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T 0308/97 (Abgasreinigung/FTU) 10-11-1998
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Verfahren zur Reinigung von Gasen und Abgasen
(01) Rheinische Kalksteinwerke GmbH
(03) WALHALLA-KALK Entwicklungs- und Vertriebsgesellschaft mbH
(04) Stadt Rosenheim Stadtwerke
Erfinderische Tätigkeit - nein, naheliegende Alternative
Disclaimer - unzulässig
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 92 103 175.3 wurde das europäische Patent Nr. 0 496 432 mit 4. Ansprüchen erteilt. Das Patent wurde auf fünf Einsprüche hin von einer Einspruchsabteilung des EPA widerrufen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin. Der angefochtenen Entscheidung liegen die erteilten Patentansprüche zugrunde; Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Verwendung von feinpulvrigem Calciumhydroxid, das die oberflächenaktiven Substanzen Aktivkohle und/oder Braunkohlenherdofenkoks enthält, zur Reinigung von Gasen und Abgasen von sauer wirkenden Schadstoffen, Stickstoffoxiden, Kohlenwasserstoffen, chlorierten Kohlenwasserstoffen, wie Dioxinen, Hexachlorbenzol und Pentachlorphenol, und flüchtigen Schwermetallen, wobei dem Gas- bzw. Abgasstrom feinpulvriges Calciumhydroxid, das die oberflächenaktiven Substanzen enthält, zugesetzt wird, die Reinigung bei einer Temperatur in einem Bereich von 20 bis 400 C durchgeführt wird und das mit Schadstoffen beladene Hydroxid an Staubabscheidevorrichtungen wieder abgeschieden wird."
Die folgenden Prioritäten wurden in Anspruch genommen:
DE 3 716 566 vom 18. Mai 1987,
DE 3 815 982 vom 10. Mai 1988 und
DE 3 816 595 vom 16. Mai 1988.
II. Als Einspruchsgründe sind genannt worden:
Unzulässige Änderung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ), mangelnde Neuheit (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ) und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ).
Zur Stützung der Einsprüche wurden unter anderem die nachfolgenden Druckschriften genannt:
D1: DE-A-2 615 828
D4: Chem.-Ing.-Tech. 56 (1984) Nr. 11, Seiten 819 - 829
D5: EP-A-0 208 490
D12: Fachveranstaltung 70-904-132-7 im Haus der Technik E.V. am 16. bis 17. November 1987, Vortrag von Kurt Carlsson
D16: Technik-Wirtschaft-Umweltschutz, Karl J. Thomé-Kozmiensky, Müllverbrennung und Umwelt 2, Berlin 1987, Seiten 532 - 545
D31: ENERGIE SPEKTRUM, Dez. 1987, Seiten 20 - 24.
Im Laufe des Einspruchsverfahrens hat die Beschwerdeführerin unter anderem das folgende Dokument eingereicht:
D29: Technik-Wirtschaft-Umweltschutz, Karl J. Thomé-Kozmiensky, Müllverbrennung und Umwelt 5, Berlin 1991, Seiten 245 - 260.
D29 gehört nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht zum Stand der Technik. Es wurde von ihr gutachtlich herangezogen, um die mit dem Gegenstand des Streitpatents erzielbaren technischen Ergebnisse zu erläutern.
III. Der Widerruf wurde mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf D31 in Verbindung mit D5 begründet. In der angefochtenen Entscheidung wurde ferner ausgeführt, ein technisches Vorurteil gegen die Weiterentwicklung der sogenannten "trockenen" Rauchgasreinigung habe zumindest hinsichtlich der "konditionierten" Arbeitsweise, bei der die Rauchgase vor der Reinigung durch Zugabe von Wasser abgekühlt werden, nicht bestanden.
IV. Mit der Beschwerdebegründung wurde ein neuer Anspruch 1 als Hilfsantrag eingereicht. Der geänderte Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 nur durch den Zusatz "wobei eine Konditionierung ausgeschlossen ist". Ferner wurden neue Dokumente
D34: VGB KRAFTWERKSTECHNIK 67, Heft 12, Dez. 1987, Seiten 1176 - 1184,
D35: Müllverbrennung und Umwelt, Karl J. Thomé-Kozmiensky, Berlin 1985, Seiten 361 - 365,
D36: Technik & Betrieb, 1-2/84, Seiten 24 - 29 und
D37: Müll und Abfall, 10/84, Seiten 305 - 309
vorgelegt, um das geltend gemachte Vorurteil gegen die Weiterentwickelung des "Trockenreinigungsverfahrens" weiter zu untermauern. Zudem wurde neue Beispiele eingereicht, um zu belegen, daß auch mit aktivem Aluminiumoxid und Kieselgel die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe gelöst werden könne.
V. Während des Beschwerdeverfahrens haben die Beschwerdegegnerinnen 02 (Metallgesellschaft) und 05 (Wolfgang Endreß Kalk- und Schotterwerk) ihre Einsprüche zurückgenommen. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) 04. hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt. Die Beschwerdegegnerinnen 01 und 03 haben die Ausführungen der Beschwerdeführerin zurückgewiesen und ihre ursprünglichen Einwände gegen die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Streitpatents aufrecht erhalten.
Die Beschwerdegegnerin 03 hat außerdem die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 gegenüber D1 bestritten. Zudem hat sie die Zulässigkeit des Hilfsantrags bestritten und hierzu vorgetragen, die Änderung in Anspruch 1 sei nicht aus der ursprünglichen Anmeldung herleitbar und erfülle somit nicht die Bedingungen des Artikels 123 (2) EPÜ.
VI. Am 10. November 1998 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, während der die Entgegenhaltungen D1, D4, D5, D12, D16 und D31 ausführlich erörtert wurden. Seitens der Beschwerdeführerin wurde auch auf die Dokumente D29 und D34 bis D37 hingewiesen. Die Beschwerdeführerin hat wiederum hervorgehoben, daß gegen die Weiterentwickelung des Trockensorptionsverfahrens ein Vorurteil bestanden habe, weil in der einschlägigen Literatur die Einhaltung verschärfter Grenzwerte für die Quecksilberabscheidung durch ein Trockensorptionsverfahren als nicht machbar dargestellt worden sei. Bezüglich D12 wurde ausgeführt, daß darin höchstens angeregt werde, dem Verdampfungswasser Aktivkohle zuzugeben, nicht aber, diese mit dem Calciumhydroxid zu vermischen. Durch diese Vermischung werde jedoch ein unvorhersehbarer synergistischer Effekt erreicht, da auf einfache Weise in einem Arbeitsgang ohne Rückführung des Sorbens mit einem sehr niedrigen Verbrauch an Calciumhydroxid alle Schadstoffe bis weit unter die geltenden Grenzwerte reduziert werden könnten.
VII. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Einsprüche zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent mit dem mit der Beschwerdeschrift vom 14. April 1997 eingereichten, geänderten Anspruch 1 und den erteilten Ansprüchen 2 bis 4. aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerinnen haben beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Priorität und Stand der Technik
2.1. In der angegriffenen Entscheidung wurde festgestellt, daß für den Gegenstand der Ansprüche des Streitpatents lediglich die dritte Priorität vom 16. Mai 1988 in Anspruch genommen werden kann. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß diese Feststellung zutrifft. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten und braucht daher nicht weiter begründet zu werden. Somit gehören alle Dokumente, die vor dem 16. Mai 1988 der Öffentlichkeit zugänglich waren, zum Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2)EPÜ.
2.2. Die Entgegenhaltung D12 bezieht sich auf einen Vortrag, der am 16. oder 17. November 1987 stattgefunden hat. Das Dokument selbst trägt kein Datum. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung wurde bestritten, daß D12 zum Stand der Technik gehöre. Die Beschwerdegegnerin 03 hat eine eidestattliche Versicherung von Herrn Norbert Peschen eingereicht, worin dieser erklärt, daß der Vortrag gemäß D12 anläßlich des Seminars 70-904-132-7 am 16. bis 17. November 1987 im Haus der Technik in Essen gehalten worden sei, und daß der Vortragstext den Seminarteilnehmern in Form einer Mappe zur Verfügung gestellt wurde. Herr Dipl.-Ing. N. Peschen ist in dem der eidestattlichen Versicherung in Kopie beigefügten Teilnehmerverzeichnis als Referent aufgeführt. Die öffentliche Zugänglichkeit von D12 wurde von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht mehr bestritten. Die Kammer rechnet daher den Inhalt dieser Entgegenhaltung zum Stand der Technik.
3. Neuheit (Hauptantrag)
Keine der Entgegenhaltungen offenbart in Kombination alle Merkmale des Anspruchs 1. Die Auffassung der Beschwerdegegnerin 03, daß D1 den Gegenstand des Streitpatents vorwegnehme, kann die Kammer nicht teilen. Da der Antrag der Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen, im Ergebnis erfolgreich war, braucht auf die diesbezüglichen Argumente hier nicht eingegangen zu werden.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Gemäß Streitpatent wird bei der trockenen Abgasreinigung pulverförmiges Calciumhydroxid in den Abgasstrom eingeblasen, womit sich die schadstoffhaltigen Abgase weitestgehend reinigen lassen. Ein übliches Verfahren, insbesondere den Quecksilbergehalt eines Abgases zu vermindern, besteht gemäß Streitpatent darin, die Temperatur des Abgases durch Zugabe von Wasser so weit abzusenken, daß eine Bindung von Quecksilber an Calciumhydroxid erfolgt (Seite 2, Zeilen 5 - 15 und 41. - 43). Ein derartiges Verfahren ist aus D12 bekannt. D12 betrifft ein Rauchgasreinigungsverfahren, das auch als "Fläkt"-Verfahren bezeichnet wird, bei dem in einem CDAS-Reaktor (Conditioned Dry Absorption System), Wasserverdampfung und Löschkalkeindüsung in zwei getrennten Schritten erfolgen und die durch das Calciumhydroxid gebundenen Schadstoffe durch ein Gewebefilter abgeschieden werden. In einer Pilotanlage in der MVA Quebec wurden bei 125 C und einem stöchiometrischen Verhältnis von 1,10 Chlorwasserstoff und Schwefeldioxid mit einer Effektivität von 98 % bzw. 92% entfernt (Tabelle 4). Im gleichen Reaktor konnten bei gleicher Temperatur chlorierte Dioxine (PCDD) mit einer Effektivität von mehr als 99,9 % und Pentachlorbenzol (PCB) mit einer Effektivität von mehr als 99 % entfernt werden (Tabellen 3a und 3b). Außer Quecksilber konnten auch die Schwermetalle zu mehr als 99,9% abgeschieden werden (Tabelle 5). Um eine Quecksilberabscheidung von mindestens 98 % zu erzielen, wurde Natriumsulfid dem Verdampfungswasser zugegeben (Seite 7, unter Tabelle 5). Demgegenüber hat die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen können, daß gemäß Streitpatent eine bessere oder billigere Schadstoffabscheidung erreicht werden kann. Ausgehend von D12 sieht die Kammer deswegen die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe in der Bereitstellung einer Möglichkeit, Rauchgas mit etwa gleich gutem Ergebnis wie gemäß D12 zu reinigen, wobei auf den Einsatz von Natriumsulfid verzichtet werden kann. Die Kammer hält es im Hinblick auf die in D29 enthaltenen Resultate für glaubhaft, daß diese Aufgabe durch die im Streitpatent vorgeschlagene Verwendung von feinpulvrigem Calciumhydroxid vermischt mit Aktivkohle und/oder Braunkohlenherdofenkoks als Schadstoffabsorbens gelöst wird.
4.2. Es bleibt zu untersuchen, ob diese Lösung der bestehenden Aufgabe für den Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
D12 deutet schon an, daß der Einsatz von Natriumsulfid nicht zwingend erforderlich ist, denn es wird darin offenbart, daß eine Alternative zum Natriumsulfid Aktivkohle ist, an der das gasförmige Quecksilber absorbiert wird (Seite 7, unter Tabelle 5). D12 enthält jedoch keine Information darüber, wie die Zudosierung von Aktivkohle ausgeführt werden soll. Der Fachmann wird daher mit Hilfe seines Fachwissens versuchen, diese in D12 fehlende Angabe zu ergänzen. Er wird dabei zunächst in Betracht ziehen, die vorhandenen Einspeisemöglichkeiten in den CDAS-Reaktor zu benutzen, d. h. über die Wassereinspeisung, wie in D12 für Natriumsulfid offenbart wurde, oder über die Leitung, durch die der Löschkalk eingeblasen wird. Nichts spricht gegen die Einblasung zusammen mit dem trockenen Löschkalk. Der Fachmann wird im Gegenteil durch weitere Publikationen, die sich auf den von Fläkt Industri AB installierten CDAS-Reaktor beziehen, dazu ermutigt, diese zweite Möglichkeit in Betracht zu ziehen. So erwähnt das von der Beschwerdeführerin selbst eingeführte Dokument D34, daß die garantierte Quecksilberabscheidung erfüllt werden konnte, indem nach dem Kessel eine Anlage zum Einblasen von Natriumsulfid in die Rauchgase installiert wurde (Seite 1183, linke Spalte). Es war somit nicht nur bekannt, Natriumsulfid dem Verdampfungswasser zuzugeben, wie es D12 lehrt, sondern auch Natriumsulfid einzublasen. Weil Aktivkohle normalerweise als feinverteiltes Pulver vorliegt, liegt es nahe, dieses Pulver ebenfalls einzublasen, wenn es anstelle von Natriumsulfid verwendet werden soll. Weil im CDAS-Reaktor schon eine Vorrichtung für die Eindüsung von Kalk anwesend ist, liegt es nach Überzeugung der Kammer im Bereich fachmännischen Handelns und damit nahe, diese Vorrichtung für die Zugabe der Aktivkohle zu benutzen. Dies kann sinnvollerweise nur durchgeführt werden, wenn die Aktivkohle vorher mit dem Löschkalk vermischt wird. Aus diesem Grunde sieht die Kammer in der beanspruchten Verwendung eines Mischpulvers aus Löschkalk und Aktivkohle keine erfinderische Tätigkeit. Diese Schlußfolgerung der Kammer ist im Einklang damit, daß die kurz vor dem relevanten Prioritätsdatum veröffentlichte und das allgemeine Fachwissen zu diesem Zeitpunkt wiedergebende D16 offenbart, daß durch ein Trockensorptionsverfahren in einer Müllverbrennungsanlage die Quecksilberverminderung ohne zusätzliche Maßnahmen nicht zu verwirklichen ist und die bereits vorgeschlagene Zudosierung eines kohlenstoffhaltigen Materials zusammen mit dem Sorptionsmittel in den Abgasstrom besonders interessant erscheint (Seite 545). Um welches kohlenstoffhaltige Material es sich hierbei handelt, wird nicht erläutert. Dies ist jedoch für die hier zu beantwortende Frage, auf welche Weise der Fachmann den in D12 vorgeschlagenen Einsatz von Aktivkohle realisiert hätte, unerheblich. D16 zeigt, daß es für den Fachmann klar war, daß ein kohlenstoffhaltiges Material als zusätzliches Adsorbens für die Abtrennung von Quecksilber in einem Trockenverfahren zusammen mit dem Hauptabsorbens, d. h. Calciumhydroxid, zuzuführen ist. Auch der Umstand, daß schon beim Sprühtrockenreinigungsverfahren Aktivkohle im Gemisch mit Löschkalk zur Abscheidung von Quecksilberdampf aus den Abgasen einer Müllverbrennungsanlage eingesetzt worden ist (vgl. D5, Beispiel 1), bestätigt, daß das Auffinden dieser Art der Zugabe der Aktivkohle am Prioritätstag des Streitpatents keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte.
4.3. Bei dieser Sachlage können auch die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Beweisanzeichen, nämlich der Überwindung eines Vorurteils der Fachwelt und der Erzielung eines überraschenden synergistischen Effekts, das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.
4.4. Darüber hinaus kann sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin, daß gegen eine Weiterentwickelung des Trockensorptionsverfahrens ein Vorurteil bestand, nicht anschließen. Wenn es überhaupt jemals ein Vorurteil in dieser Richtung gegeben haben sollte, dann wäre dies spätestens mit der Veröffentlichung von D12 ausgeräumt worden. Die Dokumente D4 und D35 bis D37 sind einige Jahre vor D12 publiziert worden und können deswegen das Weiterbestehen eines Vorurteils bis zum relevanten Prioritätsdatum nicht belegen. D34, das unmittelbar nach der Verteilung von D12 publiziert wurde, räumt zwar ein, wie bereits ausgeführt, daß es ohne zusätzliche Maßnahmen beim Trockensorptionsverfahren schwierig war, die garantierte Quecksilberabscheidung zu erreichen, lehrt aber gleichzeitig, diese Schwierigkeit mit einer zusätzlichen Maßname, nämlich dem Einblasen von Natriumsulfid, zu beseitigen. D34 regt also sogar dazu an, das Trockensorptionsverfahren weiter zu entwickeln.
4.5. Auch das Argument, daß mit dem Absorbens gemäß Anspruch 1 ein synergistischer Effekt erreicht wird, ist nicht überzeugend. Das Streitpatent enthält keine Vergleichsbeispiele, die einen solchen Effekt belegen können. Auch das gutachtlich herangezogene Dokument D29 macht einen solchen Effekt nicht glaubhaft. Die gemessenen Abscheidegrade für Quecksilber beim Einsatz eines Weißkalk-Braunkohlenkoksgemisches (Tabelle 4) waren durchschnittlich niedriger als die in D12 für die gleichzeitige Anwendung von Kalk und Natriumsulfid (mindestens 98 %) angegebenen. Der stöchiometrische Faktor wurde in D29 nicht angegeben. Während der mündlichen Verhandlung wurde für eine Anlage in Berlin ein Wert von 1,2 angegeben. Auch dieser Wert ist jedoch noch nicht so gut wie der in D12 genannte Wert von 1,10 (Tabelle 4). Es ist auch nicht ersichtlich, daß die anspruchsgemäße Verwendung zu einem einfacheren Verfahren führt. Bei der Zugabe als Pulvermischung kann es wegen der Brennbarkeit der Aktivkohle leicht zu Störfällen kommen, wie D29 belegt. Es ist also kein überraschender Vorteil erkennbar, der auf eine erfinderische Tätigkeit hindeuten könnte.
4.6. Aus den dargelegten Gründen ist die Kammer der Auffassung, daß die Verwendung gemäß Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht, so daß dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben werden kann.
5. Hilfsantrag
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag enthält das zusätzliche Merkmal, daß eine Konditionierung ausgeschlossen ist. Dieses Merkmal, ein sogenannter "Disclaimer", ist jedoch nicht dem Streitpatent oder der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen, was von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten wurde. Disclaimer, die in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen keine Stütze finden, sind in Ausnahmefällen zulässig, z. B. um von der beanspruchten technischen Lehre einen bekannten Gegenstand auszuschließen, der zufälligerweise unter einen Anspruch fällt, aber mit dem der Erfindung zugrunde liegenden Konzept nichts zu tun hat. In solchen Fällen dient der Disclaimer der Herstellung der Neuheit. Dagegen kann wegen des Korrelats von Offenbarung und Erfindungsschutz nicht einer ohne das hinzugefügte Merkmal naheliegenden Lehre durch das Hinzufügen eines nicht ursprünglich offenbarten Merkmals Erfindungsqualität verliehen werden. Durch die Einführung eines Disclaimers darf die ursprünglich offenbarte Erfindung nicht geändert werden; vgl. T 170/87, Abl. EPA 1989, 441 (8.4.4 der Gründe). Im vorliegenden Fall soll der "Disclaimer" zur Abgrenzung von Entgegenhaltungen auf dem gleichen technischen Gebiet dienen und wurde nicht eingeführt, um die Neuheit herzustellen; die Neuheit war auch ohne diesen "Disclaimer" gegeben. Die Aufnahme des Disclaimers kann somit hier nur bedeuten, daß dadurch aus einem naheliegenden ein nicht naheliegender Gegenstand, also eine andere Erfindung, gemacht werden soll. Die Kammer kann sich deshalb das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Änderung betreffe kein erfindungswesentliches Merkmal, nicht zu eigen machen. Unter diesen Umständen verstößt die in Anspruch 1 vorgenommene Änderung gegen Artikel 123 (2) EPÜ und ist damit nicht zulässig.
Auch wenn die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin gefolgt wäre, daß der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, hätte sie dem Hilfsantrag nicht stattgeben können. Wie oben ausgeführt, darf durch die Einführung eines Disclaimers die ursprünglich offenbarte Erfindung nicht geändert werden. Der Verwendung nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag würde dann die gleiche Erfindung zugrundeliegen wie der Verwendung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Sie wäre daher hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit nicht anders zu beurteilen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.