J 0003/13 (Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist/Paccor Deutschland GmbH) 05-11-2014
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Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen und Folienanordnung
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - alle gebotene Sorgfalt (nein)
Behauptungs- und Beweislast des Antragstellers
Sachverhalt und Anträge
I. In der am 6. August 2010 von der Huhtamäki Oyj eingereichten europäischen Patentanmeldung Nr. 10 172 121.5 wurde die Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 10 2009 026 312.8 vom 3. August 2009 beansprucht.
II. Mit Schreiben vom 6. August 2010 beantragte die Anmelderin Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist nach Artikel 87 (1) EPÜ und brachte dazu vor, dass aufgrund einer Umorganisation im Unternehmen der Anmelderin ein Großteil der Anmeldungen des zugelassenen Vertreters an andere Kanzleien abgegeben worden sei. Bei der Kennzeichnung der Fälle im Computersystem habe der Vertreter die gegenständliche Anmeldung irrtümlich als einen an eine andere Kanzlei "abzugebenden Fall" klassifiziert. Der Fehler sei erst nach Ablauf der Prioritätsfrist entdeckt worden.
III. In ihrer Mitteilung vom 26. Mai 2011 führte die Eingangsstelle im Wesentlichen aus, dass auf der Basis der vorliegenden Unterlagen nicht beurteilt werden könne, ob die Anmelderin und ihr Vertreter ihren Sorgfaltsverpflichtungen nachgekommen seien. Die Anmelderin wurde daher aufgefordert, insbesondere zur Anzahl der abzugebenden Anmeldungen, zum Zeitpunkt des Auftrags, die Anmeldungen abzugeben, und zum Zeitpunkt der Weiterleitung an andere Kanzleien sowie zur Organisation und zum Verfahrensablauf der Abgabe der betreffenden Anmeldungen Stellung zu nehmen.
IV. Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 führte der Vertreter ergänzend aus, dass insgesamt 180 Fälle der Huhtamaki Forchheim als auch 30 Anmeldungen der Anmelderin an andere Kanzleien abgegeben bzw. an diese selbst zurückgegeben worden seien. Jener Fall, der die gegenständliche Anmeldung betreffe, sei für einen Firmenteil der Huhtamäki Oyj bestimmt gewesen, der abgetrennt und verkauft worden sei. Der Kennzeichnungsfehler sei erst nach Rücksprache mit der Anmelderin am 6. August 2010 bemerkt worden.
V. Mit ihrer Entscheidung vom 11. September 2012 wies die Eingangsstelle den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist zurück und führte im Wesentlichen aus, dass es der Anmelderin nicht gelungen sei, nachzuweisen, dass sie und ihr Vertreter die gebotene Sorgfalt eingehalten haben. Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht der Anmelderin sei insbesondere nicht dargelegt worden, aus welchen Gründen diese den Fehler nicht bemerkt bzw. den Vertreter nicht entsprechend informiert habe, als dieser die gegenständliche Anmeldung an sie zurückgegeben hatte. Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht des Vertreters wurde ausgeführt, dass hinsichtlich des Zeitpunkts des Auftrags, die Anmeldungen abzugeben, und hinsichtlich des Zeitpunkts der Weiterleitung an andere Kanzleien, sowie zur Organisation und zum Verfahrensablauf der Abgabe der betreffenden Anmeldungen - trotz ausdrücklicher Aufforderung durch die Eingangsstelle - nicht Stellung genommen worden sei. Es sei daher nicht gelungen, nachzuweisen, dass der zugelassene Vertreter die gebotene Sorgfalt beachtet habe.
VI. Die am 10. November 2012 eingereichte Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 11. September 2012, mit der der Antrag der Anmelderin auf Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist zurückgewiesen wurde. In der Beschwerdebegründung vom 12. Januar 2013 wurde das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt und ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Auftrag zur Abgabe der Anmeldungen am 2. Juli 2010 erteilt worden sei, jedoch die Spezifizierung, welcher Fall, an wen abzugeben sei, erst am 20. Juli 2010 erfolgt sei. Die Vorbereitung der Übergabe habe daher erst am 20. Juli 2010 beginnen können. Jedoch seien mehrere Änderungen bzw. widersprüchliche Angaben von Seiten der Anmelderin gemacht worden, sodass die Verteilung der Fälle mehrfach umzustellen war. Im Computersystem der Kanzlei des Vertreters sei eine entsprechende Kennzeichnung vorgenommen worden, je nachdem ob ein Fall an Kollegen oder an die Anmelderin zurückzugeben war. Die Kennzeichnung sei vom Vertreter selbst vorgenommen und im Zuge der Vorbereitung der Akte auch noch durch einen Mitarbeiter überprüft worden. Anschließend seien die von Mitarbeitern kopierten Akten vom Vertreter überprüft und am 7. August 2010 übergeben worden. Es habe hoher Zeitdruck geherrscht, da insgesamt 210 Fälle abzugeben waren, was einen hohen Kopieraufwand bedeutet habe. Der vorliegende Fall sei bereits am 29. Juli 2010 an die Anmelderin abgegeben worden. Erst am 6. August 2010 sei der Fehler im Zuge einer nochmaligen Überprüfung und Abklärung mit der Anmelderin aufgefallen. Die übliche computerunterstützte Terminüberwachung der Prioritätsfrist sei nicht erfolgt, da der Fall bereits am 20. Juli 2010 zur Abgabe markiert worden sei. Dies sei der erste Fall seit Gründung der Kanzlei im Jahr 1986, der aufgrund eines solchen Versehens zu einem Versäumnis der Prioritätsfrist geführt habe.
VII. In der Mitteilung vom 16. Dezember 2013 teilte die Beschwerdekammer ihre vorläufige Meinung mit und führte insbesondere aus, dass der Umstand, dass bestimmte Akten an andere Kanzleien bzw. an die Anmelderin ab- bzw. zurückzugeben seien, nicht bedeute, dass die Fristenüberwachung hinsichtlich dieser Akten ohne weiteres eingestellt werden könne. Ungeachtet der behaupteten versehentlichen Kennzeichnung der Akte als eine "abzugebende Akte" hätte daher jedenfalls eine Überwachung der Prioritätsfrist erfolgen müssen. Spätestens im Zuge der Übergabe des Aktenexemplars hätte daher auf den unmittelbar bevorstehenden Ablauf der Prioritätsfrist und auf die Dringlichkeit der Einreichung prioritätsbeanspruchender Nachanmeldungen hingewiesen werden müssen.
VIII. In ihrem Schreiben vom 17. Februar 2014 brachte der Vertreter der Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass er bei der Abgabe der Akte explizit auf den bevorstehenden Ablauf des Prioritätsjahres hingewiesen habe. Die Anmelderin habe den übersandten Unterlagen keine weitere Bedeutung beigemessen, da dieser Fall als von der Kanzlei weiterzubetreuen angesehen worden sei. Zudem wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
IX. In der Mitteilung, die der Ladung vom 5. Mai 2014 als Anlage angeschlossen war, führte die Beschwerdekammer ergänzend aus, dass sich im Hinblick auf den behaupteten Umstand, dass die Anmelderin bei der Abgabe der Akte explizit auf den bevorstehenden Ablauf des Prioritätsjahres hingewiesen worden sei, nun die Frage stelle, ob diese selbst die gebotenen Sorgfalt eingehalten habe. Zudem bemerkte die Kammer, dass bisher keine Unterlagen bzw. Nachweise zur Stützung der Tatsachenbehauptungen eingereicht worden seien.
X. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2014 beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist zu gewähren. Ergänzend führte sie aus, dass auf den bevorstehenden Fristablauf mittels eines entsprechenden Vermerks auf dem zu übergebenden Aktenexemplar hingewiesen worden sei. Zudem sei die konkrete Akte nicht an die Anmelderin selbst, sondern an eine andere Kanzlei abgegeben worden. Überdies sei die Anzahl, der von der Umorganisation betroffenen Akten in der Kanzlei des Vertreters der Anmelderin weitaus höher gewesen, als zunächst in der Beschwerdeschrift angegeben. Entsprechende Listen der angeblich betroffenen Akten wurden der Kammer in der mündlichen Verhandlung zur Einsichtnahme vorgelegt.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde und des Antrags auf Wiedereinsetzung
1.1 Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 11. September 2012, mit der der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist zurückgewiesen wurde. Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdegebühr sowie die Beschwerdebegründung wurden fristgerecht eingereicht bzw. bezahlt.
1.2 Der am 6. August 2010 beim EPA eingelangte Wiedereinsetzungsantrag in die Prioritätsfrist wurde innerhalb der Frist nach Regel 136 (1), zweiter Satz, EPÜ, unter Nachholung der versäumten Handlung, nämlich der Einreichung der prioriätsbeanspruchenden Patentanmeldung, und der Angabe einer kurzen Begründung eingereicht. Die Gebühr für die Wiedereinsetzung wurde am 31. August 2010, und somit innerhalb der Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags bezahlt.
1.3 Damit ist sowohl die Beschwerde als auch der Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig.
2. Begründetheit des Antrags auf Wiedereinsetzung
2.1 Einem Antrag auf Wiedereinsetzung kann gemäß Artikel 122 (1) EPÜ nur dann stattgegeben werden, wenn ein Anmelder, trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt, verhindert worden ist, gegenüber dem Europäischen Patentamt eine Frist einzuhalten. Bei der Beurteilung dieser Frage sind die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit zu würdigen (T 287/84, ABl. 1985, 333). Das Sorgfaltsgebot muss anhand der Situation beurteilt werden, wie sie vor Ablauf der Frist bestand. Das heißt, die Maßnahmen, die der Beteiligte zur Einhaltung der Frist ergriffen hat, müssen ausschließlich unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Umstände beurteilt werden (vgl. T 667/92, T 381/93, J 1/07, T 1465/07). Der Antrag ist nur dann begründet, wenn nach vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen Anmelder und Vertreter alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt aufgewendet haben, um die Frist einzuhalten (vgl. J 16/82, ABl. 1983, 262). Ist ein Vertreter bestellt, kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn nachgewiesen ist, dass sowohl der Anmelder als auch der Vertreter die erforderliche Sorgfalt beachtet haben (J 5/80, ABl. EPA 1981, 343). Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gilt die gebotene Sorgfalt als beachtet, wenn die Fristversäumung entweder durch außerordentliche Umstände oder durch ein einmaliges Versehen in einem sonst gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht worden ist (J 2/86, J 3/86, ABl. 1987, 362; T 428/98, ABl. 2001, 494; T 785/01).
2.2 Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist offenbar der Umstand, dass die Akte versehentlich als ein "abzugebender Fall" gekennzeichnet wurde, für die Versäumung der Prioritätsfrist entscheidend. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt (vgl. Beschwerdebegründung, S. 3), dass der Fall aus der üblichen computerunterstützten Terminüberwachung herausgenommen worden sei, da der Fall bereits am 20. Juli 2010 zur Abgabe markiert worden sei. Dieses Versehen bei der Kennzeichnung der Akte wird im Wesentlichen mit Zeitdruck, Arbeitslast und widersprüchlichen Angaben von Seiten der Anmelderin hinsichtlich der abzugebenden Akten begründet. Nach dem Tatsachenvortrag habe der Vertreter die gebotene Sorgfalt eingehalten, indem er auf dem zu übergebenden Aktenexemplar auf die ablaufende Prioritätsfrist durch einen entsprechenden Vermerk hingewiesen habe.
2.3 Nach der Auffassung der Beschwerdekammer ist dieses Vorbringen aus den nachfolgenden Gründen jedoch nicht ausreichend, um darzutun, dass sowohl der Vertreter als auch die Anmelderin die gebotene Sorgfalt bei der Überwachung der Prioritätsfrist eingehalten haben. Hierzu ist zunächst grundsätzlich auszuführen, dass es zwar zutreffen mag, dass eine erhebliche Anzahl von Akten innerhalb kurzer Zeit abzugeben und diese auch entsprechend den Anweisungen der Anmelderin zu kennzeichnen waren, um eine auftragsgemäße Rückgabe derselben zu gewährleisten. Auch der hohe Aufwand bei der Zusammenstellung und der Überprüfung der Vollständigkeit der zu übergebenden Aktenexemplare ist durchaus nachvollziehbar. Jedoch ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass unabhängig von diesem besonderen Umstand der Übergabe von Akten an andere Kanzleien oder an die Anmelderin, jedenfalls eine geeignete Überwachung laufender Fristen stattfinden muss. Der Umstand, dass bestimmte Akten abzugeben sind, bedeutet nicht, dass die Überwachung von Fristen ab dem Zeitpunkt der Erteilung des Auftrags der Aktenübergabe ohne weiteres eingestellt werden kann, da es zu den Kernpflichten eines Vertreters gehört, sicherzustellen, dass laufende Fristen eingehalten werden, um Rechtsnachteile abzuwenden. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall, dass ungeachtet der behaupteten versehentlichen Kennzeichnung der Akte als eine "abzugebende Anmeldung" jedenfalls eine geeignete und angemessene Überwachung der Prioritätsfrist hätte erfolgen müssen.
2.4 Der entsprechende Tatsachenvortrag erscheint der Kammer jedoch nicht als ausreichend, um diese entscheidungswesentliche Frage beantworten zu können. Selbst wenn man den entsprechende Sachverhaltsvortrag als glaubhaft gemacht zu Grunde legt (hierzu siehe nachfolgenden Punkt 2.5), bleibt jedenfalls die in der Mitteilung der Kammer vom 5. Mai 2014 aufgeworfene Frage ungeklärt, aus welchen Gründen der angeblich auf dem übermittelten Aktenexemplar vorhandene Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden Ablauf der Prioritätsfrist offenbar vom Empfänger unbeachtet geblieben ist. Die im schriftlichen Verfahren vorgebrachte Erklärung, dass man den "übersandten Unterlagen keine weitere Bedeutung beigemessen habe", weil man davon ausgegangen sei, dass die Akte vom ursprünglichen Vertreter weiterbetreut werde, spricht eher dafür, dass auf Seiten der Anmelderin bzw. ihrer weiteren Vertreter nicht die gebotene Sorgfalt eingehalten worden ist. Denn wenn einem Hinweis auf den Ablauf der Prioritätsfrist, insbesondere in der Situation einer Umorganisation des Unternehmens der Anmelderin und einem dadurch bedingten weitreichenden Wechsel des zu betreuenden Aktenportfolios, keine weitere Bedeutung beigemessen wird, kann jedenfalls nicht ohne eingehende Erläuterung der näheren Umstände davon ausgegangen werden, dass die gebotene Sorgfalt eingehalten wurde. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die Kammer in ihrer Mitteilung vom 5. Mai 2014 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, dass die konkreten Umstände der Aktenübergabe und des Hinweises auf die ablaufende Prioritätsfrist erläuterungsbedürftig erscheinen. Ein für die Beurteilung der Frage nach der Einhaltung der gebotenen Sorgfalt hinreichend konkreter Sachverhaltsvortrag wurde dennoch nicht vorgetragen, worauf überdies auch bereits im erstinstanzlichen Verfahren aufmerksam gemacht wurde.
2.5 Zudem ist zu bemerken, dass - abgesehen von den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Listen der angeblich betroffenen Schutzrechte bzw. Schutzrechtsanmeldungen - keine Unterlagen bzw. Nachweise zur Glaubhaftmachung der Tatsachenbehauptungen eingereicht wurden, sodass auch den Erfordernissen der Regel 136 (2) EPÜ nicht entsprochen wurde, und dem Antrag auch aus diesem Grund nicht stattgegeben werden kann.
3. Abschließend ist daher zu bemerken, dass es der Beschwerdeführerin aus den oben genannten Gründen nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass sowohl der Vertreter als auch die Anmelderin die gebotene Sorgfalt beachtet haben. Da die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung bei der Antragstellerin liegt (vgl. J 5/80, ABl. 1981, 343), ist die Beschwerde daher zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.