T 0805/05 (Carbocyaninmarker/ROCHE DIAGNOSTICS) 17-06-2008
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Infrarot-Farbstoff-Markierte Nucleotide und ihre Verwendung in der Nucleinsäure-Detektion
Neuheit (ja) - offenkundige Vorbenutzung nicht zweifelsfrei nachgewiesen - beschränkte Ermittlungsverpflichtung wegen fehlender Mitwirkung einer vormaligen Verfahrensbeteiligten
Erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 663 922 mit der Veröffentlichungsnummer WO 95/04747 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent im Umfang der Ansprüche 1 und 3 bis 12 aufgrund mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 (a) EPÜ) angegriffen worden.
III. Zur Stützung des Einspruchs wurden unter anderem ein aus den Dokumenten (1) bis (3) bestehender Briefwechsel und die Druckschriften (4), (8), (9) und (13) herangezogen:
(1) Telefax vom 7. Juni 1993 von Dr. Susan C. Croll
an Dr.Yuri B. Yurov,
(2) Telefax vom 7. Juli 1993 von Dr. Susan C. Croll
an Dr.Yuri B. Yurov,
(3) Brief vom 23. Juli 1993 von Dr. Yuri B. Yurov an
Dr. Susan C. Croll,
(4) US-A-5 151 507,
(8) Bioconjugate Chem., Vol. 4, No. 2 (1993),
105-111,
(9) Proc. Nat. Acad. Sci., 89 (1992), 1388-1392, und
(13) H. Höltke et al., Biol. Chem. Hoppe-Seyler,
Vol. 371, 929-938.
IV. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents aufgrund der Druckschriften (4), (8) und (9) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die in Artikel 100 (a) EPÜ genannten Einspruchsgründe stünden jedoch der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des am 9. November 2004 eingereichten 5. Hilfsantrags nicht entgegen.
Bei der Prüfung der Patentierbarkeit des Anspruchs 1 des Streitpatents hat die Einspruchsabteilung die Frage der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung wegen Abwesenheit der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung und die dadurch erschwerten Ermittlungen ausgeklammert. Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Streitpatents wurde daher lediglich unter Berücksichtigung der vorliegenden, veröffentlichten Druckschriften anerkannt.
V. Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"Nucleosid-5'-triphosphate der allgemeinen Formel
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin
B die heterocyclischen Basen Adenin, Guanin, Hypoxanthin, 7-Desaza-adenin, 7-Desaza-guanin, 7-Desaza-hypoxanthin, 7-Desaza-8-aza-adenin, 7-Desaza-8-aza-guanin, 8-Desaza- 8-aza-hypoxanthin sowie Thymin, Cytosin und Uracyl bedeutet,
x eine verbindende Gruppe mit n=4-20 Atomen,
Sig ein Carbocyanin der Anregungswellenlänge 650-800 nm
und R**(1) und R**(2) jeweils H und/oder OH darstellen, und
wobei diese Nucleosid-5'-triphosphate als Substrate von Polymerasen akzeptiert und in Nukleinsäuren eingebaut werden."
VI. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat den Einspruch mit Schreiben vom 8. Februar 2008 zurückgenommen.
VII. Am 5. Juli 2007 hat eine mündliche Verhandlung vor der Kammer stattgefunden.
VIII. In dieser mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin die Patentierbarkeit des Patentgegenstandes in der Fassung des Streitpatents als Hauptantrag und von vier Hilfsanträgen verteidigt.
Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei im Hinblick auf die geltend gemachte und auf die Dokumente (1) bis (3) gestützte offenkundige Vorbenutzung neu, weil:
- der Inhalt der betreffenden Dokumente vertraulich gewesen sei,
- die im Dokument (1) enthaltene Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" eine öffentliche Zugänglichkeit des Produktes Cy5-dCTP nicht eindeutig belege und
- das in der Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" offenbarte Produkt Cy3-dCTP aufgrund dessen niedrigerer Anregungswellenlänge nicht neuheitsschädlich sei.
Zur erfinderischen Tätigkeit hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vorgetragen, dass es ausgehend von der Druckschrift (4) als nächstkommenden Stand der Technik für den Fachmann nicht naheliegend wäre, wie in Anspruch 1 definierte Carbocyanine zur Markierung von Nukleosid-5'-triphosphate zu verwenden, da sowohl die Druckschrift (4) als die Druckschrift (9), als auch die am 5. August 2005 beispielhaft genannte Druckschrift
(13) Höltke et all., Biol. Chem. Hoppe-Seyler,
Vol.371 (1990), 929-938,
davon weg führten, große, sperrige Marker einzusetzen. Außerdem hat sie dazu auf ein am 10. März 2006 eingereichtes Gutachten von Prof. Dr. Hübscher vom 22. Januar 2006 hingewiesen.
IX. Die vormalige Beschwerdegegnerin hat vor Rücknahme des Einspruchs den Neuheitseinwand auf der Grundlage der Dokumente (1) bis (3) ausdrücklich aufrechterhalten. Der die Vorbenutzung betreffende Briefwechsel wäre, wie aus den Entscheidungen T 173/83 und T 958/91 hervorginge, aufgrund der Zusendung der vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents öffentlich zugängliche Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" als Anlage zu Dokument (1) nicht vertraulich gewesen. Außerdem sei aus der Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" eindeutig zu entnehmen, dass auch das Produkt Cy5-dCTP ("Cat No. A55201") vor dem Prioritätsdatum öffentlich zugänglich gewesen sei. Der von der vormaligen Beschwerdegegnerin erhobene Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit war zuletzt lediglich auf eine Kombination der Druckschrift (4) als nächstkommenden Stand der Technik mit den Druckschriften (8) und (9) gegründet.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt, hilfsweise gemäss einem der Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten.
XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Verfahrensrechtliche Fragen
2.1 Die Einsprechende hat den Einspruch zurückgenommen und ist daher am Beschwerdeverfahren nicht mehr beteiligt (siehe T 789/89, ABl. EPA 1994, 482).
2.2 Da die Beschwerde von der Patentinhaberin gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt worden ist, ergeben sich nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern aus der Rücknahme des Einspruchs keine unmittelbaren verfahrensrechtlichen Folgen, d.h. die Beschwerdekammer muss die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich überprüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben, wenn die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehen. Dabei können auch Beweismittel, die von der Beschwerdegegnerin vor der Rücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, herangezogen werden (siehe T 629/90, ABl. EPA 1992, 654).
2.3 Die Kammer hat dabei hinsichtlich einer geltend gemachten offenkundige Vorbenutzung lediglich eine begrenzte Verpflichtung zur Ermittlung von Amtswegen (Artikel 114 (1) EPÜ). So kann diese unberücksichtigt bleiben, etwa wenn es schwierig ist, deren wesentliche Umstände ohne Mitwirkung der Einsprechenden festzustellen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 5. Auflage 2006, Seite 77, Punkt 1.9.4 und Seite 645, Punkt 4.5.3 unter b)).
3. Neuheit
3.1 Der von der vormaligen Beschwerdegegnerin vorgebrachte Neuheitseinwand beruht lediglich auf der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung, wie sie sich aus den Dokumente (1) bis (3) einschließlich der im Dokument (1) vorhandenen Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" ergibt.
3.2 Nach ständiger Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 5. Auflage 2006, Seiten 643 und 644, Punkt 4.5.3 unter a); und Seiten 499 und 500, Punkt 4.3.1) müssen zur Festzustellung, ob eine Erfindung der Öffentlichkeit durch Vorbenutzung zugänglich gemacht wurde, folgende Sachverhalte geklärt werden:
i) der Zeitpunkt der Benutzung (d.h. wann die Benutzungshandlung stattfand),
ii) der Gegenstand der Benutzung (d.h. was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, und
iii) die Umstände der Benutzungshandlung, d.h. wo, wie und durch wen der Gegenstand der Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Außerdem muss eine offenkundige Vorbenutzung zweifelsfrei nachgewiesen werden.
3.3 Im vorliegenden Fall wurden von der vormaligen Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren die Dokumente (1) bis (3) vorgelegt, um zu beweisen, dass eine offenkundige Vorbenutzung der Produkte Cy3-dCTP und Cy5-dCTP vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents (23. Juli 1993) stattgefunden hat.
Dokument (1) ist ein Fax vom 7. Juni 1993 von Dr. Susan C. Croll, Mitarbeiterin von Biological Detection Systems, Inc., Harmarville, Pittsburgh (nachstehend BDS genannt), an Dr. Yuri B. Yurov, Mitarbeiter von CRNS, Montpellier Cedex, France (nachstehend CRNS genannt). Aus diesem Fax geht hervor, dass:
- Dr. Croll von BDS interessiert war, noch weitere Proben von CRNS untersuchen zu können,
- Dr. Croll um Zusendung zusätzlicher DNA für weitere Proben gebeten hat,
- Dr. Croll die von CNRS erhaltene DNA, vorbehaltlich Lizenzgesprächen, selbstverständlich lediglich für Evaluierungszwecke verwenden würde,
- Dr. Seadler von BDS die Kontaktperson für die Lizenzierung von pYAM7/29 und pHSO5 sei,
- Dr. Croll Informationen bezüglich eigener Produkte von BDS, sowie einiger freien "samples" zur Benutzung durch Dr. Yurov an CNRS senden würde, und
- BDS über die Aussicht auf eine Kooperation mit CNRS erfreut sei.
Dokument (2) ist ein Fax vom 7. Juli 1993 von Dr. Susan C. Croll an Dr. Yuri B. Yurov, aus welcher unter anderem hervorgeht, dass
- Dr. Croll zusätzliche Proben von Dr. Yurov zwecks Evaluierung empfangen hat,
- Dr. Seadler bezüglich Lizenzfragen weiterhin zur Verfügung stand, und
- Dr. Croll die Übersendung von einigen "samples" von Produkten von BDS, einschließlich Cy3-dCTP, die über eine Nick-Translation in DNA eingeführt werden könnten, zugesagt hat.
Aus Dokument (3), einem Brief vom 23. Juli 1993 von Dr. Yurov an Dr. Croll, geht hervor, dass
- Dr. Yurov die in dem Dokument (2) erwähnten Proben am 16. Juli 1993 erhalten hat,
- Cy3-dCTP und Cy5-dCTP zur Herstellung von markierten Proben via Nick-Translation eingesetzt wurden,
- die so erhaltenen markierten Proben in Hybridisierungs- und Detektierungsversuchen eingesetzt wurden,
- Dr. Yurov zu der Schlussfolgerung gelangt war, dass mit Cy5-dCTP markierten Proben in rot sichtbar gemacht werden konnten.
3.4 Die vormalige Beschwerdegegnerin hat zwar im Hinblick auf diesen Schriftwechsel eingeräumt, dass eine eventuelle offenkundige Vorbenutzung des Produkts Cy3-dCTP nicht neuheitsschädlich sei, weil dessen Anregungswelle außerhalb des beanspruchten Wellenlängebereichs von 650 bis 800 nm falle, aber ihre Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung des Produktes Cy5-dCTP nicht neu, aufrechterhalten.
Dieser Neuheitseinwand der vormaligen Beschwerdegegnerin wurde von der Beschwerdeführerin unter anderem mit dem Argument bestritten, der betreffende Schriftwechsel zwischen Dr. Croll und Dr. Yurov sei vertraulich und daher nicht öffentlich zugänglich gewesen. Dabei hat die Beschwerdeführerin zwar eingeräumt, dass
(i) sowohl die im Dokument (1) enthaltene Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio", als das in dieser Broschüre genannte Produkt Cy5-dCTP vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents Dr. Yurov zugeschickt wurde,
(ii) das Produkt Cy5-dCTP bei Experimenten von Dr. Yurov benutzt wurde,
(iii) die Dokumente (1) bis (3) keine ausdrückliche Vereinbarungen einer Geheimhaltungsverpflichtung enthielten,
aber den Standpunkt vertreten, aus den Dokumenten (1) bis (3) ginge hervor, dass
- BDS das Produkt Cy5-dCTP an Dr. Yurov nicht verkauft, sondern im Rahmen einer Kooperation zur Verfügung gestellt hat,
- die Zusendung der Produktbroschüre im Wesentlichen den Zweck hatte, technische Informationen bezüglich des Produktes Cy3-dCTP zu beschaffen, um die von Dr. Yurov durchzuführenden Experimente zu unterstützen, d.h. nicht unter den Bedingungen eines normalen Verkaufs erfolgt war,
- Dr. Yurov die Ergebnisse seiner Experimente Dr. Croll von BDS zur Verfügung gestellt hat,
- BDS und CNRS Lizenzverhandlungen führten.
3.5 Die Behauptung der vormaligen Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf die Entscheidungen T 173/83 und T 958/91, der Schriftwechsel zwischen Dr. Croll und Dr. Yurov unterliege schon wegen der Zusendung der Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" keiner Geheimhaltungspflicht, kann von der Kammer nicht akzeptiert werden, da diese Zusendung - wie oben angegeben - lediglich im Rahmen einer Forschungs- Kooperation stattgefunden hat. Außerdem sind die Entscheidungen T 173/83 und T 958/91 für den vorliegenden Fall nicht relevant, weil die jeweilige Sachlage, die zu den betreffenden Entscheidungen geführt hat, mit der des vorliegenden Falles nicht vergleichbar ist.
Die Entscheidung T 173/83 betraf nämlich einen Fall, in dem
- zwischen zwei Firmen A und B eine (unbewiesene) stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung bestand,
- die Firma B an eine dritte Firma C ein technisches Merkblatt zugeschickt hat, das lediglich einige technische Informationen über ein Erzeugnis, dessen Zusammensetzung nicht genannt wurde, und andere neutrale, unverbindliche Angaben des Lieferanten enthielt,
- dieses Merkblatt daher Teil einer normalen, öffentlich zugänglichen Geschäftskorrespondenz zwischen einem Hersteller (Firma B) und seinen potentiellen Kunden (Firma C) war, und von der Firma C als Einsprechenden der Firma A als Patentinhaberin als Stand der Technik entgegengehalten wurde;
während es sich bei der Entscheidung T 958/91 um einen Fall handelte, in dem
- die Frage zu prüfen war, ob ein Firmenprospekt einer Firma A zum Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ gehörte,
- die Firma A selbst eingeräumt hatte, dass ca. 150 Exemplare des Prospekts vor dem Anmeldetag des Streitpatents ausgegeben wurden,
- die Ausgabe des Prospekts an Geschäftspartner ohne ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung erfolgt war, und
- der Prospekt keinerlei Vermerk enthielt, der auf einen Geheimhaltungsvorbehalt und daher auf eine Beschränkung der Weitergabe der Information hindeuten konnte.
3.6 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass zwischen Dr. Croll (BDS) und Dr. Yurov (CNRS) eine stillschweigende Geheimhaltungspflicht bestand, um die Ergebnisse der Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Kooperationspartner zu schützen, und dass die Überlassung von dem Produkt Cy5-dCTP an Dr. Yurov zur Verwendung bei seinen Experimenten ebenfalls unter den stillschweigenden Vorbehalt der Geheimhaltung erfolgte. Weitere Ermittlungen zu dieser Frage konnte die Kammer nicht anstellen, da die Mitwirkung der vormaligen Beschwerdegegnerin nicht mehr gegeben war (siehe dazu auch Punkt 2.3 oben).
3.7 Die vormalige Beschwerdegegnerin hat auch noch vorgebracht, dass die an Dr. Yurov zugeschickte Produktbroschüre "Fluorolink**(TM) Bio" und daher auch das darin als erhältlich angegebene Produkt Cy5-dCTP als solches vor der Prioritätsdatum des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
3.8 Als Beweis für das Zutreffen dieser Behauptung ist jedoch der Umstand, dass die Produktbroschüre vor dem Prioritätstag des angegriffenen Patents existierte und zugänglich war allein nicht ausreichend, ist es doch möglich und kommt es in der Realität immer wieder vor, dass ein als lieferbar angekündigtes Produkt tatsächlich erst später, manchmal überhaupt nicht auf den Markt kommt. Es fehlt hier daher der zweifelsfreie Nachweis bezüglich der Umstände der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung, insbesondere wann das Produkt Cy5-dCTP der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht wurde.
3.9 Da die offenkundige Vorbenutzung des Produkts Cy5-dCTP nicht nachgewiesen ist, ist im Verfahren insgesamt kein neuheitsschädlicher Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ hervorgekommen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 hat somit als neu zu gelten.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern zum "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit und im Einklang mit den Parteien erachtet die Kammer die Druckschrift (4) als nächstkommenden Stand der Technik.
4.2 Die Druckschrift (4) offenbart eine Gruppe von Fluoreszenzfarbstoff enthaltenden Nukleosid-5'-triphosphaten, die als Substrate von Polymerasen akzeptiert und in Nukleinsäuren eingebaut werden können (siehe Spalte 30, Zeile 44 bis Spalte 31, Zeile 6). Die im Anspruch 1 des Streitpatents definierte Gruppe von Verbindungen unterscheidet sich von diesen Verbindungen dadurch, dass die Verbindungen nach dem Streitpatent als Fluoreszenzfarbstoff eine Carbocyaninverbindung enthalten und dass dieser Farbstoff einen Anregungswellenlängebereich von 650-800 hat (siehe die Druckschrift (4), Spalte 30, Zeilen 5 bis 35, und die Formel 42).
4.3 Gegenüber diesem nächstkommenden Stand der Technik bestand die objektive Aufgabe darin, Nucleosid-5'-triphosphate bereitzustellen, die direkt auf festen Trägern, wie z.B. Nylon-Membranen, oder in Lösung, z.B. in Mikrotiterplatten, nachgewiesen werden können und die deutlich weniger Hintergrundsignal zeigen und somit ein verbessertes Signal/Rausch-Verhältnis aufweisen (siehe auch Seite 3, Paragraph [0018], des Streitpatents).
4.4 Zur Lösung dieser Aufgabe werden nach dem vorliegenden Anspruch 1 Nucleosid-5'-triphosphate vorgeschlagen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie als Fluoreszenzfarbstoffkomponente Sig einen Carbocyaninrest der Anregungswellenlänge 650-800 nm enthalten, als Substrate von Polymerasen akzeptiert und in Nukleinsäuren eingebaut werden.
Ausweislich der technischen Angaben im Streitpatent wird die oben definierte Aufgabe auch glaubhaft gelöst. Die vormalige Beschwerdegegnerin hat diesbezüglich auch keinerlei Einwände vorgebracht.
4.5 Es ist nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem vor der oben definierten Aufgabe stehenden Fachmann Anregungen bot, diese durch die Bereitstellung der Nucleosid-5'-triphosphate gemäß Anspruch 1 des Streitpatents zu lösen.
4.6 Die Druckschrift (4) offenbart, wie oben unter Punkt 4.2 angegeben, Nukleosid-5'-triphosphate, die eine Fluoreszenzfarbstoffkomponente enthalten und als Substrate von Polymerasen akzeptiert und in Nukleinsäuren eingebaut werden. Dies gibt dem Fachmann jedoch noch keinen Hinweis, dass zur Lösung der oben definierten Aufgabe Nukleosid-5'-triphosphate gemäss Anspruch 1 des Streitpatents geeignet sind, die einen Carbocyaninrest mit einem Anregungswellenlängebereich von 650-800 enthalten und trotzdem mittels Enzymen direkt in Nukleinsäuren eingebaut werden können.
4.7 Die Druckschrift (8) offenbart Carbocyaninfarbstoffe, z.B. Cy5.18, mit einer Anregungswellenlänge im IR-Bereich, d.h. im beanspruchten Bereich von 650-800 nm, die als Fluoreszenzfarbstoffe zur Markierung von Aminogruppen enthaltenden Biomolekülen geeignet sind und ein verbessertes Signal/Rausch-Verhältnis aufweisen (siehe Seite 105, unter "Introduction", und die Tabellen I und II). Dies gibt jedoch dem Fachmann nicht auch einen Hinweis, dass solche Carbocyaninfarbstoffe enthaltende Nukleosid-5'-triphosphate enzymatisch in Nukleinsäuren eingebaut werden könnten.
4.8 Die Druckschrift (9) offenbart kombinatorische Methoden der in situ Hybridisation von Markierungsderivaten, die Biotin (Bio), Digoxigenin (Dig), Fluorescein oder Dinitrophenol (DNP) als Fluoreszenzfarbstoffen enthalten, sowie die gleichzeitige Markierung und Detektion von DNA-Proben (siehe Seite 1390, linke Spalte, Zeilen 16-19, und die Tabelle 2). In dieser Druckschrift wird zusätzlich noch darauf hingewiesen, dass weitere Fluoreszenzfarbstoffe mit Anregungswellenlängen im IR-Bereich den Vorteil eines verbesserten Signal/Rausch-Verhältnisses hätten (siehe Seite 1391, rechte Spalte, letzter Paragraph bis Seite 1392, linke Spalte, erster Paragraph). Über eine eventuelle direkte Einbaubarkeit solcher Fluoreszenzfarbstoffe enthaltende Nukleosid-5'-triphosphate in Nukleinsäuren wird damit jedoch nichts ausgesagt.
4.9 In Übereinstimmung mit der Auffassung der vormaligen Beschwerdegegnerin hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des angegriffenen Patents im Hinblick auf die Druckschrift (4) in Kombination mit den Druckschriften (8) und (9) nahegelegt sei und somit nicht die Voraussetzungen des Artikels 56 EPÜ erfülle. Die Einspruchsabteilung hat dies damit begründet, dass alle der in der Druckschrift (4) genannten Farbstoffe von Polymerasen in Nukleinsäuren eingebaut würden, so dass der Fachmann nicht von einer hohen Substratspezifität der Polymerasen ausgehen müsste. Auch aus der Druckschrift (9) sei zu entnehmen, dass eine Polymerase nicht besonders spezifisch sei, da verschiedene Arten von Farbstoffen durch solche Enzyme eingebaut würden. Die Einspruchsabteilung war daher der Meinung, dass aus dem Stand der Technik kein Vorurteil gegen einen direkten Einbau von Farbstoffen mit hohem Anregungswellenlängenbereich gemäss der Lehre der Druckschrift (4) ersichtlich sei.
4.10 Diesen Ausführungen der Einspruchsabteilung wurde von der Beschwerdeführerin widersprochen. Sie hat hierzu, gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. Hübscher vom 22. Januar 2006, das am 10. März 2006 eingereicht wurde, im Wesentlichen vorgebracht:
- Einerseits seien große Moleküle mit einer hohen Anzahl von konjugierten Doppelbindungen erforderlich, um einen Anregungswellenlängenbereich von 650 bis 800 nm zu erzielen und somit ein besseres Signal/Rausch- Verhältnis zu erhalten.
- Anderseits hätte der Fachmann aufgrund der hohen substrat-spezifischen Struktur der Polymerasen erwartet, dass Nucleosid-5'-triphosphate mit kovalent gebundenen groß-molekularen Fluoreszenzfarbstoffen zu Problemen bezüglich der Akzeptanz von Polymerasen und auch beim Einbau der so modifizierten Polymerasen in Nukleinsäuren führen würden.
In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf u.a. die Druckschriften (4), (9) und (13) insbesondere ausgeführt, dass
a) kovalent gebundene Fluoreszenzfarbstoffe in Nukleosidtriphosphaten deren Akzeptanz von Enzymen und/oder deren Einbaubarkeit durch Enzyme in Nukleinsäuren aufgrund der hohen substrat-spezifischen Struktur der Enzyme erschweren oder sogar unmöglich machen und dass dieses Problem umso größer werde, je mehr die Größe der Farbstoffmoleküle zunimmt (siehe die Druckschrift (4), Spalte 8, Zeile 64 bis Spalte 9, Zeile 6, und die Druckschrift (13), Seite 932, erster Absatz und die Tabelle 2),
b) in der Druckschrift (4) zwar angegeben wird, bevorzugt ein Alkynylaminolinker mit geringen Abmessungen in Fluoreszenzfarbstoffe enthaltenden Nukleosidtriphosphaten einzusetzen, um deren Einbaubarkeit mittels Enzymen in Nukleinsäuren zu verbessern (siehe Spalte 9, Zeilen 6 bis 12, und Spalte 27, Zeilen 52 bis 65), diese Angabe jedoch den oben unter Punkt a) angegebenen und vom Stand der Technik bestätigten Erkenntnisse bestätigt bzw. nicht widerspricht, und
c) als experimentell tatsächlich eingesetzte Fluoreszenzfarbstoffe in der Druckschrift (4) lediglich Fluorescine, Rhodamine, Coumarine und Benzofurane (siehe Spalte 30, letzte Zeile bis Spalte 31, Zeile 2) und in der Druckschrift (9) lediglich Biotin, Digoxygenin, Fluorescin und Dinitrophenol (siehe Seite 1390, linke Spalte, Zeilen 16-19, und die Tabelle 2) genannt sind, d.h. dass dort die Einbaubarkeit durch Nukleinsäurepolymerasen nur anhand kleiner Farbstoffmarker getestet wurde.
4.11 Im Hinblick auf den genannten Stand der Technik, die Ausführungen der Beschwerdeführerin und die Tatsache, dass jegliche Substantiierung für die Behauptung der vormaligen, beweispflichtigen Beschwerdegegnerin fehlt, dass eine Polymerase nicht besonders spezifisch und daher ein direkter Einbau von voluminösen Fluoreszenzfarbstoffen, wie die des Streitpatents, mittels Enzymen aus der Druckschrift (4) für den Fachmann naheliegend gewesen sei, ist zu folgern, dass es für den Fachmann nicht vorhersehbar war, dass die beanspruchten Verbindungen des Streitpatents als Substrate von Polymerasen akzeptiert und in Nukleinsäuren eingebaut würden. Somit hatte er auch keine Veranlassung, die oben definierte Aufgabe mittels der beanspruchten Verbindungen zu lösen.
4.12 Aus alldem ergibt sich, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruch 1 auf einer erfinderischer Tätigkeit im Sinne der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ beruht.
Die angegriffenen Ansprüche 3 bis 12 betreffen weitere Ausgestaltungen der Nukleosid-5'-triphosphate gemäß Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.
5. Hilfsanträge
5.1 Unter diesen Umständen erübrigt sich das Eingehen auf die eingereichten Hilfsanträge.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird aufrechterhalten wie erteilt.