T 1312/18 02-06-2022
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FUGENDICHTUNGSBAND
Odenwald-Chemie GmbH
ISO-Chemie GmbH
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung nicht neu sei.
III. Im Beschwerdeverfahren nahmen die Beschwerdegegnerinnen 1 (Einsprechende 1) und 2 (Einsprechende 2) jeweils ihren Einspruch zurück.
IV. Mit Schreiben vom 4. August 2021 und 16. Mai 2022 wurden Einwendungen Dritter eingereicht.
V. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hilfsantrags 0a, eingereicht als Hauptantrag mit der Beschwerdebegründung vom 27. Juli 2018.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 0a lautet wie folgt:
Fugendichtungsband (10) aus Schaumstoff (12),
wobei das Fugendichtungsband (10) eine oder vorzugsweise mehrere Membranschichten (14) aufweist, wobei das Fugendichtungsband (10) zwei Längsseiten (16, 18) sowie eine im Einbauzustand des Fugendichtungsbandes (10) an die eine Fugenflanke (20) angrenzende Oberseite (22) und eine im Einbauzustand des Fugendichtungsbandes (10) an die gegenüberliegende Fugenflanke (24) angrenzende Unterseite (26) aufweist,
wobei die Membranschicht (14) oder Membranschichten (14) jeweils in Längsrichtung (28) zwischen Oberseite (22) und Unterseite (26) sowie parallel bzw. nahezu parallel zu den Längsseiten (16, 18) verlaufen,
dadurch gekennzeichnet, dass die eine oder vorzugsweise die mehreren Membranschichten (14) feuchtevariabel sind.
VIII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Beweismittel Bezug genommen:
D4 WO 96/33321
D5 DE 195 14 420 C1
D6 WO 2010/017947 A2
D7 DE 10 2008 037 292 A1
D26 EP 2 107 176 A1
D28 Prüfprotokoll "EVT Band Duo"
Anlage 1 Produktinformationsblatt "EVT Band Duo"
MB2 Leimer, Gutachten zum Feuchteverhalten in
porösen, hygroskopischen und kapillaraktiven
Werkstoffen
IX. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die gemäß dem Prüfprotokoll D28 durchgeführte Messung erlaubt keinen Rückschluss darauf, dass die Membranschicht in der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung "EVT Band Duo" feuchtevariabel ist.
Entscheidungsgründe
1. Neuheit
1.1 Offenkundige Vorbenutzung "EVT Band Duo"
1.1.1 Bei der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung "EVT Band Duo" handelt es sich um ein gleichnamiges Fugendichtungsband der Firma EVT Dichtstoffe GmbH, welches im Jahr 2009 von der Firma Tremco illbruck Produktion GmbH als Rückstellmuster bezogen wurde (D28, Absatz "Prüfaufbau"; Anlage A1). Dieses Rückstellmuster wurde im Jahr 2016 einer Prüfung unterzogen, um festzustellen, ob die in dem Fugendichtungsband enthaltene Membranschicht feuchtevariabel ist.
1.1.2 Im Rahmen der Prüfung wurde festgestellt, dass sich das Fugendichtungsband aufgrund seiner überschrittenen Lagerzeit in den Bereichen der Membranschicht nicht mehr zurückstellte (ausdehnte). Deshalb erfolgten der Einbau in die Probenaufnahmen sowie die anschließende Messung im komprimierten Zustand (D28, Absatz "Prüfaufbau"; Bilder 3 und 7).
1.1.3 Für die Prüfung wurden insgesamt acht Prüfkörper hergestellt, jeweils bestehend aus einer Probenaufnahme mit einer darin platzierten Probe, und einer darunter angeordneten Glasschale mit einem Trocknungsmittel.
Zur Herstellung eines Prüfkörpers wurden fünf gleich große Streifen des Fugendichtungsbands zu einer Probe zusammengefasst und in die Probenaufnahme gelegt (D28, Absatz "Prüfaufbau"; Bilder 6 bis 10). Für einen Prüfkörper mit Membranschicht wurden hierfür fünf Streifen gewählt, die jeweils eine Membranschicht enthielten, und sie wurden so angeordnet, dass sich alle Membranschichten ungefähr auf gleicher Höhe befanden (D28, Bilder 7 und 9). Dann wurden die Stirnseiten der Probe mit Paraffin gegen die Probenaufnahme versiegelt, und die Probenaufnahme wurde mit Butyl zur Glasschale abgedichtet.
Jeweils zwei Prüfkörper mit Membranschicht und zwei ohne wurden in einem Klimaschrank bzw. klimatisierten Messraum den folgenden Bedingungen ausgesetzt (D28, Absatz "Durchführung"):
Feuchtklima:
- außen 89% Luftfeuchtigkeit (Durchschnitt)
- innen Trocknungsmittel gesättigte KCL Lösung 85%
Trockenklima:
- außen 25% Luftfeuchtigkeit (Durchschnitt)
- innen Trocknungsmittel Kieselgel 0%
Die tägliche Gewichtszunahme der Prüfkörper - aufgrund des durch die Probe in die Glasschale diffundierenden Wassers - wurde mittels einer Waage gemessen. Aus der jeweiligen Gewichtszunahme wurden die folgenden sd-Werte als Maß für den Wasserdampfdiffusionswiderstand der jeweiligen Probe errechnet, wobei ein größerer sd-Wert einen größeren Widerstand gegen Diffusion bedeutet (D28, Absatz "Ergebnis"):
Proben mit Membranschicht:
sd-Wert von 0,42 m im Feuchtklima
sd-Wert von 2,1 m im Trockenklima
Proben ohne Membranschicht:
sd-Wert von 0,15 m im Feuchtklima
sd-Wert von 0,14 m im Trockenklima
1.1.4 Die ermittelten sd-Werte lassen den Schluss zu, dass bei den Proben mit Membranschicht deren Wasserdampfdurchlässigkeit stark von der Luftfeuchtigkeit der Umgebung abhängt. Während im Trockenklima die Proben mit einem sd-Wert von 2,1 m einen relativ großen Wasserdampfdiffusionswiderstand aufweisen, fällt dieser im Feuchtklima auf 0,42 m ab. Demgegenüber bleibt der Wasserdampfdiffusionswiderstand der Proben ohne Membranschicht in beiden Umgebungen im Wesentlichen gleich.
1.1.5 Die Einspruchsabteilung hatte daraus abgeleitet, dass die Membranschicht der Proben feuchtevariabel sein muss (Punkt 16.4.1 der angefochtenen Entscheidung).
1.1.6 Wie jedoch im Gutachten MB2 ausgeführt, erfolgt der Transport von Feuchtigkeit in porösen Baustoffen auf verschiedene Arten. Bei einem trockenen Werkstoff geht der Wassertransport vorerst durch Diffusion vonstatten. Diese wird dann durch die Kapillarkondensation zunehmend behindert. Bei höheren Feuchtigkeitsgehalten im Werkstoff wird die Diffusion durch leistungsfähigere Mechanismen wie Kapillarleitung und Strömung ersetzt (MB2, Seite 9, letzter Absatz; Abbildung 5). Im Ergebnis resultiert die Erhöhung der Wasserdampfdurchlässigkeit im Feuchtklima aus einem der Diffusion überlagerten Feuchtetransport in der flüssigen Phase (MB2, Seite 11, Kapitel 6 Zusammenfassung).
1.1.7 Die Beschwerdeführerin legte schlüssig dar, dass die in D28 ermittelten sd-Werte (auch) durch einen Feuchtetransportmechanismus erklärbar sind, der die Membran im Grunde umgeht. Dieser von der Beschwerdeführerin "Flankendiffusion" genannte Mechanismus ist möglich, weil im Probenaufbau der D28 die Membranschicht nicht durchgängig quer zur Diffusionsrichtung verläuft, sondern aufgrund der fünf einzelnen nebeneinander liegenden Streifen zumindest viermal unterbrochen ist. Durch diese Unterbrechungen hindurch, also entlang der Flanken der einzelnen aneinander stoßenden Membranschichten, kann der Wassertransport mittels Oberflächendiffusion oder Kapillartransport erfolgen. Dabei handelt es sich um Mechanismen, die gemäß dem Gutachten MB2 (Seite 9; Abbildung 5) die Ausbildung eines ausreichenden Sorbatfilms erfordern, sodass sie erst bei höherer Luftfeuchtigkeit in Gang gesetzt werden. Das erklärt glaubhaft, warum die Proben mit Membranschicht im Trockenklima, wo kein ausreichender Sorbatfilm gebildet wird, eine geringere Wasserdampfdurchlässigkeit zeigen als im Feuchtklima.
1.1.8 Angesichts dessen steht nicht zweifelsfrei fest, dass das in der D28 untersuchte Fugendichtungsband "EVT Band Duo" eine Membranschicht aufweist, die feuchtevariabel ist. Die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung "EVT Band Duo" ist daher nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1.
1.2 Neuheit gegenüber D26
1.2.1 In der angefochtenen Entscheidung wurde unter Punkt 16.4.2 festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen Hauptantrags (entspricht dem vorliegenden Hilfsantrag 0a) neu gegenüber der D26 sei.
1.2.2 Im Beschwerdeverfahren liegt keine gegenteilige Argumentation vor.
1.2.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0a ist folglich neu (Artikel 54 EPÜ).
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Im Beschwerdeverfahren liegen keine Argumente zu mangelnder erfinderischer Tätigkeit vor.
2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0a beruht folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
3. Einwendungen Dritter
3.1 Ein Großteil der Einwendungen Dritter bezieht sich auf die Frage, ob Anträge der Beschwerdeführerin in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sind. Dieser Teil der Einwendungen erfüllt nicht das Erfordernis des Artikels 115 EPÜ, wonach Einwendungen Dritter sich auf Fragen der Patentierbarkeit (Artikel 52 bis 57 EPÜ) zu beziehen haben.
Dieser Teil der Einwendungen wird somit nicht in das Verfahren zugelassen.
3.2 Die Einwendungen, die sich auf die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0a beziehen, sind nicht ausreichend substantiiert.
Es wurde zwar behauptet, dass Kunststofffolien zumindest in einem bestimmten Luftfeuchtigkeitsbereich und/oder Temperaturbereich und/oder Druckbereich eine minimale Feuchtevariabilität zeigen. Diese sehr allgemeine Behauptung wurde jedoch nicht belegt.
Ferner wurde mit Verweis auf einen Wikipedia-Eintrag zum Thema "Quellung" behauptet, dass für Polymere, die als Beschichtung für Schaumstoffe in Dichtbändern genutzt werden, allgemein bekannt sei, dass diese quellen können. Für einen Fachmann sei daher eine Variabilität des Feuchtetransports durch eine solche Polymerschicht zumindest in einem bestimmten Bereich bekannt. Dies sei auch durch die im Prüfungsverfahren zitierten Entgegenhaltungen D4 bis D7 belegt, die jeweils eine Ausnutzung dieses Effekts beschreiben.
Es wurde jedoch nicht dargelegt, dass auch die im Fugendichtungsband "EVT Band Duo" enthaltene Membranschicht aus einem Material besteht, das diesen Effekt zeigt.
Daher kann die Frage der Zulassung dieses Vorbringens in das Verfahren dahingestellt bleiben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1-14 des Hilfsantrags 0a, eingereicht als
Hauptantrag mit der Beschwerdebegründung vom 27. Juli 2018
- Beschreibung: Seite 2, eingereicht während der mündlichen
Verhandlung am 2. Juni 2022, und Seiten 3-8 der Patentschrift
- Figuren 1-12 der Patentschrift.