T 1061/05 (Seitenplattenrecycling/ESK CERAMICS) 06-02-2008
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Verfahren zum Recycling von Seitenplatten für das Dünnbandgiessen von Stahl
Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)- Verbesserung nachgewiesen; `keine Einbahnstraßen-Situation´
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischen entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 213 273 in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag aufrechterhalten wurde.
II. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderen die folgenden Dokumente genannt:
D3: US-A-5 227 347
D4: R.T. OXNARD, Amer. Ceram. Soc. Bull., Volume 73 (10), Oktober 1994, Seiten 46 - 49
D6: US-A-4 847 031
D7: US-A-5 266 263
D10: J. TIRLOCQ, "Vers un cycle de vie de complet des produits réfractaires", Euroceram News Nr. 10
III. Die Einspruchsabteilung wies den Hauptantrag, der auf die Ansprüche 1 bis 7 in der erteilten Fassung gerichtet war, wegen mangelnder Neuheit des in Anspruch 5 beanspruchten Produkts im Hinblick auf die Entgegenhaltung D6 zurück. Dieses Dokument offenbarte ein Bornitrid-haltiges Pulver, das aus gebrauchten Verdampferschiffchen durch Reinigen und Vermahlen zu einem Pulver hergestellt werde und sich von dem des Anspruchs 5 des Streitpatents nicht unterscheiden lasse.
Hingegen erfüllten die Ansprüche gemäß Hilfsantrag die Erfordernisse des EPÜ. Der Gegenstand des Anspruchs 5 sei neu, da die beanspruchte Seitenplatte für das Dünnbandgießen von Stahl teilweise aus Recyclingpulver bestehe, während gemäß Dokument D3 frisches Pulver verwendet werde. Als technischer Effekt wiesen die erfindungsgemäßen Seitenplatten eine deutlich bessere mechanische Stabilität auf als Seitenplatten aus frischem Pulver. Der Verfahrensanspruch 1 sei neu und erfinderisch, weil die einschlägigen Dokumente D3 und D8 keinen Hinweis gäben, gebrauchte Seitenplatten durch Reinigen und Mahlen wiederzuverwerten.
IV. Die Entscheidung wurde von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) mit der Beschwerde angefochten. Um die erfinderische Tätigkeit des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Verfahrensanspruchs 1 anzugreifen, stützt sie sich u.a. auf folgende mit der Beschwerdebegründung neu eingereichte Dokumente:
D13: JP-A-56 165 559
D14: JP-A-63 090 354
D15: DE-A-44 27 602
D16: WO-A-92 07 806
Zudem griff die Beschwerdeführerin die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 im Hinblick auf Dokument D6 an.
V. In Erwiderung der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) neue Ansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3 ein, wobei der Hauptantrag eine Reinschrift des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrags in der Fasssung laut Anhang 2 der Entscheidung ("Hilfsantrag A") ist. Die Beschwerdegegnerin stellte die Zulässigkeit der Beschwerde wegen mangelnder Begründung und die Zulässigkeit eines neuen Einspruchsgrundes und verspäteter Dokumente in Frage. In der Sache widersprach sie dem Vorbringen der Beschwerdeführerin.
VI. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags haben folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur umweltfreundlichen, abfallarmen Wiederaufarbeitung von Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl mit einer mechanisch oder chemisch verschlissenen Oberfläche, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die me chanisch oder chemisch verschlissene Oberfläche der Seitenplatten mittels an sich bekannter Verfahren gereinigt wird und die Seitenplatte anschließend durch Brechen und Mahlen in ein BN-haltiges Pulver überführt wird."
"5. Seitenplatte für das Dünnbandgießen von Stahl, dadurch gekennzeichnet, dass sie unter Verwendung eines nach einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 erhaltenen BN-haltigen Pu1vers hergestellt wurde."
VII. Am 6. Februar 2008 fand eine mündliche Verhandlung statt.
VIII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber Dokument D6, da das erhaltene Pulver das gleiche sei, wenn man das in D6 beschriebene Wiederaufbereitungsverfahren auf ein ebenfalls Bornitrid enthaltendes gebrauchtes Verdampferschiffchen anwende. Die jeweilige geometrische Form des Ausgangsprodukts (Seitenplatte oder Schiffchen) stelle keinen technischen Unterschied dar.
Die Ansprüche 1 bis 6 beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Dokumente D4, D6, D15 und D13 (alternativ auch D14 oder D16), in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen. So sei aus D15 bereits ein Verfahren zur Wiederaufbereitung von feuerfesten keramischen Platten, beispielsweise von Schieberverschlüssen an metallurgischen Gefäßen bekannt, bei dem die gebrauchten Platten gereinigt und zu einem Pulver gemahlen würden, welches zur Herstellung neuer Platten verwendet würde. Aus den Dokumenten D13 und D14 sei bekannt, dass solche Schieberverschlussplatten BN als Neben- oder sogar als Hauptbestandteil enthielten. Die Wiederverwertung verschlissener Feuerfest-Bauteile sei aus ökonomischen und Umweltschutzgründen ein allgemeiner Trend in der Industrie. Der Fachmann für Feuerfest-Produkte in der Stahlindustrie würde in Kenntnis von Dokument D15 gleichermaßen die Wiederverwertung gebrauchter Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl ins Auge fassen und so, quasi in einer Einbahnstrassen - Situation, zwangsläufig zum Gegenstand des Verfahrens von Anspruch 1 des Hauptantrags geführt werden.
Der Gegenstand von Anspruch 5 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Lehren von D14, D6 oder D7. Seitenplatten würden allgemein durch Pressen eines Pulvers und Brand hergestellt. BN-haltige Pulver seien dafür bekanntermaßen geeignet (siehe Dokument D3). Es läge nahe, zur Herstellung von Seitenplatten auch BN-haltige Pulver zu verwenden, die beispielsweise aus der Aufarbeitung gebrauchter Verdampferschiffchen gemäß D6 und D7 erhältlich seien. Das Streitpatent schlage ja keine neuartigen Produkte aus dem BN-haltigen Pulver vor, sondern nur die Ausgangsprodukte selbst. Eine etwaige Verbesserung der Eigenschaften der Recycling-Seitenplatten sei dabei nur ein Bonus-Effekt, der im übrigen keineswegs unerwartet wäre. Es sei nämlich aus D4 und D7 bekannt, dass die Zugabe von recyceltem Materials oftmals die Eigenschaften der recycelten Produkte verbessere, beispielsweise in D7 hinsichtlich der Alterungsbeständigkeit der Verdampferschiffchen.
Zur Zulässigkeit der Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie sich sehr wohl mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt habe und motivierte Einwände dagegen erhoben habe. Es sei statthaft und üblich, sich dabei u.a. auf neue Dokumente zu stützen. Die von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidungen T 0220/83 und T 0213/85 beträfen einen anderen Sachverhalt und seien daher hier nicht relevant.
IX. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Die Beschwerde sei als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdeführerin habe, anstatt auf die Entscheidungsgründe einzugehen, im wesentlichen auf neue Dokumente gestützt quasi einen neuen Einspruch formuliert. Eine für die Zulässigkeit der Beschwerde ausreichende Begründung im Sinne von Artikel 108 EPÜ Satz 3 fehle. Zudem habe die Beschwerdeführerin einen neuen Einspruchsgrund, nämlich mangelnde Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1, erhoben. Der Einführung ins Verfahren gemäß G 0010/91 stimme die Beschwerdegegnerin jedoch nicht zu. Abgesehen davon, sei dieser Anspruch 1 eindeutig neu gegenüber D6, da das beanspruchte Verfahren von einem anderen Ausgangsprodukt ausgehe.
In der Sache argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass eine BN - haltige Pulvermischung gemäß Anspruch 5 in der erteilten Fassung sich von einem gemäß D6 erhaltenen Pulver unterscheide und daher neu sei.
Als nächstliegender Stand der Technik sei D3 anzusehen.
Davon ausgehend, bestehe die Aufgabe in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von Seitenplatten mit verbesserten mechanischen Eigenschaften.
Die beanspruchte Lösung werde durch Dokument D15 nicht nahegelegt, weil die Reihenfolge der Verfahrensschritte "Reinigen" und "Zerkleinern" anders sei. Die in den Dokumenten D13, D14 und D16 beschriebenen Schieberplatten enthielten zwar Bornitrid, eine Wiederaufbereitung sei darin aber nicht beschrieben. Es läge auch keine "Einbahnstraßen-Situation" vor, die zum Anspruchsgegenstand führe, da es keinen Stand der Technik zum Wiederverwerten von Seitenplatten gäbe. Nach T 0192/82 und T 0506/92 liege eine Einbahnstraßen - Situation dann vor, wenn die Verwendung eines Mittels trotz eines etwaigen unerwarteten "Bonus-Effekts" zu vorhersehbaren Vorteilen führe und keine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten erforderlich war. Beides treffe hier nicht zu. Die verbesserten mechanischen Eigenschaften der recycelten Seitenplatten seien keinesfalls vorhersehbar gewesen. Beispielsweise sei aus D15 bekannt, dass die aus Recyclingmaterial hergestellten Erzeugnisse im wesentlichen die gleichen Gebrauchseigenschaften aufwiesen, wie die aus frischem Material gewonnenen. D4 betreffe Feuerfestbetonsteine und Schamotte-Tonziegel, in denen die recycelten Materialien lediglich als Zuschlag enthalten seien.
X. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 213 273.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise die Beschwerde zurückzuweisen; weiter hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der Hilfsanträge 1, 2 oder 3, eingereicht mit Schreiben vom 1. August 2006, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Nach Ansicht der Kammer enthält die Beschwerdebegründung Argumente, Tatsachen und Beweismittel betreffend die angefochtene Entscheidung. Dass sich die Beschwerde teilweise auf neue Dokumente stützt und dass sie einen neuen Einspruchsgrund vorbringt, sieht die Kammer als zulässigen Versuch an, die Entscheidung der Einspruchsabteilung auf einem anderen Weg anzufechten. Normalerweise ist eine Beschwerde nicht darauf beschränkt, unter Wiederholung von bereits geltend gemachten Einspruchsgründen und bereits vorgebrachter Tatsachen die Richtigkeit der Vorinstanzentscheidung zu bestreiten. Die vorliegende Beschwerdebegründung versetzte die Kammer und offenbar auch die Beschwerdegegnerin (siehe den ausführlichen Schriftsatz vom 1. August 2006) in die Lage, auf die Einwände der Beschwerdeführerin einzugehen. Die Anforderungen, die in den von der Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde zitierten Entscheidungen T 0220/83 (ABl. EPA 1986, 249) und T 0213/85 (ABl. 1987, 482) an eine ausreichende Beschwerdebegründung gestellt wurden, sind daher nach Auffassung der Kammer erfüllt.
Die Beschwerde entspricht somit den Erfordernissen des Artikels 108 EPÜ und der Regel 99 (2) EPÜ, so dass eine Verwerfung als unzulässig gemäß Regel 101 (1) EPÜ nicht in Frage kommen kann.
2. Zulässigkeit der Dokumente D13 - D16
Nach Ansicht der Kammer stellen die von der Beschwerdegegnerin als verspätet gerügten Dokumente D13 bis D16 den zulässigen Versuch der Beschwerdeführerin dar, auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung einzugehen und diese argumentativ und mit Beweismitteln zu widerlegen.
Die Dokumente wurden daher ins Verfahren zugelassen.
3. Änderungen (Artikel 123 (2) (3) EPÜ)
Der geänderte Anspruch 5 laut Hauptantrag beruht auf der Kombination der ursprünglich eingereichten und erteilten Ansprüche 5 und 6.
Die Begriffe "Pulver" und "Pulvermischung" wurden in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen synonym verwendet, wie man aus den Ansprüchen 1, 3, 5 und 7 ersehen kann. Die diesbezügliche Änderung in den Ansprüchen 5 und 6 ist daher zulässig.
Eine Erweiterung des Schutzumfangs tritt durch diese Änderungen nicht ein. Die Bestimmungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ sind also erfüllt.
4. Neuheit
4.1 Die Beschwerdeführerin griff die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag im Hinblick auf das Dokument D6 an. Dieser Einwand stellt einen neuen Einspruchsgrund dar, da die Neuheit des beanspruchten Verfahrens im Einspruchsverfahren weder von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) noch von der Einspruchsabteilung zur Diskussion gestellt wurde. Eine Zustimmung der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) zur Prüfung dieses Einspruchsgrundes durch die Kammer wurde nicht erteilt (siehe Beschwerdeerwiderung vom 1. August 2006, Seite 7, Abschnitt 5.2). Der Einwand muss daher gemäß G 0010/91 (ABl. 1993, 420; siehe Entscheidungsgründe, Punkt 3) unberücksichtigt bleiben.
4.2 Selbst wenn man aber zugunsten der Beschwerdeführerin die Zulässigkeit des Einspruchsgrundes unterstellte, so wäre der Neuheitseinwand nicht stichhaltig. Dokument D6 nimmt nämlich die Neuheit des angegriffenen Verfahrensanspruchs 1 nicht vorweg, da in diesem Dokument von Seitenplatten für das Dünnbandgiessen von Stahl keine Rede ist. Solche Seitenplatten unterscheiden sich zumindest in ihrer Form, d.h. in ihren Abmessungen, Geometrien und Größenverhältnissen, substantiell von den in Dokument D6 einem Recycling unterworfenen Verdampferschiffchen (vgl. D3, Figuren 1 und 2; D6, Spalte, 1 Zeile 68 bis Spalte 2, Zeile 3), auch wenn letztere 30% Bornitrid enthalten. Da das beanspruchte Verfahren somit von einem anderen Ausgangsprodukt ausgeht, ist es als neu anzusehen.
4.3 Weitere Neuheitseinwände liegen nicht vor und sind der Kammer auch nicht ersichtlich.
Das Erfordernis des Artikels 54 (1) (2) EPÜ ist daher erfüllt.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. Gegenstand des Streitpatents ist einerseits ein Verfahren zur Wiederaufarbeitung von Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl, bei dem diese nach Reinigen, Brechen und Mahlen in ein BN-haltiges Pulver überführt werden (Anspruch 1); und andererseits die aus diesem BN-haltigen Pulver hergestellten Seitenplatten selbst (Anspruch 5).
5.2. Die Beschwerdeführerin ging während der mündlichen Verhandlung, was die Verfahrensansprüche betrifft, von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik aus.
Dokument D6 hat das Recycling von elektrisch leitenden, feuerfesten keramischen Verdampferschiffchen, die generell zum überwiegenden Teil aus Titandiborid, sowie geringeren Anteilen an BN und AlN bestehen, zum Gegenstand. Diese Schiffchen dienen normalerweise zum Verdampfen von Al, sind also am Ende ihrer Lebenszeit mit Al verunreinigt. Sie werden zuerst davon gereinigt, indem sie mit heißer Natronlauge behandelt werden, sodann zu Pulver gemahlen, welches wieder zu Schiffchen verarbeitet wird (siehe Anspruch 1 und 10; Spalte 1, Zeilen 21 bis 24; Zeilen 43 bis 50).
Als Unterschied zum beanspruchten Verfahren erkannte die Beschwerdeführerin das unterschiedliche Ausgangsprodukt, nämlich Verdampferschiffchen anstelle von Seitenplatten, an. Sie definierte davon ausgehend die technische Aufgabe in der Angabe eines alternativen Verfahrens zur Herstellung eines BN-haltigen Pulvers. Diese Aufgabe sei zwar mit den Merkmalen des beanspruchten Verfahrens gelöst. Das beanspruchte Verfahren läge aber nahe, da ein besonderer technischer Effekt nicht erzielt werde und der Fachmann folglich ein beliebiges keramisches BN-haltiges Ausgangsprodukt heranziehen könne, so natürlich auch die bekanntermaßen Bornitrid enthaltenden Seitenplatten, um daraus in der beanspruchten Weise ein wiederum an sich bekanntes BN-haltiges Pulver herzustellen.
Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. Zunächst scheint der Kammer fraglich, ob D6 tatsächlich den nächstkommenden Stand der Technik darstellt, von dem der Fachmann ausgeht, wenn er sich mit dem Wiederverwerten von BN-haltigen Seitenplatten befasst. Kern des Streitpatents ist nämlich die Aufarbeitung und Wiederverwertung gebrauchter Seitenplatten, und nicht die Herstellung von BN-haltigen Pulvern. Selbst wenn man aber zugunsten der Beschwerdeführerin von D6 ausgeht, so ist nach Ansicht der Kammer die technische Aufgabe richtigerweise darin zu sehen, ein Verfahren anzugeben, mittels dessen Seitenplatten so wiederaufbereitet werden, dass das Recycling zu verbesserten Produkten führt.
5.3 Die Frage stellt sich, ob diese Aufgabe tatsächlich gelöst wurde.
Aus D6 ist bekannt, dass Verdampferschiffchen, die aus Recyclingmaterial hergestellt wurden, zwar gleich gute, aber keine verbesserten Eigenschaften aufweisen (Spalte 2, Zeilen 8 bis 10 und 17 - 19). In D7, einem Dokument, das sich aufbauend auf D6 mit weiteren Verbesserungen der Wiederaufbereitung von gebrauchten Verdampferschiffchen befasst, ist von einer Verbesserung nur hinsichtlich des Abfalls des elektrischen Widerstands dieser Schiffchen die Rede, nicht hinsichtlich der Benetzbarkeit und der Standzeit im allgemeinen (Spalte 3, Zeilen 61 - 68). Der elektrische Widerstand ist jedoch keine für Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl relevante Eigenschaft.
Ein Vergleich mit Verdampferschiffchen aus Recyclingmaterial wäre wegen der unterschiedlichen Einsatzgebiete und der gegenüber Verdampferschiffchen deutlich höheren Beanspruchungen von Seitenplatten beim Dünnbandgießen von Stahl (vgl. D3, Spalte 1, Zeilen 29 - 36) weniger aussagekräftig als ein Vergleich zwischen Seitenplatten, die aus jungfräulichem Ausgangsmaterial und solchen, die aus wieder aufbereitetem Material hergestellt wurden.
Die Beispiele des Streitpatents belegen nun, dass mittels des beanspruchten Verfahrens aus den verbrauchten Seitenplatten ein BN-haltiges Recyclingpulver gewonnen wird, welches - im Vergleich mit einer jungfräulichen Ausgangs-Pulvermischung bestehend aus den gleichen Komponenten - zu Seitenplatten mit verbesserten mechanischen Eigenschaften führt (Seite 3, Zeilen 25 - 55). Diese Verbesserungen sind auch quantitativ belegt und betreffen die Biegebruchfestigkeit (148 gegenüber 120) und die Brinell-Härte (90 gegenüber 65) (siehe Seite 3, Tabelle). Diese Ergebnisse wurden von der Beschwerdeführerin selbst zwar nicht als Verbesserungen anerkannt, jedoch immerhin als "Bonus-Effekt" gewürdigt. Die unter 5.2 angegebene Aufgabe ist daher bezüglich der Produkte als gelöst anzusehen.
5.4 Es gilt nun noch, die Frage zu beantworten, ob das beanspruchte Verfahren aus dem Stand der Technik herleitbar war.
Die verbesserten Eigenschaften des Recyclingprodukts waren nach Ansicht der Kammer für den Fachmann von den Eigenschaften her nicht zu erwarten. Gemäß Dokument D6 entsprechen die aus Recyclingmaterial erhältlichen Verdampferschiffchen zwar denjenigen aus jungfräulichem Material, eine Verbesserung wird aber nicht erreicht (Spalte 2, Zeilen 8 bis 10). D7 gibt an, wie schon erwähnt, dass Schiffchen aus wiederaufbereitetem Material einen verzögerten Abfall des elektrischen Widerstands aufweisen, was aber bei Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl ohne Bedeutung ist. Die Beschwerdeführerin stützte sich des weiteren auf die Dokumente D4 und D15, um zu zeigen, dass verbesserte Eigenschaften bei Recyclingprodukten ganz allgemein zu erwarten wären. D4 ist eine allgemein gehaltene Schrift über die wachsende Bedeutung des Recyclings von Feuerfest-Materialien (Seite 47, Figur). Ein generelles Verfahrensschema mit zwei "crushing steps" wird vorgestellt (Seite 48, Figur). Es gibt aber keinen konkreten Hinweis auf das Recycling von Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl, noch auf eine vorherige Reinigung derselben. Dort, wo D4 von verbesserten Eigenschaften des Recylingprodukts spricht, betrifft dies ein völlig unterschiedliches Material, nämlich Schamottebruch (D4, Seite 47, linke Spalte, Zeile 14 bis mittlere Spalte, Zeile 3). Nach Ansicht der Kammer hätte der Fachmann daraus keine Schlüsse über das Recyclingverhalten von gebrauchten BN-haltigen Seitenplatten gezogen.
Dokument D15 schließlich betrifft feuerfeste Bauteile (beispielsweise Schieberverschlüsse an metallurgischen Gefäßen) auf Basis von Al2O3, Mullit, C und B4C, die aus gebrochenem und gekörntem Recyclingmaterial bestehen; sie weisen im wesentlichen die gleichen Gebrauchseigenschaften auf wie die Platten, aus denen der Bruch gewonnen wurde (Seite 2, Zeilen 58, 59). Eine Verbesserung der mechanischen Eigenschaften war auch vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten.
Die Dokumente D13 und D14 betreffen Schieberverschlüsse für den Stahlguss, die BN enthalten. Ein Hinweis auf eine Wiederaufbereitung (Recycling) wird nicht gegeben.
Zusammenfassend gibt der zitierte Stand der Technik keine Anregung, die oben formulierte Aufgabe, nämlich gebrauchte Seitenplatten wiederzuverwerten, um verbesserte Produkte zu erhalten, in der beanspruchten Weise zu lösen.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 gemäß Hauptantrag beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5.4 Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man nicht D6, sondern ein anderes Dokument des Stands der Technik als nächstliegend ansieht.
Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren D3 als nächsten Stand der Technik angesehen. Dieses Dokument betrifft zwar Seitenplatten zum Dünnbandgießen von Stahl aus BN, enthält aber keinerlei Hinweis auf eine Wiederaufbereitung dieser keramischen Bauteile. Im Hinblick auf die Aufgabenstellung scheint dieses Dokument daher weiter entfernt zu sein.
Als nächster Stand der Technik kommen nach Ansicht der Kammer nur solche Dokumente in Frage, die sich mit einer vergleichbaren Aufgabe, also ebenfalls mit der Aufarbeitung und dem Recycling von keramischen Feuerfestmaterialien, befassen. Das sind, neben den bereits erörterten Dokumenten D6 und D7, die Dokumente D4, D10 und D15.
Dokument D4 ist, wie schon erwähnt, allenfalls für die Tatsache heranzuziehen, dass Recycling bei Feuerfest-Materialien bekannt war. Das Dokument gibt keinen konkreten Hinweis auf Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl, noch auf eine vorherige Reinigung derselben.
D10 ist genauso allgemein gehalten.
D15 betrifft das Recycling von feuerfesten keramischen Werkstoffen mit einem Gehalt von Kohlenstoff und hohem Anteil an Al2O3 (siehe Anspruch 1), beispielsweise Schieberverschlüsse von metallurgischen Gefäßen. In einem Beispiel werden verbrauchte Bauteile aus Grasanit C51 (enthaltend 67% Tonerde, Rest Zirkon, Mullit, Si-Metall, B4C, Russ, Pech, Cellulosefasern und Binder) zunächst gebrochen. Dieser Bruch wird anschließend gereinigt, aufgemahlen und klassifiziert, die Mischung durch Zugabe von Korrekturmaterialien eingestellt, danach mit Harz zu Formteilen verpresst und bei 800 ºC getempert. Wie schon erwähnt, weisen die aus dem Recyclingmaterial hergestellten Platten im wesentlichen die gleichen Gebrauchseigenschaften auf wie die Platten, aus denen der Bruch gewonnen wurde (Seite 2, Zeilen 48 - 59). Der Reinigungsschritt ist nicht näher beschrieben und erfolgt im Gegensatz zum Streitpatent nach dem Brechen.
Ausgehend von D15 besteht die Aufgabe darin, ein anderes Verfahren zur Wiederaufbereitung von keramischen feuerfesten Materialien sowie ein mittels des Verfahrens gewonnenes keramisches Feuerfestprodukt mit verbesserten mechanischen Eigenschaften anzugeben.
Es wurde nicht bestritten, dass die gestellte Aufgabe durch die Merkmale der unabhängigen Ansprüche gelöst wird. Insbesondere sind die gefundenen Verbesserungen der mechanischen Eigenschaften der wiederaufbereiteten Seitenplatten zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen.
Diese Verbesserungen sind aus den gleichen Gründen, die unter Punkt 5.3 ausführlich diskutiert wurden, und vor dem Hintergrund des gleichen Stands der Technik, für den Fachmann nicht vorhersehbar. Daher hatte der Fachmann auch ausgehend von D15 keine Anregung, die gestellte Aufgabe, gebrauchte Seitenplatten zu verbesserten Produkten wiederzuverwerten, in der beanspruchten Weise zu lösen.
5.5 Die Beschwerdeführerin sah angesichts des Standes der Technik auch eine "Einbahnstraßen-Situation", die den Fachmann zum Recycling von Seitenplatten in der aus den Dokumenten D15 oder D4 bekannten Art und Weise angeregt hätte, unabhängig von der Erwartung einer Verbesserung. Sie argumentierte mit dem allgemeinen Wissen des Fachmanns, wonach jedes beliebige Feuerfestmaterial, also auch Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl, recycelt werden können, und zwar im wesentlichen genau so wie in D4, D6 oder D15 beschrieben, nämlich indem man das Material bricht, aufmahlt und daraus in konventioneller Weise neue Bauteile herstellt. Die gefundenen Verbesserungen wären dann allenfalls ein "Bonus-Effekt" einer an sich naheliegenden Vorgehensweise.
Gemäß T 0506/92 (vom 3. August 1995, Entscheidungsgründe Punkt 2.6) stellt eine "Zusatzwirkung einer naheliegenden Maßnahme [¨..] gemäß der Rechtspraxis des EPA einen Bonus dar, der - selbst als überraschender Effekt - keine erfinderische Tätigkeit zu begründen vermag".
In T 0192/82 (vom 22. März 1984; Leitsatz 2; Entscheidungsgründe Punkt 16, Sätze 2 und 3) stellte die Kammer fest: "Dem Fachmann muß es freistehen, die besten gegebenen Mittel für seine Zwecke zu verwenden; zwar kann die Verwendung von Mitteln, die eine zu erwartende Verbesserung bewirkt, durchaus patentfähig sein, wenn sie auf einer zusätzlichen Wirkung beruht, vorausgesetzt, daß dies eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten erforderlich macht. Fehlen jedoch entsprechende Alternativen, so liegt eine "Einbahnstraßen-Situation" vor, wo die Verwendung des Mittels trotz eines etwaigen unerwarteten "Extra-Effekts" in naheliegender Weise zu vorhersehbaren Vorteilen führt."
Im vorliegenden Fall liegt ein solcher Mangel an Alternativen, der eine "Einbahnstrassen - Situation" kennzeichnet, jedoch nicht vor. Dazu stellt die Kammer zunächst fest, dass keines der zitierten Dokumente überhaupt auf die Möglichkeit der Wiederaufbereitung von gebrauchten Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl hinweist. Für den Fachmann hätte die Möglichkeit bestanden, gebrauchte Seitenplatten in anderer Weise als gemäß Anspruch 1 aufzuarbeiten. Beispielsweise ist in Dokument D4 überhaupt kein Reinigen der verschlissenen Bauteile offenbart; und in D15 findet das Reinigen erst nach dem Brechen bzw. Mahlen statt. Selbst wenn man also der Argumentation der Beschwerdeführerin folgte, gelangte man durch hypothetische Kombination von D6 mit D4 oder D15 nicht zu allen Merkmalen der beanspruchten Erfindung. Was den Produktanspruch 5 betrifft, so könnte eine Wiederverwendung des BN-haltigen Pulvers auch zu anderen Produkten als neuen Seitenplatten führen. Die Kammer findet das Vorbringen der Beschwerdegegnerin plausibel, dass Seitenplatten für das Dünnbandgießen von Stahl thermisch, chemisch und mechanisch hochbeanspruchte Bauteile seien, an die strenge Qualitätsanforderungen gestellt würden. Es lag daher nicht nahe, ein Bornitrid-haltiges Recyclingpulver ohne weiteres zur Herstellung solcher kritischer Bauteile einzusetzen. Noch weniger hätte der Fachmann dies in der Erwartung von verbesserten Gebrauchseigenschaften getan.
Aus diesen Gründen sieht die Kammer die erfindungsgemäßen verbesserten mechanischen Eigenschaften von Seitenplatten, die unter Verwendung des wiederaufbereiteten BN-haltigen Pulvers hergestellt wurden, nicht als einen "Bonus-Effekt" an, der aus einer "Einbahnstraßen-Situation" folgte.
5.6 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 und 6 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der erfinderischen Verfahren bzw. Produkte gemäß den Ansprüchen 1 und 5, von denen sie jeweils abhängig sind.
Zusammenfassend genügen die Ansprüche 1 bis 6 gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ.
5.7 Es erübrigt sich daher, auf die Hilfsanträge einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.