T 0629/90 (Haltevorrichtung) 04-04-1991
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Offenkundige Vorbenutzung
Forsetzung des Beschwerdeverfahrens nach Zurücknahme eines Einspruchs
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des Patents Nr. 0 077 050.
II. Gegen die Erteilung des Patentes hatten die Firmen
- Schuntermann und Benninghoven GmbH, D-4010 Hilden,
und
- Talema Elektronik GmbH, D-8034 Germering
Einspruch erhoben und beantragt, das Patent mangels einer seinem Gegenstand zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit zu widerrufen.
Beide Einsprechenden begründeten ihr Vorbringen unter Hinweis auf einen Stand der Technik, wie er sich aus verschiedenen Druckschriften sowie aus offenkundig vorbenutzten Ringkern- Transformatoren ergibt.
Die Einsprechende Talema Elektronik hatte ihren Einspruch noch vor Erlaß einer Entscheidung durch die Einspruchsabteilung zurückgezogen. Von ihr im Verfahren genannte bzw. vorgelegte Beweismittel wurden jedoch amtsseitig berücksichtigt.
Durch die Entscheidung vom 30. Mai 1990 hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen.
Für die Entscheidung der Einspruchsabteilung waren folgende, von der Einsprechenden Talema Elektronik im Verlauf des Verfahrens genannte bzw. vorgelegte Beweismittel von Bedeutung:
E1: Prospekt "Ringkern-Bauelemente" der Firma Talema, Oktober 1979
E2: DE-U-7 403 951 entspricht FR-U-2 260 269
E3: DE-U-6 914 319
E6: Lieferschein 6 101 vom 31. August 1981
E8: Zeichnung Sonderhalterung 3 403-P1S5 vom 29. Juni 1981
E9: Eidesstattliche Erklärung des Herrn Erwin Tischer vom 26. Januar 1989 verbunden mit 2 Blatt Versandliste
III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
IV. In einer eine Ladung zur mündlichen Verhandlung begleitenden Mitteilung vom 10. Januar 1991 wurde darauf hingewiesen, daß auch nach Auffassung der Kammer die von der Einspruchsabteilung für die Entscheidung herangezogenen Entgegenhaltungen am wichtigsten für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sind, daß aber auch ein gewisses Allgemeinwissen auf dem in Frage kommenden Fachgebiet zu berücksichtigen ist. Dazu sind auch die Ring- Stelltransformatoren gemäß den von der Einsprechenden Schuntermann und Benninghoven vorgelegten Katalogen zu rechnen.
V. Die Einsprechende Schuntermann und Benninghoven hat noch vor Durchführung der mündlichen Verhandlung ihren Einspruch ebenfalls zurückgezogen.
VI. Die mündliche Verhandlung wurde am 4. April 1991 durchgeführt.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent unverändert aufrechtzuerhalten.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 lautet:
"1. Aus Kunststoff gefertigte Haltevorrichtung für mit Wicklungen versehene Ringkerne (1), die aus einem dem Außendurchmesser des bewickelten Ringkernes (1) angepaßten Trägerteil (2) mit einem auf dem Trägerteil zentrisch angeordneten, in das Innere des Ringkernes ragenden, vorzugsweise als Hohlzylinder ausgebildeten Zentrierdorn (3) besteht, auf welchem der bewickelte Ringkern mittels einer Vergußmasse (4) gehalten ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Trägerteil (2) als kreisscheibenförmige Platte ausgebildet ist, die Mittel (12) aufweist, die dazu dienen, bei Befestigung der Haltevorrichtung auf einer Unterlage (15) eine Verdrehung der Haltevorrichtung gegenüber dieser Unterlage zu verhindern."
VIII. Die Widerrufsentscheidung der Einspruchsabteilung war damit begründet, daß die wesentlichen Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents zum Stand der Technik gehören, wie er durch die Lieferung von 50 Sonderhalterungen gemäß E8 der Firma Talema Elektronik unbestritten offenkundig geworden sei. In den verbleibenden Merkmalen, wonach die Halteplatte kreisscheibenförmig ist und wonach Mittel gegen Verdrehung derselben gegenüber einer Unterlage vorgesehen sind, sah die Einspruchsabteilung nichts, was eine erfinderische Tätigkeit begründen könnte.
IX. Die Beschwerdeführerin hat vor der Einspruchsabteilung zwar die offenkundige Vorbenutzung von Ringkerntransformatoren gemäß Lieferschein 6 101 (Entgegenhaltung E6) auf einer Sonderhalterung gemäß Zeichnung 3 403-P1S5 (Entgegenhaltung E8) nicht bestritten. Sie hat aber in ihrer Beschwerdebegründung die Auffassung vertreten, daß die offenkundige Vorbenutzung keine Anregung im Sinne ihrer Erfindung gebe, da es sich um einen Transformator höherer Leistung handele (938 VA), während die Erfindung ihrem Wesen nach einen Massenartikel wesentlich geringerer Leistung zur galvanischen Entkopplung in Anlagen der Fernmeldetechnik oder zur Eingabe von Ferndaten in Rechenanlagen beträfe. So sei die Sonderhalterung nach E8 wohl nur für horizontalen Einbau des Ringkerns konzipiert. Die erfindungsgemäße Haltevorrichtung kenne eine derartige Beschränkung nicht.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beschwerdeführerin noch ergänzend vorgetragen, daß die von der Einsprechenden Talema Elektronik vorgelegte Zeichnung für die Sonderhalterung 3 403-P1S5 ohne jede Maßangabe kaum als Fertigungszeichnung gedient haben könne. Es könne daher als nicht gesichert gelten, daß die Lieferung, die selbst nicht bezweifelt werde, tatsächlich nach dieser Zeichnung erfolgt ist.
Gehe man aber von den sonst üblichen Haltevorrichtungen für Ringkern-Signal-Übertrager mit Einklemmen des bewickelten Ringkernes zwischen Montageplatten (E1) oder vollständigem Eingießen in einen ringförmigen Trog (E1 und E2) aus, so ergäben sich nach der Meinung der Beschwerdeführerin durch die Erfindung die folgenden vorteilhaften Wirkungen:
- Zwangsfreie Befestigung (kein Druck von Montagezubehör auf die Wicklung)
- Gute Wärmeabfuhr (die Vergußmasse umgibt die Wicklung nur teilweise)
- Beim Bewickeln des Ringkerns müssen weniger enge Toleranzen eingehalten werden als bei der Einbettung in einen Ringtrog
- Montage der Haltevorrichtung in jeder beliebigen Lage
- Raumsparende Kreisscheibenform des Trägerteils
- Verdrehsicherung (z. B. durch zwei Einschnitte in der Kreisscheibe)
Für eine Patentfähigkeit der einfachen Lösung der druckfreien Ringkern-Halterung spreche auch ein überraschender wirtschaftlicher Erfolg.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verfahrensrechtliche Fragen
2.1 Wie oben erwähnt (Nr. V) hat die Einsprechende Schuntermann & Benninghoven GmbH mit Schreiben vom 7. März 1991 ihren Einspruch zurückgezogen. Sie hat sich danach an dem Beschwerdeverfahren auch nicht beteiligt. Dazu ist verfahrensrechtlich folgendes zu bemerken:
2.2. Anders als im Verfahren vor der Einspruchsabteilung, wo es nach Regel 60 (2) EPÜ eine Ermessensfrage ist, ob das Verfahren nach Zurücknahme des Einspruchs fortgesetzt werden soll oder nicht, hat im Beschwerdeverfahren die Zurücknahme des Einspruchs jedenfalls dann keine unmittelbare verfahrensrechtliche Bedeutung, wenn die Einspruchsabteilung das europäische Patent widerrufen hat. Vielmehr muß in diesem Fall die Beschwerdekammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung von Amts wegen sachlich überprüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben und das Patent aufrechterhalten, wenn es den Erfordernissen des EPÜ genügt. Bei dieser Prüfung durch die Kammer können auch Beweismittel, die von einer Einsprechenden vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, herangezogen werden.
3. Neuheit
Merkmalsmäßig kommt dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten die offenkundig vorbenutzte Sonderhalterung nach Zeichnung 3 403- P1S5 (E8) mit dem darauf montierten Ringkerntransformator.
3.1 Die Offenkundigkeit dieser Vorbenutzungshandlung ist von der Beschwerdeführerin angesichts der von der Einsprechenden Talema Elektronik vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Beweismittel nicht bestritten worden. So bezieht sich ein Lieferschein (E6) vom 31. August 1981 eindeutig auf die Nummer der vorgelegten Zeichnung (E8). Begründete Zweifel an der Lieferung an die Firma Münch GmbH, 6800 Mannheim bestehen nicht (vgl. E6 und E9: eidesstattliche Erklärung des Herrn Tischer vom 26. Januar 1989, Ziffer 2). Auch bestehen keinerlei Anzeichen für eine beabsichtigte Geheimhaltung der den gelieferten Ringkerntransformatoren ohne weiteres entnehmbaren Konstruktions- Einzelheiten.
3.2 Ungeachtet der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Zweifel, daß die von der Einsprechenden ohne Maßangaben vorgelegte Zeichnung (E8) nicht geeignet sei, die tatsächlich gelieferte Haltevorrichtungs-Konstruktion in allen Einzelheiten zu belegen, kann man der Zeichnung in Verbindung mit der eidesstattlichen Erklärung (E9) jedoch die folgenden prinzipiellen Konstruktionsmerkmale eindeutig entnehmen:
Die bekannte Haltevorrichtung für einen mit einer Wicklung versehenen Ringkern (Transformator 1) besteht aus einem als Platte ausgebildeten Trägerteil (Halteplatte 2), der selbstverständlich dem Außendurchmesser des bewickelten Ringkerns angepaßt ist. Auf dem Trägerteil befindet sich ein zentrisch in das Innere des Ringkernes ragender Zentrierdorn (Zentrierhalter 3), auf welchem der bewickelte Ringkern mittels einer Vergußmasse (4) gehalten ist.
3.3 Demgegenüber weist der Anspruch 1 noch folgende weitere Merkmale auf:
- Die Haltevorrichtung ist aus Kunststoff gefertigt (Das Material der vorbenutzten Haltevorrichtung blieb im Einspruchsverfahren ungeklärt).
- Die Halteplatte ist kreisscheibenförmig ausgebildet (und nicht rechteckig wie die vorbenutzte Halteplatte; vgl. die eidesstattliche Erklärung, Ziffer 3).
- Es sind Mittel vorgesehen, die eine Verdrehung der Haltevorrichtung gegenüber einer Unterlage, auf der die Haltevorrichtung befestigt werden kann, verhindern.
- Eine Ausbildung des Zentrierdorns als Hohlzylinder ist nur als bevorzugte Möglichkeit erwähnt.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Unter Berücksichtigung des von der Einspruchsabteilung zur Begründung ihrer Widerrufsentscheidung herangezogenen weiteren Standes der Technik kommt die Kammer ebenfalls zu dem Ergebnis, daß es sich bei den gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung unterscheidenden Merkmalen um nicht erfinderische Einzelheiten handelt.
- Eine Herstellung der Halterung aus Kunststoff liegt im selbstverständlichen Ermessen des Sachkundigen, so sind z. B. auch gemäß E1 Kunststoff (Makrolon)-Gehäuse auf dem Markt angeboten.
- Die Kreisscheibenform bietet sich bereits wegen der Ringform der Kerne ohne weiteres an und entspricht z. B. der Kreisform des ringförmigen Troges zur Aufnahme des Ringkerns nach E2. Kreisscheibenförmige Trägerteile sind ferner ganz geläufig durch die Ring-Stelltransformatoren, wie sie in den Katalogen der Fa. Schuntermann & Benninghoven angeboten werden.
- Wenn die Haltevorrichtung mit einem einzigen zentralen Befestigungsmittel auf einer Unterlage befestigt wird, entspricht es nur einer handwerklichen Zweckmäßigkeits-Maßnahme, auch Mittel vorzusehen, die ein Verdrehen der Haltevorrichtung gegenüber der Unterlage verhindern. E3 erwähnt auf Seite 7, Zeilen 6 bis 9 eine solche Verdrehsicherung explizit.
- Auch die nur fakultativ beanspruchte hohlzylindrische Ausbildung des Zentrierdorns ist auf dem einschlägigen Fachgebiet als völlig geläufig anzusehen, wie die Ausführungsformen in E2 sowie die Schnittzeichnung eines Makrolon-Gehäuses auf Seite 5 von E1 zeigt.
Wenn auch die Einzelmerkmale aus unterschiedlichen Entgegenhaltungen entnommen sind, so ist doch zu bedenken, daß es sich um sehr einfache konstruktive Maßnahmen handelt, die in der geschilderten Weise von jedem Durchschnittsfachmann zwecks Nutzung ihrer offensichtlichen Funktion anwendbar sind und keine weitere Wirkung im Sinne eines überraschenden funktionellen Zusammenwirkens bedingen.
4.2 Das in der Beschwerdebegründung vorgetragene Argument, daß es sich bei der Erfindung um Ringkerne wesentlich geringerer Leistung handele als der offenkundig vorbenutzte Ringkern, kann einmal schon deswegen nicht durchgreifen, weil die Beschränkung auf eine bestimmte Leistungsgröße im Anspruch 1 des Patentes nicht vorgesehen ist.
Im übrigen handelt es sich bei allen Merkmalen des Anspruchs 1 um Konstruktionselemente, die in prinzipiell gleichartiger Weise auch für unterschiedliche Leistungsbereiche der Ringkerne Verwendung finden können. Eine zweckentsprechende Dimensionierung der Materialstärken unter Berücksichtigung der Größe und Einbaulage der Ringkerne übersteigt nicht den Rahmen der normalen Tätigkeit des Konstrukteurs.
4.3 Schließlich gehen auch die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten "vorteilhaften" Wirkungen nicht über das hinaus was der Stand der Technik ohnehin bietet. Zwangsfreie Befestigung des Ringkerns, gute Wärmeabfuhr vom Ringkern und unkritische Toleranzen sind auch schon bei der offenkundig vorbenutzten Haltevorrichtung aufgrund der teilweise frei liegenden Wicklung in gleicher Weise gegeben. Die raumsparende Kreisscheibenform und die Verdrehsicherung sind, wie dargelegt, durch weitere Dokumente auf dem einschlägigen Fachgebiet der Halterungen für bewickelte Ringkerne geläufig.
Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte wirtschaftliche Erfolg des Produktes kann jedenfalls dann nicht als durchgreifendes Indiz für eine erfinderische Tätigkeit angesehen werden, wenn er in der geschilderten Weise nur auf der Anwendung geläufiger Konstruktionskonzepte unter Nutzung von deren bekannten Wirkungen beruht.
4.4 Zusammenfassend folgt aus den dargelegten Gründen, daß der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Somit kann dem Antrag der Beschwerdeführerin - die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das europäische Patent aufrechtzuerhalten - nicht stattgegeben werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.