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T 0140/16 (Vorfolgung verdeckter Objekte / Robert Bosch) 12-02-2021
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VERFAHREN ZUM BETRIEB EINES RADARSYSTEMS BEI MÖGLICHER ZIELOBJEKTVERDECKUNG SOWIE RADARSYSTEM ZUR DURCHFÜHRUNG DES VERFAHRENS
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerde der Patentanmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Europäische Patentanmeldung mit der Anmeldenummer 07 821 207 zurückzuweisen.
II. In ihrer Entscheidung stellte die Prüfungsabteilung fest, dass der Hauptantrag zusätzlichen Sachverhalt enthalte (Artikel 123(2) EPÜ), mangelhaft offenbart sei (Artikel 83 EPÜ), unklar sei und eine mangelnde Stützung durch die Beschreibung aufweise (Artikel 84 EPÜ). Dieselben Artikel 123(2), 83 und 84 EPÜ wurden auch jedem der Hilfsanträge 1 - 7 entgegen gehalten.
III. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die von der Prüfungsabteilung veranlasste Zurückweisung aufzuheben und ein Patent gemäß Hauptantrag oder gemäß einem von elf Hilfsanträgen zu erteilen. Hauptantrag und Hilfsanträge 2, 4, 6, 8, 9, 10, und 11 entsprechen dabei dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 - 7, auf denen die Zurückweisung beruht. Hilfsanträge 1, 3, 5 und 7 wurden dagegen erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
IV. In einer gemeinsam mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Haltung mit, nach der der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 - 11 wegen mangelnder Offenbarung und mangelnder Klarheit nicht gewährbar erschienen.
V. Während der mündlichen Verhandlung zog die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge 1 - 11 zurück und reichte stattdessen einen neuen, einzigen Hilfsantrag ein. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
Verfahren zum Betrieb eines Radarsystems, insbesondere eines Mikrowellen-Radarsystems für Anwendungen in oder an Kraftfahrzeugen, bei dem wenigstens ein Zielobjekt (100) und wenigstens ein mögliches Verdeckungsobjekt (110) radartechnisch erfasst werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
durch Bewertung der relativen Lage der Objekte (100, 110) zueinander, erkannt wird (210 - 220), ob eine Verdeckungssituation des wenigstens einen Zielobjektes (100) durch das wenigstens eine Verdeckungsobjekt (110) möglicherweise vorliegt und
ein nicht erfasstes und als möglicherweise verdeckt erkanntes Zielobjekt (100) langsamer deplausibilisiert wird, als ein nicht erfasstes und nicht als möglicherweise verdeckt erkanntes Zielobjekt (100).
VII. Anspruch 7 ist auf ein entsprechendes Radarsystem zur Durchführung des Verfahrens gerichtet.
VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags lautet (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag sind durch die Kammer hervorgehoben):
Verfahren zum Betrieb eines Radarsystems, insbesondere eines Mikrowellen-Radarsystems für Anwendungen in oder an Kraftfahrzeugen, bei dem wenigstens ein Zielobjekt (100) und wenigstens ein mögliches Verdeckungsobjekt (110) radartechnisch erfasst werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
durch zyklisch durchgeführte Bewertung der relativen Lage der detektierten Objekte (100, 110) zueinander und durch Markierung von Objekten (100), welche durch andere Objekte (110) möglicherweise verdeckt werden, erkannt wird (210 - 220), ob eine Verdeckungssituation des wenigstens einen Zielobjektes (100) durch das wenigstens eine Verdeckungsobjekt (110) möglicherweise vorliegt und
bei einem Erkennen des Zielobjekts (100) als nicht erfasst und als nicht möglicherweise verdeckt ein Plausibilitätswert für das Zielobjekt (100) um einen Wert k verringert wird, und bei einem Erkennen des Zielobjekts (100) als nicht erfasst und als möglicherweise verdeckt der Plausibilitätswert für das Zielobjekt um einen Wert k/m verringert wird, wobei m>1 ist.
IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin finden sich in den untenstehenden Entscheidungsgründen.
Lehre der Patentanmeldung
1. Generell bietet die Erfindung eine Lösung für die problematische Situation, in der bei einer Verfolgung von Zielobjekten mittels eines Radarsystems ein nicht mehr erfasstes Zielobjekt als verschwunden angesehen wird, obwohl es eventuell nur zeitweise durch ein anderes Objekt verdeckt wurde, sich jedoch weiterhin im Messbereich befindet. Konkret kann es sich dabei um ein von einem Fahrzeugradar verfolgtes, vorausfahrendes Fahrzeug handeln, das von einem anderen Fahrzeug zeitweilig verdeckt wird.
2. Um solche Zielobjekte trotz Verdeckung weiter verfolgen zu können, wird jedem Zielobjekt ein Plausibilitätswert zugeordnet, der je nachdem, ob das Zielobjekt in einem Messzyklus erneut erfasst wird oder nicht, um einen gewissen Betrag erhöht oder verringert wird. Dabei wird der Plausibilitätswert weniger stark verringert, wenn eine relative Lageprüfung aller im Messbereich befindlichen Objekte eine mögliche Verdeckung des Zielobjekts ergibt. Das bedeutet, dass ein Zielobjekt länger verfolgt (und gespeichert) wird, wenn es verdeckt ist, als wenn es aus anderen Gründen nicht mehr erfasst wird.
3. Diese generelle Idee ist im einleitenden Teil der Beschreibung auf Seite 1, Zeile 32 bis Seite 3, Zeile 34 verständlich beschrieben.
Hauptantrag - Offenbarung
4. Im Schritt 210 des Betriebsverfahrens des Radarsystems wird eine Bewertung der relativen Position der im Messfeld des Radarsystems aktuell befindlichen Objekte durchgeführt, um im nachfolgenden Schritt 215 diejenigen Objekte zu markieren, die möglicherweise verdeckt sind. Anhand der Figur 1 ist beschrieben, wie die Lage eines Verdeckungsobjekts 110 relativ zum Radarsensor und dessen Verdeckungswinkel berechnet wird. Was jedoch nicht beschrieben wird, ist, auf welche Weise bestimmt wird, ob sich ein Zielobjekt im Verdeckungswinkel befindet.
5. Durch die Verdeckung kann die aktuelle Position eines solchen Zielobjekts nicht direkt bestimmt werden. Es erschließt sich zwar implizit aus der Beschreibung, dass das aktuell verdeckte Zielobjekt in einer der vorherigen Messungen erfasst worden ist. Allerdings befanden sich zu diesem vorherigen Zeitpunkt der Radarsensors und das Zielobjekt in anderen Positionen, aus denen nicht ohne weiteres auf die aktuellen Positionen geschlossen werden kann.
6. Eine eventuelle Messung der Bewegungsdaten aller Zielobjekte und des Radarsensors, und eine Berechnung der zu erwarteten Objektpositionen im Messbereich des Radarsensors über mehrere Messzyklen hinweg ist bei nichtlinearen Bewegungen wie Kurvenfahrten nicht trivial und liegt nicht im Vermögen des Fachmanns. Dies umso weniger, als die Beschreibung auf ein Erfassen, Speichern oder Auswerten von Bewegungsdaten der Zielobjekte überhaupt keinen Hinweis liefert, auch nicht bei der detaillierten Beschreibung des Betriebsverfahrens anhand der Figur 2.
7. Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass bei einer engen Messtaktung der Zeitpunkt, an dem das Zielobjekt im Messschatten eines Verdeckungsobjekts verschwinde, festgehalten werde, und das Zielobjekt nach diesem Ereignis dauerhaft als verdeckt eingestuft werde. Dies könne die Fachperson mit wenig Fantasie in der Beschreibung mitlesen. Auf welche Weise dann ein eventueller Austritt aus dem Messschatten und die Identifizierung des Zielobjekts stattfinde, sei unerheblich, da nicht Teil der Erfindung.
8. Dieses Argument widerspricht jedoch der Beschreibung und den Ansprüchen, wonach zuerst eine Lagebewertung der Objekte im Messraum stattfindet und dann allein auf Grundlage dieser aktuellen Lagebewertung die Einteilung in "möglicherweise verdeckt" oder "nicht möglicherweise verdeckt" geschieht. Das Ereignis des Eintritts in den Messschatten wird dabei nicht berücksichtigt - und könnte auch keinen Aufschluss auf die aktuelle Lage geben. Es ist auch nicht ersichtlich, wie in diesem Fall das Zielobjekt bei einem Austritt aus dem Messschatten mit dem eingetretenen Zielobjekt identifiziert werden kann, insbesondere, wenn mehr als ein Zielobjekt gleichzeitig verdeckt ist. Ein Wiedererkennen des Zielobjekts ist jedoch unabdingbar für die beschriebene Erfindung, die das verdeckte Zielobjekt nur deshalb weiterverfolgt, um es nach dem Wiederauftauchen weiterverfolgen zu können.
9. Es folgt, dass die Erfindung nicht so deutlich offenbart ist, dass sie von der Fachperson ausgeführt werden kann (Artikel 83 EPÜ).
Hauptantrag - Klarheit und Stützung durch die Beschreibung
10. Die Ansprüchen 1 und 7 umfassen sowohl eine einmalige Messung, da kein mehrmals ablaufender Messzyklus definiert wird, als auch eine statische Situation, bei der sich nichts bewegt. Es ist in beiden Fällen nicht klar, wie ein radartechnisch erfasstes Zielobjekt mit dem nicht erfassten Zielobjekt zusammenhängt und woher überhaupt ein nicht erfasstes Objekt bekannt sein soll.
11. Laut der Beschwerdeführerin müsse nicht jedes Detail im Anspruch stehen, das nicht mit der erfinderischen Idee zusammenhänge. Die Erfindung liege nun mal in der langsameren Deplausibilisierung, die auch im Anspruch definiert werde. Die genaue Ausführung der Erfindung unter Verwendung mehrerer Messzyklen in einer dynamischen Situation finde sich dann in der Beschreibung. Weiterhin ergebe eine einmalige Messung keinen Sinn.
12. Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Ein Anspruch muss für sich genommen so deutlich formuliert sein, dass die Fachperson die Bedeutung der wesentlichen Merkmale erkennen kann. Es ist allerdings nicht möglich, die Bedeutung der nach der Beschwerdeführerin wesentlichen Lagebewertung und der davon abhängigen Deplausibilisierung zu verstehen, ohne dass eine zyklisch stattfindende Messung und eine Bewegung mindestens eines Objekts zumindest implizit aus dem Anspruch hervorgeht. Ohne das aus der Beschreibung entnommene Verständnis, wonach auch die Lage eines aktuell erfassten Verdeckungsobjekts relativ zu der Lage von in vorherigen Messzyklen erfassten, aktuell jedoch nicht erfassten Zielobjekten bewertet wird, bleibt der Anspruch unverständlich.
13. Das letzte Merkmal der Ansprüche 1 und 7 definiert, dass ein nicht erfasstes und als möglicherweise verdeckt erkanntes Zielobjekt langsamer deplausibilisiert wird als ein nicht erfasstes und nicht als möglicherweise verdeckt erkanntes Zielobjekt. Der Ausdruck langsamer deplausibilisiert kann entweder im Sinne einer langsameren Verringerung eines Plausibilitätswerts verstanden werden, andererseits jedoch auch so, dass es länger dauert, bis das Objekt als nicht mehr plausibel ("deplausibel") eingestuft wird.
14. Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, dass nur die erste Auslegung zutreffe, da das Wort "langsamer" keine Zeitdauer beinhalte, sondern eindeutig eine Veränderungsrate angebe.
15. Nach Auffassung der Kammer ergeben beide Auslegungen einen Sinn. Auf eine bevorzugte Auslegung geben die Ansprüche keinen Hinweis, weshalb beide Auslegungen berechtigt sind. Die zweite Auslegung widerspricht jedoch der Beschreibung und weckt somit Zweifel am beabsichtigten Schutzbereich.
16. Laut Beschreibung ist es möglich, dass Zielobjekt 1 in mehreren Messzyklen erneut erfasst wurde und im Messzyklus n den maximal möglichen Plausibilitätswert erreicht hat. Zielobjekt 2 wurde weniger oft erfasst und hat deshalb im Messzyklus n einen kleineren Plausibilitätswert als Zielobjekt 1. Nun verschwinden beide Zielobjekte beim selben Messzyklus n+1, wobei Zielobjekt 1 als nicht verdeckt erkannt und Zielobjekt 2 als verdeckt erkannt wird. Je nach Parameterwert m ist es möglich, dass Zielobjekt 1 bei einem späteren Messzyklus deplausibel wird - und damit später gelöscht wird - als Zielobjekt 2. Zielobjekt 1 wird in diesem Fall wegen des höheren Start-Plausibilitätswerts langsamer zur Grenze der Plausibilität gebracht (und gelöscht) als Zielobjekt 2, im Widerspruch zu den Ansprüchen.
17. Einerseits ist somit nicht klar, welche der zwei möglichen Bedeutungen das Merkmal der langsameren Deplausibilisierung haben soll, andererseits ist eine der beiden Auslegungen dieses Merkmals nicht durch die Beschreibung gestützt.
Hilfsantrag - Berücksichtigung
18. Der Hilfsantrag wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht und bleibt daher nach Artikel 13(2) VOBK 2020 grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, die Beschwerdeführerin kann stichhaltige Gründe für außergewöhnliche Umstände aufzeigen, die eine Berücksichtigung rechtfertigen würden.
19. In diesem Fall begründet die Beschwerdeführerin das verspätete Einreichen lediglich damit, dass der neue Antrag sämtliche Probleme behebe. Unabhängig davon, dass dies kein stichhaltiger Grund im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020 ist, kann die Kammer nicht erkennen, wie die Änderungen die mangelnde Offenbarung der Anmeldung beheben könnten. Der Anspruch kann auch nicht klarstellen, woher nicht erfasste Zielobjekte bekannt sind. Statt Probleme zu lösen, scheint das neu aufgenommene Merkmal der zyklischen Lagebewertung (was nicht einer zyklischen Messung entspricht) eher neue Probleme einzuführen statt zu lösen. Deshalb würde die Kammer selbst dann, wenn stichhaltiger Gründe vorhanden wären, den Hilfsantrag nach Artikel 13(1) VOBK 2020 zusammen mit Regel 116(1) EPÜ nicht berücksichtigen.
20. Folglich wird der Hilfsantrag nicht berücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK 2020).
Fazit
21. Der Hauptantrag ist nicht gewährbar, weil die Erfindung unzureichend offenbart ist (Artikel 83 EPÜ) und weil der Gegenstand der Ansprüche 1 und 7 nicht klar ist (Artikel 84 EPÜ).
22. Der Hilfsantrag wird nicht berücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK 2020).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.