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T 2515/16 08-02-2021
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Kraftstoffzusammensetzung
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (nachstehend "Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 031 043 (nachstehend das "Streitpatent") zu widerrufen.
II. Das Streitpatent enthält 11 Ansprüche, wobei der unabhängige Anspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Kraftstoffzusammensetzung, die mindestens 75 Vol.-% C4- bis C14-Isoalkane enthält, wobei bei der Bestimmung des Destillationsverlaufes nach DIN EN ISO 3405 mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen (T) oberhalb von 110°C verdampfen,
dadurch gekennzeichnet, dass die Kraftstoffzusammensetzung 15 Vol.-% bis 25 Vol.-% C4- und C5-Isoalkane enthält, dass die Kraftstoffzusammensetzung für einen Zweitaktmotor oder für einen gemischgeschmierten Viertaktmotor geeignet ist und dass die Kraftstoffzusammensetzung 1 Vol.-% bis 3 Vol.-% Zweitaktöl zur Schmierung des Zweitaktmotors oder gemischgeschmierten Viertaktmotors enthält."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 definieren spezielle Ausführungsformen der Kraftstoffzusammensetzung nach Anspruch 1.
III. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente genannt:
D2: GB 1 159 295 A
D9: Anforderungen für Sonderkraftstoffe, KWF (Kuratorium für Waldarbeit und Forsttechnik e.V.), Stand 04.2004
Die Einspruchsabteilung kam unter anderem zu folgendem Schluss:
- Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Lichte der D9 als nächstliegendem Stand der Technik.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung und in einem weiteren Schriftsatz widersprach die Beschwerdeführerin der Entscheidung der Einspruchsabteilung und führte u.a. aus, dass der beanspruchte Gegenstand erfinderisch sei, ausgehend von D2 oder D9 als nächstliegendem Stand der Technik.
V. In ihrer Erwiderung vertrat die Einsprechende (nachstehend "Beschwerdegegnerin") hingegen die Auffassung, dass der beanspruchte Gegenstand nicht erfinderisch sei, ausgehend von sowohl D2, als auch D9 als nächstliegendem Stand der Technik. Die beanspruchte Erfindung sei ferner nicht ausführbar.
VI. Mit Datum vom 26. Juli 2019 wurden die Parteien antragsgemäß zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer geladen.
VII. Am 21. Januar 2020 erging eine Mitteilung der Kammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung.
VIII. Mit Mitteilung der Kammer vom 23. April 2020 wurden die Parteien informiert, dass der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben wurde.
IX. Mit Mitteilung vom 29. April 2020 wurde ein neuer Termin für die mündliche Verhandlung festgelegt.
X. Mit Mitteilung der Kammer vom 20. Januar 2021 wurden die Parteien informiert, dass die mündliche Verhandlung als Videokonferenz stattfindet.
XI. Am 8. Februar 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer als Videokonferenz statt. Während der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdegegnerin ihren Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ zurück.
XII. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in seiner erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Sollte dies nicht möglich sein, beantragte sie die Aufrechterhaltung des Streitpatents mit den Ansprüchen gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge I bis III.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie beantragte ferner, die Hilfsanträge I bis III nicht zum Verfahren zuzulassen.
XIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin, die von Relevanz für die vorliegende Entscheidung sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D9 als dem nächstliegenden Stand der Technik:
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D9 darin, dass mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen, und 15 Vol.-% bis 25 Vol.-% C4- und C5-Isoalkane in der Zusammensetzung enthalten sind.
- Diese Unterscheidungsmerkmale stellten eine Balance zwischen höher und niedrig siedenden Komponenten dar.
- Die Kombination beider Unterscheidungsmerkmale führe zu einer Verbesserung des Betriebsverhaltens des Verbrennungsmotors. Das erste Unterscheidungsmerkmal bewirke eine Verbesserung des "Rich Come Down" (RCD) Verhaltens. Durch das zweite Unterscheidungsmerkmal werde eine Verbesserung des Beschleunigungsverhaltens so wie des Startverhaltens erhalten.
- Die objektive technische Aufgabe liege somit in der Bereitstellung einer Kraftstoffzusammensetzung, die diese Verbesserungen erreicht.
- Weder in D9 noch in D2 sei ein Hinweis enthalten, der den Fachmann veranlasst hätte, den Anteil an höher siedenden Komponenten anspruchsgemäß zu erhöhen, damit das RCD-Verhalten verbessert werde.
- Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D2 als dem nächstliegenden Stand der Technik:
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D2 darin, dass mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen, und 75 Vol.-% C4- bis C14-Isoalkane in der Zusammensetzung enthalten sind.
- Das erste Unterscheidungsmerkmal bewirke eine Verbesserung des RCD-Verhaltens. Die objektive technische Aufgabe liege somit in der Bereitstellung einer Kraftstoffzusammensetzung, die diese Verbesserung erreicht.
- Weder in D2 noch in D9 sei ein Hinweis enthalten, der den Fachmann veranlasst hätte, eine Zusammensetzung mit einem anspruchsgemäßen Siedeverlauf bereitzustellen, damit das RCD-Verhalten verbessert werde.
- Auch ausgehend von D2 beruhe somit der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
XIV. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, die von Relevanz für die vorliegende Entscheidung sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D9 als dem nächstliegenden Stand der Technik:
- D9 offenbare eine Zusammensetzung, bei der 75% der Komponenten bei Temperaturen oberhalb von 150°C verdampften. Diese Offenbarung impliziere, dass 25% der Zusammensetzung auch oberhalb von 110°C verdampften, so wie von Anspruch 1 verlangt werde.
- Es gebe keinen Grund, der den Fachmann daran gehindert hätte, mit dieser Zusammensetzung zu arbeiten. Ausgehend von dieser spezifischen Ausführungsform unterscheide sich die beanspruchte Zusammensetzung lediglich im Gehalt an C4-bis C5-Isoalkanen.
- Anspruch 1 sei zu breit formuliert, um jegliche Wirkung gegenüber D9 zu zeigen. Der Siedeverlauf nach D9 sei nämlich viel spezifischer als der gemäß Anspruch 1. Gemäß der Lehre im Streitpatent ließen sich das Beschleunigungs- und Startverhalten nur mit sehr speziellen Kraftstoffzusammensetzungen verbessern.
- Die objektive technische Aufgabe liege somit in der Bereitstellung einer alternativen isoalkanreichen Zusammensetzung.
- Selbst unter der Annahme, dass der Gehalt an C4- bis C5-Isoalkanen das Startverhalten des Motors verbessern würde, sei diese Wirkung, insbesondere in Verbindung mit dem Zusatz von Isopentan, aus Beispiel 1 der D2 bekannt. Die Kombination der D9 mit der D2 führe den Fachmann somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D2 als dem nächstliegenden Stand der Technik:
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D2 darin, dass mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen, und dass die Kraftstoffzusammensetzung mindestens 75 Vol.-% C4- bis C14-Isoalkane enthält.
- Anspruch 1 sei zu breit formuliert, um jegliche Wirkung von diesen Unterscheidungsmerkmalen über die gesamte Anspruchsbreite zu rechtfertigen. Insbesondere sei eine Verbesserung des RCD-Verhaltens im Streitpatent nur in Verbindung mit sehr speziellen Kraftstoffzusammensetzungen beschrieben.
- Die objektive technische Aufgabe liege somit in der Bereitstellung einer alternativen Zusammensetzung.
- D9 lege generelle Anforderungen für Kraftstoffe fest, die auch für die Zusammensetzungen von D2 anwendbar seien. Die Erfindung von D2 sei nämlich auf keine spezielle Kraftstoffzusammensetzung begrenzt. Bei der Anwendung der Anforderungen gemäß D9 auf die Zusammensetzungen der D2 würde der Fachmann routinemäßig und ohne erfinderisches Zutun zu einer Zusammensetzung nach Anspruch 1 gelangen.
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
XV. Da die Beschwerdegegnerin ihren Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ zurückgenommen hat (XI oben), erübrigt sich eine Entscheidung der Kammer hinsichtlich der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung.
Hauptantrag - das Streitpatent in erteilter Fassung - Einspruchsgrund unter Artikel 100 a) EPÜ - erfinderische Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ
1. Der nächstliegende Stand der Technik
1.1 Die Beschwerdegegnerin und die Einspruchsabteilung (angefochtenen Entscheidung, Seiten 8 bis 12, Punkte 6 und 7) sahen beide Dokumente D2 und D9 als geeignete Ausgangspunkte für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an.
1.2 Die Beschwerdeführerin bestritt zwar, dass D9 den nächstliegenden Stand der Technik darstellen könne. Sie argumentierte jedoch hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von beiden Dokumenten D2 und D9 als nächstliegendem Stand der Technik.
1.3 Die Kammer merkt an, dass D9 ein einseitiges Dokument ist, das in tabellarischer Form die Anforderungen für Sonderkraftstoffe offenbart. Mehrere Eigenschaften dieser Kraftstoffe so wie die Vorgaben für jede der genannten Eigenschaften und die Norm, die für die Prüfung der genannten Eigenschaften anzuwenden ist, werden in D9 offenbart. Sonderkraftstoffe werden zum Beispiel im Forstbereich eingesetzt. Auch das Streitpatent (Absätze [0022] und [0029]) geht von solchen Sonderkraftstoffen aus und sieht (Absatz [0014]) den Einsatz der erfindungsgemäßen Kraftstoffzusammensetzungen im Forstbereich vor. Außerdem werden in D9 der Siedeverlauf, der Zweitakt-Öl Anteil und die Researched (Erforschte)-Oktanzahl (ROZ) der Sonderkraftstoffe erwähnt. Diese Eigenschaften sind auch Merkmale des erteilten Anspruchs 1.
1.4 Das Dokument D2 (Seite 1, Zeilen 14 bis 18 und 51 bis 71) offenbart Kraftstoffzusammensetzungen für Zweitaktmotoren, die ein verbessertes Kaltstartverhalten zeigen. Dies ist auch ein im Streitpatent verfolgtes Ziel (Absätze [0015] und [0032]). Außerdem beschreiben Beispiel 1 und Tabelle 1 auf Seiten 4 und 5 der D2 eine Kraftstoffzusammensetzung, welche 16.3 Vol% Isopentan (dies ergibt sich aus 1.3 Vol% Isopentangehalt im "base fuel" (Seite 4, Zeile 9) und dem gemäß Tabelle 1 dazu gegebenen 15 Vol% Isopentan) und 1.9 Vol% verzweigtes Hexan (Seite 4, Zeilen 9 bis 10) und somit 18.2 Vol% C4 bis C14 Isoalkane enthält. Der Isopentangehalt von 16.3 Vol% liegt innerhalb des in Anspruch 1 für die C4-bis C5-Isoalkane geforderten Gehalts von 15 bis 25 Vol%. Die Zusammensetzung gemäß Beispiel 1 der D2 enthält zusätzlich ein Schmieröl.
1.5 Aus den oben genannten Gründen sind beide Dokumente D9 und D2 geeignet, den nächstliegenden Stand der Technik darzustellen.
D9 als nächstliegender Stand der Technik
2. Es bestand zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass die in Anspruch 1 definierte Kraftstoffzusammensetzung sich von D9 zumindest darin unterscheidet, dass sie 15 Vol.-% bis 25 Vol.-% C4- und C5-Isoalkane enthält. Der Gehalt an C4-bis C5-Isoalkanen wird in D9 nicht offenbart.
2.1 Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, dies sei das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen der beanspruchten Kraftstoffzusammensetzung und D9. Diesbezüglich verwies sie auf den in D9 beschriebenen Siedeverlauf. Hier sei eine Ausführungsform explizit offenbart, bei der genau 75% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 150°C verdampften. Diese Offenbarung impliziere, dass 25% der Kraftstoffzusammensetzung auch oberhalb von 110°C verdampften, so wie von Anspruch 1 verlangt werde. Ausgehend von dieser spezifischen Ausführungsform unterscheide sich die beanspruchte Zusammensetzung lediglich im Gehalt an C4-bis C5-Isoalkanen.
2.2 Das Dokument D9 (Zeile 15 der Tabelle) offenbart unter anderem eine Vorschrift bezüglich des Siedeverlaufs für Sonderkraftstoffe. Gemäß dieser Vorschrift müssen bei 70°C 15 bis 42% der Zusammensetzung, bei 100°C 45 bis 72% und bei 150°C 75% oder mehr verdampft sein. Die Kammer erkennt zwar an, dass eine hypothetische Kraftstoffzusammensetzung, bei der genau 75% der Komponenten bei 150°C verdampft sind, die Untergrenze des Merkmals von Anspruch 1, dass "mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen (T) oberhalb von 110°C verdampfen", erfüllen würde. Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt und von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wurde, ist diese Möglichkeit allerdings lediglich eine von mehreren denkbaren Ausführungsformen gemäß dem oben genannten in D9 offenbarten Siedeverlauf, von denen nicht alle unter das oben genannte Merkmal des Anspruchs 1 fallen. Tatsache ist, dass nähere Informationen über die Form der möglichen Siedelinien, insbesondere im Temperaturbereich von 100°C bis 150°C, in D9 nicht enthalten sind.
2.3 Es ist somit eine Auswahl innerhalb der Offenbarung von D9 notwendig, um das oben genannte Merkmal des Anspruchs 1 bezüglich des Siedeverlaufes zu erfüllen.
2.4 Somit ist auf der Grundlage der D9 eine doppelte Auswahl notwendig, um zu einem unter den Anspruch 1 fallenden Gegenstand zu gelangen, nämlich dahingehend, dass
a) 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 150°C verdampfen, und dass
b) 15 Vol.-% bis 25 Vol.-% C4- und C5-Isoalkane in der Zusammensetzung enthalten sind.
2.5 Von der Einspruchsabteilung (Punkt 6.3.3 der Entscheidungsgründe) wurde die Auffassung vertreten, dass hinsichtlich des Siedeverlaufs (Auswahl a) oben) keine Auswahl erforderlich sei, da ein anspruchsgemäßer Siedeverlauf an der in D9 offenbarten Bereichsgrenze (75% oder mehr ist bei 150°C verdampft) auf jeden Fall erfüllt sei. Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. Wie oben in Punkt 2.2 ausgeführt, ist es zwar zutreffend, dass an der in D9 offenbarten Bereichsgrenze das anspruchsgemäße Siedeverlaufskriterium erfüllt ist. Jedoch offenbart D9 diese Grenze nicht als einzige Möglichkeit. Im Gegenteil stellt diese Grenze als Teil eines Bereiches einen einzigen von zahlreichen weiteren Werten dar, die im Übrigen einen anspruchsgemäßen Siedeverlauf ausschließen. Es muss somit unzweifelhaft eine von mehreren möglichen Siedeverläufen ausgewählt werden, um zum Anspruchsmerkmal zu gelangen.
3. Die technische Aufgabe
3.1 Die Beschwerdeführerin verwies auf die Absätze [0010] und [0015] des Streitpatents. Die Kombination beider Unterscheidungsmerkmale führe zu einer Verbesserung des Betriebverhaltens des Verbrennungsmotors. Insbesondere führe der Anteil an höher siedenden, bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfenden Komponenten von mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung (Unterscheidungsmerkmal a)) zu einem verbesserten Betriebverhalten beim "Rich Come Down" (RCD) gegenüber bekannten unter den Siedeverlauf der D9 fallenden Kraftstoffzusammensetzungen. Durch den Anteil an niedrig siedenden Komponenten (15 Vol.-% bis 25 Vol.-% C4- und C5-Isoalkane, Unterscheidungsmerkmal b)) ergebe sich eine Verbesserung des Beschleunigungsverhaltens so wie des Startverhaltens.
3.2 Die Beschwerdegegnerin vertrat hingegen die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 zu breit sei, um jegliche technische Wirkung der oben genannten Unterscheidungsmerkmale a) und b) zu rechtfertigen. Der Siedeverlauf nach D9 sei viel spezifischer als der gemäß Anspruch 1. Gemäß der Lehre im Streitpatent ließe sich insbesondere das RCD-Verhalten nur mit sehr speziellen Kraftstoffzusammensetzungen verbessern. Sie verwies auf Absätze [0015] und [0023] bis [0026] des Streitpatents.
3.3 Nachfolgend geht die Kammer zugunsten der Beschwerdegegnerin davon aus, dass Unterscheidungsmerkmal b) tatsächlich mit keinem technischen Effekt verbunden ist und somit eine willkürliche Auswahl darstellt. Es bleibt daher zu untersuchen, ob Unterscheidungsmerkmal a) die erfinderische Tätigkeit begründen kann.
3.3.1 Das RCD (Streitpatent, Absätze [0030] und [0031]) stellt das Verzögern eines Verbrennungsmotors aus der Volllast dar, wenn die Drosselklappe im Ansaugkanal schlagartig geschlossen wird. Dabei erfolgt eine starke Anfettung des Kraftstoff/Luft-Gemisches im Vergaser des Verbrennungsmotors, die einen starken Drehzahlabfall bewirkt.
3.3.2 Wie von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung ausgeführt und von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wurde, bewirkt ein größerer Anteil an höher siedenden Komponenten eine niedrigere Anfettung des Kraftstoff/Luft-Gemisches, weil ein niedrigerer Anteil der Kraftstoffzusammensetzung verdampft. Bei einer solchen niedrigeren Anfettung ist der Drehzahlabfall weniger stark, was zu einer Verbesserung des RCD-Verhaltens führt.
Die Kammer findet daher die im Absatz [0010] des Streitpatents beschriebene Lehre glaubhaft: das oben genannte Unterscheidungsmerkmal a) des Anspruchs 1 bewirkt eine Verbesserung des RCD-Verhaltens von Kraftstoffzusammensetzungen gegenüber solchen, die das anspruchsgemäße Siedeverlaufskriterium nicht erfüllen und unter den Siedeverlauf nach D9 fallen (Punkt 2.2 oben), d. h. die weniger als 25 Vol.-% Komponenten enthalten, die bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen.
3.4 Aus diesem Grund liegt ausgehend von D9 und unabhängig von der bestrittenen Wirkung des zweiten Unterscheidungsmerkmals b), die objektive technische Aufgabe zumindest in der Bereitstellung einer Kraftstoffzusammensetzung, die eine Verbesserung des RCD-Verhaltens des Motors bewirkt.
4. Naheliegen der beanspruchten Lösung
4.1 Als Lösung der oben genannten technischen Aufgabe schlägt das Streitpatent eine Kraftstoffzusammensetzung nach dem erteilten Anspruch 1 vor, wobei mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen.
4.2 Wie oben in den Punkten 2.1 und 2.2 ausgeführt, würde eine Kraftstoffzusammensetzung, bei der genau 75% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 150°C verdampfen, eine anspruchsgemäße Lösung darstellen, weil 25% der Kraftstoffzusammensetzung gleichzeitig oberhalb von 110°C verdampfen würden.
Es ist allerdings in D9 kein Hinweis enthalten, dass gerade eine solche Kraftstoffzusammensetzung zu einer Verbesserung des RCD-Verhaltens führen würde. Das RCD-Verhalten wird in D9 überhaupt nicht erwähnt.
4.3 Der mit der Lösung der oben genannten technischen Aufgabe befasste Fachmann wäre somit durch D9 nicht veranlasst gewesen, eine Kraftstoffzusammensetzung in D9 auszuwählen, bei der 25% der Zusammensetzung oberhalb von 110°C verdampfen.
4.4 Als Kombinationsdokument hat die Beschwerdegegnerin D2, insbesondere dessen Beispiel 1, herangezogen, allerdings nur in Verbindung mit dem zweiten oben genannten Unterscheidungsmerkmal, nämlich einem Gehalt von 15 Vol.-% bis 25 Vol.-% an C4- und C5-Isoalkanen.
Das Dokument D2 erwähnt die Problematik des RCD-Verhaltens nicht. Auch der Siedeverlauf der beschriebenen Kraftstoffzusammensetzungen, insbesondere der im Beispiel 1 (Punkt 1.4 oben) aufgeführten Zusammensetzungen, wird in D2 nicht offenbart.
Der Fachmann hätte daher auch in D2 keine Anregung gefunden, die ihn veranlasst hätte, in D9 eine Kraftstoffzusammensetzung mit einem anspruchsgemäßen Siedeverlauf auszuwählen.
4.5 Aus den oben genannten Gründen ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass selbst wenn zugunsten der Beschwerdegegnerin angenommen wird, dass Unterschied b) mit keinem technischen Effekt verbunden ist, ausgehend von D9 und unter Berücksichtigung der Offenbarung in D2 der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.
D2 als nächstliegender Stand der Technik
5. Die technische Aufgabe
5.1 Zwischen den Parteien herrschte Einigkeit, dass sich Anspruch 1 von D2 (Beispiel 1 und Tabelle 1 auf Seiten 4 und 5) dadurch unterscheidet, dass
- mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen, und
- die Kraftstoffzusammensetzung mindestens 75 Vol.-% C4- bis C14-Isoalkane enthält.
5.2 Aus den unter Punkt 3.3 oben ausgeführten Gründen führt das erste der oben genannten Unterscheidungsmerkmale zu einer Verbesserung des RCD-Verhaltens.
Ausgehend von D2 und unabhängig von einer Wirkung des zweiten oben genannten Unterscheidungsmerkmals (Gehalt an C4- bis C14-Isoalkanen) liegt somit die objektive technische Aufgabe zumindest in der Bereitstellung einer Kraftstoffzusammensetzung, die eine Verbesserung des RCD-Verhaltens des Motors bewirkt.
6. Naheliegen der beanspruchten Lösung
6.1 Als Lösung der oben genannten technischen Aufgabe schlägt das Streitpatent eine Kraftstoffzusammensetzung gemäß erteiltem Anspruch 1 vor, wobei mindestens 25 Vol.-% der Kraftstoffzusammensetzung bei Temperaturen oberhalb von 110°C verdampfen.
6.2 Die Beschwerdegegnerin hat D9 als Kombinationsdokument herangezogen. D9 lege generelle Anforderungen für Kraftstoffe fest, die auch für die Zusammensetzungen von D2 anwendbar seien. In der Tat sei die Erfindung von D2 auf keine spezielle Kraftstoffzusammensetzung begrenzt, siehe Seite 1, Zeilen 72 bis 77 der D2. Bei der Anwendung der Anforderungen gemäß D9 an die Zusammensetzungen der D2 sei der Fachmann routinemäßig und ohne erfinderisches Zutun zu einer Zusammensetzung nach Anspruch 1 gelangt.
6.3 Die Kammer merkt an, dass D9 Anforderungen für Sonderkraftstoffe offenbart. Es ist somit entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin fraglich, ob der Fachmann, ausgehend von der D2, die sich mit Normalbenzinen beschäftigt (Seite 1, Zeilen 64 bis 77), überhaupt D9 für die Lösung der gestellten technischen Aufgabe in seine Überlegungen einbezogen hätte. Aber auch unter Berücksichtigung der D9 hätte der mit der Lösung der oben genannten technischen Aufgabe befasste Fachmann in diesem Dokument keinen Hinweis gefunden, der ihn veranlasst hätte, die Zusammensetzungen von D2 derart abzuändern, dass sie einen Siedeverlauf nach Anspruch 1 aufweisen. In der Tat enthält D9 keinen Hinweis, dass ein unter Anspruch 1 fallender Siedeverlauf zur Verbesserung des RCD-Verhaltens führen könnte.
6.4 Ausgehend von D2 und unter Berücksichtigung der Offenbarung in D9 beruht daher der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
Schlussfolgerung
7. Aus den oben genannten Gründen ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt. Der gleiche Schluss trifft für den Gegenstand der Ansprüche 2 bis 11 zu, die spezielle Ausführungsformen der Kraftstoffzusammensetzung nach Anspruch 1 definieren. Der Gegenstand der Ansprüche 2 bis 11 erfüllt somit auch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin ist daher gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten.