T 1842/10 (Modellierverfahren/SIEMENS) 30-04-2014
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Rechnergestütztes Modellierverfahren für das Verhalten eines Stahlvolumens mit einer Volumenoberfläche
Patentierbare Erfindung - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Namensänderung keine Übertragung der Einsprechendenstellung
Sachverhalt und Anträge
I. Gegen die Erteilung des europäischen Patents Nr. 1711868 wurde, gestützt auf die Gründe gemäß Artikel 100 a) und c), Einspruch eingelegt. Der Einspruch wurde mit der am 28. Juli 2010 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung zurückgewiesen.
II. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und beantragte in der Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
III. In einer Stellungnahme zu der Beschwerde beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) unter anderem, die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage eines von sieben Hilfsanträgen aufrecht zu erhalten. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
IV. Die Kammer erließ am 20. Dezember 2013 eine Ladung zur mündlichen Verhandlung. In einer mit der Ladung einhergehenden Mitteilung nahm die Kammer in der Sache vorläufig Stellung und wies auf die in der mündlichen Verhandlung zu erörternden Punkte hin. In der Mitteilung wurde unter anderem auf die folgenden Druckschriften verwiesen:
D1: DICTRA Examples (Version 21), ohne Datum;
D2: DICTRA User's Guide (Version 21), ohne Datum;
D5: K. Greven et al., "Macroscopic Modeling of the Microstructural Evolution in Castings using Thermodynamic Formulated Phase Diagrams", in "Modeling of Casting, Welding, and Advanced Solidification Processes VIII", B.G. Thomas and C. Beckermann eds., TMS, 1998, Seiten 187 - 194; und
E1: DE 101 29 565 A1
V. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin drei Sätze von geänderten Ansprüchen gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 ein. In dem begleitenden Schreiben beantragte sie, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen (Hauptantrag) oder hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche eines der Hilfsanträge 1 bis 3 aufrecht zu erhalten.
VI. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 30. April 2014 statt.
Im Laufe der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin einen neuen Anspruchssatz mit 14 Ansprüchen vor. Sie zog alle bestehenden Anträge zurück und beantragte stattdessen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Form aufrecht zu erhalten gemäß den Ansprüchen 1 bis 14 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1711868.
Der Vorsitzende verkündete, nachdem die Debatte geschlossen worden war und die Kammer beraten hatte, die Entscheidung der Kammer.
VII. Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags lautet:
"Rechnergestütztes Modellierverfahren für das Verhalten eines Stahlvolumens (1) mit einer Volumenoberfläche,
a) wobei ein Rechner (4) anhand eines momentanen Anfangszustands (ZA) des Stahlvolumens (1) und mindestens einer über die Volumenoberfläche auf das Stahlvolumen (1) einwirkenden momentanen Einflussgröße (W) durch Lösen einer Wärmeleitungsgleichung und einer Phasenumwandlungsgleichung einen Folgezustand (ZF) des Stahlvolumens (1) ermitte1t,
b) wobei die mindestens eine Einflussgröße (W) für eine Anzahl von Flächenelementen (10) der Volumenoberfläche jeweils einen lokalen Einfluss umfasst und die loka1en Einflüsse über das jeweilige Flächenelement (10) auf das Stahlvolumen (1) einwirken,
c) wobei der Anfangszustand (ZA) und der Folgezustand (ZF) für eine Anzahl von Volumenelementen (9) des Stahlvolumens (1) jeweils lokale Anteile (p1, p2, p3) von modellierten Phasen des Stahls und eine einen lokalen Energieinhalt des Stahls beschreibende Größe (H) umfassen,
d) wobei die modellierten Phasen des Stahls Austenit und eine erste weitere Phase umfassen,
e) wobei die erste weitere Phase Ferrit oder Zementit ist,
f) wobei der Anfangszustand (ZA) und der Folgezustand (ZF) für mindestens eines der Volumenelemente (9) auch eine lokale Konzentrationsverteilung (K) mindestens eines im Stahl beweglichen Legierungselements umfassen,
g) wobei im Rahmen der Umwandlungsgleichung für das mindestens eine Volumenelement (9) ermittelt wird, welche Konzentrationen (k1, k3; k2, k4) des mindestens einen beweglichen Legierungselements beidseits einer ersten Phasengrenze (11, 12) zwischen Austenit und der ersten weiteren Phase vorliegen,
h) wobei durch Lösen eines ersten Stefan-Problems ermittelt wird, ob und wie sich die Konzentrationsverteilung (K) des mindestens einen beweglichen Legierungselements im austenitischen Bereich des betrachteten Volumenelements (9) ändert und ob und um welches Ausmaß (deltax, deltax', deltax") sich die erste Phasengrenze (11, 12) dadurch verschiebt,
i) wobei die lokalen Anteile (p1, p2, p3) der Phasen anhand einer durch das Ausmaß (deltax) der Verschiebung der ersten Phasengrenze (11, 12) bestimmten Lage der ersten Phasengrenze (11, 12) ermittelt werden,
j) wobei das Modellierverfahren online und in Echtzeit ausgeführt wird,
k) wobei der Rechner (4) anhand einer aus dem Anfangszustand (ZA) ermittelten Anfangsgröße (f) und einer gewünschten Folgegröße (f*) die Einflussgröße (W) ermittelt,
l) wobei der Rechner (4) eine Beeinflussungseinrichtung (2) derart ansteuert, dass das Stahlvolumen (1) entsprechend der ermittelten Einflussgröße (W) beeinflusst wird,
m) wobei das Modellierverfahren nach den Merkmalen a) bis l) iterativ angewendet wird und
n) wobei der Anfangszustand (ZA) jeder weiteren Iteration dem unmittelbar zuvor ermittelten Folgezustand (ZF) entspricht."
Anspruch 14 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags lautet:
"Beeinflussungseinrichtung zum Beeinflussen der Temperatur eines Stahlvolumens (1), wobei die Beeinflussungseinrichtung einen die Beeinflussungseinrichtung steuernden Rechner (4) aufweist, wobei der Rechner einen Massenspeicher (8) aufweist, in dem ein Computerprogramm (6), umfassend Programmcode-Mittel zur Durchführung aller Schritte eines Modellierverfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 13 hinterlegt ist, so dass bei Aufruf des Computerprogramms (6) von dem Rechner ein Modellierverfahren mit allen Schritten nach einem der Ansprüche 1 bis 13 ausgeführt wird."
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Gemäß der Beschwerdeschrift ist die Beschwerdeführerin die "SMS Siemag AG". Die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung war jedoch gegen die unter "SMS Demag AG" firmende Einsprechende ergangen. Diese Abweichung des Namens der Einsprechenden ist jedoch für die Zulässigkeit der Beschwerde unerheblich, denn aus der am 11. Januar 2013 von der Beschwerdeführerin eingereichten notariell beglaubigten Bescheinigung geht hervor, dass lediglich die Firma der Beschwerdeführerin geändert wurde. Folglich ist die Abweichung des Namens der Beschwerdeführerin von dem Namen der damaligen Einsprechenden lediglich durch eine Namensänderung begründet. Somit liegt entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kein Rechtsübergang der Einsprechendenstellung vor, vielmehr stand zu jedem Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens als auch des vorausgehenden Einspruchsverfahrens der Patentinhaberin dieselbe Einsprechende gegenüber, die folglich gemäß Artikel 107 EPÜ beschwerdeberechtigt ist. Die Beschwerde erfüllt daher das Erfordernis der Regel 99 (1) a) EPÜ.
1.2 Weitere Zulässigkeitsmängel sind von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht worden und für die Kammer auch nicht erkennbar. Die Beschwerde ist daher zulässig.
2. Änderung des Vorbringens - Zulässigkeit des Hauptantrags
Der Anspruchssatz des Hauptantrags wurde von der Beschwerdegegnerin erst in der mündlichen Verhandlung und somit in Bezug auf die Vorgabe des Artikels 12 (1) VOBK verspätet eingereicht. Die Kammer lässt jedoch unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK diesen Antrag in das Verfahren zu, da der Gegenstand des Anspruchs 1 ähnlich zu dem Anspruch 4 des während des Einspruchsverfahrens eingereichten Hilfsantrags 1 ist und die weiteren Änderungen als Reaktion auf die Mitteilung der Kammer angesehen werden können und keine neuen oder komplexen Fragen aufwerfen.
3. Änderungen (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)
Anspruch 1 betrifft ein Verfahren, welches im Flussdiagramm der Figur 5 der Patentschrift veranschaulicht ist. Im einzelnen beruhen die Merkmale a) bis i) auf dem Anspruch 1 in der erteilten Fassung, der mit dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 identisch ist, wobei Merkmal e) auf der Basis des Beispiels auf Seite 4, Zeilen 21 bis 25, und Seite 11, Zeilen 12 und 13 der ursprünglich eingereichten Beschreibung (verwiesen wird hier auf die veröffentlichte internationale Anmeldung Nr. WO 2005/076092) weiter eingeschränkt wurde. Die weiteren Merkmale j) bis l) beruhen auf dem ursprünglich eingereichten Anspruch 17. Die weiteren Merkmale m) und n) haben eine Grundlage in Figur 5 in der Schleife, die durch den Pfad von Schritt S21 zu Schritt S14 gebildet wird, sowie dem Schritt S21 selbst.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 13 beruhen auf den ursprünglich eingereichten und auch in dieser Fassung erteilten Ansprüchen 2 bis 13. Der weitere Anspruch 14 beruht auf den Ansprüchen 19 und 20 der erteilten Fassung (vgl. die ursprünglich eingereichten Ansprüche 19 und 20). Das Teilmerkmal "umfassend Programmcode-Mittel zur Durchführung aller Schritte eines Modellierverfahrens nach einem der Ansprüche ..." in Anspruch 14, welches nach Auffassung der Beschwerdeführerin nicht ursprünglich wörtlich offenbart ist, beruht auf dem Inhalt der Seite 10, Zeilen 15 bis 25 der veröffentlichten Anmeldung (Absatz [0031] der Patentschrift).
Folglich erfüllen die geänderten Ansprüche das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ.
Die vorgenommenen Änderungen schränken den beanspruchten Gegenstand gegenüber den erteilten Ansprüchen ein und erfüllen daher das Erfordernis des Artikels 123 (3) EPÜ.
4. Technischer Charakter (Artikel 52 (1) EPÜ)
4.1 Die Beschwerdeführerin hat in ihrem schriftlichen Vorbringen, auf das sie sich in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen bezog, dargelegt, dem beanspruchten Verfahren mangele es an technischem Charakter u.a. deshalb, weil das beanspruchte Verfahren eine mathematische Methode betreffe, bei der lediglich eine Berechnung unter vorgegebenen Randbedingungen durchgeführt werde.
4.2 Nach der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe stellvertretend Tau 258/03 "Auktionsverfahren/HITACHI", ABl. EPA 2004, 575) genügt ein Verfahren bereits dem Technizitätserfordernis, wenn es sich technischer Mittel zu seiner Durchführung bedient. Im vorliegenden Fall verleiht bereits das Merkmal, wonach das Verfahrens rechnergestützt ist, dem beanspruchten Verfahren insgesamt technischen Charakter, denn die rechnergestützte Ausführung von Verfahrensschritten impliziert, dass ein Rechner als technisches Mittel zur Durchführung des Verfahrens vorgesehen ist. Schon aus diesem Grund fällt das beanspruchte Verfahren als solches nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (2) EPÜ.
4.3 Das beanspruchte Verfahren hat zusätzlich technischen Charakter durch das Merkmal l), denn aufgrund dieses Merkmals ist der beanspruchte Gegenstand nicht lediglich auf ein rein dem Erkenntnisgewinn dienendes Modellierverfahren gerichtet, sondern betrifft ein Steuerungsverfahren für eine Einrichtung zur Beeinflussung eines Stahlvolumens entsprechend der ermittelten Einflussgröße.
4.4 Allerdings ist im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit (siehe Punkt 5 unten) zu beurteilen, welche Anspruchsmerkmale technischen Charakter hinsichtlich des beanspruchten Verfahrens aufweisen. Nur diese Merkmale können zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit beitragen (vgl. T 641/00 "Zwei Kennungen/COMVIK", ABl. EPA 2003, 352, Leitsatz I).
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5.1 E1 offenbart ein Kühlverfahren für warmgewalztes Walzgut, beispielsweise ein Stahlband (siehe Absatz [0001]), bei dem das Walzgut beim Durchlaufen einer Kühlstrecke durch die gesteuerte Zufuhr von Kühlmittel kontrolliert abgekühlt wird (siehe die Figur 1). Eine kontrollierbare Abkühlung des Stahlbands gestaltet sich schwierig, da durch das zugeführte Kühlmittel die Temperatur des Stahls zunächst zwar abgesenkt wird, jedoch infolge der momentanen Abkühlung eine Phasenumwandlung des Stahls in Gang gesetzt wird, wodurch der Stahl sich wieder lokal aufheizen kann. Zur genauen Steuerung des Abkühlprozesses ist es daher erforderlich, dass die während der Abkühlphase ablaufenden Phasenumwandlungen im Stahl möglichst exakt berücksichtigt werden (E1, Absatz [0004]).
Der Abkühlprozess wird in E1 durch ein Kühlstreckenmodell beschrieben, in dem eine Wärmeleitungsgleichung zu lösen ist. Die Wärmeleitungsgleichung enthält die Enthalpie e des Stahls als Zustandsgröße. Die Temperatur hängt sowohl von der Enthalpie als auch von dem Phasenumwandlungsgrad p des Stahls ab (Absatz [0011]). Aus der Lösung dieser Wärmeleitungsgleichung ergibt sich der erwartete zeitliche Verlauf der Temperatur T unter Berücksichtigung der gegebenen Anfangs- und Randbedingungen sowie des angenommenen Kühlmittelmengenverlaufs (vgl. den Anspruch 1 von E1 sowie den Absatz [0014]). Weiterhin wird in dem bekannten Kühlstreckenmodell der Phasenumwandlungsgrad p durch die Lösung einer weiteren Differentialgleichung, welche den Zusammenhang zwischen Phasenumwandlungsgrad p und der Enthalpie beschreibt, ermittelt (Absatz [0019]). Es ist implizit, dass die im Rahmen der Kühlstreckenmodellierung durchgeführten Berechnungen rechnergestützt durchgeführt werden. Die rechnergestützte Lösung der Gleichungen ist allgemein bekannt. Dabei wird in einem Rechenschritt aus einem vorgegebenen Anfangszustand ein Folgezustand berechnet, welcher wiederum als Anfangszustand für den nachfolgenden Rechenschritt dient. Aus Absatz [0044] ergibt sich, dass die Kühlstreckenmodellierung während des laufenden Kühlbetriebs, also "online" erfolgt. Weiterhin ergibt sich aus der Angabe, wonach infolge einer Abweichung der erwarteten Temperatur von der erfassten Temperatur das Wärmeübergangsmodell adaptiert wird, dass das Modellierverfahren in Bezug auf den Kühlprozess "in Echtzeit" ausgeführt wird.
5.2 Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von dem aus E1 bekannten Kühlverfahren zumindest durch die Merkmale f), g), h) und i), welche eine bestimmte Art der Modellierung der Phasenumwandlung unter Berücksichtigung der Konzentrationsverteilung des mindestens einen Legierungselements des Stahls festlegen. Im Gegensatz dazu wird in E1 lediglich der Phasenumwandlungsgrad, also der relative Anteil einer bestimmten Phase in einem Volumenelement, berücksichtigt, vgl. den Absatz [0040] von E1 sowie die darin genannte Stelle des zitierten Artikels.
5.3 Die unterscheidenden Merkmale haben technischen Charakter in Bezug auf das beanspruchte Verfahren. Sie dienen einem technischen Zweck, denn sie tragen dazu bei, dass die Einflussgrößen für die Steuerung eines realen Kühlprozesses ermittelt werden. Hierin liegt der grundlegende Unterschied des beanspruchten Verfahrens zu einem lediglich auf Erkenntnisgewinn ausgerichteten Modellierverfahren, welches ausschließlich der Sammlung von Erkenntnissen über das Verhalten eines realen System dient. Bei einem rein dem Erkenntnisgewinn dienenden Modellierverfahren ist die Modellierung des realen Systems lediglich eine zu erfüllende Vorgabe.
5.4 Die unterscheidenden Merkmale tragen dazu bei, das Modellierverfahren und demzufolge die Steuerung der Beeinflussungseinrichtung zu verbessern. Dies ist ausgehend von E1 die der Erfindung zugrunde liegende technische Aufgabe.
5.5 Die Kammer ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht davon überzeugt, dass dem von E1 ausgehenden Fachmann das beanspruchte Verfahren durch die Druckschrift D1 nahegelegt wird. D1 offenbart ein Rechenverfahren zur Modellierung der Phasenumwandlung von Stahl, bei dem die zeitliche Entwicklung der Konzentrationsverteilung von Kohlenstoff sowie die Lage der Phasengrenze in einem Volumenelement modelliert werden, indem innerhalb eines Volumenelements ein Stefan-Problem formuliert und iterativ gelöst wird. Insofern teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Offenbarung von D1 (vgl. den die Seiten 10 und 11 überbrückenden Absatz der Beschwerdebegründung). Jedoch setzt das in D1 beschriebene Modellierverfahren voraus, dass die Temperatur in dem betrachteten Volumenelement während der schrittweisen Lösung des Stefan-Problems konstant bleibt (vgl. auf Seite 3 im Programmkommentar "AFTER AUSTENITISATION THE SPECIMyEN HAS BEEN QUENCHED DOWN TO 1050K" sowie die Programmanweisung "set-condition global T 0 1050" auf der Seite 5). Diese Annahme steht im Widerspruch zu der in E1 bestehenden Voraussetzung, dass die Temperatur des Stahlbands nicht konstant, also im thermischen Gleichgewicht bleibt, sondern durch Zugabe eines Kühlmittels gezielt verändert wird bzw. sich aufgrund des Phasenumwandlungsgrads ändert. Auf diesen Widerspruch hat die Kammer bereits in der Mitteilung zur Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen; die Beschwerdeführerin hat sich dazu nicht weiter geäußert. Daher würde der Fachmann die Druckschrift D1 nur rückschauend, also in Kenntnis des erfindungsgemäßen Verfahrens, in Betracht ziehen. Folglich ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 für den von E1 ausgehenden Fachmann nicht durch die zusätzliche Berücksichtigung von D1 nahegelegt.
5.6 Aus denselben Gründen beruht auch die Kombination von D2 mit E1, auf die sich eine alternative Argumentation der Beschwerdeführerin stützt (vgl. die Seiten 11 und 12 der Beschwerdebegründung), auf einer rückschauenden Betrachtung und führt nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.
5.7 Auch die Druckschrift D5, unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns, führt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin den Fachmann nicht in naheliegender Weise zu dem beanspruchten Verfahren.
5.7.1 D5 beschreibt ein Verfahren zur Modellierung des Wachstums von Mikrostrukturen beim Giessen von Legierungen. Der Übergang infolge der Abkühlung von der flüssigen zur festen Phase an den sich bildenden Dentriten wird durch ein planares Mikromodell beschrieben (siehe Figur 1), welches die Wanderung der Erstarrungsfront unter Berücksichtigung der Diffusion und der Massenerhaltung der Legierungskomponenten modelliert (vgl. die Figur 2). Zur Modellierung der Wanderung der Erstarrungsfront ist daher implizit ein Stefan-Problem angesetzt und die Modellierung der Wanderung der Erstarrungsfront wird alternierend zur Modellierung der Wärmeentwicklung ("macro calculation", vgl. die Figur 3) durchgeführt.
5.7.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte sinngemäß, das in D5 beschriebene Verfahren sei mathematisch betrachtet und bezüglich der werkstoffkundlichen Modellierung dem beanspruchten Verfahren gleichwertig. Weder das betrachtete Materialsystem "Stahl" noch der Umstand, dass im angegriffenen Patent eine Phasenumwandlung von fest nach fest modelliert würde, trage zu einem wesentlichen Unterschied gegenüber der aus D5 bekannten Modellierung bei. Es sei für den Fachmann auch eine Selbstverständlichkeit, aus den Ergebnissen eines Simulationsmodells Einflussgrößen zur Beeinflussung einer Kühlvorrichtung herzuleiten.
5.7.3 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Allein aus dem Umstand, dass das aus D5 bekannte Modellverfahren geeignet ist, das Abkühlverhalten von Stahl zu simulieren, ergibt sich noch nicht in naheliegender Weise, das Modellierverfahren zur Steuerung einer Kühlstrecke einzusetzen. In D5 selbst findet sich kein Hinweis, das Modellierverfahren zu einem anderen Zweck als zum reinen Erkenntnisgewinn einzusetzen. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, es sei selbstverständlich, das Modellierverfahren gemäß D5 zur Steuerung einer Kühlstrecke heranzuziehen, beruht demzufolge auf einer rückschauenden Betrachtung.
Aus demselben Grund erachtet die Kammer, dass der Fachmann die Druckschrift D5 nur rückschauend zusammen mit E1 oder D1 in Betracht ziehen würde.
5.8 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nicht naheliegend und beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
5.9 Aus denselben Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 14 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5.10 Die weiteren Merkmale der abhängigen Ansprüche 2 bis 13 schränken das Verfahren gemäß Anspruch 1 weiter ein. Daher beruht der Gegenstand der Ansprüche 2 bis 13 aus denselben Gründen wie für Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6. Zusammenfassend steht keiner der geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 14 entgegen.
Die der Kammer vorliegende Fassung, in der das Patent aufrecht erhalten werden soll, erfüllt jedoch noch nicht alle Erfordernisse des EPÜ, u.a. ist die Einleitung der Beschreibung der Patentschrift nicht an die Ansprüche des Hauptantrags angepasst. Eine Anpassung der Beschreibung wird zweckmäßigerweise vor der ersten Instanz vorgenommen. Daher macht die Kammer von ihrer Befugnis gemäß Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Angelegenheit zurück an die erste Instanz.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geänderter Form aufrecht zu erhalten auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1-14 (Hauptantrag) und einer daran angepassten Beschreibung.