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T 0459/88 (Zulässig) 13-02-1989
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1. Die Beschwerde des Einsprechenden ist zulässig, wenn sich die schriftliche Begründung ausschließlich darauf stützt, daß der Patentinhaber nach Einlegung der Beschwerde selbst den Antrag auf Widerruf des Patents gestellt hat.
2. Beantragt der Patentinhaber den Widerruf seines Patents, so ist das Patent auf der Grundlage dieses Antrags zu widerrufen. Es besteht kein öffentliches Interesse daran, ein Patent gegen den Willen des Patentinhabers aufrechtzuerhalten (im Anschluß an die Entscheidungen T 186/84, ABl. EPA 1986, 79 und T 237/86, ABl. EPA 1988, 261).
Antrag des Patentinhabers auf Widerruf seines Patents nach Einreichung der Beschwerdeschrift und vor Einreichung der Beschwerdebegründung
Beschwerdegründe beziehen sich nur auf den Widerrufungsantrag des Patentinhabers
Zulässigkeit der Beschwerde
Beschwerde - Zulässigkeit
Sachverhalt und Anträge
I. Gegen das europäische Patent Nr. 58 774 wurde von zwei Einsprechenden ordnungsgemäß Einspruch eingelegt. Mit einer Entscheidung nach Artikel 102 (3) EPÜ vom 13. Juli 1988 beschloß die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang.
II. Von einer der beiden Einsprechenden wurde am 9. September 1988 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt. Am 3. Oktober 1988 erklärte die Beschwerdegegnerin, daß "das Patent zurückgenommen werde", und beantragte mit einem bestätigten Fernschreiben vom 28. Oktober 1988, das Patent zu widerrufen. Auf einen Bescheid des Geschäftsstellenbeamten der Beschwerdekammern vom 14. November 1988 hin reichte die Beschwerdeführerin eine Beschwerdebegründung nach, in der sie als einzigen Beschwerdegrund den Widerrufsantrag der Beschwerdegegnerin vom 28. Oktober 1988 angab.
Entscheidungsgründe
1. Bei der vorliegenden Beschwerde ist zunächst zu prüfen, ob sie zulässig ist, d. h. insbesondere, ob das am 19. November 1988 eingegangene Schreiben der Beschwerdeführerin, in dem sie ihren Antrag auf Widerruf damit begründet, daß die Patentinhaberin den Widerruf beantragt hat, eine schriftliche Begründung im Sinne des Artikels 108 Satz 3 EPÜ enthält. Die Beschwerdekammer ist nur dann befugt, die Beschwerde nach den Artikeln 110 (1) und 111 (1) EPÜ zu prüfen bzw. darüber zu entscheiden, wenn diese zulässig ist.
2. Bereits in früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern ist untersucht worden, was dieses Erfordernis des Artikels 108 EPÜ bedeutet. So weist insbesondere die Entscheidung J 22/86 "Nichteinverständnis/MEDICAL BIOLOGICAL" (ABl. EPA 1987, 280) darauf hin, daß dies kein reines Formerfordernis ist, sondern voraussetzt "daß der Beschwerdeführer seine Sache vorträgt", und zwar mit einer "Begründung, in der auf die Sache eingegangen wird"; sie weist ferner darauf hin, daß dieser Aspekt der Zulässigkeit "nur aus dem jeweiligen Zusammenhang heraus entschieden werden" kann (s. Entscheidungsgründe, Nr. 2). In den Entscheidungen T 220/83 "Beschwerdebegründung/HÜLS" (ABl. EPA 1986, 249) und T 213/85 "Beschwerdebegründung II/FISCHER" (ABl. EPA 1987, 482) ist außerdem festgestellt worden, daß entsprechend diesem Erfordernis "in der Beschwerdebegründung darzulegen [ist], aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll."
In den beiden letzteren Fällen hatten die Anmelder in der Beschwerde behauptet, die angefochtenen Entscheidungen seien sachlich nicht richtig gewesen, und die Kammer hatte festgestellt, daß sie die rechtlichen oder tatsächlichen Gründe für diese Behauptung nicht angegeben hatten.
3. Anders gelagert sind die Fälle, in denen sich die Sachlage nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung ändert. Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung T 105/87 "Inland Steel" vom 25. Februar 1988 (nicht veröffentlicht); hier hatte der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung die erstinstanzliche Entscheidung inhaltlich nicht angefochten, sondern eingeräumt, daß sie richtig war, und dementsprechend geänderte Anspruchssätze eingereicht, die dieser Entscheidung sachlich Rechnung tragen sollten. Auf das Vorbringen des Beschwerdegegners hin hat die Kammer damals erklärt: "Aus dem Wortlaut der Artikel 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ ist nichts zu entnehmen, was darauf schließen läßt, daß sich die Aufgabe der Beschwerdekammern ausschließlich darauf beschränkt zu prüfen, ob die Entscheidung der ersten Instanz allein aufgrund der ihr vorgelegten Tatsachen und Argumente richtig ist ... Das EPÜ enthält auch sonst nichts, was eine solche Annahme erhärten würde. Es ist im Gegenteil eindeutig vorgesehen, daß je nach Lage des Einzelfalles neue Tatsachen und Argumente im Beschwerdeverfahren vorgebracht und von den Beschwerdekammern nach Maßgabe des Artikels 114 (2) EPÜ geprüft werden können ..."
4. Der vorliegende Fall ist ein weiteres Beispiel für eine solche Änderung der Sachlage nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung. Hier besteht die Änderung darin, daß die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) den Widerruf ihres Patents beantragt hat, nachdem Beschwerde eingelegt worden war.
In der Sache T 186/84 (ABl. EPA 1986, 79) hat die Beschwerdekammer entschieden, daß der im Einspruchsbeschwerdeverfahren gestellte Antrag eines Patentinhabers auf Widerruf seines Patents gleichbedeutend mit dem Entzug seines für die Zwecke des Artikels 113 (2) EPÜ erforderlichen Einverständnisses mit der erteilten Fassung ist und daß das Patent auf dieser Grundlage ohne Prüfung der sachlichen Einspruchsgründe widerrufen werden muß. In der Sache T 237/86 (ABl. EPA 1988, 261) hat die Beschwerdekammer entschieden, daß sie von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch machen und den Widerruf des Patents beschließen kann, wenn ihr im Einspruchsbeschwerdeverfahren mitgeteilt wird, daß Patentinhaber und Einsprechender beide den Widerruf des Patents wünschen (z. B. durch einen ausdrücklichen Antrag des Patentinhabers auf Widerruf seines Patents oder durch eine andere Formulierung mit gleicher Wirkung). Seit Ergehen dieser Entscheidung haben die Beschwerdekammern in einer Reihe von Fällen auf einen entsprechenden Antrag des Patentinhabers hin den Widerruf des Patents nach Artikel 111 (1) EPÜ beschlossen.
5. Im Hinblick auf die oben genannten Entscheidungen ist die Kammer der Auffassung, daß das Schreiben der Beschwerdeführerin, eingegangen am 19. November 1988 (s. Nr. 1) einen rechtsgültigen Grund dafür enthält, daß die Kammer nach Artikel 111 (1) EPÜ die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beschließen kann. Beantragt nämlich im Verfahren vor dem EPA der Patentinhaber selbst den Widerruf seines Patents, so gibt es wohl kaum einen triftigeren Grund für den Widerruf, da die Öffentlichkeit kein Interesse daran haben kann, daß ein Patent gegen den Willen seines Inhabers aufrechterhalten wird.
Angesichts dieser nach Ergehen der angefochtenen Entscheidung eingetretenen Änderung der Sachlage, d. h. des Antrags der Beschwerdegegnerin auf Widerruf ihres Patents, wäre es nach Auffassung der Kammer völlig überflüssig, wenn sich die Beschwerdebegründung neben der Tatsache, daß die Beschwerdegegnerin selbst den Widerruf beantragt hat, noch auf andere Sachverhalte beziehen würde.
Nach Auffassung der Kammer sind somit die Artikel 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ erfüllt; die Beschwerde ist also zulässig.
6. Nach Ansicht der Kammer hat das EPA im Einspruchsverfahren die grundlegende Aufgabe, Streitigkeiten zwischen den Beteiligten zu klären. Im vorliegenden Fall sind sich Beschwerdegegnerin und Beschwerdeführerin nach Einreichung der Beschwerdeschrift nunmehr darüber einig, daß das Patent widerrufen werden soll; es liegt also keine Meinungsverschiedenheit mehr zwischen ihnen vor. Die Kammer hat deshalb - auch unter Berücksichtigung der unter Nummer 5 angestellten Überlegungen - in Ausübung ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ entschieden, das Patent zu widerrufen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 13. Juli 1988 wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent Nr. 58 774 wird widerrufen.