T 0634/91 31-05-1994
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Kreissäge mit verstellbaren Sägeblättern
1) Wurster & Dietz GmbH & Co. Maschinenfabrik (1)
2) Maschinenfabrik Esterer AG (2)
I. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung des europäischen Patents Nr. 0 106 907 erfolgte am 7. Januar 1988.
II. Auf die Einsprüche der Beschwerdegegner (Einsprechenden 1 und 2) hin, widerrief die Einspruchsabteilung das Patent am 23. April 1991 im Anschluß an eine mündliche Verhandlung (zur Post gegeben am 25. Juni 1991) wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents gegenüber einem Stand der Technik, der im wesentlichen aus einer behaupteten offenkundigen Vorbenutzung in Form der Kreissägemaschine FAN bestand.
III. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hat am 23. August 1991 gegen diese Entscheidung unter Entrichtung der Gebühr Beschwerde eingelegt und die Beschwerdebegründung fristgerecht eingereicht.
IV. Am 31. Mai 1994 fand eine mündliche Verhandlung statt, zu deren Beginn beide Beschwerdegegner ihre Einsprüche zurücknahmen.
V. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Folgen der Zurücknahme eines Einspruchs
2.1. Grundsätzlich führt die Zurücknahme eines Einspruchs, wenn sie von der angerufenen Instanz für zulässig erachtet wird, dazu, daß der Einspruch und damit auch eine dagegen eingelegte Beschwerde gegenstandslos werden.
2.2. Nach der im EPÜ und insbesondere in Artikel 114 (1) und Regel 60 (2) vorgesehenen Regelung kann jedoch die Beschwerdekammer das Verfahren von Amts wegen fortsetzen. In diesem Fall muß sie prüfen, ob aufgrund der Aktenlage zum Zeitpunkt der Zurücknahme des Einspruchs ein vollständiger oder teilweiser Widerruf des Patents prima facie ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann.
Das Europäische Patentamt ist nämlich gegenüber der Öffentlichkeit dazu verpflichtet, Patente, die rechtlich keinen Bestand haben, nicht bzw. nur mit den erforderlichen Beschränkungen aufrechtzuerhalten. Außerdem ist die Fortsetzung des Verfahrens von Amts wegen nur dann gerechtfertigt und wünschenswert, wenn dies ohne zusätzliche Hilfe des ausgeschiedenen Einsprechenden und ohne aufwendige Ermittlungen der Beschwerdekammer möglich ist (vgl. T 197/88, ABl. EPA 1989, 412, Nr. 3.2).
Die Beschwerdekammer sieht jedoch keine rechtliche Grundlage dafür, aus dem Ermessen zur Fortsetzung des Verfahrens eine Verpflichtung zu machen. So stellt der Widerruf des Patents durch die Einspruchsabteilung in diesem Zusammenhang lediglich einen einfachen Tatbestand dar, der eine solche Änderung des Bedeutungsgehalts der einschlägigen Übereinkommenstexte nicht rechtfertigt (in Abweichung von T 629/90, ABl. EPA 1992, 654, Nr. 2.2).
Ist das Patent - wie im vorliegenden Fall - aufgrund einer offenkundigen Vorbenutzung widerrufen worden, so beschränkt sich die in Artikel 114 (1) und Regel 60 (2) vorgesehene Ermittlung des Sachverhalts durch die Beschwerdekammer auf den sich aus der Akte zweifelsfrei ergebenden Sachverhalt. Sie ist nicht verpflichtet zu prüfen, ob Sachverhalte, die ohne die Hilfe des inzwischen aus dem Verfahren ausgeschiedenen Beteiligten nur schwer ermittelt werden können, der Richtigkeit entsprechen (vgl. T 129/88, ABl. EPA 1993, 598, Nr. 3).
2.3. Im vorliegenden Fall ist daher folgendes festzuhalten: Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung auf der Grundlage einer behaupteten offenkundigen Vorbenutzung widerrufen, nämlich der Vorbenutzung der Kreissägemaschine FAN, die im Herbst 1982 von dem Beschwerdegegner 2 für die Firma Sägewerk Johann Wallner angefertigt worden war. Der Beschwerdegegner 2 legte folgende Beweismittel vor:
- Erklärungen über die Umstände der Vorbenutzung.
- Die Einsichtnahme in eine Konstruktionszeichnung (Anlage 9) bei dem Beschwerdegegner 2 und der Versand einer weiteren Konstruktionszeichnung (Anlage 8) an die Firma Sägewerk Johann Wallner (am 15. Dezember 1981) vor dem Anmeldetag des vorliegenden Patents (22. Oktober 1982).
- Die schriftliche Bestätigung der Auftragsvergabe durch die Firma Sägewerke Johann Wallner (Anlage 7) seitens des Beschwerdegegners 2 (am 1. März 1982).
- Eine Vorführung der Kreissägemaschine FAN vor Vertretern der Firma Wallner (im August oder September 1982), also vor dem besagten Anmeldetag.
Nach Prüfung dieser Beweismittel stellt die Beschwerdekammer folgendes fest:
- Die Vorführung der Kreissägemaschine FAN in den Geschäftsräumen des Beschwerdegegners 2 fand im Rahmen von Gesprächen zwischen dem Verkäufer und dem potentiellen Käufer statt, d. h. im Rahmen von Geschäftsbeziehungen, die auch ohne ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung einer stillschweigenden Geheimhaltungspflicht unterliegen (vgl. T 830/90 vom 23. Juli 1993, Nr. 3.2, wird veröffentlicht).
- Die durch die obengenannten Konstruktionszeichnungen und Unterlagen vermittelten Informationen reichen zur Offenbarung der beanspruchten Merkmale eindeutig nicht aus.
- Die Kreissägemaschine FAN wurde am 4. November 1982, also nach dem besagten Anmeldetag, an die Firma Sägewerk Johann Wallner geliefert.
Unter diesen Umständen sind sowohl die vor dem besagten Anmeldetag erfolgte öffentliche Zugänglichkeit der Kreissägemaschine FAN als auch der Offenbarungsgehalt zweifelhaft oder wurden zumindest so unzureichend glaubhaft gemacht, daß die behauptete Vorbenutzung nicht zweifelsfrei als Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ gelten kann.
Im Einspruchsverfahren hat der Beschwerdeführer zwar die Vorbenutzung der Kreissägemaschine FAN und damit deren Existenz anerkannt. Dies heißt aber noch nicht, daß ihre Merkmale mit denjenigen des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents identisch sind.
2.4. Angesichts der Unzulänglichkeit der vorgelegten Beweismittel hat die Einspruchsabteilung die zur Zwischenliteratur zählende Druckschrift DE-A-3 120 961 (1) (die nach dem besagten Anmeldetag veröffentlicht wurde und eine dem Beschwerdegegner 2 gehörende Patentanmeldung betrifft) zur Veranschaulichung und Auslegung der technischen Merkmale der Kreissägemaschine FAN als weiteres Beweismittel zugelassen. Auch wenn ein Zusammenhang zwischen dem Gegenstand der Druckschrift (1) und der Kreissägemaschine FAN prima facie von der Einspruchsabteilung eingeräumt worden ist, so ist er doch zu keinem Zeitpunkt von dem Beschwerdegegner 2 nachgewiesen oder von dem Beschwerdeführer anerkannt worden. Letzterer hat sich im Gegenteil in seiner Beschwerdebegründung dagegen ausgesprochen, daß der Inhalt der Druckschrift (1) zur Auslegung der behaupteten Vorbenutzung herangezogen werde; außerdem hat er sich darüber beklagt, daß er sich in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht zu der behaupteten Vorbenutzung habe äußern können, und hat die technischen Unterschiede zwischen der Kreissägemaschine FAN und der in der Druckschrift (1) beschriebenen hervorgehoben.
Es zeigt sich also, daß es eingehenderer Untersuchungen und zusätzlicher Beweismittel sowie der Hilfe des Beschwerdegegners 2 bedürfte, um einen genauen Vergleich zwischen den Merkmalen der Kreissägemaschine FAN und denjenigen des Gegenstands der Druckschrift (1) bzw. des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents anzustellen. Nach der derzeitigen Aktenlage kann die behauptete offenkundige Vorbenutzung der Kreissägemaschine FAN nicht zur Anfechtung der Gültigkeit des erteilten Patents vorgebracht werden, da sie die Voraussetzungen nicht erfüllt, um als Stand der Technik im Sinne des Artikel 54 (2) EPÜ zu gelten.
2.5. Nach Zurücknahme der Einsprüche sieht die Beschwerdekammer weder eine Notwendigkeit noch einen Grund dafür, in Abwesenheit des Einsprechenden 2 ein Verfahren von Amts wegen fortzuführen, das sich als schwierig und aufwendig erweisen dürfte, da die übrigen im vorhergehenden Verfahren angeführten Dokumente allein nicht ausreichen, um die Gültigkeit des erteilten Patents in Frage zu stellen.
Da also weder die Einsprechenden noch das Europäische Patentamt, vertreten durch die Beschwerdekammer, das Einspruchsverfahren fortsetzen, muß die Beschwerdekammer feststellen, daß dieses Einspruchsverfahren und folglich auch das damit zusammenhängende Beschwerdeverfahren gegenstandslos geworden sind und das Verfahren wieder in den Stand vor Einspruchseinlegung zurückversetzt wird. Die Beschwerdekammer beschließt deshalb die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.