D 0015/22 10-02-2023
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I. Der Beschwerdeführer hat an der Hauptprüfung der Europäischen Eignungsprüfung ("EEP") 2022 teilgenommen. Mit Schreiben des Prüfungssekretariats vom 6. Juli 2022 hat der Vorsitzende der Prüfungskommission dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass letzterer für die Prüfungsarbeit C die Punktzahl 43 erreicht habe. Auf dieser Grundlage hat die Prüfungskommission entschieden, dass die Bedingungen des Artikels 14 (1) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter ("VEP"; Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2019, S. 2 ff.) nicht erfüllt seien und der Beschwerdeführer daher die EEP nicht bestanden habe. Aus den auf der Rückseite des Schreibens enthaltenen Einzelheiten zur Notenvergabe geht hervor, dass der Prüfungsausschuss II übereingekommen sei, dem Beschwerdeführer für die Prüfungsarbeit C 42 Punkte zu vergeben.
II. In einem weiteren Schreiben des Prüfungssekretariats vom 6. Juli 2022 nahm der Vorsitzende der Prüfungskommission Bezug auf eine Beschwerde-E-Mail des Beschwerdeführers hinsichtlich des Ablaufs der EEP 2022 und teilte ihm Folgendes mit:
"The Examination Board has considered your complaint and has awarded you a compensation of 1 mark for the issues you described therein. This compensation has been based on the time you lost, and the amounts of marks you obtained during the effective time you had for the examination."
III. Die in Bezug genommene Beschwerde-E-Mail des Beschwerdeführers, die er am 17. März 2022 um 19.20 Uhr an das Prüfungssekretariat gesandt hatte, lautet auszugsweise wie folgt:
"ich habe heute am C-Teil der EQE teilgenommen. Leider kam es zu mehreren technischen Problemen in wiseflow.
Während des ersten Teils wurden die Tabs nur langsam geladen, wobei das Problem beim Blättern durch die Aufgaben erhalten blieb. Ferner konnte am Ende die Arbeit nicht übermittelt werden, wobei ein Fenster mit 'modification rejacted' [sic] und ein Fenster mit 'es kann keine Verbindung zu wiseflow hergestellt werden' geöffnet wurden. Ich habe im Chat-Fenster um Hilfe gebeten, wobei das Chat-Fenster eingefroren wurde, ich keine Antwort erhalten habe und aus dem System geworfen wurde. Beim Wiederanmelden wurde hingegen angezeigt, dass die Arbeit abgegeben wurde.
Beim zweiten Teil war die [sic] System zunächst hackelig/träge, wobei die Fenster nicht richtig geladen wurden. Zunächst wurde das Laden verzögert, wobei danach eine gewisse optische Unschärfe vorlag. Ich habe dieses Problem im Chat gemeldet, wobei mir schnell geantwortet wurde. Der Fehler wurde später behoben."
IV. Mit Schreiben vom 3. August 2022, eingegangen beim Prüfungssekretariat per Fax am selben Tag und im Original am 4. August 2022, legte der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 Beschwerde ein. Er entrichtete zudem am 1. August 2022 die Beschwerdegebühr.
V. Der Beschwerdeführer beantragte, die Entscheidung der Prüfungskommission aufzuheben, die vergebene Note in "Nicht bestanden mit Ausgleichsmöglichkeit" zu ändern und festzustellen, dass er die EEP 2022 bestanden habe. Der Beschwerdeführer beantragte ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, die beschleunigte Bearbeitung der Beschwerde sowie hilfsweise die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Weiter hilfsweise beantragte er, eine begründete Entscheidung zu treffen und das Zustandekommen der gewährten Kompensation für den Zeitverlust durch die technischen Probleme darzulegen.
VI. Die in der Begründung seiner Beschwerde vorgetragenen Argumente des Beschwerdeführers können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Es sei nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Prüfungskommission zur Zuerkennung von 1 Punkt als Ausgleich für die Beeinträchtigungen während des Prüfungsablaufs gelangt sei. Dies spiegele nicht den durch die technischen Probleme mit der Prüfungssoftware entstandenen unmittelbar erlittenen Zeitverlust wider.
b) Ferner sei nicht ersichtlich, was als "effektive Zeit", die einem Bewerber für die Prüfung zur Verfügung stand, angesetzt wurde; hierfür dürfe nicht die gesamte Prüfungszeit von 360 Minuten zugrunde gelegt werden, da zumindest die Zeit für das Lesen der Prüfungsaufgabe und für das Erarbeiten der Lösungsstrategie (nach Ansicht des Beschwerdeführers mindestens 120 Minuten) von der gesamten Prüfungszeit abgezogen werden müsse.
c) Nicht berücksichtigt worden sei auch der mittelbare Zeitverlust durch die technischen Probleme ab deren Eintreten. Das nicht voll funktionsfähige System habe beim Beschwerdeführer zu einer konzentrationsmindernden Stresssituation aufgrund von Anspannung und Ablenkung geführt.
d) Der Beschwerdeführer habe aufgrund der technischen Probleme bei der Einreichung der Prüfungsarbeit die vorgesehenen Pausen- und Entspannungszeiten zwischen den beiden Prüfungsteilen nicht bestimmungsgemäß nutzen können. Nach der Fehlermeldung habe die Software nicht mehr reagiert und habe neu gestartet werden müssen. Es sei unklar gewesen, ob die Prüfungsaufgabe übermittelt worden sei.
e) In Anbetracht der beschriebenen Probleme erscheine dem Beschwerdeführer als Kompensation eine Zuerkennung von insgesamt 5 Punkten angemessen.
VII. Mit Schreiben vom 16. September 2022 teilte das Prüfungssekretariat dem Beschwerdeführer mit, dass die Prüfungskommission "nach eingehender Beurteilung der in [der] Beschwerde [...] vorgebrachten Argumente" ihr nicht abgeholfen habe.
Darüber hinaus wurde in diesem Schreiben mitgeteilt, dass der "Ausgleich von einem Punkt aufgrund Ihrer Beschwerde über das langsame Laden der Prüfungsaufgaben in Aufgabe C gewährt [wurde]. Unsere Log-Dateien zeigen jedoch, dass Sie einen Teil Ihrer Antwort bereits zwei Minuten nach dem offiziellen Beginn der Prüfung speichern konnten".
VIII. Mit Bescheid vom 2. Februar 2023 wurde dem Beschwerdeführer gemäß Artikel 14 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ("VOBKD"; Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2022, S. 67 ff.) die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt.
IX. In Antwort hierauf hat der Beschwerdeführer in einem Schreiben vom 6. Februar 2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet sowie weitere Ausführungen zu den Beeinträchtigungen während des Prüfungsablaufs gemacht.
X. Weder der Präsident des Europäischen Patentamtes noch der Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter, denen nach Artikel 24 (4) Satz 1 VEP in Verbindung mit Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2022, S. 142 ff.) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, äußerten sich schriftlich zur Beschwerde.
1. Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet und die Beschwerdegebühr rechtzeitig eingezahlt. Sie entspricht daher den in Artikel 24 (2) VEP niedergelegten Voraussetzungen und ist zulässig.
Der für die Kammer geltende Prüfungsmaßstab
2. Gemäß Artikel 24 (1) VEP und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahingehend zu überprüfen, ob nicht die Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangigen Rechts verletzt wurden. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Nur wenn die beschwerdeführende Person geltend machen kann, dass die angegriffene Entscheidung auf schweren und eindeutigen Fehlern beruht, kann dies von der Beschwerdekammer berücksichtigt werden. Der behauptete Fehler muss so offensichtlich sein, dass er ohne Wiedereröffnung des gesamten Bewertungsverfahrens und ohne wertende Neubetrachtung der Prüfungsarbeit festgestellt werden kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Prüfungsfrage widersprüchlich oder unverständlich formuliert ist (D 13/02) oder wenn Prüfer bei ihrer Beurteilung von einer technisch oder rechtlich falschen Beurteilungsgrundlage ausgehen, so dass die angefochtene Entscheidung auf dieser beruht (D 2/14). Alle anderen Behauptungen der Art, dass die Prüfungsarbeiten unrichtig bewertet worden seien, fallen nicht in die Kompetenz der Kammer, da Werturteile grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle entzogen sind (vgl. D 1/92, Gründe 3 bis 5).
Vergabe einer konkreten Punktzahl und in der Konsequenz einer konkreten Note
3. Hält die Kammer eine Beschwerde aufgrund eines gegebenen schweren und eindeutigen Fehlers, der eine Verletzung der Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangigen Rechts darstellt, für zulässig und begründet, so ist sie gemäß Artikel 24 (4) Satz 2 VEP grundsätzlich nur befugt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückzuverweisen. In Ermessensfragen kann sie die angefochtene Entscheidung nicht durch ihre eigene Entscheidung ersetzen. Daher können Anträge auf Vergabe zusätzlicher Punkte oder einer bestimmten Note grundsätzlich nicht im Beschwerdeverfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten behandelt werden. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, wenn wichtige Gründe gegen eine Zurückverweisung sprechen, könnte ein solcher Antrag gerechtfertigt sein. Dies ist z. B. denkbar, wenn die Benotung nicht mehr im Ermessensspielraum liegt oder wenn der Ermessensspielraum des Prüfungsausschusses für die Neubewertung einer Arbeit bei Zurückverweisung so gering ist, dass die Bindungswirkung einer Entscheidung der Kammer ignoriert würde, wenn der Prüfungsausschuss die Note nicht ändert (siehe grundlegend D 1/86, ABl. EPA 1987, 489, Gründe 2; für die erste Gruppe von Fällen siehe z. B. D 3/14 zur Vorprüfung; für die zweite Fallgruppe siehe D 14/17 und D 20/17). Solche außergewöhnlichen Gründe erfordern eine ausführliche Begründung der beschwerdeführenden Person.
Verletzung von Regel 19 (4) der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die EEP
4. Vorliegend kommt als rügefähige Verletzung (siehe oben Ziffer 2) die Verletzung von Regel 19 (4) der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die EEP ("ABVEP"; Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2019, S. 18 ff.) als eine bei Durchführung der VEP anzuwendende Bestimmung in Betracht. Nach dieser Vorschrift muss die Prüfungskommission, sofern ein Prüfling eine Beschwerde über den Ablauf der Prüfung gemäß Regel 19 (3) ABVEP vorgebracht hat, hierüber eine schriftliche und mit Gründen versehene Entscheidung treffen, die alle Beweismittel berücksichtigt.
5. Der Beschwerdeführer hat über den Ablauf der Prüfung der Aufgabe C mit E-Mail vom 17. März 2022 und damit am selben Tage der Prüfung eine Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP eingereicht (siehe oben Ziffer III). Diese Beschwerde entsprach den Form- und Fristvorschriften gemäß Ziffer I.8 der "Anweisungen an die Bewerber für den Ablauf der europäischen Eignungsprüfung", ABl. EPA 2022, A20 (siehe D 45/21, Gründe 4.4 und 4.5 hinsichtlich des Vertrauensschutzes, den Prüflinge hinsichtlich der Einhaltung der in diesen Anweisungen vorgegebenen Frist- und Formvorschriften im Vergleich zu den strengeren Anforderungen gemäß Regel 19 (3) ABVEP genießen).
6. Indem außerdem der Beschwerdeführer die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022, mit der das Nichtbestehen der EEP 2022 festgestellt wurde (siehe oben Ziffer I), angefochten hat, hat er nach Auffassung der Kammer gleichzeitig implizit die parallele (und mit der gerade genannten Entscheidung zusammenhängende) Entscheidung der Prüfungskommission vom selben Tage über seine Ablaufbeschwerde (siehe oben Ziffer II) angefochten: Die Prüfungskommission hat nämlich in der erstgenannten Entscheidung ? ohne hierauf in geeigneter Form hinzuweisen, was in zukünftigen Fällen geschehen sollte - bei der Berechnung der für die Bearbeitung der Prüfungsaufgabe C vom Beschwerdeführer erreichten Punktzahl die in der zweitgenannten Entscheidung als Ausgleich für die Störung des Prüfungsablaufs vergebene Punktzahl mitberücksichtigt (vgl. die Gesamtpunktzahl 43 im Vergleich zur im Bewertungsbogen angegebenen Punktzahl 42).
7. Die Pflicht der Prüfungskommission gemäß Regel 19 (4) ABVEP, ihre Entscheidung über die Ablaufbeschwerde eines Prüflings zu begründen, umfasst die Pflicht, sich mit dem gesamten Sachverhalt auseinanderzusetzen, der von dem Prüfling als Beeinträchtigung des Prüfungsablaufs behauptet wird. Ebenso müssen zumindest die wesentlichen Argumente der beschwerdeführenden Person hinsichtlich der begehrten Rechtsfolge behandelt werden, sofern vorgebracht. Die Kammer betont, dass es spiegelbildlich zu diesen Pflichten der Prüfungskommission einem Prüfling obliegt, in seiner Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP alle wesentlichen Gesichtspunkte in tatsächlicher und argumentativer Hinsicht vorzubringen, damit die Prüfungskommission diese berücksichtigen kann.
8. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, im Beschwerdeverfahren den Sachverhalt aufzuklären, der der Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP und der Entscheidung hierüber im Sinne von Regel 19 (4) ABVEP zugrunde liegt. Ebenso wenig ist es ihre Aufgabe, sich an die Stelle der Prüfungskommission zu setzen und im Falle einer gegebenen Beeinträchtigung des Prüfungsablaufs selbst einen angemessenen Ausgleich anzuordnen. Die Sachverhaltsaufklärung und gegebenenfalls das Finden eines angemessenen Ausgleichs obliegt der Prüfungskommission, welche hinsichtlich des letztgenannten Punkts ein Ermessen hat. Die Kammer hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens lediglich die Aufgabe, die Entscheidung der Prüfungskommission auf Rechtsfehler zu überprüfen; insbesondere kann die Kammer, sofern die Prüfungskommission eine Ermessensentscheidung getroffen hat, lediglich überprüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt.
9. Im vorliegenden Fall kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 über die Ablaufbeschwerde des Beschwerdeführers, auch unter Berücksichtigung der nachgeschobenen Begründung im Schreiben vom 16. September 2022 (siehe oben Ziffer VII), den oben in Ziffer 7 ausgeführten Anforderungen aus den nachfolgend genannten Gründen nicht gerecht wird, so dass ein Verstoß gegen das Begründungsgebot gemäß Regel 19 (4) ABVEP vorliegt.
9.1 Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde-E-Mail insgesamt drei Störungssachverhalte beschrieben, die zu drei verschiedenen Zeitpunkten angefallen seien:
- Während des ersten Teils: Tabs wurden nur langsam geladen, auch beim Blättern durch die Aufgaben.
- Am Ende des ersten Teils: Arbeit konnte nicht übermittelt werden, Fehlermeldungen erschienen, Chat-Fenster wurde eingefroren, Beschwerdeführer wurde aus dem System geworfen.
- Während des zweiten Teils: System zunächst träge, Fenster wurden nicht richtig geladen, verzögertes Laden, hierdurch optische Unschärfe. Nach Chatmeldung später Problembehebung.
9.2 Aus der Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 geht jedoch lediglich hervor, dass sie offensichtlich "allgemein" einen kompensationsfähigen Sachverhalt anerkannt hat und welche Gesichtspunkte sie bei der Ausgleichsvornahme von 1 Punkt berücksichtigt hat (nämlich Zeitverlust und erreichte Punkte während der effektiven Prüfungszeit für den Beschwerdeführer). Nicht angegeben wurde aber, welcher gerügte Sachverhalt konkret als ausgleichsfähig angesehen wurde, welcher konkrete Zeitverlust hierfür angesetzt wurde und was als effektive Prüfungszeit erachtet wurde.
9.3 Ebenso wenig wurde außerdem in diesem Schreiben angegeben, wie der Ausgleich konkret berechnet wurde. Die Kammer kann nur vermuten, dass hier die in der Entscheidung D 37/21, Gründe 23, angeführte erste mögliche Berechnungsmethode angewandt wurde (erreichte Punkte geteilt durch die dem Prüfling effektiv zur Verfügung gestandene Zeit, welche durch Abzug des Zeitverlusts von der Gesamtzeit errechnet wird, multipliziert mit dem Zeitverlust). Zu beachten ist hier aber, dass die Prüfungsaufgabe C aus zwei Teilen besteht, so dass sich rechnerische Unterschiede ergeben, je nachdem, ob für die gerade genannte Berechnung die erreichten Punkte und die Gesamtzeit für die gesamte Prüfungsaufgabe C herangezogen werden oder nur für den betroffenen Teil. Insofern sollten auch hierzu Angaben gemacht werden und gegebenenfalls eine Begründung, die aber fehlen.
9.4 Etwas mehr Aufklärung bietet zwar die nachgeschobene Begründung in der Nichtabhilfeentscheidung vom 16. September 2022. An dieser Stelle kann offenbleiben, ob ein solches Nachschieben von Gründen in einer Nichtabhilfeentscheidung überhaupt zulässig ist (siehe die Diskussion in der Entscheidung D 37/21, Gründe 14 und 15 mit weiteren Nachweisen). In jedem Fall ist nämlich die weitere Begründung ebenfalls unzureichend. Es wird zwar hieraus klar, dass als ausgleichsfähiger Sachverhalt "das langsame Laden der Prüfungsaufgaben" angesehen wurde. Eine solche Rüge wurde aber vom Beschwerdeführer sowohl für den ersten als auch den zweiten Teil erhoben, so dass nicht klar wird, welche Rüge hier gemeint ist. Auch aus der weiteren Begründung, dass der Beschwerdeführer einen Teil seiner Antwort bereits zwei Minuten nach dem offiziellen Beginn der Prüfung habe speichern können, lässt sich nicht eindeutig schließen, ob sich diese Begründung auf den ersten oder den zweiten Teil bezieht, da auch der zweite Teil einen offiziellen Beginn hatte. Weiterhin ist diese Begründung auch inhaltlich unklar:
- Einerseits könnte man hier gegebenenfalls vermuten, dass für den ausgleichsfähig angesehenen Sachverhalt ein Zeitverlust von 2 Minuten angesetzt wurde. Dann fehlt aber jegliche Begründung, warum hinsichtlich der beiden weiteren gerügten Sachverhalte kein (berücksichtigungsfähiger) Zeitverlust angenommen wurde. Hierfür mag es gute und zutreffende Gründe gegeben haben. Ohne Angabe dieser Gründe sind jedoch weder der Beschwerdeführer noch die Kammer in der Lage, zu überprüfen, ob die Prüfungskommission ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat.
- Andererseits könnte die Begründung der Prüfungskommission lediglich als Hinweis darauf verstanden werden, dass ein Speichern ja gleich nach Beginn der Prüfung möglich gewesen wäre, so dass es keine ernsthaften Probleme gegeben haben könne. Bei einem solchen Verständnis wäre dann wohl ein Zwischenspeichern gemeint und nicht die Angabe einer Zeitverzögerung bzw. eines Zeitverlusts von 2 Minuten. Ein solches Zwischenspeichern stünde aber in keinem Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer gerügten trägen bzw. verzögerten und nicht korrekten Laden der Fenster und der gewissen optischen Unschärfe. Außerdem würde bei diesem Verständnis jegliche Angabe der Prüfungskommission fehlen, wie viele Minuten sie als Zeitverlust in Ansatz gebracht hat.
Vergabe einer konkreten Note oder Zurückverweisung der Angelegenheit?
10. Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, dass er als Ausgleich für den von ihm gerügten Zeitverlust 5 Punkte für angemessen halte, so dass für die Prüfungsaufgabe C die konkrete Note "Nicht bestanden mit Ausgleichsmöglichkeit" zu vergeben sei.
11. Aus den oben in Ziffern 3 und 8 genannten Gründen ist es vorliegend der Kammer verwehrt, selbst über die Frage eines konkreten Punktausgleichs und damit über die Vergabe einer konkreten Note zu entscheiden. Besondere Umstände, aufgrund derer die Kammer ausnahmsweise selbst zusätzliche Punkte und in der Folge eine bestimmte Note vergeben kann, sind nicht ersichtlich. Die vom Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 6. Februar 2023 insofern angeführten Umstände (mangelnde Bereitschaft der Prüfungskommission zur Auseinandersetzung mit den Beanstandungen des Beschwerdeführers; unzureichende Begründung der Entscheidung der Prüfungskommission über die gewährte Kompensation von einem einzigen Punkt) ändern nichts daran, dass die Kammer inhaltlich in das (vorliegend hinsichtlich der Frage des konkreten Ausgleichs für die erlittenen Beeinträchtigungen weiterhin eröffnete) Ermessen der Prüfungskommission nicht eingreifen kann.
12. Entsprechend dem Hilfsantrag des Beschwerdeführers (welchen die Kammer als an die Prüfungskommission gerichtet auslegt) ist daher die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung hinsichtlich der Prüfungsaufgabe C an die Prüfungskommission zurückzuverweisen.
Verfahren nach Zurückverweisung an die Prüfungskommission
13. Die Prüfungskommission wird im weiteren Verfahren Gelegenheit haben, die drei vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen (siehe oben Ziffer 9.1) im Einzelnen zu behandeln und hierbei die oben in Ziffer 9.2 bis 9.4 genannten Unklarheiten bzw. Unterlassungen zu beheben. In diesem Zusammenhang kann sich die Prüfungskommission außerdem auch mit den weiteren, im Schreiben vom 6. Februar 2023 vorgebrachten Ausführungen des Beschwerdeführers zu den konkreten Beeinträchtigungen des Prüfungsablaufs auseinandersetzen.
14. Die Kammer hält es für angezeigt, für das weitere Verfahren vor der Prüfungskommission noch folgende Anmerkungen zum Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers zu machen.
14.1 Hinsichtlich der Frage, was als "effektive Zeit" anzusetzen ist, verweist die Kammer zunächst auf ihre Ausführungen in Ziffer 9.3 oben. Darüber hinaus kann die Kammer keinen Grund für die vom Beschwerdeführer diesbezüglich geäußerte Ansicht erkennen, dass von der gesamten Prüfungszeit die Zeit für das Lesen der Prüfungsaufgabe und für das Erarbeiten der Lösungsstrategie abzuziehen sei. Auch diese beiden Tätigkeiten sind integraler Bestandteil einer Prüfungsaufgabe.
14.2 Der Beschwerdeführer hat einen "mittelbaren Zeitverlust" aufgrund der technischen Probleme geltend gemacht, da hierdurch eine konzentrationsmindernde Stresssituation aufgrund von Anspannung und Ablenkung eingetreten sei. Die Kammer ist hier in Übereinstimmung mit den Ausführungen in der Entscheidung D 37/21, Gründe 21, der Auffassung, dass es sehr schwierig bis unmöglich ist, die Auswirkungen des durch die Störung bewirkten Stresses zu quantifizieren. Auch muss beachtet werden, dass ein Nachteilsausgleich grundsätzlich objektiv bestimmt werden muss, während erlittener Stress eine rein subjektive Größe ist, die bei manchen Prüflingen nicht oder kaum ins Gewicht fallen mag (oder sogar leistungsfördernde Wirkung zeitigt), während andere Prüflinge stärker davon beeinflusst werden können. Zudem weist die Kammer darauf hin, dass - ebenso wie bei einem erlittenen "objektiven" oder "unmittelbaren" Zeitverlust - der Umstand, dass der Prüfling unter erhöhtem Stress stand, noch nicht automatisch den Schluss zulässt, dass ohne erhöhten Stress tatsächlich eine bessere Punktzahl erreicht worden wäre. Insofern ist die Kammer der Auffassung, dass die Anerkennung von Ausgleichspunkten aufgrund eines "unmittelbaren" Zeitverlusts bereits eine ausreichende Kompensation auch für einen etwaigen und subjektiven "mittelbaren" Zeitverlust aufgrund erhöhten Stresses darstellt. Im Einzelfall mag aber eine Prüfungskommission im Rahmen ihres Ermessens hinreichend glaubhaft gemachte, besonders gravierende Stresssituationen zusätzlich kompensieren, etwa durch die Vergabe von isolierten Zusatzpunkten oder etwa durch Heranziehung einer großzügigeren Berechnungsweise für Kompensationspunkte (siehe z. B. die zweite in D 37/21, Gründe 23, vorgeschlagene Berechnungsweise oder auch das dort angesprochene Mittel aus den beiden Berechnungsweisen).
14.3 Schließlich weist die Kammer darauf hin, dass eine ausreichende Pausen- und Entspannungszeit zwischen zwei Prüfungsteilen einerseits für eine erfolgreiche Prüfungsablegung notwendig ist und eine zeitliche Einschränkung dieser Phase aufgrund technischer Probleme in der Regel objektiv messbar ist. Andererseits ist aber die Auswirkung einer verkürzten "effektiven Pausenzeit" auf die Prüfungsleistung ebenso wenig messbar und subjektiv wie erhöhter Stress. Insofern erscheint es grundsätzlich angezeigt, jedenfalls bei signifikanten Verkürzungen (etwa ab ca. 10 Prozent der Pausenzeit) einen angemessenen Punkteausgleich zu finden, der allerdings vom Umfang her geringer als bei Verkürzungen der Bearbeitungszeit ausfallen sollte.
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
15. Da die Beschwerde im Ergebnis erfolgreich ist, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit, Artikel 24 (4) Satz 3 VEP.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung der Prüfungskommission wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird hinsichtlich der Prüfungsaufgabe C zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.