T 0043/16 22-08-2019
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VERFAHREN ZUR ERHÖHUNG DES LICHTSCHUTZFAKTORS EINER KOSMETISCHEN UND/ ODER DERMATOLOGISCHEN ZUBEREITUNG
Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 6: fehlerhafte Ausübung des Ermessens durch die Einspruchsabteilung - alle Anträge ins Beschwerdeverfahren zugelassen
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung - ja
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr. 2 034 949 widerrufen worden war.
Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Erhöhung des Lichtschutzfaktors einer kosmetischen und/oder dermatologischen Zubereitung, die mindestens einen UV-B- und/oder Breitband-Filter enthält, durch Zugabe eines UV-A-Filters während der Herstellung der Zubereitung, dadurch gekennzeichnet, dass in der fertigen kosmetischen und/oder dermatologischen Zubereitung ein Wert für das Verhältnis der Summe der Masse der UV-A-Filter zur Summe der Masse der UV-B-Filter und Breitband-Filter von mindestens 0,5 eingestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass 2-(4-Diethylamino-2-hydroxybenzoyl)-benzoesäurehexylester als einziger UV-A-Filter eingesetzt wird."
II. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Ausführbarkeit unter Artikel 100 b) EPÜ, sowie mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit unter Artikel 100 a) EPÜ angegriffen worden.
III. In ihrer Antwort auf die Einspruchsschrift vom 18. Dezember 2014 hatte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag A, sowie einen Hilfsantrag B eingereicht.
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß damaligem Hauptantrag A lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Erhöhung des Lichtschutzfaktors einer kosmetischen und/oder dermatologischen Zubereitung, die mindestens einen UV-B- und/oder Breitband-Filter enthält um mindestens 1,3 SPF-Einheiten, durch Zugabe eines UV-A-Filters während der Herstellung der Zubereitung, dadurch gekennzeichnet, dass in der fertigen kosmetischen und/oder dermatologischen Zubereitung ein Wert für das Verhältnis der Summe der Masse der UV-A-Filter zur Summe der Masse der UV-B-Filter und Breitband-Filter von 1 bis 6 eingestellt wird und das Verhältnis von SPF-Einheiten zum prozentualen Masseanteil an UV-Filtern mindestens 1 ist, dadurch gekennzeichnet, dass 2-(4-Diethylamino-2-hydroxybenzoyl)-benzoesäurehexylester als einziger UV-A-Filter eingesetzt wird."
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß damaligem Hilfsantrag B basierte auf dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag A, wobei zusätzlich die UV-B- und/oder Breitband-Filter "ausgewählt aus Ethylhexyl Triazon und Diethylhexyl Butamido Triazon" sind.
IV. Im Annex zur Ladung vom 4. März 2015 hatte die Einspruchsabteilung die Parteien darauf hingewiesen, dass nach ihrer vorläufigen Meinung die in den Ansprüchen des Hauptantrages A und des Hilfsantrages B vorgenommenen Änderungen nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ genügten, dass das beanspruchte Verfahren nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Unter Verweis auf Regel 116(1) EPÜ wurde als letztmögliches Datum zur Einreichung weiterer Eingaben der 13. August 2015 genannt.
V. Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2015 hatte die Beschwerdegegnerin weitere Einwände zur Klarheit (Artikel 84 EPÜ), zu Artikel 123(2) EPÜ, sowie zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit vorgebracht und zur Stützung ihrer Argumente weitere Druckschriften eingereicht.
VI. Mit Schriftsatz vom 28. September 2015, d.h. etwa 3 Wochen vor dem Termin der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, hatte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag, sowie die Hilfsanträge 1 bis 6 eingereicht, wobei dieser neue Hauptantrag den Ansprüchen in der erteilten Fassung entsprach, der erste und zweite Hilfsantrag den zu Beginn des Verfahrens eingereichten Anträgen entsprachen, die damals als Hauptantrag A und Hilfsantrag B bezeichnet worden waren.
VII. Noch vor der mündlichen Verhandlung, in einem Schriftsatz vom 2. Oktober 2015, rügte die Einsprechende alle im Einspruchsverfahren vorgelegten Anträge der Patentinhaberin als verspätet und beantragte, dass alle Anträge, sowie die verspätete Eingabe der Patentinhaberin, nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen werden.
VIII. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurden weder der mit Schriftsatz vom 28. September 2015 eingereichte Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 6, noch die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 7 und 8 in das Einspruchsverfahren zugelassen.
IX. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass die mit Schriftsatz vom 28. September 2015 eingereichten Anträge verspätet seien. Die erteilten Ansprüche seien erst 15 Tage vor der mündlichen Verhandlung wieder in das Verfahren eingeführt worden. Die Einsprechende habe somit nicht ausreichend Zeit gehabt, sich auf diesen Antrag vorzubereiten. Ein Rückschritt zu den Ansprüchen wie erteilt sei nicht im Sinne der Prozessökonomie. Zum Gegenstand der Hilfsanträge 1 und 2 habe die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin bereits mitgeteilt, dass diese eindeutig bzw. deutlich nicht patentierbar seien. Eine erneute Einreichung dieser Anträge sei nicht im Sinne der Prozessökonomie. Die in den Ansprüchen der Hilfsanträge 3 bis 6 vorgenommenen Änderungen bewirkten einen völlig neuen Schutzumfang, der eine Beurteilung der Patentierbarkeit zu diesem späten Zeitpunkt der Einsprechenden nicht zuzumuten sei. Zum Gegenstand der Hilfsanträge 4 bis 6 habe die Patentinhaberin auch keine separate Begründung vorgetragen. Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 7 und 8 seien identisch mit dem Hauptantrag und dem Hilfsantrag 3. Somit sei die Argumentation der Einspruchsabteilung dieselbe, wie für jene Anträge. Die Einspruchsabteilung entscheide daher, den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 8 nicht in das Einspruchsverfahren zuzulassen.
X. Zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin erneut den Hauptantrag betreffend die erteilten Ansprüche, sowie die Hilfsanträge 1 bis 6 ein, wie eingereicht vor der Einspruchsabteilung mit Schriftsatz vom 28. September 2015. Sie trug vor, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, indem sie die mit Schriftsatz vom 28. September 2015 eingereichten Anträge, sowie die beiden während der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2015 eingereichten Hilfsanträge nicht in das Verfahren zugelassen hatte. Die Anträge seien insgesamt nicht als verspätet zu werten, da der Beschwerdeführerin erst kurz vor Ablauf der Frist nach Regel 116(1) EPÜ, während ihrer Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung eine neue Eingabe der Einsprechenden zugestellt wurde. In dieser Eingabe seien erstmals Einwände zur Klarheit vorgebracht worden. Auch habe die Beschwerdegegnerin neue Argumente zur Zulässigkeit der Änderungen, neue Druckschriften und neue Argumente zur erfinderischen Tätigkeit eingereicht. Da sich somit die Sachlage geändert habe, hätte der Patentinhaberin zugestanden werden müssen, darauf zu reagieren. Das Einreichen der Änderungen sei in der kurzen noch verbleibenden Zeit bis zum Ablauf der Frist nach Regel 116(1) EPÜ nicht möglich gewesen. Da die Nichtzulassung unter anderem auf fehlende Patentierbarkeit gestützt wurde, die Patentierbarkeit jedoch nicht diskutiert worden war, sah sie ihr rechtliches Gehör verletzt.
XI. Die Beschwerdegegnerin unterstützte die in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Argumentation der Einspruchsabteilung zur Nichtzulassung der Anträge in das Einspruchsverfahren. Sie trug vor, dass das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht verletzt sei, da die Patentierbarkeit der Anträge, insbesondere die ursprüngliche Offenbarung der in den Hilfsanträgen 1 und 2 vorgenommenen Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ), diskutiert worden sei.
XII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag, hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 6, alle Anträge wie eingereicht mit Schriftsatz vom 28. September 2015.
Die Beschwerdeführerin beantragte im Weiteren die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin beantragte im Weiteren, dass die Angelegenheit nicht an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werde.
XIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 22. August 2019 wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschwerdeführerin reichte zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung erneut ihren Hauptantrag betreffend die erteilten Ansprüche, sowie die Hilfsanträge 1 bis 6 ein, die von der Einspruchsabteilung unter Verweis auf Regel 116 (2) EPÜ in das Einspruchsverfahren nicht zugelassen worden waren.
2.1 Daher hat die Kammer zu überprüfen, ob einzelne oder alle diese Anträge in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sind. Gemäß Artikel 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) kann eine Kammer das Vorbringen eines Beteiligten in das Beschwerdeverfahren zulassen, auch wenn es von der ersten Instanz als verspätet nicht zugelassen wurde. Soweit nach Artikel 12 (4) VOBK im Beschwerdeverfahren über die Zulassung von Vorbringen zu entscheiden ist, das bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu gelassen wurde, entspricht dies einer Überprüfung der auf Regel 116 EPÜ gestützten Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung.
2.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung des erstinstanzlichen Organs zu beurteilen, ob es sein Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat (siehe G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Entscheidungsgründe Punkt 2.6; T 640/91, ABl. EPA 1994, 918, Entscheidungsgründe Punkt 6.3; T 109/08, Entscheidungsgründe Punkt 4.1).
2.3 Daher wird die Kammer im Folgenden untersuchen, ob die Nichtzulassung der erneut im Beschwerdeverfahren vorgelegten Anträge von der Einspruchsabteilung nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgte, oder ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
3. Hauptantrag
3.1 Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer ersten Eingabe im Einspruchsverfahren geänderte Ansprüche eingereicht. Erst mit ihrer zweiten Eingabe im Einspruchsverfahren, mit dem Schriftsatz vom 28. September 2015, legte sie als Hauptantrag die erteilten Ansprüche vor, die sie auch im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag weiterverfolgt.
3.2 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern bedeuten zwischenzeitliche Einschränkungen des Patentbegehrens keinen ausdrücklichen Verzicht auf Teile des Patents, sondern sind nur als Formulierungsversuche anzusehen, die das Patent gegenüber Einwänden abgrenzen sollen. Es steht dem Patentinhaber jederzeit frei, wieder auf breitere Ansprüche oder auf die erteilte Fassung zurückzukehren, vorausgesetzt, es liegt kein Verfahrensmissbrauch vor (siehe T 123/85, ABl. EPA 1989, 336, Punkte 3.1.1 und 3.1.2 der Entscheidungsgründe; T 296/87, ABl. EPA 1990, 195, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 900/94, Punkt 1.6 der Entscheidungsgründe; T 1018/02, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe; T 934/02, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; T 699/00, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe; T 794/02, Punkte 1.1 bis 1.7 der Entscheidungsgründe).
3.3 Im vorliegenden Fall wurde die Rückkehr zu den erteilten Ansprüchen in der angefochtenen Entscheidung nicht als Verfahrensmissbrauch gewertet. Es sei jedoch der Einsprechenden nicht zumutbar, sich in den verbleibenden zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung erneut mit den erteilten Ansprüchen auseinanderzusetzen. In der angefochtenen Entscheidung wurde auch angeführt, dass die erneute Vorlage der erteilten Ansprüche einen Rückschritt im Verfahren darstelle und keine rechtzeitige Reaktion auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung oder auch die Eingabe der Einsprechenden vom 23. Juli 2015 darstelle.
3.4 Der Gegenstand der erteilten Ansprüche bildet den Ausgangspunkt eines jeden Einspruchsverfahrens. Auf den Gegenstand der erteilten Ansprüche beziehen sich die Einwände und die Argumente der Einsprechenden Partei, die sie in ihrer Einspruchsschrift ausführlich dargelegt hat. Weder die Einsprechende, noch die Einspruchsabteilung hatten die Unterschiede zwischen den erteilten Ansprüchen und den zwischenzeitlich vorgelegten geänderten Ansprüchen (damaliger Hauptantrag A und Hilfsantrag B) als komplex bezeichnet. Somit war der Einsprechenden durchaus zuzumuten, sich etwa zwei Wochen vor dem Termin der mündlichen Verhandlung erneut mit den erteilten Ansprüchen und mit ihrer eigenen Argumentation auseinanderzusetzen, an der sich angesichts der erteilten Ansprüche nichts geändert haben sollte.
Auch wenn die Einspruchsabteilung eine negative vorläufige Meinung zu einen Antrag geäußert hat, steht es einer Patentinhaberin frei, den betreffenden Antrag weiter zu verfolgen, wenn sie der Auffassung ist, dass die negative Meinung nicht zutreffend ist, oder sie glaubt, stichhaltige Gegenargumente vorbringen zu können. Darüber hinaus betraf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung im vorliegenden Fall andere, geänderte Ansprüche, deren Änderungen die Einspruchsabteilung nicht im Einklang mit Artikel 123(2) EPÜ erachtete. Derartige Einwände wären durch eine Rückkehr zu den erteilten Ansprüchen jedoch gegenstandslos.
3.5 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung bei der Nichtzulassung der erteilten Ansprüche gemäß Hauptantrag in das Einspruchsverfahren ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Daher lässt die Kammer den Hauptantrag der Beschwerdeführerin nach Artikel 12(4) EPÜ in das Beschwerdeverfahren zu.
4. Hilfsanträge 1 und 2
4.1 Die Einspruchsabteilung hatte in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die Hilfsanträge 1 und 2 bereits mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2014 eingereicht worden waren, damals unter der Bezeichnung Hauptantrag A und Hilfsantrag B. Damit stellten sie keine Überraschung dar. Die Einspruchsabteilung begründete die Nichtzulassung dieser Anträge damit, dass es nicht im Sinne der Prozessökonomie sei, Anträge neu einzureichen, die eindeutig bzw. deutlich nicht patentierbar seien.
4.2 Ungeachtet dessen, dass nur ein Verweis auf die deutliche, bzw. eindeutige Nicht-Patentierbarkeit von Anträgen nicht die Mindestanforderung an eine begründete Entscheidung erfüllt, sind die Hilfsanträge 1 und 2 bereits am 18. Dezember 2014 eingereicht worden. Auch wenn sie formal nach Ablauf der nach Regel 79 (1) EPÜ gesetzten Frist eingegangen sind, sind sie Gegenstand sowohl der in der Ladung zur mündlichen Verhandlung geäußerten vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung, als auch der Eingabe der Einsprechenden vom 23. Juli 2015. Daher mussten sie als faktisch in das Einspruchsverfahren zugelassen gelten.
4.3 Indem die Einspruchsabteilung diese Anträge unter Verweis auf Regel 116(2) EPÜ zu einem späteren Zeitpunkt während der mündlichen Verhandlung nicht mehr in das Einspruchsverfahren zugelassen hat, hat sie ihren Ermessensspielraum überschritten, da diese Anträge einer Ermessensentscheidung nicht mehr zugänglich waren.
4.4 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Hilfsanträge 1 und 2 unter Artikel 12(4) VOBK in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sind.
5. Hilfsanträge 3 bis 6
5.1 Die Beschwerdeführerin hatte erstmals mit Schriftsatz vom 28. September 2015 die Hilfsanträge 3 bis 6 eingereicht. Durch die Eingabe der Einsprechenden vom 23. Juli 2015 habe sich der Sachverhalt geändert, da die Einsprechende neue Einwände, zusätzliche Argumente und weitere Druckschriften eingereicht habe. Angesichts dieser geänderten Sachlage sei die verbleibende Zeit bis zum Ablauf der nach Regel 116(1) EPÜ gesetzten Frist für eine angemessene Reaktion zu kurz gewesen und eine geänderte Sachlage rechtfertige eine Zulassung von Eingaben, die erst nach Ablauf Frist zur Einreichung von Unterlagen eingereicht werden.
5.2 In der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung die Nichtzulassung des Hilfsantrages 3 damit begründet, dass Anspruch 1 gegenüber der erteilten Fassung nur zwei von vier zusätzlichen technischen Merkmale enthalte, die bereits im Anspruch 1 des Hilfsantrages B, wie eingereicht mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2014, enthalten gewesen seien. Jedoch seien zwei der technischen Merkmale des Hilfsantrages B, die unter Artikel 123(2) EPÜ angegriffen worden waren, weggelassen worden. Der durch das Weglassen von zwei technischen Merkmalen des damaligen Hilfsantrages B entstandene Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 weise daher einen anderen Schutzumfang auf. Zu einem so späten Zeitpunkt des Verfahrens sei der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) jedoch nicht zuzumuten, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Die Nichtzulassung der Hilfsanträge 4 bis 6 begründete die Einspruchsabteilung damit, dass der völlig geänderte Schutzumfang der Ansprüche zu so einem späten Zeitpunkt in der Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung der Einsprechenden nicht zuzumuten ist.
5.3 Die Kammer stellt fest, dass die Nichtzulassung der Hilfsanträge 3 bis 6 lediglich damit begründet wurde, dass der Antrag nach Regel 116(2) EPÜ verspätet eingereicht worden war. Die Einspruchsabteilung berücksichtigte nicht, dass der Antrag durch eine Änderung des Streitstoffs veranlasst war, und setzte sich in sachlicher Hinsicht nur mit Hilfsantrag 3 auseinander, indem sie feststellte, dass Anspruch 1 nur zwei von vier Merkmalen enthalte, die bereits seit der ersten Eingabe der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren bekannt waren. Hinsichtlich der Hilfsanträge 4 bis 6 setzte sie sich inhaltlich nicht erkennbar mit den geänderten Ansprüchen auseinander, bevor sie die Hilfsanträge 3 bis 6 als nicht zulässig verwarf. Die Einspruchsabteilung hat ihr Ermessen daher rein formalistisch ausgeübt.
5.4 Wie von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren eingeräumt, betreffen einige Änderungen in den Ansprüchen der Hilfsanträge 3 bis 6 den neuen Einwand der mangelnden Klarheit, den sie erstmals in ihrer Eingabe vom 23. Juli 2015 erhoben hatte.
5.5 Die Kammer ist der Auffassung, dass damit die Änderungen in den Ansprüchen der Hilfsanträge 3 bis 6 eine angemessene Antwort auf die Eingabe der Einsprechenden vom 23. Juli 2015 zu sein scheinen. Daher lässt die Kammer die Hilfsanträge 3 bis 6 in das Beschwerdeverfahren zu.
6. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
Da das Streitpatent einzig mangels zugelassener Anträge widerrufen worden ist, die Kammer indessen den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 6, welche die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28. September 2015 eingereicht hatte, in das Beschwerdeverfahren zugelassen hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Gleichwohl hat die Kammer keine Entscheidung in der ganzen Angelegenheit getroffen, da die Einspruchsabteilung zu den Fragen bezüglich der Zulässigkeit der Änderungen, der Ausführbarkeit, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit noch keine beschwerdefähige Entscheidung getroffen hat. Hierzu steht eine abschließende Prüfung der Einspruchsabteilung noch aus. Obwohl die Beschwerdegegnerin beantragte, dass diese Prüfung von der Kammer durchgeführt werde, da es sich um einen einfachen Sachverhalt handle, hält es die Kammer nicht für angezeigt, an Stelle der Einspruchsabteilung die offenen Fragen zu entscheiden, um diesbezüglich den Parteien die Möglichkeit auf eine Beschwerde vor der zweiten Instanz zu erhalten. Unter diesen Umständen verweist die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurück.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 6, alle Anträge wie eingereicht mit Schriftsatz vom 28. September 2015, werden in das Verfahren zugelassen.
3. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.