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T 0301/95 (Strohmann) 27-06-1997
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Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt:
1. Ist ein Einspruch, der durch einen mittelbaren Stellvertreter ("Strohmann") eingelegt wird, zulässig?
2. Falls die Frage zu 1. verneint wird, inwieweit ist der Einwand der Strohmanneigenschaft zu prüfen, wenn Umstände geltend gemacht werden, die den begründeten Verdacht erwecken, der Einsprechende handle nicht in eigenem Interesse?
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Zulässigkeit des Einspruchs durch einen Strohmann
Beweise zur Strohmanneigenschaft
I. Im Verfahren T 301/95 haben sowohl der Patentinhaber als auch der Einsprechende gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 18. Februar 1995, mit der das Patent Nr. 303 929 in geändertem Umfang aufrecht erhalten worden ist, Beschwerde eingelegt.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hat ein Dritter, und zwar die Firma EREMA, gemäß Artikel 115 EPÜ Einwendungen eingereicht, mit denen die offenkundige Vorbenutzung als Patentierungshindernis geltend gemacht wurde. Die offenkundige Vorbenutzung habe darin bestanden, daß eine Anlage der Firma EREMA einer anderen Firma ohne Geheimhaltungsverpflichtung zugänglich gemacht worden sei.
III. Die Einspruchsabteilung hat diese Einwendungen aber mit der Begründung nicht berücksichtigt, daß "die angeblichen Tatsachen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen waren." (Ziffer 6 der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 18. Februar 1995).
IV. Der Einsprechende greift in der Begründung seiner Beschwerde diese angebliche offenkundige Vorbenutzung auf und behauptet, daß "das angegriffene Patent bereits auch schon allein im Hinblick auf diese offenkundige Vorbenutzung in vollem Umfang zu versagen" sei.
V. Der Patentinhaber erhebt den Einwand, die Gegenpartei, Herr Ing. Emmerich Hartdegen, sei nicht der wahre Einsprechende, sondern trete nur als Strohmann für einen Dritten, die Firma EREMA, auf. Er beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
Der Einwand wird damit begründet,
"daß gewisse, mit der Einspruchsbegründung übereinstimmende Formulierungen im Schriftsatz des Dritten [offenbar gemeint sind die Einwendungen der Firma EREMA gemäß Art. 115 EPÜ] die Vermutung haben aufkommen lassen, daß zwischen dem Einsprechenden und der Firma EREMA, als Erstellerin der angeblich offenkundigen Vorbenutzung, Beziehungen bestehen. Vermutet wird, daß der Einsprechende im Auftrag der EREMA handelt, mit welcher die Patentinhaberin in gleicher Sache seit 1988 in schriftlicher Auseinandersetzung steht. Eine Recherche hat ergeben, daß der Einsprechende Patentberichterstatter am Deutschen Patentamt (Tel. 2195....) ist. Eine telefonische Rückfrage an den Einsprechenden .... hat ergeben, daß dieser an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen wird. Auf die direkte Frage des [Vertreters der Patentinhaberin], ob [der Einsprechende] für EREMA Einspruch erhoben hat, hat Herr Hartdegen [der Einsprechende] geantwortet, daß er darüber nicht sprechen dürfe (nicht etwa: ich handle im eigenen Namen)."
(Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs ist die Aussage des Patentinhabers durch Einfügungen in eckigen Klammern ergänzt.)
Der Einwand des Patentinhabers wird demnach auf übereinstimmende Formulierungen in der Einspruchsschrift mit einem Schriftsatz eines Dritten, auf das angebliche Verhalten des Einsprechenden sowie auf Umstände in seiner Person gestützt, nämlich auf seinen Beruf als Patentberichterstatter am Deutschen Patentamt.
VI. Der Patentinhaber stellte den "Hilfsantrag, auf die Beschwerde des Einsprechenden bis zum Entscheid der Beschwerde der Patentinhaberin nicht einzutreten."
VII. Die Beschwerdekammer sah darin sinngemäß den Antrag, das Verfahren zunächst auf die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs zu beschränken und forderte den Einsprechenden zur Stellungnahme zu dem Zulässigkeitseinwand auf.
VIII. Der durch zugelassene Vertreter vertretene Beschwerdeführer (Einsprechende) ließ sich auf die Argumentation des Patentinhabers und die Frage der Strohmanneigenschaft nicht ein, sondern stellte sich auf den Standpunkt, daß "jedermann" zum Einspruch berechtigt sei und daher die Frage, ob er in eigenem Interesse oder als Strohmann für einen Dritten auftrete, überhaupt nicht gestellt werden dürfe.
1. Unzulässigkeit des von einem Strohmann erhobenen Einspruchs
Die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs aus dem Gesichtspunkt der Strohmanneigenschaft betrifft das Recht, als Partei vor dem Europäischen Patentamt im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren aufzutreten oder sich vertreten zu lassen. Dies stellt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, die sich anhand des Wortlautes der Bestimmungen des EPÜ nicht klären läßt. Mit der Identität des Einsprechenden und der Strohmannfrage haben sich zahlreiche Entscheidungen der Beschwerdekammern - in verschiedenen Fallkonstellationen und zum Teil mit eingehender Begründung - auseinandergesetzt (u. a. T 10/82, ABl. EPA 1983, 407; T 25/85, ABl. EPA 1996, 81, Gründe Nr. 14; T 635/88, ABl. EPA 1993, 608; T 289/91, ABl. EPA 1994, 649; T 590/93, ABl. EPA 1995, 337; die zur Veröffentlichung im ABl. bestimmte Entscheidung T 798/93, Gründe Nr. 3 und 4 sowie die nicht im ABl. veröffentlichten Entscheidungen T 582/90, Gründe 1.1; T 548/91, Gründe Nr. 1.2.3 f und T 339/93, Gründe Nr. 4). Die Rechtsprechung der Kammern hat damit die verschiedenen Aspekte der Frage der Strohmanneigenschaft so aufbereitet, daß auch der Zeitpunkt für eine klärende Vorlage an die Große Kammer geeignet erscheint.
2. Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Die Kammer hat daher erwogen, der Großen Beschwerdekammer die Frage vorzulegen, ob ein Einspruch, der durch einen mittelbaren Stellvertreter ("Strohmann") eingelegt wird, zulässig ist und, falls dies verneint wird, die weitere Frage zu stellen, inwieweit der Einwand der Strohmanneigenschaft zu prüfen ist, wenn Umstände geltend gemacht werden, die den begründeten Verdacht erwecken, der Einsprechende handle nicht in eigenem Interesse.
3. Auswirkungen der Strohmanneigenschaft
3.1 Die Frage nach der wahren Partei kann aus unterschiedlichen Gründen bedeutsam sein, so insbesondere
1. für die inter partes wirkende Rechtskraft der Entscheidung über den Einspruch und die Auswirkungen auf nationale Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren,
2. für die Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften über die Vertretung des Einsprechenden mit Wohnsitz oder Sitz außerhalb der EPÜ-Vertragsstaaten und
3. für die Würdigung von Beweisen.
3.2 Zu dem ersten Gesichtspunkt ist folgendes zu bemerken:
Bei der Beurteilung der Frage nach der Stärke der Vermutung, der im Einspruchsschriftsatz genannte Einsprechende sei auch der tatsächliche Einsprechende, und bei der Beweislastverteilung kann es im Rahmen des EPÜ und den mit dem Einspruch verknüpften nationalen Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren darauf ankommen, welche prinzipiellen verfahrensrechtlichen Situationen auftauchen und inwieweit daher ein praktisch durchsetzbares Recht auf Überprüfung der Parteistellung des Einsprechenden geboten erscheint. So kann die Frage der Unterbrechung nationaler Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren davon abhängen, ob der am europäischen Einspruchsverfahren als Einsprechender Beteiligte mit einer der Parteien im nationalen Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren identisch ist. Ebenso kann die Rechtskraftwirkung der Entscheidung im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren zwischen den Parteien in der Weise eintreten, daß ein nationales Nichtigkeitsverfahren in einem benannten Vertragsstaat des EPÜ auf den Einwand der res judicata trifft. Dies gilt zumindest nach § 11 des österreichischen Patentverträge-Einführungsgesetzes für ein europäisches Patent (AT), also für den diesen Vertragsstaat betreffenden territorialen Teil des europäischen Patents. Diese Bestimmung erkennt der Entscheidung im europäischen Einspruchsverfahren bindende und damit präjudizielle Wirkung für ein späteres nationales Nichtigkeitsverfahren vor der Nichtigkeitsabteilung zu, wenn es dieselbe Sache betrifft. Darunter ist nach den Erläuternden Bemerkung zu dem erwähnten Bundesgesetz die Parteien- und Sachidentität zu verstehen; dabei wird zum Begriff "derselben Sache" auf die Lehre und Rechtsprechung zur Streitanhängigkeit verwiesen.
Bei der Abwägung der Rechtspositionen der Parteien im europäischen Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren kann es also auch auf die unterschiedliche Ausgestaltung des nationalen Nichtigkeits- und Verletzungsverfahrens in den Vertragsstaaten des EPÜ ankommen, wobei zu beurteilen ist, ob und in welchem Maß die Rechte der Gegenpartei durch die Einschaltung eines Strohmanns beeinträchtigt werden können.
3.3 Im vorliegenden Zusammenhang braucht auf die weitere Frage nicht näher eingegangen zu werden, ob dem Patentinhaber der Einwand der exceptio pacti zusteht, zumal die Zulässigkeit dieses Einwandes im Einspruchsverfahren umstritten ist (Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 13. Mai 1992, ABl. EPA 1992, 747 - "Nichtangriffsabrede") und von den Beschwerdekammern noch nicht entschieden wurde. In jedem Fall ist nach der bisher einhelligen Rechtsprechung, die von der Unzulässigkeit des Einsatzes eines Strohmanns an sich ausgeht, die Problematik der Fragestellung - im Gegensatz zu Lösungsansätzen bei einem vergleichbaren nationalen Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren wie dem nach dem deutschen Patentgesetz - nicht auf diesen Aspekt beschränkt.
3.4 Der zweite Gesichtspunkt betrifft das Recht zur Vertretung in Verfahren vor dem EPA. Durch den Einsatz eines Strohmanns kann die Bestimmung des Artikels 134 (1) und (7) EPÜ gezielt umgangen werden. Daß im vorliegenden Fall keine Anzeichen dafür vorliegen, bedeutet nicht, daß diese Erwägungen bei der prinzipiellen Abwägung der Interessenlage bei der Strohmanneigenschaft außer Betracht zu bleiben haben.
3.5 Der dritte Gesichtspunkt betrifft die Erforschung der Wahrheit im Beweisverfahren. Unklarheiten über die Stellung der Parteien und Zeugen zueinander oder von Personen, die Erklärungen über tatsächliche Umstände abgeben, kann die Wahrheitfindung beeinträchtigen.
4. Die Frage 1 ist in der Rechtsprechung der Kammern von Anfang an in dem Sinne beantwortet worden, daß der Strohmann nicht "jedermann" im Sinne des Artikels 99 (1) EPÜ und ein von einem Strohmann eingereichter Einspruch unzulässig ist. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Großen Kammer, wonach "das der Erteilung nachgeschaltete Einspruchsverfahren grundsätzlich als streitiges Verfahren zwischen Parteien angesehen werden muß, die in der Regel gegenteilige Interessen vertreten, die aber Anspruch auf die gleiche Behandlung haben." (G 9/91, ABl. EPA 1993, 408, 412, Gründe Nr.2 am Ende). In Fortentwicklung dieses Grundsatzes wurde - in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung (G 1/84, ABl. EPA 1985, 299 - "Mobil Oil") - der Einspruch des Patentinhabers gegen sein Patent für unzulässig erklärt und festgehalten, daß der Begriff "jedermann" in Artikel 99 (1) EPÜ nicht den Patentinhaber selbst erfaßt (G 9/93, ABl. EPA 1994, 891 - "Einspruch der Patentinhaber").
5. Es kann als unstreitig gelten, daß einem allgemeinen, nicht näher substantiierten Einwand der Strohmanneigenschaft nicht nachzugehen ist. Mit dieser Frage hat sich bereits die Entscheidung T 798/93 (zur Veröffentlichung im ABl. bestimmt) auseinandergesetzt (siehe Gründe Nr. 3.5). Sie stellt sich im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht.
6. Nachweis der Strohmanneigenschaft
6.1 Strittig ist aber die Frage, inwieweit der Einwand der Strohmanneigenschaft zu prüfen ist, wenn Umstände geltend gemacht werden, die den Verdacht nähren, daß der Einsprechende als Strohmann für einen Dritten und nicht in eigenem Interesse handelnd auftritt. Die Vorlage dieser Frage 2 stützt sich auf folgende Erwägungen:
Der Patentinhaber trägt die Darlegungs- und Beweispflicht für den Einwand der Strohmanneigenschaft. Im vorliegenden Zusammenhang geht es nun darum, ob und inwieweit Umstände in der Person des Einsprechenden (z. B. dessen Beruf) oder sonstige Anzeichen (z. B. die Übernahme von Formulierungen aus einem Schriftwechsel oder einem Verfahren zwischen dem Patentinhaber und einem Dritten) Anlaß geben, dem Unzulässigkeitseinwand nachzugehen. Denn in der Regel der Fälle wird der vollständige Nachweis der in der Sphäre des Verfahrensgegners aufgetretenen Tatsachen, die ihn als Strohmann ausweisen, für den Patentinhaber schwierig bis unmöglich sein. Nur selten wird sich ein Dritter klar als der wahre Einsprechende zu erkennen geben, zielt doch der Einsatz eines Strohmanns in der Regel gerade darauf ab, die Feststellung des eigentlichen Einsprechenden zu erschweren oder zu verhindern. Die Mitwirkungspflicht des Einsprechenden bei der Beweiserhebung zur Strohmanneigenschaft könnte daher angezeigt sein, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Einsprechende möglicherweise nicht in eigenem Interesse handelt. Es wird dabei zu erwägen sein, inwieweit Umstände in der Person des Einsprechenden berücksichtigt werden sollen, die nach der Lebenserfahrung ein Handeln im Interesse Dritter nahelegen. Konkrete Anhaltspunkte könnten ausreichen, Beweise nach Artikel 117 EPÜ zu erheben. Dabei kommen als Beweismittel insbesondere die Vernehmung des Einsprechenden als Beteiligten (Art. 117 (1) a) EPÜ) oder die Abgabe einer schriftlichen Erklärung des Einsprechenden unter Eid in Frage. Für die letztgenannte Form der Beweiserhebung gibt es Beispiele in den oben zu Ziffer 2 genannten Entscheidungen. Werden dagegen die Anforderungen so hoch angesetzt, daß diese Beweise nicht herangezogen werden können, besteht möglicherweise die Gefahr, daß der Anspruch des Patentinhabers, als Gegenpartei tatsächlich den Einsprechenden und nicht einen Strohmann zu haben, im Regelfall nicht durchsetzbar ist.
6.2 Deshalb könnte erwogen werden, ob und inwieweit dem Patentinhaber Beweiserleichterungen zugute kommen, wenn er die Vermutung widerlegen will, daß der, der als Einsprechender auftritt, auch tatsächlich der Einsprechende ist.
In nationalen Verfahrensrechten wurden Modelle für die Lösung von Beweisproblemen entwickelt, die dadurch gekennzeichnet sind, daß Tatsachen aus der Sphäre des Gegners zu beweisen sind oder ein Geschehensablauf aus tatsächlichen Gründen nicht in sämtlichen Details nachweisbar ist. Lösungen können im Rahmen der Beweiswürdigung, durch von der Regel abweichende Beweislastverteilung oder durch die Begründung von Mitwirkungspflichten der Gegenpartei bei der Beweisführung gefunden werden.
6.2.1 Bei den im deutschen Recht entwickelten Regeln des Anscheinsbeweises (Prima-Facie-Beweis) handelt es sich um eine Beweiserleichterung im Rahmen der Beweiswürdigung. Hierbei geht es darum, daß nach der Lebenserfahrung das Vorliegen eines typischen Geschehensablaufes prima facie ausreichend bewiesen ist, wenn dessen Grundelemente nachgewiesen sind. Der Anscheinsbeweis kann dadurch entkräftet werden, daß die Möglichkeit eines atypischen Verlaufs dargetan wird.
Noch weiter geht die ebenfalls im deutschen Recht entwickelte Umkehr der Beweislast. Statt der nach der Regel beweisbelasteten Partei trägt nach einer Umkehr der Beweislast die andere das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts. Eine Beweislastumkehr findet z. B. statt in Fällen der Beweisvereitelung durch den Gegner der beweisbelasteten Partei, wenn eine grobe Verletzung von Berufspflichten eine Schädigung bewirkt haben kann (z. B. typische ärztliche Kunstfehler), wenn eine Person oder Sache bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieprodukts dadurch geschädigt wird, daß das Produkt fehlerhaft in Verkehr gebracht wurde (Produkthaftung), wenn vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt wurden (z. B. Aufklärung durch den Arzt über das Risiko einer Operation). Die Grenzen zwischen Beweiswürdigung und Beweislastumkehr sind in der Praxis fließend.
In der deutschen Rechtsprechung wird aus praktischen Gründen der Billigkeit und eines gerechten Interessenausgleichs die Beweislast oft nach Gefahrenbereichen verteilt. Danach hat derjenige die maßgebenden Tatsachen zu beweisen, in dessen ausschließlicher Einflußsphäre sie sich abgespielt haben.
6.2.2 Bei diesen im deutschen Recht entwickelten Modellen wird die Darlegungs- und Beweislast in unterschiedlichem Ausmaß verlagert, bzw. es werden Mitwirkungspflichten unterschiedlichen Umfangs begründet. Bei einer Übertragung der Modelle auf die Frage des Einspruchs durch einen Strohmann ergibt sich folgendes:
- Orientiert man sich an den Prinzipien des Anscheinsbeweises, so ist der Einspruch schon dann zulässig, wenn der Einsprechende die Zweifel an der Identität des wahren Einsprechenden, die sich auf typische Indizien für Handeln im Drittinteresse gründen, dadurch entkräften kann, daß er Indizien gleichen Gewichts für ein Handeln im eigenen Namen vorbringt.
- Nimmt man eine Umkehr der Beweislast an, ist im Falle des Verdachts auf einen Strohmanneinspruch der Einspruch nur dann zulässig, wenn der als Einsprechender Auftretende zur Überzeugung des Gerichts beweisen kann, daß er kein Strohmann ist.
- Auch im Fall einer Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen müßte der Einsprechende nachweisen, daß er im eigenen Namen handelt.
6.2.3 Im englischen Recht wird zwischen "legal" oder "pursuasive burden of proof" einerseits und "evidential burden of proof" andererseits unterschieden. Die erstgenannte Beweislastregel legt im Normalfall der Partei die Beweislast auf, die eine Behauptung aufstellt. Diese Beweislastverteilung an sich bleibt normalerweise während des gesamten Verfahrens unverändert. Bei der "evidential burden of proof" kann sich die Beweislastverteilung je nach dem Fortgang des Verfahrens stetig ändern und von einer Partei auf eine andere verlagern.
Im Zivilrechtsprozeß kann der "evidential burden" durch jede Form des Beweises entsprochen werden, die ausreicht, einen prima facie case herbeizuführen. "Prima facie evidence" bedeutet dabei einen Beweis, der, wenn ihm nicht gleichwertiger Gegenbeweis entgegengesetzt wird, ausreicht, eine bestimmte Behauptung nachzuweisen. Dabei wird die Anforderung an den Grad des Beweises im allgemeinen als "proof on the balance of probabilities" bezeichnet. Allerdings kann ein strengerer Maßstab angelegt werden, der sich an dem Schweregrad der Behauptung orientiert.
Die "Best of Evidence" Regel besagt, daß das beste Beweismittel eingesetzt werden muß, das nach der Natur des betreffenden Falles in Frage kommt ("primary evidence"). Greift eine Partei auf "secondary evidence" zurück, muß sie darlegen, daß ihr "primary evidence" nicht zugänglich ist.
Daß die Beweispflicht für Tatsachen, deren natürliche Kenntnis in dem Bereich einer Partei liegt ("facts which are peculiarly within his knowledge"), dieser Partei zugeschoben werden kann, wird im englischen Beweisrecht häufig erörtert; so zumindest im Common Law, soweit das Strafverfahren betroffen ist, bis zur Entscheidung des Court of Appeal in R. v. Edwards, [1974] 2 All ER, 1085, die die Anwendung dieses Grundsatzes im Strafprozeß in Frage gestellt hat.
6.2.4 Im französischen Recht kann der Richter einer Partei oder einem Dritten aufgeben, ein bestimmtes relevantes Beweisstück (Schriftstück, Tonaufzeichnung etc.) vorzulegen, wenn er noch nicht über genügend Grundlagen für seine Entscheidung verfügt. Diese "production forcée d'une preuve" führt nach Artikel 11 des Nouveau code de procédure civile nicht zu einer Umkehrung der Beweislast. Da in diesem Fall keine unmittelbaren Zwangsmittel zur Verfügung stehen, sondern nur Zwangsgeld, ist es nicht ausgeschlossen, daß der Besitzer des Beweisstücks die Vorlage verweigert. Der Richter kann jedoch ein solches Verhalten bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, und gegebenenfalls die Behauptungen desjenigen als wahr unterstellen, der die Anordnung, dieses Beweisstück vorzulegen, beantragt hat.
Wenn es schwierig ist, eine beweisbedürftige Tatsache direkt zu beweisen, kann der Beweis dadurch erbracht werden, daß aus schon bewiesenen Tatsachen, die mit der noch zu beweisenden eng verbunden sind oder mit ihr in Zusammenhang stehen, aufgrund von Tatsachenvermutungen auf die Existenz der beweisbedürftigen Tatsache geschlossen wird. In einem solchen Fall ist der Beweis mittelbar auf einen Beweis des ersten Anscheins ("présomption du fait de l'homme") gegründet: der Richter bildet seine Überzeugung anhand von Indizien. Allerdings verpflichtet Artikel 1353 des Code civil den Richter, nur gewichtige, klare und widerspruchsfreie Beweisvermutungen zuzulassen.
Schließlich kann der Richter von Amts wegen eine Partei unter Eid vernehmen (serment supplétoire). Dabei handelt es sich um ein ergänzendes Informationsmittel, dessen Anwendung und Bewertung im Ermessen des Richters stehen. Verweigert die Partei die Aussage, kann der Richter dieses Verhalten im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung als Tatsachenvermutung bewerten.
Auch eine Partei kann - ohne daß ein Anfangsbeweis erbracht ist - beantragen, die Gegenpartei unter Eid zu vernehmen ("serment décisoire", Artikel 1359 f. des Code civil). Voraussetzung ist, daß die Partei eine Tatsachenbehauptung zur Stützung ihres Anspruchs aufstellt, die sie selbst nicht beweisen kann, die sich aber auf eine den Gegner persönlich betreffende Tatsache bezieht. Der Zweck ist es, über einen Streitpunkt abschließend zu entscheiden. Der Richter hat keinen Beurteilungsspielraum: die Verweigerung der Eidesleistung hat Beweiswirkung gegen den, der sich der Eidesleistung entzieht (Artikel 1361 Code civil).
6.3 Effektive Beweislastverteilung für den Patentinhaber
6.3.1 Da eine Heranziehung allgemeiner Grundsätze des Verfahrensrechts in den Vertragsstaaten die beweisrechtlichen Fragen der Strohmanneigenschaft nicht eindeutig zu lösen vermag, erscheint eine autonome Auslegung der Bestimmungen des EPÜ erforderlich, die sowohl dem Interesse der Allgemeinheit als auch dem Ausgleich der Interessen der am europäischen Einspruchsverfahren beteiligten Parteien am besten gerecht wird.
6.3.2 Die Übertragung der für den Anscheinsbeweis entwickelten Regeln auf den Einspruch durch einen Strohmann dürfte die Position des Patentinhabers nicht wesentlich stärken, da der Anscheinsbeweis leicht zu entkräften ist.
6.3.3 Eher könnte eine Beweislastumkehr oder eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen angezeigt sein, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Einsprechende möglicherweise für einen Dritten handelt, d. h. der Einsprechende müßte dann nachweisen, daß er nicht Strohmann für einen Dritten ist.
Dabei wird zu erwägen sein, inwieweit Umstände in der Person des Einsprechenden oder andere Indizien als konkrete Anhaltspunkte dienen können, die nach der Lebenserfahrung ein Handeln im Interesse Dritter nahelegen. Ein in der Person des Einsprechenden liegender Umstand könnte dessen Beruf sein; aber auch Anzeichen wie die Übernahme von Formulierungen aus einem Schriftwechsel oder einem Verfahren zwischen dem Patentinhaber und dem Dritten könnten Anlaß geben, dem Einwand nachzugehen, der Einsprechende handle als Strohmann für einen Dritten und sein Einspruch sei daher unzulässig.
6.3.4 Nach Artikel 117 EPÜ wäre dann Beweis darüber zu erheben, ob der Einsprechende im eigenen Namen handelt. Als Beweismittel kommen insbesondere die Vernehmung des Einsprechenden als Beteiligten (Art. 117 (1) a) EPÜ) oder die Abgabe einer schriftlichen Erklärung des Einsprechenden unter Eid in Betracht. Ergibt sich dann nach der Beweiserhebung eine Non-Liquet-Lage, ginge das wegen der Umkehr der Beweislast zu Lasten des Einsprechenden und nicht - wie im Regelfall bei Zulässigkeitseinwänden - zu Lasten des Patentinhabers: der Einspruch wäre also unzulässig.
7. Struktur der Fragestellung
7.1 Aus all diesen Überlegungen ergibt sich der grundsätzliche Charakter der Frage 2, zu deren Vorlage von Amts wegen an die Große Beschwerdekammer das vorliegende Einspruchsbeschwerdeverfahren gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ Anlaß gibt.
7.2 Die prinzipielle Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Einspruchs eines Strohmanns - Frage 1 - stellt eine im Verfahren T 301/95 zu entscheidende Frage dar, die der Frage 2 logisch vorgeordnet ist. Sie ist von der Großen Beschwerdekammer noch nicht entschieden worden, so daß es angezeigt erscheint, die Frage 2 nicht isoliert vorzulegen, sondern der Großen Beschwerdekammer die Gelegenheit zu geben, die bisherige Linie der Rechtsprechung zu bestätigen oder zu verwerfen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt:
1. Ist ein Einspruch, der durch einen mittelbaren Stellvertreter ("Strohmann") eingelegt wird, zulässig?
2. Falls die Frage zu 1. verneint wird, inwieweit ist der Einwand der Strohmanneigenschaft zu prüfen, wenn Umstände geltend gemacht werden, die den begründeten Verdacht erwecken, der Einsprechende handle nicht in eigenem Interesse?