T 1983/19 03-04-2023
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Gleitringdichtung
Ausführbarkeit der Erfindung (ja)
Erfinderische Tätigkeit (nein: Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 4; ja: Hilfsantrag 5)
Sachverhalt und Anträge
I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende haben eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 2 861 897 (nachfolgend als
"das Patent" bezeichnet) aufrechterhalten werden kann, eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents und der Hilfsanträge 1 bis 4 nicht erfinderisch sei, dass aber der Hilfsantrag 5 den Erfordernissen des EPÜ genüge.
III. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Druckschriften werden nachfolgend zitiert:
E1 DE 10 2011 114 349 A1
E2 Lebeck A. O., "A Primary Source of Waviness in
Mechanical Face Seals", American Society of
Lubrication Engineers (ASLE) Transactions, 20/1,
1977, pp. 195-208
E3 Lebeck A. O., "Face Seal Waviness Prediction,
Measurement, Causes and Effects", Fluid Sealing,
1984, pp. 295-312
E4 Dahlheimer J. C., "Mechanical Face Seal
Handbook", Chilton Book Company,
Philadelphia, 1972, p. 26-27
E5 Burgmann F., "ABC der Gleitringdichtung", 1988,
p. 175
E6 Auszug aus E. Schmid et al, "Handbuch der
Dichtungstechnik", Expert Verlag, Grafenau,
1981, p. 404
E7 Broschüre "Dichtungsringe für dynamische
Dichtungen" der Firma Schunk Kohlenstofftechnik
GmbH aus dem Jahr 2009
E8 "Gleitringdichtungen für Pumpen", Grundfos
Management A/S, 2009, p. 68
E9 EP 2 306 052 A1
E10 GB 2 061 411 A
E11 US 2004/0245729 A1
E12 Auszug aus J.C. Dahlheimer, "Mechanical Face
Seal Handbook", Chilton Book Company,
Philadelphia, 1972, p. 8
E13 DE 44 19 538 A1
E14 DE 10 2006 028 153 B4
E15 Young L. A. et al, "Development of a
Noncontacting Seal for Gas/Liquid Applications
Using Wavy Face Technology",Proceedings of the
13th International Pump Users Symposium, Houston
(USA) March 5-7, 1996, pp. 39-45
E16 Lebeck A. O., "A Test Apparatus for Measuring
the Effects of Waviness in Mechanical Face
Seals", American Society of Lubrication
Engineers (ASLE) Transactions, 24/3, 1981,
pp. 371-378
E17 Auszug aus G. Costa, "Investigation of Surface
Waves on Hydrodynamic Lubrication", MSc Thesis,
MIT, 1998, pp. 1-9, 26
E18 EP 1 164 302 B1
IV. Eine Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020, in der die Kammer ihre vorläufige Meinung darlegte, erging am 25. Januar 2023.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 3. April 2023 statt. Wie zuvor schriftlich angekündigt, war die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) nicht vertreten.
VI. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte (im schriftlichen Verfahren) als Hauptantrag die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 14.
Die Beschwerdeführerin II (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VII. Anspruch 1 des Patents wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"1. Gleitringdichtung, umfassend einen Gleitring (1), der axial beweglich gelagert ist, und einen Gegenring (3), wobei der Gleitring (1) und der Gegenring (3) jeweils aneinander liegende Dichtflächen (1a, 3a) aufweisen, wobei die Dichtfläche (1a) des Gleitrings (1) der Dichtfläche (3a) des Gegenrings (3) gegenüberliegt und wobei der Gleitring (1) durch ein balgartiges Federmittel (4) gegen den Gegenring (3) gedrückt ist, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine Dichtfläche (1a, 3a) Erhebungen oder Unebenheiten in der Größe 0,1 µm bis W mm aufweist, wobei sich W nach der Formel W = 0,03 Dm/s, errechnet, wobei der mittlere Durchmesser Dm der Mittelwert aus Außendurchmesser (Da) und Innendurchmesser (Di) der kreisringförmigen Dichtfläche (1a, 3a) ist und wobei s die Dicke des Gleitrings (1) oder Gegenrings (3) darstellt."
Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Untergrenze für die Erhebungen auf 1, 5, 20 bzw. 50 µm angehoben wurde.
Anspruch 1 von Hilfsantrag 5 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch die zusätzlichen Merkmale "wobei der Gegenring (3) von einem Tragkörper (5) aufgenommen ist, welcher einen axialen Fortsatz (6) zum Aufpressen auf eine Welle (7) aufweist" und "und dass ein Bereich (6a) des Fortsatzes (6) im Querschnitt derart kegelstumpfförmig ausgestaltet ist, dass der Innenraum des Fortsatzes (6) zur Aufnahme einer Welle (7) konisch verläuft".
VIII. Die Parteien haben Folgendes vorgetragen:
a) Zulassung der Druckschriften E15 bis E18
i) Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin)
Die Druckschriften E15 bis E18 seien wegen Verspätung zurückzuweisen. Sie würden prima facie keinen zusätzlichen Stand der Technik darstellen, welcher der Erfindung näherkäme als der bereits im Verfahren befindliche Stand der Technik. Das Argument der Einspruchsabteilung, dass diese Druckschriften aufgrund neuer Sachverhalte der Hilfsanträge 1 bis 4 und implizit auch auf die Hilfsanträge 6 bis 9 und 11 bis 14 eingebracht worden seien, überzeuge nicht, da diese Hilfsanträge durch Einschränkungen Bereichsgrenzen definieren, die schon in den erteilten Ansprüchen vorhanden gewesen seien. Ferner beträfen die Entgegenhaltungen E15 bis E17 theoretische wissenschaftliche Abhandlungen, und die neu eingeführte Druckschrift E18 betreffe keine Gleitringdichtung, sondern ein Axialgleitlager.
ii) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Die Druckschriften E15 bis E18 seien von der Einspruchsabteilung zugelassen und in ihrer Entscheidung auch herangezogen worden, insbesondere auch im Hinblick auf den erteilten Anspruch 1. Daher seien diese Druckschriften auch im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
b) Hauptantrag: Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
i) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Es sei nicht dargelegt worden, wie die im Patent angegebene Aufgabe gelöst werde, d.h. die Aufgabe, mittels des balgartigen Federmittels 4 Erhebungen oder Unebenheiten auf wenigstens einer Dichtfläche so zu deformieren, dass im Betrieb die Funktion der Dichtung nicht beeinträchtigt sei, vgl. die Absätze [0006], [0011] und [0044] des Patents. Anspruch 1 enthalte keine Angaben, aus welchem Material die Dichtringe bestünden, welche Dicke und welchen Durchmesser sie aufwiesen und welche Kraft das Federmittel ausüben könne, um die Unebenheiten durch eine Deformation auszugleichen. Die im Patent behauptete Wirkung müsse bei allen Anwendungen und Ausbildungen der Dichtung möglich sein, denn die Erfindung müsse über die gesamte Breite des Anspruchs ausführbar sein (so z.B. T 659/93). Es sei offensichtlich, dass beispielsweise aus keramischem Material oder harten Metallen bestehende Gleit- bzw. Gegenringe durch ein balgartiges Federmittel nicht verformt werden können. Bei hohen Kräften würden die keramischen Ringe zerbrechen, sich jedoch nicht so verformen, dass Erhebungen oder Unebenheit eingeebnet würden. Es sei auch nicht erkennbar, wie z.B. dickere Gleit- bzw. Gegenringe durch das Federmittel der Gleitringdichtung so verformt werden könnten, dass Erhebungen eingeebnet würden, insbesondere wenn das Federmittel aus einem Elastomer gefertigt sei. Somit könne die beanspruchte Erfindung über große Bereiche nicht ausgeführt werden.
ii) Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin)
Der Anspruch des Streitpatents definiere einen Bereich
von 0,1 mym bis W mm betreffend Erhebungen oder Unebenheiten einer Welligkeit einer Dichtfläche eines Gleitrings bzw. Gegenrings. Hierbei sei W = 0,03 Dm/s, wobei Dm der Mittelwert aus Außendurchmesser Da und Innendurchmesser Di der kreisringförmigen Dichtfläche sei und wobei s die Dicke des Gleit- bzw. Gegenrings darstelle. Derartige Abmessungen eines Gleit- bzw. Gegenrings seien für einen Fachmann ohne Weiteres ermittelbar und in die Formel einsetzbar. Der Fachmann erhalte somit eine klare Anweisung zum technischen Handeln, wie eine Gleitfläche des Gleitrings bzw. Gegenrings auszugestalten sei. Insofern sei die Erfindung für einen Fachmann problemlos ausführbar.
c) Hauptantrag: Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Kombination der Druckschriften E1 und E7 bzw. E17
i) Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin)
Die Druckschrift E1 zeige sämtliche Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1. Ausgehend von der Druckschrift E1 bestehe die Aufgabe der Erfindung darin, eine Gleitringdichtung bereitzustellen, welche möglichst einfach und kostengünstig herstellbar sei, um als Massenbauteil eingesetzt zu werden, und trotzdem ein höchstes Maß an Dichtheit gewährleiste. Ausgehend von der Druckschrift E1 hätte der Fachmann versucht, die Gleitflächen von Gleitring und Gegenring möglichst eben auszugestalten und die Gleitflächen durch teure und aufwändige Herstellverfahren wie Läppen und/oder Polieren zu bearbeiten. Durch diese beiden Fertigungsverfahren ergäben sich jedoch Erhebungen oder Unebenheiten der Gleitflächen, welche deutlich unter 0,1 mym liegen würden. Insbesondere beim Läppen würden üblicherweise Oberflächengüten von weniger als 0,05 mym erhalten. Der Fachmann stünde somit vor einer in sich widersprüchlichen Aufgabe, da bei abnehmender Oberflächengüte die Dichtheit der Gleitringdichtung negativ beeinflusst werde. Die Druckschrift E7 zeige Dichtungsringe für dynamische Dichtungen, wobei auf Seite 7 im Abschnitt d) in der mittleren Spalte ebenfalls davon ausgegangen werde, dass die Gleitflächen eine höchste Bearbeitungsgüte aufweisen müssen und deshalb zu läppen, polieren oder "superfinishen" seien. Die Diplomarbeit E17 untersuche Oberflächenwellen bei hydrodynamischer Schmierung. Auch hierbei gehe es um die Ablenkung bzw. Welligkeit der Gleitfläche unter Last, d.h. im Betrieb (Seite 9, vorletzter Absatz, erster Satz). Wie in der Fig. 1 auf Seite 9 ersichtlich sei, würden hierbei auch zueinander konisch geneigte Gleitflächen und nicht Gleitflächen einer Gleitringdichtung untersucht. Die Fachwelt sei bis zum Anmeldetag des Patents immer von Gleitflächen mit höchster Ebenheit ohne jegliche Welligkeiten ausgegangen. Weiters sei anzumerken, dass der Anspruch 1 einen Bereich einer Welligkeit W = 0,03 Dm/s definiert, d.h., in Abhängigkeit eines mittleren Durchmessers Dm des Gleitrings und einer Dicke s des Gleitrings. Keine der Druckschriften gebe einen Hinweis, die Welligkeit in Abhängigkeit des mittleren Durchmessers und der Dicke des Gleitrings zu betrachten. Die Untersuchungen, insbesondere in den wissenschaftlichen Arbeiten, würden alle eine mögliche Erzeugung einer Welligkeit im Betrieb aufgrund von äußeren Einflüssen betrachten. Eine Einbeziehung des mittleren Durchmessers und der Dicke des Gleitrings werde nirgends gelehrt. Auch enthalte keine der Druckschriften die Lehre, ein balgartiges Federmittel zu verwenden, das ringförmig am Gleitring anliege und dadurch eine gleichmäßige Krafteinleitung auf den Gleitring in Axialrichtung ausüben könne. Insofern sei auch die Annahme der Einspruchsabteilung nicht richtig, dass ein Fachmann eine Oberflächenbeschaffenheit von größer als 0,1 mym als übliche konstruktive Maßnahme zur Lösung der gestellten Aufgabe angesehen hätte. Die Druckschrift E17 zeige auch nur die Welligkeit unter Last (vgl. Seite 9, vorletzter Absatz, erster Satz). Dies sei auch in der Fig. 17 gezeigt. Die Druckschrift E17 gebe somit keinen Hinweis auf die Ausgestaltung der Welligkeit der Gleitfläche im unbelasteten Zustand. Die Erkenntnis, dass Dichtflächen mit Unebenheiten zwischen 0,1 mym und W mm eine ausreichende Dichtwirkung erzielen, sei überraschend gewesen. Somit sei es möglich, derartige Dichtflächen sehr kostengünstig und relativ einfach herzustellen, so dass insbesondere eine Verwendung in Massenbauteilen für Kfz möglich geworden sei. Auch die Druckschrift E1, die durch das balgartige Federmittel lediglich die Zahl der Bauteile verringern möchte (vgl. Absatz [0017]), gehe von hochgenau bearbeiteten Dichtflächen aus. Die Druckschrift E1 verwende das balgartige Federmittel insbesondere zur Einsparung von Nebendichtungen. Dass die Reduzierung der Güte einer Oberflächenbeschaffenheit in Verbindung mit einem balgartigen Federmittel auch eine ausreichende Abdichtung gewährleiste, sei dort nicht erkannt worden. Insofern hätte auch ein Fachmann bei Kombination der Druckschriften E1 mit den Druckschriften E7 bzw. E17 keinerlei Hinweis auf die erfindungsgemäße Ausgestaltung erhalten. Insbesondere lehre keine Kombination der Entgegenhaltungen die Verwendung eines balgartigen Federmittels bei gleichzeitiger Verringerung der üblichen Oberflächengüte der Gleitringdichtungen gemäß der Formel W = 0,03 Dm/s.
ii) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Die Druckschrift E1 offenbare die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1. Der von der Beschwerdekammer vorgeschlagenen Formulierung der objektiven technischen Aufgabe (die Dichtflächen der Dichtung der Druckschrift E1 so zu gestalten, dass eine zufriedenstellende Dichtung ohne großen Aufwand erreicht werden kann) könne zugestimmt werden. Der Einfluss von Welligkeiten in der Dichtfläche von Dichtringen sei allgemein bekannt gewesen: Gemäß der Druckschrift E7 würden die Erhebungen bzw. Unebenheiten bei Dichtringen von Gleitringdichtungen bei einem Gleitflächenaußendurchmesser < 80 mm bei etwa 0,6 mym (2 Heliumlichtbänder) liegen (siehe Seite 7 "Planheit der Gleitflächen"). Für Außendurchmesser > 80 mm ist angegeben, dass für jeweils 30 bis 50 mm größere Durchmesser die Größe der Unebenheit um jeweils 0,3 mym (1 Lichtband) erhöht werden könne. Damit sei aus der Druckschrift E7 nicht nur der Zusammenhang zwischen dem Durchmesser der Dichtringe bekannt, sondern auch die im Anspruch 1 angegebene Größe hinsichtlich der Erhebungen bzw. Unebenheiten. Die mathematische Formel, die sich im Anspruch 1 finde, beschreibe lediglich diese im Stand der Technik bekannte Maßnahme. In Bezug auf die Druckschrift E7 gebe die Patentinhaberin lediglich an, dass hieraus bekannt sei, die Gleitflächen zu läppen, polieren oder einem Superfinishverfahren zu unterwerfen. Auf diese unterschiedlichen Verfahren komme es aber nach Anspruch 1 des Patents nicht an. Wesentlich sei, dass in der Druckschrift E7 nicht nur der Zusammenhang zwischen dem Durchmesser der Dichtringe angegeben sei, sondern auch die Größe der Erhebungen bzw. Unebenheiten in der Gleitfläche.
Auf eine Frage der Kammer hin erklärte die Beschwerdeführerin II, dass die Druckschrift E7 keineswegs ein Werbe- oder Verkaufsprospekt sei, sondern eine Schrift, die sich ganz allgemein mit den Eigenheiten von Gleitringdichtungen auf den verschiedensten Gebieten der Technik befasse. Sie beziehe sich nicht auf eine spezielle Dichtung, die zum Verkauf angeboten würde. Sie gebe also einen Überblick über den Stand der Technik im Jahr 2009 und sei wie ein Handbuch auf dem Gebiet der Gleitringdichtungen zu werten.
Aus der Druckschrift E17 sei eine Gleitringdichtung bekannt, welche die beiden aneinander liegenden Gleitringe aufweise (Fig. 1). Dass die Gleitflächen konisch geneigt zueinander angeordnet seien, ändere nichts daran, dass es sich um Gleitflächen handle. Die Gleitringdichtung gemäß der Druckschrift E17 habe Gleitflächen, auf die in der Fig. 1 der Druckschrift E17 sogar ausdrücklich hingewiesen werde (Two Seal Interface). Aus den Fig. 17 und 18 der Druckschrift E17 ergebe sich auch, dass die Erhebungen/ Unebenheiten in Form der Wellenhöhen eine Größe von 0 bis 60 mym haben könnten. Darüber hinaus zeige Fig. 18 auch den Einfluss der unterschiedlichen Wellenhöhen auf den Reibungskoeffizienten. Somit ergebe sich, dass es auf dem Gebiet der Gleitringdichtungen allgemein bekannt gewesen sei, dass die Welligkeit der Oberfläche der Dichtringe maßgeblich für die Dichtigkeit sei. Hierbei seien Werte für die Größe dieser Welligkeiten angegeben worden, die im beanspruchten Bereich lägen. Es sei daher eine übliche konstruktive Maßnahme gewesen, die Welligkeiten in diesem Größenbereich vorzusehen. Daher sei der Gegenstand des Anspruches 1 nicht erfinderisch. Die Patentinhaberin hebe wesentlich darauf ab, dass beim Stand der Technik die Dichtflächen an den Dichtringen genau bearbeitet worden seien, um eine möglichst ebene Gestaltung der Gleitflächen von Gleitring und Gegenring zu erhalten. Allerdings gehe aus Anspruch 1 nicht hervor, auf welche Weise die Dichtflächen der Dichtringe bearbeitet worden seien. Auch bei der Gleitringdichtung gemäß Anspruch 1 könnten die Dichtflächen mit hoher Genauigkeit bearbeitet worden sein. Diese werde durch die Merkmale des Anspruches 1 nicht ausgeschlossen. Nach Anspruch 1 des Patents könnten die Dichtflächen 1a, 3a durchaus auch durch Läppen hergestellt werden. In der Gleitringtechnik sei es allgemein bekannt, dass Welligkeiten in der Dichtfläche der Dichtringe auftreten, und zwar in einer Größenordnung, wie sie im Anspruch 1 angegeben sei. Die Fachwelt gehe keineswegs davon aus, die Gleitflächen ohne jegliche Welligkeiten auszubilden. Aus dem Stand der Technik sei es bekannt gewesen, dass die Welligkeit der Dichtfläche eine wesentliche Rolle für die Dichtigkeit spiele. Sie sei eine für den Dichtungsfachmann übliche Maßnahme, um die Dichtigkeit einer weiteren Dichtung zu optimieren. Der Fachwelt sei der Zusammenhang zwischen den Abmessungen des Dichtringes und der Höhe der Erhebungen bzw. Unebenheiten bekannt gewesen, wie aus der Druckschrift E7 hervorgehe. Die mathematische Formel, die sich im Anspruch 1 finde, beschreibe lediglich diese im Stand der Technik bekannte Maßnahme. Darüber hinaus lasse die Patentinhaberin außer Betracht, dass im Anspruch 1 das Maß W nur die eine Grenze angebe. Die untere Grenze (0,1 mym) sei bei Gleitringdichtungen allgemein bekannt gewesen, wie zuvor dargelegt. Für diesen unteren Grenzwert komme es auf die Abmessungen des jeweiligen Dichtringes nicht an. Dass der Fachmann stets davon ausgehe, durch Läppen oder Polieren oder Superfinishen eine Welligkeit von < 0,1 mym anzustreben, sei durch den genannten Stand der Technik widerlegt. Da aus dem Stand der Technik bekannt gewesen sei, dass Dichtflächen mit Unebenheiten in einem Bereich von 0,1 mym aufwärts eine ausreichende Dichtwirkung erzielen, seien die von der Patentinhaberin herausgestellten Vorteile bei diesem Stand der Technik ebenfalls vorhanden. Der Einsatz eines balgartigen Federmittels sei bei Gleitringdichtungen allgemeinster Stand der Technik und bei der gattungsgemäßen Gleitringdichtung gemäß der Druckschrift E1 schon vorhanden. Wenn der Fachmann daher eine solche Gleitringdichtung hinsichtlich ihrer Dichtwirkung optimieren wollte, hätte er im Stand der Technik die konkreten Hinweise auf die Erhebungen bzw. Unebenheiten im angegebenen Größenbereich gefunden.
Es sei daher für den Fachmann naheliegend gewesen, bei der gattungsgemäßen Gleitringdichtung mit balgartigem Federmittel die aus dem Stand der Technik bekannten Welligkeiten vorzusehen.
d) Hilfsanträge 1 bis 4: erfinderische Tätigkeit
i) Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin)
Die Argumentation zum Hauptantrag gelte auch für den Hilfsantrag 1, da ein Fachmann aus den Druckschriften E2 bis E18 lediglich die Lehre entnehme, Gleitflächen immer mittels Feinbearbeitungsverfahren wie Läppen oder Polieren o. dgl. zu bearbeiten, um eine möglichst gute Oberflächenbeschaffenheit zu erlangen. Die untere Grenze von 5 mym gemäß Hilfsantrag 2 sei größer als alle in den Druckschriften E2 bis E18 erwähnten Grenzen für die Oberflächenbeschaffenheit der Dichtflächen. Zur Untergrenze gemäß Hilfsantrag 3 (20 mym) gebe keine der zitierten Entgegenhaltungen E2 bis E18 irgendeinen Hinweis. Diese Untergrenze sei auch für den Fachmann nicht ohne weiteres bestimmbar gewesen, da er hier vermutet hätte, dass aufgrund dieses für eine Dichtfläche relativ hohen Wertes die Gleitringdichtung eine große Leckage aufweisen würde. Insofern hätte der Fachmann einen derartigen Wert für eine Unebenheit nicht in Betracht gezogen. Auch für den Bereich für Erhebungen oder Unebenheiten in der Größe von 50 mym bis W mm gemäß Hilfsantrag 4 gebe es im Stand der Technik keinerlei Anregung, einen derartigen Wert für die untere Grenze von Unebenheiten oder Erhebungen der Gleitfläche zu wählen.
ii) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Die Hilfsanträge 1 bis 4 würden sich nur durch die jeweils untere Grenze bezüglich der Größe der Welligkeiten unterscheiden. Das Patent mache keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Untergrenzen. Das zum Hauptantrag Gesagte treffe auch auf diese Hilfsanträge zu. Aus der Diplomarbeit E17 sei bekannt gewesen, dass die Dichtflächen von Dichtringen Oberflächenwellen aufweisen können, die Einfluss auf das Verhalten der Gleitringdichtung haben. Die Fig. 17 zeige die Belastung eines Gleitrings in Abhängigkeit von der Wellenhöhe im Bereich von 0 bis 60 mym. Die Frage, ob der gewünschte Effekt bei solchen Werten erreicht würde, habe sich dem Fachmann nicht gestellt. Er sei davon ausgegangen, dass die Wellenhöhe in diesem Bereich liege. Damit seien aus der Druckschrift E17 Welligkeiten im beanspruchten Bereich bekannt. Die
Fig. 17 zeige, dass die Belastung bei etwa 10 mym optimal sei. Dies sei im Zusammenhang mit der Fig. 18 zu sehen. Falls die Dichtringe unmittelbar aufeinander lägen, würde in kürzester Zeit ein sehr hoher Verschleiß auftreten. Solche Dichtungen wären nach kurzer Zeit unbrauchbar. Man müsse also eine Konfiguration finden, bei der die Reibung nicht zu groß, die Dichtwirkung aber nicht beeinträchtigt wäre. Etwas unterhalb von 10 mym (bis ca. 5 mym) seien die Reibungswerte noch vertretbar. Ähnliche Werte ließen sich mit Wellenhöhen von bis zu 60 mym erzielen. Die Druckschrift E17 vermittle dem Fachmann somit die Lehre, dass höhere Wellenwerte zu einer besseren Dichtigkeit führen. Auch die Druckschrift E7 stelle den Zusammenhang zwischen Welligkeit und Dichtigkeit bei Gleitringdichtungen her, indem sie eine Rechenregel definiere, siehe Seite 7 rechts oben. Bei einem Durchmesser von weniger als 80 mm sei eine Planheit von ca. 0,6 mym angemessen. Bei größeren Durchmessern kämen pro 30-50 mm Außendurchmesser ca. 0,3 mym hinzu. Eine einfache Rechnung zeige, dass man bei einem Außendurchmesser von etwa 530 mm zu einer Welligkeit von über 5 mym gelange. Der Durchmesser des Gleitrings sei in Anspruch 1 völlig offen gelassen. Somit lasse sich auch angesichts der Offenbarung der Druckschrift E7 keine erfinderische Tätigkeit erkennen. Auf die Frage der Kammer, wie die Abhängigkeit der Planheit vom Durchmesser, wie sie in der Druckschrift E7 beschrieben ist, zu verstehen sei, erklärte die Beschwerdeführerin II, dass die Umfangsgeschwindigkeit mit wachsendem Durchmesser steige. Dementsprechend werde mehr Flüssigkeit mitgezogen. Der Fluidfilm baue den Druck auf, der die beiden Ringe voneinander trennt.
e) Hilfsantrag 5
i) Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin)
Der Hilfsantrag 5 umfasse die Merkmale der erteilten Ansprüche 1, 7 und 8. Sein Anspruch 1 verlange, dass der Gegenring 3 von einem Tragkörper 5 aufgenommen werde, welcher einen axialen Fortsatz 6 zum Aufpressen auf eine Welle 7 aufweise. Ein Bereich 6a des Fortsatzes 6 sei im Querschnitt kegelstumpfförmig ausgestaltet, und zwar derart, dass ein Innenraum des Fortsatzes 6 zur Aufnahme einer Welle konisch verlaufe (vgl. Fig. 3 des Patents). Durch den konischen Bereich 6a des Fortsatzes 6 werde die Montage erleichtert, da das Einführen des Tragkörpers auf die Welle deutlich vereinfacht werde. Insbesondere sei eine Montage auch bei Wellen, deren Durchmesser geringfügige Schwankungen aufweisen, möglich. Da der Bereich 6a nicht auf der Welle aufliege, könne verhindert werden, dass durch einen Presssitz Verformungen und Welligkeiten über den Tragkörper auf den Gegenring und dessen Gleitfläche übertragen werden. Somit sorge der konische Bereich 6a auch für eine Entkopplung des Gleitrings von der Welle, so dass die Welligkeit im beanspruchten Bereich (W = 0,03 Dm/s) verbleibe. Für diese Entkopplung des Gegenrings von der Welle gebe der Stand der Technik in Verbindung mit der Ebenheit der Gleitfläche jedoch keinerlei Hinweis. Weder die Druckschrift E1 noch die Druckschrift E9 würden einen kegelstumpfförmigen Bereich im Sinne des Anspruchs 1 zeigen. Die Druckschrift E9 zeige einen Zylinderabschnitt 28 (Fig. 1 und Absatz [0016], erster Satz). Wie in Absatz [0016] beschrieben sei, diene der zylindrische Abschnitt 28 zur Aufnahme einer ringförmigen Manschette 30 zur Abdichtung an der zylindrischen Innenfläche 27 des Gegenrings 4. Hierdurch werde keine Entkopplung im Sinne der Erfindung erreicht, da der Gegenring 4 zwischen dem Zylinderabschnitt 28 mit Abdichtung 30 und dem Bereich 38 eingeklemmt sei (vgl. Fig. 1 der Druckschrift E9). Genau diese Art der Montage des Gegenrings 4 führe jedoch zu den nicht erwünschten möglichen Verformungen des Gegenrings 4 mit entsprechenden Undichtigkeiten der Gleitringdichtung. Es sei nicht richtig, dass die Aufweitung eines Tragkörpers der Druckschrift E9 dem Zweck der einfachen Montage dienen solle, da dort ein extrem langer Innenmantel 29 vorgesehen sei, welcher im Presssitz auf der Welle 5 aufsitze. Dies erleichtere die Montage nicht. Es bestehe durchaus ein Zusammenhang zwischen der anspruchsgemäßen Ausgestaltung des Fortsatzes 6 mit einem konischen Bereich 6a und den Erhebungen oder Unebenheiten auf der Dichtfläche in einem Bereich von 0,1 mym bis W mm, da bei der Montage des Tragkörpers im Presssitz Kräfte und Verwerfungen auf den Gleitring übertragen werden könnten, welche zu genau derartigen Erhebungen bzw. Unebenheiten an der Dichtfläche führen können. Durch den konischen Bereich 6a werde diese Gefahr deutlich verringert.
ii) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Es gebe keinen synergetischen Effekt zwischen der Größe der Erhebungen oder Unebenheiten und der konischen Erweiterung des Tragkörpers. Beide Merkmale hätten nichts miteinander zu tun. Die Welligkeit diene dazu, die Dichtigkeit der Gleitringdichtung zu verbessern. Die kegelstumpfförmige Querschnittsgestaltung des Fortsatzbereiches 6a diene, wie in Absatz [0014] des Patents angegeben, der leichteren Montage der Gleitringdichtung. Weiter sei dort in Absatz [0015] ausgeführt:
"Durch die Ausbildung eines konischen Verlaufs ist sichergestellt, dass ein Bereich nicht auf der Welle aufliegt. Hierdurch werden durch einen Presssitz induzierte Verformungen an dem Tragkörper nicht in dem Maße weitergegeben, dass die Ausrichtung des Gegenrings in negativer Weise beeinflusst wird. Bei einer Montage entstehen somit geringere Lagefehler eines Gegenringes, so dass die Gleitringdichtung sehr robust wird. Da der konische Verlauf für eine Entkopplung sorgt, sind hohe Überdeckungen und plastische Verformungen in einem Blech zulässig."
Es sei bei Gleitringdichtungen "allgemeinster" Stand der Technik, den Tragkörper in einem Bereich aufzuweiten, um das Aufziehen der Gleitringdichtung auf die Welle zu erleichtern. Die Aufweitung des Tragkörpers, wie aus der Druckschrift E9 bekannt, diene dem gleichen Zweck, die Montage der Gleitringdichtung auf der abzudichtenden Welle 5 zu erleichtern. Sämtliche dargestellten Ausführungsformen der Druckschrift E9 würden Dichtungen zeigen, bei denen eine buchsenförmige Halterung 2 verwendet werde, die einen axial zurückversetzten Zylinderabschnitt 28 aufweise (vgl. Absatz [0016] der Druckschrift E9). Dort bestehe kein Kontakt mit der abzudichtenden Welle 5. Der Abschnitt 28 nehme den drehfest mit der Welle 5 verbundenen Gegenring 4 auf. Diese konstruktive Gestaltung betreffe alle Varianten der Druckschrift E9. Der Fachmann, der sich mit der Druckschrift E9 befasse, wäre nicht davon ausgegangen, dass diese Gestaltung zufällig gewählt sei, da sie sich wie ein roter Faden durch die Druckschrift E9 ziehe. Durch die Abbildungen wäre der Fachmann konkret darauf hingewiesen worden, dass der zurückversetzte Zylinderabschnitt 28 die Funktion habe, den Gegenring 4 zu entkoppeln. Letzterer werde beim Aufpressen auf die Halterung nicht verformt. Die Ausgestaltung des Abschnitts 28 erleichtere die Montage der Welle. Dies sei zum Zeitpunkt der Druckschrift E9 die übliche Praxis gewesen und deshalb auch nicht explizit erwähnt worden. Aus Fertigungsgründen hätte der Fachmann ansonsten keinen Absatz an der Halterung 2 vorgesehen, denn dies hätte einen zusätzlichen Formungsvorgang erforderlich gemacht. Auf die Frage der Kammer, warum der Fachmann die Lehre der Druckschrift E9 zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe in Betracht gezogen hätte, erklärte die Beschwerdeführerin II, dass sowohl die Druckschrift E1 als auch die Druckschrift E9 Gleitringdichtungen beträfen, die auf eine Welle aufzubringen seien, und zwar so, dass die Dichtringe nicht verformt würden. Bei einer Suche nach einem relevanten Stand der Technik wäre der Fachmann auf die Druckschrift E9 gestoßen. Der Fachmann, der vor dem Problem stand, die Montage der Gleitringdichtung gemäß der Druckschrift E1 zu erleichtern, hätte in der Druckschrift E9 somit das konkrete Mittel zur Lösung gefunden. Es bestehe darin, den Bereich des Fortsatzes des Tragkörpers, der auf der Welle befestigt wird, aufzuweiten, um auf diese Weise das Einführen des Tragkörpers auf die Welle zu erleichtern. Auf die Frage der Kammer hin, ob es neben der Druckschrift E9 weitere Belege dafür gäbe, dass das Unterscheidungsmerkmal dem "allgemeinsten Stand der Technik" entspreche, verwies die Beschwerdeführerin II auf die Druckschrift E12, in der ebenfalls eine entsprechende Dichtung gezeigt sei. Auch dort werde die Aufweitung nicht erklärt, aber es handle sich um einen klassischen Aufbau. Man habe diese Maßnahme bei Gleitringdichtungen von jeher getroffen. Die Druckschrift E9 zeige dasselbe.
f) Verletzung des rechtlichen Gehörs
i) Beschwerdeführerin II (Einsprechende)
Bei der Begründung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Hilfsantrags 5 habe sich die Einspruchsabteilung auf Argumente gestützt, zu denen die Parteien im Einspruchsverfahren nicht Stellung genommen hätten. Sie habe auch keinen Hinweis gegeben, dass es auf das Problem der Spielpassung ankommen könnte. Damit liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wobei dies nicht mit einem Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung ohne Entscheidung über den 5. Hilfsantrags verbunden werde. Zudem sei die Argumentation in der angefochtenen Entscheidung in den Punkten 43 bis 45 völlig unklar. In der Druckschrift E9 sei von einer Spielpassung zwischen dem Bereich 28 des Fortsatzes und der Welle nicht die Rede. Auch in der Druckschrift E1 finde sich kein Hinweis auf eine Spielpassung zwischen dem Gegenring und dem Fortsatz des Tragkörpers. Es sei nicht nachvollziehbar, woher die Einspruchsabteilung diese Erkenntnisse habe. In Bezug auf die Druckschrift E1 und die dort angeblich vorhandene Spielpassung zwischen der Welle und dem Gegenring sei die Fig. 1 relevant. Die Spielpassung solle zwischen den Bezugszeichen 6 und 3 vorhanden sein. In der Fig. 1 werde mit dem Bezugszeichen 3 der Gegenring und mit dem Bezugszeichen 6 der Luftspalt zwischen dem Gleitring 1 und dem Gegenring 3 bezeichnet. Von einem Luftspalt sei bei der Gleitringdichtung gemäß Fig. 1 der Druckschrift D1 keine Rede. Auch die Beschreibung der Druckschrift D1 erwähne eine solche Spielpassung nicht.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung der Druckschriften E15 bis E18
Die Beschwerdeführerin I beantragte, die Druckschriften E15 bis E18 "als verspätet zurückzuweisen". Diese Druckschriften wurden von der Einspruchsabteilung zugelassen und bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags auch berücksichtigt (siehe die Abschnitte 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung). Deshalb stellt sich im Beschwerdeverfahren die Frage ihrer Zulassung nicht. Die Kammer sieht sich außerstande, diese Druckschriften bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu berücksichtigen (siehe auch T 2049/16, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Daher kann dem Antrag der Beschwerdeführerin I nicht stattgegeben werden.
2. Hauptantrag
2.1 Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
2.1.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der
Einspruchsgrund gemäß 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt nicht entgegenstehe (siehe Abschnitt 18 der angefochtenen Entscheidung).
2.1.2 Die Beschwerdeführerin II hat geltend gemacht, dass die Erfindung nicht ausführbar sei, da die im Patent angegebene Aufgabe mit den Merkmalen des Gegenstands von Anspruch 1 nicht gelöst werden könne.
Die Kammer kann sich diesem Vortrag nicht anschließen. Die Artikel 83 und 100 b) EPÜ werden in der Regel von den Kammern so verstanden, dass der beanspruchte Gegenstand so offenbart sein muss, dass der Fachmann diesen Gegenstand erhalten bzw., falls ein Verfahren beansprucht wird, das Verfahren ausführen kann. Sofern die von diesem Gegenstand angeblich gelöste Aufgabe nicht in den Anspruch aufgenommen wurde, ist die Tatsache, dass der beanspruchte Gegenstand diese Aufgabe nicht löst, unerheblich für die Prüfung der hinreichenden Offenbarung im Sinne der genannten Vorschriften. Diese Frage ist vielmehr im Kontext der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu untersuchen (vgl. die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/03, ABl. EPA 2004, 413, Punkt 2.5.2 der Entscheidungsgründe). Auch dort ist im Übrigen oft nicht die im Patent angegebene "subjektive" technische Aufgabe entscheidend, sondern die "objektive" technische Aufgabe, welche von den Merkmalen gelöst wird, die den beanspruchten Gegenstand vom Ausgangspunkt der Prüfung unterscheiden.
Was den Gegenstand von Anspruch 1 des Patents wie erteilt angeht, hat die Kammer keinen Zweifel, dass der Fachmann in der Lage gewesen wäre, die beanspruchte Gleitringdichtung herzustellen.
2.1.3 Die Beschwerdeführerin II hat dargelegt, dass die Ansprüche gewisse Aspekte der Erfindung, wie z.B. das Material und die Abmessungen der Gleit- und Gegenringe oder die Kraft, die das balgartige Federmittel aufbringen könne, nicht festlege, dass aber der Fachmann nicht in der Lage sei, für alle vom Anspruch abgedeckten Varianten die geltend gemachte Wirkung zu erzielen. Auch dieser Vortrag hat die Kammer nicht überzeugt. Entscheidend ist, dass das Patent dem Fachmann einen Weg aufzeigt, die Erfindung auszuführen. Die vor allem im Kontext der Chemie entwickelte Rechtsprechung, der zufolge die Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein muss, ist nicht ohne Abstriche auf die Mechanik übertragbar. Zu fast jedem Anspruch der Mechanik lassen sich beliebig viele Ausführungsbeispiele erdenken, die nicht ausführbar sind. Dies führt aber nicht dazu, dass die Erfindung als solche nicht ausgeführt werden kann (siehe dazu auch die Entscheidung T 2773/18, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Wenn zum Beispiel, wie von der Beschwerdeführerin II eingeräumt wurde, für jeden Fachmann offensichtlich ist, dass aus keramischem Material oder harten Metallen bestehende Gleit-Gegenringe durch ein balgartiges Federmittel nicht verformt werden können, dann würde der Fachmann eben keine solchen Gleit- oder Gegenringe verwenden, um die Erfindung in die Tat umzusetzen. Das bedeutet aber nicht, dass er außerstande wäre, die Erfindung auszuführen.
2.1.4 Somit steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt nicht entgegen.
2.2 Anspruchsauslegung
Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 verlangt, dass mindestens eine Dichtfläche Erhebungen oder Unebenheiten in der Größe 0,1 µm bis W mm aufweist, wobei sich W nach der Formel W = 0,03 Dm/s errechnet, wobei der mittlere Durchmesser Dm der Mittelwert aus Außendurchmesser und Innendurchmesser der kreisringförmigen Dichtfläche ist und s die Dicke des Gleitrings oder Gegenrings darstellt. Der Außendurchmesser Da und der Innendurchmesser Di sind in der Fig. 1 des Patents eingezeichnet.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Obwohl der Ausdruck "Erhebungen oder Unebenheiten" als solcher jede Art von Erhebungen oder Unebenheiten einschließt, ist festzustellen, dass das Patent in seinem Absatz [0008] Oberflächenrauheiten oder Gasnuten explizit ausschließt und feststellt, dass die "Erhebungen oder Unebenheiten ... letztlich Wellenberge und Wellentäler" sind. Unter den "Erhebungen oder Unebenheiten" sind also Welligkeiten zu verstehen.
Was genau unter der "Dicke" s des Gleitrings oder Gegenrings zu verstehen ist, ist im Patent nicht erklärt oder gezeigt, aber der Fachmann hätte verstanden, dass s nicht die Differenz zwischen den Durchmessern Da und Di ist, sondern normal zu diesen Durchmessern (also waagrecht in der Fig. 1) gemessen wird.
Das "oder" im Merkmal hätte der Fachmann so gedeutet, dass je nachdem, ob es sich um Erhebungen/Unebenheiten in der Dichtfläche des Gleitrings oder des Gegenrings handelt, bei der Berechnung des Werts W die Dicke des Gleitrings oder des Gegenrings zu verwenden ist.
Die Einspruchsabteilung nahm in Abschnitt 24 der angefochtenen Entscheidung folgendermaßen zum Wert W Stellung:
"Der Wert W ist durch eine Formel definiert. Dieser Wert ist von der Geometrie der Gleitringdichtung abhängig. Allerdings beschreiben weder die Beschreibung noch die Ansprüche ein Beispiel, sodass dieser Parameter sich nicht konkret berechnen lässt und die obere Grenze nicht definiert ist. Dieser Bereich definiert eher einen minimalen Wert für die Welligkeit."
Diese Argumentation erschließt sich der Kammer nicht. Es ist richtig, dass das Patent keinen Zahlenwert zur Größe W nennt, aber das ist auch nicht unabdingbar. Die obere Grenze W lässt sich unschwer für jeden beliebigen Gleitring bzw. Gegenring berechnen, sodass sich für eine gegebene Dichtung ohne Schwierigkeit feststellen lässt, ob sie unter den Anspruch fällt oder nicht. Der Anspruch legt somit sowohl eine Untergrenze als auch eine Obergrenze für den Wert W fest.
2.3 Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ), ausgehend von der Druckschrift E1
Es ist unbestritten, dass die Druckschrift E1 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
2.3.1 Offenbarung der Druckschrift E1
Die Druckschrift E1, die auch in Absatz [0002] des Patents zitiert wird, beschreibt eine Lösung der Aufgabe, eine Gleitringdichtung derart auszugestalten und weiterzubilden, dass sie nach kostengünstiger und problemloser Fertigung bei bauteilearmem Aufbau zwei Räume zuverlässig abdichtet (siehe Absatz [0011] der Druckschrift E1). Dies wird insbesondere durch eine balgartige Ausgestaltung des Federmittels erreicht (siehe Anspruch 1 der Druckschrift E1).
2.3.2 Unterschiede
Die Druckschrift E1 macht keine Angaben zur Oberflächenbeschaffenheit der offenbarten Dichtflächen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit durch seinen kennzeichnenden Teil von der Offenbarung der Druckschrift E1.
2.3.3 Objektive technische Aufgabe
Gemäß Absatz [0004] des Patents besteht die gelöste Aufgabe darin, eine Dichtung gemäß der Druckschrift E1 derart auszugestalten und weiterzubilden, dass diese nach kostengünstiger und problemloser Fertigung einen besonders flexiblen Gleit- bzw. Gegenring aufweist. In Absatz [0006] wird festgestellt, dass das balgartige Federmittel es erlaubt, Unebenheiten des Gleitrings oder Gegenrings zu kompensieren, weshalb größere Unebenheiten in Kauf genommen werden können, was die Herstellung einfacher bzw. kostengünstiger macht.
Wie aus Punkt 25 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, sah die Einspruchsabteilung die von den Unterscheidungsmerkmalen gelöste Aufgabe darin, die Dichtigkeit der Gleitringdichtung zu optimieren. Allerdings geht es nicht so sehr um eine Optimierung der Dichtigkeit, sondern um eine Optimierung der Herstellung bei gleichbleibender Dichtigkeit.
Die Beschwerdeführerin I wiederum sah die gelöste Aufgabe darin, eine Gleitringdichtung bereitzustellen, welche möglichst einfach und kostengünstig herstellbar sei, um als Massenbauteil eingesetzt zu werden, und trotzdem ein höchstes Maß an Dichtheit bereitstelle.
Da die Druckschrift E1 keine Angaben zur Ebenheit der Dichtflächen macht, sieht die Kammer in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin II die gelöste objektive technische Aufgabe darin, die Dichtflächen der Dichtung der Druckschrift E1 so zu gestalten, dass eine zufriedenstellende Dichtung ohne großen Aufwand erreicht werden kann.
2.3.4 Naheliegen für den Fachmann
Es ist also zu prüfen, ob der Fachmann, der von der
Gleitringdichtung der Druckschrift E1 ausging und sich die Aufgabe stellte, die Dichtflächen der Dichtung der Druckschrift E1 so zu gestalten, dass eine zufriedenstellende Dichtung ohne großen Aufwand erreicht werden kann, angesichts seines Fachwissens und in Anbetracht des ihm bekannten Standes der Technik die genannte Gleitringdichtung so gestaltet hätte, dass mindestens eine der Dichtflächen Erhebungen oder Unebenheiten in der Größe 0,1 µm bis W mm aufgewiesen hätte.
Eine solche Ausgestaltung der Dichtung lag für den Fachmann in der Tat nahe. Die Gründe sind wie folgt.
Die Druckschrift E7, die von der Firma Schunk Kohlenstofftechnik im Jahr 2009 herausgegeben wurde, kann als Zusammenfassung des damaligen Fachwissens betreffend Dichtungsringe für dynamische Dichtungen angesehen werden. Sie ist im Übrigen auch stimmig mit der Lehre des Fachbuchs E6.
Auf Seite 7 befasst sich die Druckschrift E7 mit der erforderlichen Planheit der Gleitflächen. Letztere wird als vom Außendurchmesser der Gleitflächen abhängig dargestellt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Daraus geht hervor, dass die Planheit der Gleitflächen bei einem Außendurchmesser von 80 mm bereits einen Wert von 0,6 µm aufweisen soll. Dieser Wert befindet sich unzweifelhaft im beanspruchten Bereich.
Die Tatsache, dass die Druckschrift E7 davon spricht, dass die Gleitringe geläppt, poliert oder "gesuperfinished" sein sollen, steht dem nicht entgegen.
Somit wäre der Fachmann, der von der Druckschrift E1 ausging und und sich die Aufgabe stellte, die Dichtflächen der Dichtung der Druckschrift E1 so zu gestalten, dass eine zufriedenstellende Dichtung ohne großen Aufwand erreicht werden kann, durch sein Fachwissen, wie es in der Druckschrift E7 zum Ausdruck kommt, zu einer Gleitringdichtung gemäß Anspruch 1 gelangt, ohne erfinderisch tätig zu werden.
Ergänzend sei noch angemerkt, dass auch die Druckschrift E17 dem Fachmann nahelegt, eine Welligkeit mit einer Amplitude jenseits von 10 µm vorzusehen, um die auftretenden Reibungskräfte in einem vertretbaren Maß zu halten (Seite 26, erster Absatz).
Deshalb ermangelt es dem Gegenstand von Anspruch 1 an der erfinderischen Tätigkeit.
Somit steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegen. Dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin I kann daher nicht stattgegeben werden.
3. Hilfsanträge 1 bis 4
Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Untergrenze für die Erhebungen auf 1, 5, 20 bzw. 50 µm angehoben wurde.
Die Anhebung der Untergrenze macht den Gegenstand von Anspruch 1 jedoch nicht erfinderisch. Es ist dem Fachmann bekannt, dass die Welligkeit der Gleitflächen mit wachsendem Durchmesser der Gleitfläche zunehmen soll (siehe Druckschrift E7). Er würde also Erhebungen
von 1, 5, 20 bzw. 50 µm in Betracht ziehen, wenn dies angesichts des Gleitflächendurchmessers angemessen ist. Wie aus den Figuren 17 und 18 der Druckschrift E17 hervorgeht, sinkt der Reibungskoeffizient mit wachsender Wellenamplitude, wohingegen die Lastaufnahme nur unwesentlich sinkt, und zwar bis zu Unebenheiten von mindestens 60 µm.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Erhebungen jenseits von 1, 5, 20 bzw. 50 µm - bei Dichtungsringen beliebiger Abmessung - können somit als solche keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Somit kann auch den Hilfsanträgen 1 bis 4 nicht stattgegeben werden.
Somit ist die Beschwerde der Beschwerdeführerin I zurückzuweisen.
4. Hilfsantrag 5
Anspruch 1 von Hilfsantrag 5 unterscheidet sich von
Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch,
- dass der Gegenring von einem Tragkörper aufgenommen ist, der einen axialen Fortsatz zum Aufpressen auf eine Welle aufweist, und
- dass ein Bereich dieses Fortsatzes im Querschnitt derart kegelstumpfförmig ausgestaltet ist, dass sein Innenraum zur Aufnahme einer Welle konisch verläuft.
4.1 Zusätzliches Unterscheidungsmerkmal
Wie aus Abschnitt 39 der angefochtenen Entscheidung
hervorgeht, war die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass die Druckschrift E1 zwar einen Tragkörper mit axialem Fortsatz, nicht aber die nunmehr beanspruchte kegelstumpfförmige Ausgestaltung eines Bereichs des axialen Fortsatzes offenbart. Dies wurde von den Parteien nicht bestritten.
Das zusätzliche Unterscheidungsmerkmal ist in der
Fig. 3 des Patents dargestellt.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
4.2 Objektive technische Aufgabe
In Absatz [0047] des Patents wird zum zusätzlichen Unterscheidungsmerkmal Folgendes ausgeführt:
"Fig. 3 zeigt, dass ein Bereich 6a des Fortsatzes 6 im Querschnitt derart kegelstumpfförmig ausgestaltet ist, dass der Innenraum des Fortsatzes 6 zur Aufnahme einer Welle 7 konisch verläuft. Hierdurch wird der Gegenring 3 von Kräften entkoppelt, die durch einen Presssitz des Fortsatzes 6 in den Tragkörper 5 eingetragen werden."
Weiters ist in den Absätzen [0014] und [0015] des Patents Folgendes offenbart:
"... Der Innenraum des Fortsatzes ist im Wesentlichen ein Hohlzylinder, an den sich ein kegelstumpfförmiger Abschnitt anschließt. Durch den konischen Verlauf des Innenraums ist das Einführen des Tragkörpers auf die Welle erleichtert. Die konische Ausgestaltung erlaubt es, Wellen aufzunehmen, deren Durchmesser geringfügige Schwankungen aufweisen. Durch die Ausbildung eines konischen Verlaufs ist sichergestellt, dass ein Bereich nicht auf der Welle aufliegt. Hierdurch werden durch einen Presssitz induzierte Verformungen an den Tragkörper nicht in dem Maße weitergegeben, dass die Ausrichtung des Gegenrings in negativer Weise beeinflusst wird. Bei einer Montage entstehen somit geringere Lagefehler eines Gegenrings, so dass die Gleitringdichtung sehr robust wird. Da der konische Verlauf für eine Entkopplung sorgt, sind hohe Überdeckungen und plastische Verformungen in einem Blech zulässig. ..."
Angesichts dieser Offenbarung ist die vom Unterscheidungsmerkmal gelöste Aufgabe darin zu sehen, dass die Dichtung leicht auf einer Welle montiert werden kann, ohne dass dabei der Gegenring verformt wird.
Es gibt keine Synergieeffekte zwischen dem zusätzlichen Unterscheidungsmerkmal und dem Merkmal, das den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags von der Offenbarung der Druckschrift E1 unterscheidet.
Der Ansicht, es bestehe eine Synergie zwischen der Ausgestaltung des Fortsatzes 6 mit einem konischen Bereich 6a und den Erhebungen oder Unebenheiten auf der Dichtfläche in einem Bereich von 0,1 mym bis W mm, da bei der Montage des Tragkörpers im Presssitz Kräfte und Verwerfungen auf den Gleitring übertragen werden könnten, welche zu genau derartigen Erhebungen und/oder Unebenheiten an der Dichtfläche führen könne, kann sich die Kammer nicht anschließen. Das Patent legt nicht dar, und es ist auch für den Fachmann nicht offenkundig, dass die Verformungen, die durch die Montage der Dichtung ohne kegelstumpfförmige Ausgestaltung eines Bereichs des axialen Fortsatzes auf einer Welle entstehen könnten, einen signifikanten Einfluss auf die Welligkeiten im Sinne von Anspruch 1 hätten.
Es ist also zu untersuchen, ob das zusätzliche Unterscheidungsmerkmal als solches eine erfinderische Tätigkeit rechtfertigen kann.
4.3 Naheliegen
Die Beschwerdeführerin II machte geltend, dass es für
den Fachmann, der von der Druckschrift E1 ausging und sich die genannte objektive technische Aufgabe stellte, nahelag, angesichts der Lehre der Druckschrift E9 einen Bereich des axialen Fortsatzes des Tragkörpers im Querschnitt derart kegelstumpfförmig auszugestalten, dass sein Innenraum zur Aufnahme einer Welle konisch verläuft.
Die Einspruchsabteilung hat keine objektive technische Aufgabe definiert, aber dennoch eine Kombination der Druckschriften E1 und E9 ausgeschlossen. Sie hat dies in Abschnitt 45 der angefochtenen Entscheidung wie folgt begründet:
"Der Fachmann würde nicht E1 mit E9 kombinieren, weil E1 auch eine Spielpassung zwischen der Welle und dem Gegenring zeigt. Diese Spielpassung findet sich im Tragkörper, zwischen dem Gegenring und dem Fortsatz (Siehe Abbildung 1, zwischen Bezugszeichnen 6 und Bezugszeichnen 3). In E1 ist der Gegenring ebenfalls während der Montage mit einer Spielpassung geschützt, sodass der Fachmann kein Anlass hat, Änderungen in E1 vorzunehmen."
Diese Argumentation erschließt sich der Kammer nicht, zumal die Einspruchsabteilung nicht konsequent den Aufgabe-Lösungs-Ansatz angewandt hat.
Dessen ungeachtet hat auch die Kammer Zweifel, dass der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung der objektiven technischen Aufgabe auf die Druckschrift E9 zurückgegriffen hätte, da letzterer die Aufgabe zugrunde liegt, eine "Gleitringdichtung so auszubilden, dass sie kostengünstig gefertigt werden kann und eine wirkungsvolle Geräuschdämpfung gewährleistet" (siehe Absatz [0003] der Druckschrift E9). Sie löst diese Aufgabe, indem die Dichtung mit einem Dämpfungsteil versehen wird, das ein geformtes Blechteil mit einem elastisch verformbaren Federteil aufweist, der unter Vorspannung abgestützt ist (siehe Anspruch 1 der Druckschrift E9). Wie von der Beschwerdeführerin II eingeräumt wurde, wird die Frage der Verformung des Gegenrings in der Druckschrift E9 nicht angesprochen. Es ist daher nicht plausibel, dass der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung der objektiven technischen Aufgabe die Druckschrift E9 zu Rate gezogen hätte.
Aber selbst wenn der Fachmann die Druckschrift E9 in Betracht gezogen hätte, hätte sie ihn nicht zur erfindungsgemäßen Lösung der objektiven technischen Aufgabe geführt.
Es ist richtig, dass die Druckschrift E9 eine Gleitringdichtung offenbart, in welcher der Gegenring 4 von einem Tragkörper 2 aufgenommen ist, der einen axialen Fortsatz 29 zum Aufpressen auf eine Welle 5 aufweist, und dass ein Bereich dieses Fortsatzes im Querschnitt derart kegelstumpfförmig ausgestaltet ist, dass sein Innenraum zur Aufnahme einer Welle konisch verläuft.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Ebenso ist zutreffend, dass sämtliche Ausführungsformen, die in den Abbildungen der Druckschrift E9 gezeigt sind, derart gestaltet sind, dass der Gegenring von einem Tragkörper aufgenommen ist, der einen axialen Fortsatz zum Aufpressen auf eine Welle aufweist, und dass ein Bereich dieses Fortsatzes im Querschnitt derart kegelstumpfförmig ausgestaltet ist, dass sein Innenraum zur Aufnahme einer Welle konisch verläuft.
Dessen ungeachtet ist festzustellen, dass die Druckschrift E9 keine diesbezügliche Lehre enthält. Das Argument, der Fachmann hätte das Vorliegen dieses Merkmals bei allen Ausführungsformen der Druckschrift E9 erkannt und verstanden, dass es sich dabei um eine geeignete Lösung der objektiven technischen Aufgabe handelt, entspringt nach Ansicht der Kammer einer rückschauenden Betrachtungsweise. Die Tatsache, dass alle gezeigten Ausführungsformen ein bestimmtes Merkmal aufweisen, kann nicht per se als eine für den Fachmann offenkundige Lehre betreffend dieses Merkmal gedeutet werden. Es kann in der Regel nicht ausgeschlossen werden, dass der Verfasser der Druckschrift alle Ausführungsformen nur deshalb entsprechend dargestellt hat, weil das Merkmal keine besondere Bedeutung hat und es somit keinen Anlass gab, die Abbildungen diesbezüglich zu variieren.
Die Druckschrift hätte den Fachmann also im Prinzip zum Gegenstand von Anspruch 1 führen können, da sie das Unterscheidungsmerkmal zeigt, aber es wurde nicht überzeugend dargelegt, dass sie das auch tatsächlich getan hätte (vgl. den von den Beschwerdekammern verwendeten "could-would-approach", "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, 2022, Abschnitt I.D.5).
Den Nachweis für ihre Behauptung, dass das Unterscheidungsmerkmal "allgemeinster Stand der Technik" sei, hat die Beschwerdeführerin II nicht erbracht. Auch die Druckschrift E12 könnte dies nicht belegen, zumal der der Kammer vorgelegte Auszug sich auf eine Darstellung ohne technische Erläuterungen beschränkt.
Die Kammer kommt daher, ebenso wie die Einspruchsabteilung, zum Schluss, dass das zusätzliche Unterscheidungsmerkmal betreffend die kegelstumpfartige Ausgestaltung des axiales Fortsatzes des Tragekörpers vom zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt wird.
4.4 Ergebnis betreffend den Hilfsantrag 5
Da der Einwand der Beschwerdeführerin II gegen den
Hilfsantrag 5 nicht überzeugt, kann das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage dieses Hilfsantrags aufrechterhalten werden.
Somit ist auch die Beschwerde der Beschwerdeführerin II zurückzuweisen. Die Frage einer Rückerstattung der von der Beschwerdeführerin II gezahlten Beschwerdegebühr aufgrund der von ihr geltend gemachten Verletzung ihres rechtlichen Gehörs im erstinstanzlichen Verfahren stellt sich vorliegend nicht, denn gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ setzt die Rückzahlung voraus, dass der Beschwerde stattgegeben wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.