T 2592/12 (Salzhaltige Polymere/FRAUNHOFER) 20-01-2016
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KORROSIONSSCHUTZMITTEL UND DESSEN VERWENDUNG
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der
angewandten Forschung e.V.
BASF SE
BASF Coatings GmbH
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Verspätet eingereichter Hilfsantrag - zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende 1 (Beschwerdeführerin) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 1 625 184 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, Beschwerde eingelegt.
II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Beweismittel Bezug genommen.
(3) DE 31 47 154
(7) US 5,284,888
(18) Reaktionsgleichungen für das erfindungs-gemäße Beispiel, eingereicht von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, eine Seite (vgl. Anlage 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung)
III. Mit den Einsprüchen der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 2 (Verfahrensbeteiligten gemäß Artikel 107 EPÜ) war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit, unzureichender Offenbarung und unzulässiger Erweiterung angegriffen worden (Artikel 100 a), b) und c) EPÜ).
IV. Der angefochtenen Entscheidung lagen der Hauptantrag und der Hilfsantrag 1 zu Grunde.
Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des Anspruchs 6 des Hauptantrags nicht ausreichend offenbart sei. Der Hilfsantrag 1 erfülle die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und (3), 83 und 84 EPÜ könne aber die Priorität nicht wirksam in Anspruch nehmen. Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 sei neu im Hinblick auf die eingereichten Druckschriften, unter ihnen die Druckschrift (3), und beruhe ausgehend von der Druckschrift (7) auf einer erfinderischen Tätigkeit. Bei dieser Beurteilung ging die Einspruchsabteilung davon aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch sein Herstellungsverfahren gekennzeichnet sei und sich auf Salze beziehe, die an vernetzte Polymersysteme gebunden seien. Die zu lösende technische Aufgabe sah die Abteilung in der Bereitstellung alternativer Korrosionsschutzmittel für Leichtmetalle.
V. Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 1 lautet wie folgt:
"1. Korrosionsschutzmittel enthaltend mindestens ein Salz gebildet aus einer organischen Säure und einer organischen Base,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Salz mit einem Polymer verbunden ist, wobei zur Salzbildung eine organische Base, die an ein Oligomer oder Monomer gebunden ist, eingesetzt wird, wobei das Oligomer oder Monomer ein Vernetzer für Harze ist."
Der unabhängige Anspruch 11 ist auf die Verwendung des Mittels zum Schutz von Leichtmetallen gerichtet.
VI. In ihrer Beschwerdebegründung hielt die Beschwerdeführerin die Einwände bezüglich mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit, unzureichender Offenbarung und unzulässiger Erweiterung aufrecht.
VII. In ihrer Beschwerdeerwiderung verteidigte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) den von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Antrag (nachfolgend Hauptantrag).
VIII. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2015 teilte die weitere Verfahrensbeteiligte mit, dass sie an der von der Kammer anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen und keine weiteren Schriftsätze oder Unterlagen einreichen werde.
IX. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte die Beschwerdegegnerin einen Hilfsantrag ein. Dieser unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, dass im Anspruch 1 das Merkmal "wobei der Vernetzer im Anschluss an die Salzbildung mit einem Harz zum Polymer umgesetzt wird" angefügt wurde. Die abhängigen Ansprüche 5 bis 7 wurden gestrichen und die restlichen Ansprüche umnummeriert.
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie die entscheidungserheblichen Sachverhalte betreffen, können wie folgt zusammengefasst werden.
Die Auslegung des Anspruchs 1 des Hauptantrags durch die Einspruchsabteilung auf den Seiten 16/17 der angefochtenen Entscheidung schränke diesen in unzulässiger Weise ein. So sei der Anspruch 1 ein Produktanspruch und kein "product by process" Anspruch. Selbst wenn die Salzbildung als implizierter Verfahrensschritt angesehen werden sollte, so spiegle die Definition, dass das Oligomer/Monomer ein Vernetzer ist, jedenfalls keinen Verfahrensschritt wieder. Es handle sich dabei vielmehr um die Beschreibung einer Eigenschaft des Oligomers/Monomers. Dies werde auch in der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin reflektiert (siehe Seite 2, die letzten sieben Zeilen). Folglich sei der Anspruch 1 auch nicht auf vernetzte Polymere beschränkt. Damit werde der beanspruchte Gegenstand, der sich gemäß angefochtener Entscheidung nur durch die geltend gemachte Vernetzung unterscheide, von der Druckschrift (3) neuheitsschädlich vorweggenommen (siehe Seite 6, Zeilen 1 bis 10, Seite 8, Zeilen 13 bis 20). Für die Neuheit sei alleine die Struktur des Produktes entscheidend. Diese werde nicht durch den Zeitpunkt der Salzbildung verändert.
Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag sei als verspätet eingereicht zurückzuweisen. Er erfülle zudem nicht die Erfordernisse der Artikels 123 (2) EPÜ.
XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, soweit sie die entscheidungserheblichen Sachverhalte betreffen, können wie folgt zusammengefasst werden.
Anspruch 1 des Hauptantrags sei auf ein Produkt gerichtet, das durch sein Herstellungsverfahren gekennzeichnet sei. Dabei erfolge zunächst eine Salzbildung, bei der eine Base eingesetzt werde, die an ein Oligomer oder Monomer gebunden sei. Da anspruchsgemäß die Bindung des Salzes an ein Polymer erforderlich sei, müsse eine weitere Umsetzung erfolgen. Eine solche ergebe sich eindeutig aus der Definition, dass das Oligomer/Monomer ein Vernetzer sei, d. h. es werde mit dem Harz zur Reaktion gebracht. Damit ergebe sich zwangsläufig die Vernetzung des anspruchsgemäßen Polymers. Dies ergebe sich für den Fachmann zudem eindeutig aus der Beschreibung des Streitpatents (siehe Absätze [0009] und [0015] und das erfindungsgemäße Beispiel in Verbindung mit der Darstellung (18)). Die Druckschrift (3), insbesondere die Seite 7, auf die die Kammer verwiesen habe, offenbare keine vernetzten Polymere. Homopolymere sowie Polymere, bei denen die basische Gruppe in die Polymerkette eingebaut sei, fielen nicht unter den Anspruch. Darüber hinaus habe die Salzbildung auch einen Einfluss auf die Struktur. So finde im erfindungsgemäßen Beispiel lediglich eine partielle Salzbildung statt. Mit diesem Salzgemisch erhalte man ein anderes Erzeugnis als in der Druckschrift (3).
Für das Einreichen eines geänderten Antrags hätte bislang keine Veranlassung bestanden, da anspruchsgemäß das Polymer eindeutig vernetzt sein müsse und eine solche Vernetzung in der Druckschrift (3) nicht vorläge. Der Hilfsantrag werde in Erwiderung auf die vorausgegangene Diskussion und die Schlussfolgerung der Kammer eingereicht. Die Basis für oligomere Vernetzer fände sich auf Seite 3, Zeilen 21 bis 24 der ursprünglich eingereichten Beschreibung und im Anspruch 13 wie ursprünglich eingereicht.
XII. Die Verfahrensbeteiligte gemäß Artikel 107 EPÜ hat sich im Beschwerdeverfahren zu den Sachfragen nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen, sowie den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.
XIV. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, das Patent in geändertem Umfang auf Basis der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.
XV. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Wie angekündigt (siehe den Punkt VIII supra) nahm die ordnungsgemäß geladene Verfahrensbeteiligte gemäß Artikel 107 EPÜ nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Die Kammer hat entschieden, das Verfahren gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) fortzusetzen.
Hauptantrag (Hilfsantrag 1 der angefochtenen Entscheidung)
3. Neuheit
3.1 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein Korrosionsschutzmittel, das ein Salz aus einer organischen Base und einer organischen Säure enthält, dadurch gekennzeichnet, dass das Salz mit einem Polymer verbunden ist und zur Salzbildung eine organische Base, die an ein Oligomer oder ein Monomer gebunden ist eingesetzt wird. Das Oligomer oder Monomer ist ein Vernetzer für Harze.
3.2 Der Anspruch 1 ist auf ein Erzeugnis gerichtet. Dieses wird jedoch, zumindest teilweise, auch durch einen Verfahrensschritt gekennzeichnet. So impliziert das Merkmal des Einsatzes einer oligomeren oder monomeren Base zur Salzbildung und das Merkmal, dass das Salz an ein Polymer gebunden ist, eine wie immer geartete Umsetzung des oligomeren oder monomeren Salzes unter Bildung des salzhaltigen Polymers. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin lässt sich jedoch aus dem Wortlaut des Anspruchs nicht ableiten, dass das Polymer zwangsläufig vernetzt ist. Zum einen wird das Polymer im Anspruch 1 diesbezüglich nicht näher definiert. Des Weiteren ist das Merkmal, dass das Oligomer/Monomer ein Vernetzer für Harze ist, nicht mit einem Verfahrensschritt, bei dem ein Harz mit dem Oligomer/Monomer zu vernetzten Polymeren umgesetzt wird, gleichzusetzen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Merkmal um eine das Oligomer/Monomer kennzeichnende Eigenschaft, die sich aus der Struktur des jeweiligen Oligomers/Monomers ergibt. Vernetzer sind - dies wurde nicht bestritten - polyfunktionelle Verbindungen. Solche polyfunktionellen Verbindungen können auch zu linearen Polymeren umgesetzt werden. So ist ein Monomer oder Oligomer, das neben der organischen Base zusätzlich zwei funktionelle Gruppen - beispielsweise zwei Hydroxygruppen - enthält, ein Vernetzer für Harze, d. h. als Vernetzer geeignet. Ein solches Monomer oder Oligomer kann aber auch, nach Salzbildung, durch Umsetzung mit difunktionellen Verbindungen - beispielsweise einer Dicarbonsäure oder einem Diisocyanat - zur Herstellung linearer Polymere eingesetzt werden. Auch Homopolymerisierungen des Vernetzers sind möglich und anspruchsgemäß nicht ausgeschlossen.
Dem Argument der Beschwerdegegnerin, dass bei der Auslegung des Anspruchs 1 im Lichte der Beschreibung, insbesondere des erfindungsgemäßen Beispiels, die Vernetzung des anspruchsgemäßen Polymers offensichtlich sei, kann die Kammer nicht folgen. Nach gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Beschreibung nicht dazu herangezogen werden, Einschränkungen in einen an sich klaren und technisch sinnvollen Anspruch hineinzulesen (siehe z.B. T 932/99, Punkt 4.3.3 der Entscheidungsgründe, T 1208/97, Punkt 4, T 1018/02, Punkt 3.8 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall gibt es keine Veranlassung dafür, Merkmale, die das Resultat eines bestimmten in der Beschreibung genannten Verfahrensschrittes sind oder sein können, in einen Anspruch hineinzulesen, der einen solchen Verfahrensschritt, wie vorstehend erläutert, nicht enthält.
3.3 Des Weiteren ist nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein Erzeugnis, das durch sein Herstellungsverfahren gekennzeichnet ist, nur dann gewährbar, wenn das Erzeugnis per se die Voraussetzungen der Patentierbarkeit erfüllt, d. h. insbesondere neu und erfinderisch ist. Verfahrensmerkmale können nur insoweit zur Neuheit eines Erzeugnisses beitragen, als sie eigenständige und nachweisbare Merkmale/Eigenschaften des Erzeugnisses zur Folge haben (siehe auch T 205/83, Punkt 3.2.1 der Entscheidungsgründe; T 564/02, Punkt 3.4 und 3.5 der Entscheidungsgründe). Ein aus dem Stand der Technik bekanntes Erzeugnis, das alle technischen Merkmale des beanspruchten Erzeugnisses aufweist und mit Hilfe des beanspruchten Verfahrens herstellbar ist, nimmt den beanspruchten Gegenstand daher neuheitsschädlich vorweg, auch wenn das Erzeugnis im Stand der Technik auf andere Weise hergestellt wurde.
3.4 Die Druckschrift (3), die vor dem geltend gemachten Prioritätsdatum veröffentlicht worden ist, offenbart ein Elastomer mit korrosionshemmenden Eigenschaften, das ein Umsetzungsprodukt eines Amins der Formel HO-(CHR-CH2-NR1-CH2-CHR-O)x-H mit einer aromatischen Carbonsäure und gegebenenfalls einer Fettsäure enthält (siehe Seite 6, Zeilen 1 bis 10, Anspruch 1). Das Umsetzungsprodukt ist unbestritten ein Salz (Seite 8, Zeilen 13 bis 20) und mit einem Wert von 30 für die Variable x auch ein Polymer. Die Druckschrift (3) offenbart somit ein Korrosionsschutzmittel, das ein mit einem Polymer verbundenes Salz aus einer organischen Base und einer organischen Säure enthält. Dessen Herstellung erfolgt durch Homopolymerisation eines Monomers der Formel HO-CHR-CH2-NR1-CH2-CHR-O-H mit anschließender Salzbildung (siehe Seite 7, Zeilen 7 bis 15, Seite 8, Zeilen 13 bis 20). Das Monomer ist aufgrund seiner Struktur ein Vernetzer, an den eine Base gebunden ist.
3.5 Obwohl im Unterscheid zur Druckschrift (3) die Salzbildung anspruchsgemäß vor der Polymerisation erfolgt, ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass diese Abwandlung des Herstellungsverfahrens zu einem strukturell anderen Erzeugnis führt. Diesbezüglich überzeugende Gründe oder Belege liegen nicht vor. Die seitens der Beschwerdegegnerin als Unterscheidungsmerkmal angeführte Vernetzung des erfindungsgemäßen Polymers ist schon deshalb nicht überzeugend, weil der Anspruch aus den in Punkt 3.2 supra erläuterten Gründen nicht auf vernetzte Polymere beschränkt ist. Der Rückgriff auf das erfindungsgemäße Beispiel mit lediglich partieller Salzbildung ist ebenfalls nicht geeignet, die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass es sich bei dem beanspruchten Polymer um ein strukturell anders Erzeugnis handle, zu belegen. Anspruch 1 ist nicht auf das Beispiel und die dort offenbarte partielle Salzbildung beschränkt. Ebenso wenig ist es ausgeschlossen, dass die Base integraler Bestandteil der Polymerkette ist, da im Anspruch 1 nicht definiert wird, wie die organische Base an das Oligomer/Polymer gebunden ist. Die in der Druckschrift (3) beschriebene Ausgangsverbindung ist ein Monomer, an das eine Base gebunden ist, und ein Vernetzer. Sie fällt damit unter die Definition der anspruchsgemäßen Monomere. Die Homopolymerisierung einer solchen Verbindung (nach vorheriger Salzbildung) ist gemäß dem Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 nicht ausgeschlossen und führt zu den in der Druckschrift (3) beschriebenen Polymeren mit basischer Aminogruppe als integraler Bestandteil der Polymerkette.
Aus den vorstehend genannten Gründen kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass die Druckschrift (3) das beanspruchte Erzeugnis neuheitsschädlich vorwegnimmt (Artikel 54 EPÜ). Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.
Hilfsantrag
4. Zulassung
4.1 Der Hilfsantrag wurde zu einem sehr späten Zeitpunkt eingereicht, nämlich erst nachdem die Kammer ihre Schlussfolgerung bezüglich der Neuheit des Hauptantrags in der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben hat. Die Beschwerdeführerin beantragte, diesen Antrag wegen verspäteten Vorbringens nicht zuzulassen.
4.2 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichen der Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen. Neben den in Artikel 13 (1) VOBK beispielhaft aufgezählten Gründen wie der Komplexität des späten Vorbringens, dem Stand des Verfahrens und der Verfahrensökonomie, können im Rahmen der Ermessensausübung auch Kriterien, wie stichhaltige, d. h. durch den Verlauf des Beschwerdeverfahrens bedingte Gründe, der Zeitpunkt der Vorbringens oder die eindeutige Gewährbarkeit geänderter Ansprüche ausschlaggebend sein.
4.3 Vorliegend rechtfertigte die Beschwerdegegnerin ihr Vorgehen damit, dass nach ihrer Überzeugung die anspruchsgemäßen Polymere eindeutig vernetzt seien und daher kein Anlass für das Einreichen eines Hilfsantrags zur Abgrenzung von der Druckschrift (3) bestand.
4.4 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass die Frage der Vernetzung bereits im Einspruchsverfahren entscheidungserheblich war. Die auf Seiten 16/17 der angefochten Entscheidung von der Einspruchsabteilung diesbezüglich vertretende Auffassung wurde von der Beschwerdeführerin bereits in der Beschwerdebegründung als unzulässige Einschränkung bemängelt und gleichzeitig damit die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes im Hinblick auf die Druckschrift (3) bestritten. Die Beschwerdegegnerin musste auf Grund dieser Sachlage damit rechnen, dass der Frage der Vernetzung auch im Beschwerdeverfahren eine entscheidende Bedeutung zukommen könnte. Sie konnte sich auch nicht darauf verlassen, dass die Kammer die Auffassung der Einspruchsabteilung bestätigen würde. Die Beschwerdegegnerin hatte somit sowohl Veranlassung als auch ausreichend Gelegenheit bereits zu einem früheren Zeitpunkt, zum Beispiel mit ihrer Beschwerdeerwiderung, Anträge einzureichen, die den Einwänden der Beschwerdeführerin Rechnung tragen. Stichhaltige Gründe damit bis nach der Bekanntgabe der Schlussfolgerung seitens der Kammer bezüglich des bis dahin einzigen vorliegenden Antrags zuzuwarten gibt es nicht.
4.5 Darüber hinaus bestehen auch Zweifel daran, dass die Anspruchsänderungen im Hilfsantrag die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen. Das in den Anspruch 1 eingeführte Merkmal "wobei der Vernetzer im Anschluss an die Salzbildung mit einem Harz zum Polymer umgesetzt wird" findet sich zwar in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 4, Zeilen 6 bis 13, Seite 6, Zeilen 16 bis 22) jedoch nur im Zusammenhang mit dem Einsatz von Monomeren in der Salzbildung. Der Anspruch 13 wie ursprünglich eingereicht, auf den sich die Beschwerdegegnerin beruft, definiert lediglich die Eignung des Oligomers als Vernetzer für Harze ohne irgendwelche Umsetzungsschritte (Salzbildung, Umsetzung mit einem Harz) zu erwähnen. Diese finden sich auch nicht im Anspruch 11 beziehungsweise den Ansprüchen 1 bis 4, auf die der Anspruch 13 letztendlich rückbezogen ist. Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdegegnerin ebenfalls angeführte Passage auf Seite 3, Zeilen 21 bis 24 verweist lediglich vage auf "vorteilhafte Weiterbildungen" in den Unteransprüchen. Sie kann auch im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Anspruch 13 nicht als unmittelbare und eindeutige Basis für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags angesehen werden. Folglich ist der Hilfsantrag schon aus diesen Gründen auch prima facie nicht eindeutig gewährbar.
4.6 Aus den genannten Gründen entschied die Kammer daher den Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.