T 2220/16 14-10-2021
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VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUR VORGABE EINER DIALYSIERFLÜSSIGKEITSRATE ODER BLUTFLUSSRATE FÜR EINE EXTRAKORPORALE BLUTBEHANDLUNG
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Entschei-dung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 068 972 zurückzuweisen.
II. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 14. Oktober 2021 statt.
III. Die endgültigen Anträge der Parteien lauten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Die folgenden Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung von Bedeutung:
D1: Clearance of a Diaylzer under Varying Operating
Conditions, Jahn Eric Sigdell et al., Artificial
Organs, Raven Press, New York, 1986
D4: Hämodialyse 5008 Therapiesystem
V. Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt:
"Vorrichtung zur Vorgabe einer Dialysierflüssigkeits-rate oder einer Blutflussrate für eine extrakorporale Blutbehandlungvorrichtung, die einen Dialysator auf-weist, der durch eine semipermeable Membran in eine Blutkammer, die von Blut mit einer vorgegebenen Blut-flussrate Qb durchströmt wird, und eine Dialysier-flüssigkeitskammer unterteilt ist, die von Dialysier-flüssigkeit mit einer vorgegebenen Dialysierflüssig-keitsrate Qd durchströmt wird, wobei die Vorrichtung zur Vorgabe der Dialysierflüssigkeitsrate oder der Blutflussrate die Dialysierflüssigkeitsrate Qd oder Blutflussrate Qb in Abhängigkeit von der vorgegebenen Blutflussrate Qb bzw. Dialysierflüssigkeitsrate Qd ermittelt, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung zur Vorgabe der Dialysierflüssigkeitsrate derart aus-gebildet ist, dass bei einer vorgegebenen Blutflussrate Qb diejenige Dialysierflüssigkeitsrate Qd oder bei einer vorgegebenen Dialysierflüssigkeitsrate Qd diejenige Blutflussrate Qb ermittelt wird, bei deren Erhöhung um einen bestimmten Wert die Erhöhung einer für die Effektivität der Blutbehandlung charakteris-tischen Größe einen bestimmten Wert nicht unterschrei-tet."
VI. Anspruch 11 des Patents lautet wie folgt:
"Verfahren zur Vorgabe einer Dialysierflüssigkeitsrate oder Blutflussrate für eine extrakorporale Blutbehand-lungvorrichtung, die einen Dialysator aufweist, der durch eine semipermeable Membran in eine Blutkammer, die von Blut mit einer vorgegebenen Blutflussrate Qb durchströmt wird, und eine Dialysierflüssigkeitskammer unterteilt ist, die von Dialysierflüssigkeit mit einer vorgegebenen Dialysierflüssigkeitsrate Qd durchströmt wird, wobei die Dialysierflüssigkeitsrate Qd oder Blutflussrate Qb in Abhängigkeit von der vorgegebenen Blutflussrate Qb bzw. Dialysierflüssigkeitsrate Qd ermittelt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
in Abhängigkeit von der Blutflussrate Qb diejenige Dialysierflüssigkeitsrate Qd oder in Abhängigkeit von der Dialysierflüssigkeitsrate Qd diejenige Blutflussrate Qb ermittelt wird, bei deren Erhöhung um einen bestimmten Wert die Erhöhung einer für die Effektivität der Blutbehandlung charakteristischen Größe einen bestimmten Wert nicht unterschreitet."
VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Mangelnde Ausführbarkeit
Als charakteristische Größe im Sinne der Ansprüche 1 und 11 komme gemäß Absatz [0003] des Streitpatents nur die Clearance K infrage.
Das in Absatz [0013] erwähnte Zielkriterium (Arbeits-punkt) sei von einer eingestellten Dialysierflüssig-keitsrate vom Behandlungsmodus und vom verwendeten Dialysator abhängig. Es gebe auch nicht genau einen Arbeitspunkt, sondern in Abhängigkeit der gewählten Verhältnisse mehrere.
Es sei nicht Gegenstand der unabhängigen Ansprüche, wie der bestimmte Wert ermittelt werden soll. Das in Absatz [0030] erwähnte iterative Näherungsverfahren sei nicht so ausreichend offenbart, dass damit der optimale Arbeitspunkt gefunden werden könne. So könne es vor-kommen, dass bei einer ungünstig gewählten Schrittweite ein suboptimaler Arbeitspunkt bestimmt werde, ohne dass der Fachmann diesen als solchen erkennen würde. Durch diesen Arbeitspunkt werde die Aufgabe der Erfindung aber nicht gelöst. Bei der Ermittlung eines subopti-malen Arbeitspunktes handele es sich auch nicht um eine hypothetische Ausführungsform.
Zwar werde in der Beschreibung des Streitpatents (Absätze [0036], [0037] und [0040]) ein Ausführungs-beispiel für das Festlegen einer optimalen Dialysier-flüssigkeitsrate beschrieben, das für die Frage der Ausführbarkeit relevant sein könne. Der Wortlaut der Ansprüche 1 und 11 gehe jedoch über dieses konkrete Ausführugsbeispiel hinaus, da er nicht darauf be-schränkt sei, dass die Steigung der Clearance-Kurve ermittelt werden müsse.
Zulassung der Druckschrift D4
Die Druckschrift D4 sei hochrelevant, da sie in der Figur 1 auf Seite 24 in einer Clearance-Kurve mehrere Punkte zeige, für die die Bedingung im kennzeichnenden Teil der Ansprüche 1 und 11 erfüllt sei. Es werde also offenbart, den Verlauf der Clearance-Kurve bei einer vorgegebenen Blutflussrate heranzuziehen und anhand des Verlaufs eine optimale Dialysierflüssigkeitsrate festzulegen.
Dass in der D4 der Betriebspunkt der Dialysemaschine durch Multiplikation der vorgegebenen Blutflussrate mit dem Faktor 1,2 errechnet werde, sei lediglich eine zusätzliche Lehre.
Zudem offenbare die Druckschrift D4 eine Dialyse-maschine, die entgegen der Auffassung der Einspruchs-abteilung einen Dialysator mit einer semipermeablen Membran aufweise.
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, D4 als ver-spätet abzuweisen sei also nicht richtig gewesen. Es werde beantragt, die D4 im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Neuheit gegenüber D1
Gemäß den Ansprüchen 1 und 11 solle die gesuchte Dialysierflüssigkeitsrate "ermittelt" werden und nicht notwendigerweise "berechnet". Eine Betrachtung der Steigung der Clearance-Kurve zu diesem Zweck sei in den Ansprüchen nicht gefordert. Auf Seite 219, linke Spalte, "Abstract", sowie auf Seite 220, rechte Spalte, (b), der D1 werde daher der Erfindungsgegenstand offenbart, so wie er auch in Absatz [0029] des Streitpatents definiert werde. Zudem entspreche das Diagramm der Figur 5 der D1 dem der Figur 2 des Patents. In den genannten Passagen der D1 sei angegeben, dass ein Grenzwert für die Dialysier-flüssigkeitsrate existiere, bei dessen Überschreiten die Effektivität der Blutbehandlung nur noch minimal zunehme. Die Bestimmung dieses Grenzwertes erfordere das Vorgeben einer minimal zulässigen Clearance-steigerung sowie des zugehörigen Wertes für die Dialysierflüssigkeitsrate. Dies sei genau der kenn-zeichnende Teil der Ansprüche 1 und 11.
Die D1 beschäftige sich zwar auch mit der Berechnung des Betriebspunktes in Form eines Prozentsatzes der maximal erreichbaren Blutbehandlungseffektivität bei vorgegebener Blutflussrate (Seite 220 ff, Figur 4). Der Betriebspunkt sei aber nicht Gegenstand des Streit-patents. Daher sei die Art und Weise, wie er ermittelt werde, für die Beurteilung der Neuheit unerheblich.
Entscheidend sei vielmehr, dass die D1 über die Bestimmung des Betriebspunktes hinaus eine allgemeine technische Lehre beschreibe, dass die optimale Dialysierflüssigkeitsrate anhand des Verlaufs der Clearance-Kurve bestimmt werde (Abstract oder S. 220). Die Figur 4 drücke dabei aus, dass die Erhöhung der Clearance mit steigender Dialysierflüssigkeitsrate abnehme und diese dabei einen Wert erreiche, für den die Bedingung des kennzeichnenden Teils des Anspruchs erfüllt sei. Mit Blick auf die Figur 4 sei also klar, dass die D1 eben nicht eine vom Streitpatent völlig verschiedene Lehre enthalte.
Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
Die optimale Dialysierflüssigkeitsrate anhand der Steigung der Clearance-Kurve zu berechnen, sei für den Fachmann aufgrund seines mathematischen Fachwissens offensichtlich. Daher beruhe der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ausführbarkeit der Erfindung
Die Vorrichtung und das Verfahren gemäß den Ansprüchen 1 und 11 seien durch eine klare technische Lehre ge-kennzeichnet. Der in den Ansprüchen genannte bestimmte Wert für die Erhöhung der Dialysierflüssigkeitsrate sei vom Fachmann so zu wählen, dass er sich an der be-kannten Abhängigkeit der Clearance von der Dialysier-flüssigkeitsrate orientiere.
Die Lehre der Ansprüche 1 und 11 könne nicht zur Fest-legung von Flussraten führen, die oberhalb oder unter-halb des optimalen Arbeitspunktes liegen. Solche Aus-führungsformen wären rein hypothetisch und würden nicht unter den Schutzbereich der Ansprüche fallen.
Der in den Ansprüchen definierte Zusammenhang lasse sich, im Falle von infinitesimal kleinen Erhöhungen, mathematisch durch die Ermittlung des Punktes auf der Clearance-Kurve ausdrücken, an dem die Steigung einen bestimmten Wert gerade erreiche. Die mathematischen Grundlagen dazu seien in der Patentschrift im Einzelnen offenbart (Gleichungen 1, 1', 1''), sowie die einzelnen Schritte zur Bestimmung ausführlich beschrieben (Figurenbeschreibung). Die Erfindung sei also aus-reichend offenbart.
Zulassung der Druckschrift D4
Die Einspruchsabteilung habe zutreffend festgestellt, dass die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichte Broschüre ,,Hämodialyse 5008 Therapiesystem" (D4) prima facie nicht relevant ist, und habe diese Druckschrift als verspätetes Vorbringen zurückgewiesen.
In der D4 gehe es um eine automatische Einstellung und Anpassung des Dialysatflusses an die Blutflussrate durch Multiplikation mit einem konstanten Faktor. Einen Hinweis darauf, die Dialysierflüssigkeitsrate auf der Basis eines vorgewählten Zielkriteriums zu bestimmen, könne der Fachmann der D4 nicht entnehmen. D4 sei daher nicht relevant und als verspätetes Vorbringen zurück-zuweisen.
Neuheit gegenüber D1
Als wissenschaftlicher Fachartikel befasse sich die D1 zwar auch mit dem Problem von Aufwand und Nutzen im Zusammenhang mit der Effektivitätssteigerung einer Dialysebehandlung. Zur Lösung schlage die D1 aber zum einen vor, einen Grenzwert für den Dialysierflüssig-keitsfluss festzulegen, bei dem 90% der maximalen Clearance erreicht werde. Gemäß einem weiteren Vor-schlag solle das Doppelte der Blutflussrate als maxi-male Dialysierflüssigkeitsrate vorgegeben werden. Dies sei eine völlig andere Vorgehensweise als in der vorliegenden Erfindung.
Der Einwand der Beschwerdeführerin beruhe auf einer zu weiten Auslegung der Ansprüche auf der Basis einer rückschauenden Betrachtungsweise. Die Ansprüche 1 und 11 definierten über die "bestimmten Werte" ein Ziel-kriterium für die Änderungsrate der Clearance. Ein der-artiges Zielkriterium fehle in D1. Die D1 gebe damit keine Hinweise zur technischen Umsetzung der Erkennt-nis, dass es für die Dialysierflüssigkeitsrate einen Grenzwert geben sollte.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 sei daher neu gegenüber D1.
Erfinderische Tätigkeit gegenüber D1
Es gebe in der D1 keine Hinweise, zur Bestimmung der Dialysierflüssigkeitsrate die Steigung der Clearance-Kurve zu berücksichtigen. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätig-keit.
1. Gegenstand der Erfindung
In der Erfindung geht es darum, eine Dialysierflüssig-keitsrate oder Blutflussrate für eine effektive Dialysebehandlung zu bestimmen.
Die Effektivität einer Dialysebehandlung kann durch die Dialysedosis KT/V beschrieben werden, die als Quotient aus dem Produkt aus Clearance K und Behandlungszeit T und dem Verteilungsvolumen V des Patienten definiert ist. Die Clearance K ist der Teilstrom des Gesamtstroms durch den Dialysator, der von der betreffenden Substanz (z.B. Harnstoff) vollständig befreit wird. Eine Er-höhung der Clearance erhöht daher die Effektivität der Dialysebehandlung.
Die Clearance hängt vom Massentransferkoeffizienten k0A des Dialysators, von der Blutflussrate Qb und der Dialysierflüssigkeitsrate Qd ab (Absatz [0028], Formel (1), Figur 2). In Figur 2, die die Clearance in Abhängigkeit von der Dialysierflüssigkeitsrate zeigt, kann man erkennen, dass bei hohen Dialysierflüssig-keitsraten eine Sättigung der Clearance eintritt. Ab einer gewissen Dialysierflüssigkeitsrate ruft eine Er-höhung dieser keinen nennenswerten Gewinn an Clearance mehr hervor. Da sich mit einem hohen Dialysierflüssig-keitsfluss die Kosten für die Bereitstellung frischer und die Entsorgung gebrauchter Dialysierflüssigkeit erhöhen, wird in der Praxis eine verhältnismäßig hohe Clearance (und damit eine möglichst hohe Effektivität der Dialysebehandlung) bei relativ niedrigem Verbrauch an Dialysierflüssigkeit angestrebt.
In den Ansprüchen 1 und 11 wird eine Dialysierflüssig-keitsrate in Abhängigkeit von einer vorgegebenen Blutflussrate (oder eine Blutflussrate in Abhängigkeit von einer vorgegebenen Dialysierflüssigkeitsrate) ermittelt, bei deren Erhöhung um einen bestimmten Wert die Erhöhung einer für die Effektivität der Blutbehand-lung charakteristischen Größe einen bestimmten Wert nicht unterschreitet. Bei der für die Effektivität der Blutbehandlung charakteristischen Größe kann es sich nur um die Clearance handeln.
Es wird also der Punkt auf einer der Kurven in Figur 2 (jede Kurve steht für eine vorgegebene Blutflussrate) gesucht, an dem die Steigung einen bestimmten, vorgege-benen Wert nicht unterschreitet, die Kurve also noch "genügend steil" ist. Gemäß der Beschreibung (Absatz [0029]) wird dazu die Ableitung der in Figur 2 darge-stellten Funktion betrachtet.
2. Ausführbarkeit der Erfindung
Die Bedingung "bei einer Erhöhung der Dialysierflüssig-keitsrate um einen bestimmten Wert unterschreitet die Erhöhung einer für die Effektivität der Blutbehandlung charakteristischen Größe einen bestimmten Wert nicht" ist nur erfüllbar, wenn die für die Effektivität cha-rakteristische Größe mit der Dialysierflüssigkeitsrate ansteigt und wenn bei hohen Dialysierflüssigkeitsraten eine Sättigung der für die Effektivität der Blutbehand-lung charakteristischen Größe eintritt. Das ist nur für die Clearance als für die Effektivität der Blutbehand-lung charakteristischer Größe der Fall (siehe Formel (1) und Figur 2). Die im kennzeichnenden Teil der Ansprüche 1 und 11 formulierte Bedingung muss deshalb - in Übereinstimmung mit der Beschreibung (Absatz [0029]) - so verstanden werden, dass die Steigung der Clearance-Kurve in Figur 2 einen bestimmten Wert erreichen soll.
Der Beschreibung kann dazu entnommen werden, dass zunächst mit der Formel (2) eine Dialysierflüssigkeits-rate aus einem für den jeweiligen Dialysatortyp gege-benen Massentransferkoeffizienten und einer vorgege-benen Blutflussrate ermittelt wird (Absätze [0036] und [0037]). Gemäß Absatz [0040] berechnet die Rechenein-heit daraus auf der Basis des gewünschten Modus (z.B. 10:1) die optimale Dialysierflüssigkeitsrate. Somit lehrt das Patent, wie den gewählten Verhältnissen wie Behandlungsmodus und verwendetem Dialysator Rechnung zu tragen ist.
In Absatz [0029] wird erwähnt, dass dazu die Ableitung der Clearance-Kurve der Figur 2 betrachtet wird, wobei die Ableitung durch ein Näherungsverfahren ermittelt werden kann, wie in Absatz [0030] beschrieben. Es wird also die Dialysierflüssigkeitsrate ermittelt, bei der die Steigung der Clearance-Kurve genau dem durch den eingestellten Modus vorgegebenen Wert entspricht.
Der Annahme der Beschwerdeführerin, die gesuchte Dialysierflüssigkeitsrate solle durch ein Näherungs-verfahren bestimmt werden, das aber nicht ausreichend offenbart sei, kann nicht zugestimmt werden. In dem Patent ist von einem solchen Näherungsverfahren nicht die Rede. Es werden lediglich iterative Näherungs-lösungen vorgeschlagen, um die Ableitung der Clearance-Funktion (1) zu berechnen (Absatz [0030]). Aus der so gefundenen Ableitung lässt sich die gesuchte Dialysier-flüssigkeitsrate eindeutig bestimmen. Die unbemerkte Ermittlung eines suboptimalen Arbeitspunktes ist bei diesem Verfahren nicht möglich.
Nach Ansicht der Kammer ist die Ermittlung der opti-malen Dialysierflüssigkeitsrate auf diese Weise für den Fachmann aufgrund seiner mathematischen Kenntnisse ohne weiteres möglich. Die Erfindung ist also ausreichend offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Dies gilt auch für den alternativen Anspruchsgegen-stand, wonach eine optimale Blutflussrate ermittelt wird.
3. Zulassung der Druckschrift D4
Bei der Entscheidung, die Druckschrift D4 nicht ins Einspruchsverfahren zuzulassen, hat die Einspruchsab-teilung ihr Ermessen weder nach Maßgabe der falschen Kriterien, noch unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt.
Es wurde insbesondere die fehlende Relevanz dieser Druckschrift berücksichtigt, da D4 keine Dialysier-flüssigkeitsrate ermittelt, bei deren Erhöhung um einen bestimmten Wert die Erhöhung einer für die Effektivität der Blutbehandlung charakteristichen Größe einen bestimmten Wert nicht unterschreitet (Punkt 20 der Entscheidung). Die Kammer stimmt in diesem Punkt der Einspruchsabteilung zu.
Daher sieht die Kammer keinen Grund, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben. Die Druckschrift D4 wird somit nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
4. Neuheit gegenüber D1
Die D1 ist ein wissenschaftlicher Fachartikel und lehrt, dass es für die Dialysierflüssigkeitsrate einen oberen Grenzwert gibt und dass eine höhere Dialysier-flüssigkeitsrate unwirtschaftlich wäre, weil sie keine nennenswerte Steigerung der Clearance mehr zur Folge hätte (Seite 219, "Abstract"; Seite 220, rechte Spalte, Absatz beginnend mit (b) und folgender).
Zur Ermittelung einer geeigneten Dialysierflüssigkeits-rate wird vorgeschlagen, den Punkt zu ermitteln, an dem 90 % der maximalen Clearance erreicht wird. Als oberer Grenzwert für die Dialysierflüssigkeitsrate wird zudem das Doppelte der Blutflussrate angegeben (Seite 221, rechte Spalte, drittletzter Absatz).
In der D1 wird also nicht die Steigung der Clearance-Kurve betrachtet, und der Punkt, also die Dialysier-flüssigkeitsrate, gesucht, an dem die Steigung einen bestimmten Wert erreicht. Ein Diagramm, das die Clearance in Abhängigkeit von der Dialysierflüssig-keitsrate zeigt, gibt es in der D1 gar nicht. In der Figur 5, die bei der Ermittlung der geeigneten Dialysierflüssigkeitsrate berücksichtigt wird, ist die Clearance in Abhängigkeit von der Blutflussrate dar-gestellt. Diese Figur ist daher nicht analog zur Figur 2 des Streitpatents, die zur Ermittlung der geeigneten Dialysierflüssigkeitsrate die Clearance in Abhängigkeit von der Dialysierflüssigkeitsrate darstellt. Auch aus der Figur 4 lässt sich kein Hinweis entnehmen, den Verlauf der Clearance-Kurve in Abhängigkeit von der Dialysierflüssigkeitsrate zu betrachten.
Da die Ansprüche 1 und 11, wie oben gesagt, eine Betrachtung der Steigung der Clearance-Kurve fordern, kann auch die allgemeine Lehre der D1 den Anspruchs-gegenstand nicht vorwegnehmen.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 ist daher neu gegenüber D1.
5. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
Die Ermittlung des Punktes, an dem die Steigung der Clearance-Kurve einen bestimmten, vom Benutzer vorgewählten Wert erreicht, hat den Effekt, dass ver-schiedene Behandlungsmodi eingestellt werden können, indem das zugehörige Zielkriterium verändert wird, wie in Absatz [0040] des Patents beschrieben.
Der Erfindung liegt also die Aufgabe zugrunde, eine effektive Dialysebehandlung unter Abwägung der Wirt-schaftlichkeit zu ermöglichen.
Zwar beschäftigt sich auch die D1 mit dem Problem der Kosten-Nutzen-Abwägung. Sie schlägt zur Lösung aber einen festen Grenzwert für die Dialysierflüssigkeits-rate vor, der sich an der maximal erreichbaren Clearance oder an der vorgegebenen Blutflussrate orientiert. Die Betrachtung der Steigung der Clearance-Kurve als variables Zielkriterium wird weder durch die D1 noch durch das allgemeine Fachwissen des Fachmanns nahegelegt.
Daher beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.