T 0066/18 18-06-2021
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GRILL
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Kostenverteilung - (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischen-entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr.2 785 227 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 erfinderisch sei.
III. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:
D3 Videosequenz "Galileo Grillen 2012", Pro7,
Folge 191 Staffel 4 Grillen 2012, 13. Juli 2012,
"http://www.prosieben.at/tv/galileo/videos/4191-grillen-2012-clip"
IV. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung und den Widerruf des Patents Nr. 2785227 in vollem Umfang. Sie beantragt ferner die Zulassung der mit Schreiben vom 20. Juli 2017 eingereichten Beweismittel und die Auferlegung der Kosten des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung auf die Patentinhaberin, sowie bedingt eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer.
V. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Sie beantragt ferner die Zurückweisung des Antrags auf Kostenverteilung sowie die Zurückweisung des Antrags auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer. Außerdem beantragt sie, die mit dem Schreiben vom 20. Juli 2017 eingereichten Beweismittel nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zu den Sachfragen mit. Die mündliche Verhandlung fand am 18. Juni 2021 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (Patent wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten) hat folgenden Wortlaut:
"Grill mit einem Gehäuse (1), einer innerhalb des Gehäuses (1) allseitig mit Abstand zum Gehäuse (1) angeordneten Trägerschale (2), einer in der Trägerschale (2) stehenden Holzkohlekammer (20), einem oberhalb der Holzkohlekammer (20) angeordneten Grillrost (3) und einer Luftversorgungseinrichtung, die von unterhalb der Trägerschale (2) einen in die Holzkohlekammer (20) gerichteten Luftstrom erzeugt, wobei die Holzkohlekammer (20) im Wesentlichen zylindrisch ausgeführt ist und einen abnehmbaren Deckel (24) umfasst, der in seiner Fläche gelocht ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Deckel (24) mindestens zwei Flächen mit unterschiedlichem axialen Abstand zum Deckelrand aufweist und dass den unterschiedlichen Flächen Lochgruppen (25) zugeordnet sind, wobei zwischen den Flächen eine nach unten abgewinkelte bzw. geneigte Übergangsfläche ausgebildet ist."
VIII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 werde ausgehend von D3 in Zusammenschau mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.
Aus Sicht der Beschwerdeführerin müsse die Patentinhaberin die Kosten, die im Verfahren vor der Einspruchsabteilung entstanden sind, wegen eines Verfahrensmissbrauch tragen. Dieser habe darin bestanden, dass der nächstliegende Stand der Technik (D3) von der Patentinhaberin während der Prüfungsphase nicht erwähnt worden sei. Das Vorenthalten solcher Informationen und dadurch die Erschleichung eines Patents sei ein Verfahrensmissbrauch. Die Kostenverteilung sei ein Mittel, das dem Amt zur Verfügung steht, um ein Unrechtsbewusstsein bei solchen Anmeldern zu erreichen, die die Regel 42(1) b) EPÜ bewusst missachten. Das EU-Recht biete anschauliche Beispiele für die Sanktionierung von Patentinhabern für missbräuchliche Handlungen. Falls die Beschwerdekammer die erstinstanzliche Entscheidung zur Kostenverteilung bestätige, solle die Große Beschwerdekammer mit der Frage befasst werden, ob das EPA auf Einhaltung der Vorschriften durch die Anmelder achten soll.
IX. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe im Lichte des genannten Standes der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.
Im Hinblick auf die unterlassene Nennung der D3 sei die Patentinhaberin der Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zuzuordnen. Ein solches sei nicht vergleichbar mit einem Großunternehmen mit einer eigenen Patentabteilung. Wäre die Rolle des Standes der Technik bewusst gewesen, wäre das gesamte Erteilungsverfahren anders durchgeführt worden, da die Patentanmelderin nicht daran gedacht habe, dass ihr eigenes Produkt schädlich sein könnte. Arglist oder Vorsatz zu vermuten, sei abwegig.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft einen Grill mit einer Holzkohlekammer unterhalb des Grillrostes. Die Holzkohlekammer besitzt einen abnehmbaren Deckel, der in seiner Fläche gelocht ist. Dieser Deckel weist nach dem Anspruch 1 mindestens zwei Flächen mit unterschiedlichem axialen Abstand zum Deckelrand auf, denen Lochgruppen zugeordnet sind. Zwischen den Flächen ist eine nach unten "abgewinkelte bzw. geneigte" Übergangsfläche ausgebildet. Im folgenden wird der Ausdruck "abgewinkelte bzw. geneigte", wie auch von der Beschwerdeführerin, als abgewinkelt und geneigt verstanden. Entlang der Übergangsfläche soll auf den Deckel tropfendes Fett zur Seite hin nach unten ablaufen, wodurch die Verbrennung von Fett vermieden werden soll (Patentschrift, Absatz 0011).
3. Erfinderische Tätigkeit
Die angegriffene Entscheidung bejahte die erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags 1 (Hauptantrag im Beschwerdeverfahren) ausgehend vom Dokument D3, siehe Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet diesen Befund der Entscheidung.
3.1 Auch die Kammer hält das Dokument D3, das Bilder aus einer Fernsehsendung am 13. Juli 2012 zeigt, für einen erfolgversprechenden Ausgangspunkt. Unbestritten wird darin ein Grill mit einem Gehäuse, einer innerhalb des Gehäuses allseitig mit Abstand zum Gehäuse angeordneten Trägerschale, einer in der Trägerschale stehenden Holzkohlekammer, einem oberhalb der Holzkohlekammer angeordneten Grillrost und einer Luftversorgungs-einrichtung offenbart, siehe die Bilder 1, 3 und 14. Außerdem ist die Holzkohlekammer im Wesentlichen zylindrisch ausgeführt und besitzt einen abnehmbaren, in seiner Fläche gelochten Deckel. Dieser Deckel liegt in Bild 1 neben dem Grill und befindet sich in Bild 3 auf der Holzkohlekammer. Der gelochte Deckel weist zwei auf Kreisen angeordnete Lochgruppen auf, siehe das Bild 3, wo Löcher auf einem in radialer Richtung inneren und einem äußeren Kreis angeordnet sind. Da der Deckel unbestritten einen stetig gebogenen Querschnitt aufweist, befindet sich die Lochgruppe auf dem inneren Kreis bei Gebrauch des Grills wegen der vom Rand zur Mitte des Deckels nach oben verlaufenden Biegung oberhalb der auf dem äußeren Kreis angeordneten Lochgruppe. Folglich haben die beiden Lochgruppen in dieser senkrechten oder axialen Richtung einen unterschiedlichen axialen Abstand zum Deckelrand.
3.2 Es ist unstrittig, dass im Deckel nach D3 keine nach unten abgewinkelte und geneigte Übergangsfläche vorhanden ist. Eine anspruchsgemäße Übergangsfläche müsste durch ihre Abwinklung eine Unstetigkeit im Querschnittsverlauf des Deckels bilden, um zwischen zwei weiteren Flächen als nach unten abgewinkelt bzw. geneigt angesehen werden zu können. Da der Deckel in D3 unbestritten einen stetig gebogenen Querschnitt aufweist, besitzt er mangels mindestens einer Unstetigkeit auch aus Sicht der Kammer keine nach unten abgewinkelte Übergangsfläche zwischen zwei Flächen (, denen jeweils eine der Lochgruppen zugeordnet ist).
Nach Sicht der Kammer sind die beiden kreisförmig angeordneten Lochgruppen jeweils einer Fläche nämlich einer jeweiligen Teilfläche der gewölbten Oberfläche des Deckels mit einem unterschiedlichen axialen Abstand zum Deckelrand zuzuordnen. Aber auch wenn die beiden den jeweiligen Lochgruppen zugeordneten Flächen nicht aus D3 hervorgehen würden, ergeben sich diese Merkmale zwangsläufig aus dem Vorsehen einer abgewinkelten und geneigten Übergangsfläche zwischen den beiden Lochgruppen, da sie durch ihre Abwinklung und Neigung eine Art Stufe oder Abstufung zwischen zwei Flächen bilden muss. Daher sind diese Merkmale untrennbar miteinander verbunden und können zusammen auf erfinderische Tätigkeit geprüft werden. Da im Anspruch weitere Angaben (zur Form, Erstreckung, ob gebogen oder eben usw.) zu den beiden Flächen fehlen, hängt die erfinderische Tätigkeit dann einzig und alleine davon ab, ob es für den Fachmann naheliegend gewesen war, zwischen den beiden Lochgruppen eine abgewinkelte und geneigte Übergangsfläche vorzusehen.
3.3 Für die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes ist darum nun die objektive technische Aufgabe zu formulieren, indem sich ihre technische Wirkung genau auf die Merkmale stützt, durch die sich der Anspruch vom Stand der Technik unterscheidet (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.4.3.1).
3.3.1 Laut Absatz 0011 der Patentschrift soll das Unterscheidungsmerkmal "nach unten abgewinkelte bzw. geneigte Übergangsfläche" die technische Wirkung haben, dass auf den Deckel tropfendes Fett zur Seite hin nach unten abläuft, um die Verbrennung von Fett zu vermeiden. Die Kammer teilt die Sicht der Beschwerdegegnerin Patentinhaberin, dass durch die Form des in D3 offenbarten gewölbten Deckels das Fett nach unten ablaufen kann, siehe ihr Schreiben vom 18. Mai 2021, Seite 2, drittletzter Absatz. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Verbrennung von Fett bereits in D3 wirksam vermieden wird.
3.3.2 Die Kammer muss daher nun prüfen, wie die objektive technische Aufgabe stattdessen zu formulieren ist.
Die in der angegriffenen Entscheidung genannte Aufgabe, die Herstellung des Deckels zu erleichtern, indem zuerst die Löcher gestanzt und danach der Deckel geprägt wird (Seite 7 der Entscheidungsgründe), beruht auf einer Wirkung, die nicht aus der ursprünglich eingereichten Fassung des Patents ableitbar ist. Zudem ist Anspruch 1 nicht auf einen Deckel mit gestanzten Löchern beschränkt. Somit kann diese Wirkung bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.4.3.1).
Dagegen stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin Patentinhaberin darin zu (siehe ihr Schreiben vom 29. August 2018, Seite 7 letzter Absatz), dass der technische Vorteil einer erhöhten Stabilität des Deckels auf der Hand liegt. Wie sie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wirkt die anspruchsgemäße Übergangsfläche nämlich wie eine Sicke oder Prägung, die den Deckel in axialer Richtung versteift.
Mithin kann die Anspruch 1 des Hauptantrags zugrunde liegende objektive technische Aufgabe ausschließlich anhand des Unterscheidungsmerkmals "nach unten abgewinkelte bzw. geneigte Übergangsfläche" darin gesehen werden, die Steifigkeit oder Stabilität des Deckels in axialer Richtung zu erhöhen.
3.4 Im Hinblick auf die Lösung dieser objektiven technischen Aufgabe ist die Kammer vom Argument der Beschwerdegegnerin Patentinhaberin, wonach der Fachmann den aus D3 bekannten Deckel auch durch beliebige andere Oberflächenmodifikationen wie radial ausgerichtete Nuten oder Rillen versteifen könnte, so dass eine kreisförmige Sicke oder Prägung - die zu einer einer unten abgewinkelten bzw. geneigten Übergangsfläche führt - erfinderisch sei, nicht überzeugt. Die Kammer stimmt der angegriffenen Entscheidung darin zu, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehört, dass ein Fachmann einen flachen Deckel durch eine zusätzliche Prägung - also das Einbringen einer Sicke verstärken kann, und dass er den aus D3 bekannten Deckel dadurch irgendwo in seiner Fläche verstärken würde (Entscheidungsgründe, Brückenabsatz zwischen den Seiten 7 und 8, wo der Deckel als "Deckel des Lotusgrills aus der Galileo-Sendung" bezeichnet wird). Die Kammer präzisiert ihre Ansicht dahingehend, dass ein Fachmann aufgrund der Kreisform des aus D3 bekannten Deckels in Anwendung dieses Fachwissens eine kreisförmige und in Bezug auf den Deckelmittelpunkt symmetrisch angeordnete Prägung einbringen würde. Da es zudem zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Metallumformung gehört, dass rechtwinklige Prägungen zu vermeiden sind, führt eine solche Prägung zu einer (Übergangs-)fläche, die nach unten abgewinkelt bzw. geneigt ist. Außerdem bewirkt diese Prägung automatisch, dass, wie bereits oben ausgeführt, nach Einbringen der Prägung zwei Flächen mit unterschiedlichem axialem Abstand zum Deckelrand - eine kreisringförmige äußere und eine kreisförmige innere - aufweist, zwischen denen sich die Prägung als Übergangsfläche befindet.
Auch die genaue Lage der durch die Prägung eingebrachten Übergangsfläche, also eine Anordnung als Übergangsfläche zwischen zwei Flächen, von denen jeder eine der beiden auf Kreisen angeordneten Lochgruppen der D3 zugeordnet ist, beruht aus Sicht der Kammer und entgegen der Sichtweise der Abteilung (siehe ihre Entscheidung, den Seiten 7 und 8 überbrückenden Absatz) nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Der in D3 offenbarte gelochte Deckel weist zwei auf Kreisen angeordnete Lochgruppen auf, wo Löcher auf einem in radialer Richtung inneren und einem äußeren Kreis angeordnet sind. Da ein Fachmann die Lochgruppen als Schwächungen des Deckels ansieht, würde er die Prägung nicht im Bereich der Lochgruppen anbringen. Zudem befindet sich innerhalb der radial inneren Lochgruppe bereits eine domförmige Erhebung, und außerhalb der äußeren Lochgruppe bereits eine nach unten abgewinkelte und geneigte Fläche, siehe die Bilder 1 und 3 der D3. Daher ist es aus Sicht der Kammer naheliegend, die durch Prägung eingebrachte Übergangsfläche nicht innerhalb der inneren Lochgruppe und auch nicht außerhalb der äußeren Lochgruppe, sondern zwischen den beiden kreisförmigen Lochgruppen zu platzieren. Dadurch gelangt der von D3 ausgehende Fachmann zu einem Deckel, der zwei Flächen mit unterschiedlichem axialen Abstand zum Deckelrand aufweist, wobei den beiden Flächen jeweils eine Lochgruppe zugeordnet ist, und wobei zwischen diesen Flächen eine nach unten abgewinkelte bzw. geneigte Übergangsfläche ausgebildet ist.
3.5 Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags ausgehend von D3 für den Fachmann vor dem Hintergrund seines Fachwissens nahe-liegt.
4. Kostenverteilung, Vorlage an die Große Beschwerdekammer
4.1 Die Kammer hat zu diesen Fragen in ihrer vorläufigen Stellungnahme ausführlich Stellung genommen. Die Kammer bleibt bei ihrer Auffassung, wie sie in den nachfolgenden Punkten 4.2 bis 4.8 dargelegt ist.
4.2 Nach Artikel 104 (1) EPÜ trägt für das Einspruchsverfahren vor dem EPA jede Partei grundsätzlich ihre entstandenen Kosten selbst. Gemäß Artikel 104(1), zweiter Halbsatz, EPÜ kann die Einspruchsabteilung aus Billigkeitsgründen eine andere Kostenverteilung anordnen. Die Bestimmung scheint offen zu lassen, welche Situationen als Ursache für eine Kostenverteilung aus Gründen der Billigkeit angesehen werden können. Die Rechtsprechung hat jedoch regelmäßig anerkannt, dass Verfahrensmissbrauch eine Kostenverteilung nach sich ziehen kann. Im vorliegenden Fall lehnte die Einspruchsabteilung die Kostenverteilung ab, weil sie das Verhalten der Patentinhaberin nicht als Verfahrensmissbrauch erachtete.
4.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Verfahrensmissbrauch darin bestanden habe, dass die Patentinhaberin den im Einspruch entgegengehaltenen relevanteren Stand der Technik, der von der Patentinhaberin selbst stammt, nicht bereits während der Prüfungsphase erwähnt habe, was letztendlich zur Einlegung des Einspruchs geführt habe. Aus der Gesamtheit der Argumente der Beschwerdeführerin geht hervor, dass sie beantragt, dass die Patentinhaberin die gesamten Kosten des Einspruchsverfahrens trägt, genauer die Kosten, die im Verfahren vor der Einspruchsabteilung entstanden sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Antrag offenbar auf der Behauptung eines mutmaßlichen Missbrauchs beruht, der vor und nicht während des Einspruchsverfahrens stattgefunden hat, während der Antrag auf die Erstattung der Kosten des Einspruchsverfahrens abzielt. Dies wird auch durch die ausdrückliche Erklärung der Einsprechenden in ihrer Beschwerdebegründung bestätigt.
4.4 Nach Ansicht der Kammer ist es zumindest fragwürdig, ob Artikel 104(1) EPÜ einen so weiten Geltungsbereich erhalten sollte. Dies wird nicht durch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern gestützt, die sich bislang nur mit während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen (oder unterlassenen) Handlungen befasst hat. Aus dieser Rechtsprechung geht auch hervor, dass die Kosten einer Partei, die als aufteilungsfähig gelten, direkt durch das beanstandete Verhalten der anderen Partei verursacht worden sein müssen. Darüber ist aus der Rechtsprechung ableitbar, dass lediglich die Zahlung solcher Kosten von der anderen Partei zu erwarten sind, die über die Kosten hinausgehen, die normalerweise während des Einspruchsverfahrens zu erwarten sind. Mit anderen Worten, die Möglichkeit der Kostenverteilung wird anscheinend nicht als Bußgeld, sondern vielmehr als Möglichkeit wahrgenommen, zumindest einen teilweisen Schadenersatz zu gewähren, für Handlungen im Einspruchsverfahren, die nicht mit der zu fordernden Sorgfalt im Einklang stehen. Es wird auf die gesamte Rechtsprechung zu diesem Thema verwiesen, RdBK, 9. Auflage 2019, Kapitel III R.
4.5 Nach Ansicht der Kammer ist der obige Ansatz, wie er sich aus der ständigen Rechtsprechung ableiten lässt, auch richtig. Er spiegelt die Tatsache wider, dass eine Kostenverteilung sowohl gegen Patentinhaber als auch gegen Einsprechende angeordnet werden kann, und wegen dieser Symmetrie ist es auch vernünftig, den Anwendungsbereich des Artikels 104(1) EPÜ auf solche kontradiktorischen Verfahren wie das Einspruchs-verfahren zu beschränken. Andernfalls müsste man davon ausgehen, dass beliebige Handlungen eines Beteiligten für die Zwecke des Artikels 104 EPÜ frei berücksichtigt werden können, was den Umfang der Prüfung durch die Einspruchsabteilung weit über das eigentliche Einspruchsverfahren hinaus erweitern würde. Diese Auslegung des Artikels 104 EPÜ erscheint der Kammer offensichtlich unsinnig.
4.6 Dies verdeutlicht auch, warum der in der Beschwerdebegründung angestellte Vergleich mit der Entscheidung des EuGH auf der Grundlage von Artikel 82 EG-Vertrag völlig verfehlt ist. Es mag durchaus sein, dass ein bestimmtes Verhalten einer Partei vorwerfbar ist, aber es ist eine andere Frage, ob ein gegebenes Rechtssystem Bestimmungen zur Sanktionierung des angeblich vorwerfbaren Verhaltens vorsieht. Das EPÜ enthält keine mit Artikel 82 EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ab 2009 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 102) und Artikel 23(2) der Verordnung (EG) 1/2003 des Rates vergleichbaren Bestimmungen, die bestimmte Handlungen von Marktteilnehmern ausdrücklich verbieten und auch die Sanktionierung eines Verstoßes gegen diese Bestimmungen durch Verhängung von Geldbußen ausdrücklich vorsehen. Wenn die Kammer es also ablehnt, die Kostenverteilung anzuordnen, bedeutet dies keineswegs, dass die Kammer sich "gegen den EuGH stellt", wie von der Einsprechenden angedeutet, oder dass die Kammer damit implizit das beanstandete Verhalten einer Partei billigt.
4.7 Regel 42 (1) b) EPÜ verlangt vom Anmelder, dass in der Beschreibung der bisherige Stand der Technik samt Fundstelle anzugeben ist, soweit er nach der Kenntnis des Anmelders insbesondere für die Prüfung der europäischen Patentanmeldung als nützlich angesehen werden kann (Hervorhebung durch die Kammer). Die Regel gesteht dem Anmelder einen gewissen Freiraum zu, was auch in der Formulierung "preferably" und "de préférence" in der englischen bzw. französischen Fassung der Regel zum Ausdruck kommt. Dieser Freiraum des Anmelders wird auch durch die Bestimmungen des Artikels 113(2) EPÜ gestützt. Daher ist der Anmelder nach Meinung der Kammer zwar formell verpflichtet, den ihm bekannten Stand der Technik zu würdigen und die Fundstellen anzugeben, aus denen sich dieser Stand der Technik ergibt, aber ein Verstoß gegen diese Verpflichtung zieht keine formelle Sanktion nach dem EPÜ nach sich, abgesehen von der Möglichkeit der Zurückweisung der Anmeldung, falls die Prüfungsabteilung gegen den Willen des Anmelders auf einem bestimmten Stand der Technik besteht. Die anfängliche Nicht-Nennung von relevanterem Stand der Technik kann aber auch, wenn später bei der Recherche oder im Einspruch aufgefunden, zur Folge haben, dass das Patent nicht (so) erteilt, beschränkt aufrechterhalten oder sogar widerrufen wird. Dazu sieht das EPÜ eben die Erstellung des Recherchenberichts und zum Teil das Einlegen eines Einspruchs als Regulierungsmechanismus vor. Die vorliegende Sachlage, in der ein der Anmelderin bereits bekannter, nächster Stand der Technik der Prüfungsabteilung offenbar nicht bekannt war, eröffnet offensichtlich keine neuen Sanktionsmöglichkeiten, nur weil die Prüfungsabteilung, die den fraglichen Stand der Technik nicht kannte, die Anmelderin unter Androhung einer Zurückweisung offensichtlich nicht zur Einhaltung von Regel 42 EPÜ zwingen konnte. Wäre eine solche Sanktion vom Gesetzgeber vorgesehen, müsste dies explizit formuliert werden. Dies ergibt sich bereits aus allgemein anerkannten Grundsätzen des Verwaltungsrechts.
4.8 Unter diesen Umständen vermag die Kammer in der alleinigen Tatsache, dass bei der Einreichung der Anmeldung in der Beschreibung der der Anmelderin bekannte Stand der Technik - ggf. auch vorsätzlich - nicht angegeben wurde und somit die Erfordernisse der Regel 42(1) b) EPÜ nicht erfüllt wurden, keinen solchen Verfahrensmissbrauch zu erkennen, der die Möglichkeit der Kostenverteilung nach Artikel 104, zweiter Halbsatz, EPÜ eröffnen würde. Die Sanktion dafür, dass ein - ggf. geändertes Patent - die Erfordernisse des EPÜ nicht erfüllt, ist nach Artikel 101(3)(b) EPÜ der Widerruf des Patents. Es scheint der Kammer nicht gebührend zu sein, der Patentinhaberin dann auch noch die Kosten des gesamten Einspruchsverfahrens aufzuerlegen. Dies stünde im Widerspruch zum Prinzip des Artikels 104(1) EPÜ, wonach im Einspruchsverfahren jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt.
4.9 Den vorstehenden Erwägungen der Kammer stehen die in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragenen Argumente des Einsprechenden nicht entgegen. Nur weil dem Amt bestimmte Sanktionen zur Verfügung stehen, wobei es bei der Anwendung dieser Sanktionen offenbar über ein weites Ermessen verfügt, kann es diese Sanktionen nicht für beliebige Zwecke einsetzen. Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, in dem der geltend gemachte Grund zum Teil auf Umständen beruht, die der Anmelderin nicht zuzurechnen sind, wie z. B. das Fehlen zuverlässiger Recherchen, wie von der Einsprechenden vorgetragen. Die Auffassung der Einsprechenden, dass eine Kostenverteilung ohne vorsätzliches Handeln seitens der Anmelderin angeordnet werden könnte, erscheint der Kammer vor diesem Hintergrund noch weniger gerechtfertigt.
4.10 Allerdings muss über die theoretische Möglichkeit der Kostenverteilung unter den gegebenen Umständen im vorliegenden Fall letztlich nicht entschieden werden. Wie die Kammer in ihrer vorläufigen Stellungnahme bemerkt hat, ist es nicht ersichtlich, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den Kosten des Einspruchs und dem angeblichen Missbrauch der Verschleierung des Standes der Technik besteht. Die Einsprechende machte nur geltend, dass die Erteilung des Patents selbst kausal für ihren Einspruch war. Es mag so sein, aber es bleibt dabei, dass die Kosten der Einsprechenden nicht zu vermeiden gewesen wären. Immerhin wurde das Patent in Kenntnis des nun im Einspruch entgegengehaltenen Standes der Technik in beschränkter Form aufrechterhalten, und die Beschwerdeführerin begehrt weiterhin den vollständigen Widerruf, wie ihre Beschwerde belegt. Die Kammer stellt ferner fest, dass die Beschwerdeführerin vor der Einspruchsabteilung offenbar nicht mehr die Angabe dieses Standes der Technik in der angepassten Beschreibung verlangt hat, wie den Punkten 12 und 13 des Protokolls der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Angabe des fraglichen Standes der Technik das Einspruchsverfahren und die damit verbundenen Kosten nicht vermieden hätte. Selbst wenn man die Sanktion gegen die Patentinhaberin für gerechtfertigt halten könnte, ist es nicht ersichtlich, warum sich diese Sanktion dann in einen Vorteil der Einsprechenden verwandeln sollte, so dass eine Kostenverteilung nicht der Billigkeit entsprechen würde. Daher entscheidet die Kammer, dem Antrag auf Kostenverteilung nicht stattzugeben.
4.11 Wie bereits in der vorläufigen Stellungnahme angedeutet, sieht die Kammer in diesem Zusammenhang auch keine Veranlassung, die Große Beschwerdekammer zu befassen. Die Frage ist in der formulierten Form viel weiter gefasst, als es für die Entscheidung des vorliegenden Falles notwendig wäre. Dass das EPA grundsätzlich auf die Einhaltung der Vorschriften des EPÜ achten muss, steht für die Kammer außer Zweifel, und diese Pflicht ist bereits in den Artikeln 94 und 97 EPÜ für das Prüfungsverfahren, und Artikel 101 EPÜ für das Einspruchsverfahren festgelegt. Die eingeschränkte Frage, ob die Nichtbeachtung der Regel 42(1) b) EPÜ durch die Anmelderin grundsätzlich durch die Kostenverteilung sanktioniert werden kann, muss von der Kammer nicht beantwortet werden, wie oben erläutert. Da eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer für die Entscheidung der Kammer nicht erforderlich ist, sind die Voraussetzungen für eine Vorlage nicht gegeben, Artikel 112(1) a) EPÜ.
5. Die Kammer schließt aus den obengenannten Gründen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber dem zitierten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ. Daher ist Artikel 101(3)(b) EPÜ zufolge das Patent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.