T 0128/87 (Verlorener Scheck) 03-06-1988
Download and more information:
1. Die Tatsache, daß eine fristwahrende Handlung (hier: Einreichung eines Schecks) vorgenommen wurde, kann grundsätzlich durch Beweisführung, also auch durch die Ermittlung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden (Fortführung von T 243/86 "Verlorene Beschwerdebegründung/AUDI" vom 9.12.1986, nicht veröffentlicht, und T 69/86 "Verlorene Telexbestätigung/RENK" vom 15.9.1987, nicht veröffentlicht).
2. Eine Beweisführung über die tatsächliche Einreichung einer Unterlage (etwa Beschwerdebegründung, Telexbestätigung, Scheck) muß aber dazu führen, daß für die Einreichung eine durch die Umstände gerechtfertigte wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit spricht als für die Nicht-Einreichung. Unbeweisbarkeit geht zu Lasten des Einreichenden. Er hat verschiedene Möglichkeiten der Beweissicherung. Das EPA stellt für diesen Zweck die Empfangsbestätigungen nach Formblatt EPA/EPO/OEB Form 1037 zur Verfügung (vgl. auch Mitteilung in ABl EPA 1985, 289).
3. Die Beweislast verbleibt beim Einreichenden auch dann, wenn das EPA innerhalb angemessener Bearbeitungszeiten das Fehlen der Eingabe oder Anlage (hier: fehlender Scheck) nicht feststellt und dementsprechend den Einreichenden auch nicht darauf aufmerksam macht, daß er angesichts der noch nicht abgelaufenen Frist die fragliche Handlung noch oder erneut vornehmen kann.
4. Die Aufrechterhaltung dieses Grundsatzes erscheint jedoch dann unbillig, wenn ein ganz erheblicher Zeitraum bis zum Fristende verblieb und mehrere Stellen des EPA, die die Eingabe auf Vollständigkeit hätten prüfen können oder hätten prüfen müssen, das Fehlen einer Anlage nicht festgestellt und somit dem Einreichenden auch nicht die Möglichkeit gegeben haben, die Anlage noch rechtzeitig nachzureichen.
Beschwerdegebühr - Scheckzahlung
Empfangsbestätigung - Beweisssicherung
Verlorener Scheck - Beweislast
Grundsatz von Treu und Glauben
Sachverhalt und Anträge
I. Auf Einspruch der Beschwerdeführerin wurde das europäische Patent Nr. 23 264 der Beschwerdegegnerin durch Zwischen- Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 13. Februar 1987 in geändertem Umfang aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung reichte die Beschwerdeführerin mit Datum vom 23. März 1987 beim EPA am 26. März 1987 ein Beschwerdeschreiben nebst Begründung ein. Im Text des Beschwerdeschreibens lautet der zweite Satz: "Die Beschwerdegebühr in Höhe von DM 680,-- wird durch beigefügten Verrechnungsscheck eingezahlt."
II. Unter dem Datum 30. April 1987 ist in der Beschwerdeakte vermerkt: "Die Gebühr ist nicht im Computer". Am 8. Mai 1987 machte die Kasse des EPA den Vertreter der Beschwerdeführerin telefonisch darauf aufmerksam, daß eine Zahlung nicht verbucht bzw. ein Scheck nicht vorhanden sei.
III. Daraufhin reichte der Vertreter einen neuen Scheck ein und versicherte, daß bereits dem Beschwerdeschreiben ein Euro- Scheck mit der Endnummer 866 beigelegen habe. Zur Glaubhaftmachung schilderte er den Ablauf der Büroarbeiten in seiner Kanzlei und legte eine Ablichtung des Scheckverzeichnisses aus dem Scheckbuch vor.
IV. Nach Rückfrage und eigenen Nachforschungen innerhalb des EPA kam die Beschwerdekammer zu der vorläufigen Auffassung, daß es ungeklärt sei, ob dem Beschwerdeschreiben ein Scheck beigelegen habe oder nicht. Da keine der beiden Möglichkeiten eine höhere Wahrscheinlichkeit als die andere habe, sei die Beschwerde wohl unzulässig.
V. Die Kammer fragte die Parteien, ob sie allein wegen der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde eine mündliche Verhandlung wünschten. Dies wurde von seiten der Beschwerdegegnerin verneint. Sie führte jedoch aus, daß es dem Vertreter der Beschwerdeführerin innerhalb der noch offenen Zeitspanne von etwa vier Wochen bis zum Ablauf der Beschwerdefrist hätte auffallen müssen, daß der Scheck nicht eingelöst wurde. Es sei somit festzustellen, daß die Beschwerdegebühr nicht rechtzeitig gezahlt sei.
VI. Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte Verhandlung auch allein wegen der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde. In einer vorbereitenden Eingabe und in der Verhandlung vom 10. Mai 1988 legte er von der Kammer geforderte Belege und Kontenauszüge vor. Er schilderte erneut und unter Befragung der Kammer die Arbeitsabläufe in seinem Büro sowie seine Tätigkeit und die seiner Mitarbeiter bei der Vorbereitung und bei der Einreichung einer Beschwerde. In seiner Argumentation stützte er sich im wesentlichen auf die Ausführungen über Beweisführung und Beweislast im Falle verlorengegangener Unterlagen, wie sie in der Entscheidung J 20/85 (ABl EPA 1987, 102) niedergelegt sind.
VII. Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte, die Beschwerdekammer möge feststellen, daß die Beschwerdegebühr rechtzeitig gezahlt sei. Aus der schriftlichen Stellungnahme der Beschwerdegegnerin, die geladen aber zur Verhandlung nicht erschienen war, kann gefolgert werden, daß sie beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt nach Art. 108 Satz 2 EPÜ davon ab, ob die Beschwerdegebühr rechtzeitig gezahlt worden ist. Da die Zahlung durch einen dem Beschwerdeschreiben beigefügten Scheck mit der Endnummer 866 erfolgen sollte, kommt es nach Art. 8 (1) c) GebO-EPÜ darauf an, ob dieser Scheck dem Beschwerdeschreiben tatsächlich beilag.
2. Auf eine schwierige Beweisführung darüber, ob eine bestimmte Eingabe beim EPA an einem maßgebenden Tag einging, kann dann verzichtet werden, wenn hilfsweise auch eine Wiedereinsetzung möglich und gewährbar wäre. Dies ist jedoch hier nicht der Fall, da der Einsprechende nach Art. 122 (1) EPÜ von der Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde ausgeschlossen ist.
3. Der vorliegende Fall kann also nur mit Hilfe einer Beweisführung entschieden werden. Trotz aller Nachforschungen der Kammer konnte der Scheck nicht aufgefunden werden. Ein Beweis zugunsten des Einreichenden kann also nur in der Weise geführt werden, daß aus den Gesamtumständen des Falls eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür abgeleitet werden kann, daß der Scheck dem Beschwerdeschreiben tatsächlich beilag.
4. Als erstes stellt sich dabei die Frage, ob der Nachweis des Eingangs bestimmter Unterlagen beim EPA an einem rechtlich maßgeblichen Tag überhaupt auf eine mehr oder weniger hohe Wahrscheinlichkeit dieses Eingangs gestützt werden kann. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Entscheidung J 20/85 "Fehlende Ansprüche/ZENITH" (ABl EPA 1987, 102). Diese Entscheidung betrifft nach Auffassung der Kammer einen Sonderfall, der nicht verallgemeinert werden kann. Es ging darum, einer europäischen Patentanmeldung den prioritätswahrenden Anmeldetag i.S.v. Art. 80 EPÜ zu erhalten, obwohl fraglich war, ob der vorbereitete Satz von 15 Patentansprüchen der Anmeldung auch tatsächlich beigegeben war. Art. 80 Buchst. d) EPÜ verlangt nämlich das Beiliegen wenigstens eines, d.h. irgendeines beliebigen Patentanspruchs. In der Entscheidung wurde mit Hilfe einer Beweisführung, d.h. mit Abwägen von Wahrscheinlichkeit, angenommen, daß die 15 Patentansprüche der Anmeldung beilagen.
5. Im vorliegenden Fall geht es nicht um einen Beweis darüber, ob die Beschreibung, die Patentansprüche oder die Zeichnungen einer europäischen Patentanmeldung vorhanden waren oder was sie inhaltlich enthielten. Es geht also nicht um einen Beweis ob und mit welchem Inhalt ein Hinterlegungsakt stattgefunden hat, d.h. ob und welche Offenbarung i.S.v. Art. 83 oder 123 (2) EPÜ gegeben wurde. Hier geht es lediglich um die Frage, ob eine fristwahrende Handlung anderer Art rechtzeitig vorgenommen wurde. Bei derartigen Handlungen hat die erkennende Beschwerdekammer bereits in anderen Fällen eine Beweisführung grundsätzlich für möglich gehalten, nämlich im Falle "Verlorene Beschwerdebegründung/AUDI" (T 243/86 vom 9. Dezember 1986, nicht veröffentlicht) und im Falle "Verlorene Telexbestätigung/RENK" (T 69/86 vom 15. September 1987, nicht veröffentlicht). Falls in solchen Fällen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist, ist die Beweisführung mit Hilfe der Ermittlung von Wahrscheinlichkeit die einzige Möglichkeit, die Rechtzeitigkeit der Handlung festzustellen.
6.1 Eine solche Beweisführung kann wohl nur selten zur absoluten Gewißheit führen; sie muß aber zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür erbringen, daß das in Frage stehende Ereignis stattgefunden hat. Die Kammer konnte in den genannten Fällen "Verlorene Beschwerdebegründung" und "Verlorene Telexbestätigung" konkrete Spuren der gesuchten Eingaben finden. Diese erbrachten zwar keine Gewißheit, aber doch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß die verlorenen Stücke einmal im Amt vorhanden waren. Bei "Verlorene Beschwerdebegründung" war dies der Briefumschlag, der keinem anderen Zweck gedient haben konnte. Bei "Verlorene Telexbestätigung" war es das Vorhandensein eines gleichzeitigen Abbuchungsauftrags. Letzterer hatte Eindrückungen, die nach Ort, Größe und Gestalt der Heftklammer der aus zwei Blättern bestehenden Telexbestätigung zugeschrieben werden konnten. Die vorgelegte Kopie der Telexbestätigung rechtfertigte nämlich diese Vermutung.
6.2 Im vorliegenden Fall hat die Kammer innerhalb des Amts eingehende eigene Nachforschungen angestellt. Ferner hat sie die Beschwerdeführerin ausführlich über die Arbeitsabläufe in ihrem Büro befragt. Bei diesen Ermittlungen ist die Kammer aber lediglich zu der Überzeugung gekommen, daß ein Scheck mit der Endnummer 866 vor Einreichung des Beschwerdeschreibens ausgestellt worden ist. Die Kammer konnte aber keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß die Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Scheck innerhalb des Amts verlorenging, größer ist als die Wahrscheinlichkeit, daß er von der Beschwerdeführerin dem Beschwerdeschreiben versehentlich nicht beigegeben wurde.
7. In einer Situation wie der vorstehenden muß die Unbeweisbarkeit grundsätzlich zu Lasten des Einreichenden gehen. Andernfalls würde immer die spätere, nicht widerlegbare Versicherung, daß eine Eingabe tatsächlich erfolgt sei oder daß einer Eingabe tatsächlich eine bestimmte Anlage beigefügt gewesen sei, ausreichen, um die Rechtzeitigkeit einer fristgebundenen Handlung darzutun. Die Einreichenden haben je nach Fall verschiedene Möglichkeiten, Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit ihrer Eingaben zu wahren und sich Beweise dafür zu sichern. Auch das Amt gibt dabei eine Hilfestellung. Es bietet nämlich eine Empfangsbestätigung nach dem Formblatt EPA/EPO/OEB Form 1037 (siehe auch Mitteilung in ABl EPA 1985, 289) an. Selbstverständlich ist der Gebrauch dieses Formblatts nicht zwingend. Die Maßnahmen aber, die die Beschwerdeführerin zur Sicherung von Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit ihrer Eingaben wie auch zur Sicherung entsprechender Beweise vornahm und die hier nicht näher geschildert zu werden brauchen, erscheinen der Kammer nicht so, daß sie die tatsächliche Einreichung des Schecks beweisen oder wesentlich wahrscheinlicher machen könnten als seine Nicht-Einreichung.
8. An der allgemeinen Beweispflicht der Einreichenden für die Vollständigkeit ihrer Eingaben ändert sich auch dann nichts, wenn das Amt eine Unvollständigkeit der Eingabe nicht umgehend rügt, um damit die Ergänzung innerhalb einer etwa noch zur Verfügung stehenden Restfrist zu ermöglichen. Die Entgegennahme einer Eingabe nebst ihrer Anlage durch die Eingangsstelle schließt keine Prüfung von Amts wegen auf Vollständigkeit oder Freiheit von Mängeln ein. Daher kann es vorkommen, daß bei der Einreichung eine Unvollständigkeit der Eingabe nicht erkannt wird und dementsprechend ein helfender Hinweis unterbleibt. Die anschließende Prüfung bestimmter Eingaben durch die Formalsachbearbeiter sollte dann allerdings auch dazu dienen, daß innerhalb offener Fristen noch heilbare Mängel rechtzeitig aufgedeckt werden. Dies gilt jedenfalls nach Regel 56 (1) EPÜ für den Einspruch und nach Regel 65 (1) EPÜ für die Beschwerde. Derartige Prüfungen können aber nicht sofort nach Einreichung erfolgen. Eine Mitverantwortung des Amts dafür, daß ein Mangel nicht frühzeitig genug entdeckt wird, kann überhaupt erst dann in Frage kommen, wenn eine angemessene Bearbeitungszeit überschritten wird und auch durch die konkreten Umstände des Falles dem Amt eine Mitverantwortung zufällt. Zu letzterem ist zunächst im vorliegenden Fall festzustellen, daß die Beschwerdeführerin ihr Beschwerdeschreiben nicht so gestaltet hat, daß es auf den ersten Blick schon als Beschwerde erkennbar ist und außerdem ins Auge springt, daß ein Scheck beiliegen soll. Die Beschwerdeführerin hat also nicht genügend getan, um ihr Beschwerdeschreiben optisch von den anderen und weit zahlreicheren Schreiben zu unterscheiden, wie sie in den Verfahren vor dem EPA eingereicht werden. Insofern liegen im vorliegenden Fall keine Umstände vor, die an der grundsätzlichen Beweispflicht der Beschwerdeführerin für die Vollständigkeit ihrer Eingabe etwas ändern würden.
9. Eine Mitverantwortung des Amts dafür, daß das Fehlen des Schecks nicht mehr rechtzeitig entdeckt wurde, kann aber nach Treu und Glauben dann nicht mehr verneint werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - 28 Tage vergangen sind, in denen noch eine Zahlung möglich gewesen wäre, und wenn innerhalb einer solchen Zeitspanne sowohl der Formalprüfer der Generaldirektion 2 wie auch der Formalprüfer der Generaldirektion 3 den Mangel nicht festgestellt haben. Angesichts dieser hier vorliegenden Mitverantwortung des Amts dafür, daß die 28 Tage mögliche Nachreichung eines Schecks unterblieb, wäre es unbillig, wenn die Unbeweisbarkeit auch in dem hier vorliegenden Fall zu Lasten der Einreichenden gehen wurde. Daher ist zu ihren Gunsten davon auszugehen, daß der Scheck dem Beschwerdeschreiben beigefügt war.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Es wird festgestellt, daß die Beschwerdegebühr rechtzeitig gezahlt worden ist.