T 0390/86 (Besetzungsfehler) 17-11-1987
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1. Die Einspruchsabteilung ist befugt, vor Zustellung der Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ eine endgültige Sachentscheidung (hier zur Patentierbarkeit einzelner Ansprüche) zu treffen.
2. Sobald eine endgültige Sachentscheidung getroffen worden ist, ist die Einspruchsabteilung auch nicht nach Regel 58 (5) EPÜ befugt, die Prüfung des Einspruchs im Zusammenhang mit Fragen fortzusetzen, die Gegenstand dieser Entscheidung waren. Weitere Anträge der Beteiligten zu diesen Fragen sind unzulässig.
3. Eine Entscheidung muß zumindest im Namen der für das Verfahren bestimmten Mitglieder schriftlich abgefaßt sein und deren Auffassung wiedergeben; sie muß ferner mit Unterschriften versehen sein, die dies belegen.
4a) Die schriftliche Begründung einer in einer mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung kann nur von den Mitgliedern des Spruchkörpers unterzeichnet sein, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Das gilt auch dann, wenn zwischen der mündlichen und der schriftlichen Entscheidung ein Verfahren nach Regel 58 (4) EPÜ stattgefunden hat.
4b) Ist von der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung eine endgültige Sachentscheidung getroffen worden und ist die spätere schriftliche Entscheidung, in der diese mündliche Entscheidung begründet wird, von Personen unterzeichnet, mit denen die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung nicht besetzt war, so ist die Entscheidung ungültig.
Besetzungsfehler
Mündliche Entscheidung - spätere schriftliche Entscheidung von Personen unterzeichnet, die an der mündlichen Entscheidung nicht nicht mitgewirkt haben - Entscheidung ungültig "
Entscheidung ungültig/Unterzeichner nicht an mündl. Verh.teilgenommen
Sachverhalt und Anträge
I. Gegen das europäische Patent Nr. 19 959 wurde von zwei Einsprechenden Einspruch eingelegt. Die Einsprechende I beantragte unter bestimmten Voraussetzungen eine mündliche Verhandlung. Diese wurde zu gegebener Zeit anberaumt und fand am 8. Oktober 1985 vor drei Mitgliedern der Einspruchsabteilung statt. In der Verhandlung waren alle drei Beteiligten vertreten und brachten ihre Standpunkte zu den von den beiden Einsprechenden aufgeworfenen Sachfragen vor. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende der Einspruchsabteilung folgende Entscheidung:
i) Dem Hauptantrag der Patentinhaberin auf Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form werde nicht stattgegeben.
ii) Dem Hilfsantrag der Patentinhaberin auf Aufnahme der Merkmale des Anspruchs 2 in Anspruch 1 könne stattgegeben werden.
iii) Im weiteren Verfahren werde die Einspruchsabteilung nach Regel 58 (4) EPÜ die Fassung mitteilen, in der das Patent aufrechterhalten werden solle.
Am 20. Dezember 1985 erging ordnungsgemäß eine Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ, die von einem Formalsachbearbeiter unterzeichnet war und die Fassung enthielt, in der die Einspruchsabteilung das Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigte; beigefügt war die Niederschrift über die mündliche Verhandlung (nach R. 76), die die obengenannte Entscheidung wiedergab und von zweien der drei Mitglieder der Einspruchsabteilung, vor denen die mündliche Verhandlung stattgefunden hatte, nämlich dem Vorsitzenden und dem zweiten Mitglied als Protokollführer, unterzeichnet war.
Beide Einsprechende erklärten am 13. bzw. 17. Januar 1986 ordnungsgemäß, daß sie mit der Fassung, in der das Patent aufrechterhalten werden solle, nicht einverstanden seien, und brachten erneut vor, daß das Patent überhaupt nicht aufrechterhalten werden solle.
II. Am 11. September 1986 traf die Einspruchsabteilung eine Zwischenentscheidung im Sinne des Artikels 106 (3) EPÜ, die von dreien ihrer Mitglieder unterzeichnet war und eine Begründung dafür enthielt, weshalb Anspruch 1 des Patents in unveränderter Fassung nicht gewährbar sei, der Hilfsantrag der Patentinhaberin und die Aufrechterhaltung des Patents in entsprechend geändertem Umfang jedoch zulässig seien. Diese drei Mitglieder waren nicht dieselben, vor denen die mündliche Verhandlung stattgefunden hatte; soweit aus der Verfahrensakte hervorgeht, hatte keines dieser drei Mitglieder abgesehen von der Unterzeichnung der schriftlichen Entscheidung an dem Verfahren in irgendeiner Weise mitgewirkt.
III. Am 29. Oktober bzw. 10. November 1986 legten beide Einsprechende unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Einsprechende I wies in ihrer Beschwerdeschrift darauf hin, daß die Zwischenentscheidung von drei Personen unterzeichnet und damit erlassen worden sei, die an der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 1985 nicht mitgewirkt und sich auch sonst nicht mit dem Fall befaßt hätten; sie stellte die Frage, ob die Zwischenentscheidung unter diesen Umständen rechtsgültig sei. Die beiden Einsprechenden reichten ordnungsgemäß eine Beschwerdebegründung ein.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung geht eindeutig hervor, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Haupt- und den Hilfsantrag der Patentinhaberin (d. h. die Sachentscheidung über den Einspruch) in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 1985 gemäß Regel 68 (1) Satz 1 EPÜ vom Vorsitzenden im Namen der drei Mitglieder verkündet wurde, die an der mündlichen Verhandlung mitgewirkt hatten. Anschließend fand ein Verfahren nach Artikel 102 (3) und Regel 58 (4) EPÜ statt. Ist eine Entscheidung verkündet worden, so muß sie gemäß Regel 68 (1) EPÜ später schriftlich abgefaßt und den Beteiligten zugestellt werden. Außerdem sind nach Regel 68 (2) EPÜ Entscheidungen des EPA, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen.
Diese Bestimmungen der Regel 68 EPÜ ergänzen eindeutig die der Regel 76 EPÜ über die Anfertigung von Niederschriften über mündliche Verhandlungen und von deren Abschriften. Wird also wie im vorliegenden Fall in der mündlichen Verhandlung eine Sachentscheidung verkündet, so muß sie schriftlich abgefaßt und den Beteiligten zugestellt werden (R. 68 (1) EPÜ); sie muß außerdem durch eine schriftliche Begründung förmlich abgeschlossen werden (R. 68 (2) EPÜ). Aus Regel 68 EPÜ und Artikel 108 EPÜ geht klar hervor, daß die Frist von zwei Monaten, innerhalb deren Beschwerde eingelegt werden kann, erst dann zu laufen beginnt, wenn eine mündlich verkündete Sachentscheidung in dieser Weise schriftlich abgefaßt und den Beteiligten zugestellt worden ist.
Im vorliegenden Fall sollte die am 8. Oktober 1985 verkündete Sachentscheidung gemäß Regel 68 (1) EPÜ durch die Zustellung der schriftlichen Zwischenentscheidung vom 11. September 1986 formell vervollständigt werden.
Diese schriftliche Entscheidung enthält die Begründung für den mündlichen Beschluß, zwar nicht dem Hauptantrag, dafür jedoch dem Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin stattzugeben, sowie ferner den förmlichen Beschluß, das Patent in geändertem Umfang in der Fassung aufrechtzuerhalten, die in der Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ enthalten ist.
Die Kammer hat zunächst geprüft, ob die Einspruchsabteilung befugt war, eine Sachentscheidung der vorliegenden Art am Ende der mündlichen Verhandlung zu verkünden, die strittigen Punkte also "abschließend" zu entscheiden (eine solche Entscheidung kann nicht von derselben Instanz geändert werden und ist, wenn sie unter Artikel 106 (1) EPÜ fällt, beschwerdefähig). Zur Beantwortung dieser Frage müssen der Artikel 102 und die Regel 58 EPÜ herangezogen werden.
3.1. In Artikel 102 (1) und (2) EPÜ heißt es, daß die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen oder den Einspruch zurückweisen kann, je nachdem, wie sie die Einspruchsgründe beurteilt. Artikel 102 (3) EPÜ betrifft den Fall, daß die Einspruchsabteilung einen Mittelweg einschlägt und bereit ist, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten. Artikel 102 EPÜ gilt eindeutig für alle Einspruchsverfahren, ob mit oder ohne mündliche Verhandlung. Ebenso eindeutig ist die Einspruchsabteilung bei Einsprüchen, auf die Artikel 102 (1) und (2) EPÜ zutrifft, nach Regel 68 EPÜ befugt, in der mündlichen Verhandlung eine (endgültige) Entscheidung (zum Widerruf des Patents oder zur Zurückweisung des Einspruchs) zu verkünden. Zu Einsprüchen, auf die der erste Teil des Artikels 102 (3) EPÜ zutrifft, heißt es darin weiter, daß sie (die Einspruchsabteilung) die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang beschließt, vorausgesetzt, daß
a) (gemäß Regel 58 (4) EPÜ) feststeht, daß der Patentinhaber mit der Fassung, in der die Einspruchsabteilung das Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigt, einverstanden ist und
b) die Druckkostengebühr fristgerecht entrichtet worden ist. Entsprechend diesen Bestimmungen sieht Regel 58 (4) EPÜ folgendes vor: "Bevor die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang beschließt, teilt sie den Beteiligten" ihre Absicht mit und fordert sie zu einer Stellungnahme auf; dies geschieht in der Regel mit einer schriftlichen Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ. Die obengenannten Bestimmungen des Artikels 102 (3) und der Regel 58 (4) EPÜ schließen jedoch nicht aus, daß die Einspruchsabteilung im Einspruchsverfahren vor Absendung einer Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ eine (endgültige) Zwischenentscheidung zu einer im Verfahren aufgeworfenen Sachfrage erläßt. Regel 58 (4) EPÜ verbietet lediglich, daß die Einspruchsabteilung "die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geändertem Umfang beschließt", ohne zuvor den Beteiligten die geänderte Fassung mitzuteilen, in der sie das Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigt, und sie zur Stellungnahme aufzufordern. Jedoch hindert weder Artikel 102 (3) noch Regel 58 (4) EPÜ die Einspruchsabteilung daran, Entscheidungen über Sachfragen im Einspruchsverfahren zu treffen, bevor sie eine Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ absendet und "die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang beschließt".
So kann z. B. die Einspruchsabteilung im Einspruchsverfahren in einer (endgültigen) mündlichen oder schriftlichen Zwischenentscheidung feststellen, daß ein bestimmter Änderungsvorschlag gegen Artikel 123 EPÜ verstößt. Sie kann nach Auffassung der Kammer im Einspruchsverfahren auch die (endgültige) Zwischenentscheidung treffen, daß z. B. der Hauptanspruch des angefochtenen Patents nicht aufrechterhalten werden kann. Eine solche materielle Zwischenentscheidung ist noch nicht die eigentliche Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, sondern nur eine Vorentscheidung hierzu.
Solche materiellen Zwischenentscheidungen im Einspruchsverfahren sind in zweierlei Hinsicht wünschenswert, nämlich um das Verfahren voranzutreiben und um den Beteiligten in entsprechenden Fällen (s. Art. 106 (3) EPÜ) die Möglichkeit zu geben, diese Zwischenentscheidung noch vor Abschluß des Einspruchsverfahrens mit der Beschwerde anzufechten.
In diesem Zusammenhang ist es (in ähnlich gelagerten Fällen) natürlich wünschenswert, daß das Verfahren vor der Einspruchsabteilung und das vor der Beschwerdekammer im allgemeinen in derselben Weise durchgeführt werden. Dies ist in Regel 66 (1) EPÜ festgelegt, wo es wie folgt heißt: "Die Vorschriften für das Verfahren vor der Stelle, die die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung erlassen hat, sind im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden, soweit nichts anderes bestimmt ist." Was das Verfahren vor der Beschwerdekammer anbelangt, so ist es üblich, daß die von der Kammer zu Artikel 102 (1) bis (3) EPÜ getroffenen Entscheidungen in der mündlichen Verhandlung verkündet werden. Handelt es sich um eine Entscheidung zu Artikel 102 (3) EPÜ, also um eine Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, dann muß entsprechend der Entscheidung T 219/83 "Zeolithe/BASF" (ABl. EPA 1986, 211) im Einzelfall geprüft werden, ob eine schriftliche Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ ergehen soll, bevor die endgültige Fassung des Patents festgelegt wird.
3.2. Die Kammer stellt fest, daß nach Regel 58 (5) EPÜ "das Einspruchsverfahren fortgesetzt werden" kann, wenn ein Beteiligter erklärt, daß er mit der in der Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ genannten Fassung nicht einverstanden ist. Nach Auffassung der Kammer ist dies aus den nachstehend dargelegten Gründen so auszulegen, daß die Prüfung nach Regel 58 (5) EPÜ nur insoweit fortgesetzt werden darf, als dies zur Ausräumung der Einwände gegen die vorgeschlagene Fassung erforderlich ist. Die Regel 58 (4) und (5) EPÜ regelt die Ausführung des Artikels 102 (3) a) EPÜ. Somit hat die Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ vor allem den Zweck, den Beteiligten mitzuteilen, "in welchem Umfang sie (die Einspruchsabteilung) das Patent aufrechtzuerhalten beabsichtigt"; damit soll in erster Linie festgestellt werden, ob der Patentinhaber mit der vorgeschlagenen Fassung einverstanden ist. Dieses Einverständnis des Patentinhabers muß nach Artikel 102 (3) a) EPÜ (im Hinblick auf Artikel 113 (2) EPÜ) vorliegen, bevor die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang formell beschlossen wird. Natürlich sind die sachlichen Einspruchsgründe in der Regel bereits vor Absendung der Mitteilung nach Regel 58 (4) im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 101 EPÜ und den dazugehörigen Regeln 57 und 58 (1) bis (3) EPÜ geprüft worden. Sofern nicht bereits eine Sachentscheidung zu den strittigen Punkten ergangen ist, kann die Einspruchsabteilung nach Absendung der Mitteilung nach Regel 58 (4) EPÜ die sachlichen Einspruchsgründe nochmals prüfen; diese Befugnis steht ihr jedoch nicht aufgrund der Regel 58 (5), sondern aufgrund des Artikels 101 sowie gegebenenfalls des Artikels 114 (1) EPÜ zu und sollte nur in Ausnahmefällen ausgeübt werden.
Obwohl Regel 58 (4) EPÜ den Beteiligten insofern Gleichbehandlung zusichert, als sowohl die Einsprechenden als auch der Patentinhaber zur Stellungnahme aufgefordert werden, falls sie mit der Fassung nicht einverstanden sind, muß diese Bestimmung im Gesamtzusammenhang, insbesondere im Zusammenhang mit Artikel 102 (3) a) EPÜ, gesehen werden. So sollten sich alle Stellungnahmen nach Regel 58 (4) EPÜ, die des Patentinhabers ebenso wie die des Einsprechenden, auf die vorgeschlagene Fassung und deren formale Zulässigkeit beschränken.
Diese Auslegung der Regel 58 (4) und (5) EPÜ entspricht der Auslegung, die dem Wort "Nichteinverständnis" im Zusammenhang mit Regel 51 (4) EPÜ (vor deren Änderung zum 1. September 1987) in der Entscheidung J 22/86 "Nichteinverständnis/MEDICAL BIOLOGICAL" (ABl. EPA 1987, 280) unter Nummer 4 gegeben worden ist.
4. Im Hinblick auf Nummer 3 ist die Kammer der Auffassung, daß die Einspruchsabteilung hier eindeutig befugt war, die Entscheidung zu verkünden (s. Nr. I). Die mündliche Entscheidung war sofort nach ihrer Verkündung in der mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 1985 im Hinblick auf die darin (d. h. unter i und ii) behandelten Sachfragen des Einspruchsverfahrens endgültig. Unter Nummer iii der Entscheidung wurde ferner das weitere Verfahren angegeben. So wurde beschlossen, daß Anspruch 1 nicht gewährbar sei, daß das Patent jedoch mit dem Gegenstand des Anspruchs 2 als Hauptanspruch aufrechterhalten werden könne, sofern der Text entsprechend geändert (d. h. an den Hilfsantrag angepaßt) werde. Im weiteren Verfahren haben beide Einsprechende erklärt, daß sie mit der Fassung nicht einverstanden seien (s. Nr. I, letzter Satz). Die Einsprechende I legte nach Abgabe dieser Erklärung unverzüglich eine schriftliche "Begründung" vor. Darin ging sie nicht auf die Frage ein, ob die gemäß Regel 58 (4) EPÜ mitgeteilte Fassung tatsächlich der Entscheidung entsprach, das Patent in einer dem Hilfsantrag entsprechenden Fassung aufrechtzuerhalten; sie brachte vielmehr weitere Gründe dafür vor, daß das Patent überhaupt nicht aufrechterhalten werden sollte. Auch die Einsprechende II machte geltend, daß der neue Hauptanspruch der geänderten Fassung aus sachlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden sollte. Diese "Begründungen" und Vorbringen der Einsprechenden I und II bezogen sich auf Fragen, die von der Einspruchsabteilung bereits endgültig zuungunsten der Einsprechenden entschieden worden waren. Nach der mündlichen Verkündung der Sachentscheidung war die Einspruchsabteilung auch nicht nach Regel 58 (5) EPÜ befugt, die Prüfung des Einspruchs im Zusammenhang mit den Sachfragen fortzusetzen, die Gegenstand dieser Entscheidung waren. Das Vorbringen der Einsprechenden war somit in diesem Verfahren vor der Einspruchsabteilung überflüssig und unzulässig.
5. Ferner stellte sich im Beschwerdeverfahren die Frage, ob die Entscheidung der Einspruchsabteilung im Hinblick auf den unter Nummer II genannten Tatbestand gültig war. Zwar heißt es in Regel 70 EPÜ: "Bescheide und Mitteilungen des Europäischen Patentamts sind mit der Unterschrift und der Namenswiedergabe des zuständigen Bediensteten zu versehen"; doch ist weder in Artikel 68 EPÜ noch sonstwo im EPÜ ausdrücklich vorgeschrieben, daß eine erstinstanzliche (d. h. beschwerdefähige) Entscheidung des EPA von dem oder den zuständigen Beamten unterzeichnet werden muß. Zur Beantwortung der von der Einsprechenden I aufgeworfenen Frage nach der Gültigkeit der schriftlichen Entscheidung vom 11. September 1986 (s. Nr. III) muß die Kammer die hier geltenden Grundsätze in Betracht ziehen.
6. Mit Artikel 15 EPÜ werden im EPA "für die Durchführung der im EPÜ vorgeschriebenen Verfahren" verschiedene Organe eingesetzt. Entscheidungen der Organe des EPA zur Erteilung oder Aufrechterhaltung eines europäischen Patents wie die im vorliegenden Einspruchsverfahren haben eine sofortige, verbindliche Wirkung auf die Zivilrechte der Beteiligten und der Öffentlichkeit in den benannten Vertragsstaaten. Die Entscheidungsbefugnis der Organe des EPA und die Rechtsgrundlagen dafür leiten sich aus dem EPÜ her.
7. Bei Einspruchsverfahren sieht Artikel 19 (1) EPÜ folgendes vor: "Die Einspruchsabteilungen sind für die Prüfung von Einsprüchen gegen europäische Patente zuständig." In Artikel 19 (2) EPÜ heißt es: "Eine Einspruchsabteilung setzt sich aus drei technisch vorgebildeten Prüfern zusammen"; daran schließen sich Bestimmungen über die Zusammensetzung der Einspruchsabteilungen an. Daraus geht ganz klar hervor, daß ein Einspruchsverfahren zu einem europäischen Patent in jedem Falle von drei technisch vorgebildeten Prüfern durchgeführt werden muß, die über den Einspruch entscheiden und für jeden Einspruch persönlich bestimmt werden müssen (in einigen Fällen kann zusätzlich ein rechtskundiger Prüfer bestimmt werden). Ferner ist vorgesehen, daß mindestens zwei der drei Prüfer an dem Verfahren zur Erteilung des Patents nicht mitgewirkt haben dürfen und daß einer dieser beiden den Vorsitz führt. Es ist außerdem ausdrücklich vorgeschrieben, daß die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung selbst stattfindet, d. h. vor den drei technisch vorgebildeten Prüfern, die persönlich dazu bestimmt worden sind, die zur Prüfung des betreffenden Einspruchs eingesetzte Einspruchsabteilung zu bilden.
Zudem macht der Hinweis auf die Abstimmung im letzten Satz von Artikel 19 (2) EPÜ deutlich, daß über den Einspruch anhand der persönlichen Voten der einzelnen Prüfer entschieden wird, mit denen die Einspruchsabteilung besetzt worden ist. Somit geht aus Artikel 19 EPÜ klar hervor, daß die Befugnis zur Prüfung und Entscheidung von Einsprüchen nach Artikel 101 und 102 EPÜ von den dazu bestimmten Prüfern jederzeit persönlich ausgeübt werden muß.
Außerdem muß die Entscheidungsbefugnis eines Organs des EPA wie der Einspruchsabteilung nicht nur entsprechend dem bekannten Grundsatz "delegatus non potest delegare" persönlich ausgeübt werden; diese persönliche Ausübung muß auch ersichtlich sein, und zwar sowohl für die Beteiligten als auch für die Öffentlichkeit. Dies geht eindeutig aus den Artikeln 113 (1) und 116 EPÜ hervor. Findet also im Einspruchsverfahren eine mündliche Verhandlung nach Artikel 116 EPÜ statt, so ist dafür Sorge zu tragen, daß die spätere Entscheidung auf Gründe und Beweismittel gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Damit dies gewährleistet ist, muß die mündliche Verhandlung natürlich vor allen dazu bestimmten Prüfern stattfinden; wird eine Entscheidung mündlich verkündet, so hat dies im Beisein aller dieser Prüfer zu geschehen. Desgleichen müssen die Beteiligten und die Öffentlichkeit einer schriftlichen Entscheidung, die die Begründung der mündlichen Entscheidung enthält, entnehmen können, daß sie von den Prüfern getroffen wurde, mit denen die für diese mündliche Entscheidung zuständige Einspruchsabteilung besetzt war.
Es kann natürlich vorkommen, daß einzelne Mitglieder der Abteilung (z. B. wegen Krankheit) nicht in der Lage sind, die schriftliche Entscheidung zu unterzeichnen. Nach Auffassung der Kammer müssen jedoch im Hinblick auf die oben dargelegten Grundsätze die Entscheidungen der Einspruchsabteilung, um Rechtskraft zu entfalten, im Namen der Mitglieder abgefaßt sein, die dazu bestimmt waren, als Abteilung über den strittigen Gegenstand zu entscheiden; sie müssen deren Standpunkte wiedergeben und außerdem mit Unterschriften versehen sein, die dies belegen.
Entsprechend der Amtspraxis bei Einspruchsverfahren wird schriftlichen Entscheidungen wie der im vorliegenden Fall ergangenen Zwischenentscheidung das Formblatt 2339 beigefügt; die Mitglieder der Einspruchsabteilung unterzeichnen auf diesem Formblatt. Das unterzeichnete Original des Formblatts verbleibt zur Bestätigung der Echtheit der beigefügten Entscheidung im öffentlichen Teil der Einspruchsakte. Den Beteiligten werden Abschriften der schriftlichen Entscheidung mit den Namen der Mitglieder, die das Formblatt 2339 unterzeichnet haben, zugestellt.
8. Im vorliegenden Fall fand die mündliche Verhandlung vor den drei Prüfern statt, die dazu bestimmt waren, als Einspruchsabteilung über den erhobenen Einspruch zu entscheiden; der Vorsitzende verkündete die Entscheidung in der mündlichen Verhandlung im Beisein der beiden anderen Prüfer. Das Formblatt 2339, das der schriftlichen Entscheidung vorgeheftet war, war von drei Personen unterzeichnet, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht der ernannten Einspruchsabteilung angehörten, die also nicht zur Entscheidung befugt waren und auch nicht über den Einspruch entschieden hatten. Daß die schriftliche Entscheidung ihre Unterschriften trägt, läßt auf den ersten Blick den Eindruck entstehen, daß die Entscheidung deren Standpunkte und nicht die der Prüfer wiedergibt, die zur Entscheidung über den Einspruch bestimmt worden waren und diese am Ende der mündlichen Verhandlung auch getroffen hatten. Nach Auffassung der Kammer ist diese schriftliche Entscheidung wegen Fehlbesetzung der Einspruchsabteilung, die sie unterzeichnet hat, nicht rechtsgültig und muß als rechtsunwirksam aufgehoben werden.
Da die schriftliche Entscheidung vom 11. September 1986 nicht rechtswirksam ist, ist auch der Regel 68 (1) Satz 2 EPÜ nicht Genüge getan worden; die Sachentscheidung, die am 8. Oktober 1985 in der mündlichen Verhandlung verkündet wurde, ist nämlich später nicht durch eine gültige schriftliche Entscheidung vervollständigt worden. Deshalb muß nach Überzeugung der Kammer die Sachentscheidung vom 8. Oktober 1985 als nichtig und rechtsunwirksam angesehen werden. In Anbetracht der Sachlage im vorliegenden Fall, in dem die mündliche Verhandlung vor mehr als zwei Jahren und die (ungültige) schriftliche Entscheidung vor mehr als einem Jahr (also fast ein Jahr nach der mündlichen Entscheidung) ergangen ist, ist die Kammer außerdem der Auffassung, daß Regel 68 (1) EPÜ jetzt nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt werden kann; die Sachentscheidung ist somit unheilbar nichtig.
Der Einspruch muß deshalb neu geprüft werden.
9. Aus den oben genannten Gründen wird der Beschwerde beider Beschwerdeführerinnen förmlich stattgegeben. In der Frage der Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist die Kammer der Auffassung, daß der oben dargelegte Sachverhalt einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt und daß es nur billig ist, die Beschwerdegebühren an die beiden Beschwerdeführerinnen zurückzuzahlen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die am 8. Oktober 1985 verkündete Entscheidung der Einspruchsabteilung und die schriftliche Entscheidung vom 11. September 1986 werden aufgehoben.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren an die beiden Beschwerdeführerinnen wird angeordnet.
3. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zur erneuten Prüfung zurückverwiesen.