T 0290/86 (Entfernung von Zahnbelag) 13-11-1990
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1. Ob eine beanspruchte Erfindung unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ fällt, hängt insbesondere vom Wortlaut des betreffenden Anspruchs ab. Ist die beanspruchte Erfindung nicht allein auf eine kosmetische Wirkung gerichtet, sondern definiert sie zwangsläufig auch eine therapeutische Behandlung des menschlichen Körpers, so ist ein solcher Anspruch nicht patentierbar (in Abgrenzung gegen die Entscheidung T 144/83 "Appetitzügler" (ABl. EPA 1986, 301)).
2. Was durch konkrete, in einem Dokument enthaltene detaillierte Beispiele "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht" wird, beschränkt sich nicht unbedingt auf die genauen Details dieser Beispiele, sondern hängt in jedem Einzelfall von der einem fachkundigen Leser "zugänglich gemachten" technischen Lehre ab. Die Änderung eines Anspruchs durch Aufnahme eines Disclaimers für solche konkreten detaillierten Beispiele braucht dem Anspruch keine Neuheit zu verleihen. 3. Beziehen sich ein früheres Dokument und die beanspruchte Erfindung auf eine ähnliche Behandlung des menschlichen Körpers zum selben therapeutischen Zweck (hier: Vorbeugung gegen Karies), so stellt die beanspruchte Erfindung gegenüber dem früheren Dokument eine weitere medizinische Indikation im Sinne der Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60) dar, wenn sie auf einer anderen technischen Wirkung beruht, die gegenüber der Offenbarung des früheren Dokuments sowohl neu als auch erfinderisch ist (hier: Verwendung von Lanthansalze enthaltenden Gemischen zur Verringerung der Löslichkeit des Zahnschmelzes bzw. Verwendung solcher Gemische zur besseren Entfernung von Zahnbelag).
Therapeutisches Verfahren (bejaht)
Neuheit von Sachansprüchen mit Disclaimern für Beispiele (verneint)
Zweite medizinische Indikation neu und erfinderisch
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 20. Juni 1978 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 78 300 055.7 wurde am 13. April 1983 das europäische Patent Nr. 0 000 256 mit vier Ansprüchen erteilt (s. Patentblatt 83/15); die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zum Entfernen von Belag und/oder von Verfärbungen von menschlichen Zähnen, bei dem auf die Zähne als einziges Mundpflegemittel ein nichtoxidierendes wäßriges Gemisch aufgebracht wird, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen.
3. Nichtoxidierendes wäßriges Gemisch, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen, und als Mundwasser, Mundspray, Zahnpasta oder Zahngel vorliegt."
II. Am 21. Juli 1983 wurde gegen dieses Patent Einspruch eingelegt und unter Berufung auf Artikel 100 a) und c) EPÜ sein Widerruf beantragt. Der Einspruch wurde unter anderem auf folgende Dokumente gestützt:
(1) GB-A-654 472
(3) Journal of Dental Research, Bd. 28, Nr. 2 (1949), 160 - 171 Die Patentschrift (Dokument 1) stammt aus dem Jahr 1948 und offenbart die Verwendung von Zahnpflegemitteln, die Salze eines Elements aus einer vorgegebenen Gruppe enthalten, um die Löslichkeit des Zahnschmelzes in organischen Säuren zu verringern und damit die Entstehung von Karies zu verhindern. Lanthan ist eines von vielen Elementen der vorgegebenen Gruppe. Allerdings offenbart keines der konkreten Beispiele in diesem Patent die Verwendung von Lanthan. In einem Unteranspruch ist Lanthan aber ausdrücklich als das im beanspruchten Mittel vorhandene Element genannt. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung reichte die Patentinhaberin als Haupt- und Hilfsantrag geänderte Verfahrens- und Sachansprüche ein.
III. Mit mündlicher Entscheidung vom 23. April 1986, deren schriftliche Begründung am 1. Juli 1986 zur Post gegeben wurde, widerrief die Einspruchsabteilung das Patent. Sie vertrat die Auffassung, daß die Verfahrensansprüche nach Haupt- und Hilfsantrag sowohl kosmetische als auch heilende Wirkung aufwiesen. Da Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers nicht als im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ gewerblich anwendbare Erfindungen gelten, wurde das Patent widerrufen.
Außerdem war die Einspruchsabteilung der Meinung, daß es dem Gegenstand aller Sachansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag gegenüber der Offenbarung des Dokuments 1 an Neuheit mangele, da dieses Dokument ein Zahnpflegemittel mit einem Lanthansalz offenbare und die bloße Entdeckung, daß Lanthansalze Zahnbelag entfernten, diesen Ansprüchen keine Neuheit verleihe. Eine erfinderische Tätigkeit sah die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung bei der beanspruchten Erfindung aber gegeben.
IV. Durch ordnungsgemäß bestätigte Fernschreiben vom 26. August 1986 und 28. Oktober 1986 wurde Beschwerde eingelegt und die Beschwerdebegründung eingereicht. Die vorgeschriebene Gebühr wurde am 26. August 1986 entrichtet. In ihrer Beschwerdebegründung machte die Beschwerdeführerin geltend, daß das beanspruchte Verfahren eindeutig kosmetische Wirkung habe, da es die Zähne reinige und dadurch das Aussehen der betreffenden Person verbessere. In Anbetracht der Entscheidung T 144/83 halte sie daher auf eine kosmetische Verwendung gerichtete Verfahrensansprüche für gewährbar. Da im Dokument 1 die Verwendung von Lanthansalzen zur Entfernung von Zahnbelag oder Verfärbungen nicht offenbart sei, sei der Gegenstand der (im Beschwerdeverfahren eingereichten) Ansprüche, die auf die Verwendung von Lanthansalzen zu diesem Zweck gerichtet seien, der Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60) zufolge außerdem neu.
Zur Beurteilung der Neuheit der Sachansprüche müsse geprüft werden, was aus dem früheren Dokument 1 "tatsächlich hervorgeht" (Entscheidung T 161/82, ABl. EPA 1984, 551). Das Dokument 1 enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, daß es jemals ein lanthanhaltiges Zahnpflegemittel gegeben habe. Außerdem sehe sich ein fachkundiger Leser des Dokuments 1 vor die Wahl gestellt, ob er alternativ zu den in den konkreten Beispielen offenbarten Elementen ein anderes Element wie z. B. Lanthan wählen wolle, und wenn ja, welches. Ein Zahnpflegemittel, das ein Lanthansalz enthalte, sei also nicht wirklich offenbart worden.
V. Die Beschwerdegegnerin sah in der Entfernung von Zahnbelag kein kosmetisches Verfahren, da der in der Zeit zwischen der normalen Reinigung der Zähne gebildete Zahnbelag für die betreffende Person nicht sichtbar sei. Außerdem sei in der Fachwelt unbestritten, daß Zahnbelag die Ursache für periodontale Erkrankungen und Kariesbefall darstelle. Wenn die Bildung von Zahnbelag verhindert oder Zahnbelag entfernt werde, handle es sich also eindeutig um ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers. Die Beschwerdegegnerin argumentierte ferner, daß die Verwendung von Zahnpflegemitteln mit Lanthansalzen zur Entfernung von Zahnbelag angesichts der Offenbarung des Dokuments 1 nicht neu sei, da die in diesem Dokument beschriebenen Zahnpflegemittel automatisch denselben Zweck erfüllten. Auch der Umstand, daß in die Sachansprüche für Zahnpasten und Mundwässer Disclaimer für die Beispiele des Dokuments 1 aufgenommen würden, verleihe dem Gegenstand dieser Ansprüche keine Neuheit.
VI. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der am 2. April 1988 als Anlagen 1 bis 4 eingereichten Anspruchssätze. Die Ansprüche gemäß Anlage 1 lauten wie folgt:
"1. Verwendung eines als einziges Mundpflegemittel dienenden nichtoxidierenden wäßrigen Gemisches, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen, zur Entfernung von Belag und/oder Verfärbungen von menschlichen Zähnen.
2. Verwendung gemäß Anspruch 1, bei der das Gemisch als Mundwasser, Mundspray, Zahnpasta oder Zahngel vorliegt.
3. Verwendung gemäß Anspruch 1 oder 2, bei der das Lanthankation in Form des Chloridsalzes vorliegt.
4. Nichtoxidierendes wäßriges Gemisch, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen, und als Mundspray oder Zahngel vorliegt.
5. Gemisch gemäß Anspruch 4, in dem das Lanthankation in Form des Chloridsalzes vorliegt.
6. Nichtoxidierendes wäßriges Gemisch, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen, und als Zahnpasta vorliegt, die jedoch nicht im wesentlichen folgende Zusammensetzung aufweist:
Terra alba (CaSo4) 40 bis 50 Gramm
Traganth-Gel (3 %) 20 bis 30 Gramm
Natriumsalz der Sulfonsäure 0,5 bis 5
des Kondensationsprodukts aus Benzol und einer chlorierten Kerosinfraktion mit überwiegend 12 Kohlenstoffatomen in der Kette
Glycerin 9 Gramm
Sacharin 0,3 Gramm
Pfefferminzöl 1,5 Gramm
Lanthanchlorid 0,5 bis 2 Gramm
Wasser zum Auffüllen auf 100 Gramm.
7. Nichtoxidierendes wäßriges Gemisch, das im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht, wobei das Gemisch frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen, und als Mundwasser vorliegt, das jedoch nicht im wesentlichen folgende Zusammensetzung aufweist
Ethylalkohol 20 Gramm
Natriumlaurylsulfoacetat 0,5 bis 5 Gramm
Saccharin 0,3 Gramm
Nelkenöl 1,0 Gramm
Lanthanchlorid 0,5 bis 1,0 Gramm
Wasser zum Auffüllen auf 100 Gramm.
Die Ansprüche laut den Anlagen 2 und 4 decken sich mit den Ansprüchen 1 bis 3 bzw. 1 bis 5 laut der Anlage 1. Die Ansprüche gemäß Anlage 3 lauten wie folgt:
"1. Verwendung eines Lanthansalzes zur Herstellung eines zur Entfernung von Belag und/oder Verfärbungen von menschlichen Zähnen dienenden nichtoxidierenden wäßrigen Mundwassers, Mundsprays, Zahngels oder einer entsprechenden Zahnpasta, die im wesentlichen aus dem ungebundenen Kation des Elements Lanthan in Form eines wasserlöslichen Salzes besteht und frei von Bestandteilen ist, die das Kation als wasserunlösliches Salz ausfällen.
2. Anwendung von Lanthanchlorid für die Verwendung gemäß Anspruch 1."
In einem am 9. Oktober 1990 eingereichten Schreiben erklärte die Beschwerdegegnerin, daß sie in der mündlichen Verhandlung zwar nicht vertreten sein werde, ihren Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde aber nach wie vor aufrechterhalte.
VII. In der mündlichen Verhandlung am 13. November 1990 machte die Beschwerdeführerin insbesondere geltend, daß die Verwendungsansprüche gemäß Anlage 1 gewährbar seien, weil die beanspruchte Behandlung kosmetischer und nicht medizinischer Natur sei. Werde die Behandlung aber doch als medizinisch eingestuft, so könnten der Entscheidung G 1/83 zufolge die in Anlage 3 enthaltenen Verwendungsansprüche gewährt werden. Die Sachansprüche 4 und 5 in Anlage 1 seien gegenüber dem Dokument 1 sowohl neu als auch erfinderisch; dasselbe gelte für die Ansprüche 6 und 7, nachdem Disclaimer für die im Dokument 1 beschriebenen spezifischen Zusammensetzungen mit Lanthanchlorid aufgenommen worden seien.
Bei Abschluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet, das Patent in einer während der mündlichen Verhandlung eingereichten geänderten Fassung aufrechtzuerhalten, deren Ansprüche sich weitgehend mit der Anlage 3 decken. Anspruch 1 der geänderten Fassung entspricht bis auf die Worte "Mundwasser, Mundspray, Zahngel oder ... Zahnpasta", die durch den Begriff "Gemisch" ersetzt wurden, im wesentlichen dem Anspruch 1 der Anlage 3.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Vorbehaltlich der unter Nummer VII genannten Änderungen bestehen gegen keinen der Ansprüche gemäß den Anlagen 1 bis 4 formale Einwände nach Artikel 123 EPÜ, da sie sich alle in den erteilten Ansprüchen 1 bis 4 belegt finden (vgl. auch die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 5). Die Änderungen an den Ansprüchen gemäß Anlage 3 stellen lediglich sicher, daß diese dem erteilten Anspruch 1 entsprechen; weitere Änderungen sind zur Entkräftung des Einspruchs nicht erforderlich (Regel 58 (2) EPÜ).
3. Patentierbarkeit - Verwendungsansprüche
Zunächst einmal gilt es zu entscheiden, ob die beanspruchte Erfindung ein therapeutisches oder ein kosmetisches Behandlungsverfahren darstellt. Ist das Verfahren kosmetischer und nicht therapeutischer Natur, so fallen die Ansprüche 1 bis 3 gemäß den Anlagen 1, 2 und 4 nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ. Handelt es sich aber um ein therapeutisches Verfahren, so sind diese Ansprüche von der Patentierung ausgeschlossen, wobei jedoch der Entscheidung G 1/83 zufolge (ABl. EPA 1985, 60) ein Anspruch nach dem Muster des Anspruchs 1 der Anlage 3 als "zweite medizinische Indikation" gewährbar sein kann, sofern Neuheit und erfinderische Tätigkeit vorliegen. Eine erste Frage lautet demnach, ob die Ansprüche 1 bis 3 der Anlagen 1, 2 und 4 Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers zum Gegenstand haben und somit nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind, weil sie sich auf eine Erfindung beziehen, die nicht gewerblich anwendbar im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ ist.
3.1 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin muß die Frage verneint werden, weil die Entfernung von Zahnbelag für die betreffende Person insofern einen unverkennbaren kosmetischen Aspekt aufweist, als die saubereren Zähne ihr Aussehen verbessern. Allerdings heißt es im Streitpatent auf Seite 2, Zeilen 35 bis 37, daß "Zahnbelag gemeinhin als maßgeblicher Faktor für Kariesbefall und Periodontopathie gilt und bekannt ist, daß es sich bei diesen Erkrankungen positiv auswirkt, wenn er von den Zähnen entfernt oder seiner Entstehung vorgebeugt wird." In der Entscheidung T 19/86 (Schweine II/Duphar, ABl. EPA 1989, 24) wurde die Auffassung vertreten, daß unter den Begriff der "therapeutischen Behandlung" im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ sowohl prophylaktische als auch Heilbehandlungen fallen (vgl. Nr. 7 der Entscheidungsgründe). Durch die vorstehend zitierte Textstelle im Streitpatent wird indirekt eingeräumt, daß die Entfernung des Belags von menschlichen Zähnen auch als ein nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes Verfahren angesehen werden kann.
3.2 Zur Untermauerung ihres Standpunkts, daß die Ansprüche 1 bis 3 der Anlagen 1, 2 und 4 im Hinblick auf Artikel 52 (4) EPÜ formal gewährbar seien, stützte sich die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 144/83 (ABl. EPA 1986, 301). In dieser Sache hatte die Kammer festgestellt, daß der Wortlaut der betreffenden Ansprüche "eindeutig ein kosmetisches Verfahren (umfaßt) und ... mit einer therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im üblichen Sinne nichts zu tun (hat). Ein Gewichtsverlust wird nämlich - ebenso wie eine Gewichtszunahme - meist nicht aus medizinischen Gründen angestrebt." Bei der Sachlage des damaligen Falls sah die Kammer durchaus Schwierigkeiten, eine klare Grenze zwischen einem Gewichtsverlust zur Verbesserung der körperlichen Erscheinung (kosmetische Behandlung) und einem Gewichtsverlust zur Behandlung von Fettsucht (therapeutische Behandlung) zu ziehen, meinte jedoch, dies dürfe einem Anmelder nicht zum Nachteil gereichen, der gemäß Anspruchswortlaut Patentschutz nur für die kosmetische Behandlung begehre, nicht jedoch für die therapeutische Behandlung als solche. Daß ein chemischer Stoff sowohl eine kosmetische als auch eine therapeutische Wirkung habe, wenn er zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers verwendet werde, mache die kosmetische Behandlung nicht unpatentierbar (vgl. Nr. 4 der Entscheidungsgründe).
Nach Auffassung der Kammer ist der vorliegende Fall anders zu sehen als die Sache T 144/83. Ob eine beanspruchte Erfindung unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ fällt, hängt insbesondere vom Wortlaut des betreffenden Anspruchs ab. Im damaligen Fall war die beanspruchte Erfindung eindeutig nur auf ein Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers für kosmetische Zwecke gerichtet; die Einnahme des beanspruchten Appetitzüglers zur Gewichtsabnahme für medizinische Zwecke fiel nach Auffassung der Kammer bei richtiger Auslegung nicht unter den Schutzbereich der Ansprüche. Im vorliegenden Fall wird die beanspruchte Verwendung eines lanthanhaltigen Gemisches zur Entfernung von Belag und/oder Verfärbungen von menschlichen Zähnen (Ansprüche 1 bis 3 der Anlagen 1, 2 und 4) neben einer kosmetischen Wirkung unweigerlich immer auch eine therapeutische Wirkung (zumindest im Sinne einer Prophylaxe) haben. Damit ist die Erfindung in der hier beanspruchten Form nicht allein auf eine kosmetische Wirkung gerichtet, sondern definiert zwangsläufig auch "eine therapeutische Behandlung des menschlichen Körpers".
Im Gegensatz hierzu wäre in der Sache T 144/83 ein durch eine erfindungsgemäße Behandlung bewirkter, kosmetisch erwünschter Gewichtsverlust eines Menschen, der nicht unter Fettsucht im medizinischen Sinne leidet, für diesen Menschen nicht unbedingt auch gesundheitlich vorteilhaft und damit auch keine therapeutische Behandlung.
3.3 Daß Karies und Periodontopathie nicht im üblichen Intervall zwischen der Reinigung der Zähne entstehen, sondern erst über längere Zeiträume zutage treten, macht die Entfernung von Zahnbelag nicht zu einer rein kosmetischen Behandlung, da Kariesbefall und Periodontopathie begünstigt werden, wenn sich Zahnbelag überhaupt auf den Zähnen ansetzt.
3.4 Daher fällt die Erfindung gemäß den Ansprüchen 1 bis 3 der Anlagen 1, 2 und 4 nach Ansicht der Kammer unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ, weil sie nicht gewerblich anwendbar im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ ist.
3.5 Diese Feststellung entspricht einer Entscheidung des Patentgerichts des Vereinigten Königreichs in der Sache Oral Health Products Inc. (Halstead's) Applications, 1977, RPC 612, wonach Ansprüche für bestimmte Verfahren zur Entfernung von Belag und Karies von Zähnen und für bestimmte der Entstehung von Zahnstein vorbeugende Verfahren eindeutig Verfahren zur medizinischen Behandlung von Menschen zur Krankheitsprophylaxe einschließen. Diese Entscheidung erging zwar noch nach dem Patentgesetz von 1949, d. h. vor Inkrafttreten des EPÜ, die anwendbaren Rechtsvorschriften waren aber im wesentlichen die gleichen wie im jetzigen Artikel 52 (4) EPÜ.
4. Neuheit - Sachansprüche
Im folgenden sollen die Sachansprüche der Anlagen 1 und 4 geprüft werden. Die Ansprüche 4 und 5 dieser Anlagen beziehen sich auf Mundsprays oder Zahngels, die ungebundene Kationen von Lanthan in Form wasserlöslicher Salze aufweisen. Nach Artikel 54 (2) EPÜ muß festgestellt werden, ob solche Gemische der Öffentlichkeit durch die Veröffentlichung des Dokuments 1 an dessen Veröffentlichungstag zugänglich gemacht wurden.
4.1 Bezüglich der Neuheit machte die Beschwerdeführerin geltend, daß das Dokument 1 nur solche Gemische als bereits hergestellt oder existent offenbare, die kein Lanthan enthielten, der Öffentlichkeit also keine lanthanhaltigen Gemische zugänglich mache. Zur Stützung ihrer Aussage wies sie ferner darauf hin, daß Sachansprüche, die den im jetzigen Verfahren vorliegenden gleichkämen, bei der Prüfung einer entsprechenden Patentanmeldung im Vereinigten Königreich für gewährbar befunden worden seien. Nach Auffassung der Kammer geht es im Rahmen des Artikels 54 (2) EPÜ nicht darum, was einem früheren Dokument zufolge "hergestellt", sondern was "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht" worden ist, wenn bei der Beurteilung der Neuheit nach Artikel 54 (1) EPÜ (sowie der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ) ermittelt wird, was zum Stand der Technik gehört.
4.2 Dokument 1 offenbart auf die Zähne aufzubringende Mittel mit Salzen, die Elemente der Gruppe III des Periodensystems mit Kernladungszahlen von 21 bis 71, wie beispielsweise Lanthan, enthalten (s. Ansprüche 1 und 9). Als Zubereitungen eignen sich nach Aussage dieses Dokuments Zahnpasten, Zahnpulver, flüssige Zahnputzmittel, Mundwässer und Kaugummis (vgl. den auf Seite 2 unten beginnenden Absatz). Zahngels und Mundsprays werden in diesem Dokument nicht ausdrücklich erwähnt, und der Kammer liegen auch keine Beweise dafür vor, daß diese Mittel zum damaligen Zeitpunkt bekannt waren. Daraus folgt nach Einschätzung der Kammer, daß Zahngels und Mundsprays mit wasserlöslichen Lanthansalzen durch die Veröffentlichung des Dokuments 1 nicht "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht" wurden. Somit wird der Gegenstand der Ansprüche 4 und 5 gemäß den Anlagen 1 und 4 für neu erachtet.
4.3 Allerdings kann die Kammer dem Gegenstand dieser Ansprüche keine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Lehre des Dokuments 1 zuerkennen. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang die Überlegung, daß die beanspruchte Erfindung am Prioritätstag des europäischen Patents, an dem sowohl Mundsprays als auch Zahngels allgemein bekannt waren, naheliegend war. So wäre der Fachmann, der am Prioritätstag des Streitpatents vor der technischen Aufgabe gestanden hätte, Gemische mit wasserlöslichen Lanthansalzen bereitzustellen, die sich nur in der Zubereitung von den im Dokument 1 konkret offenbarten unterscheiden, offensichtlich in der Lage gewesen, solche seit der Veröffentlichung des Dokuments 1 entwickelten Zahnpflegemittel, nämlich Mundsprays und Zahngels, herzustellen, ohne daß es einer erfinderischen Tätigkeit bedurft hätte.
4.4 In bezug auf die Ansprüche 6 und 7 der Anlage 1 hält die Kammer die Disclaimer für genau die Zahnpasta und das Mundwasser, die in den Beispielen 1 bzw. 3 des Dokuments 1 beschrieben sind, nicht für geeignet, diesen Ansprüchen Neuheit zu verleihen. In diesem Zusammenhang ist wiederum zu klären, was der Öffentlichkeit durch die Offenbarung des Dokuments 1 als technische Lehre zugänglich gemacht worden ist. Nach Auffassung der Kammer macht das Dokument 1 dem Fachmann als technische Lehre nicht nur die konkret offenbarten Beispiele einer Zahnpasta und eines Mundwassers (als "typische" Beispiele, s. S. 4, Zeile 60 und S. 5, Zeile 3) zugänglich, bei denen Cernitrat und Yttriumnitrat durch Lanthanchlorid ersetzt sind, sondern auch andere typische Zahnpasten und Mundwässer mit wasserlöslichen Lanthansalzen. Daher können die Disclaimer den Neuheitsverlust nicht abwenden (s. a. Entscheidung T 188/83, ABl. EPA 1984, 555, insbesondere Nrn. 4 und 5). Was die Neuheit im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ angeht, so beschränkt sich das, was durch konkrete, in einem Dokument enthaltene detaillierte Beispiele "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht" wird, nach Ansicht der Kammer nicht unbedingt auf die genauen Details dieser konkreten Beispiele, sondern hängt in jedem Einzelfall von der einem fachkundigen Leser "zugänglich gemachten" technischen Lehre ab.
5. Vor diesem Hintergrund ist keiner der Ansprüche nach den Anlagen 1, 2 und 4 gewährbar.
6. Patentierbarkeit der Ansprüche gemäß Anlage 3
Die Ansprüche gemäß Anlage 3 entsprechen der von der Großen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 1/83 und in den sechs analogen Entscheidungen gewählten Formulierung. Daher muß nun geklärt werden, ob die Verwendung von Lanthansalzen zur Herstellung von Gemischen zur Entfernung von Belag und/oder Verfärbungen von menschlichen Zähnen neu und erfinderisch ist. 6.1 Aus der Offenbarung des Dokuments 1 wie auch des Dokuments 3 ersieht der Fachmann nicht, daß Lanthansalze Zahnbelag von der Zahnoberfläche entfernen oder das Ansetzen von Zahnbelag verhindern können. Der in diesen zum Stand der Technik gehörigen Dokumenten beschriebene Säurelöslichkeitstest wird nämlich an reinem Zahnschmelz vorgenommen, der mechanisch von Ablagerungen gereinigt wurde, und weist nur nach, daß Lanthansalze die Löslichkeit des Zahnschmelzes in organischen Säuren verringern können (vgl. Dokument 1, S. 1, Zeile 93 bis S. 2, Zeile 60; Dokument 3, S. 161 und 162).
Der Fachmann wüßte zwar, daß durch die Verwendung einer Zahnpasta gemäß Dokument 1 zumindest in gewissem Umfang auch Zahnbelag entfernt würde; er wäre sich aber nicht darüber im klaren, daß die diesbezügliche Wirkung der Zahnpasta durch die Gegenwart von Lanthansalzen verbessert wird.
Obwohl das Dokument 1 und die beanspruchte Erfindung beide Gemische zur Behandlung menschlicher Zähne zur Verhinderung der Kariesbildung betreffen, sieht die Kammer in der beanspruchten Erfindung eine weitere, von der Offenbarung des Dokuments 1 abweichende therapeutische Verwendung im Sinne der Entscheidung G 1/83 (insbesondere Nr. 21), weil die beanspruchte Erfindung auf einer anderen technischen Wirkung als der im Dokument 1 beschriebenen beruht. Dokument 1 offenbart die Verwendung von Lanthansalzen in Zahnpflegemitteln zur Verringerung der Löslichkeit des Zahnschmelzes in organischen Säuren, wie sie sich im Speichel entwickeln, wodurch der Zahnschmelz so gefestigt wird, daß die Entstehung von Karies verhindert wird. Dies steht im klaren Gegensatz zur technischen Wirkung der beanspruchten Erfindung, die durch Verwendung von Gemischen mit Lanthansalzen eine verbesserte Entfernung von Zahnbelag ermöglicht, so daß die ansonsten durch Zahnbelag geförderte Entstehung von Karies verhindert wird. In diesem Zusammenhang folgt die Kammer den in der Entscheidung T 19/86 (ABl. EPA 1989, 24) unter Nummer 10 angestellten Überlegungen.
Beziehen sich demnach ein früheres Dokument und die beanspruchte Erfindung auf eine ähnliche Behandlung des menschlichen Körpers zum selben therapeutischen Zweck, so stellt die beanspruchte Erfindung gegenüber dem früheren Dokument eine weitere medizinische Indikation im Sinne der Entscheidung G 1/83 dar, wenn sie auf einer anderen technischen Wirkung beruht, die gegenüber der Offenbarung des früheren Dokuments sowohl neu als auch erfinderisch ist.
Entsprechend sieht die Kammer in der Verwendung von Lanthansalzen zur Entfernung von Belag und/oder Verfärbungen von Zähnen gegenüber der früher offenbarten Verwendung solcher Salze zur Verringerung der Löslichkeit des Zahnschmelzes in organischen Säuren eine weitere, neue therapeutische Anwendung im Sinne der Entscheidung G 1/83.
6.2 Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gilt das Dokument 1 als nächster Stand der Technik. Gegenüber diesem Stand der Technik kann die technische Aufgabe darin gesehen werden, eine weitere therapeutische Anwendung für wasserlösliche Lanthansalze zu finden.
6.3 Die Beispiele des Streitpatents machen glaubhaft, daß wasserlösliche Salze Zahnbelag von der Zahnoberfläche entfernen oder das Ansetzen von Zahnbelag verhindern, daß also die dem Streitpatent zugrunde liegende technische Aufgabe gelöst wird.
6.4 Die Beschwerdegegnerin hat versucht, dies durch eine Veröffentlichung in Frage zu stellen, an der Prof. G. Rölla, einer der im Streitpatent genannten Erfinder, beteiligt war. Diese Veröffentlichung, die 1980 im Scandinavian Journal of Dental Research, Band 88, Seiten 193 - 200 erschienen ist, gelangt nach einer Untersuchung, bei der sich fünf Studenten der Zahnmedizin den Mund mit verschiedenen Testlösungen und anschließend mit einer Zuckerlösung spülten, zu dem Schluß, daß sich Lanthanchlorid auf die Gesamtmenge des gebildeten Zahnbelags infolge Zucker nicht signifikant ausgewirkt hat (vgl. Zusammenfassung, S. 193). In Anbetracht der unterschiedlichen Protokollierung des in dieser Veröffentlichung zusammengefaßten Tests und etwa des Beispiels 2 des Streitpatents sowie der Tatsache, daß die Versuche von verschiedenen Forschern durchgeführt wurden, akzeptiert die Kammer die Erklärung von Professor Rölla, daß die in der Veröffentlichung enthaltenen Angaben über den Zahnbelag die Ergebnisse des Streitpatents nicht widerlegen oder ihnen widersprechen (vgl. am 10. Juni 1987 eingereichte Aufzeichnung über ein Telefongespräch mit G. Rölla).
6.5 Wie die Kammer bereits unter Nummer 6.1 dargelegt hat, würde der Fachmann ihres Erachtens aufgrund der Kenntnis, daß wasserlösliche Lanthansalze die Löslichkeit von Zahnschmelz in organischen Säuren verringern, nicht darauf kommen, daß diese Salze auch geeignet sind, Belag von der Zahnoberfläche zu entfernen oder zu verhindern, daß sich Zahnbelag dort ansetzt. 6.6 Daher weist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Anlage 3 erfinderische Tätigkeit auf. Anspruch 2, der sich auf eine bevorzugte Ausführungsart des Anspruchs 1 bezieht, ist ebenfalls gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Aufrechterhaltung des Patents mit Ansprüchen gemäß den Anlagen 1, 2 und 4 wird abgelehnt.
3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent in der bei der mündlichen Verhandlung eingereichten geänderten Fassung aufrechtzuerhalten.