T 0918/14 02-11-2016
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FREIKOLBENVORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUR STEUERUNG UND/ODER REGELUNG EINER FREIKOLBENVORRICHTUNG
Erklärung nach Artikel 17(2) a) PCT - unvollständige Recherche
Zusätzliche Recherche
Ermessensentscheidung nach Regel 137(3) EPÜ
Schwerwiegender Verfahrensfehler (ja)
Zurückverweisung (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
1. Wegen einer Mischung aus fehlender (aber gerechtfertigter) Zusatzrecherche und vagen Hinweisen zur Patentierbarkeit von Anspruchsänderungen deren Zulassung ins Verfahren zu verweigern, überschreitet den Ermessensspielraum der Prüfungsabteilung nach Regel 137(3) EPÜ, und stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar (siehe Gründe Punkt 2.8).
2. Die Vorgehensweise einer Recherche- und Prüfungsabteilung, zunächst eine unvollständige Recherche mit nicht substantiierter Begründung zu erstellen, um daraufhin trotz Einwand und Änderungen durch die Anmelderin keine Zusatzrecherche zu neuen Anspruchssätzen durchzuführen, aber stattdessen nadelstichartig vage Einwände zur Patentierbarkeit vorzutragen, stellt bereits für sich genommen einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar (siehe Gründe Punkt 2.7).
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Anmelderin - im Folgenden nur "Beschwerdeführerin" - richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 16. Oktober 2013, die europäische Patentanmeldung Nr. 08775256.4 nach Artikel 97(2) EPÜ zurückzuweisen. Die Anmeldung beruht auf der internationalen Anmeldung PCT/EP/2008/059531 vom 21. Juli 2008. Der Eintritt in die Europäische Phase erfolgte am 18. Februar 2010. Die Beschwerdeführerin hat am 16. Januar 2014 Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 31. März 2014 eingegangen.
II. Die Prüfungsabteilung befand, dass der mit Schreiben vom 27. März 2013 neu eingereichte Anspruchssatz gegenüber dem bisher im Verfahren Vorgelegten in eine andere technische Richtung gehe und diese weitere Änderung gemäß Regel 137(3) EPÜ daher nicht mehr zugelassen werden könne. Da somit nach Auffassung der Prüfungsabteilung keine gültigen Unterlagen mehr vorlagen, hat sie die Anmeldung zurückgewiesen.
III. Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Kammer in einer telefonischen Rücksprache der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Auffassung zu den bisher vorliegenden Anträgen mitgeteilt. Mit Schreiben vom 21. Juni 2016 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag ein. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin abgesagt und das Verfahren schriftlich fortgesetzt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Anmeldung an die Prüfungsabteilung mit der Maßgabe, dass die ursprünglichen Ansprüche 2 bis 37 recherchiert werden und daran anschließend eine Sachprüfung durchgeführt wird. Darüber hinaus beantragte sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, hilfsweise die Durchführung der ursprünglich anberaumten Verhandlung vor der Kammer.
V. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, ihr vor der Prüfungsabteilung zuletzt gestellter Antrag enthalte keine unzulässigen Änderungen im Sinne von Regel 137 (3) EPÜ. Sie hat dazu im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Die Begründung der Prüfungsabteilung, wonach im PCT-Verfahren nur Anspruch 1 in allgemeiner Form recherchiert wurde, weil damals nicht ersichtlich gewesen sei, was die Beschwerdeführerin tatsächlich beabsichtigt habe, werde nicht akzeptiert. Im Übrigen gäbe es gegen die unzureichende Durchführung der Recherche des Europäischen Patentamts (als der mit der internationalen Recherche beauftragten Behörde) keinen Rechtsbehelf. Aus diesem Grund habe die Problematik bestanden, dass wesentliche Argumente der Zurückweisung der Anmeldung auf einer unzureichenden Recherche beruhten. Dies sei unakzeptabel. Darüber hinaus stimme es auch nicht, dass sich die Beschwerdeführerin für eine völlig andere (technische) Richtung entschieden habe. Zusammenfassend habe die Prüfungsabteilung jedenfalls ihren Ermessenspielraum bei der Anwendung der Regel 137(3) EPÜ überschritten. Deshalb stelle sich im vorliegenden Fall auch die Frage der Befangenheit der Prüfungsabteilung bzw. der systematischen Benachteiligung der Beschwerdeführerin durch die Prüfungsabteilung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Auffassung der Prüfungsabteilung, wonach Regel 137 (3) EPÜ der Zulassung der zuletzt in das Erteilungsverfahren eingeführten Anträge entgegensteht, vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
2.1 Die Voraussetzung, unter denen eine Anmeldung vor dem Europäischen Patentamt geändert werden kann, sind in Artikel 123 und Regel 137 EPÜ geregelt, vgl. im vorliegenden Fall PCT Kapitel I, EPA in der regionalen Phase als Bestimmungsamt tätig. Zur Anwendung kommt dabei Regel 137 EPÜ 2000 in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats CA/D 10/06 vom 7. Dezember 2006 (ABl. EPA 2007, 8), da der internationale Recherchenbericht seitens des EPA als internationale Recherchenbehörde am 8. Oktober 2008 erstellt wurde. Die neu geänderte Fassung von Regel 137 EPÜ gemäß Beschluss des Verwaltungsrats CA/D 3/09 (vgl. Artikel 2 Abs. 2) vom 25. März 2009 (ABl. EPA 2009, 299) gilt für europäische Patentanmeldungen, zu denen der europäische Recherchenbericht ab dem 1. April 2010 erstellt wurde.
2.2 Die Entscheidung, ob nach dem ersten Bescheid noch weitere Änderungen zuzulassen sind, steht nach Regel 137 (3) EPÜ im Ermessen der Prüfungsabteilung, wobei allen im jeweiligen Fall rechtserheblichen Faktoren Rechnung zu tragen ist (siehe dazu auch G 7/93, LS 1, Gründe Nr. 2.1 und 2.5; ABl. EPA 1994, 775). In die Abwägung einzubeziehen sind insbesondere das Interesse des Anmelders an einem in allen benannten Staaten rechtsbeständigen Patent und das Interesse des Europäischen Patentamts - und der Allgemeinheit - daran, das Prüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen und so Gewissheit über die Patentierbarkeit der Erfindung zu gewinnen (vgl. dazu im Einzelnen z.B.: T 937/09 vom 20. Juli 2012, Punkt 3.4 der Gründe).
2.3 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe auch G 7/93, supra, Gründe Nr. 2.6) beschränkt sich die Kompetenz zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen auf die Feststellung, dass das Ermessen entweder gar nicht ausgeübt wurde (vgl.: T 510/95 vom 19. Oktober 1995, Punkt 4 der Gründe) oder die zuständige Stelle des Amtes ihr Ermessen "nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat." (so beispielsweise: T 640/91, ABl. 1994, 918, Leitsatz 3; vgl. auch: Joos/Schmitz, in: Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl., Art 110 Rdn 70).
2.4 Nach Überzeugung der Kammer erfolgte am EPA im vorliegenden Fall eine in der Sache nicht gerechtfertigte Erstellung eines teilweisen Recherchenberichts mit unvollständiger Rechereche in der internationalen Phase. Nach dem Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA hat die Prüfungsabteilung, ihr Ermessen weitere Änderungen zuzulassen, nach Auffassung der Kammer willkürlich ausgeübt, da alle Einwände der Prüfungsabteilung bis dato auf einer rechtsfehlerhaften Mischung aus fehlender Zusatzrecherche und vagen Hinweisen zur Sachprüfung beruhten.
Deshalb konnte die Prüfungsabteilung den weiteren Änderungen in Anspruch 1 des mit 27. März 2013 zuletzt eingereichten Anspruchssatzes die Zustimmung nach Auffassung der Kammer auch nicht versagen.
2.5 Im Einzelnen folgt dies aus diesen Erwägungen:
In dem vorliegenden Fall hat das EPA als internationale Recherchenbehörde (ISA) der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. Oktober 2010 mitgeteilt, dass für die Ansprüche 2 bis 37 gemäß Artikel 17(2)a) ii) PCT kein internationaler Recherchenbericht erstellt worden sei, weil eine sinnvolle Recherche zu diesen Ansprüchen nicht habe stattfinden können (siehe Beiblatt "PCT/ISA/210" zu dem Bescheid vom 8. Oktober 2008). Im Einzelnen hat das EPA als internationale Recherchenbehörde ausgeführt, die in der Beschreibung der Anmeldung zitierten Dokumenten wie beispielsweise WO 01/45977 oder DE 43 44 915 A1 offenbarten den Gegenstand des Anspruchs 1, nämlich eine Vor(druck)kammer, die laut Beschreibung dazu diene, den Druck der Gasfeder einzustellen. Diese Vor(druck)kammer sei aber zumindest in dem ersten in der Beschreibung angegebenen Ausführungsbeispiel nicht vorhanden. Wenn es der Fall sei, dass in der Beschreibung zitierte Entgegenhaltungen gegenüber Anspruch 1 neuheitsschädlich seien, das Ausführungsbeispiel aber nicht, sei unklar, inwiefern Anspruch 1 in Betracht gezogen werden soll und somit, was der zu schützende Gegenstand sein solle. Würde man hingegen andere Aspekte außerhalb des Anspruchs 1 berücksichtigen, wie es das Ausführungsbeispiel "andeute", so "wäre Einheitlichkeit ein Problem", was zu einer noch nicht feststellbaren Anzahl an zusätzlichen Gebühren führen würde.
Nach dem Eintritt in die regionale Phase (PCT Kapitel I), mit dem die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche vorgelegt hat, hat die Prüfungsabteilung keine zusätzliche Recherche durchgeführt, sondern der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 13. Juli 2010 zunächst lediglich mitgeteilt, dass die in dem vorläufigen Bericht der internationalen Recherchenbehörde (WO-ISA) zur Patentierbarkeit genannten Mängel auch nach den entsprechenden Bestimmungen des EPÜ zu beanstanden seien. Es sei kein Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Anspruch 1 erkennbar. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 22. März 2011 erneut Änderungen an der Anmeldung vorgenommen und einen neuen Anspruchssatz mit den Ansprüchen 1 und 14 eingereicht.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Prüfungsabteilung in ihrem Bescheid vom 5. April 2011 den Einwand der mangelnden Einheitlichkeit (Artikel 82 EPÜ) der neuen Ansprüche 1 und 14 erhoben, und zwar - soweit ersichtlich - im Lichte des zum ursprünglichen Anspruch 1 im Recherchenbericht genannten Standes der Technik, etwa der WO 01/45977 oder der DE 43 44 915 A1.
Darüber hinaus geht aus Punkt 3 des Bescheids vom 5. April 2011 nicht hervor, dass zum neuen Anspruch 1 vom 22. März 2011 etwa eine zusätzliche Recherche durch die Prüfungsabteilung durchgeführt wurde. Vielmehr wird vage angedeutet, dass bei EP1398863 (in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 2 zitiert), US4454426 und GB854255 (beide im Recherchenbericht zum ursprünglichen Anspruch 1 ermittelt) der Abstand zwischen erster und zweiter Kolbenfläche "offensichtlich" höchstens 30% der gesamten Innenlänge der Kolbenaufnahme betrage, aber kein "blow-by" erwähnt sei. Es werde also in keiner Druckschrift der vom Anmelder erwähnte Vorteil (eines "blow-by") erzielt. Deshalb sei Anspruch 1 unklar (siehe spätere Prüfungsbescheide). In dem am 17. Oktober 2011 eingereichten Anspruchssatz hat die Beschwerdeführerin daraufhin Anspruch 14 gestrichen und in Anspruch 1 ein weiteres Merkmal (Wirkelement Kolbenstange) hinzugefügt.
In ihrem nachfolgenden Bescheid vom 31. Oktober 2011 hat die Prüfungsabteilung sodann darauf hingewiesen, dass (auch) dieses, dem Anspruch 1 hinzugefügte weitere Merkmal "nicht recherchiert" worden sei.
Wie bereits in den vorangegangenen Bescheiden hat die Prüfungsabteilung vielmehr auch in diesem Bescheid die fehlende Klarheit des Anspruchs 1 mit dem Argument bemängelt, durch das Merkmal, wonach der Abstand zwischen erster und zweiter Kolbenfläche höchstens 30% der gesamten Innenlänge der Kolbenaufnahme betrage, werde kein "blow-by" bewirkt. Deshalb fehlten Merkmale in Anspruch 1. Es sei daher nach wie vor unklar, welche Idee den zu schützenden Gegenstand charakterisieren solle.
Schließlich hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27. März 2013 nochmals geänderte Ansprüche - Aufnahme von Merkmalen aus dem Unteranspruch 9 in den Anspruch 1 - eingereicht. Diesen Anspruchssatz hat die Prüfungsabteilung mit der angefochtenen Entscheidung unter Berufung auf Regel 137 (3) EPÜ nicht mehr zugelassen und die Anmeldung zurückgewiesen.
Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass das Europäische Patentamt weder in der internationalen Phase als Recherchenbehörde (ISA) bei der Erstellung des Recherchenberichts, noch in der regionalen Phase als Bestimmungsamt (Eintritt nach Kapitel I PCT) mit einer Zusatzrecherche der Prüfungsabteilung, eine vollständige Recherche durchgeführt hat.
2.6 Die Gründe, aus denen die internationale Recherchenbehörde bzw. die Prüfungsabteilung die Durchführung einer vollständigen Recherche verweigert haben, erweisen sich als nicht tragfähig.
2.6.1 Die Erstellung eines Recherchenberichts kann in der internationalen Phase nach Artikel 17(2)a) PCT aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen unterbleiben, vgl. "unvollständige Recherche" nach Regel 63 EPÜ 2000 am EPA in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006.
Voraussetzung dafür ist, dass die (europäische) Patentanmeldung den vorgeschriebenen Anforderungen so wenig entspricht, dass eine "sinnvolle" Recherche nicht durchgeführt werden kann, also praktisch unmöglich ist.
2.6.2 Bei der genannten Vorschrift zur unvollständigen Recherche handelt es sich um Ausnahmetatbestände, die als solche eng auszulegen sind. Darüber hinaus ist den Umständen Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Recherche um eine gebührenpflichtige Leistung des Europäischen Patentamtes handelt, dass die Recherchengebühr schon innerhalb eines Monats nach Einreichung der Anmeldung zu entrichten ist und dass bei Nichtzahlung der Recherchengebühr die Anmeldung als zurückgenommen gilt (grundlegend zu den zum Zeitpunkt dieser Entscheidungen geltenden Regel 45 EPÜ (1973) - vgl.: T 1242/04 vom 20. Oktober 2006, ABl. 2007, 421, Gründe Punkt 8.2 und 8.3; vgl. auch: T 690/06 vom 24. April 2007, Ziffer 2 der Gründe 2).
2.6.3 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA setzt die Feststellung der Unmöglichkeit sinnvoller Ermittlungen zum Stand der Technik daher gravierende Mängel der Anmeldung voraus. Dies kann beispielsweise bei fundamentalen Klarheitsmängeln oder bei Fehlen jedweden technischen Charakters der Anmeldung angenommen werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern (ReBK), 7. Auflage, IV.B.4.1.1). Diese Rechtsprechung hat ihren Niederschlag auch in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (RiLi) gefunden (vgl. Teil B-Kapitel VIII-3, 3., Stand November 2015).
2.6.4 Wie von der Beschwerdeführerin angemerkt, gab es zum Zeitpunkt der internationalen Recherche im PCT gegen die unvollständige Recherche zunächst keinen Rechtsbehelf.
In der darauffolgenden Phase der Prüfung hingegen, im vorliegenden Fall also nach Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA als europäische Anmeldung, kann eine zusätzliche Recherche erforderlich sein. Nämlich dann, wenn die Mängel, die eine sinnvolle Recherche unmöglich gemacht und zur Erklärung nach Artikel 17(2)a) PCT geführt haben, von der Beschwerdeführerin während der Prüfung durch die Prüfungsabteilung entweder durch Änderungen beseitigt oder widerlegt werden (vgl. ReBK, 7. Auflage, IV.B.4, 4.1). Siehe hierzu die im Beiblatt "PCT/ISA/210" des internationalen Recherchenberichts im letzten Satz genannten EPA-RiLi C-VI, 8.2 (soll heißen "8.5": vgl. RiLi für die Prüfung nach dem EPÜ 1973 (Stand Juni 2005)). Siehe auch die aktuellen EPA-RiLi, Teil B Kapitel II-2, 4.2, ii) (Stand November 2015).
Die Beschwerdeführerin widerspricht der Auffassung der Prüfungsabteilung (vgl. Bescheide vom 13. Juli 2010, 31. Oktober 2011 und 4. Juli 2013), dass nur der ursprüngliche Anspruch 1 recherchiert werden konnte, weil zum Zeitpunkt der Recherche nicht ersichtlich gewesen sei, was der schützende Gegenstand sein solle, bzw. welchen Gegenstand die Beschwerdeführerin weiter verfolgen wolle.
2.6.5 Für die Frage einer zusätzlichen Recherche in der Prüfungsphase ist für die Kammer daher zu entscheiden, ob für die Ansprüche 2 bis 37 der ursprünglichen Anmeldung eine sinnvolle Recherche seitens des EPA als internationale Recherchenbehörde durchgeführt werden konnte, oder nicht.
Die Kammer stellt fest, dass der Gegenstand der internationalen Recherche die Ansprüche 1 bis 37 im Lichte der Beschreibung betraf. Anspruch 1, der sich auf eine Vordruckkammer der beanspruchten Freikolbenvorrichtung bezieht, ist unmittelbar verständlich, auch in Hinblick auf die Beschreibung. Von Mangel an Klarheit der zu recherchierenden Ansprüche, ganz zu schweigen von fundamentalen Klarheitsmängeln oder Fehlen eines technischen Charakters, kann keine Rede sein.
Soweit die Erklärung des EPA im internationalen Recherchenbericht darauf abstellt, dass ein Ausführungsbeispiel der Beschreibung nicht ohne weiteres unter Anspruch 1 fällt, mag dies zutreffen, steht der Recherche der Ansprüche 1 bis 37 aber nicht entgegen. Die Begründung im Beiblatt des Recherchenberichts zu der Unmöglichkeit sinnvoller Ermittlungen auf der Grundlage der Ansprüche 2 bis 37 ist somit für die Kammer nicht nachvollziehbar und wird von der Beschwerdeführerin daher zu Recht nicht akzeptiert.
Schließlich liegt die Behauptung im Beiblatt "PCT/ISA/210", dass Einheitlichkeit vielleicht ein Problem sein könnte, ebenfalls neben der Sache. Die Kammer vermag in der Erklärung des EPA keine Begründung zur mangelnden Einheitlichkeit zu erkennen. Ein substantiierter Einwand zur Einheitlichkeit der eingereichten Ansprüche, Artikel 17(3)a) PCT, wurde im internationalen Recherchenbericht des EPA auch nicht erhoben.
Im Ergebnis entsprechen die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 37 den Vorschriften des PCT jedenfalls soweit, dass eine sinnvolle Recherche hätte durchgeführt werden können.
2.6.6 Nach Überzeugung der Kammer hätte daher spätestens für den nach Eintritt in die regionale Phase mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 vorgelegten Anspruchssatz eine zusätzliche Recherche durch die Prüfungsabteilung erfolgen müssen. Denn die gegenüber Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale sind weder nicht-technisch noch notorisch bekannt oder unstreitig dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen (vgl. zu diesen Merkmalen: ReBK, 7. Auflage, IV.B.4, 4.1.2.; siehe insbesondere T 1515/07 vom 3. Juli 2008, Ziffer 6 der Gründe; T 690/06 vom 24. April 2007, Ziffer 2 der Gründe 2).
2.6.7 Soweit die Prüfungsabteilung stattdessen vage Einwände aus der Sachprüfung im Hinblick auf mangelnde Klarheit des Anspruchs 1 wegen fehlender Merkmale zum "blow-by" Effekt erhoben hat, entsteht nach Ansicht der Kammer der Eindruck, dass im vorliegenden Fall die Sachprüfung als Grundlage für die Recherche dient und nicht umgekehrt. Dies muss nach ständiger Rechtsprechung gerade vermieden werden (vgl.: T 1242/04 vom 20. Oktober 2006, ABl. 2007, 421, Ziffer 8.3; T 1873/06 vom 13. September 2007, Ziffer 4.2).
Mit Prüfungsbescheid vom 28. September 2012 hat die Prüfungsabteilung schließlich Dokument D7 (US 1 167 366 A) zum vermeintlichen Nachweis einer Kolbenstange, "aber nicht in Zusammenhang mit Gasmotoren" eingeführt. D7 ließe aber "vermuten...", dass "... die unteren Kammern eine Rückfederfunktion haben könnten", was dann "sehr nahe an den Gegenstand des Anspruchs 1" käme.
Zudem moniert sie erneut Klarheit: "das im Bescheid vom 05. April 2011 und nochmals im Bescheid vom 31. Oktober 2011 geschilderte Klarheitsproblem ist ... nicht gelöst".
Dieser Bescheid stellt nach Auffassung der Kammer daher weder eine vollständige Zusatzrecherche zu den am 17. Oktober 2011 eingereichten Ansprüchen dar, noch belegt er eine begonnene Sachprüfung. Stattdessen enthält er vage Vermutungen basierend auf dem explizit als nicht wirklich relevant bezeichneten Dokument D7 und erneute Klarheitseinwände zur Wirkung des "blow-by" in Anspruch 1.
2.7 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass sich die Beschwerdeführerin aufgrund der unvollständigen Recherche nach Artikel 17(2)a) PCT, und wegen der erforderlichen, aber nicht durchgeführten Zusatzreche der Prüfungsabteilung in dem Dilemma befand, in Unkenntnis des Standes der Technik Änderungen vornehmen zu müssen, die sich später als zwecklos herausstellen könnten. Dies gilt umso mehr, als die gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 1 hinzugefügten Änderungen entgegen der etablierten Rechtsprechung mit vagen Klarheitseinwänden und anderen Vermutungen zur Patentierbarkeit ohne vollständige Recherche bemängelt werden.
Von der Beschwerdeführerin konnte daher nicht erwartet werden, auf die Bescheide der Prüfungsabteilung angemessen zu reagieren bzw. vorherzusehen, in welche Richtung sich das Prüfungsverfahren entwickeln wird. Eine solche Vorgehensweise der Recherche- und Prüfungsabteilung des EPA, zunächst eine unvollständige Recherche mit offenbar nicht nachvollziehbarer, also nicht substantiierter Begründung zu erstellen, um daraufhin trotz Widerspruch der Beschwerdeführerin und Änderungen des Anspruchs 1 im Prüfungsverfahren keine Zusatzrecherche zu neuen Anspruchssätzen durchzuführen, sondern stattdessen nadelstichartig vage Einwände zur Patentierbarkeit vorzutragen, stellt aus Sicht der Kammer bereits für sich genommen einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar.
2.8 Die Entscheidung der Prüfungsabteilung, keine weiteren Anträge zuzulassen beruht auf einer willkürlichen Ermessensentscheidung und überschreitet deshalb den der Prüfungsabteilung durch Regel 137 (3) EPÜ eingeräumten Ermessensspielraum.
Im vorliegenden Fall hat die Prüfungsabteilung, wegen der rechtsfehlerhaften Mischung aus fehlender Zusatzrecherche und vagen Hinweisen zur Sachprüfung zu dem am 17. Oktober 2011 vorgelegten Anspruchssatz de facto noch nie substantiiert Stellung bezogen, siehe oben. Somit konnte auch eine Beurteilung eines objektiv geeigneten Versuchs des Anmelders zur Behebung von Mängeln nicht erfolgen.
Das pflichtgemäße Ermessen der Prüfungsabteilung nach R. 137(3) Änderungen zuzulassen oder nicht, entzieht sich folglich jeder rechtlichen und faktischen Grundlage, und wurde im vorliegenden Fall aus Sicht der Kammer daher zur Willkür.
Die Frage, ob sich die Beschwerdeführerin mit der letzten Eingabe vom 27. März 2013 - wie von der Prüfungsabteilung im Bescheid vom 4. Juli 2013 behauptet - in eine "völlig andere Richtung" entschieden hatte, ist vor diesem Hintergrund ohne Belang. Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin (unverbindliche) Angebote der Prüfungsabteilung zu persönlichen Interviews mit dem beauftragten Prüfer ablehnte, kann diesen weiteren, ebenfalls schwerwiegenden, Verfahrensfehler der Abteilung nicht heilen.
2.9 Der Vollständigkeit halber ergänzt die Kammer, dass, wenn die Prüfungsabteilung durchgehend die Auffassung vertritt, dass die erfinderische Idee der "blow-by" Wirkung in Anspruch 1 vom 22. März 2011 und 17. Oktober 2011 nicht zum Ausdruck gebracht wird, im zuletzt eingereichten Anspruch 1 vom 27. März 2013 in einer Ausführungsform offensichtlich unverändert die erfinderische Idee der "Vordruckkammer" beansprucht wird. Unbeschadet der festgestellten Mängel des Prüfungsverfahrens hat die Kammer daher Zweifel, ob sich die erfinderische Idee des Anspruchs 1 vom 27. März 2013 tatsächlich in eine "völlig andere Richtung" bewegt.
2.10 Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin wurde aus Sicht der Kammer seitens der Prüfungsabteilung gewahrt, insbesondere das in Artikel 116 (1) EPÜ verankerte Recht eines Verfahrensbeteiligten auf mündliche Verhandlung. Auch eine Befangenheit der Prüfungsabteilung oder eine systematische Benachteiligung der Beschwerdeführerin durch die Prüfungsabteilung sind für die Kammer nicht erkennbar.
2.11 Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist anzuordnen.
Durch die nicht durchgeführte Zusatzrecherche und Nicht-Zulassung des Anspruchssatzes vom 27. März 2013 haftet dem Prüfungsverfahren ein wesentlicher Verfahrensmangel an, der auch ursächlich für die Einlegung der Beschwerde war.
Es entspricht daher nach Ansicht der Kammer der Billigkeit, die Beschwerdegebühr gemäß Regel 103(1) EPÜ zurückzuzahlen.
2.12 Aus den vorstehenden Gründen hält es die Kammer für geboten, die Angelegenheit zur Fortsetzung des Verfahrens, beginnend mit einer zusätzlichen Recherche der ursprünglichen Ansprüche 2 bis 37 und nachfolgender Sachprüfung, gemäß Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens, beginnend mit einer zusätzlichen Recherche der ursprünglichen Ansprüche 2 bis 37 und nachfolgender Sachprüfung, an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.