T 0711/99 (Übertragung des Einspruchs/L'OREAL) 21-10-2003
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I. Gemäß dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach Rechtsverfahren nicht einzeln - entgeltlich oder unentgeltlich -, sondern nur als Rechtsgesamtheit übertragen werden können, kann der Einsprechende nicht frei über seine Verfahrensbeteiligung verfügen (Nr. 2.1.5 b)). Sobald er Einspruch eingelegt und die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Einspruchs erfüllt hat, ist er Einsprechender und bleibt dies, bis das Verfahren oder seine Beteiligung beendet ist.
II. Die Übertragbarkeit der Einsprechendenstellung auf einen Einzelrechtsnachfolger im Falle des Verkaufs eines Geschäftsbereichs bleibt eine Ausnahme vom allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Einspruch nicht zur freien Disposition steht.
III. Diese Ausnahme ist restriktiv auszulegen (Nr. 2.1.5 c)) und läßt nicht zu, daß einer einsprechenden Muttergesellschaft beim Verkauf einer von Anfang an einspruchsberechtigten Tochtergesellschaft die Möglichkeit zuerkannt wird, ihre Einsprechendenstellung analog zum Fall eines Einsprechenden abzutreten, der einen mit dem Einspruch untrennbar verbundenen, selbst nicht einspruchsberechtigten Geschäftsbereich verkauft (Nr. 2.1.5 f)). Ein berechtigtes Interesse, das bei der Einlegung eines Einspruchs ohne Belang für dessen Zulässigkeit ist, ist somit auch in der Folge für die Einsprechendenstellung irrelevant (Nr. 2.1.5 d)).
Übertragung des Einspruchs (verneint)
Änderungen - zulässig (bejaht)
Neuheit gegenüber den in der Einspruchsschrift genannten Dokumenten (bejaht)
neue Beweismittel: offenkundige Vorbenutzung - verspätet vorgebracht (bejaht) - relevant (verneint); neues Dokument - verspätet vorgebracht (bejaht) - relevant (bejaht)
Zurückverweisung (bejaht)
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 94 402 525.3, die am 8. November 1994 eingereicht wurde und die Priorität der nationalen Anmeldung FR 9400700 vom 24. Januar 1994 in Anspruch nahm, wurde das europäische Patent Nr. 0 665 005 mit 11 Patentansprüchen erteilt. Die Ansprüche 1 und 9 bis 11 lauteten wie folgt:
II. Gegen das Patent wurden drei Einsprüche eingelegt, in denen der Widerruf des Patents gemäß Artikel 100 a) EPÜ, d. h. wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit, beantragt wurde; zur Stützung der Einsprüche wurden u. a. folgende Dokumente angezogen:
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Streitpatent. ...
IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, die am 6. Juli 1999 einging; die vorgeschriebene Gebühr wurde am selben Tag entrichtet.
VII. Mit Schreiben vom 2. April 2002 erklärte die Firma Bristol- Myers Squibb (Beschwerdegegnerin 3), daß sie den in ihrer Tochtergesellschaft Clairol Incorporated bestehenden Teil ihrer Aktivitäten, in dessen Interesse der Einspruch eingelegt worden sei, am 15. November 2001 an Procter & Gamble verkauft habe. Daher beantrage sie, daß die Übertragung ihres Einspruchs auf Procter & Gamble für rechtswirksam erklärt werde. In ihren Schreiben vom 9. August 2002 - einer Antwort auf eine Mitteilung der Kammer zu mehreren Verfahren - und vom 9. Mai 2003 - einer Erwiderung auf die Argumente der Beschwerdeführerin - führte die Beschwerdegegnerin 3 die Tatsachen und Beweismittel zur Stützung des Übertragungsantrags im einzelnen auf. Ihrer Meinung nach steht dieses Vorbringen nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung; die von der Beschwerdeführerin gewünschte Befassung der Großen Beschwerdekammer sei völlig unangebracht.
Die Kammer erklärte in der genannten Mitteilung zu mehreren Verfahren wie auch in der Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung, daß der Antrag auf Übertragung des Einspruchs in Anbetracht der Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht begründet erscheine und sie keinen ausreichenden Grund für eine Befassung der Großen Beschwerdekammer sehe.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 21. Oktober 2003 statt. In ihrem Verlauf legte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag einen neuen Satz mit 10 Ansprüchen vor, dessen Anspruch 1 wie folgt lautet:
IX. Die Beschwerdeführerin brachte folgendes vor:
a) Was die Übertragung des Einspruchs 3 betreffe, so habe dieser niemals zu Clairol Incorporated gehört. Er sei im Namen von Bristol-Myers Squibb eingelegt worden, deren Einsprechendenstellung gemäß der Entscheidung G 3/97 nicht zu ihrer freien Disposition stehe. Da ein Einsprechender nicht begründen müsse, warum er Interesse am Widerruf eines Patents habe, seien die Gründe, aus denen Bristol-Myers Squibb den Einspruch eingelegt habe, bedeutungslos. Daher müsse der Übertragungsantrag abgewiesen und das Verfahren mit Bristol-Myers Squibb als Einsprechender fortgesetzt werden.
X. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Beschwerdegegnerin 3 führte zu ihrem Antrag auf Übertragung des Einspruchs an, daß Bristol-Myers Squibb zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs Inhaberin sämtlicher Anteile ihrer Tochtergesellschaft Clairol Incorporated gewesen sei. Clairol Incorporated übe ihre Geschäftstätigkeit auf dem technischen Gebiet des Streitpatents aus. Die Beschwerdegegnerin 3 habe den aus den Anteilen dieser Tochtergesellschaft bestehenden Teil ihres Vermögens am 15. November 2001 an Procter & Gamble verkauft. Sie erklärte, sie habe im Auftrag ihrer Tochtergesellschaft Einspruch eingelegt, so daß dieser Einspruch mit dem Verkauf der Tochtergesellschaft auf Procter & Gamble übergegangen sei.
Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin 3 legt die Kammer die Entscheidung G 4/88 der Großen Beschwerdekammer falsch aus, und dies vor allem hinsichtlich der Bedingung für die Abtretung eines Einspruchs, nämlich daß der Einspruch ein "untrennbares Zubehör dieses (abgetretenen) Vermögensbestandteils" sein müsse.
Die Tatsache, daß es sich bei dem verkauften Vermögen um eine juristische Person handle, die den Einspruch nicht eingelegt habe, dürfe, immer nach Auffassung der Beschwerdegegnerin 3, nicht dazu führen, daß die Bedingung des "untrennbaren Zubehörs" nicht erfüllt werden könne. Ganz im Gegenteil sei der vorliegende Sachverhalt mit den Erfordernissen der Entscheidung G 4/88 durchaus vereinbar, weil dort darauf abgehoben werde, daß der Einspruch im Interesse des Unternehmens eingelegt worden sei und der Begriff "Unternehmen" in diesem Zusammenhang im weitesten Sinne als eine Geschäftstätigkeit zu verstehen sei, die von der Einsprechenden ausgeübt werde oder ausgeübt werden könne.
Im vorliegenden Fall sei der Einspruch als untrennbares Zubehör des Vermögens der verkauften Tochtergesellschaft anzusehen, der mit dieser an die neue Gesellschaft übergegangen sei.
Die von der Kammer vorgeschlagene Auslegung könne zu unlogischen Situationen führen, und dies um so mehr, als ein Einspruch übertragen werden könne, wenn er von einer Einsprechenden zusammen mit einem Teil ihres Vermögens abgetreten werde, nicht aber, wenn der Vermögensteil, auf den sich der Einspruch beziehe, eine eigene juristische Person sei, obwohl genau der Vermögensteil, in dessen Interesse der Einspruch eingelegt werde, ein konkreter Vermögensbestandteil der Einsprechenden sein müsse - und es gebe wohl nichts Konkreteres als eine bestimmte juristische Person. Vor dem Hintergrund der Entscheidung G 4/88 laute die relevante Frage nicht, ob der verkaufte Bestandteil ein untrennbares Zubehör des Vermögens der Einsprechenden sei, sondern ob der Einspruch von diesem verkauften Bereich untrennbar sei.
Die Schlußfolgerungen in der Entscheidung G 3/97 änderten nichts an dieser Sachlage, denn der wesentliche Punkt für die Entscheidung der Kammer sei es nicht, in wessen Name der Einspruch eingelegt worden sei, sondern "in wessen Interesse der Einspruch übertragen werden müsse".
In der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin 3 für den Fall, daß die Kammer ihrem Antrag auf Übertragung nicht stattgebe, hilfsweise einen Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit zwei Rechtsfragen vor.
Die beiden anderen Beschwerdegegnerinnen stellten die Entscheidung dieser Frage in das Ermessen der Kammer.
XI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 des in der Verhandlung vorgelegten Hauptantrags und hilfsweise auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 12.
XII. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdegegnerin 3 (Bristol-Myers Squibb) beantragte zusätzlich, daß die Übertragung des Einspruchs auf Procter & Gamble für rechtswirksam erklärt werde. Hilfsweise beantragte sie, daß die Übertragung des Einspruchs auf Clairol Incorporated für rechtswirksam erklärt werde. In einem weiteren Hilfsantrag beantragte sie die Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den beiden folgenden Fragen:
"1. If an opposition is filed by a parent company solely in the interest of a wholly owned subsidiary of that company, and then that subsidiary is sold to a third party, can the opposition be assigned to the third party, and if not, can it be assigned to the subsidiary?
2. What evidence is necessary to show that the opposition was filed by the parent company "solely in the interest of" the wholly owned subsidiary?"
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ in Verbindung mit den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Verfahrensfragen
2.1 Übertragung des Einspruchs
Das Hauptargument der Einsprechenden 3 (Beschwerdegegnerin 3) beruht auf einem Analogieschluß zur Sache T 349/86 (ABl. EPA 1988, 345), die der Entscheidung G 4/88 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1989, 480) zugrunde lag. Daher ist zunächst die Tragweite dieser Entscheidung zu untersuchen und dann zu klären, ob sich die Beschwerdegegnerin 3 auf die Analogie zu dieser Sache berufen kann.
2.1.1 In der Sache T 349/86 war die Kammer mit einem Antrag der Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglichen Einsprechenden auf Übertragung der Einsprechendenstellung auf die Erwerberin eines Teils des Geschäftsbetriebs der Einsprechenden (Einzelrechtsnachfolgerin) befaßt.
Die M.A.N. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Aktiengesellschaft hatte 1985 der MAN Nutzfahrzeuge GmbH ihren Geschäftsbetrieb auf dem Gebiet der Nutzfahrzeuge übertragen und anschließend ihr übriges Gesamtvermögen mit dem der Gutehoffnungshütte Aktienverein AG fusioniert und die Gesamtrechtsnachfolgerin MAN Aktiengesellschaft gebildet. Nachdem der ursprünglich von M.A.N. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Aktiengesellschaft im Auftrag ihres Bereichs "Nutzfahrzeuge" eingelegte Einspruch von der zuständigen Abteilung zurückgewiesen worden war, legte die MAN Aktiengesellschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin der Einsprechenden in dieser Eigenschaft Beschwerde ein und beantragte gleichzeitig die Übertragung des Einspruchs auf die MAN Nutzfahrzeuge GmbH, die Einzelrechtsnachfolgerin für den vom Einspruch betroffenen Bereich "Nutzfahrzeuge".
Der Entscheidung G 4/88 lag folgende Rechtsfrage zugrunde:
"Kann ein beim Europäischen Patentamt anhängiges Einspruchsverfahren nur auf die Erben des Einsprechenden übertragen werden, oder ist es frei oder zusammen mit dem Unternehmen des Einsprechen oder einem Teil davon übertragbar, der auf einem technischen Gebiet tätig ist, auf dem die Erfindung, die Gegenstand des angefochtenen Patents ist, verwertet werden kann?"
2.1.2 In den Entscheidungsgründen stellte die Große Beschwerdekammer zunächst den mit der Regel 60 (2) EPÜ implizit anerkannten Grundsatz auf, daß die Einsprechendenstellung von Rechts wegen auf die Erben und in entsprechender Weise auf den Gesamtrechtsnachfolger des Einsprechenden übertragen wird (s. G 4/88, Nr. 4 der Entscheidungsgründe).
Dann befand die Große Beschwerdekammer, daß bei Abtretung des konkreten Vermögensbestandteils, den ein Geschäftsbereich der ursprünglichen Einsprechenden - im betreffenden Fall der Bereich Nutzfahrzeuge - darstellt, der Einspruch nach dem Grundsatz "accessio cedit principali" übertragen werden kann, wenn der Einspruch im Interesse des Unternehmensteils eingelegt worden ist, der dem abgetretenen Geschäftsbereich entspricht (s. G 4/88, Nr. 6 der Entscheidungsgründe).
2.1.3 Die Sachlage im vorliegenden Verfahren unterscheidet sich von dem der Entscheidung G 4/88 zugrunde liegenden Sachverhalt im wesentlichen darin, daß Bristol-Myers Squibb auf dem Gebiet der Haarfärbemittel, d. h. dem Gebiet des Streitpatents, Eigentümerin einer Tochtergesellschaft Clairol Incorporated war, aber gleichwohl entschieden hatte, selbst Einspruch einzulegen. Später hat sie diese Tochtergesellschaft einzeln an die Firma Procter & Gamble verkauft, der nun die Einsprechendenstellung übertragen werden soll.
Der Unterschied besteht also darin, daß in dem Fall, der der Entscheidung G 4/88 zugrunde lag, der Bereich "Nutzfahrzeuge" der M.A.N. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Aktiengesellschaft keine Tochtergesellschaft war, sondern ein bestimmter Geschäftsbereich; er verfügte über keine eigene Rechtspersönlichkeit, die ihn zu einem "jedermann" im Sinne des Artikels 99 (1) EPÜ gemacht hätte - und nur dann hätte er Einspruch einlegen können.
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß Bristol-Myers Squibb den Einspruch gegen das Streitpatent bewußt im eigenen Namen eingelegt und zu keiner Zeit klargestellt hat, daß sie im Auftrag ihrer Tochtergesellschaft handle (sofern eine solche Angabe überhaupt von Belang wäre), obwohl diese Tochtergesellschaft, die volle Rechtsfähigkeit hatte und somit unter "jedermann" im Sinne des Artikels 99 (1) EPÜ fiel, durchaus berechtigt gewesen wäre, im eigenen Namen Einspruch einzulegen, und sei es auch nur auf Weisung der Muttergesellschaft.
2.1.4 Somit wird festgestellt:
a) Zum einen war im angeführten Fall nur die M.A.N. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg Aktiengesellschaft berechtigt, Einspruch einzulegen, weil ihr Bereich "Nutzfahrzeuge", der später abgetreten wurde, keine Rechtspersönlichkeit hatte und somit auch nicht einspruchsberechtigt war.
b) Zum anderen hat sich die Firma Bristol-Myers Squibb, die nach Maßgabe des Artikels 99 (1) EPÜ einspruchsberechtigt war, in der vorliegenden Sache dafür entschieden, dieses Einspruchsrecht selbst auszuüben, obwohl Clairol Incorporated eine einspruchsberechtigte, auf dem Gebiet des Streitpatents tätige, eigene juristische Person mit voller Rechtsfähigkeit war und somit ebenfalls das Einspruchsrecht ausüben konnte, wozu ein bloßer Geschäftsbereich nicht in der Lage ist.
2.1.5 Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Sachlage auf die Übertragung der Einsprechendenstellung werden aus der Entscheidung G 3/97 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1999, 245) deutlich:
a) In den beiden Vorlageentscheidungen T 301/95 (ABl. EPA 1997, 519) und T 649/92 (ABl. EPA 1998, 97) ging es im wesentlichen um die Frage, ob ein Einspruch nicht schon deswegen unzulässig ist, weil der Einsprechende im Auftrag eines Dritten handelt.
b) In der Entscheidung G 3/97 heißt es: "Seine Verfahrensbeteiligung steht nicht zur freien Disposition des Einsprechenden. Hat er die Voraussetzungen für einen zulässigen Einspruch erfüllt, ist er Einsprechender und bleibt dies, bis das Verfahren oder seine Beteiligung beendet ist. Er kann seine Stellung nicht auf den Dritten abwälzen." (s. Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe).
Diese Aussage, die dem allgemeinen Rechtsgrundsatz entspricht, daß gerichtliche Verfahren unabhängig von der jeweiligen Situation, beispielsweise einer Rechtsnachfolge, nicht einzeln - entgeltlich oder unentgeltlich -, sondern nur als Rechtsgesamtheit übertragen werden können, bestätigt die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 659/92, ABl. EPA 1995, 519, Nrn. 3, 3.1 bis 3.3 der Entscheidungsgründe; T 670/95 vom 9. Juni 1998, nicht im ABl. EPA veröffentlicht; T 298/97, ABl. EPA 2002, 83).
c) Daraus folgt, daß die in der Entscheidung G 4/88 festgelegte Ausnahme von diesem Grundsatz in Verbindung mit der Entscheidung G 3/97 restriktiv auszulegen ist.
Die Entscheidungen G 4/88 und G 3/97 ergänzen sich und behandeln jeweils einen bestimmten Aspekt des Einspruchs: In der Entscheidung G 4/88 werden die Bedingungen herausgearbeitet, unter denen die Übertragung der Einsprechendenstellung möglich ist, und in der Entscheidung G 3/97 werden die notwendigen und ausreichenden Bedingungen dargelegt, um die Einsprechendenstellung zu erlangen und zu wahren.
d) Wenn die Einsprechende ihre Behauptung, sie habe im Auftrag ihrer Tochtergesellschaft gehandelt, durch einen Verweis auf das Interesse stützt, das sie als Muttergesellschaft an der Einlegung des Einspruchs für ihre auf dem Gebiet des Streitpatents tätige Tochtergesellschaft gehabt und das sie mit dem Verkauf dieser Tochtergesellschaft verloren habe, knüpft sie das Einspruchsrecht - und damit die Einsprechendenstellung - de facto an das Vorliegen eines Interesses.
Das in einzelnen nationalen Rechtsordnungen vorgesehene Konzept des berechtigten Interesses, das auf subjektive Voraussetzungen in bezug auf die Person abhebt, die das Verfahren in Gang setzt - im vorliegenden Fall die Einsprechende -, ist als solches dem Einspruchsverfahren nach dem EPÜ fremd; der Gesetzgeber hat den Einspruch ausdrücklich als Popularrechtsbehelf ausgestaltet, der nach Artikel 99 (1) EPÜ jedermann offensteht, ohne daß ein persönliches Interesse bestehen muß (s. G 3/97, Nr. 3.2.1 der Entscheidungsgründe).
Da es gemäß G 3/97 "neben dem formell legitimierten Einsprechenden keinen "wahren" Einsprechenden geben" kann (s. Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe), ist es ohne Belang, daß die Muttergesellschaft im Auftrag ihrer Tochtergesellschaft gehandelt haben will. Sofern keine besonderen Gründe für die Annahme eines Mißbrauchs vorliegen, ist zudem nicht danach zu forschen, in wessen Auftrag derjenige handelt, der das Verfahren vorschriftsmäßig eingeleitet hat (s. G 3/97, Nr. 3 der Entscheidungsgründe). Wer in seinem eigenen Namen die für die Zulässigkeit des Einspruchs erforderlichen Bedingungen erfüllt hat, gilt nicht als mutmaßlicher Einsprechender, sondern als Einsprechender.
Selbst wenn eingeräumt würde, daß die Einsprechende im vorliegenden Fall ein Interesse an der Einlegung des Einspruchs hatte, solange ihr ihre Tochtergesellschaft zu 100 % gehörte, ist dieser Umstand, der schon bei der Einlegung des Einspruchs ohne Bedeutung für dessen Zulässigkeit war, auch nach seiner Hinfälligkeit für den Ausgang des Einspruchsverfahrens oder für die Einsprechendenstellung irrelevant.
e) So sind alle Ausführungen, die als Nachweis dafür vorgebracht wurden, daß die Einsprechende ausschließlich im Interesse ihrer Tochtergesellschaft gehandelt habe, ohne Belang. Das Rechtsverhältnis zwischen der Einsprechenden und Dritten (hier ihrer Tochtergesellschaft) ist für das EPA rechtlich unerheblich (s. G 3/97, Nr. 3.2.2 der Entscheidungsgründe).
f) Das Prinzip, daß ein Einspruch - unabhängig vom vorstehend genannten allgemeinen Grundsatz (Nr. 2.1.2 b)1) und vom Bemühen, einen Handel mit Einsprüchen zu vermeiden (s. T 298/97, a. a. O., Nr. 7.1 der Entscheidungsgründe) - nicht zur freien Disposition steht, liegt in der Natur des Einspruchsverfahrens und in seinem Ziel begründet, der Öffentlichkeit zu ermöglichen, die Gültigkeit von Patenten anzufechten. Das Verfahren muß einfach und zügig sein und darf nicht durch private Interessen zwischen einem Beteiligten und Dritten - beispielsweise zur Übertragung der Einsprechendenstellung - behindert werden, da das EPA in Anbetracht seiner Aufgaben und Ressourcen auch nicht das geeignete Organ ist, über solche Fragen zu befinden.
Somit kann die Einsprechendenstellung nur zusammen mit einem Teil des Geschäftsbetriebs eines rechtsfähigen Einsprechenden übertragen werden, wenn die übertragene Abteilung oder der übertragene Bereich des Unternehmens keine juristische Person und somit nicht rechtsfähig ist.
Dies ist hier nicht der Fall; Clairol Incorporated war zwar eine 100%ige Tochtergesellschaft von Bristol-Myers Squibb, war aber trotzdem selbst einspruchsberechtigt, weil sie als juristische Person voll rechtsfähig war.
2.2 Befassung der Großen Beschwerdekammer
2.2.1 Aus den vorstehenden Ausführungen geht hervor, daß die Frage, ob die Einspruchsübertragung rechtswirksam ist, aus folgenden Gründen nicht einem der beiden Fälle zuzuordnen ist, in denen die Große Beschwerdekammer befaßt wird (Artikel 112 (1) EPÜ):
- Die Entscheidung der Kammer über diese Frage steht nicht im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, weil es keine divergierende Rechtsprechung gibt; vielmehr wendet sie den in G 4/88 aufgestellten und mit G 3/97 vervollständigten Grundsatz an: Daher besteht keine Notwendigkeit für eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung.
- Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor; es geht lediglich darum, Schlußfolgerungen aus zwei in den vorgenannten Entscheidungen aufgestellten Grundsätzen zu ziehen.
2.2.2 Die Frage des Nachweises stellt sich im vorliegenden Fall letztlich nicht, weil der betreffende Sachverhalt - daß die Einsprechende ausschließlich im Interesse ihrer 100%igen Tochtergesellschaft gehandelt habe - für die getroffene Entscheidung nicht von Belang ist.
2.3 Daher kann die Übertragung nicht rechtswirksam sein, und der Antrag der Beschwerdegegnerin 3 wird zurückgewiesen.
2.4 Aus den vorstehend genannten Gründen ist der Hilfsantrag auf Übertragung auf Clairol Incorporated ebenfalls zurückzuweisen.
2.5. Da die Kammer die Rechtswirksamkeit der Einspruchsübertragung nicht anerkennt, sind Procter & Gamble und Clairol Incorporated nicht als Beteiligte am Beschwerdeverfahren zu betrachten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf Übertragung des Einspruchs wird zurückgewiesen.
3. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.