T 0827/00 19-06-2002
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Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Formstoff-Mischungen zur Herstellung von Gießformen und Kernen
Hauptantrag - Einspruchsgründe - Erweiterung durch Disclaimer (ja)
Hilfsantrag 1 - Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Aufgabe und Lösung (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 771 599 mit dem Titel "Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Formstoff-Mischungen zur Herstellung von Giessformen und Kernen" auf die am 22. Oktober 1996 unter Beanspruchung der Priorität zweier deutscher Voranmeldungen (19542752 bzw. 19612017) vom 1. November 1995 bzw. 15. März 1996 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 96 116 921.6 erfolgte am 23. September 1998 (Patentblatt 1998/39). Das Patent enthielt zehn Ansprüche. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 lauteten:
"1. Zweikomponenten-Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Gießerei-Formstoffe, enthaltend ein freie OH-Gruppen enthaltendes Phenolharz und ein Polyisocyanat als Reaktionspartner sowie Fettsäuremethylester als Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil für beide Reaktionspartner, wobei die Fettsäuremethylester die Methylmonoester von einer oder mehreren Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen sind, ausgenommen Tallölmethylester, und wobei der Anteil der Fettsäuremethylester den Anteil ggf. vorhandener hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe überwiegt."
"2. Zweikomponenten-Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Gießerei-Formstoffe, enthaltend ein[e] freie OH-Gruppen enthaltendes Phenolharz und ein Polyisocyanat als Reaktionspartner sowie einen Fettsäuremethylester, dadurch gekennzeichnet, daß das Bindemittelsystem einen oder mehrere Fettsäuremethylester enthält die als Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil für beide Reaktionspartner dienen und jeweils Methylmonoester einer Fettsäure mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen sind, wobei das Bindemittelsystem keine hochsiedenden aromatischen Kohlenwasserstoffe als (Co-)Lösungsmittel umfaßt."
Die weiteren Ansprüche waren auf Ausgestaltungen dieser Bindemittelsysteme (Ansprüche 3 bis 5), ein Verfahren zur Herstellung solcher Bindemittelsysteme (Anspruch 6) und deren Verwendung bei der Herstellung von Gießerei-Formen und -Kernen (Anspruch 10), ein Verfahren zur Herstellung derartiger Formen und Kerne (Anspruch 9) sowie die Verwendung von Methylestern höherer Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen als Lösungsmittel bzw. Lösungsmittelkomponenten für solche Bindemittel (Ansprüche 7 und 8) gerichtet.
II. Gegen das Patent wurde am 18. Juni 1999 Einspruch eingelegt. Er stützte sich auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) sowie mangelhafte Offenbarung unter Artikel 100 b) EPÜ und verwies dazu unter anderem auf die folgende von der Einspruchsabteilung als entscheidungswesentlich erachtete Druckschrift, die auch in diesem Beschwerdeverfahren eine Rolle gespielt hat:
D1: US-A-4 268 425.
Die übrigen der insgesamt 33 im Laufe des Einspruchsverfahrens zitierten und eingereichten Druckschriften, Literaturstellen, Merkblätter und Declarations spielten im Beschwerdeverfahren keine Rolle.
Per Fax vom 14. März 2000 wurde als weiterer Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ eine unzulässige Erweiterung der Unterlagen des Streitpatents wegen des während des Prüfungsverfahrens u. a. in Anspruch 1 eingefügten Disclaimers "ausgenommen Tallölmethylester" geltend gemacht. In mündlicher Verhandlung am 22. März 2000 wurde dieser Einwand von der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 114 (1) EPÜ ins Verfahren zugelassen.
III. Die Einspruchsabteilung entschied unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin vorgenommenen Änderungen gemäß einem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 4 ("H4") in einer Zwischenentscheidung (im folgenden: "Entscheidung"), die in der mündlichen Verhandlung verkündet wurde und deren schriftliche Begründung am 23. Mai 2000 zur Post gegeben wurde, daß das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügt.
i) Für den Hauptantrag ("Aufrechterhaltung in der erteilten Fassung") und den ersten Hilfsantrag ("H1", der zusätzlich die Bestimmung "zur Verwendung im Cold-Box-Verfahren" enthielt) wurde jeweils der erhobene Einwand unter Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ von der Einspruchsabteilung als begründet angesehen.
ii) Im Lichte von Leitsatz 2 der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/93 (ABl. EPA 1994, 541) und der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 863/96 vom 4. Februar 1999, T 596/96 vom 14. Dezember 1999 und T 645/95 vom 25. Februar 1999, nicht im ABl. EPA veröffentlicht) wurde der auch in den Hilfsanträgen 2 und 3 ("H2", "H3") enthaltene, oben zitierte Disclaimer als unzulässige Erweiterung der ursprünglichen Offenbarung und damit als Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ beurteilt. Dies wurde damit begründet, daß die in den genannten Entscheidungen definierten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Disclaimers nicht erfüllt seien: i) Notwendigkeit des Disclaimers zur Herstellung der Neuheit sowie ii) fehlende Relevanz des durch den Disclaimer ausgeschlossenen Stands der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
Die Ansprüche gemäß "H2" waren gegenüber der erteilten Fassung der Ansprüche dahingehend präzisiert, daß die Fettsäuremethylester (FME) als "Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat" dienten. In "H3" enthielten die unabhängigen Ansprüche zusätzlich ein Merkmal, das auf die Verwendung im Cold-Box- oder No-Bake-Verfahren gerichtet war.
iii) Hilfsantrag 4 ("H4") enthielt dieselbe das Lösungsmittelsystem betreffende Präzisierung und schloß darüber hinaus durch Streichung der erteilten Ansprüche 1, 4 und 7 die Anwesenheit hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe im Lösungsmittel des Bindemittelsystems aus. Die restlichen daran angepaßten Ansprüche waren gemäß Regel 29 (5), Satz 2 und 36 (1) EPÜ fortlaufend umnumeriert worden.
Die Einspruchsabteilung stellte fest, daß gegen diesen Anspruchssatz seitens der Einsprechenden der Einwand gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht erneuert worden war. Außerdem wurde der Anspruchsgegenstand als über die gesamte Breite der Ansprüche ausführbar im Sinne der Artikel 83 und 100 b) EPÜ angesehen (Begründung, Punkt 5.3).
Die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, D1, zu lösende Aufgabe wurde in der Bereitstellung eines gattungsgemäßen Bindemittelsystems bzw. in der Verwendung von Lösungsmittelsystemen bei der Herstellung derartiger Bindemittel gesehen, die mit einer verringerten Arbeitsplatzbelastung durch hochsiedende Aromaten verbunden sein sollte (Streitpatent: Seite 2, Zeilen 41 bis 52). Keine der zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit angezogenen Druckschriften, darunter D1, habe diese erfolgreich gelöste Aufgabe angesprochen (Entscheidung: Punkte 5.6 bis 5.8 der Begründung).
IV. Am 28. Juli 2000 erhob die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr.
In ihrer am 20. September 2000 eingereichten Beschwerdebegründung beantragte sie die Aufhebung der Entscheidung und Aufrechterhaltung des Streitpatents auf Grundlage zweier neuer Anspruchssätze gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag 1.
Die Ansprüche des Hauptantrags lauteten:
"1. Zweikomponenten-Bindemittelsystem auf Polyurethan- Basis für Gießerei-Formstoffe, enthaltend ein freie OH-Gruppen enthaltendes Phenolharz und ein Polyisocyanat als Reaktionspartner sowie Fettsäuremethylester als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat, wobei die Fettsäuremethylester die Methylmonoester von einer oder mehreren Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen sind, ausgenommen Tallölmethylester, und wobei der Anteil der Fettsäuremethylester den Anteil ggf. vorhandener hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe überwiegt.
2. Zweikomponenten-Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Gießerei-Formstoffe, enthaltend ein[e] freie OH-Gruppen enthaltendes Phenolharz und ein Polyisocyanat als Reaktionspartner sowie einen Fettsäuremethylester, dadurch gekennzeichnet, daß das Bindemittelsystem einen oder mehrere Fettsäuremethylester enthält die als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat dienen und jeweils Methylmonoester einer Fettsäure mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen sind, wobei das Lösungsmittel des Bindemittelsystems keine hochsiedenden aromatischen Kohlenwasserstoffe umfaßt.
3. Bindemittelsystem nach Anspruch 1 oder 2, enthaltend die Fettsäuremethylester als alleiniges Lösungsmittel für das Polyisocyanat.
4. Bindemittelsystem nach Anspruch 1, enthaltend die Fettsäuremethylester zusammen mit hochsiedenden aromatischen Kohlenwasserstoffen als Lösungsmittel zumindest für das Polyisocyanat, wobei der Anteil der Fettsäuremethylester den Anteil der Kohlenwasserstoffe überwiegt.
5. Bindemittelsystem nach Anspruch 1 oder 2, enthaltend die Fettsäuremethylester zusammen mit Lösungsmitteln höherer Polarität als Lösungsmittel zumindest für das Phenolharz.
6. Verfahren zur Herstellung eines Gießereiformstoff-Bindemittelsystem gemäß einem der Ansprüche 1-5, wobei das Phenolharz und das Polyisocyanat in den Fettsäuremethylestern als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat gelöst wird.
7. Verwendung von Methylestern höherer Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat eines Gießereiformstoff-Binde[s]mittels auf Polyurethan-Basis, wobei das Phenolharz freie OH-Gruppen enthält und wobei die Lösungsmittel keine hochsiedenden aromatischen Kohlenwasserstoffe enthalten.
8. Verfahren zur Herstellung von Gießerei-Formen und -Kernen aus einer Formstoffmischung, die mittels eines Bindemittelsystems auf Polyurethanbasis gebunden wird, wobei das Bindemittelsystem gemäß einem der Ansprüche 1-5 eingesetzt wird.
9. Verwendung des Bindemittelsystems gemäß einem der Ansprüche 1-5 zum Binden von Formstoffmischungen bei der Herstellung von Gießerei-Formen und -Kernen."
Hilfsantrag 1 unterschied sich von diesem Hauptantrag lediglich durch den folgenden Wortlaut von Anspruch 1:
"1. Zweikomponenten-Bindemittelsystem auf Polyurethan- Basis für Gießerei-Formstoffe, enthaltend
- ein freie OH-Gruppen enthaltendes Phenolharz und
- ein Polyisocyanat
als Reaktionspartner sowie
- Fettsäuremethylester
als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat, wobei die Fettsäuremethylester die Methylmonoester von einer oder mehreren Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette ab 12 C-Atomen und aus der Gruppe ausgewählt sind, die aus den
- Methylestern des Rapsöls, Sojaöls, Leinöls, Sonnenblumenöls, Erdnußöls, Holzöls, Palmöls, Kokosöls, Rizinusöls und Olivenöls, den
- Methylestern von Seetierölen, Talgen und tierischen Fetten, den
- Methylestern von Abfallölen und Abfallfetten sowie
- Palmitinsäuremethylester, Stearinsäuremethylester, Laurinsäuremethylester, Ölsäuremethylester, Sorbinsäuremethylester, Linolsäuremethylester, Linolensäuremethylester, Arachinsäuremethylester und Behensäuremethylester
besteht,
wobei der Anteil der Fettsäuremethylester den Anteil ggf. vorhandener hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe überwiegt."
Anspruch 1 des neuen Hauptantrags entsprach damit dem Wortlaut von Anspruch 1 des vorigen Hilfsantrags "H2", der von der Einspruchsabteilung zurückgewiesen worden war.
Der Begründung für die Zurückweisung von "H2" wegen des Disclaimers (Abschnitt III.ii), oben) widersprach die Beschwerdeführerin. Es müsse unterschieden werden zwischen Disclaimern ohne Basis in den ursprünglichen Unterlagen, die während des Prüfungs-, und solchen, die während des Einspruchsverfahrens eingefügt wurden. Anders als G 1/93 [a.a.O.] und das zugehörige Vorlage-Beschwerdeverfahren T 384/91 (ABl. EPA 1994, 169 und 1995, 745) hätten die in der angefochtenen Entscheidung zitierten Entscheidungen T 863/96, T 596/96 und T 645/95 (siehe oben) den zweiten Fall betroffen. Die im zweiten Leitsatz von G 1/93 definierten Kriterien für die Anwendung der Artikel 123 (2) und 100 c) EPÜ auf ursprünglich nicht offenbarte Merkmale, die ihr während der Prüfung hinzugefügt wurden und lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränkten, würden jedoch durch die nun beanspruchte Fassung des Patentbegehrens erfüllt.
Außerdem machte sie geltend, daß die positiven Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des in der ersten Instanz erfolgreichen Hilfsantrags "H4" auch auf den nun vorliegenden Hauptantrag zuträfen. Sowohl der Disclaimer wie auch die Tatsache, daß im Gegensatz zu "H4" gemäß jetzigem Hauptantrag untergeordnete Mengen hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe anwesend sein dürfen, seien hinsichtlich der zu lösenden technischen Aufgabe und ihrer Lösung ohne Bedeutung.
Diese technische Aufgabe bestehe gemäß der Entscheidung in der Bereitstellung eines gattungsgemäßen Bindemittelsystems bzw. in einer Verwendung von Lösungsmittelsystemen bei der Herstellung derartiger Bindemittel, die mit einer verringerten Arbeitsplatzbelastung durch hochsiedende Aromaten verbunden sein solle.
Zum Hilfsantrag 1 führte die Beschwerdeführerin aus, daß der Ersatz des Disclaimers durch die positive Beschränkung auf in den ursprünglichen Unterlagen genannte FME die Frage einer Verletzung von Artikel 123 (2) EPÜ gegenstandslos mache und gegenüber der erteilten Fassung von Anspruch 1 eine Einschränkung bedeute, so daß Artikel 123 (3) EPÜ ebenfalls erfüllt werde.
Die Ausführungen zu den Fragen der Patentierbarkeit des Hauptantrags träfen ebenso auf den Hilfsantrag 1 zu.
V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) widersprach in ihrer am 16. Februar 2001 eingegangenen Beschwerdeerwiderung diesem Vorbringen in allen Punkten. Insbesondere betonte sie, der Disclaimer leiste sehr wohl einen technischen Beitrag zum Gegenstand der Erfindung, D1 stelle nämlich keine zufällige Vorwegnahme des beanspruchten Gegenstandes dar und sei auch für die erfinderische Tätigkeit als nächstliegender Stand der Technik zu berücksichtigen. Die Neuheit von Anspruch 1 werde zudem auch nicht durch den Disclaimer hergestellt.
In einer weiteren Eingabe vom 31. Mai 2002 verwies sie zu dieser Frage auf die Entscheidungen T 323/97 (zur Veröffentlichung im ABl. EPA vorgesehen), die sich auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/98 (ABl. EPA 2001, 413) berufe, und T 957/97 vom 18. Januar 2002 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
Andererseits verletze der Hilfsantrag wegen der Streichung des Disclaimers, mit dem Tallölmethylester (TME) ausgeschlossen wurde, die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ, denn die wesentlichen Bestandteile von TME (u. a. Linol- und Ölsäuremethylester), die durch den Disclaimer vorher ausgeschlossen worden seien, würden nun vom Wortlaut des Anspruchs 1 mitumfaßt. Dies stelle eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs dar. Zur Stützung dieser Argumentation reichte die Beschwerdegegnerin neun Informationsblätter ein, die von der Fa. Merck & Co.,Inc., Whitehouse Station NJ, USA (1996) bzw. aus dem Internet stammen und in denen die Zusammensetzung von verschiedenen in D1 genannten trocknenden Ölen sowie von Tallöl wiedergegeben wird.
Zudem sei der Gegenstand beider Anträge gegenüber D1 nicht erfinderisch, denn die Mengenbeschränkung hochsiedender aromatischer Kohlenwasserstoffe sei bereits einer Reihe von Beispielen in D1 zu entnehmen, die damit die zu zugrundeliegende technische Aufgabe einer Reduzierung der Menge der hochsiedenden Aromaten bereits implizit gelöst hätten.
VI. In der am 19. Juni 2002 abgehaltenen mündlichen Verhandlung vertieften beide Parteien im wesentlichen ihre bereits schriftlich vorgetragenen Argumente. Die Beschwerdeführerin beantragte darüber hinaus als weiteren letztrangigen Hilfsantrag 2 die Vorlage einer noch auszuformulierenden Frage an die Große Beschwerdekammer über die Zulässigkeit eines Disclaimers hinsichtlich der jüngeren Rechtsprechung der Beschwerdekammern.
Die Beschwerdegegnerin betonte, die neuere von ihr zitierte Rechtsprechung der Beschwerdekammern, welche die Entscheidung G 2/98 (a.a.O.) anwende, ziele auf die Vermeidung rechtlicher Unsicherheit, hervorgerufen durch Disclaimer, deren Zulässigkeit wegen fehlender ursprünglicher Offenbarung fraglich sei. Da eine solche Entscheidung stets vom Einzelfall anhänge, sah sie zudem keinen Grund für eine Vorlage dieser Frage an die Große Beschwerdekammer.
Die Beschwerdeführerin stellte zum Hilfsantrag 2 abschließend klar, daß er nur der Klärung der Situation dienen solle, sofern die Kammer die Anwendung der neueren von der Beschwerdegegnerin zitierten Rechtsprechung ins Auge fasse.
In ihren ergänzenden Vorträgen zu den höherrangigen Anträgen der Beschwerdeführerin beschränkten sich die beiden Parteien auf D1.
Die Beschwerdeführerin verwies dabei insbesondere auf ihren Schriftsatz vom 2. August 1999, Seite 5. D1 befasse sich mit der Verbesserung von Bindemitteln durch den Zusatz von trocknenden Ölen, nicht jedoch mit der Zugabe von FME, etwa von Estern der Linol- oder Ölsäure, aus Umweltschutzgründen, um den Gehalt an hochsiedenden Aromaten in solchen Bindemittelsystemen zu vermindern. Zwar werde in D1 auch als möglicher Zusatz TME genannt, der werde aber einerseits im Hauptantrag durch den Disclaimer ausgeschlossen, andererseits von der abschließenden Positiv-Liste in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht umfaßt. Die darin enthaltenen Ester seien in den ursprünglichen Unterlagen namentlich aufgezählt, auch sei sein Schutzbereich durch Nennung einzelner Verbindungen enger als der von der erteilten Fassung umfaßte Bereich aller FME aus Fettsäuren mit mindestens 12 C-Atomen, ausgenommen TME. Daher seien beide Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ durch Hilfsantrag 1 erfüllt.
Tallöl gehöre wegen der darin enthaltenen Harzsäuren nicht zu den trocknenden Ölen. Es enthalte ein breites Spektrum teils veresterbarer und teils unveresterbarer Einzelverbindungen. Um trocknende Eigenschaften zu erhalten, müsse Tallöl erst durch die Veresterung der darin enthaltenen Fettsäuren und deren Abtrennung von den nur schlecht oder nicht veresterbaren Harzsäuren aufbereitet werden. Ausgehend von dem natürlichen Tallöl, sei auch TME keinesfalls eine definierte Verbindung, sondern ein Gemisch verschiedener Substanzen und könne daher nicht mit speziellen Estern gleichgesetzt werden, selbst wenn diese darin als wesentliche Bestandteile enthalten seien. Der Fachmann sei sich der Unterschiede zwischen den verschiedenen Ölen bewußt. Er bestelle z. B. Tallöl oder Sojaöl, wohl wissend, daß zwar einzelne Komponenten in den Ölen identisch seien, aber auch, daß jedes dieser Produkte sich aus einem dafür charakteristischen Spektrum verschiedener Einzelkomponenten zusammensetze, das sie voneinander und von anderen Ölen unterscheide. Der Disclaimer im Hauptantrag schließe daher nur ein genau definiertes Gemisch von Verbindungen aus.
Auch FME gehörten nicht generell zu den trocknenden Ölen. Daher sei der Druckschrift auch keine Anregung zu entnehmen, die trocknenden Öle, auf deren trocknende Eigenschaften es in D1 ausschließlich ankomme, zunächst durch eine Umesterung möglicherweise zu verschlechtern. Die Passage der Druckschrift in Spalte 5, Zeilen 10 bis 16, in der Tallölester genannt sei, müsse folglich eng verstanden werden, d. h. als spezieller Hinweis auf die Ester des aufbereiteten Tallöls, nicht aber auf die im Hilfsantrag 1 aufgezählten speziellen FME.
Neuheit des beanspruchten Gegenstands sei ebenfalls gegeben, wie schon die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung festgestellt habe. Dies gelte nicht nur für den Hauptantrag, sondern um so mehr für die Neuheit des engeren Hilfsantrags 1.
Die erfinderische Tätigkeit könne durch D1 nicht in Frage gestellt werden, da die zu lösende technische Aufgabe und ihre Lösung, wie sie in der angefochtenen Entscheidung richtig dargestellt worden seien, in ihr überhaupt nicht in Betracht gezogen würden. In D1 würde die Anwesenheit der höhersiedenden Aromaten ausdrücklich eingeschlossen, eine Beschränkung ihrer Menge bezogen auf das Lösungsmittelsystem als Ganzes werde dort nirgends angedeutet. In Spalte 11, Absatz 2, würde nur die Gesamtmenge des Lösungsmittelsystems genannt, einschließlich der trocknenden Öle. D1 enthalte zwar Beispiele, in denen die Menge des trocknenden Öls höher als die des Aromaten sei (wie in Beispiel 1), aber auch Gegenbeispiele, in denen die Aromatenmengen gegenüber der des trocknenden Öls überwiege. Die Beispiele beschrieben stets nur die Kombinationen bestimmter trocknender Öle mit einem aromatischen Lösungsmittel, nie aber den Einsatz von TME. Selbst wenn D1 zeigen würde, daß Leinöl ersetzt werden könne, so gebe es im Stand der Technik nirgends einen Hinweis, FME, die dort nirgends in Betracht gezogen worden seien, im Überschuß gegenüber dem Aromaten einzusetzen.
Zusammenfassend ergebe sich, daß der Fachmann die allgemeine Lehre von D1 in mehreren Schritten abwandeln müßte, um zum beanspruchten Gegenstand zu kommen: Er müßte, überdies für eine dort nicht ins Auge gefaßte Aufgabe, das trocknende Öl durch einen Methylester ersetzen, ohne zu wissen, ob der noch die für D1 entscheidenden guten trocknenden Eigenschaften besitze, müßte den in D1 explizit genannten TME beiseite lassen und zudem entscheiden, ob er den Ester im Über- oder Unterschuß einsetzen sollte (wofür es jeweils Beispiele in D1 gebe).
Die Beschwerdegegnerin unterstrich nochmals ihr schriftliches Vorbringen zum Disclaimer im Hauptantrag.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 stelle demgegenüber nur in formaler Hinsicht eine Einschränkung dar, denn nach seinem Wortlaut dürften nun unter anderem Linolsäure- und Ölsäuremethylester enthalten sein, im Gegensatz zur erteilten Fassung, in dem TME und damit auch dessen Bestandteile ausgeschlossen gewesen seien. Aus praktischer Sicht werde somit der Schutzbereich entgegen Artikel 123 (3) EPÜ erweitert. Überdies wisse der Fachmann nicht mehr, was alles mitbeansprucht werde.
Zu D1 führte die Beschwerdegegnerin aus, daß die dort verwendeten trocknende Öle nicht nur wegen ihrer trocknenden Funktion eingesetzt, sondern auch als Teil des Lösungsmittelsystems betrachtet würden, dafür sprächen auch ihre eingesetzten Mengen. Aus Spalte 5, Zeilen 10 bis 15, ginge allein schon durch die zweifache Verwendung des Begriffes "such as" klar hervor, daß beliebige Ester ethylenisch ungesättigter Fettsäuren, für die TME nur ein Beispiel innerhalb einer breitere Offenbarung darstelle, dort als teilweiser und gleichwertiger Ersatz der trocknenden Öle verwendet werden könnten. Wenn aber nach D1 Lösungsmittel eingesetzt werden könnten, die als wesentlichen Bestandteil Linolsäuremethylester enthalten, dann sei wohl die Verwendung dieser Verbindung als solche (siehe Anspruch 1 des Hilfsantrags 1) als gleichwertiger Ersatz naheliegend. Ausweislich einer Reihe von Beispielen, in denen die trocknenden Öle in höheren Mengen als die aromatischen Lösungsmittel eingesetzt wurden, sei die vorliegende technische Aufgabe bereits implizit gelöst worden.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung am 20. September 2000 eingereichten Haupt-oder Hilfsantrags und einer gegebenenfalls anzupassenden Beschreibung. Weiter hilfsweise beantragte die Beschwerdeführerin, die Frage der Zulässigkeit eines Disclaimers hinsichtlich der jüngeren Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere der Entscheidung T 323/97, der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Im Hinblick auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/92 (ABl. EPA 1994, 875), die angefochtene Entscheidung und die Tatsache, daß seitens der Beschwerdegegnerin weder zum Haupt- noch zum Hilfsantrag 1 in ihrer vorliegenden Fassung diesbezüglich Einwände erhoben worden sind, sieht die Kammer keine Gründe, den im Einspruch ursprünglich erhobenen Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ nun von sich aus erneut aufzugreifen.
Hauptantrag
3. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
3.1. Der vorliegende Anspruchssatz des Hauptantrags basiert auf den Ansprüchen 1 bis 6 sowie 8 bis 10 der erteilten Fassung. Der erteilte Anspruch 7 wurde gestrichen, die darauf folgenden Ansprüche wurden umnumeriert. Außerdem wurden die Passagen "als Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil für beide Reaktionspartner", "als Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil" bzw. "als Lösungsmittel oder als vorzugsweise einzigen Lösungsmittelbestandteil für die Phenolharz- und Polyisocyanat-Komponenten" in den jetzigen Ansprüchen 1, 2, 6 und 7 jeweils abgeändert in "als Lösungsmittelbestandteil für das Phenolharz und als alleiniges Lösungsmittel oder als Lösungsmittelbestandteil für das Polyisocyanat".
In Anspruch 2 wurde zudem der letzte Nebensatz unter Streichung des Merkmals "als (Co-)Lösungsmittel" abgeändert in "wobei das Lösungsmittel des Bindemittelsystems keine hochsiedenden aromatischen Kohlenwasserstoffe umfaßt".
In Anspruch 3 wurde aus der Formulierung "als alleiniges Lösungsmittel zumindest für das Polyisocyanat" das Wort "zumindest" gestrichen.
In Anspruch 6 wurde die Definition des Lösungsmittelsystems für das Phenolharz und das Polyisocyanat unter Streichung des Wortes "oder", wie oben angegeben, an den Wortlaut von Anspruch 1 angepaßt.
Zumal auch seitens der Beschwerdegegnerin hinsichtlich dieser Umformulierungen, die die Verwendung von FME als Lösungsmittel bzw. Lösungsmittelbestandteil für die beiden Komponenten betreffen, keine Einwände erhoben wurden, sieht die Kammer keine Gründe, von der Beurteilung unter Punkt 4.1 der angefochtenen Entscheidung abzuweichen.
3.2. Diese vorstehend angesprochenen Änderungen stehen demnach im Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ und stellen keine Erweiterung des Schutzbereichs und damit auch keine Verletzung des Artikel 123 (3) EPÜ dar.
3.3. Es bleibt aber zu entscheiden, ob die Anwesenheit des Disclaimers in Anspruch 1, den Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ entspricht oder zuwiderläuft.
3.3.1. Wie von der Einspruchsabteilung nach Auffassung der Kammer überzeugend dargelegt worden ist (Abschnitte 4.1 bis 4.12 der angefochtenen Entscheidung), offenbart D1 keine Ausführungsform, in der der Gegenstand des Streitpatents ohne Disclaimer neuheitsschädlich offenbart worden ist.
Damit erfüllt der Disclaimer "ausgenommen Tallölmethylester" zweifelsfrei nicht das erste laut gefestigter Rechtsprechung notwendige Kriterium für die Zulässigkeit eines Disclaimers, der in den ursprünglichen Unterlagen keine Stützung findet (siehe T 170/87, ABl. EPA 1989, 441; T 597/92, ABl. EPA 1996, 135; T 710/92 vom 11. Oktober 1995; T 917/94 vom 28. Oktober 1999; T 608/96 vom 11. Juli 2000; T 13/97 vom 22. November 1999; T 308/97 vom 10. November 1998; T 1071/97 vom 17. August 2000; sowie die bereits genannten T 645/95, T 596/96, T 863/96 und T 957/97).
3.3.2. Auch das zweite, dieser gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern zufolge unverzichtbare Kriterium für die Zulässigkeit einer solchen Ausschlußbestimmung wird unter den gegenwärtigen Umständen nicht erfüllt: ein Disclaimer, der auf der Basis einer Offenbarung zu formulieren ist, um dadurch eine rein zufällige Vorwegnahme ("purely accidental anticipation") des beanspruchten Gegenstandes auszuschließen, ist nur dann zulässig, wenn die Entgegenhaltung, die die besagte Offenbarung enthält, für jede weitere Prüfung des beanspruchten Gegenstands keinerlei Relevanz besitzt (T 863/96, Punkt 3.2; siehe oben). Dies trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, wie sowohl die im ersten Teil dieser Entscheidung referierte Diskussion während der mündlichen Verhandlung, insbesondere über die Bedeutung von Absatz 2 in Spalte 5 von D1, wie auch die am 20. September 2000 eingereichte Beschwerdebegründung (Seite 8, letzter Absatz) zeigen, in der die Beschwerdeführerin auf die Abschnitte 5.4 bis 5.12 der angefochtenen Entscheidung hinweist, worin ausdrücklich auf D1 als nächstliegendem Stand der Technik hingewiesen worden ist.
3.3.3. Dem Argument der Beschwerdeführerin, der Disclaimer stelle nur eine Einschränkung des Schutzbereichs dar, ohne einen technischen Beitrag zum Streitgegenstand zu leisten, wurde von der Beschwerdegegnerin entschieden widersprochen. Es steht auch nach Ansicht der Kammer nicht im Einklang mit der seinerzeitigen Aussage der jetzigen Beschwerdeführerin, die zur Berechtigung der Einfügung des Disclaimers für Tallölmethylester vorgetragen hatte, daß dieser Stoff im Bereich der trocknenden Öle eine Sonderstellung einnehme (Eingabe vom 9. Februar 1998, Seite 2, 2. Hälfte). Der Disclaimer sollte also zur Stützung der geltend gemachten erfinderischen Tätigkeit durch stärkere Abgrenzung von D1 dienen und erbrachte demgemäß einen technischen Beitrag.
Dies wurde bereits in der angefochtenen Entscheidung von der Einspruchsabteilung insbesondere "im Hinblick auf die letztendlich zu erfolgende Auslegung des Begriffs 'als Lösungsmittel oder Lösungsmittelbestandteil'" festgestellt (Punkt 4.11).
3.3.4. Folglich geht auch der zusätzliche Hinweis auf Leitsatz 2. der Entscheidung G 1/93 (a.a.O.) fehl, wonach ein in einen Anspruch eingefügtes, aber nicht ursprünglich offenbartes Merkmal lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränken darf, "ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten", um im Anspruch verbleiben zu dürfen. Ebenso geht das Argument fehl, die von der Einspruchsabteilung zitierten Entscheidungen beträfen ausschließlich Disclaimer, welche im Einspruchsverfahren eingefügt worden seien, was auf den vorliegenden Fall nicht zutreffe. Aus der Entscheidung G 1/93 kann die Kammer die Berechtigung einer solchen Unterscheidung nicht ableiten.
3.3.5. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer die Richtigkeit der Beurteilung von "H2" und "H3" durch die Einspruchsabteilung als im Widerspruch zu den Erfordernissen von Artikel 100 c) EPÜ stehend (Entscheidung: Punkt 4.12). Wegen der Identität des Wortlauts von Anspruch 1 von "H2" mit dem von Anspruch 1 des Hauptantrags gilt dies folglich auch für den vorliegenden Hauptantrag.
3.4. Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer daher zu der Entscheidung, daß der Disclaimer in Anspruch 1 des Hauptantrags wegen Verstoßes gegen Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig ist und der Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ durchgreift. Der Hauptantrag wird deshalb zurückgewiesen.
Hilfsantrag
4. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
4.1. Die in obigen Abschnitten 3.1 bis 3.2 wiedergegebenen Tatsachen und Feststellungen gelten ebenso für den vorliegenden Hilfsantrag.
4.2. Die Aufzählung der FME in Anspruch 1 des Hilfsantrags erfüllt nach Überzeugung der Kammer die Bedingungen des Artikels 123 (2) EPÜ. Die Aufzählung findet ihre Stütze in den folgenden Passagen der ursprünglich eingereichten Unterlagen: Seite 3, Absätze 3 und 4; Seite 5, letzter Satz und Seite 6, Tabelle I (EP-B1: Seite 3, Zeilen 12 bis 22; Seite 4, Zeilen 4 bis 25). Dies ist von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt worden.
4.3. Die Beschwerdegegnerin sieht allerdings die Bestimmungen des Artikel 123 (3) EPÜ durch die Aufzählung der FME anstelle des Disclaimers in Anspruch 1 als verletzt an, da die durch den Disclaimer im erteilten Anspruch 1 ausgeschlossenen Bestandteile des TME nun durch die Aufzählung eingeschlossen würden und damit den Schutzbereich des Anspruchs 1 erweiterten. Außerdem sei nun unklar, welchen Schutzbereich der Anspruch 1 besitze (Eingabe vom 31. Mai 2002; Vorbringen während der mündlichen Verhandlung).
4.4. Dieser Argumentation vermag die Kammer nicht zu folgen. Wie die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen hat, enthalten natürliche Öle, wie die in D1 (Spalte 5, Zeilen 1 bis 6) aufgezählten natürlichen trocknenden Öle und auch das Tallöl, jeweils ein Spektrum verschiedener Einzelverbindungen in charakteristischen Mengen. Dies wird auch durch die neun mit der Eingabe vom 31. Mai 2002 von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Beschreibungen solcher aus Naturprodukten isolierter Öle bestätigt. Zudem wurde eine Frage der Kammer, ob es möglich sei, die Inhalte unbeschrifteter Flaschen zu unterscheiden, die Methylester verschiedener Öle der obigen Art enthalten, von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht verneint.
4.5. Die Kammer kann sich daher auch nicht dem von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argument verschließen, daß ein Verweis auf ein solches Öl aus natürlicher Quelle vom Fachmann nicht als auf einzelne seiner Komponenten, sondern als auf das Gesamtspektrum der darin in bestimmten Mengen enthaltenen Bestandteile gerichtet verstanden wird, und daß dies auch noch für TME nach Abtrennung der unveresterten Harzsäuren gilt.
4.6. Daraus folgt, daß der Disclaimer in der erteilten Fassung der Ansprüche auf den Ausschluß des speziellen Gemisches gerichtet war, das in der Fachwelt als "Tallölmethylester" bezeichnet wird, nicht jedoch auf den Ausschluß bestimmter in geringeren oder größeren Mengen darin enthaltener Einzelkomponenten.
Daher kann die Kammer in der eingefügten Aufzählung der FME in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 keine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents erkennen. Auch der Einwand der Unklarheit des Schutzbereiches geht aus diesen Gründen fehl.
4.7. Zusammenfassend stellt die Kammer daher fest, daß die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ durch den Hilfsantrag 1 erfüllt werden.
5. Neuheit
Die Neuheit des beanspruchten Gegenstands ist von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt worden. Auch die Kammer sieht keine Gründe, diese Frage hinsichtlich des weiter beschränkten Wortlauts von Anspruch 1 erneut zu untersuchen (vgl. obigen Abschnitt 3.3.1). Die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ werden daher von Anspruch 1 erfüllt.
6. Aufgabe, Lösung und erfinderische Tätigkeit
6.1. Das Streitpatent betrifft ein Bindemittelsystem auf Polyurethan-Basis für Formstoff-Mischungen zur Herstellung von Gießformen und Kernen.
6.2. Ein derartiges Bindemittelsystem ist bereits aus D1 bekannt. Das dortige Zwei-Komponenten-Bindemittel setzt sich ebenfalls zusammen aus einer Phenolharz- und einer Isocyanat-Komponente, dazu kommen ein Vernetzer und ein trocknendes Öl. Die beiden erstgenannten Komponenten werden üblicherweise in organischen Lösungsmitteln gelöst eingesetzt, wobei diese so ausgewählt werden müssen, daß sie mit den Komponenten kompatibel sind. Vorzugsweise werden daher Kombinationen von Lösungsmitteln eingesetzt, insbesondere solche aromatischer (für das Isocyanat) und polarer Lösungsmittel (für das Phenolharz) (Spalte 2, Zeile 19 bis Spalte 3, Zeile 22).
Die Druckschrift befaßt sich mit der Verbesserung der Lagerbeständigkeit der Formstoff-Zusammensetzungen, die befriedigende Anfangs- und Langzeit-Festigkeiten ergeben, durch die Zugabe des trocknenden Öls. Auch werden Verbesserungen bei ihrer Anwendung beim Guß relativ niedrig schmelzender Metalle angesprochen (Spalte 3, Zeile 49 bis Spalte 4, Zeile 16).
6.3. Gemäß der Einleitung der Streitpatentschrift stellt sich beim Einsatz von Gießerei-Formstoffen, die Bindemittel auf Polyurethan-Basis enthalten, durch die Verwendung von Lösungsmittelgemischen der vorstehend genannten Art das Problem der Umweltbelastung am Arbeitsplatz, hervorgerufen im wesentlichen durch den Gehalt an hochsiedenden aromatischen Lösungsmitteln (Seite 2, Zeilen 41 bis 52). Diese Problematik, für die das Streitpatent Abhilfe schaffen will, wird in D1 überhaupt nicht in Betracht gezogen.
6.4. Im Hinblick auf eine Passage der Beschreibung in D1 (Spalte 8, Zeilen 3 bis 5), derzufolge das trocknende Öl als Bestandteil des Lösungsmittelsystems betrachtet werden kann, und in Anbetracht von Beispielen in D1, in denen die Menge des trocknenden Öls die des hochsiedenden aromatischen Lösungsmittels überwiegt, hat die Beschwerdegegnerin die in der angefochtenen Entscheidung formulierte technische Aufgabe einer Verringerung der Arbeitsplatzbelastung durch hochsiedende Aromaten bereits als implizit gelöst angesehen. Des weiteren stellte sich ihr die Auswahl der FME in Anspruch 1 als naheliegende Alternative zu der in D1 explizit angesprochenen Verwendung von TME dar, dessen Hauptkomponenten Öl- und Linolsäuremethylester nun explizit in Anspruch 1 des Streitpatent genannt werden.
6.5. Gegen diese Argumentation wandte sich die Beschwerdeführerin wegen des Fehlens jeglicher Hinweise auf den Aspekt der Reduzierung der Arbeitsplatzbelastung in D1 und verwies dazu auf einen anderen Teil der dort enthaltenen Beispiele mit umgekehrten Mengenverhältnissen der trocknenden Öle und Aromaten. Zudem sei der Druckschrift keinerlei Hinweis zu entnehmen, daß ein bestimmter Teil der Beispiele dem anderen vorzuziehen sei, insbesondere, soweit es die Zusammensetzung des Lösungsmittelsystems betrifft. Außerdem verwies sie auf den völlig anderen Zweck des Zusatzes der trocknenden Öle in D1, der mit der oben angesprochenen technischen Aufgabe des Streitpatents nichts zu tun habe und verwahrte sich gegen die Gleichsetzung der trocknenden Öle gemäß D1 mit den FME gemäß Streitpatent.
6.6. Als trocknende Öle werden in D1 Glyceride von Fettsäuren mit zwei oder mehr Doppelbindungen bezeichnet, die unter der Einwirkung von (Luft-)Sauerstoff polymerisiert werden können. Als Beispiele werden eine Reihe natürlicher trocknender Öle aufgezählt, unter anderem Soja- und das bevorzugte Leinöl. Des weiteren wird angegeben, daß "Also, esters of ethylenically unsaturated fatty acids such as tall oil esters of polyhydric alcohols such as glycerine or pentaerythritol or monohydric alcohols such as methyl or ethyl alcohols can be employed as the drying oil" (Spalte 5, Zeilen 10 bis 14).
Zwischen den Parteien war unstreitig, daß Tallöl selbst wegen seines Gehaltes an Harzsäuren nicht zu den trocknenden Ölen gezählt werden kann.
Die trocknenden Öle werden in D1 in Mengen von ungefähr 2. bis ungefähr 15 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Bindemittel-Zusammensetzung eingesetzt. Insgesamt wird ein Gehalt an Lösungsmittel-Komponente, einschließlich der trocknenden Öle, von ungefähr 35 bis 50. Gew.-% angegeben (Spalte 4, Zeile 64 bis Spalte 5, Zeile 21; Spalte 11, Zeilen 14 bis 17). Aus diesen Prozentbereichen läßt sich kein Hinweis ableiten, daß das trocknende Öl im Überschuß gegenüber dem Aromaten zu verwenden sein soll. Außerdem wird in der Beschreibung das Mengenverhältnis der aromatischen zu den trocknenden Ölen nirgends erwähnt.
In neun Beispielen überwiegt der Anteil des trocknenden Öls (stets Leinöl) den des aromatischen Lösungsmittels (Beispiele I bis IV, XI bis XIII, XVI und XVII), in den neun anderen, worin entweder Lein-, Tung-, Soja- oder Pflanzenöl verwendet wird, ist das Verhältnis umgekehrt. Das hochsiedende aromatische Lösungsmittel in den Phenolharz-Komponenten der Beispiele V bis X und XVIII wurde bei diesem Vergleich wegen des Wortlauts der Ansprüche 1 und 4 des Streitpatents mit berücksichtigt.
6.7. Die zu entscheidende Frage, ob sich für den Fachmann aus D1 in naheliegender Weise etwas ergeben hätte, was unter den zu prüfenden Patentanspruch fällt, gliedert sich somit in zwei große Aspekte: i) ob D1 für die Reduzierung der Arbeitsplatzbelastung durch hochsiedende aromatische Lösungsmittel generell und durch die Beispiele im besonderen eine Anregung zur Abhilfe bietet, die in Richtung auf den Gegenstand des Streitpatents weist, und ii) ob der Einsatz von FME als bloße und zudem naheliegende Alternative zu trocknenden Ölen bzw. zu TME zu betrachten ist.
6.8. Zum ersten Aspekt der Frage kommt die Kammer zu den folgenden Feststellungen.
6.8.1. Wie schon aus dem vorstehenden Abschnitt 6.6 ersichtlich ist, kann - in Unkenntnis der Aufgabe, die sich die Patentinhaberin gestellt hatte, und zumal die Druckschrift das Problem der Arbeitsplatzbelastung durch aromatische Lösungsmittel überhaupt nicht ins Auge faßt (siehe Abschnitt 6.3) - weder aus der allgemeinen Beschreibung noch aus der Anzahl der Beispiele in D1 eine Anregung zur Variation der Zusammensetzung des Lösungsmittelsystems in die eine oder andere Richtung abgeleitet werden; geschweige denn, eine Anregung, ein bestimmtes Beispiel zum Ausgangspunkt eventueller Überlegungen zu machen.
6.8.2. Die Kammer kann sich auch dem von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argument nicht verschließen, daß aus der Zusammensetzung in einem beliebigen Beispiel von D1 keinesfalls abzuleiten ist, daß unter Beibehaltung der Mengenverhältnisse aller Komponenten das darin verwendete trocknende Öl einfach durch ein anderes ersetzt werden könnte, ohne daß sich das Ergebnis ändern würde, ganz davon zu schweigen, daß sich dabei eine Lösung für die in D1 nicht angesprochene, durch das Streitpatent zu erledigende Aufgabe andeuten würde.
Angesichts der Tatsache, daß andere Öle als Leinöl ausschließlich in solchen Beispielen von D1 eingesetzt worden sind, in denen das aromatische Lösungsmittel überwiegt, erscheint ein solcher Ersatz weder erfolgversprechend noch naheliegend.
6.8.3. Diese Erkenntnis wird überdies auch dadurch gestützt, daß die, formal betrachtet, den FME in Anspruch 1 ähnlichste Substanz, die in D1 genannt ist, TME, in keinem der dortigen Beispiele eingesetzt wird. Folglich lassen sich aus den Beispielen keinerlei Schlüsse ziehen, daß diese Verbindung insbesondere unter Beibehaltung des Mengenverhältnisses zum Aromaten das Leinöl in einem bestimmten Beispiel von D1 ohne Änderung des Ergebnisses ersetzen könnte.
6.8.4. Selbst wenn man die Argumentation der Beschwerdegegnerin akzeptieren würde, daß in D1 das technische Problem einer Reduzierung der Arbeitsplatzbelastung durch Aromaten in einer Reihe von Beispielen bereits implizit gelöst worden sei, so träfe dies ausschließlich für eine einzige Verbindung zu, das nicht modifizierte Leinöl (siehe Abschnitt 6.6). Darüber hinaus bietet die Druckschrift keinerlei Anhaltspunkte, daß dies auch für ein umgeestertes Leinöl, andere trocknende Öle, deren Derivate oder TME gelten würde.
6.8.5. Bei diesen bisherigen Betrachtungen ist noch völlig außer acht gelassen worden, daß TME genau so wenig zu den gemäß Anspruch 1 einsetzbaren FME gehört wie die in D1 in Betracht gezogenen trocknenden Öle.
6.9. Im folgenden bleibt noch der zweiten Aspekt der oben formulierten und zwischen den Parteien strittigen Frage zu untersuchen, ob FME eine bloße und naheliegende Alternative zu den vorstehend genannten trocknenden Ölen bzw. zu TME darstellt, wie von der Beschwerdegegnerin auf Grundlage des zweiten Absatzes von Spalte 5 der Druckschrift D1 vorgetragen wurde.
6.9.1. Während gemäß Beschwerdeführerin die Offenbarung in diesem Absatz, worin auf Ester ungesättigter Fettsäuren als Alternative zu den davor genannten trocknenden Ölen verwiesen wird, eng zu interpretieren ist, plädiert die Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf die zweifache Verwendung der Formulierung "such as" in dieser Passage für eine breite Auslegung.
6.9.2. Als erstes sei daher der bereits oben in Abschnitt 6.6 in Fettdruck wiedergegebene genaue Wortlaut der fraglichen Passage betrachtet.
6.9.3. Daraus ist nach Überzeugung der Kammer eindeutig klar, daß das sich direkt an den Begriff "tall oil esters" anschließende Genitivattribut "of polyhydric alcohols such as glycerine or pentaerythritol or monohydric alcohols such as methyl or ethyl alcohols" sich grammatikalisch nur auf diesen Begriff "tall oil esters" beziehen kann, nicht aber auf die weiter davor stehenden "esters of ethylenically unsaturated fatty acids", denn der entscheidende Satz lautet nicht "esters of ... acids, such as tall oil esters, of polyhydric alcohols ...", sondern "esters of ... acids such as tall oil esters of polyhydric alcohols ..." (Hervorhebung zur Verdeutlichung hinzugefügt). Dies wird noch eindeutiger, wenn man nur die gemäß der Interpretation der Beschwerdegegnerin entscheidenden Satzteile mit zwei direkt aufeinander folgenden Genitivattributen betrachtet: "esters of ethylenically unsaturated fatty acids ... of polyhydric alcohols ... or monohydric alcohols ...". Darin sind nur an den kenntlich gemachten Auslassungen die folgenden, nach Vortrag der Beschwerdegegnerin beispielhaften und daher unwesentlichen Formulierungen "such as tall oil esters", "such as glycerine or pentaerythritol" und "such as methyl or ethyl alcohols" weggelassen worden. Die in dieser Interpretation der Beschwerdegegnerin enthaltene Formulierung "ethylenically unsaturated fatty acids of polyhydric alcohols or monohydric alcohols" ergibt aber im Unterschied zu "tall oil esters of polyhydric alcohols or monohydric alcohols" keinen Sinn.
6.9.4. Außerdem wird in Spalte 4, Zeilen 64/65 bereits angegeben, daß "The drying oils ... are glycerides of fatty acids ...". Ließe man die obigen grammatikalischen Gründe außer Betracht, so würde die Interpretation der Beschwerdegegnerin von Absatz 2 in Spalte 5 jedoch eine sinnlose Wiederholung dieser Definition darstellen, für die es nach Überzeugung der Kammer keine Begründung gibt. Dies wird besonders deutlich aus der Tatsache, daß die trocknenden Öle nach Spalte 4 von D1 ohnehin Glyceride sind, d. h., in Form eines der vorgeschlagenen Ester im besagten Absatz 2 der Spalte 5 vorliegen.
6.9.5. Wie bereits weiter oben erwähnt, war es unstreitig zwischen den Parteien, daß Tallöl selbst kein trocknendes Öl ist und erst auf chemischem Wege von Harzsäuren befreit werden muß, um trocknende Eigenschaften zu erreichen. Auch aus diesem Grund kann sich Absatz 2 in Spalte 5 von D1 nur auf diese spezielle Modifikation beziehen, insbesondere wenn man die unwidersprochene Aussage der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung berücksichtigt, daß nicht jeder Methylester einer Fettsäure trocknende Eigenschaften besitzt und die Umesterung eines trocknenden Öls zu einem Produkt mit verschlechterten trocknenden Eigenschaften führen kann.
6.9.6. Die Kammer ist daher zu dem Schluß gekommen, daß dieser Absatz eng auszulegen ist und keine Methylester außer Tallölmethylester als Alternative für die trocknenden Öle umfaßt.
6.10. Wie bereits weiter oben festgestellt worden ist, befaßt sich D1 nicht mit der in der Streitpatentschrift dargelegten Problematik der Arbeitsplatzbelastung in der Gießereitechnik durch aromatische Lösungsmittel.
6.11. In der Rechtsprechung ist bereits festgestellt worden (T 686/91 vom 30. Juni 1994; T 325/93 vom 11. September 1997; Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Auflage 2001, Teil I.D.3.3, Seite 119), daß zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der nächstliegende Stand der Technik nicht unter rückschauender Betrachtungsweise ausgewählt werden darf. Deshalb ist eine Druckschrift, welche die zu lösende technische Aufgabe nicht nennt oder aus der sie sich nicht zumindest (in Unkenntnis des Streitgegenstands) ableiten läßt, normalerweise nicht als nächstliegender Stand der Technik geeignet, unabhängig davon, wie viele Merkmale es mit dem Streitgegenstand gemeinsam hat. Dies ist hier der Fall und folglich stellt D1 keinen zutreffenden Stand der Technik dar, der einen korrekten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit mittels des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, der im EPA üblicherweise angewendet wird, bieten kann, denn diese Druckschrift konnte nur unter rückschauender Betrachtung bei Kenntnis des Patentgegenstands ausgewählt und zielgerichtet interpretiert werden.
6.12. Auf Grund der Offenbarung im Streitpatent und mangels gegenteiliger Ausführungen der Beschwerdegegnerin sieht die Kammer keine Gründe, von der durch die Einspruchsabteilung formulierten Aufgabe, auf die die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung hingewiesen hat, abzuweichen und ihre Lösung anzuzweifeln.
6.13. Außerdem ergibt sich aus den in den Abschnitten 6.7 bis 6.9.6. ausgeführten Gründen klar, daß von der Beschwerdegegnerin nicht überzeugend dargelegt worden ist, i) weshalb D1 die Lösung einer Aufgabe, die in dieser Druckschrift überhaupt nicht in Betracht gezogen worden ist, nahegelegt haben soll, ii) noch dazu durch eine Zusammensetzung, wie sie in Anspruch 1 des Streitpatents definiert worden ist und welche auf der Verwendung bestimmter Fettsäuremethylester (FME) beruht, die in D1 nicht offenbart worden sind.
6.14. Dieselben Gründe treffen auch auf die Ansprüche 3 bis 6, 8. und 9 zu, deren Gegenstände auf dem Einsatz derselben FME beruhen und dieselbe Aufgabe lösen.
6.15. Darüber hinaus gibt D1 keinerlei Hinweis, daß in einem Bindemittelsystem der im Streitpatent definierten Art nicht nur gemäß den vorstehend genannten Ansprüchen eine Reduzierung der Menge hochsiedender aromatischer Lösungsmittel zu erreichen ist, sondern gemäß den Ansprüchen 2 und 7 solche Lösungsmittel völlig ausgeschlossen werden können. Diese Feststellung steht auch mit der Tatsache im Einklang, daß die Beschwerdegegnerin keinen Anlaß gesehen hat, gegen die von der Einspruchsabteilung erlassene Entscheidung ihrerseits Beschwerde zu erheben.
6.16. Da die Parteien in diesem Beschwerdeverfahren keinerlei auf anderen im Einspruch zitierten Druckschriften beruhende Argumente vorgetragen haben, sieht die Kammer keine Gründe, von den Feststellungen der Einspruchsabteilung dazu in ihrer Entscheidung abzuweichen.
7. Die Kammer ist daher zu der Überzeugung gekommen, daß der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 die Bedingungen des EPÜ erfüllt.
8. In Anbetracht der Tatsache, daß Hilfsantrag 1 der Beschwerdeführerin erfolgreich ist, erübrigt sich die Befassung der Kammer mit Hilfsantrag 2.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag, eingereicht am 20. September 2000,
- eine noch daran anzupassende Beschreibung.