Darum geht es
Ein Patent anzumelden ist komplizierter als beispielsweise einen Pass zu beantragen. Um Erfolg zu haben, genügt es nicht, ein Formular auszufüllen und eine Gebühr zu entrichten. Stellen Sie es sich eher wie die Beantragung einer Baugenehmigung vor – die zuständigen Behörden könnten Einwände erheben und darauf warten, dass Sie Ihren Antrag ändern oder sich zur Wehr setzen. Ein Haus ist materielles Eigentum, und ein Patent ist geistiges Eigentum – beides kann andere Menschen tangieren, weshalb die Behörden sich Zeit nehmen, um Für und Wider abzuwägen. Nicht alle Patentanmeldungen sind erfolgreich. Nur auf etwa 60 % der europäischen Patentanmeldungen wird ein Patent erteilt, der Rest wird zurückgenommen oder zurückgewiesen. Mehr darüber zu wissen, was von Ihnen erwartet wird und welche Rechte Sie im Gegenzug erhalten, verbessert Ihre Erfolgsaussichten ganz erheblich.
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine technische Erfindung gemacht, also ein neues Erzeugnis oder ein neues Verfahren erfunden. Wenn Ihre Erfindung patentiert wird, haben Sie dann das Recht, sie in die Praxis umzusetzen? Nicht unbedingt. Vielmehr gibt Ihnen ein Patent das Recht, anderen zu untersagen, Ihre Erfindung ohne Ihre Erlaubnis herzustellen, zu benutzen, zu verkaufen oder zu importieren. Dies sagt nichts über Ihr eigenes Recht aus, Ihre Erfindung zu verwerten; dieses Recht kann durch das frühere Patent von jemand anderem eingeschränkt sein.
Stellen Sie sich vor, Sie wären die erste Person, die einen Wasserkocher mit einem völlig neuen Thermostat erfindet, damit sich der Wasserkocher automatisch ausschaltet, wenn das Wasser kocht. Die Merkmale Ihres Wasserkochers sind neu, sodass er patentiert werden kann. Aber es könnte sein, dass Sie den Eigentümern von Patenten für frühere elektrische Wasserkocher, auf denen Ihre Verbesserungen basieren, noch Lizenzgebühren schulden. Diese Patenteigentümer wiederum dürften ohne Ihre Erlaubnis ihren Wasserkochern nicht die neuen Merkmale hinzufügen. In diesem Fall könnte eine gegenseitige Lizenz eine Win-Win-Lösung für Sie und die anderen Hersteller sein.
Denken Sie daran, dass das Recht zum Import zu den vier Ausschließungsrechten gehört, die von einem Patent verliehen werden. Mit anderen Worten: Patente sind rein territorial. Für jedes Land oder jede Region, in dem Sie Ausschließungsrechte zur Lizenzierung oder Durchsetzung Ihrer neuen Technologie anstreben, benötigen Sie ein Patent.
Der Weg zum europäischen Patent: Kurz und bündig
Schritt 1: Eine klare und vollständige Beschreibung einreichen
Ihre Patentanmeldung ist eine Gebrauchsanleitung für andere Erfinder, Ingenieure und Wissenschaftler – ein Rezept, nach dem andere Ihr Werk reproduzieren können. Aus diesem Grund verlangt das Patentrecht, dass Sie Ihre Erfindung in Ihrer Erstanmeldung klar und vollständig beschreiben. Mit Wörtern und Schaubildern sollten Sie Ihre Erfindung und deren Kontext erläutern und erklären, was sie von dem bereits Vorhandenen unterscheidet.
Zum Beispiel könnten Sie schreiben: "Herkömmliche Wasserkocher haben die Merkmale A, B und C. Meine Erfindung hat jedoch die neuen Merkmale D, E und F – die es nie zuvor bei Wasserkocher gegeben hat – welche die folgenden Vorteile bieten ". Wenn wesentliche Fakten fehlen (weil Sie z. B. verschweigen, dass es eines speziellen Bestandteils oder bestimmter Prozessbedingungen bedarf), könnte dies Ihre Anwendung ungültig machen. Die Offenbarung der Erfindung ist das Herzstück des gesellschaftlichen "Handels", der mit der Patentierung einhergeht: wird die Erfindung als patentwürdig eingestuft, so wird im Tausch gegen Ausschließungsrechte Wissen offengelegt.
Der Patentprozess beginnt mit Ihrer "Erstanmeldung" – Ihrer ursprünglichen Patentanmeldung, die Sie normalerweise bei Ihrem nationalen Patentamt einreichen. Dadurch erhalten Sie Ihren "Prioritätstag" – das Datum, von dem an Sie Ihre Erfindung für neu erachten. Jedes Dokument, das dieselbe oder eine ähnliche Erfindung beschreibt und vor Ihrem Prioritätstag veröffentlicht wurde, könnte Ihre Chancen auf eine Patenterteilung schmälern. Umgekehrt bleibt Ihre Anmeldung unbeeinträchtigt durch eine Patentanmeldung, Veröffentlichung oder Offenbarung, die nach Ihrem Prioritätstag – auch durch Sie selbst – erfolgt. Aus diesem Grund ist die Geheimhaltung bis zu Ihrer Erstanmeldung so wichtig.
Ihr Prioritätstag definiert den Beginn eines wichtigen 12-Monats-Zeitraums. Alle Patentanmeldungen, die Sie innerhalb dieser 12 Monate für dieselbe Erfindung in anderen Ländern einreichen, werden dort so behandelt, als wären sie an Ihrem Prioritätstag eingereicht worden. Sie können somit in diesem ersten Jahr offener mit Lieferanten, Kunden und Investoren sowie mit potenziellen Vertriebspartnern und Lizenznehmern in anderen Ländern sprechen, unterschiedliche Märkte erkunden und Ihre Optionen prüfen. Keine dieser Offenbarungen würde sich schädlich auf ausländische Patentanmeldungen auswirken, die Sie in diesem Jahr möglicherweise noch einreichen. Sie sollten allerdings vor dem Ende dieser 12 Monate die Patentanmeldungen in all den Ländern eingereicht haben, in denen Sie Schutz begehren.
Aber Vorsicht – wenn Sie Ihre Erfindung nach der Erstanmeldung weiter verfeinern und verbessern, bleiben alle zusätzlichen technischen Merkmale, die Sie entwickeln, ungeschützt. Diese Merkmale können Ihren Prioritätstag nicht beanspruchen, weil sie später erfunden wurden, und Sie dürfen sie nicht als Änderungen Ihrer ursprünglichen Patentanmeldung hinzufügen. Es ist also am besten, sie geheim zu halten, bis sie ihrerseits Gegenstand einer Patentanmeldung werden können.
Schritt 2: Die Recherche deckt die unmittelbarsten Bedrohungen auf und prognostiziert Hindernisse
Das Europäische Patentamt führt Patentrecherchen für Anmeldungen durch, die direkt bei ihm oder über den internationalen Weg (Zusammenarbeitsvertrag, PCT) eingereicht wurden. Sie können Ihre Anmeldung in einer unserer drei Amtssprachen – Deutsch, Englisch oder Französisch – abfassen. Die Recherchenergebnisse liefern wir üblicherweise rund vier Monate nach Ihrem Antrag und fügen einen schriftlichen Bescheid über die Patentierbarkeit bei, in dem dargelegt wird, welche Hindernisse Ihrer Anmeldung wahrscheinlich später entgegenstehen werden.
Unsere Prüfer nutzen Datenbanken zum Stand der Technik und sonstige technische und wissenschaftliche Literatur aus der ganzen Welt, um zu recherchieren, ob es etwas gibt, das die Zukunftschancen Ihrer Anmeldung beeinträchtigen könnte. Sobald Sie wissen, welche ähnlichen Erfindungen bereits existieren, können Sie die wichtige Entscheidung treffen, wo bzw. ob Sie vor dem Ende Ihres Prioritätsjahres Ihre Anmeldung weiterverfolgen wollen.
Schritt drei: Veröffentlichung und Prüfung
Als Nächstes wird Ihre Anmeldung in Patentdatenbanken veröffentlicht – in der Regel 18 Monate nach dem Prioritätstag. Damit sind alle vorgewarnt, dass Ihr Patent anhängig ist. Die technischen Details, die Sie seit Monaten für sich behalten haben, sind nun öffentlich. Die gute Nachricht ist, dass potenzielle Kunden, Lieferanten und Lizenznehmer von Ihrer Technologie erfahren und möglicherweise mit ihnen in Geschäftsverhandlungen treten könnten.
Dank der Veröffentlichung kann das EPA auch per Schwarmintelligenz herausfinden, ob Hindernisse gegen Ihre Anmeldung bestehen, die den Prüfern nicht bekannt sind. Ihre Mitbewerber könnten beispielsweise der Auffassung sein, dass Ihre Erfindung doch nicht neu ist, und Beweismittel vorlegen, um Ihre Anmeldung zu beschränken – oder sogar zu blockieren. Zusammen mit den bereits im Recherchenbericht genannten Beweismitteln werden diese vom Prüfer berücksichtigt, der möglicherweise verlangt, dass der Umfang Ihres künftigen Patents eingeschränkt wird. So hätten Sie beispielsweise keinen Anspruch auf ausschließliche Rechte an allen elektrischen Wasserkochern, wenn Sie nur einen neuen Thermostat für die Verwendung in einem Wasserkocher erfunden hätten. Die Aufgabe der Prüfer besteht darin, sicherzustellen, dass nur die Merkmale Ihrer Erfindung, die neu und erfinderisch sind, ausschließlichen Schutz erhalten. Als Erfinder haben Sie kein Anrecht auf Ausschlussrechte über andere Merkmale, die bekannt oder naheliegend sind.
Schritt vier: Erteilung, Einspruch und nationale Validierung
Sobald Ihre Anmeldung in Reaktion auf die Einwände der Prüfer überarbeitet wurde, wird Ihr Patent erteilt. Dies kann vom Zeitpunkt der Einreichung Ihrer Anmeldung gerechnet bis zu vier oder mehr Jahre dauern. Ihr Patent wird in seiner rechtsverbindlichen Form erneut veröffentlicht (unter der gleichen Veröffentlichungsnummer wie zuvor, jedoch mit der Endung "-B" für erteiltes Patent statt "-A" für Anmeldung). Die EPA-Gebühren belaufen sich von der Einreichung bis zur Erteilung auf insgesamt rund 6 500 € und sind über mehrere Jahre verteilt.
Von diesem Zeitpunkt an können Sie in jedem gewünschten der 39 EPO-Mitgliedstaaten Patentschutz in Anspruch nehmen, wenn Sie die anfallenden nationalen Gebühren bezahlen. In vielen Fällen müssen Sie auch für das jeweilige Land eine Übersetzung eines Teils oder des gesamten Patents einreichen.
Sobald Ihr Patent erteilt wurde, kann es jeder, der meint, über entsprechende Gründe und Beweismittel zu verfügen, mit einem Einspruch anfechten. Das Zeitfenster dafür beträgt nur neun Monate, und nur in 3 bis 4 % der Fälle kommt es dazu. Zwei Drittel der Patente, gegen die Einspruch eingelegt wurde, bleiben in der ursprünglichen oder in geänderter Fassung aufrechterhalten. Gegen etwas mehr als ein Drittel aller Einspruchsergebnisse wird Beschwerde eingelegt. Wenn Ihr Patent aufrechterhalten wird oder nicht angefochten wurde, können Sie Ihre Rechte in jedem Land oder Hoheitsgebiet in Anspruch nehmen, für das Sie weiterhin Jahresgebühren zahlen, und zwar für maximal 20 Jahre ab dem Anmeldetag.
Ihre geistige Eigentumsrechte können immer noch angefochten werden, aber nur vor den nationalen Gerichten oder dem Einheitlichen Patentgericht; dort müssen Sie diese gegebenenfalls gegen Verletzer durchsetzen. Wenn Ihre Technologie veraltet ist, können Sie die Zahlung der Jahresgebühren einstellen und Ihr Patent erlischt – dann kann die Technologie von allen anderen uneingeschränkt genutzt werden. Niemand kann sie in Zukunft noch einmal patentieren.
Wenn Sie für Ihr Unternehmen auf Patente setzen, lesen Sie "Was ist Ihre zündende Idee?" und "Sind Sie bereit", bevor Sie mit diesen ausführlichen Erläuterungen fortfahren:
FAQ – Patent- und IP-Grundlagen
Der Weg zum europäischen Patent
Leitfaden zum europäischen Patent (Anmelderleitfaden)