T 0880/01 (Basis-Folie/FELA) 09-06-2005
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Basis Folie für Chip-Karte
Carl Freudenberg KG
Giesecke & Devrient GmbH
Gemplus S.A.
Infineon Technologies AG
Änderungen - Erweiterung (bejaht)
Zulässigkeit von Anträgen (bejaht)
Sachverhalt und Anträge
I. Mit der europäischen Patentanmeldung 95 116 717.0 wird unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 3. November 1994 die Erteilung eines Patents für eine laminierte kontaktbehaftete oder kontaktlose Chip-Karte aus mindestens zwei, den Chip umgebenden Folien aus thermoplastischem Kunststoffmaterial sowie für ein Verfahren zu deren Herstellung beantragt.
Die Chip-Karte wird gemäß Beschreibung der Erfindung unter Verwendung einer Basis-Folie hergestellt, auf der der Chip in einer Flip-Chip-Technik beziehungsweise ohne Wire-Bond-Verbindung mittels einem beim Laminieren aushärtenden Leitkleber montiert ist. Mittels Metallisierung und Strukturierung sind auf der Basis- Folie Leiterbahnen ausgebildet, die bei einer kontaktbehafteten Chip-Karte auf der Außenseite, bei einer kontaktlosen Chip-Karte auf der Innenseite angeordnet sind und bei letzterer eine Antennenspule bilden. Bei der Ausführungsform nach Figur 7 wird die Basis-Folie als ein so genanntes Inlet zweckmäßig mit der Antennenspule und dem Chip vorgefertigt.
II. Die Basis-Folie ist Gegenstand der Ansprüche 1 bis 3 des mit Wirkung vom 10. Juni 1998 auf der Grundlage der Patentanmeldung erteilten europäischen Patents EP-B-0 706 152. Diese Ansprüche lauten wie folgt:
"1. Basis-Folie für laminierte kontaktbehaftete oder kontaktlose Chip-Karte, die mindestens aus der, mindestens einen Chip (6) tragenden Basis-Folie (1) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial, einer Kern- Folie (2) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial mit einer den Chip zentrierenden Aussparung (9) und einer Deck-Folie (3) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial besteht, welche Folien mindestens die Höhe und Breite der Chip-Karte haben und unter Druck und Hitze zusammengefügt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Basis-Folie (1) ein vorgefertigtes Inlet ist, auf dem durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken Leiterbahnen (10) aufgebracht sind, die wenigstens teilweise eine Antennen-Spule bilden und auf dem der Chip fest angeordnet ist.
2. Basis-Folie für Chip-Karte nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Chip (6) auf die Leiterbahnen in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber montiert ist.
3. Basis-Folie für Chip-Karte mit Kontakten, nach den Ansprüchen 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Basis-Folie (1) auf deren Aussenseite weitere Leiterbahnen (4) aufweist, die mit Anschlüssen (5) für den Chip (6) auf der Innenseite der Basis-Folie durch mit Leiterkleber gefüllte Durchkontaktierungsbohrungen (8) verbunden sind."
III. Gegen das Patent wurden mehrere Einsprüche eingereicht (Einsprechende O1 bis O4), insbesondere aus den in den Artikeln 100 a) und 100 c) EPÜ genannten Gründen fehlender Neuheit und im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ unzulässiger Änderungen der Anmeldung.
Die Patentinhaberin ließ in einer mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung in Reaktion auf eine Beanstandung die Ansprüche auf die Basis-Folie fallen und hielt nur die auf die Chipkarte und das Verfahren zu deren Herstellung gerichtete Ansprüche aufrecht.
Die Einspruchsabteilung hat am Ende der mündlichen Verhandlung entschieden, dass unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen. Die schriftliche Entscheidung wurde mit Datum 1. Juni 2001 allen Beteiligten am Einspruchsverfahren zugestellt.
IV. Gegen diese Zwischenentscheidung haben am 26. bzw. 27. Juli 2001 die Einsprechenden O1 und O2 und am 9. August 2001 die Patentinhaberin jeweils Beschwerde eingelegt. Die schriftlichen Begründungen der Beschwerden sind am 1. bzw. 2. und 10. Oktober 2001 beim Europäischen Patentamt eingegangen.
Zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer reichte die Patentinhaberin mit Schreiben vom 4. Mai 2005 einen Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 6 ein, mit denen sie jeweils mit einer anderen Fassung der Ansprüche die Aufrechterhaltung des Patents beantragte.
Hauptantrag, Anspruch 1 lautet:
"Basis-Folie für laminierte kontaktbehaftete oder kontaktlose Chip-Karte, die mindestens aus der, mindestens einen Chip (6) tragenden Basis-Folie (1) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial, einer Kern- Folie (2) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial mit einer den Chip zentrierenden Aussparung (9) und einer Deck-Folie (3) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial besteht, welche Folien mindestens die Höhe und Breite der Chip-Karte haben und unter Druck und Hitze zusammengefügt sind,
wobei die Basis-Folie (1) ein vorgefertigtes Inlet ist, auf dem durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken eine Antennen-Spule (10) aufgebracht ist und auf dem der Chip (6) fest angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Chip (6) auf die Antennen-Spule (10) in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber montiert ist."
Anspruch 1 der beiden ersten Hilfsanträge unterscheidet sich vom dem des Hauptantrags im wesentlichen nur im kennzeichnenden Teil:
Hilfsantrag 1, Anspruch 1, kennzeichnender Teil: "dadurch gekennzeichnet, dass die Leiterbahnen der Antennen-Spule (10) von zwei gegenüberliegenden Seiten an den Chip (6) herangeführt sind und der Chip (6) auf die Antennen-Spule (10) in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber montiert ist."
Hilfsantrag 2, Anspruch 1, kennzeichnender Teil: "dadurch gekennzeichnet, dass der Chip (6) direkt an die Antennen-Spule (10) in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber angeschlossen ist."
Hilfsantrag 3, Anspruch 1 lautet:
"Basis-Folie für laminierte kontaktbehaftete oder kontaktlose Chip-Karte, die mindestens aus der, mindestens einen Chip (6) tragenden Basis-Folie (1) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial, einer Kern- Folie (2) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial mit einer den Chip zentrierenden Aussparung (9) und einer Deck-Folie (3) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial besteht, welche Folien mindestens die Höhe und Breite der Chip-Karte haben und unter Druck und Hitze zusammengefügt sind, wobei die Basis-Folie (1) ein vorgefertigtes Inlet ist, auf dem durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken Leiterbahnen einer Antennen-Spule (10) aufgebracht sind und auf dem der Chip (6) fest angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Leiterbahnen der Antennen-Spule (10) von zwei gegenüber liegenden Seiten an den Chip (6) herangeführt sind und der Chip (6) direkt an die Antennen-Spule (10) in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber angeschlossen ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich vom dem vorhergehenden Hilfsantrag nur im kennzeichnenden Teil: "dadurch gekennzeichnet, dass die Leiterbahnen der Antennen-Spule (10) von zwei gegenüber liegenden Seiten unter Verringerung ihres Abstandes an den Chip (6) herangeführt sind und der Chip (6) direkt an die Antennen-Spule (10) in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond-Verbindung mittels Leitkleber angeschlossen ist."
Hilfsanträge 5 und 6 entsprechen den der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegenden Anträgen. Hilfsantrag 5, Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Herstellung einer Chip-Karte mit einer als vorgefertigtes Inlet ausgebildeten Basis-Folie aus thermoplastischem Kunststoffmaterial für laminierte kontaktbehaftete oder kontaktlose Chip-Karte, die mindestens aus der, mindestens einen Chip (6) tragenden Basis-Folie (1) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial, einer Kern-Folie (2) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial mit einer den Chip zentrierenden Aussparung (9) und einer Deck-Folie (3) aus thermoplastischem Kunststoffmaterial besteht, welche Folien mindestens die Höhe und Breite der Chip-Karte haben und unter Druck und Hitze zusammengefügt sind, wobei die Basis-Folie (1) ein vorgefertigtes Inlet ist, auf dem durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken Leiterbahnen (10) aufgebracht sind, die eine Antennenspule bilden und auf dem der Chip fest angeordnet ist, und wobei der Chip (6) auf die Leiterbahnen in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond- Verbindung mittels Leitkleber montiert ist, bei welchem Verfahren die Basis-Folie durch Metallisieren und Struktuieren [sic!] oder Bedrucken von Leiterbahnen, die eine rahmenförmige Antennen-Spule mit leiterfreiem Innenraum bilden, Bedrucken der Anschlussstellen für den Chip mit Leitkleber sowie Aufbringen des Chips auf die Antennenspule in flip-chip-Technik resp. ohne wire-bond- Verbindung mittels Leitkleber als Inlet vorgefertigt wird, dann eine den Chip umgebende und zentrierende Kern-Folie sowie eine den Chip abdeckende Deck-Folie aus thermoplastischem Kunststoffmaterial aufgebracht werden sowie dann das Ganze in einer Laminierpresse unter vorgegebener Temperatur und vorgegebenem Druck laminiert wird."
Hilfsantrag 6 fügt an das Ende des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 die folgende Definition an:
", wobei der Abstand der die Antennenspule (10) bildenden Leiterbahnen sich beidseits des Chips (6) verringert."
V. Die Beschwerde wurde vor der Kammer am 9. Juni 2005 öffentlich verhandelt. Grundlage der Verhandlung waren ein Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 6, die - soweit sie sich auf den Anspruch 1 bezogen - die Anträge vom 4. Mai 2005 unverändert ließen.
VI. Gegenstand der Erörterung waren die Zulässigkeit der Anträge der Patentinhaberin, die Offenbarungsgrundlage für diejenigen Anspruchsmerkmale, die die Anordnung des Chips auf und seinen Anschluss an die Antennenspule definieren, und die Patentfähigkeit der beanspruchten Erfindung.
Die Einsprechenden beanstandeten die Anträge der Patentinhaberin als unzulässig, da der Schutz für einen Gegenstand, hier die Basis-Folie, beansprucht würde, der in erster Instanz vorbehaltlos fallen gelassen und über den somit nicht entschieden worden sei.
Ferner beruhten die Ansprüche auf unzulässigen Änderungen in Bezug auf Merkmale der Chip-Antennen- Anordnung, die der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht zu entnehmen seien.
Schließlich fehle der beanspruchten Erfindung im Hinblick auf den sich aus der Druckschrift D31 (WO-A-88/08592) ergebenden nächstkommenden Stand der Technik die erforderliche erfinderische Tätigkeit, bei strenger Auslegung der Ansprüche müsse sogar die Neuheit verneint werden.
VII. Die beschwerdeführende Einsprechende O1 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 706 152. Die beschwerdeführende Einsprechende O2 und die Einsprechende O4 beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, hilfsweise, falls eine Aufrechterhaltung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 4 vorgesehen sein sollte, die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage der folgenden Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer:
"1. Ist der beschwerdeführende Patentinhaber im Beschwerdeverfahren sachlich an die im Einspruchsverfahren der 1. Instanz beschränkt verteidigten Ansprüche gebunden?
2. Ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass die beschränkten Ansprüche im erstinstanzlichen Verfahren als Hauptantrag vorgelegt wurden?
3. Ist der Patentinhaber berechtigt, Ansprüche, die auf ein Zwischenprodukt gerichtet sind und die im erstinstanzlichen Hauptantrag nicht mehr enthalten waren, im Beschwerdeverfahren wieder aufzustellen?"
Die Einsprechende O3 hat sich im Beschwerdeverfahren sachlich nicht geäußert; sie hat auch nicht an der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2005 teilgenommen.
VIII. Die beschwerdeführende Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents Nr. 0 706 152 in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hauptantrags mit der in der mündlichen Verhandlung überreichten geänderten Seite 2 der Patentansprüche, hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 6, alle Anträge - abgesehen von der im Hauptantrag vorgenommenen Änderung - wie in der Eingabe vom 4. Mai 2005 bezeichnet.
Die Änderung betrifft nur den Anspruch 3 des Hauptantrags.
IX. Die Patentinhaberin ist der Meinung, dass das Fallenlassen der Beanspruchung einer Basis-Folie vor der Einspruchsabteilung nicht einen Verzicht auf diesen Gegenstand darstellte, sondern nur einen Formulierungsversuch, um die Beanstandungen seitens der Einspruchsabteilung auszuräumen. Sie könne daher ohne weiteres im Beschwerdeverfahren auf diesen Gegenstand zurückkommen.
Die Basis-Folie sei als eigenständiger Gegenstand auch ohne weiteres den Anmeldungsunterlagen, beispielsweise der Ausführungsform der Figur 7, zu entnehmen.
Die die Chip-Antennen-Anordnung betreffenden Anspruchsmerkmale hätten eine Stütze in den Figuren und den zugehörigen Beschreibungsteilen. Die Figuren 5 und 7 zeigten deutlich einen direkt auf der Antennenspule montierten Chip. Die A2-Schrift, Spalte 3, Zeilen 15 bis 26, Spalte 4, Zeilen 4 bis 17 und 30 bis 46 sowie Spalte 4, Zeile 55 bis Spalte 5, Zeile 2 und Spalte 5, Zeilen 16 bis 24 offenbarten deutlich den direkten Anschluss des Chips an die Antennen-Spule in Flip-Chip- Technik resp. ohne Wire-Bond-Verbindung mittels Leitkleber. Diese Anordnung sei auch schon explizit Gegenstand der ursprünglichen Ansprüche 1, 2, 5, 8 und 10 gewesen. Die Figur 4 offenbare deutlich auch die weiteren Merkmale, die Leiterbahnen der Antennen-Spule von zwei gegenüber liegenden Seiten an den Chip heranzuführen, bei Verringerung des Abstands der die Antennenspule bildenden Leiterbahnen beidseits des Chips.
X. Die Entscheidung über die Beschwerde wurde in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2005 verkündet.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit
1. Die Zulässigkeitserfordernisse der Artikel 107 bis 108 sowie der Regel 1 (1) und Regel 64 EPÜ sind erfüllt.
Zulässigkeit der Anträge der Patentinhaberin
2. Die Einsprechenden 02 und 04 bestreiten die Zulässigkeit der mit Schreiben vom 4. Mai 2005 gestellten Anträge der beschwerdeführenden Patentinhaberin, soweit diese Anträge auf eine Basis-Folie gerichtet sind (Hauptantrag, Hilfsanträge 1 bis 4). Sie machen geltend, dass die Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung mit der Einreichung von geänderten Ansprüchen gemäß Haupt- und Hilfsantrag, die nur noch auf das Verfahren zur Herstellung einer Chip- Karte und die Chip-Karte selbst gerichtet seien, auf Patentschutz im Umfang der erteilten Fassung verzichtet habe. Eine Weiterverfolgung der gestrichenen Basis- Folienansprüche wäre der Patentinhaberin nach Auffassung der Einsprechenden nur möglich gewesen, wenn sie einen entsprechenden vorrangigen Antrag am Ende des Einspruchsverfahrens aufrecht erhalten hätte.
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es dem Patentinhaber, der sein Patent im Einspruchsverfahren nur beschränkt verteidigt hat, grundsätzlich (d.h. soweit nicht im Einzelfall das Verbot der reformatio in peius greift oder ein Verfahrensmissbrauch vorliegt) nicht verwehrt, im anschließenden Beschwerdeverfahren wieder zu einer breiteren oder der erteilten Fassung seines Patentbegehrens zurückzukehren. Nach dieser Rechtsprechung bedeuten zwischenzeitliche Einschränkungen des Patentbegehrens keinen ausdrücklichen Verzicht auf Teile des Patents, sondern sind nur als Formulierungsversuche anzusehen, die das Patent gegenüber Einwänden abgrenzen sollen (siehe z.B. die Entscheidungen T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, insbesondere Punkte 3.1.1 und 3.1.2 der Gründe; T 296/87, ABl. EPA 1990, 195, Punkt 2 der Gründe; sowie die nicht in ABl. EPA veröffentlichten Entscheidungen T 900/94, Punkt 1.6 der Gründe; T 1018/02, Punkt 2.4 der Gründe; T 934/02, Punkt 3.2 der Gründe; T 699/00, Punkt 2.1 der Gründe; T 794/02, Punkte 1.1 bis 1.7 der Gründe).
Die Kammer ist in Kenntnis der Tatsache, dass die auch von der Einsprechenden 02 zitierte Entscheidung T 528/93 (nicht in ABl. EPA veröffentlicht) derzeit als Einzelmeinung von dieser Rechtsprechung abweicht. Die Kammer schließt sich im vorliegenden Fall der überwiegenden Rechtsmeinung an, auch im Hinblick darauf, dass die Problematik des Gestaltungsspielraums der Patentinhaberin im Einspruchsbeschwerdeverfahren hier letzten Endes nicht entscheidungserheblich ist, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
2.2 Im vorliegenden Fall ist aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der ersten Instanz lediglich zu entnehmen, dass die Patentinhaberin im Laufe der mündlichen Verhandlung die Streichung der Basis- Folienansprüche beschlossen und weitere von der Einspruchsabteilung zugelassene Anträge eingereicht hat, nachdem ihr im Anschluss an eine Zwischenberatung von der Einspruchsabteilung mitgeteilt worden war, die Basis-Folienansprüche würden gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen. Eine förmliche Verzichterklärung, die eine verfahrensrechtliche Bindung bewirken könnte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.
2.3 Die auf den Einwand der Einspruchsabteilung hin vorgelegten neuen Anträge, in denen die Streichung der betreffenden Ansprüche vorgenommen wurde, sind somit als Formulierungsversuche der Patentinhaberin zu bewerten, um dem vorgebrachten Einwand zu begegnen. Auch die Einreichung der geänderten Beschreibung am Ende der mündlichen Verhandlung, nachdem die Einspruchsabteilung die Erteilung des Patents auf der Basis des Hilfsantrags in Aussicht gestellt hatte, ist lediglich als eine formelle Anpassung der Beschreibung an den gewährbaren Anspruchssatz anzusehen, und kann folglich nicht als impliziter Verzicht auf Teile des Patents verstanden werden.
2.4 Wie oben angeführt, steht die Zulässigkeit von Anträgen des beschwerdeführenden Patentinhabers mit breiteren Ansprüchen im Einspruchsbeschwerdeverfahren unter dem Vorbehalt des Verfahrensmissbrauchs, d.h. die Kammer hat zu überprüfen, ob die Änderung von Anträgen nicht einen verfahrensrechtlichen Missbrauch darstellt. Diese Prüfung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Kammer unter Würdigung des gegebenen Sachverhalts. Für eine Annahme eines Verfahrensmissbrauchs gibt es aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, da kein förmlicher Verzicht aus den Unterlagen des Einspruchsverfahrens erkennbar ist und die neuen Ansprüche rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren eingereicht wurden; sie entsprechen auch in wesentlichen Punkten den Anträgen, die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausführlich erörtert wurden. Die Einsprechenden waren daher mit dem Umfang des neuen Patentbegehrens in sachlicher und rechtlicher Hinsicht voll vertraut.
2.5 Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der reformatio in peius ist hier nicht zu erkennen. Die Patentinhaberin hat neben einem Teil der Einsprechenden selbst Beschwerde eingelegt und ist tatsächlich auch gemäß Artikel 107 EPÜ beschwert, da die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung den Hauptantrag als nicht erfinderisch zurückgewiesen hat.
2.6 Die mit Schreiben vom 4. Mai 2005 eingereichten, auf eine Basis-Folie gerichteten Anträge der Patentinhaberin sind somit zulässig.
Zulässigkeit der Anspruchsänderungen
3. Um die beanspruchte Erfindung von dem sich aus der Druckschrift D31 ergebenden nächstkommenden Stand der Technik abzugrenzen, hat die Patentinhaberin unter anderem die folgenden, hier mit A, B und C bezeichneten Merkmale der Chip-Antennen-Anordnung in die Ansprüche aufgenommen:
(A) der Chip (6) ist auf die Antennen-Spule (10) montiert (Hauptantrag und Hilfsantrag 1) bzw. aufgebracht (Hilfsanträge 5 und 6),
(B) der Chip (6) ist direkt an die Antennen-Spule (10) angeschlossen (Hilfsanträge 2 bis 4),
(C) der Abstand der die Antennenspule (10) bildenden Leiterbahnen verringert sich beidseits des Chips (6) (Hilfsanträge 4 und 6).
4. Diese Merkmale lassen sich jedoch aus dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig ableiten und sind daher im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ als unzulässige Änderungen der Anmeldung anzusehen.
5. In der ursprünglichen Anmeldung ist zwar eine Chip- Antennen-Anordnung offenbart, bei der der Chip auf einer Folie (Basis-Folie) fest angeordnet ist, die als Substrat resp. Leiterplatte durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken ausgebildet und auf der der Chip in Flip-Chip-Technik resp. ohne Wire-Bond- Verbindung mittels einem, beim Laminieren aushärtenden Leitkleber montiert sein kann (A2-Schrift, Spalte 2, Zeilen 35 bis 47).
Auf der Innenseite der Basis-Folie sind zusätzliche, Spulenmittel bildende Leiterbahnen angeordnet. Zur Herstellung der Chip-Karte wird eine thermoplastische Folie (die Basis-Folie) durch Metallisieren und Strukturieren oder Bedrucken von Leiterbahnen sowie Bedrucken der Anschlussstellen für den Chip mit Leitkleber (Flip-Chip-Technik) sowie Aufbringen des Chip vorgefertigt, dann werden die weiteren Folien aufgebracht und dann wird das Ganze in einer Laminierpresse unter vorgegebener Temperatur und vorgegebenem Druck laminiert (A2-Schrift, Spalte 3, Zeilen 1 bis 9 und 15 bis 26).
Bei der Ausführungsform nach den Figuren 1 bis 3 ausschließlich mit Kontakten, also ohne Antennenspule, bildet die unterste Folie 1 die Basis-Folie und ist als Substrat resp. Leiterplatte durch Metallisieren und Strukturieren von Leiterbahnen 4,5 ausgebildet. Auf dieser Leiterplatte 1 ist dann der Chip 6 in der Flip- Chip-Technik resp. ohne Wire-Bond-Verbindung mittels einem, beim Laminieren aushärtenden Leitkleber 7 montiert. Die Anschlussflächen des Chips weisen Bumps auf, um eine punktierte Verklebung mit Leitkleber zu ermöglichen. Auf der Innenseite der Basis-Folie sind die Anschlüsse 5 für den Chip 6 aufgebracht, die mit den Kontaktflächen 4 durch kleine mit dem Leitkleber 7' gefüllte Durchkontaktierungslöcher 8 verbunden sind.
Chip-Karten mit einer Antennenspule 10 sind in den Figuren 4 bis 7 gezeigt, welche auf der metallisierten Innenseite der Basis-Folie (Substrat) 1 strukturiert ist. Bei einer kontaktlosen Chip-Karte wird daher lediglich die Innenseite der Basis-Folie metallisiert und strukturiert, bei kombinierte Chip-Karten sind außen zusätzlich Kontakte, wie beispielsweise in Figur 3 gezeigt, vorgesehen. Eine vorgefertigte Basis-Folie 1 mit Antennen-Spule 10 und Chip 6 zeigt Figur 7.
Aus den Patenansprüchen der A2-Schrift ergeben sich für die Chip-Antennen-Anordnung als wesentliche Erfindungsmerkmale, dass der Chip auf einer der Folien fest angeordnet ist (Anspruch 1), dass eine Folie als Substrat resp. Leiterplatte durch Metallisieren und Strukturieren oder Aufdrucken ausgebildet ist und der Chip auf dieser in Flip-Chip-Technik resp. ohne Wire- Bond-Verbindung mittels einem beim Laminieren aushärtenden Leitkleber montiert ist (Anspruch 2) und auf der Innenseite der Folie zusätzliche, eine Antennen- Spule bildende Leiterbahnen angeordnet sind (Anspruch 5). Zur Herstellung der Chip-Karte wird eine thermoplastische Folie durch Metallisieren und Strukturieren oder Bedrucken von Leiterbahnen sowie Bedrucken der Anschlussstellen für den Chip mit Leitkleber (Flip-Chip-Technik) sowie Aufbringen des Chip vorgefertigt (Anspruch 8), wobei zur Herstellung einer Chip-Karte mit Kontakten die Basis-Folie auf beiden Seiten mit Leiterbahnen versehen wird (Anspruch 9) und zur Herstellung einer kontaktlosen Chip-Karte auf der Basis-Folie Spulenmittel bildende Leiterbahnen strukturiert werden (Anspruch 10).
Der Figur 5, gestützt durch die Figur 7, lässt sich entnehmen, dass der Chip 6 in Bezug auf die Innenfläche der Basis-Folie 1 oberhalb der Antennenspule 10 angeordnet ist. Aus den Figuren 4, 6 und 7 ergibt sich, dass der Chip die Spulenwindungen der Antennenspule 10 überbrückt oder kreuzt.
6. Die Figuren lassen jedoch in dem von dem Chip 6 abgedeckten Bereich der Basis-Folie nicht erkennen, wie die Leiterbahnen verdrahtet oder verbunden sind. Hierzu finden sich auch in der Beschreibung keine Ausführungen.
Weder die Position der elektrischen Anschlussstellen des Chips mit der Antennenspule noch die mechanischen Befestigungsstellen sind der Beschreibung oder den Figuren zu entnehmen. Zwar impliziert die offenbarte und beanspruchte Anwendung der Flip-Chip-Technik direkte Anschluss- und Befestigungsstellen auf Leitungsbahnen, diese könnten aber auch separate Anschlussleitungen sein, der Art, wie sie beispielsweise in der Druckschrift D31, Figur 3 gezeigt sind. Auch aus Figur 5, der einzigen Zeichnung, die den Chip und die Antennenspule in einem vertikalen Schnitt zeigt, lässt sich nichts Weiteres herleiten, da zum einen unklar bleibt, wie der Schnitt verläuft und zum anderen die Antennenspule 10 und die Anschlussstellen für den Chip nur andeutungsweise erkennbar sind. Die Antennenspule so wie gezeichnet würde die Chip-Anschlüsse kurzschließen, so dass der fachkundige Leser die wenigen Details in dieser Zeichnung, die Auskunft über die Art und Weise der Verbindung und Verdrahtung geben könnten, als wahrscheinlich fehlerhaft ignorieren wird.
7. Daher sind bei funktionaler Auslegung des Begriffs "Antennenspule", d.h. als die Gesamtheit der Windungen, die der Abstrahlung oder dem Empfang eines elektromagnetischen Signals dienen, die Merkmale A und B nicht unmittelbar und eindeutig der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung zu entnehmen.
Zwar könnte der Begriff "Antennenspule" auch die Baueinheit bezeichnen und damit als die Anschlüsse und gegebenenfalls das Gehäuse, Isolierungen etc. umfassend verstanden werden. Für diese Bedeutung findet sich aber weder in der Anmeldung eine Stütze, noch wurde seitens der Patentinhaberin etwas dahingehend vorgetragen. Im Gegenteil: die bauliche Betrachtungsweise würde die von der Patentinhaberin angestrebte Abgrenzung von dem sich aus der Druckschrift D31 ergebenden Stand der Technik zunichte machen, die in der Figur 3 eine in diesem Sinne verstandene Antennenspule vorwegnimmt.
8. Schließlich bietet die Anmeldung auch für das oben genannte Merkmal C der sich verkleinernden Leiterbahnen- Abstände keine ausreichende Offenbarungsgrundlage. Es ist unbestritten, dass es für dieses Merkmal keine direkte Offenbarung in der Beschreibung gibt. Die Patentinhaberin hat es vielmehr aus Figur 4 der A2- Schrift hergeleitet, die in der Tat schematisch Leiterbahnen zeigt, die sich im Bereich des Chips verjüngen. Es ist jedoch nicht erkennbar, ob die (schwarzen) Striche die Leiterbahnen oder deren Begrenzungen symbolisieren.
Für die letztere Möglichkeit sprechen mehrere Umstände. Die Leiterbahnen sind durch Metallisieren und Strukturieren der Basis-Folie gebildet und sind daher üblicherweise streifenförmig mit merklicher Breite. Die Abstände zwischen Leiterbahnen wiederum können im Vergleich zur Breite der Leiterbahnen strichförmig ausfallen, wie das beispielsweise für die Anschlusskontakte für den Chip in den Figuren 1 und 6 zu sehen ist.
Für die Möglichkeit, dass die Leiterbahnen in Figur 4 von den Bereichen zwischen den Strichen dargestellt werden, spricht auch der Umstand, dass der Zuordnungsstrich für die Bezugsziffer 10 (Antennenspule) in der Mitte eines solchen Bereichs endet, und nicht etwa auf einem der Striche, wie das zu erwarten wäre, wenn die Striche die Leiterbahnen darstellten.
Dagegen spricht auch nicht die Farbgebung, schwarz oder weiß, auf die sich die Patentinhaberin als Beleg für ihre Auffassung berufen hat, da die Zeichnungen die Chip-Karte und den Aufbau der Basis-Folie nur in sehr schematischer Weise zeigen und der Anmeldung keinerlei Hinweis zu entnehmen ist, dass der Farbe in den Zeichnungen irgendeine spezifische Bedeutung zukommen soll.
9. Daher können die genannten Anspruchsmerkmale der ursprünglichen Offenbarung nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden. Es liegt damit allen Anträgen der Patentinhaberin ein im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig geänderter Anspruch 1 zugrunde, so dass das Patent in keiner der beantragten Fassungen aufrechterhalten werden kann.
Den Anträgen der Einsprechenden auf Widerruf des Patents ist daher stattzugeben.
10. Die Einsprechenden O2 und O4 haben im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit der Anträge die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage der eingereichten Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer beantragt, falls eine Aufrechterhaltung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 4 vorgesehen sein sollte. Da im vorliegenden Fall den Anträgen der Einsprechenden auf Widerruf des Patents stattgegeben wurde, hat sich der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den eingereichten Rechtsfragen erledigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.