T 0446/17 06-07-2021
Download und weitere Informationen:
VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUM AUFBEREITEN VON WARMWALZGUT
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
I. Das europäische Patent EP 2 416 900 B1 (im Folgenden: das Patent) betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Aufbereiten von Warmwalzgut vor einer Umformung in wenigstens einem Walzgerüst oder einer Walzstaffel.
II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und ihn auf den Grund des Artikels 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ gestützt.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass das Patent in geändertem Umfang auf Basis des während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 23. November 2016 eingereichten Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
V. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (die Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent gemäß Hilfsantrag 1 (= Hilfsantrag 1 vom 3. April 2014) oder Hilfsantrag 2 (= Hilfsantrag 1a vom 13. September 2016) in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten. Der in der angefochtenen Entscheidung als Hilfsantrag 1 adressierte Antrag bildet daher den Hauptantrag dieses Beschwerdeverfahrens.
VI. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit. Insbesondere wies sie darauf hin, dass
- sie unter Ausübung des Ermessens nach Artikel 12(4)
VOBK 2007 beabsichtige, die Dokumente D15 bis D21 im Verfahren unberücksichtigt zu lassen,
- der in Anspruch 1 definierte Gegenstand weder
ausgehend von D10 unter Berücksichtigung von D1 noch ausgehend von D5 unter Berücksichtigung von D3 naheliegend sei,
- sie nicht beabsichtige, die alternativen
Angriffslinien ausgehend von D7, D8 und D9 zu erörtern, da deren Offenbarungsgehalt im Wesentlichen dem von D10 entspreche.
VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 6.Juli 2021 statt. Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
VIII. Wortlaut der unabhängigen Ansprüche
Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Aufbereiten von Warmwalzgut (6), beinhaltend die Schritte
- Erwärmen eines Walzguts (6) in einem
Induktionsofen (7);
- Entzundern des erwärmten Walzguts (10);
- Walzen des entzunderten Walzguts (14) in einem
Walzgerüst oder einer Walzstaffel (16), wobei das erwärmte Walzgut (10) durch wenigstens einen
rotierenden Wasserstrahl aus einem Rotor einer Rotations-Entzunderungseinrichtung (13) entzundert wird;
- wenigstens jeweils eine Temperatur des
entzunderten Walzguts (14) mittels einer Temperaturmesseinrichtung erfasst und einem Regler zugeführt wird;
- der Regler (18) unter Zuhilfenahme eines
Regelgesetzes und unter Berücksichtigung einer Soll-Temperatur wenigstens eine Stellgröße ermittelt und einem Regelorgan zuführt, wobei wenigstens ein Induktor (8, 9) des Induktionsofens (7) so angesteuert wird, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts (14) der Soll-Temperatur möglichst entspricht."
Anspruch 9 gemäß Hauptantrag ist gerichtet auf eine
"Vorrichtung (1) zum Aufbereiten von Warmwalzgut vor einer Umformung in wenigstens einem Walzgerüst oder einer Walzstaffel (16), aufweisend einen Induktionsofen (7), nachfolgend eine Entzunderungseinrichtung und wenigstens ein Walzgerüst,
- wobei die Entzunderungseinrichtung als Rotations-
Entzunderungseinrichtung (13) ausgeführt ist und wenigstens einen Rotor (23) mit jeweils wenigstens einer mit Wasser beaufschlagbaren rotierenden Düse aufweist;
- wobei vor einem ersten Walzgerüst, aber hinter der
Entzunderungseinrichtung eine Temperaturmessein-richtung zur Messung der Temperatur des Walzguts (14) angeordnet ist; und
- wobei die Vorrichtung (1) eine
Regeleinrichtung (18) zur Regelung der Temperatur des Walzguts aufweist, wobei die Regeleinrichtung (18) mit der Temperaturmesseinrichtung und mindestens einem Induktor des Induktionsofens verbunden ist und den wenigstens einen
Induktor (8, 9) so ansteuert, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts (14) einer Soll-Temperatur möglichst entspricht."
Der Wortlaut der weiteren Hilfsanträge 1 und 2 ist für diese Entscheidung unerheblich.
IX. Stand der Technik
Die folgenden Dokumente des Einspruchsverfahrens wurden im Beschwerdeverfahren von den Beteiligten zitiert:
D1: WO 2007/087886 A1;
D3: DE 694 08 595 T2;
D5: JP 2004 136291 A;
D5a: Patent Abstracts of Japan von D5;
D5b: Deutsche Übersetzung der Patentansprüche und
der Figuren von D5;
D7: KR 2005 0009463 A;
D7a: Englische Zusammenfassung von D7;
D8: JP 2004 283846 A;
D8a: Patent Abstracts of Japan von D8;
D8b: Deutsche Übersetzung der Bezugszeichen zu den
Figuren 1 und 4 von D8;
D9: JP 2000 176526 A;
D9a: Patent Abstracts of Japan von D9;
D9b: Deutsche Übersetzung der Bezugszeichen zu den
Figuren 1 und 2 von D9;
D10: JP 10 230 313 A;
D10a: Patent Abstracts of Japan von D10.
In der Beschwerdebegründung verweist die Beschwerdeführerin erstmalig auf folgende Dokumente:
D15: DE 43 28 303 A1;
D16: DE 43 02 331 A1;
D17: DE 195 18 144 C2;
D18: DE 196 13 718 C1;
D19: EP 0 640 413 B1;
D20: WO 97/27955;
D21: WO 2005/082555 A1.
Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin zudem eine Maschinenübersetzung der D5 ins Englische ein (D5c).
X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Zulassung der Dokumente D15 bis D21
Die Einreichung der Dokumente D15 bis D21 sei in Reaktion auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung erfolgt. Die Einspruchsabteilung habe sich den Argumenten der Gegenseite angeschlossen, wonach D10 und D5 jeweils keine Temperaturregelung offenbarten, bei der die Temperatur für das entzunderte Walzgut an einen Sollwert angeglichen werde. Insbesondere die Einreichung von D18 stelle eine Reaktion auf diese Feststellung der Einspruchsabteilung dar, da D18 gerade eine Temperaturregelstrecke offenbare, wie sie von der Einspruchsabteilung als in D10 nicht offenbart angesehen worden sei. D18 und der darauf basierende Angriff der mangelnden erfinderischen Tätigkeit unter Berücksichtigung von D17 seien zudem prima facie hoch relevant und sollten daher im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden.
b) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10 in Kombination mit D1
Dokument D10 offenbare ähnlich dem Patent ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Aufbereiten von Warmwalzgut.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 unterscheide sich von der in Figur 1 von D10 dargestellten Vorrichtung und dem damit beschriebenen Verfahren nur dadurch, dass zusätzlich eine Rotations-Entzunderungseinrichtung eingesetzt werde. Der Einsatz derartiger Einrichtungen zur Erhöhung der Qualität des Walzguts sei dem Fachmann jedoch bekannt und zudem in D1 im Detail beschrieben. Daher liege der Einsatz einer Rotations-Entzunderungseinrichtung gemäß D1 in einer Walzstrasse gemäß D10 nahe. Die Positionierung der Entzunderungseinrichtung in der Vorrichtung gemäß D10 erfolge der Lehre der D1 entsprechend und mit fachmännischem Verständnis zwangsläufig zwischen dem Induktionsofen 6 und dem darauffolgenden Thermometer 8. Damit erfasse das Thermometer 8 unausweichlich auch die Bandtemperatur beim Verlassen der Entzunderungseinrichtung. Folglich werde diese Temperatur dann auch von der Steuereinheit 7 von D10 bei einer Temperaturregelung berücksichtigt.
c) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D5
D5 offenbare ebenfalls ähnlich dem Patent in Figur 1 ein Verfahren und eine Vorrichtung, bei dem eine Entzunderungseinrichtung 6 zwischen einem Ofen 100 und einem Fertigwalzwerk 8 eingesetzt werde. Zudem werde nach der Entzunderungseinrichtung 6 von einem Thermometer 7 die Bandtemperatur erfasst und folglich auch inhärent von der Steuerungseinheit 15 berücksichtigt, die auch den Ofen 100 ansteuere.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 unterscheide sich von der in Figur 1 von D5 dargestellten Vorrichtung und dem damit beschriebenen Verfahren nur dadurch, dass als Entzunderungseinrichtung eine Rotations-Entzunderungseinrichtung und als Ofen ein Induktionsofen eingesetzt werde.
Beides seien übliche und vielfach eingesetzte Anlagenbestandteile einer Walzstrasse, wie D3 belege. Ausgehend von D5 bedürfe der Einsatz einer Rotations-Entzunderungseinrichtung und eines Induktionsofens daher keinerlei erfinderischen Zutuns seitens des Fachmanns.
d) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D9
Dokument D9 offenbare ähnlich dem Patent ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Aufbereiten von Warmwalzgut.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 unterscheide sich von der in Figur 1 von D9 dargestellten Vorrichtung und dem damit beschriebenen Verfahren nur dadurch, dass zusätzlich eine Rotations-Entzunderungseinrichtung eingesetzt werde. Der Einsatz derartiger Einrichtungen zur Erhöhung der Qualität des Walzguts sei dem Fachmann bekannt und in D1 im Detail beschrieben. Daher liege der Einsatz einer Rotations-Entzunderungseinrichtung auch in einer Walzstrasse der D9 nahe. Die Positionierung der Entzunderungseinrichtung in der Walzstrasse der D9 erfolge der Lehre der D1 entsprechend und mit fachmännischem Verständnis zwangsläufig zwischen dem Induktionsofen 1 und dem darauffolgenden Thermometer 5. Damit erfasse das Thermometer 5 auch die Bandtemperatur beim Verlassen der Entzunderungseinrichtung. Folglich werde diese Temperatur dann auch von der Steuereinheit 4 von D9 berücksichtigt.
XI. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin zum Hauptantrag lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Zulassung der Dokumente D15 bis D21
Die erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D15 bis D21 seien verspätet vorgebracht worden. Ein Anlass für die verspätete Einreichung sei nicht erkennbar, da Anspruch 1 im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 nicht geändert worden sei. Die auf den neuen Dokumenten beruhenden Angriffe gegen den Verfahrens-Anspruch 1 und den zu diesem analogen Gegenstands-Anspruch 9 hätten daher von der Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht werden können und sollen. Der Offenbarungsgehalt der neu eingereichten Dokumente sei zudem nicht relevanter als der, den der bereits im Verfahren befindliche Stand der Technik vermittele. Daher sollten die Dokumente D15 bis D21 unberücksichtigt bleiben.
b) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10 in Kombination mit D1
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 unterscheide sich von dem in Figur 1 von D10 beschriebenen Verfahren nicht nur dadurch, dass eine Rotations-Entzunderungseinrichtung eingesetzt werde. Vielmehr sei im Gegensatz zu D10 gemäß den Ansprüchen 1 und 9 zudem eine Regeleinrichtung zur Regelung der Temperatur des Walzguts erforderlich, mit der wenigstens ein Induktor so ansteuert werde, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts einer Soll-Temperatur möglichst entspreche.
Weder D10 noch D1 gebe jeweils einen Hinweis darauf, eine Rotations-Entzunderungseinrichtung ausgerechnet zwischen dem Induktionsofen 6 und dem darauffolgenden Thermometer 8 in der Vorrichtung in Figur 1 von D10 einzusetzen und ferner dann mindestens einen Induktor des Induktionsofens 6 so anzusteuern, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Soll-Temperatur möglichst entspreche.
c) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D5
D5 offenbare zwar in Figur 1 ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Aufbereiten von Warmwalzgut, bei dem einerseits eine Entzunderungseinrichtung 6 zwischen einem Ofen 100 und einem Fertigwalzwerk 8 und anderseits nach der Entzunderungseinrichtung 6 ein Thermometer 7 eingesetzt werde.
Die Regelung der Bandtemperatur erfolge aber durch die Regelung der Wassermenge in der Entzunderungseinrichtung und der Einlaufgeschwindigkeit des Bandes und nicht durch Steuerung des Ofens.
Weder D5 selbst noch D3 liefere einen Anreiz dafür, in der Vorrichtung in Figur 1 der D5 nicht nur einen Induktionsofen einzusetzen, sondern auch einen Induktor des Induktionsofens 6 so anzusteuern, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Soll-Temperatur möglichst entspreche.
d) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D9
Weder D9 noch D1 gebe einen Hinweis darauf, in der Vorrichtung in Figur 1 von D9 eine Rotations-Entzunderungseinrichtung ausgerechnet zwischen dem Induktionsofen 1 und dem darauffolgenden Thermometer 5 einzusetzen und ferner einen Induktor des Induktionsofens 1 so anzusteuern, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Soll-Temperatur möglichst entspreche.
1. Zulassung der Dokumente D15 bis D21
1.1 Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern
Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar.
Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung und die Erwiderung darauf vor dem 1. Januar 2020 eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4)-(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründung als auch auf die Erwiderung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
1.2 Die Dokumente D15 bis D21 wurden erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht und liegen dem Beschwerdeverfahren daher grundsätzlich gemäß Artikel 12(2) VOBK 2007 zugrunde.
Allerdings stellt es Artikel 12(4) VOBK 2007 in das Ermessen der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
1.3 Bei der Ausübung ihres Ermessens hat die Kammer unter anderem zu berücksichtigen, ob die neu eingereichten Dokumente eine angemessene Reaktion auf die angefochtene Entscheidung darstellen, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.A.4.13.1.
Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
1.3.1 Die Dokumente D15, D16 und D19 bis D21 werden in der Beschwerdebegründung nur sehr pauschal diskutiert, insbesondere für die Dokumente D19 bis D21 werden noch nicht einmal konkrete Textstellen zitiert. Auch in Bezug auf die Dokumente D15 und D16 wird nur deren Aufgabenstellung konkret zitiert.
Diese Dokumente tragen augenscheinlich zudem nichts Neues zu dem in der angefochtenen Entscheidung abgehandelten Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit bei. Gemäß der Argumentation der Beschwerdeführerin sollen sie vielmehr nur weiter bestätigen, dass Rotations-Entzunderungseinrichtungen dem Fachmann bekannt sind. Dieses Wissen des Fachmanns ist allerdings unstreitig und wird zudem auch schon von den bereits im Verfahren befindlichen Dokumenten D1 und D3 bestätigt.
Es ist daher nicht erkennbar, in wie fern die Dokumente D15, D16 und D19 bis D21 eine angemessene Reaktion auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung sein können und wie diese zur Argumentation der erfinderischen Tätigkeit etwas Relevantes beitragen können.
1.3.2 D18 wird in Kombination mit D17 zudem als separater neuer Ausgangspunkt für einen völlig neuen Einwand zur erfinderischen Tätigkeit eingesetzt.
Die neue Angriffslinie auf Basis der neu eingereichten Dokumente D18 und D17 lässt in keinster Art und Weise erkennen, warum die Argumentation in der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf D10 oder D5 als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit fehlerhaft sein soll. Weder ändert diese neue Argumentationslinie den Offenbarungsgehalt der in der angefochtenen Entscheidung diskutierten Dokumente, noch belegt sie, dass der beanspruchte Gegenstand von der Einspruchsabteilung falsch ausgelegt wurde.
Auch überzeugt das Argument der Beschwerdeführerin nicht, dass das Einreichen neuer Dokumente schon allein deswegen gerechtfertigt sei, da die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung der Argumentation der Beschwerdegegnerin gefolgt sei.
Es ist in Abwesenheit besonderer Gründe vielmehr gerade nicht Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens, das Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung neuer Angriffslinien fortzuführen oder gar neu aufzurollen ( a.a.O., Kapitel V.A.4.11.1).
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass Anspruch 1 im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 nicht geändert wurde. Anspruch 9 wurde zwar geändert, bildet aber in seinem geänderten Gegenstand lediglich die im erteilten Anspruch 1 definierten Verfahrensschritte in einer entsprechenden Vorrichtung ab. Die Beschwerdeführerin hätte daher die nun neu vorgelegten Dokumente und die auf ihnen beruhenden Angriffslinien bereits im Einspruchsverfahren zumindest gegen Anspruch 1 wie erteilt vorbringen können und sollen.
1.4 Bei der Ausübung ihres Ermessens kann die Kammer zudem berücksichtigen, ob die neu eingereichten Dokumente prima facie relevant erscheinen (a.a.O., Kapitel V.A.4.13.2.)
Auch dies ist im vorliegenden Fall für den neuen Einwand zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit in Hinblick auf D18 und D17 nicht erkennbar.
D18 beschreibt im Ausführungsbeispiel in Spalte 3, Zeilen 23 bis 43 in Bezug auf die Figur ein Verfahren zur Herstellung von warmgewalztem Stahlband, bei dem eine "Temperaturregelstrecke 12 zum optionalen Heizen oder Kühlen (aktiv oder passiv) des Bandes" und eine dieser nachgeordnete Entzunderungseinrichtung 13 zum Einsatz gelangen. D18 beschreibt nicht, wie diese Temperaturregelstrecke zum Heizen oder Kühlen arbeitet.
Der Einsatz einer nicht näher spezifizierten Temperaturregelstrecke, die zudem vor dem Einlauf in die Entzunderungseinrichtung eingesetzt wird, gibt keinerlei Hinweis auf das Merkmal des Anspruchs 1, wonach ein Induktor eines Induktionsofens so angesteuert wird, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Soll-Temperatur möglichst entspricht.
Damit unterscheidet sich das in D18 beschriebene Verfahren und die entsprechende Vorrichtung durch den gleichen wesentlichen Unterschied von dem beanspruchten Gegenstand wie auch schon D10 (siehe den folgenden Punkt 2.1.7) und ist folglich prima facie nicht relevant. Auch D17 trägt diesbezüglich nichts bei.
1.5 Die Kammer lässt daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 die Dokumente D15 bis D21 im Verfahren unberücksichtigt.
2. Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Hauptantrag
2.1 D10 als Ausgangspunkt
2.1.1 Dokument D10 offenbart in Figur 1 und der als D10a eingereichten Zusammenfassung eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren, bei dem ein Induktionsofen (induction heater 6) und nachfolgend ein Walzgerüst (finisher 9) eingesetzt wird. Vor dem ersten Walzgerüst ist zudem ein Thermometer 8 angeordnet.
Aus der Figur 1 der D10 ist erkennbar, dass die von dem Thermometer 8 erfasste Temperatur zusammen mit den von den weiteren Thermometern 4, 10 und 11 erfassten Temperaturen einer Regeleinrichtung (control unit 7) zugeführt wird.
2.1.2 Diese Regelung wird gemäß dem letzten Satz der Zusammenfassung D10a entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin so betrieben, dass die Temperatur des gewalzten Walzguts, also die Temperatur des Walzguts beim Verlassen des Walzwerks, konstant gehalten wird:
"A control unit 7 regulates the output of the heating unit 6 so that the finishing temperature detected by the thermometer 11 at the outlet of the finisher is constant in the longitudinal direction ...".
Auch wenn folglich die von Thermometer 8 gemessene Temperatur der Regeleinrichtung 7 zugeführt und von dieser berücksichtigt wird, so erfolgt die Regelung nicht dahingehend, die am Thermometer 8 gemessene Temperatur an einen Sollwert anzugleichen, sondern die am Thermometer 11 gemessene Temperatur beim Verlassen des Walzgerüsts. Sollwert der Regelstrecke ist also nicht die Temperatur des entzunderten Walzguts (wie beansprucht), sondern die Temperatur des fertig gewalzten Walzguts.
2.1.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D10 beschriebenen Verfahren daher im Wesentlichen dadurch, dass
i) das erwärmte Walzgut durch wenigstens einen
rotierenden Wasserstrahl aus einem Rotor einer Rotations-Entzunderungseinrichtung entzundert wird,
ii) ein Induktor des Induktionsofens so angesteuert
wird, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Solltemperatur möglichst entspricht, d.h. die Temperatur des entzunderten Walzguts als Regelgröße der Temperaturregelung dient.
Diese Unterscheidungsmerkmale bestehen unstreitig auch in Bezug auf den Vorrichtungsanspruch 9.
2.1.4 Die technische Wirkung der unterscheidenden Merkmale ist - ebenfalls unstreitig -, dass das Verfahren eine hohe Energieeffizienz und eine hohe Entzunderungsleistung aufweist, da die Einstellungen der Rotations-Entzunderungseinrichtung durch den Regler nicht geändert wird (Absätze [0009] und [0010] des Patents).
2.1.5 Die objektive technische Aufgabe kann - wiederum unstreitig - darin gesehen werden, eine Vorrichtung bzw. ein Verfahren zum Aufbereiten von Walzgut bereitzustellen, das eine hohe Energieeffizienz und hohe Entzunderungsleistung erzielt (siehe auch Absatz [0007] des Patents).
2.1.6 Das Dokument D1 beschreibt in Anspruch 1 ein Verfahren zum Herstellen von warmgewalztem Metall, bei dem eine Rotations-Entzunderungseinrichtung eingesetzt wird und verdeutlicht daher, dass diese dem Fachmann bekannt sind. Diese Entzunderungseinrichtung wird auch als Rotations-Entzunderungseinrichtung 14 in den Figuren 1 und 4 dargestellt und auf Seite 3, Zeilen 11 bis 23 im Detail beschrieben. Ferner lehrt die D1, dass durch den Einsatz einer Rotations-Entzunderungseinrichtung auch Oszillationsmarken auf dem Band entfernt werden können, siehe Seite 2, Zeilen 22 bis 26.
Dem Argument der Beschwerdeführerin folgend liegt es für einen Fachmann daher nahe, eine in D1 beschriebene Rotations-Entzunderungseinrichtung in einem Verfahren gemäß D10 wegen ihrer hohen Entzunderungseffizienz einzusetzen.
2.1.7 Allerdings wird weder in D10 noch in D1 die in Anspruch 1 definierte Temperaturregelung offenbart, bei der die Ansteuerung des Induktionsofens derart erfolgt, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Solltemperatur möglichst entspricht.
Bei dem in D10 beschriebenen Verfahren erfolgt die Temperaturregelung explizit in Bezug auf die Temperatur des gewalzten Walzguts, siehe D10a, rechte Spalte, Zeilen 5 bis 8. Weder in D10 selbst noch in einem der weiteren zitierten Dokumente findet sich ein Anreiz dafür, diese in D10 beschriebene Temperaturregelung beim zusätzlichen Einsatz einer Entzunderungs-einrichtung zu ändern und insbesondere als Regelgröße die Temperatur des entzunderten Walzguts zu verwenden.
Eine derartige Regelung ergibt sich auch nicht unmittelbar als Folge eines Einbaus einer Entzunderungseinrichtung gemäß D1 in die Walzstrasse der D10.
Auch wenn D1 in Figur 1 den Einsatz der Entzunderungseinrichtung zwischen Ofen und Walzgerüst zeigt, besteht in Unkenntnis des Patents keinerlei Veranlassung, die Entzunderungseinrichtung genau zwischen Induktionsofen 6 und Thermometer 8 einzubauen. Vielmehr könnte die Einheit auch alternativ zwischen Thermometer 8 und Walzgerüst 9 platziert werden.
Selbst wenn ein Fachmann die Entzunderungseinrichtung genau zwischen Induktionsofen 6 und Thermometer 8 einbauen würde, gibt es keinerlei Veranlassung dafür, die mit Thermometer 8 gemessene Temperatur nicht nur in der Regelungseinheit zu erfassen und zu berücksichtigen, sondern auch die Regelung in D10 dahingehend abzuändern, dass nicht die am Thermometer 11 gemessene Temperatur des Walzguts beim Verlassen des Walzgerüsts an einen Sollwert angeglichen wird, sondern die am Thermometer 8 gemessene Temperatur beim Verlassen der Entzunderungseinrichtung.
2.1.8 Die Kammer sieht daher keine Gründe, die in dieser Frage ein Abweichen von der Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt II.4.3.1 der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen könnten und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 ausgehend von D10 unter Berücksichtigung von D1 nicht naheliegend ist.
2.2 D5 in Kombination mit D3
2.2.1 Dokument D5 offenbart in Anspruch 1 unter Bezugnahme auf Figur 1 ein Verfahren zum Aufbereiten von Warmwalzgut, das folgende Schritte umfasst:
- Erwärmen eines Walzguts in einem Ofen (bar heater 5);
- Entzundern des Walzguts (descaling device 6);
- Walzen des entzunderten Walzguts in einem Walzgerüst
(finish rolling mill 8),
wobei wenigstens jeweils eine Temperatur des entzunderten Walzguts mittels eines Thermometers 7 erfasst wird.
2.2.2 Selbst wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerin dahingehend folgt, dass das in
Figur 1 der D5 ohne Verbindung zur Steuereinrichtung 15 dargestellte Thermometer 7 doch zumindest für einen Fachmann inhärent mit dieser verbunden ist, so offenbart D5 entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, wie die mit dem Thermometer 7 gemessene Temperatur von der Steuereinrichtung 15 berücksichtigt wird.
Im letzten Satz der englischen Zusammenfassung D5a offenbart D5 zwar allgemein eine Temperaturregelung:
" ... controlling the temperature on the finishing rolling inlet side by using a heating device 100 having a bar heater 5 and a descaling device 6 ... ".
Allerdings offenbart D5 nicht, dass die von Thermometer 7 gemessene Temperatur und die Steuereinrichtung 15 in dem Verfahren der D5 so zusammenwirken, dass zumindest der Ofen derart angesteuert wird, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Solltemperatur möglichst entspricht.
Gemäß Anspruch 1 der deutschen Übersetzung D5b wird vielmehr die Einfädelgeschwindigkeit des Bandes sowie die Fließmenge des Kühlwassers in der Entzunderungseinheit geregelt. Daraus folgt, dass der Betrieb der Entzunderungseinrichtung geregelt wird und nicht der Betrieb des gemäß D5 eingesetzten Ofens (bar heater 5), um die Bandtemperatur nach der Entzunderung an einen Sollwert anzugleichen. Die gleiche Offenbarung findet sich in den Ansprüchen 9 und 10 der D5.
Diese Lehre der Ansprüche spiegelt sich auch in der Darstellung der Figur 1 der D5 wider, in der gerade keine schematische Verbindung zwischen Thermometer 7 und der Steuerungseinheit 15 gezeigt wird, sondern eine Regelung der Kühlwassermenge veranschaulicht wird durch einen Pfeil von der Steuerungseinheit 15 zu der Pumpe 9 für das Kühlwasser, das der Entzunderungseinrichtung 6 zugeführt wird.
Der in Figur 1 gezeigte Pfeil zwischen Steuervorrichtung 15 und Ofen 5 verlangt auch keineswegs zwingend eine Ansteuerung unter Berücksichtigung des Wertes des Sensors 7. Vielmehr wird in Absatz [0018] der D5 offenbart, dass der Ofen in Betrieb genommen wird, sobald Sensor (4) den Beginn des Bandes detektiert.
Weiterhin wird dies auch durch die Offenbarung in Absatz [0019] der D5 bestätigt, gemäß der die Temperatur auf einen festen Wert eingestellt wird und die Temperaturangleichung an den Sollwert mittels der Kühlwassermenge der Entzunderungseinrichtung erfolgt.
2.2.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D5 beschriebenen Verfahren mithin zumindest dadurch, dass
- das erwärmte Walzgut durch wenigstens einen
rotierenden Wasserstrahl aus einem Rotor einer
Rotationsentzunderungseinrichtung entzundert wird;
- ein Induktionsofen eingesetzt wird;
- der Regler unter Zuhilfenahme eines Regelgesetzes und
unter Berücksichtigung einer Soll-Temperatur
wenigstens eine Stellgröße ermittelt und einem
Regelorgan zuführt, wobei wenigstens ein Induktor des
Induktionsofens so angesteuert wird, dass die
Temperatur des entzunderten Walzguts der Soll-
Temperatur möglichst entspricht.
Diese Unterscheidungsmerkmale bestehen unstreitig auch in Bezug auf den Vorrichtungsanspruch 9.
2.2.4 Selbst wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerin dahingehend folgt, dass ein Fachmann aufgrund der Lehre in D3 auf Seite 5, Zeilen 10 bis 12 und Seite 7, Zeilen 3 bis 6 oder Seite 12, Zeilen 31 bis 35 die Walzstrasse der D5 in naheliegender Art und Weise dahingehend modifizieren würde, dass als Entzunderungseinrichtung eine Rotationsentzunderungs-einrichtung und als Ofen ein Induktionsofen eingesetzt wird, so bleibt die Frage bestehen, warum ein Fachmann gleichzeitig die in D5 beschriebene Regelung ändern würde.
D5 als solches vermittelt dafür keinerlei Hinweis. Zudem vermittelt auch das von der Beschwerdeführerin in Kombination mit D5 zitierte Dokument D3 keinerlei Anreiz dazu, da dort ebenfalls keine derartige Regelung offenbart wird.
2.2.5 Die Kammer sieht daher keine Gründe, die in dieser Frage ein Abweichen von der Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt II.4.3.2 der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen könnten und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 ausgehend von D5 unter Berücksichtigung von D3 nicht naheliegend ist.
2.3 D9 als Ausgangspunkt
2.3.1 Dokument D9 offenbart in Figur 1 ein Verfahren und eine Vorrichtung, bei denen ein Induktionsofen 1 und nachfolgend ein Walzgerüst 2 eingesetzt wird. Vor dem Walzgerüst ist zudem ein Thermometer 5 angeordnet, das von einer Steuerungseinheit 4 berücksichtigt wird.
2.3.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D9 beschriebenen Verfahren daher im Wesentlichen durch die gleichen Merkmale wie in Hinblick auf D10 festgestellt, nämlich dadurch, dass
i) das erwärmte Walzgut durch wenigstens einen
rotierenden Wasserstrahl aus einem Rotor einer Rotations-Entzunderungseinrichtung entzundert wird,
ii) ein Induktor des Induktionsofens so angesteuert
wird, dass die Temperatur des entzunderten Walzguts der Solltemperatur möglichst entspricht, d.h. die Temperatur des entzunderten Walzguts als Regelgröße der Temperaturregelung dient.
Diese Unterscheidungsmerkmale bestehen unstreitig auch in Bezug auf den Vorrichtungsanspruch 9.
Daher gilt ausgehend von D9 gleichermaßen die oben in Punkt 2.1 dargelegte Argumentation in Hinblick auf D10 als Ausgangspunkt.
2.3.3 Die Kammer sieht mithin keine Gründe, die in dieser Frage ein Abweichen von der Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt II.4.3.3 der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen könnten und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 ausgehend von D9 unter Berücksichtigung von D1 nicht naheliegend ist.
3. Da nach alledem das Vorbringen der Beschwerdeführerin keine Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung streuen kann, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.