T 0870/95 14-07-1998
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Verfahren zur Entfernung von Harzverschmutzungen in Bohrlöchern von Leiterplatten
Sachverhalt und Anträge
I. Gegen das europäische Patent Nr. 0 267 452 (Anmeldenummer 87 114 988.6) wurde Einspruch erhoben.
Der Einspruch wurde insbesondere damit begründet, daß das beanspruchte Verfahren im Hinblick auf die ältere, nachveröffentlichte europäische Anmeldung
EP-A-0 212 253 (D3),
im Sinne von Artikel 54 (1) und (3) EPÜ nicht neu sei, und daß es gegenüber dem Inhalt des Artikels:
Bohrlochreinigung durch Ätzen (Smear-Removal-Verfahren), H.-J. Ehrich, Metalloberfläche 40 (1986) 11, Carl Hanser Verlag, München (D2)
keine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ aufweise.
II. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung mit der Begründung widerrufen, der beanspruchte Gegenstand sei zwar im Hinblick auf das Dokument D3 neu, ergebe sich jedoch aus einer naheliegenden Kombination verschiedener, aus der Druckschrift D2 bekannten Verfahren.
III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen, hat der Beschwerdeführer (Patentinhaber) Beschwerde erhoben.
IV. Es wurde am 14. Juli 1998 mündlich verhandelt. Nachdem der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 23. Juni 1998 mitgeteilt hatte, daß er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen würde, und gebeten hatte, die Entscheidung in der Beschwerdesache auf der Grundlage der vorgelegten Beweismittel und Tatsachen und der vorgetragenen Argumente zu treffen, ist er bei der mündlichen Verhandlung auch nicht erschienen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
V. Der Beschwerdeführer beantragte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit dem am 11. Juni 1998 eingereichten, einzigen Anspruch und, gemäß Hauptantrag, der Beschreibung in der erteilten Fassung.
Hilfsweise beantragte er die Aufrechterhaltung des Patents mit dem gleichen Patentanspruch, jedoch mit einer geänderten Seite 2 der Beschreibung, ebenfalls eingereicht am 11. Juni 1998.
Der einzige Patentanspruch lautet wie folgt:
"Verfahren zur Entfernung von Verschmutzungen in Bohrlöchern von Leiterplatten unter Anwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung allein oder nach einer Vorbehandlung mit Aufquellmitteln, sowie unter Einsatz einer Ultraschall-Behandlung, wobei die Leiterplatten während der Behandlung in horizontaler Lage horizontal geführt und die wäßrige Lösung mittels einer unterhalb der Transportbahn und senkrecht zur Transportrichtung angebrachten Düse auf die geführten Leiterplatten geschwallt werden."
Der Beschwerdegegner (Einsprechende) beantragte seinerseits die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Im Laufe des schriftlichen Beschwerdeverfahrens hatte der Beschwerdeführer noch eine Reihe von Beweismitteln eingereicht, die insbesondere das Bestehen eines technischen Vorurteils gegen die gleichzeitige Verwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung und Ultraschall, sowie den kommerziellen Erfolg der Erfindung belegen sollten, darunter auch eidesstattliche Versicherungen mehrerer Fachleute.
Zur Frage der Neuheit des beanspruchten Verfahrens im Hinblick auf den Inhalt der Druckschrift D3 bestritt der Beschwerdeführer, daß dem Durchschnittsfachmann am Prioritätstage als einzige Möglichkeiten für die Entfernung von Verschmutzungen in Bohrlöchern von Leiterplatten die Behandlungen Schwefelsäure, Chromsäure oder Permanganatlösungen bekannt waren, und daß der Fachmann folglich beim Lesen von D3 nur diese Alternativen vor Augen hatte.
Darüber hinaus bestritt er, daß der Fachartikel D2 vor dem Prioritätsdatum des Patents, nämlich dem 11. November 1986, tatsächlich veröffentlicht wurde. Selbst wenn die den Fachartikel beinhaltende Zeitschrift am 7. November 1986 an Abonnenten und Bibliotheken verschickt worden sein sollte, wie dies der Beschwerdegegner behauptet, sei es angesichts der zum damaligen Zeitpunkt längeren Postlaufzeiten, insbesondere für derartige Postvertriebsstücke, die nicht prioritär befördert wurden, unwahrscheinlich, daß die Empfänger der Zeitschrift diese noch vor dem 11. November 1986 erhalten hätten.
VII. Der Beschwerdegegner erklärte sich zunächst durch die von dem Beschwerdeführer eingereichten eidesstattlichen Versicherungen dazu veranlaßt, seine bisherige, auf eine gleichzeitige Anwendung von Ultraschall und Permanganaten beschränkte Auslegung des Anspruchs zu revidieren. Die eidesstattlichen Versicherungen beträfen nämlich teilweise auch Verfahren, bei welchen eine Ultraschall-Behandlung nicht gleichzeitig mit der Anwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung erfolge. Nachdem im Anspruch der Einsatz einer Ultraschall-Behandlung in der Tat nicht eindeutig bei allen mitumfaßten Alternativen dem Verfahrensschritt der Anwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung zugeordnet sei, fielen auch Verfahren unter den Anspruch, bei welchen die Ultraschall-Behandlung z. B. nur während der Vorbehandlung mit Aufquellmitteln erfolgt, d. h. nicht während der Anwendung der Permanganat-Lösung. Dadurch sei insbesondere die Diskussion über ein vermeintliches Vorurteil der Fachwelt gegen die Verwendung von Ultraschall in Permanganat-Lösungen gegenstandslos geworden.
Bezüglich der Neuheit des beanspruchten Verfahrens im Hinblick auf den Inhalt der Druckschrift D3 bestünde das einzige, nicht explizit in der Druckschrift D3 offenbarte Merkmal des beanspruchten Verfahrens darin, daß als chemisches Reinigungsmittel Permanganate in wäßriger Lösung angewendet würden, während die Druckschrift D3 dafür lediglich auf "Säuren, wie Schwefelsäure, oder Basen" verweise.
Aus der Druckschrift D2, sowie auch aus dem gesamten ermittelten Stand der Technik sei jedoch ersichtlich, daß für den Fachmann als Basen für die Reinigung von Leiterplatten-Bohrlöchern lediglich Permanganate in stark alkalischen Lösungen in Frage gekommen seien, so daß er unter dem Hinweis auf Basen in der Druckschrift D3 nichts anderes verstehen konnte als die beanspruchte Anwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung. Als weiterer Beleg für dieses Fachwissen verwies er insbesondere auf die in der Beschreibung des vorliegenden Patents erwähnten Druckschrift:
US-A-4 425 380 (D8).
Als Beweis für die Vorveröffentlichung der Druckschrift D2 stützte sich der Beschwerdegegner insbesondere auf das bereits im Einspruchsverfahren eingereichte Schreiben des Carl Hanser Verlags vom 26. Juni 1989, in welchem bestätigt wird, daß die entsprechende Zeitschrift am 7. November 1986 erschienen ist.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Auslegung des Patentanspruchs
Durch den Hinweis im Anspruch, daß das dort definierte Verfahren "unter Anwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung allein oder nach einer Vorbehandlung mit Aufquellmitteln, sowie unter Einsatz einer Ultraschall-Behandlung" erfolgt, wird insbesondere eine Alternative mitumfaßt, bei welcher Permanganate nach einer Vorbehandlung mit Aufquellmitteln angewendet werden. Bei dieser Alternative wird die Ultraschall-Behandlung nicht eindeutig dem Verfahrensschritt der Anwendung von Permanganaten zugeordnet, so daß sie z. B. auch lediglich bei der Vorbehandlung erfolgen kann. Die Beschreibung schließt diese Möglichkeit ebenfalls nicht aus.
Der Anspruch umfaßt daher folgende Varianten:
(a) die Anwendung von Permanganaten allein, unter - dann zwangsläufig gleichzeitigem - Einsatz einer Ultraschall-Behandlung; oder
(b) die Anwendung von Permanganaten nach einer Vorbehandlung mit Aufquellmitteln, und zwar mit den folgenden Untervarianten:
(b1) unter Einsatz einer Ultraschall-Behandlung lediglich bei der Anwendung von Permanganaten;
(b2) unter Einsatz einer Ultraschall-Behandlung lediglich bei der Vorbehandlung mit Aufquellmitteln; oder
(b3) unter Einsatz einer Ultraschall-Behandlung sowohl bei der Anwendung von Permanganaten als auch bei der Vorbehandlung mit Aufquellmitteln.
3. Neuheit des Gegenstandes der Variante (a):
3.1. Die Druckschrift D3 entspricht einer europäischen Anmeldung, die am 16. Juli 1986 angemeldet wurde, d. h. vor dem Prioritätstag des angefochtenen Patents (den 11. November 1986), die jedoch erst am 4. März 1986, also nach diesem Prioritätstag, veröffentlicht wurde. Bei dieser älteren europäischen Anmeldung wurden alle Vertragsstaaten benannt, die auch im angefochtenen Patent benannt sind, außer Spanien.
Somit gehört die Druckschrift D3 gemäß Artikel 54 (3) EPÜ zu dem für die Neuheit zu berücksichtigenden Stand der Technik, und zwar für alle im vorliegenden Patent benannten Vertragsstaaten außer Spanien.
3.2. Die Druckschrift D3 offenbart insbesondere ein Verfahren zur Reinigung von Bohrlöchern in horizontal geführten Leiterplatten 11 unter Anwendung einer Reinigungsflüssigkeit, die mittels einer unterhalb der Transportbahn und senkrecht zur Transportrichtung angebrachten Düse 5 auf die geführten Leiterplatten geschwallt wird (vgl. Ansprüche 1 und 3, Figuren 1 und 2). Gleichzeitig - d. h. wie bei der Variante (a) des vorliegenden Anspruchs - erfolgt eine Ultraschall-Behandlung mittels eines innerhalb des Düsengehäuses 1 angeordneten Ultraschall-Schwingers 9 (vgl. Anspruch 6, Beschreibung Spalte 3, Zeilen 13 bis 19).
Als flüssige Reinigungsmittel werden in der Druckschrift D3 "z. B. Wasser, Säuren, wie Schwefelsäure, oder Basen" genannt (vgl. Spalte 2, Zeilen 9 bis 11).
3.3. Somit bleibt zu untersuchen, ob der allgemeine Hinweis in der Druckschrift D3 auf Basen als flüssiges Reinigungsmittel die spezifische Angabe von Permanganaten in wäßriger Lösung gemäß vorliegendem Patentanspruch vorwegnimmt oder nicht.
Aus der Betrachtung der Vielzahl von im Verfahren befindlichen Druckschriften ergibt sich nach Auffassung der Kammer ein konsistentes Bild des allgemeinen Fachwissens auf dem Gebiet der Verfahren zur Entfernung von Verschmutzungen in Bohrlöchern von Leiterplatten im Zeitraum, der sowohl das Prioritätsdatum der Druckschrift D3 als auch das Prioritätsdatum des angefochtenen Patents umfaßt. Dieses allgemeine Fachwissen zeichnet sich insbesondere durch eine nur begrenzte Auswahl von für die Reinigung geeigneten chemischen Flüssigkeiten aus, wobei als Basen ausschließlich stark alkalische, wäßrige Lösungen von Kalium- oder Natrium-Permanganat und als Säuren lediglich Schwefel- oder Chromsäure allgemein bekannt waren.
Dies ergibt sich eindeutig z. B. aus dem Übersichtsartikel D2 aus einer Fachzeitschrift auf dem Gebiet der Oberflächenbehandlung, welcher der Bohrlochreinigung durch Ätzen gewidmet ist. Als flüssiges Ätzmittel wird in diesem Artikel neben Chromsäure (siehe Kapitel 3) und Schwefelsäure (siehe Kapitel 4) nur noch Kalium-Permanganat als alkalisch- oxydatives Ätzmittel beschrieben (siehe Kapitel 5).
Die gleiche, eng begrenzte Auswahl an chemischen Reinigungsflüssigkeiten für Bohrlöcher in Leiterplatten, nämlich Schwefelsäure, Chromsäure und wäßrige alkalische Permanganat-Lösungen, wird in der Einleitung der auch in der Beschreibung des angegriffenen Patents erwähnten Druckschrift D8 aufgeführt (siehe Spalte 2, Zeile 30 bis Spalte 3, Zeile 59) sowie auch in der durch den Beschwerdeführer in das Verfahren eingeführten, nachveröffentlichten Druckschrift EP-A-0 207 586 (D10, siehe Seite 3, Zeile 10 bis Seite 9, Zeile 29), bzw. in der entsprechenden, vorveröffentlichten Druckschrift US-A-4 601 784 (D10a, siehe Spalte 2, Zeile 8 bis Spalte 5, Zeile 34).
Auch aus den vielen weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften ist kein Hinweis auf die Anwendung zur Reinigung von Bohrlöchern in Leiterplatten von Basen zu entnehmen, die nicht aus Permanganaten in wäßriger Lösung bestehen würden.
Aus diesen Gründen teilt die Kammer die Auffassung des Beschwerdegegners, wonach der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens unter dem Hinweis in der Druckschrift D3 auf Basen als Reinigungsmittel zwangsläufig und ausschließlich die Verwendung von Permanganaten in wäßriger Lösung gemäß dem Patentanspruch mitlas. Folglich ist der Gegenstand der Variante (a) des Patentanspruchs im Hinblick auf die Druckschrift D3 nicht neu im Sinne von Artikel 54 (1) in Verbindung mit Artikel 54 (3) und (4) EPÜ.
Die Kammer möchte ausdrücklich betonen, daß ihre obige Schlußfolgerung, wonach der allgemeine Begriff "Basen" die Neuheit des speziellen Begriffs "Permanganaten in wäßriger Lösung" vorwegnimmt, nicht als Abweichung von dem strikten Neuheitsbegriff bewertet werden sollte, wie er sich bislang aus der übereinstimmenden Rechtsprechung der Beschwerdekammern ergeben hat. Zu dieser Schlußfolgerung konnte die Kammer im vorliegenden, besonderen Fall nur gelangen, weil klar bewiesen wurde, daß der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens im vorliegenden Zusammenhang unter dem generellen Begriff nichts anderes als den speziellen verstehen konnte.
3.4. Der Vollständigkeit halber weist die Kammer bezüglich der kontrovers diskutierten Frage, ob die Druckschrift D2 vor dem Prioritätsdatum des angegriffenen Patents veröffentlicht wurde, auf folgendes hin.
Der Beschwerdeführer, der ausdrücklich davon ausging, daß die Zeitschrift "Metalloberfläche", in welcher der Fachartikel D2 veröffentlicht wurde, am 7. November 1986, dem Erscheinungstag, an Abonnenten und Bibliotheken verschickt wurde, bezweifelte jedoch, daß die Empfänger sie noch vor dem 11. November 1986 erhalten haben konnten (siehe Brief vom 11. Juni 1998, Punkt III.1). Diese Behauptung hat er jedoch durch keinerlei Beweismittel gestützt. Insbesondere konnte die nach der Lebenserfahrung plausible Tatsache nicht widerlegt werden, daß Interessenten Exemplare der Zeitschrift nach deren Erscheinen, d. h. bereits vor dem 11. November 1986, unmittelbar beim Verlag hätten erhalten oder zumindest einsehen können. Daher besteht für die Kammer kein Anlaß zu bezweifeln, daß die Druckschrift D2 tatsächlich vor dem Prioritätsdatum des angegriffenen Patents veröffentlicht wurde.
Die Frage des genauen Veröffentlichungsdatums der Druckschrift D2 ist jedoch für die oben dargelegten Erwägungen der Kammer zur mangelnder Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs nur von untergeordneter Bedeutung. Der Übersichtsartikel in D2, der sich allgemein mit den damals bekannten Reinigungsverfahren befaßt, wurde von der Kammer nämlich nicht als eine Offenbarung spezifischer Merkmale in ihre Überlegungen einbezogen, sondern lediglich als Beleg für das allgemeine Fachwissen im betreffenden Zeitraum.
4. Nachdem der Beschwerdeführer den Geltungsbereich des Patents nicht auf den verbleibenden, in der älteren Anmeldung nicht benannten Vertragstaat Spanien eingeschränkt hat, kann das Patent wegen mangelnder Neuheit nicht aufrecht erhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.