T 1227/05 (Schaltkreissimulation I / INFINEON TECHNOLOGIES) 13-12-2006
Download and more information:
Verfahren zum Erzeugen einer Folge von Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens
Computergestütztes Verfahren mit mathematischen Schritten zur Simulation des Verhaltens eines Schaltkreises unter dem Einfluss von 1/f-Rauschen - Technizität (bejaht)
Unbestimmter technischer Zweck - ausreichend für Deutlichkeit (verneint)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung Nr. 01964907.8 mit der Begründung zurückzuweisen, dass das Simulationsverfahren nach dem damaligen Anspruch 1 eine gedankliche Tätigkeit oder eine mathematische Methode als solche darstelle und deshalb als eine Nicht-Erfindung nach Artikel 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei.
II. In einem Ladungsbescheid merkte die Kammer an, dass eine computerimplementierte Ausführung des Verfahrens den Einwand der Nicht-Erfindung ausräumen würde. In die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dürften indes nur Merkmale eingehen, die zum technischen Charakter des Simulationsverfahrens beitrügen. Deshalb sei insbesondere zu fragen, ob die in den unabhängigen Ansprüchen enthaltenen mathematischen Formeln einen Beitrag zum technischen Charakter liefern könnten.
III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage von Ansprüchen 1 bis 6, die in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht wurden. Die Ansprüche lauten, mit einer offensichtlichen Berichtigung ("ti") eines offensichtlichen Schreibfehlers ("t") in der Formel für e(i,j) in Anspruch 2 (vergleiche Beschreibungsseite 5, Zeile 10 und Seite 11, Zeile 26):
"1. Computergestütztes Verfahren zur numerischen Simulation eines Schaltkreises mit einer Schrittweite delta, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist,
- wobei der Schaltkreis durch ein Modell (1) beschrieben wird, das Eingangskanäle (2), Rauscheingangskanäle (4) und Ausgangskanäle (3) aufweist,
- wobei das Verhalten der Eingangskanäle (2) und der Ausgangskanäle (3) durch ein System von Differentialgleichungen oder Algebro- Differentialgleichungen beschrieben wird,
- wobei für einen an den Eingangskanälen (2) anliegenden Eingangsvektor (INPUT) und einen an den Rauscheingangskanälen (4) anliegenden Rauschvektor (NOISE) y von 1/f-verteilten Zufallszahlen ein Ausgangsvektor (OUTPUT) berechnet wird, und
- wobei der Rauschvektor y durch folgende Schritte erzeugt wird:
- Bestimmen eines gewünschten Spektralwerts beta des 1/f-Rauschens,
- Bestimmen eines Werts n für die Anzahl der zu erzeugenden Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens,
- Bestimmen einer Intensitätskonstante const,
- Bilden einer Covarianzmatrix C der Dimension (n x n), wobei je ein Element e(i,j) der Covarianzmatrix C nach der folgenden Gleichung bestimmt wird:
e(i,j)= const·|delta|**(beta+1)(|i-j+1|**(beta+1)-2|i-j|**(beta+1)+|i-j-1|**(beta+1))
wobei i,j = 1, ..., n
- Bilden der Cholesky-Zerlegung L der Covarianzmatrix C,
wobei die folgenden Schritte für jede zu erzeugende Folge von Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens ausgeführt werden:
- Bilden eines Vektors x der Länge n aus (0,1)-normalverteilten Zufallszahlen,
- Erzeugen des Vektors y der Länge n der gewünschten 1/f-verteilten Zufallszahlen durch Multiplizieren der Cholesky-Zerlegung L mit dem Vektor x.
2. Computergestütztes Verfahren zur numerischen Simulation eines Schaltkreises zu Betrachtungszeitpunkten t0 bis tn, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist,
- wobei der Schaltkreis durch ein Modell (1) beschrieben wird, das Eingangskanäle (2), Rauscheingangskanäle (4) und Ausgangskanäle (3) aufweist,
- wobei das Verhalten der Eingangskanäle (2) und der Ausgangskanäle (3) durch ein System von Differentialgleichungen oder Algebro- Differentialgleichungen beschrieben wird,
- wobei für einen an den Eingangskanälen (2) anliegenden Eingangsvektor (INPUT) und einen an den Rauscheingangskanälen (4) anliegenden Rauschvektor (NOISE) y von 1/f-verteilten Zufallszahlen ein Ausgangsvektor (OUTPUT) berechnet wird, und
- wobei der Rauschvektor y durch folgende Schritte erzeugt wird:
- Bestimmen eines Werts n für die Anzahl der zu erzeugenden Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens,
- Bestimmen einer Intensitätskonstante const,
- Bestimmen eines gewünschten Spektralwerts beta des 1/f-Rauschens,
- Bilden einer Covarianzmatrix C der Dimension (n x n), wobei je ein Element e(i,j) der Covarianzmatrix C nach der folgenden Gleichung bestimmt wird:
e(i,j)= const·(-|tj-ti|**(beta+1)+|tj-1 -ti|**(beta+1)+|tj -ti-1|**(beta+1)-|tj-1 -ti-1|**(beta+1))
wobei i,j = 1, ..., n
- Bilden der Cholesky-Zerlegung L der Covarianzmatrix C,
wobei die folgenden Schritte für jede zu erzeugende Folge von Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens ausgeführt werden:
- Bilden eines Vektors x der Länge n aus (0,1)-normalverteilten Zufallszahlen,
- Erzeugen des Vektors y der Länge n der gewünschten 1/f-verteilten Zufallszahlen durch Multiplizieren der Cholesky-Zerlegung L mit dem Vektor x.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, wobei nicht alle Elemente der Covarianzmatrix C bestimmt werden, wobei die nicht berechneten Elemente mit dem Wert 0 besetzt werden.
4. Computerprogramm zur Ausführung eines Verfahrens gemäß einem der Ansprüche 1 bis 3.
5. Datenträger mit einem Computerprogramm nach Anspruch 4.
6. Computersystem, auf dem ein Computerprogramm nach Anspruch 4 geladen ist."
IV. Die Beschwerdeführerin sieht einen technischen Beitrag nicht nur in der computergestützten Ausführung, sondern auch in folgenden Gesichtspunkten des beanspruchten Simulationsverfahrens:
a) Die numerische Simulation eines Schaltkreises erfordere technische Überlegungen beim Lösen eines Problems auf dem Gebiet der Ingenieurwissenschaften, insbesondere der Elektrotechnik, nämlich bei der Vorhersage des Verhaltens eines Schaltkreises, dessen Variable technische Größen (z.B. Spannungen) seien.
Mit Hilfe des Simulationsverfahrens könnten Rauscheinflüsse berücksichtigt und Fehler und Schwächen des Schaltungsentwurfs frühzeitig, also noch vor Beginn einer Fertigung des Schaltkreises, erkannt werden. Dadurch würden bei der Entwicklung von elektronischen Schaltungen beachtliche Einsparungen und Zeitvorteile erreicht, beispielsweise eine deutlich verringerte Anzahl von Testchips, die bis zur Produktreife benötigt würden. Der Produktionszeitraum eines Chips könne durch Einsatz des beanspruchten Verfahrens deutlich verringert werden.
b) Speziell das Simulieren eines 1/f-Rauschens durch Erzeugen von Zufallszahlen, die sich in die zeitliche Schrittfolge einer technischen Anwendung, der Schaltkreissimulation, einbinden ließen, stelle ohne weiteres einen technischen Vorgang dar. Dies gelte umso mehr, als die beanspruchte Zufallszahlenfolge erstmals ein exaktes 1/f-Rauschen bereitstelle, was in der vorangehenden Fachliteratur als schwierig bis unmöglich angesehen worden sei (siehe z.B. US-A-5 719 784, Spalte 6, Zeilen 55 bis 65). Die vorliegende Anmeldung liefere neben der formelmäßigen Bereitstellung der benötigten Zufallszahlen zwar auch einen mathematischen Nachweis, dass die erzeugten Zahlen tatsächlich ein exaktes 1/f-Rauschen in die Simulation einbringen. Diese zusätzliche mathematische Offenbarung mache jedoch die beanspruchte Lehre nicht untechnisch.
c) Eine Anweisung, einen Computerspeicher mit formelmäßig definierten Zufallszahlen eines 1/f-Rauschens zu füllen, richte sich nicht an den Mathematiker, sondern an den Techniker und bilde somit bereits für sich genommen eine technische Lehre. Sie gestatte zum Beispiel den Bau eines speziellen Zufallszahlengenerators, der wie jeder andere moderne (z.B. auf direkter digitaler Synthese beruhende) Signalgenerator ein gewerblich handelbares technisches Erzeugnis darstelle.
d) Gegenüber anderen denkbaren Vorgehensweisen zum Simulieren rauschbehafteter Schaltkreise erfordere das beanspruchte Verfahren kürzere Rechenzeiten und weniger Speicherplatz, weil die Zufallszahlen separat erzeugt werden könnten, bevor sie in die Schaltkreissimulation integriert würden, und weil der Stand der Technik Gleichungssysteme verwende, deren Dimension mit der Anzahl der Rauschquellen stark ansteige. Das beanspruchte Verfahren ermögliche eine Simulation verrauschter Schaltkreise auf kleinen Rechenanlagen, deren Leistung vorher nicht dazu ausgereicht habe, oder eine Simulation großer Schaltkreise, die früher auf keiner Rechenanlage simulierbar gewesen seien. Die Ressourcenschonung stelle also einen technischen Effekt dar, der über die normale physikalische Wechselwirkung zwischen einem Computerprogramm und einer Datenverarbeitungsanlage hinausgehe.
V. Die Kammer verkündete ihre Entscheidung am Ende der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
1. Lehre der Anmeldung
1.1 Ziel der Anmeldung (siehe Beschreibungseinleitung) ist eine Simulation oder Modellierung des Verhaltens eines Schaltkreises unter dem Einfluss eines 1/f-Rauschens, d.h. eines stochastischen Prozesses mit einem Frequenzspektrum, dessen Intensität umgekehrt proportional zu einer Potenz ß der Frequenz ist. (In den Ansprüchen ist ß als "Spektralwert" bezeichnet.) Der Prozess beschreibt die zeitliche Dynamik einer physikalischen Größe, z.B. der elektrischen Spannung.
1.2 Die Lösung beruht auf der Erkenntnis, dass ein 1/f-Rauschen simuliert werden kann, indem in das Schaltkreismodell geeignete Zufallszahlen eingespeist werden. Diese leitet die Anmeldung aus einem gaußverteilten stochastischen Prozess BFBM her (Fraktale Brownsche Bewegung als Funktion der Zeit), dessen Ableitung bekanntermaßen ein 1/f-Spektrum besitzt. Der Prozess BFBM und seine Ableitung sind insbesondere durch eine Covarianzfunktion (Gleichung 1.4) bzw. eine Covarianzmatrix (Gleichung 2.7) charakterisiert.
Die Erfindung erzeugt eine Covarianzmatrix (Gleichung 2.8), die die gleichen einfachen Elemente besitzt wie die Covarianzmatrix (Gleichung 2.7) der Ableitung der fraktalen Brownschen Bewegung. Eine dreieckförmige (Cholesky-)Zerlegung der erzeugten Covarianzmatrix wird mit einem Vektor x normalverteilter Zufallszahlen multipliziert. Die resultierende Zufallszahlenfolge y verwirklicht aufgrund der Konstruktion der Covarianzmatrix eine 1/f-Rauschquelle.
1.3 Die Konstruktion der Zufallszahlenfolge erlaubt es ferner, beliebige Zeitintervalle der Schaltkreissimulation zu berücksichtigen: Das Zeitintervall kann konstante Länge haben (Schrittweite delta; Anspruch 1) oder variabel sein (Betrachtungszeitpunkte t0, t1, ... tn; Anspruch 2), um sich einer dynamischen Schaltkreissimulation anzupassen. In beiden Fällen fügen sich die Zufallszahlen nahtlos in den chronologisch schrittweisen Ablauf der numerischen Schaltkreissimulation ein.
Außerdem lassen sich die Zufallszahlen separat, vor Beginn der Schaltkreissimulation, berechnen und anschließend in die Simulation einbinden.
Dies und die einfache Erzeugung der Zufallszahlen ermöglichen eine ressourcenschonende Computersimulation eines Schaltkreises unter 1/f-Rauschen.
2. Artikel 123 (2) EPÜ - Ursprüngliche Offenbarung
2.1 Die Kammer hat keinen Zweifel, dass ein computergestütztes Simulationsverfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bzw. 2 aus der ursprünglich eingereichten und als
A2: WO-A2-02/19089
veröffentlichten Fassung der Anmeldung hervorgeht.
Dass ein Schaltkreis unter Berücksichtigung eines 1/f-Rauschens simuliert wird, ist an folgenden Textstellen offenbart: A2, Seite 1, Zeilen 9 bis 11; Seite 5, Zeilen 13 bis 26. Der Schaltkreis kann z.B. eine pn-Diode oder ein MOS-Feldeffekttransistor sein (Seite 1, Zeilen 21 bis 23).
Dass die Simulation computergestützt durchgeführt wird, geht aus folgenden Stellen hervor: A2, Seite 1, Zeile 34 bis Seite 2, Zeile 13; Seite 12, Zeilen 15 bis 23; ursprüngliche Ansprüche 5 bis 7.
Folgende Stellen offenbaren, dass die Simulation numerisch (d.h. digital) durchgeführt wird: A2, Seite 2, Zeilen 19 bis 23; Seite 2, Zeile 36 bis Seite 3, Zeile 11; Seite 5, Zeilen 16 bis 19.
Dass ein exaktes 1/f-Rauschen durch Erzeugen und Einspeisen von Zufallszahlen simuliert wird, geht z.B. aus folgenden Stellen hervor: A2, Seite 2, Zeilen 19 bis 25; Seite 3, Zeilen 29 bis 34; Seite 4, Zeilen 22 bis 24; Seite 12, Absatz 2; ursprünglicher Anspruch 4.
Dass zum Erzeugen der angestrebten Covarianzmatrix der Zufallszahlen dieselbe Schrittweite verwendet wird wie zur Simulation des Schaltkreises, geht z.B. aus folgenden Abschnitten hervor, die zugleich belegen, dass die Schrittweite konstant sein kann (Anspruch 1) oder dynamisch adaptiert werden kann (Anspruch 2): A2, Seite 4, Zeilen 8 bis 16 (konstante Schrittweite delta) und Seite 4, Zeile 35 bis Seite 5, Zeile 11 (adaptive Schrittweite = Intervall zwischen aufeinanderfolgenden Betrachtungszeitpunkten tj).
Dass der zu simulierende Schaltkreis durch Eingangskanäle (2), Rauscheingangskanäle (4) und Ausgangskanäle (3) modelliert wird und deren Verhalten durch ein System von (Algebro-)Differentialgleichungen beschrieben wird, geht z.B. aus Figur 1 und der zugehörigen Beschreibung hervor.
Die Schritte zur Berechnung der Zufallszahlen, die einen Rauschvektor (y) zum Simulieren eines 1/f-Rauschens bilden, gehen insbesondere aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2 hervor.
2.2 Die Ansprüche 3, 4 und 5 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 3, 5 und 6. Die Verwendung des Verfahrens auf einem Computersystem (Anspruch 6) liegt der gesamten Anmeldung zu Grunde, siehe z.B. Seite 1, Zeile 34 bis Seite 2, Zeile 13.
3. Artikel 52 (1) (2) (3) EPÜ - Technischer Charakter
Um dem Patenschutz zugänglich zu sein, ist es notwendig und hinreichend, dass das beanspruchte Verfahren technischen Charakter besitzt (siehe z.B. T 930/05-Modellieren eines Prozessnetzwerks/XPERT, nicht im ABl. EPA abgedruckt). Da das Verfahren nach dem unabhängigen Anspruch 1 bzw. 2 computergestützt abläuft, bedient es sich eines technischen Mittels und besitzt schon deshalb technischen Charakter, siehe insbesondere T 258/03-Auktionsverfahren/HITACHI (ABl. EPA 2004, 575, Punkte 4.1 bis 4.7 der Entscheidungsgründe) und T 914/02-Core loading arrangement/GENERAL ELECTRIC (nicht im ABl. EPA abgedruckt, Punkte 2.3.4 bis 2.3.6 der Entscheidungsgründe).
Im Folgenden erörtert die Kammer, welche weiteren Merkmale nach ihrer Auffassung zum technischen Charakter des Verfahrens beitragen, denn nur solche dürfen und müssen in die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit einfließen, siehe T 641/00-Zwei Kennungen/COMVIK (ABl. EPA 2003, 352, Punkt 6 der Entscheidungsgründe).
3.1 Über seine Implementierung hinaus kann ein Verfahrensschritt nur so weit zum technischen Charakter eines Verfahrens beitragen, als er einem technischen Zweck des Verfahrens dient.
Nach Überzeugung der Kammer stellt die Simulation eines Schaltkreises, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist, einen hinreichend bestimmten technischen Zweck eines computergestützten Verfahrens dar, sofern sichergestellt ist, dass das Verfahren auf den technischen Zweck funktional beschränkt ist.
3.1.1 Die Metaangabe eines (unbestimmten) technischen Zwecks (Simulation eines "technischen Systems", siehe ursprünglichen Anspruch 4) könnte hingegen nicht als ausreichend angesehen werden, denn die Aufgabe eines Anspruchs besteht in diesem Zusammenhang nicht darin, das Erfordernis der Technizität festzustellen, sondern deutliche und von der Beschreibung gestützte Merkmale zu nennen, die das Erfordernis erfüllen (Artikel 84 EPÜ).
Jedoch stellt ein Schaltkreis mit Eingangskanälen, Rauscheingangskanälen und Ausgangskanälen, deren Verhalten durch Differentialgleichungen beschrieben wird, eine hinreichend bestimmte Klasse von technischen Gegenständen dar, deren Simulation ein funktionales technisches Merkmal sein kann.
3.1.2 Im vorliegenden Fall wird der genannte Zweck - Simulation eines 1/f-Rauscheinflüssen unterworfenen Schaltkreises - in den weiteren Schritten des beanspruchten Verfahrens sichergestellt. Aufgrund der in der Beschreibung angegebenen physikalisch-mathematischen Herleitung ist nachvollziehbar, dass die anspruchsgemäß erzeugten Zufallszahlen tatsächlich ein 1/f-Rauschen in die Schaltkreissimulation einbringen. Die Kammer ist daher überzeugt, dass die unabhängigen Verfahrensansprüche auf die Simulation eines rauschbehafteten Schaltkreises funktional beschränkt sind.
3.2 Die Kammer ist ferner überzeugt, dass die beanspruchte Simulation eines Schaltkreises weder eine mathematische Methode als solche noch ein Computerprogramm als solches darstellt, auch wenn zur Durchführung der Simulation mathematische Formeln und Computeranweisungen verwendet werden.
3.2.1 Auch wenn der Erfindung eine gedankliche oder mathematische Tätigkeit vorausgehen mag, darf das beanspruchte Ergebnis nicht mit dieser Tätigkeit gleichgesetzt werden. Die vorliegenden Ansprüche betreffen nicht das Erdenken eines Simulationsverfahrens, sondern ein Simulationsverfahren, das nicht mehr rein gedanklich oder mathematisch durchführbar ist.
3.2.2 Die Simulation erfüllt technische Aufgaben, die für eine moderne Ingenieurtätigkeit typisch sind: Die Simulation erlaubt eine realitätsnahe Vorhersage des Verhaltens eines entworfenen Schaltkreises und unterstützt dadurch dessen Entwicklung im Idealfall so genau, dass vor einer Fertigung abgeschätzt werden kann, ob der Bau eines Prototyps Erfolg verspricht. Die technische Bedeutung dieses Ergebnisses vervielfacht sich mit zunehmender Geschwindigkeit des Simulationsverfahrens, denn damit kann eine umfangreiche Klasse von Entwürfen virtuell getestet und auf erfolgversprechende Kandidaten durchsucht werden, bevor mit einer aufwendigen Herstellung von Schaltkreisen begonnen wird.
Ein vorausschauender Test eines komplexen Schaltkreises und/oder eine qualifizierte Auswahl aus einer Vielzahl von Entwürfen wäre ohne technische Hilfe nicht oder nicht innerhalb annehmbarer Zeit möglich. Das computergestützte Simulationsverfahren zum virtuellen Ausprobieren stellt somit ein praktisches und praxisrelevantes Werkzeug des Elektroingenieurs dar. Dieses Werkzeug ist gerade deshalb wichtig, weil in der Regel keine rein mathematische, theoretische oder gedankliche Methode existiert, die eine vollständige und/oder schnelle Voraussage des Schaltkreisverhaltens unter Rauscheinflüssen liefern würde.
3.2.3 Was schließlich den potentiellen Ausschluss von Computerprogrammen anbelangt, hält die Kammer an ihrer Rechtsprechung fest, dass dieser Ausschluss in Bezug auf computergestützte Verfahren (hier: Ansprüche 1 bis 3) nicht greift, siehe T 424/03-Clipboard formats I /MICROSOFT (nicht im ABl. EPA abgedruckt, Punkt 5.1 der Entscheidungsgründe).
3.2.4 Aus diesen Gründen tragen nach dem Urteil der Kammer alle für die Schaltkreissimulation relevanten Schritte, d.h. auch die mathematisch ausgedrückten Anspruchsmerkmale, zum technischen Charakter des Simulationsverfahrens gemäß Anspruch 1 bzw. 2 bei.
3.2.5 Die Kammer merkt in diesem Zusammenhang an, dass vorstehende Schlussfolgerung sich nicht schon aus der bloßen Feststellung ziehen lässt, dass ein beanspruchtes Verfahren schneller abläuft als ein "denkbares" Vergleichsverfahren (siehe Punkt IV d) supra). Da sich immer ein langsameres Vergleichsverfahren denken lässt, eignet sich ein bloßer Geschwindigkeitsvergleich nicht als Kriterium zur Unterscheidung zwischen technischen und nicht-technischen Verfahrensschritten. Wenn etwa eine Folge von Auktionsschritten schneller als ein anderes Auktionsverfahren zu einer Preisfindung führt, folgt daraus nicht ohne weiteres, dass die Auktionsschritte zum technischen Charakter des Verfahrens beitragen würden (siehe T 258/03).
3.3 Das Computerprogramm nach Anspruch 4 hat das Potential zu einer technischen Wirkung, die über die elementare Wechselwirkung von Hardware und Software in einem Standardrechner hinausgeht: In einen Rechner geladen ermöglicht es die maschinelle Simulation und Auswertung rauschbehafteter Schaltkreise. Das Computerprogramm fällt daher nicht unter den Programmausschluss, siehe T 1173/97-Computer program product/IBM (ABl. EPA 1999, 609, Punkt 6.5 der Entscheidungsgründe).
Der potentielle Ausschluss von Computerprogrammen greift auch nicht in Bezug auf den Datenträgeranspruch 5, siehe die erwähnte Entscheidung T 424/03 (Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe).
Schließlich betrifft auch Anspruch 6 einen dem Patentschutz zugänglichen Gegenstand, da ein Computersystem ohne weiteres als technisch anzusehen ist, siehe T 931/95-Pension benefits system/BPS (ABl. EPA 2001, 441, Punkt 5 der Entscheidungsgründe) oder die erwähnte Entscheidung T 258/03 (Punkt 3.8 der Entscheidungsgründe).
3.4 Abgrenzung gegenüber der früheren Entscheidung T 453/91
3.4.1 In der (nicht im ABl. EPA abgedruckten) Entscheidung T 453/91-Method for physical VLSI-chip design/IBM vom 31. Mai 1994 erachtete die Kammer (in anderer Besetzung) ein Entwurfsverfahren für eine integrierte Halbleiterschaltung als eine Nicht-Erfindung, weil der Entwurf nur ein Bild von etwas liefere, das in der realen Welt nicht existiere und möglicherweise nie existieren werde; das Ergebnis des beanspruchten Verfahrens sei also nicht notwendigerweise eine physikalische Größe. Die Entwurfsschritte würden einen Beitrag nur auf ausgeschlossenen Gebieten leisten, wie etwa gedanklichen Tätigkeiten und deren Umsetzung durch Computerprogramme (Punkt 5.2 der Entscheidungsgründe). Nur Verfahren mit einem zusätzlichen Schritt zur realen Herstellung der entworfenen Halbleiterschaltkreise seien insgesamt als technisch anzusehen (Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe).
3.4.2 Nach Überzeugung der Kammer in ihrer jetzigen Besetzung ist ein Entwurfsverfahren für einen Schaltkreis nicht ohne weiteres mit einem Simulationsverfahren zum Testen eines entworfenen Schaltkreises unter Rauscheinflüssen gleichzusetzen. Unabhängig davon ist hinsichtlich der allgemeinen Aussagen in T 453/91, insbesondere was die dort geforderte Einbeziehung eines Herstellungsschritts betrifft, festzustellen, dass die Bedeutung und die Beurteilung industrieller Simulationsverfahren sich zunehmend gewandelt haben. Die unter dem obigen Punkt 3.2 erörterten Gründe haben dazu geführt, dass der Einsatz numerischer Simulationsmethoden "für immer mehr Bereiche der Ingenieurwissenschaften zu einer kostengünstigen Alternative zu teuren, zeit- und personalaufwendigen, experimentellen Untersuchungen [wird]. In vielen Industriezweigen hat sich die numerische Simulation bereits zu einer Schlüsseltechnologie entwickelt" (so z.B. im aktuellen Internet-Auftritt des Lehrstuhls Computational Engineering der Technischen Universität Darmstadt, http://www.ce.tu-darmstadt.de/res/gk-mso.php?language=de). Dabei erfordert der technische Fortschritt unter Umständen bereits heute Entwicklungen, deren Verhalten und zuverlässiges Funktionieren ausschließlich im Wege der Simulation getestet werden können, wenn nämlich die reale Einsatzumgebung dem Tester nicht ohne weiteres zur Verfügung steht, wie dies beispielsweise in der Raumfahrt der Fall ist.
Insofern sind die konkreten technischen Anwendungen computergestützter Simulationsverfahren selbst als moderne technische Verfahren anzusehen, die einen wesentlichen Bestandteil des Fabrikationsprozesses darstellen und der materiellen Herstellung in der Regel als Zwischenschritt vorausgehen. Angesichts dieser Entwicklung ist anzunehmen, dass der Aufwand für die Realisierung eines technischen Produkts sich zunehmend in die numerische Simulationsphase verlagern wird, während die abschließende Umsetzung des Simulationsresultats zur tatsächlichen Herstellung des Produkts keinen oder nur einen vergleichsweise geringen zusätzlichen Innovationsaufwand mehr erfordern mag. In diesem Sinne kann derartigen Simulationsverfahren eine technische Wirkung nicht abgesprochen werden, nur weil sie noch nicht das materielle Endprodukt umfassen (so im Ergebnis auch der deutsche Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 13. Dezember 1999, X ZB 11/98- Logikverifikation; Punkt II. 4. h) der Gründe).
Ein weiterer grundlegender Wandel betrifft die Tatsache, dass Entwicklung und Fertigung in der global arbeitsteiligen Industrie sachlich und geographisch immer mehr getrennt werden. Auch vor diesem Hintergrund betrachtet die Kammer einen gezielten Patentschutz für numerische Entwicklungswerkzeuge mit technischer Zweckbestimmung als angemessen.
3.5 Abgrenzung gegenüber der Entscheidung T 49/99
3.5.1 In der (nicht im ABl. EPA abgedruckten) Entscheidung T 49/99-Information modelling/INTERNATIONAL COMPUTERS vom 5. März 2002 beurteilte die Kammer abstrakte Schritte zum Modellieren eines unbestimmten physikalischen Systems in einem Computer als intellektuelle Tätigkeit, die alle für nicht-technische Wissenszweige typischen Wesenszüge aufweise und daher zu den in Artikel 52 (2) a) und c) EPÜ aufgeführten Nicht-Erfindungen analog sei. Informationsmodellierung sei eine Vorstufe der Software-Entwicklung und diene dem systematischen Sammeln von Daten über das zu modellierende oder simulierende physikalische System, um sozusagen ein Modell des Systems auf Papier bereitzustellen (Punkt 7 der Entscheidungsgründe).
3.5.2 Die ablehnende Beurteilung betraf Anspruchsteile, die eher eine Metasprache zur Beschreibung eines abstrakten Modells als eine Beschreibung modellimplementierender technischer Merkmale zum Gegenstand hatten.
Eine solche Situation liegt hier nicht vor. Beide unabhängigen Verfahrensansprüche setzen die konkrete Modellierung einer hinreichend bestimmten technischen Systemklasse (Schaltkreise) voraus und definieren konkrete, nicht nur geistig durchführbare Maßnahmen zur zielgerichteten Umsetzung und Anwendung des Schaltkreismodells unter den technisch relevanten Verhältnissen eines 1/f-Rauschens. Dies bedeutet - im Einklang mit einer weiteren Aussage der Entscheidung T 49/99 (Punkt 7, letzter Satz der Entscheidungsgründe) - eine zweckgerichtete Verwendung einer Informationsmodellierung im Rahmen der Lösung eines technischen Problems und somit einen Beitrag zum technischen Charakter des Verfahrens nach Anspruch 1 bzw. 2.
4. Artikel 56 EPÜ - Erfinderische Tätigkeit
Merkmale, die zum technischen Charakter des Simulationsverfahrens nach Anspruch 1 bzw. 2 beitragen, fließen in die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ein (T 641/00). Nach Überzeugung der Kammer tragen alle für die Schaltkreissimulation relevanten Merkmale, einschließlich der formelmäßig ausgedrückten Schritte, zum technischen Charakter des Simulationsverfahrens bei. Während der Gedanke und die Ausführung einer Computerimplementierung für den allgemeinen Zweck einer Automatisierung und Beschleunigung eines numerischen Simulationsverfahrens prima facie naheliegen, stellt sich nun die Frage, ob die beanspruchten Simulationsverfahren aufgrund ihrer mathematisch definierten Schritte auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Diese Frage wurde vor der Prüfungsabteilung noch nicht erörtert. Stand der Technik wurde weder in der internationalen noch in der europäischen Phase ermittelt. Nur die Beschwerdeführerin selbst nannte im Verfahren vor der Prüfungsabteilung eine Anzahl von Druckschriften.
Daher wird nun eine Recherche zum Stand der Technik erforderlich sein, um anschließend die zum technischen Charakter beitragenden Merkmale auf erfinderische Tätigkeit prüfen zu können.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die erste Instanz zurückverwiesen.