T 0130/84 (Einspruch gegen eigenes Patent) 03-09-1984
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführerin wurde am 8. Juni 1983 das europäische Patent Nr. 0007735 erteilt.
II. Am 4. November 1983 legte die Beschwerdeführerin Einspruch gegen ihr eigenes Patent ein. Die Einspruchsgebühr wurde fristgerecht entrichtet.
III. Am 30. März 1984 traf ein Formalsachbearbeiter gemäß Nummer 6 der Mitteilung des Vizepräsidenten Generaldirektion 2 (s. ABl. EPA 1982, 61) für die Einspruchsabteilung die angefochtene Entscheidung, mit der der Einspruch aufgrund der Regel 56 (1) EPÜ als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Inhaber eines europäischen Patents keinen Einspruch gegen sein eigenes Patent einlegen dürfe, da er nicht als "any person" ("jedermann") im Sinne des Artikels 99 EPÜ anzusehen sei.
IV. Am 24. Mai 1984 legte die Beschwerdefürerin gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet und die Begründung am 1. August 1984 nachgereicht.
V. In der Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin vor, daß es keinen Grund dafür gebe, das Wort "jedermann" in Artikel 99 (1) EPÜ als "jedermann außer dem Patentinhaber" auszulegen. Die Beschwerdeführerin führte unter anderem folgende Argumente an:
(1) Diese Auslegung sei mit der klaren Ausdrucksweise des EPÜ unvereinbar und werde auch durch die vorbereitenden Dokumente zum Übereinkommen nicht gestützt.
(2) In Artikel 115 EPÜ (Einwendungen Dritter) würden im Gegensatz dazu in der englischen Fassung dieselben Worte "any person" in einem Zusammenhang verwendet, in dem sie eindeutig ,"any third party" (jeder Dritte) bedeuteten.
(3) Die Sachlage sei nicht wesentlich anders, als wenn ein dritter Einsprechender den Einspruch zurücknähme und die Einspruchsabteilung das Verfahren gemäß Regel 60 (2) EPÜ von Amts wegen fortsetzen würde.
(4) Das Einspruchsverfahren vor dem EPA beruhe auf dem Untersuchungsgrundsatz und nicht auf dem Verhandlungsgrundsatz.
(5) Es könne auch zu keiner Kollison mit den Hoheitsrechten der Vertragsstaaten kommen, wenn dem Inhaber eines europäischen Patents gestattet werde, Einspruch gegen sein eigenes Patent einzulegen.
(6) Es liege im Interesse der Öffentlichkeit, daß zu Unrecht erteilte Patente eingeschränkt oder widerrufen würden.
(7) Ein Verbot für den Patentinhaber, gegen sein eigenes Patent Einspruch einzulegen, könne dadurch unterlaufen werden, daß seine Angestellten oder seine Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften an seiner Stelle Einspruch einlegen.
Die Technische Beschwerdekammer wird von der Beschwerdeführerin aufgefordert, zu prüfen, ob nicht die Große Beschwerdekammer mit dieser Rechtsfrage befaßt werden sollte. Die Beschwerdeführerin beantragt die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, falls die Kammer (oder die Große Beschwerdekammer) der Ansicht ist, daß die Beschwerde zurückzuweisen ist.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 und 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ kann eine Beschwerdekammer von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer befassen, wenn sie der Ansicht ist, daß eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Klärung bedarf.
3. Die Klärung der Frage, ob der Inhaber eines europäischen Patents Einspruch gegen sein eigenes Patent einlegen darf, ist nicht nur für die vorliegende Beschwerde wichtig, sondem offenkundig von erheblicher allgemeiner Bedeutung. Es handelt sich um eine reine Rechtsfrage, die bekanntermaßen strittig ist; es liegt also eindeutig im Interesse de Öffentlichkeit, hier eine endgültige Antwort zu finden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen, wird gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 17 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammem (ABl. EPA 1983, 17) wie folgt entschieden:
Folgende Rechtsfrage wird der Großen Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt:
"Darf der Inhaber eines europäischen Patents Einspruch gegen sein eigenes Patent einlegen?"