T 1958/19 21-10-2021
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Umreifungsbänder aus nachwachsenden Rohstoffen
TITAN Umreifungstechnik GmbH & Co. KG
Signode International IP Holdings LLC
vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens - Beschwerdevorbringen ist auf Argumente gerichtet, die Entscheidung zugrunde liegen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Spät eingereichte tatsachenbezogene Einwände - zugelassen (nein)
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Antrag auf Schriftsatznachlass - zurückgewiesen
Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende 02 (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die auf den 24. April 2019 datierte Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher das europäische Patent 2 484 602 im Umfang der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen aufrechterhalten wurde.
II. Der Einspruch der Beschwerdeführerin und ein weiterer Einspruch der Einsprechenden 01 als weiterer Verfahrensbeteiligten richteten sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützten sich auf die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ, sowie auf den Grund der mangelnden Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ.
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 29. April 2021 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde erfolglos sein dürfte.
IV. Mit Schriftsatz datiert auf den 15. Juli 2021 nahm die Beschwerdeführerin Stellung zu der Mitteilung der Kammer.
V. Am 21. Oktober 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Beschwerdeführerin erhob während der mündlichen Verhandlung einen Einwand nach Regel 106 EPÜ und beantragte einen Schriftsatznachlass zur Formulierung von Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer. Sowohl die Verfahrensrüge als auch der Antrag auf Schriftsatznachlass wurden dem Protokoll über die mündliche Verhandlung als Anlagen beigefügt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung erging die am Ende dieser Entscheidung wiedergegebene verfahrensabschließende Entscheidung.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) beantragte zuletzt,
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
den Widerruf des Patents, sowie
eine Fristsetzung von 14 Tagen um - im Lichte der Diskussion während der mündlichen Verhandlung - Vorlagefragen betreffend den gerügten Sachverhalt formulieren und die diesbezügliche Divergenz der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Detail weiter belegen zu können, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit neue Argumente (und nicht nur neue Tatsachen, Beweismittel und Anträge) aufgrund Artikel 12 (4) VOBK 2007 zurückgewiesen werden können und wann ein Argument als neues Argument zu betrachten ist (Schriftsatznachlass zur Formulierung von Rechtsfragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ).
VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte zuletzt,
die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung in der Fassung, die die Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend erachtete (Hauptantrag),
hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 4, die die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 22. November 2018 als Hilfsanträge 2 bis 5 eingereicht hatte.
VIII. Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 01) reichte kein Vorbringen zur Sache ein und stellte auch keinen Antrag im Beschwerdeverfahren.
IX. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
O1: JP 2001 019027 A1;
O3: JPH 11277640;
O4: Auszüge Handbuch "Poly(Lactic Acid)";
O18: JP 2009 013 434 A;
O18a: Englische Übersetzung des Dokumentes D18,
eingereicht durch die Beschwerdeführerin;
O18b: Englische Übersetzung des Dokumentes D18,
eingereicht durch die Beschwerdegegnerin;
O19: "Synthesis of Biodegradable Copolymers based
on Ethylene Vinyl Acetate and Polylactic
Acid", Moura et al.
X. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Extrudiertes und mit sich selbst verschweißbares Umreifungsband
aus einem Material, das Polymilchsäure als nachwachsenden Rohstoff enthält,
wobei die Polymilchsäure zu wenigstens 90 Gew.% aus L-Milchsäure hergestellt ist,
und der nachwachsende Rohstoff mit einem Kupplungsreagenz modifiziert ist, das ein Vinylacetatderivat ist.
XI. Der nebengeordnete Verfahrensanspruch 5 lautet:
Verfahren zu Herstellung von einem Umreifungsband gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass man wenigstens die folgenden Schritte ausführt:
a) Aufschmelzen und Extrudieren eines Materials, das nachwachsenden Rohstoff enthält, und
b) Abkühlen der Schmelze in einem Fluid, und
c) Verstrecken, Fixieren und/oder Abkühlen des erhaltenen Bandes.
XII. Der nebengeordnete Verfahrensanspruch 6 lautet:
Verfahren zum Umreifen eines Objektes mit einem Umreifungsband gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass
man das Umreifungsband um das Objekt herum anordnet, so dass das Umreifungsband zumindest an einer Stelle mit sich selbst überlappt, und
man anschließend an dieser Stelle die überlappenden Stellen des Umreifungsbandes miteinander verschweißt.
XIII. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer bedarf es keiner Wiedergabe der Hilfsanträge.
XIV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen
Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Zulassung des Hauptantrags
2.1 Die Ansprüche der aufrechterhaltenen Fassung (Hauptantrag) entsprechen den Ansprüchen des damaligen Hilfsantrags 1, der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt und von dieser in Ausübung ihres Ermessens in das Verfahren zugelassen wurde.
2.2 Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen bei der Zulassung des Hauptantrags in das Einspruchsverfahren fehlerhaft ausgeübt habe.
2.3 Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin hat die Einspruchsabteilung ihr Ermessen jedoch nicht ermessensfehlerhaft oder in unangemessener Weise ausgeübt.
2.4 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Auswahl einer einzelnen Alternative aus einem Satz von fünf alternativen Kupplungsreagenzen und Mischungen derselben nicht vorauszusehen und daher überraschend gewesen sei. Dabei sei zu beachten, dass die Auswahl einer Kupplungsreagenz willkürlich sei, denn dem Streitpatent sei nicht zu entnehmen, dass die verbliebene Kupplungsreagenz den anderen vorzuziehen sei. Bei der Vorlage des Hauptantrags habe es sich um einen Verfahrensmissbrauch gehandelt (vgl. Beschwerdebegründung, Kapitel IV.1.).
2.5 Die Einspruchsabteilung hatte sich bereits mit diesem Einwand in ihrer Entscheidung in begründeter Form auseinandergesetzt (vgl. angefochtenen Entscheidung, Seite 5, letzter Absatz, und Seite 6, Absatz 1) und dabei festgestellt, dass die Alternativen als gleichwertig beschrieben sind, was von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten wurde.
2.6 Auch die weitere Feststellung der Einspruchsabteilung, dass sich die Zahl der ursprünglichen Alternativen, nämlich fünf, in engen Grenzen hält, ist im Ergebnis zutreffend. Auch wenn der ursprünglich erteilte Anspruch 1 neben den fünf Alternativen an Kupplungsreagenzen auch Mischungen derselben beinhaltete, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, so basieren die ursprünglich beanspruchten Mischungen letztlich alle auf den fünf Alternativen der Kupplungsreagenzen, so dass die Auswahl eines der Kupplungsreagenzen weder unvorhersehbar noch besonders schwierig zu erfassen bzw. inhaltlich von besonderer Komplexität war.
2.7 Die Änderungen, die zum damaligen Hilfsantrag 1 und nunmehrigen Hauptantrag führten, stellten daher keine Überraschung dar.
2.8 Die von der Einspruchsabteilung getroffene Ermessensentscheidung beruht insoweit auf einer aus Sicht der Kammer zutreffenden Feststellung, so dass bereits deshalb nicht erkennbar ist, weshalb die Einspruchsabteilung ihr Ermessen unangemessen ausgeübt haben soll.
2.9 Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, dass der Hauptantrag nicht dem Grundsatz der "eindeutigen Gewährbarkeit" genügt habe, so dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht nach allen richtigen Kriterien ausgeübt habe, wurde in der Einspruchsverhandlung nicht vorgetragen und war daher nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.
2.10 Jedoch hat sich die Einspruchsabteilung im Ergebnis mit dem Kriterium der "Gewährbarkeit" auseinandergesetzt, da der Hauptantrag im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens zur Grundlage der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung wurde. Es ist daher nicht erkennbar, weshalb die Einspruchsabteilung ihr Ermessen insofern fehlerhaft allein auf die Kriterien der Vorhersehbarkeit und der Komplexität der Änderungen gestützt haben sollte und das Kriterium der "eindeutigen Gewährbarkeit" vollständig außer Acht gelassen hätte.
2.11 Die Kammer erkennt daher nicht, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen bei der Zulassung des damaligen Hilfsantrags 1, der dem jetzigen Hauptantrag entspricht, nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien ausgeübt hätte.
2.12 Über die oben erfolgte Überprüfung eines möglichen Überschreiten des Ermessensspielraums hinaus kann die Kammer nicht in den Freiraum der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung eingreifen (vgl. G 7/93, Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe).
2.13 Damit kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Einspruchsabteilung den Hauptantrag in ermessensfehlerfreier Weise ins Verfahren zugelassen hatte.
3. Zulassung der Einwände nach Artikel 83 EPÜ (Ausführbarkeit der Erfindung) sowie nach Artikel 54 EPÜ (Neuheit)
3.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte die Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt 5. der Entscheidungsgründe, dass die Erfindung gemäß Hauptantrag den Erfordernissen des Artikel 83 EPÜ entspricht und den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ genügt.
3.2 Dazu trägt sie in der Beschwerdebegründung vor, dass die offenbarte Erfindung gegen die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ verstoße, insbesondere weil das angegriffene Patent keine Angaben zu dem Kupplungsreagenz und der Art der Modifikation mache, für das es verwendet wird, sowie das Verfahren nach Anspruch 6 ohne Angaben von Schweißparametern nicht ausführbar sei (vgl. Beschwerdebegründung, Kapitel V.1.).
3.3 Weiter trägt sie mit mit der Beschwerdebegründung erstmalig Einwände zur mangelnden Neuheit der Ansprüche 5 und 6 gemäß Hauptantrag vor (vgl. a.a.O., Kapitel V.2.).
3.4 Die Beschwerdeführerin hatte unstreitig im Einspruchsverfahren den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ und den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) und 54 EPÜ gegen das Patent in der erteilten Fassung erhoben.
3.5 Indes hat sie beide Einwände nicht gegen den jetzigen Hauptantrag geltend gemacht, so dass diese Einwände auch nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung wurden. Auf Seite 3, Absatz 3, der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist dazu wörtlich zu entnehmen:
"Nach Unterbrechung der Verhandlung von 11:31 bis 12:37 Uhr fragte der Vorsitzende ob Einwände gegen den neuen Hilfsantrag unter Regel 80 oder Artikel 123(2), (3), 83 oder 54 bestünden. E1 und E2 verneinten."
3.6 In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer äußerte die Beschwerdeführerin Zweifel, ob die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Abschrift des Verfahrens herangezogen werden könne bzw. vertrat sie die Ansicht, dass diese nur bedingt für den Verfahrensverlauf herangezogen werden könne. Die Niederschrift der mündlichen Verhandlung gebe die damalige Erklärung der Beschwerdeführerin verkürzt wieder.
3.7 Gemäß Regel 124 (1) EPÜ soll die Niederschrift der mündlichen Verhandlung den wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung und die rechtserheblichen Erklärungen der Beteiligten enthalten. Es ist also zunächst davon auszugehen, dass die Niederschrift der Einspruchsabteilung eine authentische Aufzeichnung der im Verlauf der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen der damaligen Einsprechenden und jetzigen Beschwerdeführerin enthält.
3.8 Nach Zustellung der auf den 24. April 2019 datierten Abschrift der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hatte die Beschwerdeführerin weder einen Fehler im Inhalt der Niederschrift gerügt, noch hatte sie eine Berichtigung des Inhalts der Niederschrift beantragt. Auch wenn für die Beschwerdeführerin keine besondere Verpflichtung für eine Rüge oder einen Antrag auf Protokollberichtigung bestehen mag, so trägt sie jedenfalls die Beweislast für die Darlegung einer möglichen Unrichtigkeit einer Feststellung in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
3.9 Die Beschwerdeführerin legte jedoch weder Beweismittel noch ein geeignetes Tatsachenvorbringen vor, die eine Unrichtigkeit der Feststellung aus der Niederschrift darlegen könnten, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausdrücklich erklärt hatte, keine Einwände gegen den damaligen Hilfsantrag 1 (und jetzigen Hauptantrag) unter Artikel 83 und 54 EPÜ zu haben.
3.10 Es besteht daher aus Sicht der Kammer kein begründeter Zweifel, dass die Feststellungen der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zutreffen. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung die oben erwähnte Erklärung tatsächlich abgegeben hat.
3.11 Diese Erklärung der Beschwerdeführerin vor der Einspruchsabteilung ist in ihrer Form und ihrem Inhalt auch derartig klar und eindeutig, dass sie nicht einer möglichen Auslegung zugänglich wäre, beispielsweise vor Hintergrund eines von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer pauschal behaupteten grundsätzlichen Parteiwillens des Einsprechenden, alle möglicherweise erhobenen Einwände jederzeit weiterverfolgen zu wollen, oder vor dem Hintergrund des Vortrags der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2021 unter Punkt 6., dass die Erklärung unter Berücksichtung des damaligen Verfahrensstandes zu verstehen sei.
3.12 Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde vorgelegten Einwände mangelnder Ausführbarkeit der Erfindung nach Artikel 83 EPÜ und fehlender Neuheit des Hauptantrags nach Artikel 54 EPÜ lagen daher in zutreffender Weise nicht der angefochtenen Entscheidung zugrunde (vgl. Entscheidungsgründe, Punkt 5. und Punkt 6., erster Absatz).
3.13 Die Beschwerdeführerin hat nunmehr diese Einwände erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgelegt, obwohl sie erkennbar nicht daran gehindert war, die Einwände bereits im Einspruchsverfahren vorzulegen. Vielmehr hatte sie im Einspruchsverfahren im Rahmen der ihr zustehenden Parteidisposition ausdrücklich und zweifelsfrei erklärt, diese Einwände nicht zu erheben. Sie hat auch keinen Grund dafür angegeben, warum sie diese Einwände nunmehr erstmalig im Beschwerdeverfahren und nicht bereits im Einspruchsverfahren vortrug.
3.14 Der Hauptzweck des zweiseitigen Beschwerdeverfahrens besteht jedoch darin, dem unterlegenen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, eine ihm nachteilige Entscheidung der Einspruchsabteilung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das Beschwerdeverfahren bestimmend (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel V.A.4.2.1).
3.15 Auch Artikel 12 (4) VOBK 2007, der im gegebene Fall aufgrund des Artikels 25 (2) VOBK 2020 Anwendung findet, soll gewährleisten, dass die Beschwerde der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung dient, indem der Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend den des Beschwerdeverfahrens absteckt. Die Einordnung des Beschwerdeverfahrens als Überprüfungsverfahren lag bereits der VOBK 2007 zugrunde und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (zur Einordnung des Beschwerdeverfahrens als Überprüfungsverfahren vgl. G 9/91, Entscheidungsgründe 18; Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.4.11.1).
3.16 Artikel 12 (4) VOBK 2007 räumt der Kammer einen Ermessensspielraum ein, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgelegt werden können oder nicht zugelassen wurden. Das Ermessen umfasst dabei auch den Sachvortrag bzw. die tatsachenbezogenen Einwände bezüglich der Erfüllung der Erfordernisse aus Artikel 83 und 54 EPÜ durch den Hauptantrag.
3.17 Angesichts der dargestellten Erwägungen macht die Kammer von ihrer Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch und lässt die Einwände aus Artikel 83 und 54 EPÜ nicht zu.
3.18 Im Ergebnis gelingt es der Beschwerdeführerin damit nicht, in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zur Ausführbarkeit und Neuheit des Hauptantrags darzulegen.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Die Einspruchsabteilung stellte weiter fest, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Lehre des Dokuments O1 als nächstliegender Stand der Technik in Verbindung mit der Lehre des Dokumentes O11 beruht (siehe Punkt 6 der Entscheidungsgründe und Seite 3, Absätze 4 bis 7, der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung).
4.2 Zu den Erwägungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags in der angefochtenen Entscheidung trug die Beschwerdeführerin vor der Kammer ausdrücklich nicht vor (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 4, letzter Spiegelstrich), sondern stützte ihren Einwand einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit allein auf folgende Kombinationen:
a) bezogen auf den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag:
- ausgehend von der Lehre des Dokumentes O1 in Verbindung mit der Lehre eines der Dokumentes O4, O18 und O19,
- ausgehend von der Lehre des Dokumentes O3 in Verbindung mit der Lehre eines der Dokumente O4 und O19,
b) sowie bezogen auf den Gegenstand von Anspruch 6 gemäß Hauptantrag im Hinblick auf die Lehre des Dokumentes O3.
4.3 Keine dieser Einwände wurde während des Einspruchsverfahrens erhoben (siehe Seite 3, Absatz 8, der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung) und in der angefochtenen Entscheidung beschieden.
4.4 Das gilt auch für den auf den Dokumenten O3 und O4 basierende Einwand zur angeblichen mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, der - worauf die Beschwerdeführerin zurecht hinwies - gegenüber der erteilten Fassung des Patents bei Erhebung des Einspruchs vorgetragen wurde (vgl. u.a. Beschwerdebegründung, Seite 13, erster Absatz mit Verweis auf Seite 21, dritter Absatz der auf den 23. Mai 2017 datierten Einspruchsschrift), indes nicht mehr vor der Einspruchabteilung zu dem nunmehr vorliegenden Hauptantrag.
4.5 Sowohl die neu vorgelegten Tatsachen, d.h. die Dokumente O18 und O19, als auch die auf diese Dokumente oder bereits im Verfahren vorhandenen Dokumente O1, O3 und O4 basierenden Einwände, stellen als tatsachenbezogenen Einwände ein neues Vorbringen dar, dessen Zulassung nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 in Zusammenschau mit Artikel 12 (2) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer steht (vgl. Punkt 3.16 dieser Entscheidung).
4.6 Die Beschwerdeführerin rechtfertigte das späte Vorbringen der Dokumente O18 und O19 und sämtlicher Einwände als legitime Reaktion auf den in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Hauptantrag. Dieser sei als damaliger Hilfsantrag 1 von der Beschwerdegegnerin erstmalig und in unvorhersehbarer Weise, folglich also überraschend, in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden. Dadurch sei eine weitere Recherche zur Ergänzung von Lücken in der Argumentationslinie veranlasst gewesen (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 4, Absatz 3, bis Seite 5, Absatz 1).
4.7 Wie bereits unter Punkt 2.6 dieser Entscheidung dargelegt, teilt die Kammer jedoch die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die Änderung in dem damaligen Hilfsantrag 1 gegenüber der erteilten Fassung des Patents keine Überraschung im Verfahrensverlauf darstellte und auch nicht besonders schwierig zu erfassen war, so dass sie von der durch die Beschwerdeführerin vorgetragene Rechtfertigung nicht überzeugt ist.
4.8 Vielmehr hat die Beschwerdeführerin in Kenntnis der Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zulassung des damaligen Hilfsantrags 1 im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass sie neben dem in der Entscheidung berücksichtigten und von der Beschwerdeführerin nicht aufrechterhaltenen, auf den Dokumenten O1 und O11 basierenden Einwand der Einsprechenden 01 "keine weitere Angriffe gegen den Anspruch 1 vortragen zu wollen" (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Seite 3, Absatz 8).
4.9 Die Kammer hat, wie bereits in Punkt 3.10 dieser Entscheidung dargestellt, keinen Grund zur Annahme, dass die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung unvollständig oder fehlerhaft wäre.
4.10 Der Beschwerdeführerin war indes während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung der von ihr selbst in der Einspruchsschrift gegen die erteilte Fassung vorgelegte Einwand aus den Dokumenten O3 und O4 (vgl. Punkt 4.4) bekannt. Auch hat die Beschwerdeführerin im Verlauf des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung nicht angezeigt, dass sie eine Unterbrechung des Verfahrens für eine Ergänzung von Lücken in ihrer Argumentation benötigt.
4.11 Die Erklärung der Beschwerdeführerin kann daher objektiv nur so verstanden werden, dass die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung freiwillig und im Rahmen ihrer Parteidisposition von weiteren Einwänden der mangelnden erfinderischen Tätigkeit abgesehen hat.
4.12 In soweit ist der vorliegende Fall mit keinem der von der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2021 zitierten Entscheidungen aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu vergleichen.
4.13 Die erwähnten Entscheidungen T 2259/11, T 1364/12, T 1466/12, T 1743/12, T 2288/18 und T 545/19 betreffen allesamt die Zulassung von geänderten Anspruchsätzen im Beschwerdeverfahren und entsprechen bereits deshalb nicht der Situation im gegebenen Sachverhalt.
4.14 Die weiterhin erwähnten Entscheidungen T 855/96, T 406/09, T 1830/11 T 2383/13, T 1817/15, T 247/17, T 978/17 und T 998/17 betreffen die Zulassung neuer Tatsachen im Beschwerdeverfahren, jedoch liegt keiner der genannten Entscheidungen zugrunde, dass eine Einsprechende vor der Einspruchsabteilung von einem Vorbringen weiterer als der im Rahmen der mündlichen Verhandlung diskutierten Argumentationslinien ausdrücklich abgesehen hat
4.15 Es ist für die Kammer daher nicht nachvollziehbar, welche Gründe es rechtfertigen könnte, dass die Dokumente O18 und O19, sowie auch die auf den Dokumenten O1, O3, O4, O18 und O19 basierenden Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden können.
4.16 Durch das nunmehrige Vorbringen der Dokumente O18 und O19, sowie der erstmalig vorgelegten Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag hat die Beschwerdeführerin im Ergebnis vielmehr verhindert, dass die Einspruchsabteilung über diese Einwände eine Entscheidung treffen und die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren dazu Stellung nehmen konnte. Dies widerspricht dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (vgl. Artikel 12 (2) VOBK 2020).
4.17 Entsprechendes gilt für den gegen den Gegenstand von Anspruch 6 gemäß Hauptantrag erhobenen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Lehre des Dokumentes O3, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Dokument O3 der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren von Beginn an vorlag.
4.18 Die Kammer übt daher ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend aus, die sich auf die Dokumente O1, O3, O4, O18 und O19 beziehenden Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Gegenstände von Ansprüchen 1 und 6 gemäß Hauptantrag nicht im Verfahren zu berücksichtigen und entsprechend die erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente O18 bis O19 nicht in das Verfahren zuzulassen.
4.19 Soweit die Beschwerdeführerin ausdrücklich erklärte, dass sich ihr Beschwerdebegehren nicht auf die in der angefochtenen Entscheidung beschiedene Kombination der Lehren der Dokumente O1 und O11 stützte, mangelt es an einem diesbezüglich substantiierten Beschwerdevorbringen zur Überprüfung der begründeten Feststellung der Einspruchsabteilung zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes nach dem damaligen Hilfsantrag 1 und nunmehrigen Hauptantrag (siehe Punkt 4.1 oben). Die Kammer kann auch ihrerseits insoweit keine Unrichtigkeit in der angefochtenen Entscheidung feststellen, so dass die von der Einspruchsabteilung getroffene Feststellung zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstands Bestand hat.
4.20 Im Ergebnis gelingt es der Beschwerdeführerin damit nicht, in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags darzulegen.
5. Zwischenergebnis
Keiner mit der Beschwerde geltend gemachten Einwände und Argumente zur Fehlerhaftigkeit bzw. Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung und zur Zulässigkeit ihres Vorbringens betreffend den Hauptantrag rechtfertigten damit die begehrte Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
6. Einwand nach Regel 106 EPÜ (Verfahrensrüge)
6.1 Die Beschwerdeführerin legte im Verlauf der mündlichen Verhandlung einen Einwand nach Regel 106 in Verbindung mit Artikel 112a (2) c) EPÜ vor, mit der sie rügte, dass die von ihr mit der Beschwerde im Zusammenhang der Diskussion von Artikel 83, 54 und 56 EPÜ vorgetragenen Argumente, Angriffe und Beweismittel von der Beschwerdekammer nicht berücksichtigt bzw. als verspätet zurückgewiesen wurden. Es handele sich dabei um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie des Rechts der Beschwerdeführerin auf ein faires Verfahren.
6.2 Die Beschwerdeführerin verwies dazu auf ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 15. Juli 2021, zu dem sie in der Erörterung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer mündlich weiter ausgeführt hatte, und vertrat die Auffassung, dass ein Ermessen der Kammer nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 schon gar nicht eröffnet wäre.
6.3 Die Kammer hatte bereits mit ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 die Beschwerdeführerin darüber informiert, dass sie im Hinblick auf Artikel 12 (4) VOBK 2027 Bedenken hinsichtlich einer Zulassung der vorgetragenen Einwände aus Artikel 83, 54 und 56 EPÜ hatte (vgl. Punkte 12, 13, 14 der Mitteilung).
6.4 Die Beschwerdeführerin reagierte auf diese Bedenken mit Schriftsatz vom 15. Juli 2021. Auch in der mündlichen Verhandlung hatte die Beschwerdeführerin Gelegenheit, zu der Frage der Zulassung der Einwände nach Artikel 83 und 54 EPÜ, sowie die Zulassung der mit der Beschwerde geltend gemachten Argumentationslinien zur erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ Stellung zu nehmen (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 4 und Seite 5, erster Absatz).
6.5 Nach Erhebung der Verfahrensrüge verwies die Beschwerdeführerin auf die Nachfrage, ob sie ergänzend zum Vorbringen, das sie bereits schriftsätzlich und während der mündlichen Verhandlung vor der Beratung der Kammer getätigt hatte, weiter vortragen wollte, auf ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 15. Juli 2021, zu dem sie in der mündlichen Verhandlung mündlich weiter ausgeführt habe.
6.6 Die Beschwerdeführerin hatte daher ausführlich Gelegenheit, zu der Frage der Zulassung der betroffenen Einwände Stellung zu nehmen, und nahm diese Gelegenheit auch wahr.
6.7 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass das Recht auf rechtliches Gehörs sowohl im Hinblick auf die Gewährung der Möglichkeit zum schriftlichen wie mündlichen Vortrag zur Frage der Zulassung oder Nichtzulassung der Einwände nach Artikel 83, 54 und 56 EPÜ als auch hinsichtlich der Berücksichtigung dieses Vorbringens bei der Entscheidung der Kammer über die Nichtzulassung dieser Einwände gewahrt wurde (Artikel 113, Artikel 112a (2) c) EPÜ).
6.8 Die weitere, auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gestützte Rüge ist als solche nicht zulässig, weil die Gründe nicht unter den abschließenden Katalog des Artikels 112a (2) EPÜ, ergänzt durch Regel 104 EPÜ, fallen (vgl. R 1/16, Punkt 6. der Entscheidungsgründe). Das gilt gleichermaßen auch für die Rüge, soweit sie sich auf das Recht auf Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit stützt.
6.9 Die Kammer kann aber auch im Rahmen der Wahrung des Rechts der Beschwerdeführerin auf rechtlichen Gehör weder eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren noch des Grundsatzes der Waffengleichheit erkennen. Die Beschwerdeführerin stützte diese Einwände im Wesentlichen darauf, dass ihr durch die Nichtzulassung der Einwände zu Artikeln 83, 54 und 56 EPÜ durch die Kammer nicht die Möglichkeit gegeben wurde, in substantiierter und angemessener Weise auf eine angeblich überraschende, neue Situation zu reagieren (vgl. Schriftsatz vom 15. Juli 2021, Punkt 3.2).
6.10 Die Kammer gelangte jedoch nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin zu dem Ergebnis, dass durch die Änderungen im damaligen Hilfsantrags 1 vor der Einspruchsabteilung keine überraschende, neue Situation für die Beschwerdeführerin entstanden ist (siehe Punkt 2.6 dieser Entscheidung). Die Beschwerdeführerin hatte vielmehr in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung auf das ihr im Rahmen der ihr freistehenden Parteidisposition mögliche und ihr auch angesichts der geringen Komplexität zumutbare Vorbringen von relevanten Einwänden gegen den damaligen Hilfsantrag 1 verzichtet (siehe Punkt 4.11 dieser Entscheidung). Es ist damit nicht erkennbar, weshalb der Beschwerdeführerin die Gelegenheit zugestanden werden sollte, im Beschwerdeverfahren erstmalig mit neuen Tatsachenvorbringen und tatsachenbezogenen Einwänden vortragen zu können.
6.11 Die Kammer kann daher keinen Mangel nach Artikel 112a (2) c) EPÜ feststellen, weshalb sie den Verfahrenseinwand der Beschwerdeführerin nach Regel 106 EPÜ zurückweist.
7. Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist zur Formulierung von Rechtsfragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer
7.1 Die Beschwerdeführerin begehrte mit ihrem im fortgeschrittenen Verlauf der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag die Einräumung einer Schriftsatzfrist zur Formulierung von Rechtsfragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer. Eine angebotene Verhandlungspause zur Formulierung der angekündigten Rechtsfragen lehnte die Beschwerdeführerin mit dem Argument ab, dass sie die Vorlage und Formulierung von Rechtsfragen zunächst mit ihrer Mandantin nach Beendigung der mündlichen Verhandlung überhaupt erst erörtern wolle.
7.2 Die Beschwerdegegnerin widersprach einem mit der Gewährung des beantragten Schriftsatznachlasses zwingend verbundenen Übergang ins schriftliche Verfahren (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 6, Absatz 2).
7.3 Nach Artikel 15 (6) VOBK 2020 soll die Sache am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zur Entscheidungsreife führen, sofern nicht besondere Umstände vorliegen.
7.4 Die Kammer vermag solche besonderen Umstände nicht zu erkennen.
7.5 Die Beschwerdeführerin hatte bereits in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2021 in Punkt 7. im letzten Absatz, also drei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, angekündigt, Rechtsfragen zur Vorlage an die große Beschwerdekammer formulieren zu wollen. Sie hatte damit bis zur mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit, mit ihrer Mandantin Rücksprache zu halten und sodann eine Rechtsfrage von aus ihrer Sicht grundsätzlicher Bedeutung zu formulieren und vorzubringen.
7.6 Dem vorliegende Fall liegt zudem im Wesentlichen die Frage der Ermessensausübung aus Artikel 12 (4) VOBK 2007 bei der Zulassung von tatsachenbezogenen Einwänden nach Artikel 54, 56 und 83 EPÜ zugrunde. Eine Ermessensausübung kann jedoch grundsätzlich nur unter Berücksichtung der Umstände des einzelnen Falles erfolgen, so dass für die Kammer unmittelbar keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erkennbar wäre, mit der die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst werden könnte.
7.7 Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Schriftsatznachlass wird daher nicht stattgegeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Einwand der Beschwerdeführerin nach Regel 106 EPÜ (Verfahrensrüge) wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Schriftsatznachlass zur Formulierung von Rechtsfragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
3. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.