T 0205/83 (Vinylester-Crotonsäure-Copolymerisate) 25-06-1985
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1. Das polymere Erzeugnis eines bekannten chemischen Verfahrens erlangt seine Neuheit nicht automatisch durch verfahrenstechnische Abwandlung dieses Verfahrens.
2. Ist ein solches chemisches Erzeugnis nicht durch stoffliche Merkmale (Stoffparameter), sondern nur durch seine Herstellungsweise (Verfahrensparameter) definierbar, so bedarf es zur Neuheitsabgrenzung des Nachweises, dass die Abwandlung der Verfahrensparameter zu anderen Erzeugnissen führt. Hierzu reicht es aus, dass deutliche Unterschiede in den Eigenschaften der Erzeugnisse dargelegt werden.
3. Bei diesem Nachweis haben solche Eigenschaften auszuscheiden, die nicht auf Stoffparameter des Erzeugnisses zurückgehen können (hier Fehlen monomerer Verunreinigungen mit unerwünschtem Geruch).
Neuheit eines nur durch Verfahrensparameter definiertenpolymeren Erzeugnisses
Erfinderische Tätigkeit/Entfernung unerwarteter Verunreinigungen durch Massnahmen ohne Vorbild im Stand der Technik
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 78 101 239.8, die am 27. Oktober 1978 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 2. November 1977 angemeldet worden war, wurde am 4. November 1981 das europäische Patent 1810 auf der Grundlage von vier Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 lautet: "Verfahren zur Herstellung eines Vinylester-Copolymers durch Polymerisieren mindestens eines Vinylesters und Crotonsäure, gegebenenfalls in Gegenwart eines Polyalkylenglykols, in Gegenwart eines radikalbildenden Initiators und einer Reglersubstanz, dadurch gekennzeichnet, daß das Gewichtsverhältnis der insgesamt eingesetzten Monomeren Vinylester/Crotonsäure 100:1 bis 100:20 beträgt, 70 bis 98 Gew.-% der Gesamtmenge des Vinylesters mit der Gesamtmenge der Crotonsäure und gegebenenfalls der Gesamtmenge des Polyalkylenglykols copolymerisiert werden, die Polymerisation durch Zugabe der restlichen Menge des Vinylesters zu Ende geführt wird, und anschließend nicht umgesetzte Monomere und etwaige flüchtige Verunreinigungen durch Destillation mit Hilfe eines Alkohols mit 1 bis 3 Kohlenstoffatomen als Schleppmittel in einer Menge von 5 bis 50 Gew.-%, bezogen auf das Copolymer, aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden."
II. Gegen die Erteilung legte die Einsprechende, gestützt auf das bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigte Dokument
(1) DE-A-1 177 825 sowie auf
(2) DE-A-1 077 430, am 11. Mai 1982 Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfange wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
III. Durch Entscheidung vom 4. Oktober 1983 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück und führte dazu aus: Der Patentgegenstand sei gegenüber jeder der beiden Entgegenhaltungen neu. Ferner sei es unbestritten, daß keine der beiden Entgegenhaltungen einen Hinweis enthalte, gezielt ein einziges Monomeres zur Reduzierung der nach der ersten Verfahrensstufe vorliegenden Verunreinigungen zuzusetzen; insbesondere sei auf Grund der maßgebenden Reaktionskinetik nicht zu erwarten gewesen, daß in diesem Stadium noch störende Mengen freier monomerer Crotonsäure vorliegen. Habe der Fachmann dies nicht gewußt, so konnte er auch die Notwendigkeit zu deren Entfernung durch Nachdosieren von Vinylester nicht erkennen. Unter diesen Umständen erübrige es sich zu untersuchen, inwieweit die weiter vorgesehene Schleppmitteldestillation einen erfinderischen Beitrag leiste.
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 29. November 1983 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 3. Februar 1984 und mit späteren ergänzenden Ausführungen, etwa wie folgt, begründet: Das Vorliegen von Restmonomeren sei auf Grund der sehr unterschiedlichen Polymerisationsparameter von Crotonsäure einerseits und Vinylestern andererseits zu erwarten und aus der neu eingeführten Literaturstelle
(3) Encyclopedia of Polymer Science and Technology, Vol. 15 (1971), Seite 584 bis 587,
zu entnehmen gewesen, die eine retardierende Wirkung von Crotonsäure auf die Copolymerisation von Vinylestern erwähne. Auf Grund dieser Erkenntnis habe das Nachdosieren von Vinylester nahegelegen, da auch der unangenehme Geruch der Crotonsäure bekannt gewesen sei. Die anschließende Entfernung flüchtiger Verunreinigungen durch destillative Maßnahmen sei eine Selbstverständlichkeit, zumal Destillation mit Isopropanol in (1) bereits beschrieben sei. Im übrigen sei Vergleichsbeispiel 1 nicht aussagekräftig, da dort diese im Stand der Technik beschriebene Destillation fehle. Der im Vergleichsbeispiel festgestellte Geruch sei keine Folge der fehlenden Nachdosierung von Vinylester, sondern eine solche der fehlenden Destillation.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diesen Ausführungen widersprochen und im wesentlichen das Folgende ausgeführt:
Auch wenn es bekannt gewesen sei, daß Crotonsäure die Polymerisation von Vinylestern verzögere, so seien bei einem Unterschuß an Crotonsäure keine wesentlichen Restmengen von dieser zu erwarten gewesen; somit habe das Nachdosieren von Vinylester nicht nahegelegen. Darüber hinaus bewirke dieses Nachdosieren überraschenderweise auch die Veränderung oder Einpolymerisierung anderer, schwer flüchtiger und stark riechender Verunreinigungen, die kaum identifiziert seien, weswegen auch ihre Unschädlichmachung durch Nachpolymerisieren nicht habe erwartet werden können. Daß die anschließende Destillation mit einem niedrigen Alkohol zu einer weiteren Geruchsverminderung führe, sei ebenfalls nicht zu erwarten gewesen, da dabei nachweislich der Crotonsäuregehalt praktisch nicht mehr verringert werde.
Schließlich hat die Beschwerdegegnerin noch einen Versuchsbericht vorgelegt, aus dem klarer als aus den Vergleichsbeispielen der Streitpatentschrift hervorgeht, daß sowohl das Nachpolymerisieren mit nachdosiertem Vinylester als auch die anschließende Destillation mit Isopropanol wesentlich zur Geruchsverminderung beitragen.
VI. Die Kammer hat in ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung noch auf Bedenken gegen die Patentfähigkeit von Anspruch 4 hingeweisen, der wie folgt lautet:
"Vinylester/Crotonsäure-Copolymer, erhalten nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1."
VII. In der mündlichen Verhandlung am 25. Juni 1985 haben die Beteiligten ihre Standpunkte bekräftigt.
Zu den am 10. Januar 1985 eingegangenen Vergleichsversuchen der Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin unter Anerkennung des dort dargelegten Effekts (Geruchsverminderung) diesen als "erwartungsgemäß" bezeichnet. Sie beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin dagegen beantragt Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, unter Streichung des Anspruchs 4. Sie hat Anspruch 4 damit verteidigt, die erfindungsgemäße Nachdosierung müsse zu einer Variation der resultierenden Makromoleküle führen, mit dem Effekt der weitgehenden Geruchsfreiheit. Auch sei es überraschend, daß die so abgewandelten Polymerisate noch als Haarlackgrundlage brauchbar seien.
VIII. Nach Beratung der Kammer wurde den Beteiligten mitgeteilt, es sei beabsichtigt, des Patent in der Fassung gemäß Hilfsantrag aufrechtzuerhalten; es wurde eine einmonatige Äußerungsfrist nach Regel 58(4) EPÜ eingeräumt. Auf diese Frist haben die Beteiligten verzichtet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Gemäß Hauptantrag betrifft der Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines Vinylester-Crotonsäure-Copolymers sowie das nach diesem Verfahren erhaltene Copolymere. Bei dem Verfahren der Ansprüche 1 bis 3 geht es im wesentlichen darum, zunächst die Gesamtmenge der Crotonsäure mit 70 bis 98 Gewichtsprozent des einzusetzenden Vinylesters zu copolymerisieren, dann die Restmenge Vinylester nachzudosieren und die Polymerisation zu Ende zu führen sowie eine Schleppmitteldestillation mit Hilfe eines niedrigen Alkohols anzuschließen. Anspruch 4 richtet sich auf das dabei erhaltene Endprodukt.
3. Der Hauptantrag muß schon daran scheitern, daß Anspruch 4 nicht gewährbar ist.
3.1 Die Kammer hat bereits entschieden, daß Ansprüche für chemische Erzeugnisse, die durch ihr Herstellungsverfahren gekennzeichnet sind ("Product-by-process-Ansprüche"), nur dann zulässig sind, wenn - neben anderen Bedingungen - die Erzeugnisse als solche die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfüllen, d.h. insbesondere neu und erfinderisch sind (Entscheidung T 150/82, "Anspruchskategorien/IFF", ABl. EPA 7/1984, Seiten 309 bis 317; siehe insbesondere Leitsatz II auf Seite 310).
3.2 Auch im vorliegenden Falle werden gemäß Anspruch 4 Erzeugnisse eines chemischen Verfahrens beansprucht, die nicht durch stoffliche Merkmale (Stoffparameter), sondern nur durch ihre Herstellungsweise (Verfahrensparameter) definiert sind.
3.2.1 Erzeugnisse gleichen Typs, nämlich Vinylester-Crotonsäure-Copolymere und entsprechende Pfropfcopolymere auf Polyalkylenglykolbasis, sind aus (1) bzw. (2) bereits bekannt; auch die Herstellungsweise der beanspruchten Erzeugnisse folgt dem gleichen Prinzip wie nach (1) bzw. (2), nämlich Copolymerisation in Gegenwart eines radikalbildenden Initiators und einer Reglersubstanz, unter Einsatz eines großen Überschusses an Vinylester, bezogen auf die Crotonsäure, wobei zunächst anpolymerisiert und dann unter weiterer Monomerenzugabe zu Ende polymerisiert wird. Bei der Herstellungsweise der beanspruchten Erzeugnisse handelt es sich also lediglich um die verfahrenstechnische Abwandlung eines im Prinzip bekannten Verfahrens.
Da nach einem Erfahrungssatz in der Chemie annähernd gleiche Verfahrensbedingungen im allgemeinen zu gleichen oder annähernd gleichen Verfahrenserzeugnissen führen, kann das polymere Erzeugnis eines so abgewandelten Verfahrens seine Neuheit nicht automatisch durch die verfahrenstechnische Abwandlung erlangen. Zur Neuheitsabgrenzung bedarf es vielmehr des Nachweises, daß die Abwandlung der Verfahrensparameter zu anderen Erzeugnissen führt.
Ein solcher Nachweis ist im Prinzip auf verschiedenen Wegen denkbar, z.B. auch auf Grund zwingender, mit dem allgemeinen Fachwissen in Einklang stehender Überlegungen. Es reicht aber auch aus, daß deutliche Unterschiede in den Eigenschaften der Erzeugnisse dargelegt werden; dies deshalb, weil nach einem chemischen Erfahrungssatz die Eigenschaften eines Erzeugnisses von dessen Struktur geprägt werden, so daß Unterschiede in den Eigenschaften der Erzeugnisse den Rückschluß auf eine Strukturabänderung gestatten.
3.2.2 Die Beschwerdegegnerin macht nun im Sinne eines solchen Nachweises u.a. geltend, daß die nach dem Streitpatent abgewandelte Herstellungsweise notwendig zu strukturell unterschiedlichen Erzeugnissen führen müsse. Danach soll in der ersten Polymerisationsstufe eine Copolymerisation des Vinylesters mit der Crotonsäure stattfinden, während (im Gegensatz zu der bekannten Herstellungsweise, bei der ein Monomerengemisch gleicher Zusammensetzung wie für die erste Polymerisationsstufe nachdosiert wird) im Anschluß an das Nachdosieren von ausschließlich Vinylester eine Kettenverlängerung nur durch Vinylestereinheiten erfolgen soll.
Bei diesem Vortrag der Beschwerdegegnerin handelt es sich keinesfalls um zwingende Überlegungen im obigen Sinne. Insbesondere übersieht die Beschwerdegegnerin, daß sie selbst experimentell nachgewiesen hat, daß am Ende der ersten Polymerisationsstufe noch copolymerisationsfähige Crotonsäure vorhanden ist, die dann in der zweiten Polymerisationsstufe praktisch vollständig in die Makromoleküle eingebaut wird, d.h., auch bei der erfindungsgemäß abgewandelten Herstellungsweise erfolgt in der zweiten Polymerisationsstufe eine Kettenverlängerung sowohl durch Vinylesterals auch durch Crotonsäureeinheiten.
Dies fällt um so stärker ins Gewicht, als nach der abgewandelten Herstellungsweise auch nur geringe Vinylestermengen - bis herab zu 2 Gew.-% 2437534er Gesamtmenge - nachdosiert werden können.
Schließlich muß man sich auch noch vor Augen halten, daß ein wie auch immer (z.B. durch ein Herstellungsverfahren oder physikalische Parameter) definiertes Polymerisat kein chemisches Individuum nach Art einer niedrigmolekularen organischen Verbindung darstellt, sondern ein kompliziertes Gemisch von Individuen mit über einen mehr oder minder breiten Bereich statistisch verteilten Molekulargewichten (K-Werten) sowie im Falle von Copolymeren auch statistisch verteilten Einheiten der zwei (oder mehr) zugrundeliegenden Monomeren. Es ist daher zu erwarten, daß sich die statistischen Verteilungsbereiche der nach dem Nachpolymerisieren vorliegenden Individuen gemäß Streitpatent einerseits und gemäß Stand der Technik andererseits so stark überschneiden, daß von einem signifikant verschiedenen, also neuen Produkt nicht mehr gesprochen werden kann.
Insgesamt ist durch den oben erwähnten Vortrag der Beschwerdegegnerin die Neuheit der Erzeugnisse gemäß Anspruch 4 nicht nachgewiesen worden.
3.2.3 Auch ein Beleg dafür, daß sich die Eigenschaften dieser Erzeugnisse von denjenigen der bekannten Erzeugnisse deutlich unterscheiden, liegt nicht vor. Die Beschwerdegegnerin kann nicht mit dem Einwand gehört werden, die Neuheit ihrer Erzeugnisse ergebe sich bereits aus deren praktischer Geruchsfreiheit, verglichen mit den "maggiähnlich" riechenden bekannten Erzeugnissen; denn sie hat auf Befragen selbst eingeräumt, daß dieser unerwünschte Geruch bzw. dessen Fehlen nicht auf Stoffparameer der bekannten bzw. patentgemäßen Erzeugnisse, sondern auf Vorhandensein bzw. Fehlen mengenmäßig geringfügiger monomerer Verunreinigungen mit solchem Geruch zurückgeht. Beim Neuheitsnachweis haben aber solche Eigenschaften auszuscheiden, die nicht auf Stoffparameter des Erzeugnisses selbst zurückgehen können, d.h. diesem inhärent sind.
Anders ausgedrückt: Ein bekanntes Erzeugnis wird nicht notwendigerweise schon dadurch neu, daß es in reinerer Form bereitgestellt wird. Auch die Geruchsfreiheit vermag also die Neuheit der beanspruchten Erzeugnisse nicht herzustellen.
3.3 Bei dieser Sachlage braucht nicht untersucht zu werden, ob Anspruch 4 auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Da über einen Antrag nur als Ganzes entschieden werden kann, braucht im Rahmen des Hauptantrages auch die Patentfähigkeit der Ansprüche 1 bis 3 nicht untersucht zu werden. Dieser ist vielmehr insgesamt zurückzuweisen.
4. Anders verhält es sich mit dem Hilfsantrag, dem zufolge nur die erteilten Verfahrensansprüche 1 bis 3 weiterverfolgt werden.
5. Am nächsten kommender Stand der Technik sind (1) - hinsichtlich der gewöhnlichen Copolymeren - und (2) - hinsichtlich der Pfropfcopolymeren. Beide Dokumente umfassen Verfahren zur Herstellung von Vinylester-Crotonsäure-Copolymeren - siehe (1), Spalte 4, Zeilen 46 bis 49, und Beispiel 4, Spalte 6, sowie (2), Beispiel 13, Spalte 12 - in Gegenwart eines radikalbildenden Initiators und einer Reglersubstanz und erwähnen auch bereits Geruchsprobleme, die im Falle gewisser Anwendungsgebiete der Polymerprodukte durch darin enthaltene Verunreinigungen auftreten; vgl. (1), Spalte 1, Zeilen 10 bis 15, und Spalte 3, Zeilen 50 bis 54, sowie (2), Spalte 3, Zeile 65, bis Spalte 4, Zeile 56. Nach den Angaben der Patentinhaberin steht der den bekannten Copolymeren anhaftende unangenehme Geruch ihrer Anwendung als Haarfestiger entgegen.
6. Demgegenüber liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren anzugeben, das zu geruchsarmen Vinylester-Crotonsäure-Copolymeren, insbesondere solche ohne "maggiähnlichen Geruch", führt.
7. Als Lösung für diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 ein Verfahren bereitgestellt, bei dem
(A) bei einem Gewichtsverhältnis Vinylester/Crotonsäure von 100:1 bis 100:20
(B) 70 bis 98 Gewichtsprozent der einzusetzenden Vinylestermenge mit der Gesamtmenge der Crotonsäure - gegebenenfalls in Gegenwart des gesamten Polyalkylenglykols - copolymerisiert und dann unter Nachdosierung der restlichen Vinylestermenge nachpolymerisiert werden, woran sich
(C) eine Schleppmitteldestillation mit 5 bis 50 Gewichtsprozent, bezogen auf das Copolymer, eines Alkohols mit 1 bis 3 Kohlenstoffatomen anschließt. Durch die genannte Gestaltung des eigentlichen Polymerisationsverfahrens sollen schwerflüchtige, durch die Schleppmitteldestillation leichtflüchtige geruchsverursachende Restmonomeren und sonstige Verunreinigungen entfernt und so praktisch geruchsfreie Endprodukte erhalten werden.
8. Wie insbesondere durch den am 10. Januar 1985 eingegangenen Versuchsbericht belegt und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, wird die bestehende Aufgabe durch die angegebenen Merkmale auch tatsächlich gelöst.
9. Der Gegenstand gemäß Hilfsantrag ist unstreitig neu, so daß sich Ausführungen hierzu erübrigen.
10. Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von (1) bzw. (2) auszugehen, in denen Verfahrensweisen beschrieben sind, wie sie im Oberbegriff von Anspruch 1 angegeben sind.
10.1 Zudem ist diesen beiden Dokumenten auch Merkmal (A) bereits zu entnehmen; denn Beispiel 4 von (1) offenbart für eine gewöhnliche Copolymerisation (allerdings unter Beteiligung einer dritten Monomerkomponente, die aber im Rahmen der Gesamtoffenbarung von (1) nicht zwingend vorgesehen ist; vgl. Spalte 4, Zeilen 46 bis 49) ein Vinylacetat/Crotonsäure-Gewichtsverhältnis von 100:7,8 und Beispiel 13 von (2) für eine Pfropfcopolymerisation in Gegenwart von Polyäthylenglykol ein solches von 100:8.
10.2 Merkmal (B) ist in (1) und (2) unstreitig nicht offenbart; denn nach beiden Dokumenten wird zunächst anpolymerisiert und dann - im Falle der hier allein interessierenden Copolymerisation - das restliche Monomerengemisch zugegeben (siehe (1), Spalte 2, Zeilen 50 bis 52 in Verbindung mit Spalte 3, Zeilen 6 bis 9, sowie Beispiel 4, Spalte 6, Zeilen 5 bis 15, bzw. (2), Spalte 2, Zeilen 31 bis 33); diese Verfahrensweise unterscheidet sich deutlich von der nach dem Streitpatent, wonach für die Copolymerisation die eine Monomerkomponente vollständig, die andere nur teilweise vorgelegt und dann die Restmenge der zweiten nachdosiert wird.
In (3) ist übrigens keine retardierende Wirkung von Crotonsäure auf die Copolymerisation von Vinylestern, sondern lediglich eine Verlangsamung (Retardierung) der Vinylesterpolymerisation, d.h. einer Homopolymerisation, beschrieben. Liest man allerdings diese Aussage im Zusammenhang mit dem in der Tabelle von Seite 587 auf "retardation" folgenden Wort "copolymerization" sowie mit (1) und (2), wonach Vinylester zur Copolymerisation mit Crotonsäure befähigt sind, so liegt der Schluß nahe, daß neben der Beteiligung der Crotonsäure am Polymerisationsvorgang (Copolymerisation) eine Verlangsamung stattfindet. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß in dem zunächst erhaltenen Copolymerisat noch zwingend störende Restmengen monomerer Crotonsäure vorliegen. Das Vorliegen solcher Restmengen ist weder dem gesamten entgegengehaltenen Stand der Technik direkt oder indirekt zu entnehmen, noch konnte es angesichts des großen Vinylesterüberschusses als wahrscheinlich gelten. Auch wenn man einräumt, daß es für den Fachmann, den das vorliegende Geruchsproblem beschäftigte, auf der Hand lag, den Ursachen des störenden Geruchs mit analytischen Mitteln auf den Grund zu gehen, und er dabei - mit mehr oder minder großer Überraschung - das Vorliegen von monomerer Crotonsäure konstatieren konnte, so wurde dadurch noch nicht deren Entfernung gerade durch Nachpolymerisieren mit nachdosiertem Vinylester nahegelegt. Wenn die Beschwerdeführerin behauptet, diese Maßnahme sie "der einzige Weg" zur Beseitigung des störenden Geruches gewesen, so übersieht sie dabei, daß im gesamten entgegenhaltenen Stand der Technik ein Vorbild für diese Maßnahme fehlt; vielmehr ist dort nur von Umfällen - siehe z.B. (2), Spalte 5, Zeilen 51 bis 53, und Spalte 6, Zeilen 28 bis 30 - und Extraktion - siehe z.B. (2), Spalte 10, Zeilen 57 bis 58 - sowie vom Anlegen eines pulsierenden Vakuums für die Entfernung flüchtiger Monomere - siehe z.B. (2), Spalte 8, Zeilen 1 bis 2, und Spalte 5, Zeilen 46 bis 47 - die Rede. Somit ist dem entgegengehaltenen Stand der Technik kein Hinweis auf Merkmal (B) zu entnehmen. Die überraschende Erkenntnis, daß dieses Merkmal wesentlich zur Lösung der bestehenden Aufgabe beiträgt, ist daher von erfinderischem Rang.
10.3 Hinsichtlich Merkmal (C) befaßt sich Dokument (2) vorwiegend mit Polymerisation ohne Gegenwart von Lösungsmitteln oder nachfolgende Destillation mit einem solchen. Beispiel 11 beschreibt eine Lösungsmittelpolymerisation in Methanol, ohne anschließende destillative Maßnahmen. Dokument (2) offenbart Merkmal (C) daher nicht.
Dokument (1) erwähnt die Copolymerisation von Vinylestern in organischen Lösungsmitteln, gefolgt von deren Entfernung (Spalte 1, Zeilen 26 bis 31). Als bisher übliche Lösungsmittel werden niedere aliphatische Alkohole genannt (Spalte 1, Zeilen 38 bis 40), nach der Lehre von (1) jedoch sekundäre empfohlen (Spalte 2, Zeilen 39 bis 44, sowie Patentanspruch). Mengenmäßig ist von 1 bis 50, bezogen auf das Gesamtgewicht von Lösungsmittel und Monomeren, entsprechend etwa 1 bis gegen 100, bezogen auf das gebildete Polymerprodukt, die Rede (Spalte 3, Zeilen 1 bis 5). Der sekundäre Alkohol kann nach der Polymerisation im Vakuum entfernt werden (Spalte 3, Zeilen 47 bis 50). Da die Verwendung (und nachfolgende Abdestillation) von sekundären Alkoholen nach (1) aber nicht der Entfernung flüchtiger Verunreinigungen, sondern einem anderen Zweck (Herabsetzung des K-Werts) dienen soll, legt auch (1), für sich allein genommen, Merkmal (C) nicht nahe. Unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens erscheint zwar eine Schleppmitteldestillation zur Entfernung flüchtiger Verunreinigungen nicht ungewöhnlich, doch ist Merkmal (C) jedenfalls im Rahmen der erfindungsgemäßen Aufgabenlösung nicht als "selbstverständlich" zu bezeichnen.
10.4 Zusammenfassend ergibt sich, daß die Merkmalskombination gemäß Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
11. Die Ansprüche 2 und 3 richten sich auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1. Ihre Patentfähigkeit wird von der seinen getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent in geändertem Umfang unter Wegfall von Anspruch 4 aufrechtzuerhalten.