T 0093/17 27-01-2021
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KUPPLUNGSSCHEIBE
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 2A die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, legten sowohl die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 1) als auch die Einsprechende (Beschwerdeführerin 2) Beschwerde ein.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass das Patent wie erteilt nicht neu gegenüber Dokument D7 sei.
III. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin 2 beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
IV. Die folgenden Entgegenhaltungen werden verwendet:
D6: FR 2 817 002 A1
D7: WO 2011/083280 A1
D8: FR 2 565 306 A1
D9: FR 2 772 851 A1
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt; mit Merkmalsgliederung aus der angefochtenen Entscheidung) lautet:
a) "Kupplungsscheibe (10) für eine Kupplungseinrichtung
b) mit zwei Reibbelägen (11)
c) und einer dazwischen angeordneten Federvorrichtung (18),
d) wobei die Reibbeläge (11) gegen die Kraft der Federvorrichtung (18) zusammendrückbar sind,
e) wobei an den Innenseiten der beiden Reibbeläge (11) zumindest teilweise überdeckende Aussparungen (14) ausgebildet sind,
f) die Federvorrichtung (18) eine Mehrzahl ebener Federbleche (19) umfasst, die derart positioniert sind, dass sie die übereinstimmenden Aussparungen (14) überspannen
dadurch gekennzeichnet, dass
g) in dem Bereich der übereinstimmenden Aussparungen (14) Abstandselemente (20, 33) zwischen den Federblechen (19) positioniert sind."
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin 2 lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber D6
D6 offenbare in den Figuren 11 und 12 alle Merkmale von Anspruch 1 des erteilten Patents. Insbesondere stellten die radialen Arme ("branches" 76) der Trägerbleche ("éléments der renfort" 74) eine Federvorrichtung sowie ebene Federbleche dar, die die übereinstimmenden Aussparungen (72) an den Innenseiten der Reibbeläge überspannten.
Der Begriff "überspannen" sei breit auszulegen, und die Federbleche überspannten die Aussparungen zumindest in radialer Richtung vollständig.
Neuheit gegenüber D7
D7 offenbare ebenfalls alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags.
Dabei bildeten die als "clinquants" (24, Figur 1) bezeichneten ebenen Bleche eine zwischen den Reibbelägen angeordnete Federvorrichtung, gegen deren Kraft die Reibbeläge zusammendrückbar seien. Denn die "clinquants" 24 entsprächen den Trägerblechen des im Streitpatent und des in D9 beschriebenen Standes der Technik. Sowohl das Streitpatent (Absatz [0003]) als auch D9 (Seite 2, Zeilen 16-34) offenbarten, dass sich die Reibbeläge entgegen der elastischen Rückstellkraft ihrer Trägerbleche verformen könnten. Die Trägerbleche seien daher inhärent elastisch, und könnten deshalb als Federbleche mit einer Federfunktion aufgefasst werden.
Diese Federbleche überspannten zudem übereinstimmende Aussparungen (32, Figur 6) in den Reibbelägen und seien dort durch Abstandselemente in Form der Stützelemente ("éléments der support" 16) einer zentralen Lagerscheibe (14) voneinander beabstandet.
Erfinderische Tätigkeit, D8 + D6
Anspruch 1 unterscheide sich von der Kupplungsscheibe der D8 nur durch Merkmal g. Gemäß Absatz [0011] (gemeint ist Absatz [0012]) des Streitpatents löse dieses Unterschiedsmerkmal die Aufgabe einer gleichmäßigeren Druckverteilung auf die Reibbeläge.
Auch die D6 befasse sich mit dieser Aufgabenstellung (Seite 5, Zeilen 22-29). Sie löse diese durch zwischen beidseitigen Federblechen (Arme 76 der Trägerbleche 74) im Bereich übereinstimmender Aussparungen (72) positionierte Abstandselemente in Form der Flügel (42) und Füße (54, 55) der Lagerscheibe (28). Daher hätte der Fachmann auf naheliegende Weise Abstandselemente zwischen Federblechen angeordnet, die die in Figur 2 der D8 gezeigten übereinstimmenden Aussparungen (17, 25) der Reibbeläge überspannten. Anspruch 1 beruhe folglich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin 1 lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber D6
Die Versteifungsbleche (74) der D6 stellten weder Federbleche einer Federvorrichtung dar, noch "überspannten" sie die Aussparungen (72). Der Begriff "überspannen" sei im Zusammenhang mit einer Aussparung so zu verstehen, dass sich die Federbleche beiderseits der Aussparung abstützten, ohne darin anzuliegen, so wie eine Brücke ein Tal überspanne.
Neuheit gegenüber D7
Bei den "clinquants" (24) der D7 handele es sich nicht um Federbleche einer Federvorrichtung gemäß den Merkmalen c, d und f von Anspruch 1.
Zum einen seien die "clinquants" 24 dünne Metallfolien, die verhindern sollten, dass sich die Stützelemente 16 der zentralen Lagerscheibe 14 in das Reibmaterial einarbeiteten (Seite 5, Zeilen 19-27). Eine elastische Eigenschaft und Funktion der Folien sei hingegen nicht offenbart.
Zum anderen betrachte die D7 die mit dem Reibmaterial verklebten Folien als Bestandteile der Reibbeläge selbst (D7, Klammer bei 18, Figur 1, Seite 5, Zeilen 13-19). Sie könnten daher nicht als Komponenten einer "dazwischen" angeordneten Federvorrichtung nach Merkmal c aufgefasst werden.
Erfinderische Tätigkeit, D8 + D6
D8 offenbare zwar einen Kupplungsscheibe mit den Merkmalen a-f. Die Bereiche übereinstimmender Aussparungen würden jedoch jeweils nur von einem einzigen Federblech überspannt. Die Versteifungsbleche der D6 hingegen lägen in den Aussparungen an und überspannten diese nicht. Es sei daher nicht ersichtlich, wie der Fachmann ausgehend von D8 aufgrund der Aufgabenstellung und der Offenbarung der D6 zu in dem Bereich der übereinstimmenden Aussparungen "zwischen den Federblechen" positionierten Abstandselementen gemäß dem Unterscheidungsmerkmal g hätte gelangen können.
VIII. Auf Antrag beider Parteien hatte die Kammer einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Nachdem die Beschwerdeführerin 2 angekündigt hatte, nicht teilnehmen zu können, und ausdrücklich keinen Verlegungsantrag gestellt hatte, entschied die Kammer im schriftlichen Verfahren.
1. Neuheit gegenüber Dokument D6
1.1 D6 offenbart unstreitig eine Kupplungsscheibe für eine Kupplungseinrichtung ("disque de friction" 24, Seite 1, Zeilen 3-7, Figuren 11 und 12) mit zwei Reibbelägen ("garnitures de frottement" 30, 32), wobei an den Innenseiten der Reibbeläge zumindest teilweise überdeckende Aussparungen ("zones d'épaisseur reduite" 72, Figuren 11 und 12) ausgebildet sind (Merkmale a, b und e von Anspruch 1).
1.2 Die Beschwerdeführerin 2 sieht in den radial verlaufenden Armen (76) der Träger- oder Verstärkungsbleche ("éléments de renfort" 74) ebene Federbleche einer Federvorrichtung. Diese überspannten zudem die übereinstimmenden Aussparungen (72) (Merkmal f).
1.2.1 Der Begriff "überspannen" in Merkmal f ist, bezogen auf "Aussparungen", so zu verstehen, dass das überspannende Element zwischen den erhöhten Rändern der Aussparung aufgespannt ist, ohne darin anzuliegen, so wie eine Brücke ein Tal "überspannt".
1.2.2 Die Arme (76) der Trägerbleche (74) liegen, wie in Figur 12 und auf Seite 17, Zeilen 4 und 5, der D6 offenbart, nicht auf den erhöhten Rändern der Aussparungen auf, sondern liegen jeweils flächig in den Aussparungen an. Auch wenn die Trägerbleche, wie von der Beschwerdeführerin 2 vorgetragen, die Aussparung in radialer Richtung vollständig überdecken, "überspannen" sie diese daher nicht.
1.2.3 Folglich offenbart D6 zumindest nicht das Merkmal f.
1.3 Daher ist Anspruch 1 des erteilten Patents neu gegenüber D6.
2. Neuheit gegenüber Dokument D7
2.1 D7 offenbart eine Kupplungsscheibe für eine Kupplungseinrichtung (Seite 1, Zeilen 4-6) mit zwei Reibbelägen ("garnitures de friction" 18, Figur 1; Seite 5, Zeilen 13-18), also Merkmale a und b von Anspruch 1.
2.2 Die Reibbeläge der D7 bestehen gemäß Seite 5, Zeilen 13-18, jeweils aus einem Reibmaterial (20; optional mit einem Anbauelement 33 wie in Figur 6), welches mit einem "clinquant" (24) verklebt ist.
2.3 Die Beschwerdeführerin 2 sieht in den "clinquants" der D7 Trägerbleche, die inhärent elastisch seien. Sie trug vor, im Falle eines Verzugs der Reibbeläge oder Anpressplatten würden die Reibbeläge beim axialen Anpressvorgang (Einkuppeln) daher gegen die elastische Rückstellkraft der Trägerbleche zwischen den Anpressplatten zusammengedrückt. Somit stellten die Trägerbleche Federbleche (Merkmal f) einer Federvorrichtung dar, gegen deren Kraft die Reibbeläge zusammendrückbar seien (Merkmale c und d).
2.4 Allerdings werden die "clinquants" in der D7 als dünne Metallfolien oder -blätter ("feuille de matériau métallique mince", Seite 5, Zeilen 19-22) beschrieben. Ihre Funktion liegt darin, zu verhindern, dass sich die Stützelemente 16 einer zentralen Lagerscheibe 14 in das Reibmaterial einarbeiten (Seite 5, Zeilen 19-27).
Aus dieser Offenbarung lässt sich nicht ableiten, dass die "clinquants" eine besondere Biegesteifigkeit oder Elastizität aufweisen oder die Funktion eines Trägerbleches übernehmen könnten. Folglich sind die "clinquants" unmittelbar und eindeutig weder als Federbleche noch als fachübliche Trägerbleche offenbart. Somit ist auch die Argumentation der Beschwerdeführerin 2, als Trägerbleche erfüllten die "clinquants" die Merkmale c, d und f, hinfällig.
2.5 Die Tatsache, dass die "clinquants" keine Federbleche einer Federvorrichtung darstellen, wird auch dadurch untermauert, dass die Funktion der Merkmale c, d und f von Anspruch 1 in der D7 ausdrücklich durch eine andere Baugruppe, nämlich durch die zentrale Lagerscheibe (14) mit ihren Stützelementen (16) übernommen wird (Seite 5, Zeilen 5-8). Deswegen stellen nicht die "clinquants", sondern die ausdrücklich mit der entsprechenden Funktion offenbarte Lagerscheibe die anspruchsgemäße "Federvorrichtung" dar.
Da in D7 zwischen den Federblechen (Stützelementen 16) der Federvorrichtung (Lagerscheibe 14) keine Abstandselemente vorhanden sind, erfüllt diese das Merkmal g nicht.
2.6 Da D7 folglich nicht alle Merkmale von Anspruch 1 offenbart, ist sein Gegenstand neu gegenüber D7.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Dokument D8 offenbart eine Kupplungsscheibe für eine Kupplungseinrichtung mit den Merkmalen a-f, mit zwei Reibbelägen (12, Figur 1) und einer dazwischen angeordneten Federvorrichtung (flache Metallscheibe 10 mit elastischen Abschnitten 11), wobei die Reibbeläge gegen die Kraft der Federvorrichtung zusammendrückbar sind (Figuren 2-4; Seite 4, Zeilen 12-22). An den Innenseiten beider Reibbeläge sind zumindest teilweise überdeckende, übereinstimmende Aussparungen (17, 25, Figur 2) ausgebildet, die von ebenen Federblechen (11) der Federvorrichtung überspannt werden (Figur 2).
3.2 Anspruch 1 unterscheidet sich folglich von der Kupplungsscheibe der D8 durch Merkmal g.
3.3 Gemäß [0012] des Streitpatents löst dieses Unterscheidungsmerkmal die Aufgabe, eine gleichmäßigere Verteilung des Anpressdrucks auf die Reibbeläge zu erzielen.
3.4 Zur Lösung dieser Aufgabe hätte der Fachmann die D6 zu Rate gezogen, da diese eine ähnliche Aufgabenstellung bearbeitet (Seite 5, Zeilen 22-29).
3.5 Zu deren Lösung schlägt die D6 eine Federvorrichtung in Form einer Lagerscheibe (28, Figur 1) mit axial versetzten ebenen Flügeln (42) vor (Seite 5, Zeile 30 - Seite 6, Zeile 4).
Zu der in D6 vorgeschlagenen Lösung gehört weiter, dass die Reibbeläge an ihrer Innenseite auf den ihnen zugewandten Flügeln (42) fixiert sind, während diejenigen Bereiche der Reibbeläge, die nicht der Befestigung dienen, Zonen geringerer axialer Dicke (Aussparungen 72 an ihren Innenseiten) aufweisen (Seite 6, Zeilen 4-14).
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin 2 hätte der Fachmann auch die als Weiterbildung in der D6 offenbarten sternförmigen Versteifungsbleche (74, 76) übernommen, die in den Aussparungen anliegen, weil diese ausdrücklich eine homogenere Druckverteilung bezwecken (Seite 6, Zeilen 15-26; Seite 17, Zeilen 1-5; Figuren 11 und 12).
3.6 Dem steht allerdings entgegen, dass der Fachmann, selbst wenn er eine solch erhebliche Veränderung bzw. Ersetzung der in der D8 offenbarten Federvorrichtung vorgenommen hätte, nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt wäre. Denn wie bereits unter Punkt 1.2.2 dargelegt liegen die Arme (76) der Trägerbleche der D6, in der die Beschwerdeführerin 2 die beanspruchten ebenen Federbleche erkennt, in den Aussparungen an und "überspannen" diese daher nicht (Merkmal f).
3.7 Der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents beruht daher ausgehend von D8 in Kombination mit D6 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Folglich steht keiner der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung entgegen.
5. Diese Entscheidung konnte die Kammer im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung treffen. Die Erklärung der - in diesem Verfahren unterlegenen - Beschwerdeführerin 2, an der angesetzten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen zu können, und ihr ausdrücklicher Verzicht auf die Verlegung der mündlichen Verhandlung ist als Rücknahme ihres Antrags auf mündliche Verhandlung zu werten. Die Beschwerdeführerin 2 hat sich damit dafür entschieden, sich nur auf ihr schriftliches Vorbringen zu stützen. Der Antrag auf mündliche Verhandlung der obsiegenden Beschwerdeführerin 1 war nicht relevant.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Einspruch wird zurückgewiesen.