T 1181/04 (Nichteinverständnis mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung/PIRELLI & C Ambiente) 31-01-2005
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I. Das Einverständnis des Anmelders mit der von der Prüfungsabteilung für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung ist ein wesentlicher und entscheidender Bestandteil des Erteilungsverfahrens, und das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen dieses Einverständnisses gilt es formell festzustellen (Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
II. Dem Anmelder muß die Gelegenheit gegeben werden, sein Nichteinverständnis mit der Fassung zu erklären, die die Prüfungsabteilung in einer Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ für die Erteilung vorschlägt, und eine beschwerdefähige Entscheidung über die Zurückweisung seiner Anträge zu erwirken. Ist ihm diese Möglichkeit vorenthalten worden, so liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
Prüfungsverfahren - Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ - Nichteinverständnis des Anmelders mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Verfahrensmangel (bejaht)
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 99 201 344.1 wurde am 28. April 1999 eingereicht. Im Verfahren vor der Prüfungsabteilung wurden zwei Hilfsanträge eingereicht. Keiner der Anträge der Anmelderin wurde im Prüfungsverfahren zurückgenommen.
II. Am 5. April 2004 erließ die Prüfungsabteilung eine "Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ" auf EPA Form 2004 07.02CSX; darin unterrichtete sie die Anmelderin von ihrer Absicht, ein europäisches Patent auf der Grundlage des zweiten Hilfsantrags zu erteilen, und forderte sie auf, innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Zustellung der Mitteilung die Erteilungs- und die Druckkostengebühr zu entrichten sowie eine Übersetzung der Patentansprüche in den beiden anderen Amtssprachen des EPA einzureichen. Die Anmelderin wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß die Anmeldung als zurückgenommen gelte, wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkomme. Ferner wurden Anweisungen für die Zahlung der Gebühren und die Einreichung der Übersetzung gegeben. In dieser Mitteilung wurde die Anmelderin auch auf Anmerkungen auf dem als Anlage beigefügten Formblatt 2906 verwiesen. In diesem Formblatt begründete die Prüfungsabteilung unter der Überschrift "Bescheid/Protokoll (Anlage)", warum der Haupt- und der erste Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ nicht genügten.
Weitere Anweisungen oder Informationen zu diesen höherrangigen Anträgen wurden der Anmelderin nicht gegeben.
III. Am 9. Juni 2004 legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) Beschwerde gegen diese Mitteilung ein, indem sie erklärte: "Hiermit legen wir im Namen der Patentinhaberin Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 5. April 2004 ein, mit der der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag zurückgewiesen wurden." Die Anmelderin beantragte, "daß die Entscheidung in vollem Umfang aufgehoben und das Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder des ersten Hilfsantrags oder eines weiteren Hilfsantrags erteilt wird, den die Patentinhaberin gegebenenfalls im Laufe des Beschwerdeverfahrens einreichen wird".
Entscheidungsgründe
1. Gemäß Artikel 106 (1) EPÜ sind mit der Beschwerde unter anderem die Entscheidungen der Prüfungsabteilung anfechtbar. Eine Entscheidung, die ein Verfahren gegenüber einem Beteiligten nicht abschließt, ist nach Artikel 106 (3) EPÜ nur zusammen mit der Endentscheidung anfechtbar, sofern nicht in der Entscheidung die gesonderte Beschwerde zugelassen ist.
Im vorliegenden Fall richtet sich die Beschwerde gegen ein von der Prüfungsabteilung ausgefertigtes Schriftstück mit der Überschrift "Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ".
Regel 51 EPÜ ist eine Ausführungsvorschrift zum Prüfungsverfahren, das in den Artikeln 96 und 97 EPÜ verankert ist. So heißt es insbesondere in Regel 51 (4) EPÜ, daß die Prüfungsabteilung dem Anmelder die Fassung mitzuteilen hat, in der sie das Patent zu erteilen beabsichtigt, und ihn aufzufordern hat, die Gebühren zu entrichten und die Übersetzung einzureichen. Gemäß dem letzten Satz dieser Bestimmung gilt die Entrichtung der Gebühren und die Einreichung der Übersetzung als implizites Einverständnis mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung.
Eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ dient folglich dazu festzustellen, ob der Anmelder mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung einverstanden ist, wie in den Artikeln 97 (2) a) und 113 (2) EPÜ verlangt.
Wenn der Anmelder nach Erhalt der Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung des Patents einverstanden ist und die formalen Erfordernisse für die Erteilung erfüllt, erläßt die Prüfungsabteilung nach Artikel 97 (2) EPÜ eine Entscheidung über die Erteilung. Ist der Anmelder nicht einverstanden, so wird die Anmeldung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen, da im EPÜ für diesen Fall keine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist.
Das Zusammenwirken der Regel 51 (4) und des Artikels 97 (1) und (2) EPÜ läßt erkennen, daß eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ nicht dazu dient, das Prüfungsverfahren abzuschließen, sondern vielmehr eine vorbereitende Maßnahme darstellt und somit nicht mit einer Beschwerde anfechtbar ist. Eine Beschwerde gegen eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ wäre daher im Regelfall unzulässig.
2. Es ist aber auch möglich, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, wenn der Anmelder unter Berufung auf den objektiven Inhalt der Mitteilung, so wie er ihn verstehen konnte, überzeugend darlegen kann, daß das ihm übersandte Schriftstück ungeachtet seiner Überschrift keine reguläre Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ war, sondern eine das Verfahren abschließende Entscheidung.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern unterliegt das Verfahren zwischen dem EPA und den Anmeldern dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Diesem Grundsatz zufolge darf den Anmeldern kein Nachteil daraus erwachsen, daß sie sich auf einen mißverständlichen Bescheid verlassen haben (J 3/87, ABl. EPA 1989, 3). Lag dem Verhalten eines Beteiligten ein mißverständlicher Bescheid zugrunde, so ist dies so zu behandeln, als ob der Beteiligte die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt hätte (J 1/89, ABl. EPA 1992, 17).
2.1 Objektiv betrachtet umfaßte die der Anmelderin übersandte Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vier Einzelinformationen:
i) die für die Erteilung vorgesehene Fassung des Patents,
ii) die Begründung, warum der Haupt- und der erste Hilfsantrag von der Prüfungsabteilung für unzulässig befunden wurden,
iii) Anweisungen für das weitere Verfahren, d. h. eine Aufforderung zur Entrichtung der Erteilungs- und der Druckkostengebühr sowie zur Einreichung einer Übersetzung innerhalb von vier Monaten ab Zustellung der Mitteilung, und praktische Anweisungen für die Zahlung der Gebühren und die Einreichung der Übersetzung,
iv) einen Hinweis, wonach die Anmeldung gemäß Regel 51 (8) EPÜ als zurückgenommen gelte, wenn dieser Aufforderung nicht Folge geleistet werde.
Über andere ihr offenstehende Handlungsmöglichkeiten wurde die Anmelderin nicht unterrichtet.
Insbesondere wurden keine Anweisungen gegeben, welche Handlungsweisen der Anmelderin offenstehen, falls sie mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung nicht einverstanden sei und die zurückgewiesenen Anträge aufrechterhalten wolle.
2.2 Aus Sicht der Beschwerdeführerin wurde sie durch die Mitteilung in diesem Fall in folgende Lage gebracht:
Würde sie innerhalb der angegebenen Frist die Gebühren entrichten und die Übersetzung einreichen, so wäre dies gemäß Regel 51 (4) letzter Satz EPÜ als Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung zu werten; andernfalls gälte ihre Anmeldung nach Regel 51 (8) EPÜ als zurückgenommen. Ihr Haupt- und ihr erster Hilfsantrag wurden zurückgewiesen, ohne daß ihr mitgeteilt wurde, wie sie vorzugehen habe, wenn sie nicht mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung einverstanden sei und die höherrangigen Anträge aufrechterhalten wolle.
Selbst wenn die Beschwerdeführerin beschlossen hätte, ihr Nichteinverständnis mit der Zurückweisung des Haupt- und des ersten Hilfsantrags zu erklären, hätte sie nicht sicher sein können, wie sich dies in Verbindung mit den beiden Möglichkeiten ausgewirkt hätte, die ihr laut der Mitteilung offenstanden:
a) Gesetzt den Fall, daß sie ihr Nichteinverständnis erklärt hätte, ohne die Gebühren zu entrichten und die Übersetzung einzureichen - hätte das Nichteinverständnis dann Vorrang gegenüber der implizierten Zurücknahme der Anmeldung gehabt?
b) Gesetzt den Fall, daß sie ihr Nichteinverständnis erklärt, die Gebühren entrichtet und die Übersetzung eingereicht hätte - hätte das Nichteinverständnis dann Vorrang gegenüber dem implizierten Einverständnis mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung des Patents gehabt?
Die in Regel 51 (5) EPÜ vorgesehene Möglichkeit zur Einreichung von Änderungen ist nur gegeben, wenn diese Änderungen in die für die Erteilung vorgeschlagene Fassung der Anmeldung aufgenommen werden sollen. Zudem ist diese Möglichkeit laut einer Mitteilung des EPA auf geringfügige Änderungen an der vorgeschlagenen Fassung beschränkt (vgl. die "Mitteilung vom 9. Januar 2002 über die Änderung der Regeln 25 (1), 29 (2) und 51 EPÜ" (ABl. EPA 2002, 112)) und ändert nichts daran, daß auf Grund der Zahlung der erforderlichen Gebühren und der Einreichung der Übersetzung davon ausgegangen werden kann, daß der Anmelder mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung einverstanden sei, die übrigen Anträge also fallengelassen würden.
So hat die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ der Anmelderin den Eindruck vermittelt, daß ihr keine andere Möglichkeit blieb, als zu zahlen und damit die vorgeschlagene Fassung zu billigen oder nicht zu zahlen und die Anmeldung zu verlieren. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß in dem Schriftstück auch begründet wurde, warum die höherrangigen Anträge abgelehnt wurden, aber keinerlei Angabe darüber enthalten war, wie die Beschwerdeführerin vorzugehen habe, wenn sie diese höherrangigen Anträge aufrechterhalten wollte.
Die bei der Beschwerdeführerin ausgelöste Verwirrung ist darauf zurückzuführen, daß die auf EPA Form 2004 07.02CSX erlassene Mitteilung unterschiedliche Phasen des Verfahrens miteinander verbindet (nämlich einerseits Regel 51 (4) und andererseits Regel 51 (8) EPÜ, die erst anwendbar ist, wenn zuvor das Einverständnis mitgeteilt wurde). Dadurch wurde der Beschwerdeführerin eine der ihr eigentlich zustehenden Möglichkeiten vorenthalten, nämlich die Möglichkeit, ihr Nichteinverständnis zu erklären und daraufhin eine beschwerdefähige Entscheidung zu erwirken, in der die Zurückweisung der höherrangigen Anträge begründet wird.
Durch die Art und Weise, in der die der Beschwerdeführerin übersandte Mitteilung abgefaßt und zusammengestellt war, wurde dieser das Recht vorenthalten, ihr Nichteinverständnis mit der vorgeschlagenen Fassung zu erklären.
2.3 Die Regel 51 EPÜ wurde mit Wirkung vom 1. Juli 2002 vom Verwaltungsrat geändert. Die "Mitteilung vom 9. Januar 2002 über die Änderung der Regeln 25 (1), 29 (2) und 51 EPÜ" (ABl. EPA 2002, 112) (im folgenden als "Mitteilung vom 9. Januar 2002" bezeichnet), in der die Öffentlichkeit unter anderem mit der neuen Regel 51 EPÜ vertraut gemacht wurde, konnte der Beschwerdeführerin keinen Ausweg aufzeigen, da diese Mitteilung ebenfalls nur die Möglichkeit vorsieht, die von der Prüfungsabteilung vorgeschlagene Fassung zu billigen und gegebenenfalls geringfügige Änderungen an dieser Fassung vorzuschlagen oder aber die Anmeldung zu verlieren. In der Mitteilung vom 9. Januar 2002 wird explizit erwähnt, daß ein ausdrückliches Nichteinverständnis "nicht mehr vorgesehen" ist. Es gibt somit kein Verfahren, das dem Anmelder erlauben würde, sein Nichteinverständnis mit der vorgeschlagenen Fassung zum Ausdruck zu bringen.
2.4 In Anbetracht des objektiven Inhalts der übersandten Mitteilung und der Mitteilung vom 9. Januar 2002 konnte die Beschwerdeführerin daher vernünftigerweise davon ausgehen, daß
a) alle in erster Instanz anhängigen Fragen gelöst waren,
b) das Dokument ein sowohl für sie selbst als auch für die Prüfungsabteilung bindendes Schriftstück darstellte,
c) eine begründete Wahl zwischen rechtlich zulässigen Alternativen getroffen worden war,
d) die Sachprüfung in dieser Phase des Verfahrens abgeschlossen war, da das weitere Verfahren ausschließlich von der Entscheidung der Anmelderin abhing.
All diese Gesichtspunkte spielen eine Rolle für das Vorliegen einer beschwerdefähigen Entscheidung (vgl. z. B. T 934/91, ABl. EPA 1994, 184 und T 560/90, nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
Nach Auffassung der Kammer konnte die Beschwerdeführerin daher vernünftigerweise annehmen, daß das ihr übersandte Schriftstück eine beschwerdefähige Entscheidung darstellte und sie Beschwerde einlegen mußte, um einen Rechtsverlust abzuwenden.
Aufgrund der besonderen Umstände wird die Beschwerde im vorliegenden Fall daher für zulässig erachtet, um das berechtigte Vertrauen der Beschwerdeführerin zu schützen, das um so mehr nachvollziehbar ist, als keine einschlägigen Entscheidungen der Beschwerdekammern vorliegen, die hier als Richtschnur hätten dienen können.
3. Die der Anmelderin übersandte Mitteilung ist Ausdruck einer Vorgehensweise des EPA, die kein Verfahren für den Fall vorsieht, daß der Anmelder nicht mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung einverstanden ist. In der Mitteilung vom 9. Januar 2002 heißt es explizit, daß ein "ausdrückliches Nichteinverständnis [...] nicht mehr vorgesehen" ist. Aus nachstehenden Gründen ist diese Praxis nach dem EPÜ nicht gerechtfertigt.
In Artikel 97 (2) a) EPÜ heißt es, daß die Prüfungsabteilung festzustellen hat, ob der Anmelder mit der Fassung, in der das Patent erteilt werden soll, einverstanden ist, und daß in der Ausführungsordnung ein entsprechendes Verfahren vorzusehen ist. Im juristischen Sinn bedeutet das Wort "establish", "feststellen", "établir", daß ein formeller Beschluß über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines bestimmten Tatbestands ergeht. Ein formeller Beschluß kann nur am Ende eines formellen Verfahrens gefaßt werden. Ein formelles Verfahren wiederum existiert nur, wenn die entsprechenden Verfahrensschritte gesetzlich geregelt sind, z. B. durch die Ausführungsordnung.
Dies bedeutet, daß der Anmelder die Möglichkeit haben muß, das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen des Einverständnisses formell feststellen zu lassen.
3.1 Das Einverständnis des Anmelders muß zum einen deshalb im Rahmen eines geeigneten Verfahrens zweifelsfrei feststellbar sein, weil es nach Maßgabe der Artikel 97 (2) und 113 (2) EPÜ Voraussetzung für die Erteilung des Patents ist. Ein Patent kann nicht ohne das Einverständnis des Anmelders erteilt werden. Dieses Einverständnis ist somit ein wesentlicher und entscheidender Bestandteil des Erteilungsverfahrens.
Zum anderen ergibt sich auch dann eine Rechtsfolge, wenn das Einverständnis nicht erteilt wird, nämlich die Zurückweisung der Anmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ.
Aus dem fehlenden Einverständnis des Anmelders resultiert eine andere Rechtsfolge als aus der Nichtzahlung der Gebühren oder der Nichteinreichung der Übersetzung. Während die Anmeldung im ersten Fall zurückgewiesen wird, gilt sie im zweiten Fall als zurückgenommen.
Das ist ein grundlegender Unterschied, der auch in den unterschiedlichen Rechtsbehelfen zum Ausdruck kommt, die einem Beteiligten zur Verfügung stehen: Ergeht eine Entscheidung auf Zurückweisung der Anmeldung, weil das Einverständnis mit der vorgeschlagenen Fassung nicht vorlag, so steht als Rechtsbehelf die Beschwerde zur Verfügung; gilt die Anmeldung wegen der Nichtentrichtung der Gebühren oder der Nichteinreichung der Übersetzung als zurückgenommen, so sind die einzigen möglichen Rechtsmittel die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, oder die Weiterbehandlung nach Artikel 121 EPÜ. Keines dieser beiden Rechtsmittel gestattet eine erneute Prüfung der Anmeldung, eine Beschwerde dagegen schon.
Da das Nichteinverständnis des Anmelders mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung spezifische Rechtsfolgen nach sich zieht, muß gewährleistet sein, daß die Prüfungsabteilung auch den Tatbestand des Nichteinverständnisses eindeutig feststellt.
3.2 Das Erfordernis eines ausdrücklichen Einverständnisses war in der bis 1. Juli 2002 geltenden Fassung der Regel 51 (4) EPÜ verankert; dort hieß es, daß das Einverständnis innerhalb einer von der Prüfungsabteilung gesetzten Frist explizit zu erklären war. Natürlich konnte innerhalb dieser Frist auch das Nichteinverständnis explizit zum Ausdruck gebracht werden. Im Interesse einer eindeutigen Rechtslage sah die Regel 51 (5) Satz 1 EPÜ in der bis 1. Juli 2002 geltenden Fassung vor, daß die Patentanmeldung zurückgewiesen würde, wenn der Anmelder sein Einverständnis nicht explizit mitteilte. Damit wurde Schweigen als implizites Nichteinverständnis gewertet. Diese beiden Bestimmungen bildeten das formelle Verfahren, das notwendig war, um in jeder Fallkonstellation (ausdrückliche Erklärung oder Schweigen) feststellen zu können, ob der Anmelder mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung einverstanden war, und trugen der Tatsache Rechnung, daß das Nichteinverständnis eine eigene Rechtsfolge nach sich zieht, nämlich die Zurückweisung der Anmeldung.
Regel 51 (8) EPÜ in der bis 1. Juli 2002 geltenden Fassung bezog sich auf ein späteres Verfahrensstadium und regelte die Rechtsfolge (Anmeldung gilt als zurückgenommen) für den Fall der Nichtentrichtung der Gebühren oder der Nichteinreichung der Übersetzung, nachdem die für die Erteilung vorgesehene Fassung ausdrücklich gebilligt worden war.
Aus diesem Grund enthielt die Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ in der alten Fassung neben einer Aufforderung an den Anmelder, sein Einverständnis zu erklären, auch einen Hinweis zu den rechtlichen Folgen seines Schweigens.
3.3 Gemäß der am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Fassung der Regel 51 (4) EPÜ kann das Einverständnis implizit zum Ausdruck gebracht werden, indem die Gebühren entrichtet werden und die Übersetzung eingereicht wird.
Der Satz, der in der alten Fassung der Regel 51 (5) EPÜ besagte, daß die Anmeldung zurückgewiesen würde, wenn der Anmelder sein Einverständnis nicht explizit mitteilte, wurde gestrichen.
Die geltende Fassung von Regel 51 EPÜ bietet dem Anmelder keine Möglichkeit, sein Nichteinverständnis zu erklären. Dies bedeutet aber nicht, daß dem Anmelder die Möglichkeit vorenthalten werden kann, sein Nichteinverständnis zum Ausdruck zu bringen.
Regel 51 (8) EPÜ ist unverändert geblieben und sieht weiterhin vor, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt, wenn nicht innerhalb der von der Prüfungsabteilung festgesetzten Frist die Gebühren entrichtet werden und die Übersetzung eingereicht wird. Diese Rechtsfolge kann aber nur für Fälle gelten, in denen der Anmelder die von der Prüfungsabteilung vorgeschlagene Fassung gebilligt und dann die Gebühren nicht entrichtet und/oder die Übersetzung nicht eingereicht hat. Regel 51 (8) EPÜ kann nicht auf Anmelder angewandt werden, die mit der für die Erteilung vorgeschlagenen Fassung nicht einverstanden sind, da ihnen sonst die Möglichkeit vorenthalten würde, ihr Nichteinverständnis zu erklären.
Genau dies hat die der Anmelderin übersandte Mitteilung aber bewirkt. Die Tatsache, daß in dieser Mitteilung mehrere Verfahrensschritte aus unterschiedlichen Phasen des Verfahrens miteinander verbunden wurden, hat zu einer Situation geführt, in der das Nichteinverständnis nicht mehr erklärt werden kann und ein Schritt fehlt, weil die Nichtentrichtung der Gebühren und die Nichteinreichung der Übersetzung die unmittelbare Rechtsfolge hat, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt.
Um diese Situation zu vermeiden, hätte man die Beschwerdeführerin darüber unterrichten müssen, daß sie im Falle des Nichteinverständnisses dieses zum Ausdruck bringen kann, woraufhin die in Regel 51 (8) EPÜ vorgesehene Rechtsfolge nicht eintreten und die Anmeldung zurückgewiesen würde.
Mit seiner Mitteilung hat das EPA der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, auf das Verfahren Einfluß zu nehmen und eine Entscheidung über die Zurückweisung ihrer höherrangigen Anträge zu erwirken und dagegen Beschwerde einzulegen. Ihre einzige Möglichkeit bestand darin, die vorgeschlagene Fassung zu billigen oder die Anmeldung zu verlieren. Die in Artikel 122 und 121 EPÜ geregelten Rechtsbehelfe ermöglichen es ihr nämlich nicht, eine erneute Prüfung ihres Falls zu erreichen. Darüber hinaus können fallengelassene Anträge nicht wieder eingeführt werden, wenn die Anmeldung nach Regel 51 (6) EPÜ zurückgewiesen wird, weil die Prüfungsabteilung vom Anmelder gemäß Regel 51 (5) EPÜ vorgeschlagene Änderungen ablehnt.
Aus den obengenannten Gründen verstößt diese Praxis gegen die Erfordernisse der Artikel 97 (2) a) und 113 (2) EPÜ, die Vorrang haben müssen.
Der Erlaß einer Mitteilung, die dieser Praxis entspricht, stellt damit einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ und die Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung rechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.