T 1466/19 23-09-2022
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VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG EINES BREMSDRUCKWERTS ANHAND VON KENNLINIEN
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdeschrift
Zulässigkeit der Beschwerde - Name und Anschrift des Beschwerdeführers
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdeschrift
Zulässigkeit der Beschwerde - Antrag in dem Beschwerdegegenstand festgelegt wird
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Im Wesentlichen hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Gegenstand dieses Antrags neu ist gegenüber dem Dokument
D18 DE 38 29 951 A1.
Die Einspruchsabteilung sah ferner D18 als nächstkommenden Stand der Technik an, von dem ausgehend der beanspruchte Gegenstand auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D18 mit
D7 DE 10 2008 029 311 A1 bzw.
D20 DE 100 50 466 A1
beruht.
III. Im Beschwerdeverfahren wurden zudem die folgenden, für die vorliegende Entscheidung relevanten Dokumente genannt:
D4 EP 2 040 961 B1
D10 Fachbuch "Bremsanlagen" von Dr.-Ing. Ralf
Leiter und Dipl.-Ing. Steffen Mißbach,
Vogel Buchverlag, 1. Auflage 2004
D19 DE 10 2009 005 472 A1
IV. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, die in Form einer Videokonferenz abgehalten wurde.
a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Weiterhin beantragte sie die Beschwerde zurückzuweisen und das Streitpatent in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung des Hilfsantrags 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, aufrechtzuerhalten (Hauptantrag).
Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin, das Patent in geänderter Fassung auf Basis eines der im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge 1, 1a, 2, 2a, 3, 3a, 4, 5 oder 6 aufrechtzuerhalten, wobei die Hilfsanträge 1 - 4 am 21. Juli 2017 und die Hilfsanträge 1a, 2a, 3a, 5 und 6 am 22. November 2018 erstmals vorgelegt wurden.
V. Der auf ein Verfahren gerichtete unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Verfahren zur Bestimmung des Bremsdruckwerts des von einem pneumatischen Kanal (12) eines weiterhin wenigstens einen elektrischen Kanal (14) aufweisenden Bremswertgebers (10) ausgesteuerten Bremsdrucks in einer Bremseinrichtung eines Kraftfahrzeugs ohne Verwendung eines Bremsdrucksensors,
wobei durch wenigstens einen, dem elektrischen Kanal (14) zugeordneten elektrischen Sensor abhängig von Betätigungen des Bremswertgebers (10) gewünschte Bremsdruckwerte repräsentierende elektrische Signale erzeugt werden, bei dem
a) eine erste Kennlinie (28) ermittelt und gespeichert wird, in welcher die Abhängigkeit der von dem wenigstens einen elektrischen Sensor des elektrischen Kanals (14) ausgesteuerten elektrischen Signale vom Grad der Betätigung des Bremswertgebers (10) dargestellt ist, und
b) eine zweite Kennlinie (30) ermittelt und gespeichert wird, in welcher die Abhängigkeit der von dem wenigstens einen pneumatischen Kanal (12) ausgesteuerten Bremsdruckwerte von den durch den elektrischen Sensor erfassten elektrischen Signale dargestellt ist, wobei
c) der einer bestimmten Bremsanforderung durch Betätigung des Bremswertgebers (10) entsprechende Bremsdruckwert anhand der ersten Kennlinie (28) und der zweiten Kennlinie (30) ermittelt wird."
Ferner wird im Hauptantrag im Anspruch 9 eine Bremseinrichtung wie folgt beansprucht:
"Bremseinrichtung eines Fahrzeugs mit einem Bremswertgeber (10), beinhaltend wenigstens einen wenigstens einen elektrischen Sensor aufweisenden elektrischen Kanal (14) und wenigstens einen pneumatischen Kanal (12), wobei die Bremseinrichtung ausgebildet ist, um einen Bremsdruckwert nach dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7 zu ermitteln und zu verwenden."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Beschwerde sei zulässig, da sowohl implizit aus dem Beschwerdeschreiben klar würde, wer der Beschwerdeführer sei und wo er ansässig sei, als auch dass dieser den Widerruf des Streitpatents beantrage.
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D18.
Aus Figur 1 der D18 sei ein Bremssystem bekannt, das gemäß dem Flussdiagramm der Figur 2 betrieben werde. Dabei ergäbe sich bei der Betätigung des Bremspedals mit Hilfe einer ersten Kennlinie aus der Stellung des Bremspedals eine als elektrisches Signal an die Steuerung weitergeleitete Sollverzögerung Zs, aus der die Steuerung dann über den Faktor k ein Bremsdruckniveau P mit Hilfe einer zweiten Kennlinie bestimme. Dieses Bremsdruckniveau P entspreche dem Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers, so dass dieser aus der Stellung des Bremspedals ermittelt werden könne.
Dieses Bremsdruckniveau würde der Fachmann insbesondere deshalb bestimmen, da die Kenntnis des Vordrucks an den Regelventilen eine feinere und exaktere Aussteuerung der Bremsdrücke Pv bzw Ph an den Achsen ermögliche.
c) Sollte man die funktionalen Zusammenhänge in D18 nicht als ermittelte und gespeicherte Kennlinien verstehen, wäre es zumindest nicht erfinderisch, diese Zusammenhänge in Form von vorab ermittelten und gespeicherten Kennlinien vorzusehen. Der Fachmann kenne diese Form der Verarbeitung aufgrund seines Fachwissens. Zudem würde die Verwendung der ersten Kennlinie auch durch D19 nahegelegt, die zweite Kennlinie durch D20.
d) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei zudem nicht erfinderisch, da er auch ausgehend von D7 nahegelegt sei.
D7 offenbare ein Bremssystem mit redundanten Bremssystemen: einem ersten, in Figur 4 gezeigten pneumatischen System und einem zweiten, in Figur 5 gezeigten elektronischen System. Im elektronischen System werde dabei der Bremsdruckwert des Bremsdrucks aus der Stellung des Bremspedals unter Verwendung von zwei Kennlinien errechnet. Das pneumatische System würde den gleichen Bremsdruck aussteuern, da unabhängig vom verwendeten Bremssystem das Fahrzeug gleich reagieren soll. Der Bremsdruckwert des in der pneumatischen Leitung wirkende Drucks könne daher über das elektronische Bremssystem bestimmt werden.
Der Fachmann würde erkennen, dass er so den Bremsdruckwert in der pneumatischen Leitung bestimmen könne, um auch hier dank der Kenntnis des Vordrucks die Regelventile feiner ansteuern zu können. Analog würde zudem D19 und D20 jeweils die Verwendung der ersten und/oder zweiten Kennlinie nahelegen.
e) Zudem sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch ausgehend von D4 nicht erfinderisch.
Aus D4 ist ein dem Bremssystem der D18 ähnliches System bekannt, das ebenfalls ohne Bremsdrucksensoren arbeiten würde. Auch hier würde ein Bremsdruckniveau ermittelt und auf die Achsen des Fahrzeugs verteilt. Dieses Bremsdruckniveau sei identisch mit dem pneumatisch ausgesteuerten Bremsdruck am Bremswertgeber, was der Fachmann aufgrund seines Fachwissens (beispielsweise durch D10 nachgewiesen) erkennt und nutzen würde, um den Bremsdruckwert in die Steuerung einfließen lassen zu können.
Zudem würden D19 und D20 jeweils die Verwendung der ersten und/oder zweiten Kennlinie nahelegen.
f) Dieses Vorbringen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit gelte auch analog zu Anspruch 9, so dass auch dessen Gegenstand nicht neu, zumindest aber nicht erfinderisch sei.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Beschwerde sei unzulässig, da aus dem Beschwerdeschreiben weder erkennbar sei, wer der Beschwerdeführer sei und wie seine Anschrift lauten würde, noch ein Antrag erkennbar sei, mit dem der Beschwerdegegenstand festgelegt werde.
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D18.
Das Bremsdruckniveau P in D18 sei nicht identisch mit dem im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers ausgesteuerten Bremsdruckwert, sondern nur eine in der Steuerung verwendete Zwischengröße bei der Berechnung des Bremsdrucks Pv und Ph der vorderen und hinteren Achse. Nur Pv und Ph würden letztlich ausgesteuert, dann aber auch nicht im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers des Bremspedals, sondern erst hinter den ABS-Ventilen.
Zudem offenbare D18 nicht, dass die funktionalen Zusammenhänge zwischen der Stellung des Bremspedals und dem an die Steuerung weitergeleiteten elektrischen Signal, sowie zwischen diesem Signal und dem Bremsdruckniveau P in Form von ermittelten und gespeicherten Kennlinien hergestellt werden.
c) Es sei auch nicht nahegelegt (weder durch das allgemeine Fachwissen, noch durch D19 und/oder D20), in D18 die dort verwendeten Zusammenhänge in Form von gespeicherten Kennlinien herzustellen. Es gäbe hierfür zahlreiche alternative Möglichkeiten, die keine gespeicherten Kennlinien verwenden würden.
d) Auch ausgehend von D7 und D4 würde der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahegelegt.
In D7 wäre es nicht Aufgabe der redundanten Systeme, den Bremsdruckwert des pneumatischen Systems der Figur 4 über das elektronische System der Figur 4 zu ermitteln. Selbst bei einer Kalibrierung der Systeme würde der Fachmann den Bremsdruckwert im pneumatischen System einfacher über eine Messung bestimmen können. Zudem hätte der Fachmann keine Veranlassung, im elektronischen System der Figur 5 gespeicherte Kennlinien zu verwenden.
In D4 wiederum werde der Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal nicht ermittelt. D4 verwende zur Berechnung der Bremsdrücke der Achsen die Radumdrehungszahlen, so dass der Bremsdruckwert analog zu D18 auch in D4 nur eine Rechengröße sei. Für den Fachmann besteht aber auch hier keine Veranlassung, den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal zu ermitteln, da diese Information in D4 nicht nötig sei.
e) Die Argumentation zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelte auch zum Anspruch 9 des Hauptantrags.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit der Beschwerde
1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeschrift genügt den Erfordernissen der Regel 99 EPÜ.
1.1 Regel 99(1) EPÜ verlangt, dass in der Beschwerdeschrift neben der Angabe der angefochtenen Entscheidung (Regel 99(1) b) EPÜ) auch der Name und die Anschrift des Beschwerdeführers anzugeben sind (Regel 99(1) a) EPÜ), sowie ein Antrag gestellt werden muss, in dem der Beschwerdegegenstand festgelegt wird (Regel 99(1) c) EPÜ).
1.2 Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, da die Beschwerdeschrift nicht konkretisiere, wer Beschwerdeführer sei und welcher Antrag im Ergebnis gestellt werde.
1.3 Die Beschwerdeschrift nennt im Betreff die Patentinhaberin und die Einsprechende mit deren Namen. Nachdem das Beschwerdeschreiben von einem zugelassenen Vertreter erstellt wurde, der schon am Einspruchs-verfahren beteiligt war und dort die Einsprechende vertreten hatte, war offensichtlich, dass der selbe zugelassene Vertreter auch die Beschwerde im Namen der Einsprechenden WABCO Europe BVBA eingelegt hat.
1.4 Allerdings nennt die Beschwerdeschrift keine Anschrift der Beschwerdeführerin.
Eine fehlende Anschrift in der Beschwerdeschrift ist aber nicht per se ein Grund, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, wenn die Angaben in der Beschwerdeschrift ausreichen, um den Beteiligten zu identifizieren (siehe beispielsweise T 483/90, Entscheidungsgründe 1; T 624/09, Entscheidungsgründe 1.1; T 662/09, Entscheidungsgründe 1.2).
Das Fehlen der Anschrift kann allenfalls dazu führen, dass die Beschwerdekammer, wenn ein Anlass dazu besteht (siehe auch T 2330/10, Gründe 1.6), dem in Regel 101(2) EPÜ beschriebenen Verfahren folgend die betroffene Partei auffordert, die Adressangaben innerhalb einer gesetzten Frist nachzureichen. Erst wenn die so aufgeforderte Partei es unterlässt, die angefragte Information nachzureichen, verwirft die Beschwerdekammer die Beschwerde als unzulässig.
Vorliegend informierte die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung über die in der Beschwerdeschrift fehlende Adresse (siehe Seite 1 der Beschwerde-begründung im Betreff: "Beschwerdeführerin und Einsprechende: WABCO Europe BVBA, Chaussée de la Hulpe 166, 1170 Brussels, Belgium") und kam damit einer möglichen Aufforderung zur Nachreichung der fehlenden Information nach Regel 101(2) EPÜ durch die Beschwerdekammer zuvor.
1.5 Der Beschwerdegegenstand wiederum ist trotz Fehlens eines expliziten Antrags im vorliegenden Fall offensichtlich: Nachdem die Einsprechende als Beschwerdeführerin Beschwerde einlegte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent aufrechtzuerhalten, muss davon ausgegangen werden, dass sie mit ihrer Beschwerde den Widerruf des Streitpatents anstrebt. Dies wurde auch in analog gelagerten Fällen von den Beschwerdekammern wiederholt so gesehen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, V-A-2.5.2 c) und beispielsweise T 2561/11, Entscheidungsgründe 2.5), so dass auch im vorliegenden Fall die Beschwerdeschrift implizit den Antrag auf Widerruf des Streitpatents enthält.
Neuheit
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass D18 neuheitsschädlich sei.
2.1.1 Dabei ist unstrittig zwischen den Parteien, dass bei dem in D18 beschriebenen ALB-Verfahren ("automatisch lastabhängige Bremse") der Bremswertgeber (10) einen pneumatischen Kanal (13 bzw. 14) und einen elektronischen Kanal (17) aufweist. Im pneumatischen Kanal wird über das Bremspedal (11) ein Bremsdruck ausgesteuert, der über die Ventile (18.1 - 18.4) eines konventionellen ABS-Systems (siehe Spalte 2, Zeilen 23 - 34 und Zeilen 65 - 67) auf die jeweiligen Bremsdrücke der Vorder- und Hinterachse Pv bzw Ph weiter reduziert wird. Die an den Achsen wirkenden Bremsdrücke Pv bzw Ph werden dabei von der Steuerung (15) aus der Stellung des Bremspedals (11) mit Hilfe eines Positions- oder Stellgebers (12) errechnet. Hierzu wird aus der vom Positions- oder Stellgeber (12) ermittelten Bremsanforderung mit Sollverzögerung Zs und einem Faktor k ein Bremsdruckniveau P bestimmt. Dieses wird dann über den Druckverteilungsparameter Phi auf einen Bremsdruckwert Pv der Vorderachse und einen Bremsdruckwert Ph der Hinterachse verteilt.
2.1.2 Strittig zwischen den Parteien ist jedoch unter anderem, ob das Bremsdruckniveau P dem Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal (13 bzw. 14) des Bremswertgebers entspricht, so dass das aus D18 bekannte Verfahren ein Verfahren zur Bestimmung des Bremsdruckwerts des von einem pneumatischen Kanal eines Bremswertgebers ausgesteuerten Bremsdrucks ist.
Ferner ist auch strittig zwischen den Parteien, ob die Umrechnung der erfassten Position des Bremspedals in das Bremsdruckniveau P unter Verwendung einer ersten und zweiten Kennlinie erfolgt, die ermittelt und gespeichert werden.
2.2 D18 beschreibt an keiner Stelle, dass das Bremsdruckniveau P dem Bremsdruckwert des tatsächlich vorhandenen Bremsdrucks im pneumatischen Kanal (13 bzw. 14), also vor den ABS Ventilen entspricht.
Das Bremsdruckniveau wird nur im Zusammenhang mit dem in der Steuerung (15) ablaufenden Berechnungsverfahren für die Bremsdrücke Pv und Ph hinter den ABS-Ventilen (18/1 - 18/4) genannt. Dieses Berechnungsverfahren erfolgt aber unabhängig von dem pneumatisch ausgesteuerten Bremsdruck, da es als Eingangsgrößen nur die Raddrehzahlen und die Position des Bremspedals verwendet.
2.3 Das Bremsdruckniveau P wird zudem iterativ durch ein fortwährendes Anpassen des Faktors k so korrigiert, dass am Ende die tatsächliche zeitliche Veränderung der gemessenen Raddrehzahlen (dN/dt) der gewünschten Sollverzögerung Zs entspricht (siehe Spalte 5, Zeile 59 - Spalte 6, Zeile 10).
Der Bremsdruck im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers kann aber mangels entsprechender Steuerorgane hinter dem Bremswertgeber nicht mehr beeinflusst werden. Nachdem während eines Bremskommandos die Position des Bremspedals sich aber nicht verändert, verändert sich der mit dem Bremspedal ausgesteuerte Druck im pneumatischen Kanal ebenfalls nicht. Er kann daher aber nicht dem sich während der Iteration bei jedem Iterationsschritt ändernden Bremsdruckniveau P entsprechen.
2.4 Die Beschwerdeführerin verweist auf Spalte 5, Zeilen 34 - 37 der D18 und argumentiert, dass das Sollbremsdruckniveau P "aufgebaut" werde.
Dies ist aber nicht dahingehend zu verstehen, dass ein diesem Sollbremsdruckniveau P entsprechender Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal real ausgesteuert wird. Ganz im Gegenteil wird im unmittelbar auf die zitierte Passage folgenden Satz verdeutlicht, dass dieses Druckniveau noch durch den Faktor Phi auf einen Vorderachsbremsdruck Pv und einen Hinterachsbremsdruck Ph aufgeteilt wird. Erst diese Drücke Pv und Ph stellen konkrete Bremsdruckwerte dar, die mit Hilfe der ABS-Ventile (18/1-18/4) ausgesteuert werden können.
2.5 Beim Bremsdruckniveau P der D18 handelt es sich daher um eine interne Zwischengröße im Berechnungsverfahren, nicht aber um den real vorliegenden Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers.
Der im pneumatischen Kanal ausgesteuerte Bremsdruck wird in D18 nicht in seinem Bremsdruckwert bestimmt, so dass D18 kein "Verfahren zur Bestimmung des Bremsdruckwerts des von einem pneumatischen Kanal eines Bremswertgebers ausgesteuerten Bremsdrucks" im Sinne des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist.
2.6 Es kann daher dahingestellt bleiben, ob in D18 eine erste und/oder zweite Kennlinie verwendet werden und ob diese während des Verfahrens ermittelt und gespeichert werden.
Erfinderische Tätigkeit
3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
3.1 Ausgehend von D18 als nächstkommenden Stand der Technik gibt es für den Fachmann keine Veranlassung, den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal (13 bzw. 14) des Bremswertgebers zu bestimmen.
3.1.1 Das dem herkömmlichen ABS-System überlagerte, in D18 beschriebene ALB-Verfahren errechnet die einzusteuernden Bremsdrücke Pv und Ph für Vorder- und Hinterachse unabhängig vom Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal. Der Bremsdruck im pneumatischen Kanal legt zwar den maximal möglichen Bremsdruck für Vorder- und Hinterachse fest, fließt aber nicht in die Berechnung der Bremsdruckwerte des tatsächlich dann auf die Achsen wirkenden Bremsdrücke ein. Die Berechnung der Bremsdruckwerte Pv und Ph verwendet lediglich als gemessene Eingangsinformation die Stellung des Bremspedals und die Radumdrehungszahlen der einzelnen Räder des Fahrzeugs (siehe Schritt 30 in Figur 2). Auch der Bremsdruckverteilungsparameter Phi wird ausschließlich auf Basis der Radumdrehungszahlen ermittelt (siehe Spalte 6, Zeilen 11 - 31).
3.1.2 Daher kann der Argumentation der Beschwerdeführerin, der Fachmann könne so auch den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal bestimmen und würde das auch tun, nicht gefolgt werden.
3.1.3 Die erfindungsgemäße Bestimmung des im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers ausgesteuerten Bremsdruckwertes des Bremsdrucks ermöglicht es, die ABS-Ventile feiner und exakter zu steuern, ohne vor dem ABS-Ventilen einen ansonsten notwendigen Drucksensor zur Messung des Vordrucks verwenden zu müssen. So kann dieser zusätzliche Drucksensor eingespart werden (objektive Aufgabe, die auch der im Streitpatent genannten Aufgabe entspricht).
Eine Bestimmung des Vordrucks am ABS-Ventil wird in D18 aber für eine Durchführung des dort beschriebenen ALB-Verfahren nicht benötigt, so dass es für den Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung gemäß dem Streitpatent keine Veranlassung gibt, den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal im Rahmen des ALB-Systems überhaupt zu bestimmen.
3.1.4 Sollte der Fachmann aber tatsächlich - beispielsweise um die ABS-Ventile feiner steuern zu können - den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal bestimmen wollen, hätte er eine Vielzahl alternativer Möglichkeiten. Insbesondere würde der Fachmann hier auf die üblicherweise verwendete Messung mit einem Sensor vor dem ABS-Ventil zurückgreifen. Derartige Drucksensoren werden zwar nicht explizit in D18 beschrieben, aber vom Fachmann implizit mitgelesen, wenn er den Hinweis auf ein "herkömmliches ABS-System" erhält (wie beispielsweise in Spalte 3, Zeilen 8 - 18 der D18).
3.2 Die Dokumente D19 und D20 wurden von der Beschwerdeführerin nur in Hinblick auf die Frage angezogen, ob es naheliegend sei, ermittelte und gespeicherte Kennlinien zu verwenden. Den Dokumenten D19 und D20 kann keine Lehre entnommen werden, die den Fachmann dazu führen würde, auch den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanals des Bremswertgebers über die Position des Bremspedals zu bestimmen. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht.
3.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird daher ausgehend von D18 weder durch das allgemeine Fachwissen des Fachmanns, noch durch eines der Dokumente D19 und/oder D20 nahegelegt.
4. Die Beschwerdeführerin argumentiert zudem auch ausgehend von Dokument D7 als nächstkommenden Stand der Technik.
4.1 D7 offenbart eine Bremsanlage mit redundanten Bremssystemen, die zum einen das in Figur 4 gezeigte pneumatische Bremssystem, als auch das in Figur 5 gezeigte elektronische Bremssystem umfassen. Im pneumatischen Bremssystem wird über das Bremspedal (6) am Bremswertgeber (2) ein Druck in den Leitungen (7.1 und 7.2) ausgesteuert.
Parallel dazu können die Steuerventile auch wie in Figur 5 gezeigt elektronisch angesteuert werden. Hierzu wird die Stellung des Bremspedals über die Leitung (17) an die Steuerung (14) gemeldet, die daraus ein elektronisches Stellsignal für die Steuerventile erzeugt. Auf Basis dieses Signals wird die Luftzufuhr und der Druck in den Bremsaktuatoren (10.1, 10.2, 12.1 und 12.2) über die Steuerventile (9.1, 9.2, 11.1 und 11.2) ausgesteuert (siehe Absatz [0029]).
4.2 Strittig zwischen den Parteien ist jedoch, ob der pneumatische Bremsdruck in seinem Bremsdruckwert über das redundante elektronische System ermittelbar ist und ob der Fachmann diesen Druck tatsächlich ermitteln würde, d. h. ob das aus D7 bekannte Verfahren ein "Verfahren zur Bestimmung des Bremsdruckwerts des von einem pneumatischen Kanal ausgesteuerten Bremsdrucks ohne Verwendung eines Bremsdrucksensors" ist.
4.2.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Fachmann die im pneumatischen System ausgesteuerten Bremsdrücke und die im elektronischen System errechneten und dann über die Steuerventile ausgesteuerten Bremsdrücke so aufeinander abstimmen würde, dass die redundanten Systeme identisch reagieren (objektive Aufgabe). Dies würde dann dem Verfahrensschritt der Bestimmung des Bremsdruckwerts im pneumatischen Kanal entsprechen.
4.2.2 Es ist aus Sicht der Kammer durchaus plausibel, dass der pneumatisch über das System der Figur 4 erzeugte Bremsdruck an den Achsen annähernd dem mit dem elektrischen System der Figur 5 erzeugten Bremsdruck entspricht. Bei der Verwendung redundanter Bremssysteme sollen diese letztlich immer annähernd gleich reagieren, so dass der Fahrer nicht bemerkt, wenn die Steuerung bei einem Ausfall des einen Systems auf das andere System umschaltet.
Dies setzt aber nicht voraus, dass auch der Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal identisch mit dem elektronisch errechneten Bremsdruckwert ist, da der relevante Bremsdruck an den Achsen erst hinter den Steuerventilen eingeregelt wird.
4.2.3 Zudem ist es aber auch nicht zwingend notwendig, den Bremsdruck im pneumatischen System in seinem Bremsdruckwert über das elektronische System zu ermitteln.
4.2.4 Im Rahmen eines Kalibierungsschrittes würde der Fachmann vor der Auslieferung des Fahrzeugs bei einem der redundanten Systeme die einstellbaren Parameter festlegen und dann das andere System so daran anpassen, dass eine gleiche Stellung des Bremspedals auch den gleichen Bremsdruck an der jeweiligen Achse erzeugt.
Wenn der Fachmann nun aber vom elektronischen System ausgeht, könnte er den zu erzeugenden Bremsdruck in seinem Bremsdruckwert an der jeweiligen Achse zwar berechnen, müsste dann aber den im pneumatischen System am Bremswertgeber ausgesteuerten Bremsdruckwert experimentell ermitteln, um ihn mit dem über das elektronische System errechneten Bremsdruckwert vergleichen zu können. Nur so kann er bei gleicher Stellung des Bremspedal die pneumatische Bremsdruckerzeugung so manipulieren, bis der errechnete Bremsdruck an der Achse dem gemessenen Bremsdruck entspricht. Dann würde der Fachmann aber den Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal nicht mehr über das elektronische System bestimmen, sondern ihn davon unabhängig messen.
4.2.5 Dabei hat der Fachmann dann aber analog zur Argumentation ausgehend von D18 eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Bremsdruck aus dem pneumatischen System zu ermitteln. Insbesondere kann er ihn auf einfachstem Wege mit Hilfe eines Drucksensors messen, so dass es ohne Kenntnis der Erfindung keinen nachvollziehbaren Grund gibt, hier den Druck über das elektronische System zu ermitteln und dies ohne Verwendung eines Drucksensors durchzuführen.
4.2.6 Zudem würde der Fachmann aber auch den Bremsdruck an der Achse als Referenz verwenden und nicht den Bremsdruck im hydraulischen Kanal (und damit noch vor dem Steuerventil), da nur der Bremsdruck an der Achse relevant ist für das Bremsverhalten des Fahrzeugs.
4.2.7 Es gibt daher keinen nachvollziehbaren Grund, warum der Fachmann es in Betracht ziehen würde, den Bremsdruckwert für den Bremsdruck im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers der D7 ohne Verwendung eines Bremsdrucksensors zu bestimmen.
4.3 Entsprechend kann aber offen bleiben, ob in D7 eine erste ermittelte und gemessene Kennlinie verwendet wird, um die gemessene Position des Bremspedals mit einem elektrischen Signal zu verknüpfen, das anschließend mit einer zweiten ermittelten und gemessenen Kennlinie in einen Bremsdruckwert des Bremsdrucks überführt wird. Gleiches gilt für die Frage, ob die Verwendung der beiden Kennlinien durch D19 oder D20, bzw. durch das Fachwissen des Fachmanns nahegelegt wird.
5. Schließlich argumentiert die Beschwerdeführerin auch ausgehend von D4 als nächstkommenden Stand der Technik.
5.1 D4 offenbart unstrittig zwischen den Parteien ein elektronisches Bremssystem ohne Drucksensoren. Hierbei wird der Bremsdruck an den Achsen ausgesteuert, aber bei Auftreten eines Radschlupfes soweit je Achse korrigiert, bis der Schlupf an allen Achsen identisch ist und eine bestmögliche Bremswirkung erzielt wird. Der Radschlupf wird dabei über die Radumdrehungen der einzelnen Räder ermittelt.
Der Bremsdruckwert des Bremsdrucks im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers wird jedoch in D4 nicht ermittelt.
5.2 Die erfindungsgemäße Bestimmung des Bremsdruckwertes im pneumatischen Kanal ist erfindungsgemäß nur deshalb notwendig, um das Steuerventil feiner steuern zu können. Diese Aufgabe wird in D4 jedoch nicht angesprochen.
5.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert stattdessen, dass der Fachmann beim Bremssystem der D4 erkennen würde, dass der Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal implizit schon ermittelt wurde, und daher nur noch ausgelesen werden müsse.
5.3.1 Der Fachmann hat aber gerade keine Veranlassung, den Bremsdruckwert des Bremsdrucks im Bremssystem der D4 zu bestimmen, da die Regelung des Bremsdrucks von Vorder- und Hinterachse über einen Vergleich des Schlupfes der beiden Achsen erfolgt. Dieser Schlupf wird durch die Messung der Raddrehzahlen ermittelt, so dass eine Information über den Bremsdruckwert nicht nötig ist zur Durchführung des Verfahrens der D4.
5.3.2 Die Beschwerdeführerin verweist zwar auf Dokument D10 als Nachweis des allgemeinen Fachwissen, wonach das in D4 verwendete "elektropneumatische Bremssystem" sowohl pneumatisch, als auch elektronisch einen Bremsdruck aussteuern könne. Aber auch D10 zeigt nicht, dass bei jedem elektropneumatischen Bremssystem der pneumatische Bremsdruck in seinem Bremsdruckwert über die elektronische Steuerung in seinem Bremsdruckwert bestimmt wird.
5.3.3 Eine Bestimmung des Bremsdruckwertes zur feineren Steuerung des Ventils wird in D4 jedoch nicht angeregt und würde auch ohne Kenntnis des Streitpatents vom Fachmann nicht in Betracht gezogen werden.
5.3.4 Selbst wenn der Fachmann aber den Bremsdruckwert im pneumatischen Kanal des Bremswertgebers bestimmen möchte, kann er das auf einfacherem Wege mit Hilfe eines Drucksensors vor dem Steuerventil (wie dies bei üblichen ABS-Systemen erfolgt), so dass er ohne Kenntnis der Erfindung eine Berechnung des Bremsdruckwerts nur aus der Stellung des Bremspedals über mehrere Kennlinien nicht in Betracht ziehen würde.
5.4 Entsprechend kann auch hier offen bleiben, ob in D7 eine erste ermittelte und gemessene Kennlinie verwendet wird, um die gemessene Position des Bremspedals mit einem elektrischen Signal zu verknüpfen, das anschließend mit einer zweiten ermittelten und gemessenen Kennlinie in einen Bremsdruckwert des Bremsdrucks überführt wird. Gleiches gilt für die Frage, ob die Verwendung der beiden Kennlinien durch D19 oder D20, bzw. durch das Fachwissen des Fachmanns nahegelegt wird.
6. Weitere Argumentationslinien zur erfinderischen Tätigkeit wurden nicht vorgebracht.
7. Nachdem die Definition des Computerprogrammprodukts nach Anspruch 8 auf einen Algorithmus gerichtet ist, durch welchen das Verfahren nach Anspruch 1 ausführbar ist, und die Bremseinrichtung nach Anspruch 9 so ausgebildet ist, um nach dem Verfahren des Anspruchs 1 den Bremsdruckwert zu ermitteln, ist aus den vorstehend zu Anspruch 1 ausgeführten Gründen auch der Gegenstand der Ansprüche 8 und 9 neu und erfinderisch.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.