T 1382/20 11-07-2023
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DEHNFUGEN-ÜBERBRÜCKUNGSVORRICHTUNG
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen "Hilfsantrag A" die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Am 11. Juli 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge B, C oder D.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet mit hinzugefügten Markierungen, nämlich
- Gliederung mit Merkmalsbezeichnungen
- Unterstreichen der Änderungen gegenüber dem ursprünglich eingereichten unabhängigen Anspruch 20 und
- Hinterlegung in Grau eines im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 nicht enthaltenen Merkmals,
wie folgt:
"[M1] Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung (1) in Form eines Lamellen-Fahrbahnübergangs (2), welcher eine zwischen zwei Bauwerksteilen (3) eines befahrbaren Bauwerks bestehende Dehnfuge (4) überbrückt, mit den folgenden Merkmalen:
[M2] - die Dehnfuge (4) wird von mindestens zwei
Traversen (5) überspannt, welche sich an beiden Bauwerksteilen (3) lasttragend abstützen, wobei [M3] mindestens eine der lasttragenden Abstützungen (6) eine Verschiebebewegung der jeweiligen Traverse (5) relativ zu dem betreffenden Bauwerksteil (3) gestattet;
[M4] - an den Traversen (5) stützt sich mindestens eine oberhalb der Traversen (5) angeordnete Lamelle (11) relativ zu den Traversen (5) verschiebbar ab, wobei im Falle mehrerer Lamellen diese relativ zu den Traversen sowie relativ zueinander verschiebbar und zueinander parallel orientiert sind;
gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
[M5] - zumindest im Wesentlichen parallel zu der mindestens einen Lamelle (11), im Falle mehrerer Lamellen (11) zwischen zwei von ihnen, ist eine mit keinem der Bauwerksteile (3) fest verbundene Überlast-Sicherungseinrichtung (17) vorgesehen;
[M6] - die Überlast-Sicherungseinrichtung (17) umfasst zwei zueinander beabstandete, sich auf den Traversen (5) abstützende Stützprofile (18) und [M7] ein den Spalt (S) zwischen den Stützprofilen (18) überbrückendes Füllprofil (32);
[M8] - zwischen den beiden Stützprofilen (19) [sic] wirkt wenigstens eine deren relative Lage zueinander sichernde Fixiereinrichtung (31, 49);
[M9] - die Fixiereinrichtung (31, 49) gibt bei Überschreiten eines Schwellenwerts für die auf die beiden Stützprofile (18) im Sinne von deren Annäherung wirkende Kraft die Lagesicherung dergestalt frei, dass [M10] die beiden Stützprofile (18), unter Verdrängung des Füllprofils (32) nach oben aus dem Spalt (S) heraus, aufeinander zu bewegbar sind."
Der abhängige Anspruch 5 des Hauptantrags lautet: "Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung 81) nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass eine dichtende Auflage (58) der Randbereiche (59) des Füllprofils (32) auf den Stützbereichen (29) der Stützprofile (18) vorgesehen ist."
Der abhängige Anspruch 10 des Hauptantrags lautet: "Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung (1) nach Anspruch l, dadurch gekennzeichnet, dass die Überlast-Sicherheitseinrichtung [sic] (17) zwischen im Wesentlichen gleich vielen Lamellen (11) vorgesehen ist."
Der abhängige Anspruch 16 des Hauptantrags lautet: "Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Stützprofile (18) gegenüber den benachbarten Lamellen (11) mittels verformbarer Dichtungsbahnen (12) abgedichtet sind."
V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgende Entgegenhaltung Bezug genommen:
E1: EP 2 718 501 B1
E2: WO 01/98599 A1
E3: JP 2003-64 778 A
E3': englische Übersetzung der E3
E4: WO 2008/071386 A 1
E5: JP 2005-350854 A
E5': englische Übersetzung der E5
V1, V1.1-V1.5: Konvolut offenkundige Vorbenutzung "Ashgabat"
Auszug aus Duden, "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", Band 6, 1981, Seite 2703
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
Sowohl der unabhängige Anspruch 1 als auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 19 gingen über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Hauptantrag - Klarheit
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 19 seien unklar (Artikel 84 EPÜ).
Hauptantrag - Ausführbarkeit
Der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 5, 10 und 16 sei nicht ausführbar und verstoße daher gegen Artikel 83 EPÜ.
Hauptantrag - Neuheit
E1, welche zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ gehöre, offenbare alle Merkmale von Anspruch 1. Die Eingabe vom 21. Juni 2023 enthalte lediglich eine Verfeinerung und Veranschaulichung des bisherigen Vorbringens hierzu und sei deshalb zu berücksichtigen. Der von der Beschwerdegegnerin erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug aus dem Wörterbuch Duden solle dagegen nicht berücksichtigt werden.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei weiterhin auch gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung V1 nicht neu.
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von E4 in Verbindung mit E2 oder E3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe auch ausgehend von E5 in Verbindung mit E2 oder E3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 19 sei bereits in der ursprünglichen Anmeldung offenbart und gehe daher nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Hauptantrag - Klarheit
Die behaupteten Klarheitsmängel der abhängigen Ansprüche 2 bis 19 seien gemäß G 3/14 einer Überprüfung im Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht zugänglich. Bei sinnvoller fachmännischer Auslegung sei der Gegenstand dieser Ansprüche zudem klar.
Hauptantrag - Ausführbarkeit
Der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 5, 10 und 16 sei, richtig ausgelegt, im Hinblick auf das gesamte Patent für den Fachmann ausführbar.
Hauptantrag - Neuheit
E1 offenbare nicht alle Merkmale von Anspruch 1, insbesondere nicht die Merkmale M9 und M10. Der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin aus ihrem Schreiben vom 21. Juni 2023 solle als verspätete Änderung des Beschwerdevorbringens nicht berücksichtigt werden. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug aus dem Wörterbuch Duden stelle eine Reaktion auf die Stellungnahme der Kammer zur Anspruchsauslegung und auf den dieser Auslegung widersprechenden Vortrag der Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 21. Juni 2023 dar und daher zu berücksichtigen.
Der verspätet vorgetragene Einwand mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung V1 sei aus den im schriftlichen Verfahren genannten Gründen nicht zuzulassen.
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Die verspätet substantiierten bzw. vorgetragenen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 ausgehend von E4 oder E5 in Verbindung mit E2 oder E2 seien nicht zuzulassen.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
1.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte, dass der Gegenstand von Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe, weil diese eine "mit keinem der Bauwerksteile fest verbundene" Überlast-Sicherungseinrichtung (Merkmal M5) nicht in Verbindung mit mehreren Lamellen offenbare.
1.2 Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags umfasst sowohl Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtungen mit einer (einzigen) als auch mit mehreren Lamellen. Diese beiden Varianten waren in der ursprünglich eingereichten Anmeldung in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 20 separat beansprucht. Dabei enthielt nur der auf die Variante mit einer (einzigen) Lamelle gerichtete ursprüngliche Anspruch 20 die Einschränkung, wonach die Überlast-Sicherungseinrichtung mit keinem der Bauwerksteile fest verbunden sein soll.
1.3 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, offenbart die Anmeldung jedoch für den Fachmann implizit, dass die Überlast-Sicherungseinrichtung sowohl in der Ausführung mit einer Lamelle als auch in jener mit mehreren Lamellen mit keinem der Bauwerksteile fest verbunden ist.
Gemäß Anspruch 1 befindet sich die Überlast-Sicherungseinrichtung im Fall mehrerer Lamellen zwischen zwei parallel zueinander angeordneten und gegenüber den Traversen sowie gegeneinander verschiebbaren Lamellen. Die verschiebbaren Lamellen dienen dem Ausgleich von Abstandsänderungen beim Überbrücken der Dehnungsfuge. Wäre die Überlast-Sicherungseinrichtung mit einem der Bauwerksteile fest verbunden, ergäben sich zwischen ihr und diesem Bauwerksteil keine nennenswerten Abstandsänderungen. Die zwischen der Überlast-Sicherungseinrichtung und dem mit ihr fest verbundenen Brückenteil vorhandenen verschiebbaren Lamellen wären dann überflüssig und erfüllten nicht ihren Zweck, Abstandsänderungen auszugleichen. Für den Fachmann ist daher ersichtlich, dass die Überlast-Sicherungseinrichtung auch in dem im ursprünglichen Anspruch 1 beanspruchten Fall mit mehreren Lamellen mit keinem Bauwerksteil fest verbunden sein darf (vgl. diesbezüglich auch Seite 15, erster Absatz, letzter Satz). Somit offenbart die Anmeldung bereits in der ursprünglich eingereichten Fassung auch bei Ausführungsbeispielen mit mehreren Lamellen implizit das streitige Merkmal.
Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 durch Hinzunahme von "mit keinem der Bauwerksteile fest verbundene" in Merkmal M5 nicht unzulässig erweitert.
1.4 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verstoße Anspruch 1 auch deshalb gegen Artikel 123 (2) EPÜ, weil er in Merkmal M4 verlange, dass im Falle mehrerer Lamellen diese "zueinander parallel orientiert sind", während der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 dies nur "zumindest im Wesentlichen" verlangte.
Dieser Einwand überzeugt die Kammer nicht, da eine "zumindest im Wesentlichen" parallele Orientierung auch eine (im Rahmen der gegebenen technischen Möglichkeiten hinsichtlich Messgenauigkeit und Fertigungstoleranzen bei gleichzeitiger Verschiebbarkeit) vollständig parallele Orientierung offenbart. Daher geht das Weglassen von "zumindest im Wesentlichen" nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Auf die Frage der Zulassung dieses von der Beschwerdeführerin erst in ihrem Schreiben vom 4. August 2021 vorgetragenen Einwands braucht daher nicht eingegangen zu werden.
1.5 Die Beschwerdeführerin trug vor, auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 19 seien ursprünglich nicht in Verbindung mit einer Vorrichtung mit nur einer Lamelle offenbart gewesen.
In der Tat entsprechen die Ansprüche 2 bis 19 den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 bis 19, die nur auf die Überbrückungsvorrichtung mit mehreren Lamellen gemäß dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 rückbezogen waren.
Die abstrahierten Merkmale der abhängigen Ansprüche werden im allgemeinen Teil der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung, zwischen Seite 9, zweiter Absatz, und Seite 14, vorletzter Absatz, erläutert. Auch dort beziehen sie sich zunächst auf Überbrückungsvorrichtungen mit mehreren Lamellen. Im Brückenabsatz zwischen Seite 14 und Seite 15 heißt es allerdings: "Die vorstehend erläuterten besonderen Aspekte der Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung gemäß Anspruch 1 lassen sich, ebenso wie diverse der weiterhin erläuterten bevorzugten Weiterbildungen, in entsprechender Weise auch auf Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtungen anwenden, welche [...] nur eine einzige [...] Lamelle aufweisen."
Daher war für den Fachmann offenbart, dass die Merkmale der in der Beschreibung "weiterhin erläuterten bevorzugten Weiterbildungen" gemäß den Ansprüchen 2 bis 19 in entsprechender Weise auch in Kombination mit Überbrückungsvorrichtungen mit nur einer Lamelle offenbart sind. Somit geht der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 19 gemäß dem vorliegenden Hauptantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
1.6 Insgesamt erfüllt der Hauptantrag somit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
2. Hauptantrag - Klarheit
Die Beschwerdeführerin trug vor, da der unabhängige Anspruch 1 auch Vorrichtungen mit nur einer Lamelle umfasse, ergäben sich Klarheitsmängel in den abhängigen Ansprüchen, insbesondere in den abhängigen Ansprüchen 5, 10 und 16, die wortlautgemäß eine Mehrzahl von "Lamellen" voraussetzten.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 19 des vorliegenden Hautantrags entsprechen den abhängigen Ansprüchen 3 bis 20 des erteilten Patents, von denen die Ansprüche 3 bis 16 und 18 bis 20 auf den bereits im erteilten Patent lediglich "mindestens eine" Lamelle fordernden Anspruch 1 rückbezogen waren.
Die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren vorgetragene Kombination abhängiger Ansprüche mit einer Vorrichtung mit nur einer Lamelle lag bei den abhängigen Ansprüchen 2 bis 15 und 17 bis 19 daher bereits in der erteilten Fassung des Patents vor und eventuell daraus resultierende Klarheitsmängel können somit gemäß G 3/14 (Leitsatz) im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht geprüft werden. Die zusätzlichen Änderungen an Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags gegenüber dem erteilten Anspruch 1 betreffen den Fall mehrerer Lamellen und haben daher keinen Einfluss auf diese Klarheitsmängel.
Lediglich der abhängige Anspruch 16 war als erteilter abhängiger Anspruch 17 nicht auf Anspruch 1, sondern auf den erteilten Anspruch 2 rückbezogen, der mehrere Lamellen verlangte. Der Gegenstand dieses Anspruchs, wonach "die Stützprofile gegenüber den benachbarten Lamellen mittels verformbarer Dichtbahnen abgedichtet sind", bezog sich also auf eine Vorrichtung mit mehreren Lamellen. Es kann daher geprüft werden, ob der Gegenstand von Anspruch 16, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, durch seine Bezugnahme auf mehrere Lamellen in Verbindung mit einer Vorrichtung, die auch nur eine einzige Lamelle umfassen kann, unklar ist.
Die Beschwerdegegnerin verweist auf den "Grundsatz des aus fachmännischer Sicht technisch sinnvollen Anspruchsverständnisses" - die Kammer versteht dies als Verweis auf den Vortrag der Beschwerdegegnerin zu Artikel 83 EPÜ (Beschwerdeerwiderung, Seite 10, zweiter Absatz), wonach der Fachmann verstehe, dass sich der Anspruchsgegenstand durch die Verwendung des Plural "Lamellen" nur auf den Fall einer Vorrichtung mit einer Mehrzahl von Lamellen beziehe.
Nach Ansicht der Kammer ist Anspruch 16 für den Fachmann selbst dann klar, wenn er auch eine Vorrichtung mit nur einer einzigen Lamelle umfasst. In diesem Fall ist für den Fachmann klar, dass nur diejenigen Stützprofile, die eine benachbarte Lamelle aufweisen, gegenüber ihrer jeweiligen benachbarten Lamelle mittels verformbarer Dichtungsbahnen abgedichtet sein müssen. Der Plural "Lamellen" deckt dabei sowohl den Fall ab, dass beide Stützprofile eine benachbarte Lamelle besitzen, als auch - im Sinne einer grammatikalisch nicht ganz korrekten aber für den Fachmann technisch verständlichen Kurzschreibweise - den Fall, dass die Vorrichtung nur eine einzige Lamelle aufweist.
Somit ist der Hauptantrag nicht wegen mangelnder Klarheit zu beanstanden.
3. Hauptantrag - Ausführbarkeit
Der Einwand der Beschwerdeführerin bezieht sich auf die abhängigen Ansprüche 5, 10 und 16.
3.1 Der Wortlaut von Anspruch 5 verlangt, dass "eine dichtende Auflage (58) der Randbereiche (59) des Füllprofils (32) auf den Stützbereichen (29) der Stützprofile (18) vorgesehen ist."
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin bedeute dieser Wortlaut, dass die dichtende Auflage sowohl dem Füllprofils als auch dem Stützprofil zugeordnet sei, ohne dass offenbart sei, wie dies realisierbar wäre.
Nach Ansicht der Kammer bedeutet der Genitiv "der Randbereiche des Füllprofils" aber nicht, dass die "dichtende Auflage" ein fester Bestandteil des Füllprofils sein muss, sondern nur, dass sie eine Auflage für die Randbereiche des Füllprofils bildet. Dass sie "auf" den Stützbereichen "vorgesehen" ist, bedeutet auch nicht, dass sie als fester Bestandteil der Stützprofile ausgebildet sein muss. Anspruch 5 verlangt daher lediglich ein Dichtelement, z.B. eine Gummidichtung (Absatz [0018]), das zwischen die Stützbereiche der Stützprofile und die darauf aufliegenden Randbereiche des Füllprofils eingebracht wird. Dies ist für einen Fachmann ausführbar (vgl. z.B. Figur 2).
3.2 Anspruch 10 verlangt, "dass die Überlast-Sicherheitseinrichtung [sic] zwischen im Wesentlichen gleich vielen Lamellen vorgesehen ist". Die Beschwerdeführerin trug vor, dies sei in dem vom Anspruch umfassten Fall einer Vorrichtung mit nur einer einzigen Lamelle nicht ausführbar.
Die das Merkmal von Anspruch 10 betreffende Passage in Absatz [0022] der Patentschrift führt jedoch aus: "[...] bei einer geraden Gesamtanzahl an Lamellen [befinden sich auf beiden Seiten der Stützprofile] idealerweise gleich viele Lamellen. Bei einer ungeraden Gesamtanzahl an Lamellen befindet sich dementsprechend auf einer Seite der Stützprofile eine Lamelle mehr als auf der anderen Seite."
Dies offenbart für den Fachmann, dass bei der "idealerweise" angestrebten Gleichverteilung der Lamellen auf beiden Seiten der Überlast-Sicherungseinrichtung im Fall einer ungeraden Gesamtzahl von Lamellen eine Abweichung um eine Lamelle mit umfasst ist. In der Lesart des Streitpatents fällt diese Art der Abweichung unter den zu "idealerweise" korrespondierenden Ausdruck "im Wesentlichen" in Anspruch 10. Dieses Verständnis deckt auch den Fall einer einzigen Lamelle ab: auf einer Seite der Sicherungseinrichtung befindet sich dann eine Lamelle mehr als auf der anderen Seite.
Daher ist das zusätzliche Merkmal von Anspruch 10 im Sinne von Absatz [0022] im Fall einer Vorrichtung mit nur einer Lamelle stets erfüllt und somit ausführbar.
3.3 Anspruch 16 fordert, dass "die Stützprofile gegenüber benachbarten Lamellen mittels verformbarer Dichtungsbahnen abgedichtet sind". Für die Beschwerdeführerin ist nicht ausreichend offenbart, wie dies im Fall einer Vorrichtung mit nur einer Lamelle realisierbar ist.
Die Auslegung dieses Merkmals im Fall einer Vorrichtung mit nur einer Lamelle ist bereits oben bezüglich der Klarheit dargelegt: in diesem Fall betrifft das Merkmal nur dasjenige Stützprofil, das eine benachbarte Lamelle besitzt. Wie die Abdichtung realisiert werden kann, ist in den Figuren und der Beschreibung ausreichend offenbart.
3.4 Somit erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
4. Hauptantrag - Neuheit, E1
4.1 E1 ist Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ.
4.2 Nach Ansicht der Kammer offenbart E1 (Fundstellen in E1 mit zusätzlichen Erläuterungen durch die Kammer in runden Klammern) im Ausführungsbeispiel der Figuren 1a bis 1d, das in den Absätzen [0032] bis [0041] beschrieben wird, eine:
[M1] Dehnfugen-Überbrückungsvorrichtung in Form eines Lamellen-Fahrbahnübergangs (in E1 wird statt "Lamellen" die Bezeichnung "Mittelträger" verwendet, vgl. Absatz [0007]), welcher eine zwischen zwei Bauwerksteilen eines befahrbaren Bauwerks bestehende Dehnfuge überbrückt (Absätze [0001] und [0003]), mit den folgenden Merkmalen:
[M2] die Dehnfuge wird von mindestens zwei
Traversen überspannt, welche sich an beiden Bauwerksteilen lasttragend abstützen, wobei [M3] mindestens eine der lasttragenden Abstützungen eine Verschiebebewegung der jeweiligen Traverse relativ zu dem betreffenden Bauwerksteil gestattet (die Traversen sind gegenüber beiden Bauwerksteilen verschiebbar in Traversenkästen gelagert, siehe Figuren und Absatz [0036]);
[M4] an den Traversen stützt sich mindestens eine oberhalb der Traversen angeordnete Lamelle relativ zu den Traversen verschiebbar ab (Ausführungsbeispiel der Figur 1a mit dem Merkmal von Absatz [0034], wonach auch die beiden zu den Randprofilen 5, 6 benachbarten Mittelträger 7 verschieblich auf der Traverse angeordnet sind), wobei im Falle mehrerer Lamellen (also der zwei gerade genannten, verschieblichen Lamellen) diese relativ zu den Traversen sowie relativ zueinander verschiebbar und zueinander parallel orientiert sind;
gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
[M5] zumindest im Wesentlichen parallel zu der mindestens einen Lamelle, im Falle mehrerer Lamellen zwischen zwei von ihnen, ist eine mit keinem der Bauwerksteile fest verbundene Überlast-Sicherungseinrichtung vorgesehen (die drei mittleren Lamellen, die mit den Verbindungen 9 fest an den Traversen befestigt sind, werden als die Überlast-Sicherungseinrichtung aufgefasst; die Traversen, und daher auch die Sicherheitseinrichtung, sind mit keinem der Bauwerksteile fest verbunden);
[M6] die Überlast-Sicherungseinrichtung umfasst zwei zueinander beabstandete, sich auf den Traversen abstützende Stützprofile (die beiden äußeren der drei mittleren Mittelträger 7) und [M7] ein den Spalt zwischen den Stützprofilen überbrückendes Füllprofil (der Mittelträger in der Mitte; Die Kammer ist der Ansicht, dass "überbrücken" im Sinne des Streitpatents kein vollständiges Ausfüllen oder Überdecken des Spalts meint, vgl. auch die Verwendung desselben Begriffs in Merkmal M1. Die Kammer sieht auch keine Schwierigkeiten damit, dass die "funktionsverschiedenen" Elemente, Stützprofile und Füllprofil, durch strukturell gleich aufgebaute Mittelträger gebildet werden);
[M8] zwischen den beiden Stützprofilen wirkt wenigstens eine deren relative Lage zueinander sichernde Fixiereinrichtung (die Sollbruch-Verbindungen 9 der als Stützprofile identifizierten Mittelträger);
[M9] die Fixiereinrichtung gibt bei Überschreiten eines Schwellenwerts für die auf die beiden Stützprofile im Sinne von deren Annäherung wirkende Kraft die Lagesicherung [deleted: dergestalt] frei (Absätze [0038] und [0039]; Figuren 1c und 1d)[deleted: , dass]
[deleted: [M10] die beiden Stützprofile (18) unter Verdrängung des Füllprofils (32) nach oben aus dem Spalt (S) heraus, aufeinander zu bewegbar sind].
4.3 Die Kammer ist wie die Beschwerdeführerin der Ansicht, dass sich die allgemein formulierten Merkmale aus Absatz [0023] des allgemeinen Beschreibungsteils sowie aus Anspruch 5 der E1 auch auf das spezifische Ausführungsbeispiel der Figur 1 beziehen und mit diesem zusammen offenbart sind.
Demnach "weisen die Randprofile und/oder die Mittelträger Profilanprallflächen auf, die so ausgestaltet sind, dass zumindest ein Mittelträger bei einer außerordentlichen Bewegung der Bauwerksteile nach Oben aus der Überbrückungsvorrichtung geführt wird. So können die Profilanprallflächen eines Randprofils und eines Mittelträgers bzw. benachbarter Mittelträger alternierend angeschrägt ausgeführt sein, sodass sich eine rampenartige Anprallfläche ergibt, über welche der Mittelträger bei Krafteinleitung nach Oben geführt wird" (Absatz [0023]).
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beschreibung zu dem in Figur 1d - ohne angeschrägte Anprallflächen - dargestellten Fall, wenn sich alle Mittelträger berühren, von der "maximalen Bewegung" spricht (Absatz [0039]) und dass E1 in Absatz [0016] - auch ohne Bezug zu angeschrägten Kontaktflächen - betont, "die von der Traverse bzw. den Traversen abgescherten bzw. abgerissenen Mittelträger bleiben nach Untersuchungen der Anmelderin in der Regel selbst ohne besondere Maßnahmen auf der Traverse liegen."
4.4 Zur Veranschaulichung ihres Vortrags reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 21. Juni 2023 Abbildungen in Anlehnung an Figur 1 der E1 ein, in denen schematisch die fünf Mittelträger mit durchgehend alternierend angeschrägt ausgebildeten Profilanprallflächen dargestellt sind - in zwei Varianten, je nach Wahl der Richtung der ersten Anschrägung. Zudem trug sie weitere Argumente zur Neuheit gegenüber E1 vor.
Bei diesem Vorbringenhandelt es sich nach Ansicht der Kammer teilweise um eine bloße Verfeinerung bzw. Veranschaulichung einer bereits bestehenden Argumentationslinie (siehe J 14/19, Nr. 1.8 der Gründe, letzter Satz), teils um Argumente, welche in Reaktion auf die in der vorläufigen Einschätzung der Kammer explizit thematisierte Gleichzeitigkeit der Bewegbarkeit der Stützprofile und der Verdrängung des Füllprofils nach oben aus dem Spalt heraus vorgebracht wurden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 21. Juni 2023 werden von der Kammer im Beschwerdeverfahren daher gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 berücksichtigt.
Die angesprochenen Abbildungen wurden im Original in Farbe eingereicht. Für die vorliegende Entscheidung genügt jedoch die folgende Darstellung in Anlehnung an Figur 1a der E1 in Graustufen:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
4.5 Variante A1
Im Folgenden wird zunächst die oben dargestellte und in der Verhandlung ausführlich diskutierte "Variante A1" behandelt. Darin werden gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin, wie in der Merkmalsanalyse unter Punkt 4.2 oben, die beiden äußeren Mittelträger als die beweglichen Lamellen und die mittleren drei Mittelträger als Überlast-Sicherungseinrichtung mit einem Füllprofil zwischen Stützprofilen angesehen.
Gemäß einem ersten Angriff ausgehend von der Variante A1 ("Variante A1-a") wird die die Lagesicherung zwischen den Stützprofilen bewirkende Fixiereinrichtung in den beiden Sollbruch-Verbindungen 9 der als Stützprofile identifizierten Mittelträger gesehen (wie auch in der Merkmalsanalyse unter Punkt 4.2 oben). Bei Überschreiten eines Schwellenwerts für die auf die beiden Stützprofile im Sinne von deren Annäherung wirkende Kraft versagt mindestens eine der beiden Sollbruch-Verbindungen der Stützprofile und gibt damit die Lagesicherung frei.
Dem Vortrag der Beschwerdeführerin zufolge kommen in der Folge bei einer weiteren Kompression die Profilanprallflächen der Stützprofile mit denjenigen des Füllprofils in Anschlag, woraufhin auch dessen Sollbruch-Verbindung versagt und das Füllprofil nach oben aus dem Spalt verdrängt wird.
4.6 Abgesehen von der in der vorläufigen Einschätzung der Kammer angesprochenen, aber von den Parteien nicht diskutierten Frage, ob die an den schrägen Anprallflächen in eine vertikale Zugkraft umgelenkten Kräfte überhaupt geeignet sind, die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers zu lösen, erfüllt die Vorrichtung der E1 in der "Variante A1-a" nicht die Merkmale M9 und M10 von Anspruch 1.
Diese verlangen, dass die Fixiereinrichtung die Lagesicherung der Stützprofile "dergestalt frei[gibt], dass die beiden Stützprofile, unter Verdrängung des Füllprofils nach oben aus dem Spalt heraus, aufeinander zu bewegbar sind" (Hervorhebungen durch die Kammer).
Dabei, bringt der Ausdruck "unter Verdrängung" eine Gleichzeitigkeit zwischen der Bewegbarkeit der Stützprofile und der Verdrängung des Füllprofils zum Ausdruck.
Zum Beleg dieses Verständnisses legte die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung einen Auszug aus Duden, "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", Band 6, 1981, Seite 2703, zur Präposition "unter" (Eintrag I.4.) vor, gegen dessen Zulassung sich die Beschwerdeführerin wandte. Die Kammer ließ dieses Beweismittel gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 ins Verfahren zu, weil es, wie von der Beschwerdegegnerin aufgezeigt, als Reaktion auf das mit dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 2023 vorgetragene - und von der Kammer nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 ebenfalls berücksichtigte (siehe Punkt 4.4 oben) - Bestreiten der entsprechenden Merkmalsauslegung durch die Kammer in ihrer vorläufigen Einschätzung zu werten ist. In einer solchen Konstellation liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor.
Aus dem vorgelegten Auszug aus Duden geht hervor: der mit "unter" (mit Dativ) eingeleitete Ausdruck "kennzeichnet besonders die Gleichzeitigkeit eines durch ein Verbalsubstantiv ausgedrückten Vorgangs". Dies bestätigt das Verständnis der Kammer, wonach die beanspruchte Vorrichtung so ausgestaltet sein muss, dass die Freigabe der Lagesicherung eine Bewegbarkeit bedingt, bei der gleichzeitig das Füllprofil nach oben aus dem Spalt verdrängt wird.
Dies ist bei der "Variante A1-a" jedoch nicht der Fall. Dort sind die die Stützprofile darstellenden Mittelträger nach dem Lösen der Verbindungen 9 zunächst ohne Verdrängung des Füllprofils aufeinander zu bewegbar, da ein Spalt zwischen den Stützprofilen und dem Füllprofil liegt. Die Freigabe der Lagesicherung erfolgt daher nicht "dergestalt" wie beansprucht.
Die Beschwerdeführerin wandte ein, dass sich der Anspruch an einen technischen Fachmann, nicht an einen Linguisten richte, und nach dem Verständnis des Fachmanns zu beurteilen sei. Im Streitpatent seien die in Figur 2 aufeinander aufliegenden Gleitflächen 36 und 37 zwischen den Stützprofilen und dem Füllprofil nur eine optionale Ausgestaltung, die erst im abhängigen Anspruch 7 spezifiziert sei. Zudem offenbare Absatz [0012] im Sinne einer "Öffnungsklausel", dass sich das Heraustreten des Füllprofils konstruktiv in verschiedener Weise vollziehen lasse, z.B. auch durch eine Änderung der Geometrie des Füllprofils. Die Verdrängungsbewegung des Füllprofils müsse daher nicht sofort und insbesondere nicht gleichzeitig mit der Bewegung der Stützprofile stattfinden.
Die Kammer sieht in den zitierten Passagen jedoch weder einen Widerspruch noch eine "Öffnungsklausel" zu dem klar formulierten Anspruchsmerkmal. So bedeutet die Tatsache, dass eine in den Figuren gezeigte spezielle Ausgestaltung mit aufeinander aufliegenden Gleitflächen nur optional ist, nicht, dass das Patent Varianten umfasst, bei denen eine Bewegbarkeit der Stützprofile auch ohne gleichzeitiges Verdrängen des Füllprofils stattfindet. Auch dass das Füllprofil gemäß Absatz [0012] beim Verdrängtwerden seine Geometrie ändern kann, impliziert nicht, dass das Verdrängen nicht gleichzeitig mit der Bewegung stattfindet. So kann die beispielsweise angeführte Ausführung des Füllprofils aus mehreren gelenkig miteinander verbundenen Segmenten sich durchaus dergestalt verformen, dass z.B. die Segmente unter Abwinkeln des Gelenks nach oben aus dem Spalt heraus verdrängt werden. Das Streitpatent betont dazu wiederholt, wie von der Beschwerdegegnerin mit den folgenden Zitaten aus dem Streitpatent (mit Hervorhebungen durch die Kammer) vorgetragen, gerade die Gleichzeitigkeit der Bewegbarkeit und des Verdrängens: "Das - beim Auslösen der Überlast-Sicherungseinrichtung erfolgende - Heraustreten des Füllprofils nach oben [...]" (Absatz [0012], Spalte 5, Zeilen 41 bis 45), "Bei einer solchen Bewegung wird das Füllprofil nach oben [...] verdrängt" (Absatz [0013], Spalte 6, Zeilen 3ff.) sowie "um durch die Längsbewegung de Stützprofile eine geführte Bewegung des Füllprofils nach oben zu bewirken" (Absatz [0019], Spalte 7, Zeilen 41 bis 44).
Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass sich ein Patentanspruch nicht an einen Linguisten, sondern an die Fachperson richtet. Demnach ist ein Patentanspruch nicht aus Sicht eines Linguisten und auf Grundlage einer rein linguistischen Analyse, sondern vielmehr aus Sicht der Fachperson auszulegen (vgl. T 1354/18, Nr. 7 der Gründe). Allerdings müssen bei der Bestimmung des - stets sprachlich angegebenen - technischen Anspruchsgegenstands aus fachmännischer Perspektive die geltenden Regeln der Sprachlehre ebenfalls berücksichtigt werden (vgl. T 1473/19, Nr. 4.2 der Gründe). Im vorliegenden Fall belegt der von der Beschwerdeführerin herangezogene Duden auch keine nur Linguisten geläufige Sonderbedeutung des mit der Präposition "unter" eingeleiteten Ausdrucks. Vielmehr entspricht das im Duden wiedergegebene Verständnis dieses Ausdrucks im Zusammenhang von Anspruch 1 dem geltenden allgemeinen Sprachgebrauch, an dem sich auch der fachkundige Leser eines in deutscher Sprache formulierten Anspruchs bei der Bestimmung des davon umfassten technischen Gegenstands orientiert.
Daher offenbart die E1 in der "Variante A1-a" nicht die Merkmale M9 und M10.
4.7 Die Beschwerdeführerin trug als einen weiteren Angriff ausgehend von der Variante A1 vor, die anspruchsgemäße Fixiereinrichtung könne alternativ auch in der Sollbruch-Verbindung 9 des mittleren, als Füllprofil betrachteten, Mittelträgers gesehen werden ("Variante A1-b"). Diese Verbindung stelle, wenn die Lamellen wie in Figur 1d vollständig zusammengerückt seien, eine zwischen den beiden Stützprofilen wirkende, deren relative Lage zueinander sichernde Fixiereinrichtung dar. In diesem Fall erfolge die Freigabe der Lagesicherung durch ein Versagen der Sollbruch-Verbindung dergestalt, dass die beiden Stützprofile, unter Verdrängung des Füllprofils nach oben aus dem Spalt heraus, aufeinander zu bewegbar würden.
4.8 Nach Ansicht der Kammer erfüllt die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers jedoch nicht die Anforderungen an die "Fixiereinrichtung" gemäß Merkmal M8, wonach die zwischen den beiden Stützprofilen wirkende Fixiereinrichtung deren relative Lage zueinander sichert.
Die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers sichert zunächst nur dessen relative Lage auf der Traverse, nicht aber die relative Lage der benachbarten Stützprofile, die, nachdem deren Sollbruch-Verbindungen sich gelöst haben, auf der Traverse bereits frei bewegbar sind.
Der mittlere Mittelträger verhindert zwar, solange seine Sollbruch-Verbindung intakt ist, ein weiteres Aufeinanderzubewegen der Stützprofile, wenn diese mit dem Füllprofil in Anschlag gelangt sind - dies könnte als in eine Richtung wirkende einseitige Lagesicherung aufgefasst werden. In der entgegengesetzten Richtung, im Sinne einer Entfernung der Stützprofile voneinander, sind die Stützprofile jedoch nicht durch die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers, sondern nur durch ihre nach außen hin benachbarten Mittelträger und die temporär im Sinne einer Annäherung der Bauwerksteile wirkenden externen Druckkräfte zwischen den Bauwerksteilen (z.B. verursacht durch ein Erdbeben) an einer Bewegung gehindert, und diese Kräfte stellen keine Fixiereinrichtung im Sinne des Anspruchs dar. Die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers trägt hierzu nichts bei. Daher kann die Sollbruch-Verbindung des mittleren Mittelträgers nicht als eine die relative Lage der Stützprofile zueinander sichernde Fixiereinrichtung im Sinne von Merkmal M8 betrachtet werden.
Somit offenbart die E1 auch in der "Variante A1-b" nicht alle Merkmale von Anspruch 1.
4.9 Variante A2
In der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen "Variante A2" (gemäß der unteren Abbildung 2 unter Punkt 4.4) sind die Profilanprallflächen in einer anderen Richtung angeschrägt als in der Variante A1. Dadurch kann nicht der mittlere Mittelträger nach oben verdrängt werden, sondern allenfalls dessen benachbarte Mittelträger.
Dementsprechend trug die Beschwerdeführerin exemplarisch die drei linken Mittelträger als die beanspruchte Überlast-Sicherungseinrichtung aus zwei Stützprofilen und einem Füllprofil vor.
Nach Ansicht der Kammer kann es dahingestellt bleiben, welche und wie viele der Mittelträger als die anspruchsgemäß "relativ zu den Traversen verschiebbar" abgestützten Lamellen angesehen werden, ob auch die anfangs schubfest angeordneten Mittelträger nach dem Versagen ihrer Sollbruch-Verbindung (Absätze [0014] bis [0016]) dazu zählen, und ob die vorgetragene Überlast-Sicherungseinrichtung gemäß der Variante A2, wie in Merkmal M5 verlangt, im Falle mehrerer Lamellen zwischen zwei von ihnen angeordnet ist.
Denn aus denselben Gründen wie oben bezüglich der Varianten A1-a und A1-b dargelegt, offenbart E1 auch in der Variante A2 nicht alle Merkmale von Anspruch 1: Wenn die Fixiereinrichtung in der bzw. den Sollbruch-Verbindungen der Stützprofile gesehen wird ("Variante A2-a"), geschieht das Freigeben der Lagesicherung nicht dergestalt, dass die resultierende Bewegbarkeit der Stützprofile mit dem gleichzeitigen Verdrängen des Füllprofils einhergeht (Merkmale M9 und M10, vgl. Punkt 4.6), da vor dem Verdrängen erst der Spalt zwischen den entsprechenden Mittelträgern überwunden werden muss. Wenn alternativ die Sollbruch-Verbindung des Füllprofils die Fixiereinrichtung darstellen soll ("Variante A2-b"), erfüllt diese nicht die Forderungen von Merkmal M8, weil die relative Lage der Stützprofile zueinander zunächst (falls alle Mittelträger anfangs durch Sollbruch-Verbindungen fixiert sind; Absatz [0034]) durch die beiden Sollbruch-Verbindungen der Stützprofile gesichert ist, und nach Versagen der Sollbruch-Verbindung des linken Mittelträgers (oder, falls dessen Sollbruch-Verbindung weggelassen wird; Absatz [0034]) dessen relative Lage zum anderen Stützprofil durch die Sollbruch-Verbindung des Füllprofils nur einseitig gesichert ist (vgl. die Ausführungen unter Punkt 4.8). Darüber hinaus liegt auch in der Variante A2-b beim Lösen der Sollbruch-Verbindung des Füllprofils noch ein Spalt zwischen dem Füllprofil und dem rechten Stützprofil, dem zentralen Mittelträger, vor, dessen Sollbruch-Verbindung gemäß Absatz [0039] der E1 bestehen bleibt. Somit sind auch in dieser Variante die Merkmale M9 und M10 nicht erfüllt.
Folglich offenbart E1 auch in den Varianten A2-a und A2-b nicht alle Merkmale von Anspruch 1.
4.10 Dieselben Gründe gelten entsprechend auch für die im allgemeinen Teil der Beschreibung offenbarten Gegenstände, für die vorgetragene hypothetische Ausführungsform mit nur vier Mittelträgern und für die ebenfalls vorgetragene Merkmalskombination der Ansprüche 1, 2, 5 und 7, die hinsichtlich der Fixiereinrichtung und des Aufhebens der Lagesicherung dieselbe Lehre und Merkmale offenbaren, und daher nicht die Merkmale M8 oder M9/M10 offenbaren.
4.11 Da E1 in den vorgetragenen Varianten A1 und A2 nicht alle Merkmale von Anspruch 1 offenbart, kann es dahingestellt bleiben, ob die Variante A1 und A2 sich in der oben dargestellten Weise überhaupt unmittelbar und eindeutig aus E1 ergeben, was von der Beschwerdegegnerin bestritten wurde.
4.12 In der Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin einen weiteren Einwand vor, wonach E1 auch ohne angeschrägte Profilanprallflächen neuheitsschädlich für Anspruch 1 sei. Denn ein Mittelträger könne bei einem Erdbeben aufgrund vertikal orientierter Stöße und Schwingungen bei hohen seitlichen Spannungen auch nach oben aus dem Spalt herausspringen und durch die nachrückenden Lamellen verdrängt werden. Auch diese Variante offenbart jedoch nicht die Merkmale M9 und M10, weil das derartige Herausspringen nicht wie beansprucht mit dem Freigeben der Lagesicherung und nicht mit einer Bewegbarkeit der Stützprofile verknüpft ist. Die weitere seitliche Bewegbarkeit der Stützprofile kann in diesem Fall vielmehr erst nach dem Verdrängen des Mittelträgers stattfinden. Daher offenbart E1 auch in dieser Variante kein Freigeben der Lagesicherung der Stützprofile "dergestalt" wie beansprucht.
4.13 Das zweite Ausführungsbeispiel gemäß Figur 2 der E1 weist am Rand der Überbrückungsvorrichtung eine "zusätzliche Sicherheitseinrichtung" auf. Diese ist jedoch nicht zwischen zwei Lamellen angeordnet, ist mit einem der Bauwerksteile fest verbunden und weist keine zwei zueinander beabstandeten, sich auf den Traversen abstützenden Stützprofile auf. Daher fällt auch dieses Ausführungsbeispiel nicht unter den Anspruchswortlaut.
4.14 Zusammenfassend ist der Gegenstand von Anspruch 1 folglich neu gegenüber E1.
5. Hauptantrag - Neuheit, offenkundige Vorbenutzung V1
In ihrem Schreiben vom 4. August 2021 trug die Beschwerdeführerin unter Punkt 1.6.2 erstmals im Beschwerdeverfahren einen Neuheitsangriff gegen Anspruch 1 gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung V1 vor. Ein solcher Angriff war weder Gegenstand der angefochtenen Entscheidung (Punkt 16.6.3 der Entscheidungsgründe) noch der Beschwerdebegründung und stellt daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne des Artikels 13 (1) VOBK 2020 dar. Die Beschwerdeführerin trug keine rechtfertigenden Gründe vor, weshalb sie die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreichte. Die Kammer entschied daher, diesen Einwand unberücksichtigt zu lassen.
6. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
6.1 Ausgehend von E4
6.1.1 Zur Begründung einer angeblich fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 ausgehend von E4 verwies die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung einerseits auf ihr "schriftliches Vorbringen im bisherigen Einspruchsverfahren", andererseits auf ihre in der Entscheidung und der Niederschrift dokumentierten Ausführungen.
Dieser Vortrag genügt nicht dem gemäß Artikel 12 (3) VOBK 2020 geforderten Maßstab eines substantiierten Beschwerdevorbringens. Der pauschale Verweis auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren und auf die in der angefochtenen Entscheidung abgehandelten Ausführungen führt die geltend gemachten Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel nicht ausdrücklich und im Einzelnen an. Insbesondere versäumt die Beschwerdeführerin es, anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung in dieser Hinsicht aufzuheben oder abzuändern.
6.1.2 Mit ihrem Schreiben vom 4. August 2021 legt die Beschwerdeführerin Argumente zu ihrem Angriff ausgehend von E4 in Verbindung mit E2 oder E3 nach. Darin behauptet sie, es sei für den Fachmann naheliegend "ein Füllprofil, wie es in der E2 oder E3 gezeigt wird, zwischen zwei der Mittelträger der Überbrückungsvorrichtung der E4 anzuordnen", um diese "mit Hinblick auf eine Schadensminimierung in Erdbebenfällen und dies insbesondere bei großen Bewegungen zu verbessern".
Da dieser Angriff erst im Schreiben vom 4. August 2021 von der Beschwerdeführerin substantiiert wurde, gilt er als zu diesem Zeitpunkt erstmals vorgetragen. Er stellt damit eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 13 (1) VOBK 2020 dar, deren Berücksichtigung im Ermessen der Kammer liegt.
6.1.3 Die Beschwerdeführerin trug keine rechtfertigenden Gründe für die verspätete Substantiierung des Einwands vor, bzw. gab keine Gründe an, weshalb sie die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens eingereicht hat. Die Kammer hatte in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 zudem dargelegt, weshalb sie diesen Angriff für nicht aussichtsreich hält.
6.1.4 Aus diesen Gründen ließt die Kammer den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt.
6.2 Ausgehend von E5
Erstmals in ihrem Schreiben vom 4. August 2021 trug die Beschwerdeführerin einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E5 vor. Ein solcher Einwand war nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und stellt daher eine Änderung im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK 2020 dar. Zudem handelt es sich um eine Änderung ihres mit der Beschwerdebegründung vorgetragenen Beschwerdevorbringens gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020. Die Beschwerdeführerin trug keine rechtfertigenden Gründe für das späte Vorbringen dieses Angriffs vor. Die Kammer ließ diesen Einwand daher ebenfalls unberücksichtigt.
7. Hauptantrag - Zusammenfassung
Keiner der von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren vorgetragenen und berücksichtigten Einwände steht der Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung gemäß dem vorliegenden Hauptantrag entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.