen wurden.
d) Im Rahmen der anschließenden Erörterungen zum EPÜ-Entwurf entwickelte sich eine ausführliche Diskussion um den (bis dahin noch nicht im EPÜ-Entwurf enthaltenen Verweis) auf den Ausschluss von "Tieren". Von verschiedenen Seiten wurde vorgeschlagen, diesen Verweis zu streichen,
i) weil es kaum möglich sei, zwischen Verfahren zur Züchtung von Tieren und Verfahren zum Schutz der Tiere vor Krankheiten zu unterscheiden (Protokoll der 9. Sitzung der Arbeitsgruppe I, Luxemburg, 12. bis 22. Oktober 1971, BR/135 d/71, Nr. 94),
ii) weil es schwierig sei, zwischen den rein tierärztlichen Behandlungsverfahren und sonstigen Verfahren zu unterscheiden, die beispielsweise die Viehzucht oder die Sterilisation bestimmter Insektenarten beträfen und eindeutigen industriellen Charakter haben könnten (Bericht über die 5. Tagung der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, 2. Teil - Anhörung der nichtstaatlichen internationalen Organisationen , Luxemburg, 26. Januar bis 1. Februar 1972, BR/169 d/72, Nr. 17), und
iii) damit die Rechtsprechung die Möglichkeit erhalte, zwischen veterinärmedizinischen Behandlungen und mehr "industriellen" Fällen (d. h. den vorstehend genannten Beispielen) zu unterscheiden (Bericht über die 5. Tagung der Regierungskonferenz, 1. und 3. Teil, Luxemburg, 24. und 25. Januar sowie 2. bis 4. Februar 1972, BR/168 d/72).
e) Das einzige Dokument, in dem ausdrücklich auf die Frage eingegangen wird, ob chirurgische Behandlungen von Tieren, die nicht therapeutischen, sondern vielmehr destruktiven Zwecken dienen (z. B. Sterilisation von Insekten), unter die Bestimmung fallen oder nicht, ist das von der Beschwerdeführerin angeführte Dokument, nämlich der Bericht über die 11. Sitzung der Arbeitsgruppe I vom 28. Februar bis 3. März 1972 in Luxemburg, BR/177 d/72. Darin heißt es unter Nr. 9 d): "Die Gruppe vertrat die Ansicht, dass solche Behandlungsarten in der Tat nicht unter diese Bestimmungen fielen, hielt es aber nicht für erforderlich, dies ausdrücklich im Text festzuhalten."
3.3.2.3 Schlussfolgerungen aus den "Travaux préparatoires"
Offenbar herrschte die Ansicht, bei der Frage der Patentfähigkeit bestimmter Arten der Behandlung von Tieren gehe es im allgemeineren Sinne darum, eine angemessene Unterscheidung zu treffen zwischen Verfahren zur gewerblichen Nutzung von Tieren, die patentierbar sein sollten, und Verfahren zur therapeutischen Behandlung von Tieren, die aus humanitären Gründen und Gründen des Gesundheitsschutzes von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollten (BR/168 d/72, Nr. 32). Weder aus BR/177 d/72 noch aus irgendeinem anderen Dokument der "Travaux préparatoires" - einschließlich des von der Kammer 3.2.02 angeführten Dokuments - geht jedoch die allgemeine Auffassung hervor, dass der Gesetzgeber mit der Wahl des Wortlauts von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 nur solche chirurgischen Verfahren von der Patentierbarkeit ausschließen wollte, die einen therapeutischen Charakter aufweisen.
3.3.2.4 Spätere Gesetzgebung
Dieselbe Schlussfolgerung ergibt sich auch aus dem Wortlaut der endgültigen Fassung der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. EPA 1999, 101). Die Präsidentin führt aus (s. Sachverhalt und Anträge, Nr. VIII, 6. oben), dass der erste Entwurf der EG-Richtlinie aus dem Jahr 1988 eine "Auslegungsvorschrift" enthalten habe, wonach der Ausschluss von am tierischen Körper zur chirurgischen Behandlung oder zur Diagnose angewandten Verfahren von der Patentierbarkeit oder aus dem Bereich der gewerblichen Anwendbarkeit für derartige Verfahren nur insoweit gelte, als solche Verfahren zu therapeutischen Zwecken angewandt würden; dieser Vorschrift liege die Überlegung zugrunde, dass der Gesetzgeber die Entwicklung chirurgischer Verfahren, die keinen therapeutischen, sondern einen gewerblichen Charakter aufwiesen, nicht ausreichend vorausgesehen habe. Die Vorschrift betraf aber nur Tiere und ist darüber hinaus weder im zweiten Entwurf noch in der endgültigen Fassung der Richtlinie zu finden. In Erwägungsgrund 35 der Richtlinie heißt es lediglich, dass die Richtlinie nicht die Vorschriften des nationalen Patentrechts berührt, wonach Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Auch haben die Verfasser des EPÜ diese Frage bei der Revision des EPÜ im November 2000 nicht wieder aufgegriffen, sondern Artikel 52 (4) EPÜ 1973 inhaltlich unverändert übernommen. Ihre erklärte Absicht war es, den Inhalt der Bestimmung in die Liste der Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu überführen und die bestehende Praxis fortzuführen.
3.3.2.5 Schlussfolgerungen aus Nr. 3.3.2
Somit scheint die normale Lesart des Wortlauts von Artikel 53 c) EPÜ als eine Bestimmung, die drei Alternativen enthält, die sich in ihrem Geltungsbereich unterscheiden, sodass der Ausschluss von "chirurgischen Behandlungen" nicht so aufgefasst werden kann, als beschränke er sich auf chirurgische Behandlungen zu therapeutischen Zwecken - denn die wären ja bereits dadurch vollständig abgedeckt, dass therapeutische Verfahren vom Patentschutz ausgenommen sind -, nicht im Widerspruch, sondern vielmehr im Einklang mit den vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ 1973 und dem Ergebnis späterer Gesetzgebungsinitiativen zu stehen.
3.3.3 Von der vorlegenden Kammer angeführte Rechtsprechung der Beschwerdekammer 3.2.02
In der Entscheidung T 182/90 (ABl. EPA 1994, 641) stellte die Beschwerdekammer unter Berufung auf die Richtlinien für die Prüfung fest, dass der Begriff "Chirurgie" nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung kennzeichne, was jedoch nicht in allen Fällen richtig sein müsse.
Nach dem heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch beschränke sich der Begriff "Behandlung" nicht auf eine Behandlung zu Heilzwecken, sondern könne sich auch auf Behandlungen zu anderen Zwecken als Heilzwecken erstrecken, so etwa kosmetische Behandlungen, Schwangerschaftsabbrüche, Kastrationen, Sterilisationen, künstliche Inseminationen, Embryotransplantierungen, Behandlungen zu Versuchs- und Forschungszwecken und die Entnahme von Organen, Haut oder Knochenmark bei einem lebenden Spender. Bedienten sich solche Behandlungen der Chirurgie, würden sie als chirurgische Behandlungen betrachtet (Nrn. 2.2, 2.4 und 2.5.2 der Entscheidungsgründe).
Dieser Ansatz wurde in der Entscheidung T 35/99 (ABl. EPA 2000, 447) bestätigt, worin es heißt (s. Leitsatz), dass physische Eingriffe, die unabhängig von ihrem spezifischen Zweck vorrangig der Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers dienen, an dem sie vorgenommen werden, "ihrem Wesen nach" Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 seien. Demnach gelte das Patentierungsverbot auch für die kosmetische Chirurgie sowie ganz allgemein für alle physischen Eingriffe, mit denen Funktionen des lebenden Organismus geändert werden sollen (z. B. Kastration zur Änderung der mit dem Geschlechtstrieb zusammenhängenden Körperfunktionen) und auch für die Entnahme von Körperteilen (z. B. zu Transplantationszwecken) (Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe). Nicht unter die Ausschlussbestimmung fielen nur "destruktive Behandlungen", d. h. Verfahren, die - gewollt oder ungewollt - mit dem Tod des "behandelten" Lebewesens enden, weil der Gesetzgeber mit den Ausnahmen für den medizinischen Bereich gesonderte Regelungen festgelegt habe (Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe). Daher sei ein Verfahren, das Schritte zur Einführung eines Katheters in das Herz umfasse, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
In der Entscheidung T 383/03 (ABl. EPA 2005, 159) befand die Kammer dagegen, dass bei einem Verfahren, das zwar eine nicht unerhebliche gewollte physische Einwirkung auf den Körper beinhaltet, die als chirurgischer Eingriff zu betrachten ist, aber eindeutig nicht potenziell geeignet ist, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tiers zu erhalten oder wiederherzustellen, sondern lediglich zu einer ästhetischen Verbesserung des Erscheinungsbilds dieser Person führt, die Ansprüche auf ein "kosmetisches Verfahren" gerichtet sind, das als solches nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 fällt (Nr. 3.4 ff. der Entscheidungsgründe). Dementsprechend wurde das beanspruchte Verfahren zur Haarentfernung mittels optischer Strahlung für patentierbar erachtet.
Obwohl die von der vorlegenden Kammer angeführten späteren Entscheidungen T 1102/02 vom 13. Juli 2006 und T 9/04 vom 8. September 2006 offenbar vorrangig damit begründet wurden, dass die beanspruchten Erfindungen als rein technische Verfahren betrachtet wurden, die lediglich auf den Betrieb der verwendeten Geräte gerichtet waren und keineswegs ein Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 darstellten (s. Nr. 4.3.2 unten), wird in beiden Entscheidungen der in T 383/03 entwickelte Ansatz formal bestätigt, indem darauf verwiesen und zudem ausgeführt wird, dass es sich bei den betreffenden Verfahren "nicht um Verfahren handelt, die geeignet sind oder potenziell geeignet sind, die Gesundheit, die physische Unversehrtheit oder das physische Wohlergehen eines Menschen oder eines Tiers zu erhalten oder wiederherzustellen und Krankheiten vorzubeugen (s. T 383/03, ABl. EPA 2005, 159, Nr. 3.2 bis 3.4 der Entscheidungsgründe)" (T 1102/02, Nr. 3 der Entscheidungsgründe, T 9/04, Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
3.3.4 Richtlinien für die Recherche/Prüfung
Auch in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (Stand: April 2009) wird nach wie vor der Ansatz verfolgt, dass der Begriff "Chirurgie" nicht den Zweck, sondern die Art der Behandlung kennzeichnet. Weiter heißt es dort, dass beispielsweise ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung für kosmetische Zwecke oder zur Verpflanzung eines Embryos vom Patentschutz ausgeschlossen ist (C-IV, 4.8.1).
In Teil III, Kapitel 9, Nr. 9.10 der PCT-Richtlinien für die internationale Recherche und die internationale vorläufige Prüfung heißt es ausdrücklich, dass die Chirurgie nicht auf Heilbehandlungen beschränkt ist, weil sie eher die Art der Behandlung kennzeichnet; Verfahren der kosmetischen Chirurgie können daher von der Recherche oder der vorläufigen Prüfung ausgeschlossen werden. Weiter oben wird unter Nr. 9.09 ausgeführt, dass zu einer kosmetischen Behandlung, die einen chirurgischen Eingriff umfasst, jedoch keine Recherche oder vorläufige Prüfung durchgeführt werden muss (s. Nr. 9.10, letzter Satz).
3.3.5 Stellungnahme G 1/04
In der Stellungnahme G 1/04, a. a. O der Großen Beschwerdekammer heißt es in Nr. 6.2.1 der Begründung: "Chirurgische Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ [1973] umfassen alle physischen Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist."
In dieser Stellungnahme befasste sich die Große Beschwerdekammer vorrangig mit der Bedeutung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 und nicht mit der Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung". Ihre Ausführungen zu chirurgischen oder therapeutischen Verfahren in diesem Zusammenhang dienen nur dazu, diese Verfahren von Diagnostizierverfahren abzugrenzen, die per Definition mehrstufige Verfahren sind. Außerdem deutet schon die Verwendung des Begriffs "umfassen" im zitierten Satz darauf hin, dass die Große Beschwerdekammer damit keine erschöpfende Definition des Begriffs "Verfahren zur chirurgischen Behandlung" geben wollte.
Die Aussage, dass chirurgische Behandlungen physische Eingriffe am menschlichen oder tierischen Körper umfassen, "bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist", bedeutet nicht, dass der Begriff "chirurgische Behandlung" nur therapeutische Verfahren umfasst. Ganz offensichtlich ist außer bei destruktiven Verfahren bei allen chirurgischen Verfahren, d. h. auch im Falle der bereits erwähnten Beispiele der kosmetischen Chirurgie, der Organentnahme und der Embryoverpflanzung, aber auch der in der vorliegenden Anmeldung beanspruchten bildgebenden Verfahren - insbesondere wenn sie potenziell riskante Eingriffe wie eine Injektion in das Herz umfassen - die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung. Daher kann die Definition der Großen Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 nicht in dem Sinne zu verstehen sein, dass nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer der Begriff "chirurgische Behandlung" auf die therapeutische Chirurgie beschränkt ist. Die Definition fügt sich vielmehr sehr gut in die bisherige Rechtsprechung ein: In den Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 heißt es, dass unter dem Begriff "chirurgische Behandlung" solche Eingriffe zu verstehen sind, die unabhängig von ihrem spezifischen Zweck vorrangig der Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des menschlichen oder tierischen Körpers dienen, an dem sie vorgenommen werden (T 35/99, a. a. O., Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe), dass jedoch der Begriff angesichts des Zwecks des Patentierungsverbots, nämlich für den medizinischen Bereich gesonderte gesetzliche Regelungen festzulegen, nicht so breit ausgelegt werden kann, dass darunter auch destruktive Verfahren fallen, d. h. Verfahren, die bewusst (gewollt oder ungewollt) mit dem Tod des "behandelten" Lebewesens enden (T 182/90, a. a. O., Nr. 2.5.2 der Entscheidungsgründe; T 35/99, a. a. O., Nr. 3 ff. der Entscheidungsgründe). Solche Verfahren können nicht als Verfahren betrachtet werden, bei denen die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit des Körpers von entscheidender Bedeutung ist. Daher kann die von der Großen Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 aufgestellte Definition als solche nicht so ausgelegt werden, dass sie über den in den Entscheidungen T 182/90 und T 35/99 entwickelten Ansatz hinausgeht.
Ebenso wenig kann das in diesem Zusammenhang genannte Beispiel der Lumbalpunktion dahin gehend interpretiert werden, dass die Große Beschwerdekammer unter "chirurgische Behandlungen" nur solche Verfahren versteht, die einem therapeutischen Zweck dienen. Die Tatsache, dass die Große Beschwerdekammer therapeutische chirurgische Behandlungen als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen betrachtet, sagt nichts darüber aus, welche Position sie in Bezug auf nicht therapeutische chirurgische Behandlungen einnehmen würde.
3.3.6 Gesetzeszweck des Artikels 53 c) EPÜ
Wie oben ausgeführt, geht aus den "Travaux préparatoires" kein genauer Rechtszweck hervor, zu dem das Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungen in das EPÜ aufgenommen wurde. Was den übergeordneten Zweck des Patentierungsverbots für therapeutische und chirurgische Verfahren sowie für Diagnostizierverfahren anbelangt, so war hingegen schon unter dem EPÜ 1973 allgemein anerkannt, dass der eigentliche Grund für die Ausnahme dieser Verfahren von der Patentierbarkeit sozialethische Erwägungen und Aspekte des Gesundheitsschutzes waren. Die Rechtsfiktion der mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit als Begründung für den Ausschluss von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und von Diagnostizierverfahren von der Patentierbarkeit war nur der Rechtsmechanismus, um dies zu erreichen. Human- und Veterinärmedizinern sollte es freistehen, ihren Patienten die ihrer Erfahrung und Kenntnis nach beste verfügbare Behandlung zu dem optimalen Nutzen angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen. Durch die Überführung von Artikel 52 (4) EPÜ 1973 in Artikel 53 c) EPÜ haben die Verfasser des EPÜ 2000 diesen Gedanken sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht.
3.3.7 Auswirkung des Gesetzeszwecks auf die Auslegung des Begriffs "chirurgische Behandlung"
Zumindest im Falle des Menschen würde eine Begrenzung des Patentierungsverbots auf therapeutische chirurgische Verfahren dem Zweck des Verbots nicht vollständig gerecht und verliehe ihm auch nicht die volle Wirkung. Insbesondere bei schweren und riskanten chirurgischen Eingriffen, wie sie in der kosmetischen Chirurgie, bei Organtransplantationen, Embryoverpflanzungen, Geschlechtsumwandlungen, Sterilisationen und Kastrationen vorkommen, d. h. bei chirurgischen Verfahren, deren Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und die, selbst wenn sie mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden sind, ist der Gesetzeszweck des Patentierungsverbots - nämlich die Mediziner davor zu bewahren, bei der Anwendung der bestmöglichen Behandlung ihrer Patienten möglicherweise durch Patentrechte behindert zu werden - von entscheidender Bedeutung und bedingt den Ausschluss solcher Verfahren von der Patentierbarkeit.
Auch wenn man im Falle von Tieren grundsätzlich die Auffassung vertreten könnte, dass chirurgische Verfahren wie Organtransplantation, Embryoverpflanzung, Sterilisation und Kastration als potenziell patentfähige gewerblich anwendbare Verfahren zu betrachten sind, ist die Sachlage nach dem EPÜ doch so, dass sich der Gesetzgeber anders entschieden hat: Nach langen Beratungen wurde aus Gründen des Gesundheitsschutzes beschlossen, das Patentierungsverbot auf Tiere auszudehnen und dabei dieselben Kriterien anzuwenden wie beim Menschen; auch als dieses Thema in jüngerer Zeit im Rahmen der Abfassung der EG-Biotechnologierichtlinie erneut erörtert wurde, war das Ergebnis immer noch dasselbe (s. Nr. 3.3.2.4 oben). Demnach darf bei der Auslegung der Reichweite des Patentierungsverbots nicht zwischen Menschen und Tieren unterschieden werden.
3.3.8 Auswirkung des Ansatzes in T 383/03
Wie die Präsidentin in Nr. 13 ff. ihrer Stellungnahme ausführlich dargelegt hat, führte der in T 383/03 angewandte Ansatz dazu, dass der Begriff "therapeutisch" im Zusammenhang mit einer "therapeutischen Behandlung" und einer "chirurgischen Behandlung" unterschiedlich definiert wird.
3.3.8.1 Erstens ist anerkannt, dass im Falle der "therapeutischen Behandlung" eine symptomatische Therapie, mit der ein Symptom, aber nicht die ursächliche Krankheit geheilt wird, von der Patentierbarkeit auszuschließen ist, während diese Vorgehensweise in Bezug auf potenziell chirurgische Verfahren nicht - oder zumindest nicht im gleichen Maße - anerkannt zu sein scheint. In der Entscheidung T 383/03 führte die Kammer in einem "obiter dictum" aus, dass sowohl ein chirurgisches Verfahren zur Brustvergrößerung als auch eine Nasenkorrektur unter Artikel 52 (4) EPÜ 1973 fallen, weil diese Verfahren auch zur Wiederherstellung der physischen Unversehrtheit des Körpers angewandt werden können (z. B. nach einer Krebsoperation oder nach einem Verkehrsunfall). Dagegen wurde ein Verfahren zur Haarentfernung mittels optischer Strahlung nicht als von der Patentierbarkeit ausgeschlossen befunden, wobei die Kammer jedoch einräumte, dass übermäßige (unerwünschte) Behaarung durch eine Reihe von Pathologien hervorgerufen und daher als Symptom einer Krankheit betrachtet werden kann. Das Verfahren wurde trotzdem für patentfähig erachtet, weil die Behaarung als solche nicht schädlich ist und weder mit ihrer Entfernung die Ursache von unerwünschtem Haarwuchs behandelt wird noch die Haarentfernung für die physische Gesundheit der behandelten Person relevant ist (Nrn. 4.1 und 4.2 der Entscheidungsgründe).
3.3.8.2 Zweitens geht aus dieser Definition hervor, dass nach Auffassung der Kammer in T 383/03 bei der erläuterten zweckbestimmten Auslegung nur Aspekte berücksichtigt werden sollten, die für die physische Gesundheit relevant sind, während der Begriff "therapeutische Behandlung" auch Behandlungen einschließt, die auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der mentalen Gesundheit des Patienten gerichtet sind. Die Präsidentin führt hierzu an, dass beispielsweise die Kosten für otoplastische Operationen zur Korrektur abstehender Ohren bei Kindern unter bestimmten Umständen von deutschen Krankenkassen übernommen werden.
3.3.8.3 Drittens müsste bei Verfahren, die allgemein als chirurgische Behandlung gelten und zu therapeutischen wie auch zu nicht therapeutischen Zwecken, z. B. aus ästhetischen oder anderen persönlichen Gründen, durchgeführt werden können, in jedem Einzelfall neu entschieden werden, ob sich die nicht therapeutische Wirkung von der therapeutischen Wirkung unterscheiden lässt. Wenn nicht, ist das beanspruchte Verfa