T 0009/86 (Polyamid-6) 06-11-1986
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Erfinderische Tätigkeit
Entwicklung des Standes der Technik
Einfachheit der Lösung
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 79 101 260.2, die am 26. April 1979 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der Voranmeldung vom 18. Mai 1978 (DE 2 821 686) angemeldet worden war, ist am 27. April 1983 (Patentblatt 83/17) das europäische Patent 5466 mit 9 Ansprüchen erteilt worden.
Anspruch 1 lautete:
"Verfahren zur Herstellung von monomer- und dimerarmen Polyamid-6 bzw. monomer- und dimerarmen Polyamiden, die sich aus mindestens 60 Gew.-% -Caprolactameinheiten aufbauen, durch hydrolytische Polymerisation von -Caprolactam und gegebenenfalls weiteren Monomeren in einem Reaktor und anschließender Abtrennung der sich mit dem gebildeten Polyamid im Gleichgewicht befindlichen niedermolekularen Reaktionsnebenprodukte und des nicht umgesetzten -Caprolactams aus der Polyamidschmelze unter Anwendung von Unterdruck und erhöhten Temperaturen in einer Ausdampfvorrichtung und Rückführung in den Reaktor, dadurch gekennzeichnet, daß die aus der Polyamidschmelze gasförmig abgetrennten niedermolekularen Reaktionsnebenprodukte und das gasförmig abgetrennte -Caprolactam direkt auf der noch zu polymerisierenden -Caprolactamschmelze kondensiert werden und das erhaltene Gemisch gegebenenfalls zusammen mit weiteren Monomeren dem Reaktor zugeführt wird."
II. Gegen die Erteilung des europäischen Patents hat die Einsprechende am 11. November 1983 Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents in vollem Umfang beantragt. Die Begründung wurde auf neue Dokumente gestützt.
III. Durch Entscheidung vom 7. November 1985 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
i) Soweit die Entgegenhaltungen überhaupt Verfahren zur Herstellung von Polyamid aus Caprolactam mit nachfolgender Abtrennung und Rückführung nicht umgesetzter Monomeren oder niedermolekularer Reaktionsprodukte beträfen, fehle die nach dem Streitpatent gegebene Lehre, die gasförmig abgetrennten Produkte direkt auf der noch zu polymerisierenden Monomerschmelze zu kondensieren, so daß der Patentgegenstand neu sei.
ii) Wenngleich eine Ähnlichkeit zwischen dem Verfahren des Streitpatents und dem des nächsten Standes der Technik, der DE-A-2 503 308 (1), insofern bestehe, als im Kondensator ein derart hoher Anteil an Monomeren vorhanden sei, daß das Dimere nicht ausfallen könne, so werde dieses Ergebnis nach (1) dadurch erzielt, daß die Polymerisation unterhalb des Gleichgewichts gefahren werde. Diese Lehre könne den Vorschlag nach dem Streitpatent, das gleiche Ziel auf apparativem Weg zu erreichen anstatt in die Reaktionskinetik einzugreifen, nicht nahelegen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die unterlegene Einsprechende unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr am 3. Januar 1986 Beschwerde eingelegt und diese am 6. März 1986 begründet. Sie stützt ihre Argumentation auf (1) und ein neues Dokument DE-A-1 949 911 (5). Aus (5) sei es bekannt, aus einer Polyamidschmelze extrahierbare Anteile, d.h. Monomere und Oligomere, mit einem Flüssigkeitsstrahler abzusaugen und die kondensierbaren Anteile darin zu kondensieren, wobei besonders Caprolactam als Treibflüssigkeit empfohlen werde. Als allenfalls patentfähig verbleibe daher nur noch, daß man das erhaltene Gemisch für die Polymerisation weiter verwendet; eine solche Maßnahme, die übrigens in (1) vorgeschlagen werde, sei naheliegend. Ein Vergleich zwischen der Verfahrensweise gemäß Beispiel 1 der Patentschrift und der gemäß dem Anspruch 1 von (5) lasse keinen Unterschied erkennen: In beiden Fällen würden die Brüden in einer großen Menge an Caprolactam, das umgepumpt wird, kondensiert.
V. Die Beschwerdegegnerin hingegen macht geltend, daß gemäß (5) die mit Hilfe eines Flüssigkeitsstrahlers aus der Polyamidschmelze abgesaugten und kondensierten Anteile gefiltert werden müssen; die Filtration sei zwingend notwendig, da die Treibflüssigkeit für den Flüssigkeitsstrahler im Kreislauf geführt wird, wodurch die Löslichkeitsgrenze des Dimeren im Caprolactam sehr bald unterschritten werde, was zu Abscheidungen führe. Eine solche Lehre könne nicht zum beanspruchten Verfahren hinführen. Zu (1) verweist die Beschwerdegegnerin auf die Argumentation der Einspruchsabteilung.
VI. In der mündlichen Verhandlung am 6. November 1986 haben die Beteiligten ihre Standpunkte bekräftigt:
i) Die Beschwerdeführerin weist auf die Breite der Lehre nach (5) hin. Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform (Anspruch 6) sei die Filtrierung nur erforderlich, wenn ein Kondensat als Treibflüssigkeit verwendet wird. Setze man hingegen - wie ebenfalls vorgeschlagen - reines Caprolactam ein, so fehle es lediglich an der Vorbeschreibung der Rückführung des mit extrahierbaren Anteilen angereicherten Gemisches zum Reaktor. Diese Maßnahme sei aber aus ökonomischen Gründen selbstverständlich und übrigens schon in (1) vorgeschlagen worden.
ii) Die Beschwerdegegnerin betont hingegen, daß gemäß (1) für die Verdampfung eine Polymerschmelze verwendet wird, die mehr als 9 % Monomeres enthält; dies erfordere einen Druck zwischen 6 und 60 Torr (Seite 3, Absatz 1), der wesentlich höher sei als der Druck von 0,4 bis 6,5 mbar gemäß dem Streitpatent; dieses ganz bewußt gewählte schlechte Vakuum sei sogar notwendig, damit das Dimere löslich bleibt. Das bedeute, daß in (1) das Dimere nicht ganz entfernt werde, was bei Verwendung des Polyamids für Lebensmittelverpackungen besonders nachteilig sei. Darüber hinaus leide das Verfahren nach (1) unter dem schwerwiegenden Nachteil, daß die Polymerisation nicht bis zum Gleichgewicht geführt werden dürfe. Die wesentlichen Nachteile des Verfahrens gemäß (5) seien der Einsatz eines Flüssigkeitsstrahlers und die Anwesen heit eines Filters. Zwar würden durch das umgepumpte Caprolactam die Brüden zwangsläufig ausgewaschen; diese Technik eignet sich für die Praxis aber nicht, weil die nach Art einer Wasserstrahlpumpe betriebene Vakuumvor richtung einen zu kleinen Durchsatz besitze, um mit den großen Mengen des durch das VK-Rohr zu fördernden Caprolactams Schritt halten zu können. Dieses Mißverhält nis mache das Verfahren unökonomisch. Aus diesem Grund gehe von (5) keine Anregung für die vorliegende Erfindung aus.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdegegnerin hingegen beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents mit folgenden Änderungen im Anspruch 1:
- Spalte 5, Zeile 33: "Verfahren" soll durch "kontinuierliches Verfahren" ersetzt werden
- Spalte 5, Zeilen 51/52: "kondensiert werden" soll durch "derart kondensiert werden, daß sich kein Dimer abscheidet" ersetzt werden, sowie entsprechender Beschreibungsanpassung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. ...(Zur Änderung des Anspruchs 1 und der Patentbeschreibung.)
3. Einleitend sei bemerkt, daß bei der Herstellung von Polyamid-6 aus -Caprolactam die hydrolytische Polymerisation des Monomeren bis zu einem temperaturabhängigen Gleichgewicht abläuft, das je nach den üblicherweise verwendeten Arbeitstemperaturen von 240 bis 280° C durch einen Gehalt an -Caprolactam und niedermolekularen Reaktionsprodukten von 7 bis 14 % gekennzeichnet ist (vgl. Beschreibungseinleitung zum Streitpatent). Die niedermolekularen Reaktionsprodukte enthalten nicht umgesetztes Monomer und Oligomere, im wesentlichen das Dimere. Solche Produkte, ganz besonders das Dimere, müssen vor der weiteren Verarbeitung des Polymers entfernt werden, da sie die mechanischen Eigenschaften der Polyamidformkörper beeinträchtigen. In (1), das als nächster Stand der Technik zu sehen ist, wird zur Behebung dieser Schwierigkeiten die Reaktionskinetik eingesetzt. Die Polymerisation wird hierbei nicht bis zur Gleichgewichtseinstellung zwischen niedermolekularen Reaktionsprodukten, nicht umgesetztem Monomer und dem gebildeten Polymer geführt, sondern abgebrochen, wenn die Polyamidschmelze mehr als 9 %, z.B. 14 oder 16 % Monomeres enthält (vgl. den Patentanspruch und die Beispiele). Bei der anschließenden Vakuumbehandlung gelangt das Dimer - zusammen mit dem Monomeren - ins Kondensat, wo es durch den hohen Monomerengehalt in Lösung gehalten wird; das Kondensat kann danach wieder dem VK-Rohr zugeführt werden. Nachteilig an dieser Verfahrensweise ist die durch das Nichterreichen des Gleichgewichts bedingte niedrige Ausbeute, verbunden mit einer niedrigen Auslastung der VK-Rohre. Zudem hat das Einstellen hoher Monomergehalte im Kondensat einen erhöhten Energieaufwand zur Folge. Diesem Stand der Technik gegenüber ist die patentgemäß bestehende technische Aufgabe darin zu sehen, den Energieaufwand zu reduzieren und das kontinuierliche Verfahren ökonomischer zu gestalten, ohne dabei Gefahr zu laufen, daß sich Dimeres im Kondensator abscheidet. Diese Aufgabe wird nach dem Streitpatent dadurch gelöst, daß man die Polymerisation bis zum Gleichgewicht führt, die aus der Polyamidschmelze abgetrennten gasförmigen Anteile direkt auf der noch zu polymerisierenden Monomerschmelze derart kondensiert, daß sich kein Dimer abscheidet, und dieses Gemisch dem Reaktor zuführt.
Die erreichten Vorteile sprechen für sich, so daß es glaubhaft erscheint, daß die bestehende Aufgabe auch tatsächlich gelöst ist.
4. Dieser Lösungsvorschlag ist keiner der angezogenen Entgegenhaltungen zu entnehmen; denn keine der Druckschriften offenbart die Kombination der drei wesentlichen Merkmale des beanspruchten Verfahrens. Da dieser Sachverhalt nicht bestritten wurde, erübrigen sich nähere Ausführungen zur Neuheit des Verfahrens nach dem Streitpatent.
5. Es ist daher zu untersuchen, ob es auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Betrachtet man den Lösungsvorschlag nach dem Streitpatent isoliert von der Entwicklung des Standes der Technik, so erscheint er auf den ersten Blick naheliegend; denn einerseits war die Verminderung des Energieaufwands durch die Rückkehr zur Steuerung der Polymerisation bis zum Gleichgewicht zu lösen, andererseits konnte der drohenden Abscheidung von Dimeren im Kondensator durch Anwendung entsprechend hoher Caprolactammengen - wie im Patentanspruch von (1) skizziert - vorgebeugt werden. Betrachtet man jedoch das Verfahren des Streitpatents vor dem Hintergrund der tatsächlichen technischen Entwicklung auf diesem Fachgebiet, so gelangt man zur gegenteiligen Schlußfolgerung.
5.1. Zur Beseitigung der flüchtigen Anteile wurden sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen:
- Herstellung von Granulaten aus der Gleichgewichtsschmelze, die dann mit Wasser von den unerwünschten Produkten befreit werden
- Reduzierung des Extraktgehalts vor dem Abspinnen der Schmelze sowie
- Vakuumbehandlung in den Schneckenmaschinen oder in den Dünnschichtverdampfern.
Abgesehen von ihrer Aufwendigkeit sind diese Arbeitsweisen für das spezifische Problem der Entfernung des Dimeren nicht zufriedenstellend. Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften ist das cyclische Dimere für den kontinuierlichen Ausdampfprozeß ein besonders störendes Nebenprodukt; denn es sublimiert leicht, sein Schmelzpunkt ist sehr hoch und seine Löslichkeit in -Caprolactam gering. Es scheidet sich deshalb in den Kondensatorsystemen der Ausdampfapparaturen leicht ab, was Verstopfungen und Unterbrechungen des Ausdampfprozesses zur Folge hat.
Zur Umgehung dieser Schwierigkeiten wurden spezielle Einrichtungen vorgeschlagen, wie
- Verwendung von Kondensatoren, die mit Kratzeinrichtungen versehen sind
- Arbeiten mit Doppelkondensatoren, die alternierend benutzt werden
- Verwendung von Spülsystemen,
die alle einen zusätzlichen apparativen Aufwand erfordern, ohne die kontinuierliche Verfahrensweise zu gewährleisten.
5.2. Gemäß Entgegenhaltung (5) wird ferner ein kontinuierliches Ausdampfverfahren von Polyamidschmelzen vorgeschlagen, bei dem die flüchtigen Produkte unter einem Vakuum von beispielsweise 0,1 bis 3 Torr durch einen Flüssigkeitsstrahler abgesaugt und die kondensierbaren Anteile dort in der Treibflüssigkeit kondensiert werden. Als Treibflüssigkeit wird reines Caprolactam oder das aufgefangene Kondensat benutzt (Seite 1, Absatz 4 bis Seite 2, Absatz 1). Die mittels Flüssigkeitsstrahler abgesaugten und in der Treibflüssigkeit kondensierten Produkte werden gefiltert (Seite 2, Zeile 9; Seite 3, Zeile 13 und Zeichnung) und im Kreislauf zurückgeführt. Wenngleich Anspruch 1 von (5) keine Filtration vorschreibt, so ist nicht erkennbar, wie diese Idee realisiert werden kann. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dies hätte genau wie im Streitpatent beschrieben geschehen können, ist als Ex-post-facto-Betrachtungsweise zu werten; denn bei der wirtschaftlichen Bedeutung einer solchen Möglichkeit für die dort ausschließlich anvisierte kontinuierliche Verfahrensweise (vgl. Seite 1, Absatz 3) hätte dieser Gedanke seinen Niederschlag in (5) gefunden, etwa in der Weise, daß man das reine Caprolactam nach seiner Verwendung als Treibflüssigkeit zum VK-Rohr zurückführt.
5.3. Daß (5) keine zufriedenstellende Lösung gebracht hat, zeigt auch die Tatsache, daß dann mit (1) ein völlig anderer Weg beschritten worden ist. Um nämlich die mit den Abscheidungen von Dimerem verbundenen Schwierigkeiten ganz einfach zu vermeiden, wird empfohlen, die Polymerisationsreaktion nicht bis zum Gleichgewicht zu steuern; dabei wird jedoch eine Erhöhung des Energieaufwands zum Ausdampfen des vergrößerten Monomeranteils bewußt in Kauf genommen, wie oben im Abschnitt 3 bereits dargelegt.
Betrachtet man also die Entwicklung des Standes der Technik, so zeigt sich, daß trotz der Mannigfaltigkeit der Versuche und Vorschläge das Bedürfnis nach einer ökonomischen Lösung des Problems der Abscheidungen des Dimeren weiterhin bestand.
6. Entgegen der Lehre des nächsten Standes der Technik verläßt der Vorschlag des Streitpatents das Konzept der nicht bis zum Gleichgewicht geführten Polymerisationsreaktion nach (1) und greift auf die älteren Vorschläge zurück, die gerade von der Einstellung des Gleichgewichts bei der Polymerisationsreaktion Gebrauch machen. Durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen zusätzlichen Maßnahmen wird auf überraschend einfache Art und Weise erreicht, daß der Gehalt an Dimerem im Kondensator unter der Löslichkeitsgrenze bleibt und das mit Dimerem beladene Caprolactam im Rahmen des kontinuierlichen Gesamtverfahrens ökonomisch eingesetzt wird.
Unter dem Blickwinkel der Entwicklung des Standes der Technik auf diesem wirtschaftlich bedeutenden und deshalb stark bearbeiteten Fachgebiet spricht gerade die Einfachheit des Lösungsvorschlags nach dem Streitpatent für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit; denn die Fachwelt, die sich seit langer Zeit vergeblich um eine Lösung des gleichen Problems bemüht hatte und hierfür Möglichkeiten empfahl, die den Erfolg der Erfindung auf aufwendigere Weise erreichen, ist an der hier gefundenen und im nachhinein so einfach erscheinenden Lösung vorbeigegangen.
7. Die Ansprüche 3 bis 9, nunmehr 2 bis 8, richten sich auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1. Ihre Patentfähigkeit wird von der seinen getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten: