T 1836/17 19-05-2021
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Ausrücksystem
Hauptantrag: Änderungen - zulässig (nein)
Hilfsantrag: Änderungen - zulässig (ja)
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung (damaliger Hauptantrag) sowie in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung gemäß dem damaligen Hilfsantrag 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung gemäß dem damaligen Hilfsantrag 2 nicht neu sei.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, die als Videokonferenz durchgeführt wurde.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge: Hilfsantrag 1a, eingereicht mit Schreiben vom 6. Februar 2020, und Hilfsanträge 2-7, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 17. August 2017. Sie beantragte ferner die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Ferner beantragte sie, die Hilfsanträge 2 bis 7 nicht in das Verfahren zuzulassen.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[a] Ausrücksystem zur Betätigung einer Kupplung, wobei
[b] das Ausrücksystem insbesondere in der Art eines CSC (Concentric Slave Cylinder) ausgebildet ist und
[c] zumindest einen in einem Gehäuse (1) entlang einer Längsachse (A) verschiebbaren Kolben (2, 4) aufweist,
[d] dessen in Richtung zu einem jeweiligen Druckraum (2.1, 4.1) weisendes Ende eine jeweilige Dichtung (2.2, 4.2) aufweist, und
[e] der an dem der Dichtung (2.2, 4.2) gegenüberliegenden Bereich auf ein jeweiliges Einrücklager (3, 5) wirkt,
[f] wobei eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes des Einrücklagers (3, 5) durch eine innerhalb des Ausrücksystems wirkende Reibung erfolgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
[g] das jeweilige Einrücklager (3, 5) verdrehgesichert mit dem jeweiligen Kolben (2, 4) verbunden ist, und dass
[h] die jeweilige Dichtung (2.2, 4.2) direkt oder über einen Dichtringträger (2.2', 4.2') mit dem jeweiligen Kolben (2, 4) verdrehgesichert verbunden ist.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a entspricht im Wesentlichen dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegten Hilfsantrag 2 und lautet wie folgt (wesentliche Unterschiede gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen; Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[a] Ausrücksystem zur Betätigung einer Kupplung, wobei
[b'] das Ausrücksystem in der Art eines CSC (Concentric Slave Cylinder) ausgebildet ist und
[c'] in einem Gehäuse (1) entlang einer Längsachse (A) verschiebbare erste und zweite Kolben (2, 4) aufweist,
[d'] deren in Richtung zu einem jeweiligen Druckraum (2.1, 4.1) weisende Enden eine erste bzw. zweite Dichtung (2.2, 4.2) aufweisen, und
[e'] die an dem der entsprechenden Dichtung (2.2, 4.2) gegenüberliegenden Bereich auf ein entsprechendes erstes bzw. zweites Einrücklager (3, 5) wirken, wobei
[f'] eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes der Einrücklager (3, 5) durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt,
dadurch gekennzeichnet, dass
[g'] das erste und das zweite Einrücklager (3, 5) jeweils verdrehgesichert mit dem jeweiligen ersten bzw. zweiten Kolben (2, 4) verbunden ist, und dass
[h] die jeweilige Dichtung (2.2, 4.2) direkt oder über einen Dichtringträger (2.2', 4.2') mit dem jeweiligen Kolben (2, 4) verdrehgesichert verbunden ist.
Die abhängigen Ansprüche 2 und 4 des Hilfsantrags 1a lauten wie folgt:
2. Ausrücksystem nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass für die Betätigung einer Kupplung in Form einer Doppelkupplung in einem Gehäuse (1) der zweite Kolben zum ersten Kolben (2) konzentrisch angeordnet ist und radial innen zum ersten Koben liegt,
- wobei der erste Kolben (2) in Richtung zu einem ersten Druckraum (2.1) die erste Dichtung (2.2) und der zweite Kolben (4) in Richtung zu einem zweiten Druckraum (4.1) die zweite Dichtung (4.2) aufweisen,
- der erste Kolben (2) an dem der ersten Dichtung (2.2) gegenüberliegenden Bereich auf das radial außen liegendes erste Einrücklager (3) wirkt,
- der zweite Kolben (4) an dem der zweiten Dichtung (4.2) gegenüberliegenden Bereich auf das radial innen liegende zweites Einrücklager (5) wirkt, und die Abstützung des Lagerschleppmomentes des ersten und/oder zweiten Einrücklagers (3, 5) des Ausrücksystems durch eine innerhalb des Ausrücksystems wirkende Reibung erfolgt.
4. Ausrücksystem nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem ersten und/oder zweiten Einrücklager (3, 5) und dem ersten/zweiten Kolben (2, 4) eine Rutschkupplung angeordnet ist.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:
D9: DE 10 2010 052 387 A1
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Die Ursprungsoffenbarung beziehe sich auf ein Ausrücksystem im Allgemeinen und sei nicht auf CSC beschränkt, weshalb die Anspruchsformulierung in Merkmal [f] keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstelle.
Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung
Anspruch 2 sei von Anspruch 1 abhängig. Deshalb gelte die in Anspruch 1 enthaltene Definition, wonach das Ausrücksystem in der Art eines CSC ausgebildet ist,
auch für das in Anspruch 2 bezeichnete Ausrücksystem. Anspruch 2 stelle daher keine unzulässige Erweiterung dar.
Hilfsantrag 1a - Klarheit
Die Formulierung "das erste und das zweite Einrücklager" sei in sich klar.
Hilfsantrag 1a - Ausführbare Offenbarung
Eine Rutschkupplung könne eine reibschlüssig wirkende Verdrehsicherung darstellen, sodass kein Widerspruch zwischen Anspruch 1 und Anspruch 4 bestehe. Ferner reichten die im Streitpatent enthaltenen Angaben aus, um dem Fachmann die Ausführung der Erfindung zu ermöglichen.
Hilfsantrag 1a - Neuheit
Merkmal [f'] des Anspruchs 1 fordere, dass das gesamte Lagerschleppmoment der Einrücklager durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung abgestützt wird. Die Entgegenhaltung D9 thematisiere das Thema der Lagerschleppmomentabstützung nicht und offenbare insbesondere keine Maßnahmen, die geeignet wären, ein solches Schleppmoment abzustützen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher neu gegenüber D9.
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspreche wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit, da die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung keine zusätzlichen Hilfsanträge mehr zugelassen und damit das rechtliche Gehör der Patentinhaberin verletzt habe.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung stelle unmittelbar und eindeutig auf eine innerhalb eines CSC wirkende Reibung ab, sodass die in Anspruch 1 des Hauptantrags enthaltene Verallgemeinerung auf eine innerhalb eines (beliebigen) Ausrücksystems wirkende Reibung eine unzulässige Erweiterung darstelle.
Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung
Des abhängige Anspruch 2 des Hilfsantrags 1a nehme weiterhin Bezug auf eine innerhalb eines (beliebigen) Ausrücksystems wirkende Reibung, sodass auch hier eine unzulässige Erweiterung vorliege.
Hilfsantrag 1a - Klarheit
Die Formulierung "das erste und das zweite Einrücklager" in Hilfsantrag 1a sei unklar im Lichte der entsprechenden Passage im zurückgenommenen Hilfsantrag 1, die "das erste/zweite Einrücklager" gelautet hatte.
Hilfsantrag 1a - Ausführbare Offenbarung
Die in Anspruch 1 geforderte verdrehgesicherte Verbindung zwischen Einrücklager und Kolben stehe im Widerspruch zu der in Anspruch 4 geforderten Rutschkupplung zwischen Einrücklager und Kolben. Ferner gebe das Patent weder einen Wert für das Lagerschleppmoment noch für das Grenzdrehmoment der Rutschkupplung an. Die Erfindung sei daher nicht ausführbar offenbart.
Hilfsantrag 1a - Neuheit
Merkmal [f'] des Anspruchs 1 fordere lediglich, dass ein Teil des Lagerschleppmoments der Einrücklager durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung abgestützt wird. Ferner falle eine reibschlüssige Verbindung unter den Begriff "verdrehgesichert verbunden". Die Entgegenhaltung D9 offenbare daher sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
1. Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
1.1 Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung verlangt zunächst, dass das Ausrücksystem insbesondere in der Art eines CSC ausgebildet ist, im kennzeichnenden Teil wird aber spezifiziert, dass eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes des Einrücklagers durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt. In der ursprünglichen Anspruchsfassung war für den Fachmann folglich unmittelbar und eindeutig offenbart, dass ein CSC vorliegen muss, da hierin die Lagerschleppmoment-abstützende Reibung stattfindet. Gleiches ergab sich für den Fachmann aus der Beschreibung, wonach "erfindungsgemäß eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes des Einrücklagers durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt" (Seite 3, dritter Absatz), mit der Konsequenz, dass "der CSC kostengünstig ist und sich der Montageaufwand reduziert" (Seite 3, vierter Absatz).
1.2 Merkmal [a] des Anspruchs 1 des Hauptantrags verlangt nach wie vor nur fakultativ, dass das Ausrücksystem insbesondere in der Art eines CSC ausgebildet ist. Jedoch bestimmt Merkmal [f] in diesem Antrag, dass eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes des Einrücklagers durch eine innerhalb des Ausrücksystems wirkende Reibung erfolgt, also innerhalb eines beliebigen, nicht unbedingt konzentrischen Ausrücksystems in Form eines CSC. Dies stellt eine Verallgemeinerung dar, die in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung keine Stütze findet.
1.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte in diesem Zusammenhang, dass im ursprünglichen Anspruch 1 beschrieben sei, dass das Ausrücksystem "insbesondere" in der Art eines CSC ausgebildet ist. Ferner handle es sich bei der ursprünglichen Formulierung "innerhalb des CSC wirkende Reibung" um eine unklare Formulierung, da auf Seite 3, fünfter Absatz, beschrieben sei, dass das beanspruchte System auch auf einfache Kupplungen ausgedehnt werden kann und dazu nur ein Kolben und ein Ausrücklager vorgesehen ist.
1.4 Nach Ansicht der Kammer ist jedoch nicht der Anspruchswortlaut und die darin enthaltene, eindeutige Bezugnahme auf das CSC unklar, sondern allenfalls der von der Beschwerdeführerin angeführte Absatz der Beschreibung. Die ursprünglich eingereichte Anmeldung befasst sich nämlich bereits in der Aufgabenformulierung gezielt mit CSC und den damit verbundenen Problemen (Seite 2, dritter bis fünfter Absatz), und schlägt demgemäß auch eine auf CSC zugeschnittene Lösung vor (Seite 3, erster bis vierter Absatz). Der Fachmann bleibt daher vielmehr im Unklaren, wie (und warum) die konkret für CSC offenbarte Lösung auf andere Systeme anwendbar sein soll.
1.5 Die während des Erteilungsverfahrens in den Anspruch 1 aufgenommene Verallgemeinerung auf eine innerhalb des Ausrücksystems wirkende Reibung stellt daher einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.
2. Hilfsantrag 1a - Unzulässige Erweiterung
2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a wurde unter anderem dahingehend geändert, dass das Ausrücksystem in der Art eines CSC ausgebildet ist, und dass eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes des Einrücklagers durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt.
Im abhängigen Anspruch 2 wird beansprucht, dass die Abstützung des Lagerschleppmomentes des ersten und/oder zweiten Einrücklagers (3, 5) des Ausrücksystems durch eine innerhalb des Ausrücksystems wirkende Reibung erfolgt.
2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte diesbezüglich, analog zu ihrem Vorbringen gegen den Hauptantrag, dass die Bezugnahme auf das Ausrücksystem in Anspruch 2 eine unzulässige Verallgemeinerung darstelle. So könne gemäß dem Anspruch 2 die Abstützung des Lagerschleppmomentes durch Reibung innerhalb eines beliebigen Ausrücksystems erfolgen, und nicht zwingend innerhalb eines konzentrischen Ausrücksystems in Form eines CSC.
2.3 Diesem Argument steht jedoch entgegen, dass es sich bei Anspruch 2 um einen abhängigen Anspruch handelt, der sämtliche Merkmale des in Bezug genommenen Anspruchs 1 umfasst (Regel 43 (4) EPÜ). Der in Anspruch 2 enthaltene Verweis auf das Ausrücksystem kann folglich nicht über die in Anspruch 1 enthaltene Definition hinausgehen, wonach das Ausrücksystem in der Art eines CSC ausgebildet ist.
2.4 Anspruch 2 des Hilfsantrags 1a stellt folglich keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar.
3. Hilfsantrag 1a - Klarheit
3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a wurde ferner dahingehend geändert, dass im kennzeichnenden Teil des Anspruchs die Formulierung "das jeweilige Einrücklager" durch die Formulierung "das erste und das zweite Einrücklager" ersetzt wurde.
3.2 Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass im zurückgenommenen Hilfsantrag 1 die entsprechende Passage "das erste/zweite Einrücklager" gelautet hatte. Daher sei nicht klar, ob mit der Formulierung des Hilfsantrags 1a tatsächlich eine "und"-Verknüpfung der beiden Einrücklager gemeint sei, oder nicht vielleicht eine "oder"- oder eine "bzw."-Verknüpfung wie im Hilfsantrag 1.
3.3 Die Klarheit des Anspruchs ist jedoch ausschließlich anhand seiner geltenden Fassung zu prüfen, und nicht in Bezug auf etwaige frühere, mittlerweile zurückgenommene Fassungen. Daher ist die im zurückgenommenen Hilfsantrag 1 gewählte Formulierung für die Frage der Klarheit der im Hilfsantrag 1a gewählten Formulierung ohne Belang. Letztere bezeichnet unmissverständlich und unzweideutig das erste und das zweite Einrücklager, sodass an der Klarheit des Anspruchs keine Zweifel bestehen.
3.4 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
4. Hilfsantrag 1a - Ausführbare Offenbarung
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a fordert in Merkmal [g'], dass das erste und das zweite Einrücklager jeweils verdrehgesichert mit dem jeweiligen ersten bzw. zweiten Kolben verbunden ist. Der davon abhängige Anspruch 4 fordert weiter, dass zwischen dem ersten und/oder zweiten Einrücklager und dem ersten/zweiten Kolben eine Rutschkupplung angeordnet ist.
4.2 Bezüglich dieser beiden Merkmale machte die Beschwerdegegnerin einen technischen Widerspruch geltend. Einerseits schließe eine verdrehgesicherte Verbindung zweier Bauteile eine Relativdrehung derselben definitionsgemäß aus. Andererseits bestehe das Wesen einer Rutschkupplung aber in einer ebensolchen Relativdrehung, da oberhalb eines Grenzdrehmoments die Bauteile relativ zueinander rutschen. Der Fachmann habe daher vor der unlösbaren Aufgabe gestanden, eine Verbindung zwischen jeweiligem Einrücklager und Kolben bereitzustellen, die einerseits nicht rutschen dürfe, andererseits aber rutschen solle.
4.3 Im vorliegenden Fall schließt der Begriff "verdrehgesichert verbunden" ein Rutschen der verbundenen Bauteile oberhalb eines Grenzdrehmoments nicht aus, da ausweislich der Beschreibung, Absatz [0003], neben formschlüssigen Verdrehsicherungen auch reibschlüssige Verdrehsicherungen existieren. Bei reibschlüssigen Verdrehsicherungen besteht demgemäß die Möglichkeit des Rutschens, wenn die Schleppmomente erhöht werden. Der Fachmann versteht daher das Merkmal [g'] des Anspruchs 1 dahingehend, dass das erste und das zweite Einrücklager mit dem jeweiligen ersten bzw. zweiten Kolben derart verbunden ist, dass jedenfalls unterhalb eines Grenzdrehmoments keine Relativdrehung zwischen Einrücklager und Kolben stattfinden kann. Insofern besteht kein technischer Widerspruch hinsichtlich des abhängigen Anspruchs 4, wonach gleichzeitig zu der verdrehgesicherten Verbindung auch eine Rutschkupplung zwischen dem Einrücklager und dem Kolben angeordnet sein soll, da besagte Rutschkupplung die verdrehgesicherte Verbindung nach Definition des Streitpatents unterhalb ihres Grenzdrehmoments bereitstellen kann.
4.4 Die Beschwerdegegnerin argumentiert weiter, dass es dem Fachmann nicht möglich gewesen sei, die anspruchsgemäße Rutschkupplung bereitzustellen, da das Patent weder einen Wert für das Lagerschleppmoment noch einen Wert für das Grenzdrehmoment angebe, ab dem die Rutschkupplung rutscht. Es ist jedoch unstreitig, dass dem Fachmann Rutschkupplungen und deren Funktionsprinzip allgemein bekannt waren. Der Umstand, dass der Anspruch keine Bedingung bezüglich eines bestimmten Grenzdrehmoments nennt, führt zu einer breiten Definition der unter Schutz gestellten Erfindung, erzeugt aber keine Zweifel an deren Ausführbarkeit.
4.5 Hilfsantrag 1a erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
5. Hilfsantrag 1a - Neuheit
5.1 Anspruchsauslegung
5.1.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a bestimmt in Merkmal [f'], dass eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes der Einrücklager durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt.
5.1.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte diesbezüglich, dass der unbestimmte Artikel "eines" nur deshalb dem Lagerschleppmoment vorangestellt sei, weil der Anspruch keine Vorerwähnung desselben enthalte; gemeint sei aber das gesamte aus den Einrücklagern resultierende Schleppmoment.
5.1.3 Der Beschwerdeführerin ist zwar darin zuzustimmen, dass bei erstmaliger Erwähnung eines Merkmals im Anspruch diesem Merkmal aus Gründen der Klarheit grundsätzlich ein unbestimmter Artikel vorangestellt werden sollte. Dieser Grundsatz rechtfertigt es aber nicht, dem unbestimmten Artikel eine andere Bedeutung beizumessen als dieser tatsächlich hat. Im vorliegenden Fall lässt die Formulierung "Abstützung eines Lagerschleppmomentes" offen, ob damit das gesamte aus den Einrücklagern resultierende Schleppmoment oder nur ein Teil desselben bezeichnet wird. Eine weitergehende Einschränkung auf das gesamte Lagerschleppmoment ist dem Merkmal nicht zu entnehmen und findet sich auch sonst nicht im Anspruch. Merkmal [f'] muss daher breit ausgelegt und bereits dann als erfüllt betrachtet werden, wenn ein Teil des aus den Einrücklagern resultierenden Schleppmoments durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung abgestützt wird.
5.1.4 In den Merkmalen [g'] und [h] definiert Anspruch 1 des Hilfsantrags 1a, dass Einrücklager und Kolben bzw. Dichtung und Kolben verdrehgesichert miteinander verbunden sind. Wie oben in Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung dargelegt (siehe obigen Punkt 4.), umfasst im vorliegenden Fall das Merkmal "verdrehgesichert verbunden" auch reibschlüssige Verbindungen und schließt insbesondere eine Relativdrehung der verbundenen Bauteile oberhalb eines Grenzdrehmoments nicht aus. Da der Anspruch dieses Grenzdrehmoment nicht näher spezifiziert, ist er diesbezüglich breit auszulegen.
5.2 Neuheit gegenüber D9
5.2.1 Die Entgegenhaltung D9 offenbart in den Absätzen [0031]-[0034] und in den Figuren 1-6 unstreitig ein (Bezugnahmen in runden Klammern beziehen sich auf D9)
[a] Ausrücksystem (1) zur Betätigung einer Kupplung, wobei
[b'] das Ausrücksystem (1) in der Art eines CSC (Concentric Slave Cylinder) ausgebildet ist (Abs. [0031]; Figur 1) und
[c'] in einem Gehäuse (20) entlang einer Längsachse verschiebbare erste und zweite Kolben (2, 3) aufweist,
[d'] deren in Richtung zu einem jeweiligen Druckraum weisende Enden eine erste bzw. zweite Dichtung (6, 7) aufweisen, und
[e'] die an dem der entsprechenden Dichtung (6, 7) gegenüberliegenden Bereich auf ein entsprechendes erstes bzw. zweites Einrücklager (10, 11) wirken.
5.2.2 Betreffend das Merkmal [g'] offenbart die D9 in den Absätzen [0044] und [0045] und den Figuren 4-6, dass das Ausrücklager 10 auf einem Ring 23 aufliegt, und der Kolben 2 bzw. dessen Fortsatz 2d' mit dem Ring 23 verbunden sein kann. Das Ausrücklager 11 wiederum befindet sich unmittelbar mit dem Kolben 3 in Anlage. Hieraus resultiert jeweils eine reibschlüssige Verbindung des Ausrücklagers 10 bzw. 11 mit dem Kolben 2 bzw. 3.
Da gemäß Anspruch 1 des Streitpatents eine solche reibschlüssige Verbindung grundsätzlich unter eine verdrehgesicherte Verbindung fällt (siehe obigen Punkt 5.1.4), offenbart die D9 auch das Merkmal [g'], wonach das erste und das zweite Einrücklager (10, 11) jeweils verdrehgesichert mit dem jeweiligen ersten bzw. zweiten Kolben (2, 3) verbunden ist.
5.2.3 Analoge Überlegungen gelten hinsichtlich des Merkmals [h]. Wie dem Absatz [0033] und den Figuren 1, 2 und 4-6 der D9 zu entnehmen ist, weist jeder Kolben 2, 3 jeweils im unteren Bereich eine Dichtung 6, 7 auf, die den jeweils darunter liegenden Bereich des Zylinders 4a, 5a gegenüber Hydraulikflüssigkeit abdichtet. Es besteht folglich ein Reibschluss zwischen der Unterseite des jeweiligen Kolbens 2, 3 und der dort angebrachten Dichtung 6, 7, der insbesondere dann ausgeprägt ist, wenn die Hydraulikflüssigkeit die Dichtung gegen den Kolben drückt, um den Kolben auszufahren (siehe D9, Figuren 2, 5 und 6).
Damit offenbart die D9 auch das Merkmal [h], wonach die jeweilige Dichtung (6, 7) direkt oder über einen Dichtringträger mit dem jeweiligen Kolben (2, 3) verdrehgesichert verbunden ist.
5.2.4 Die jeweils reibschlüssige Verbindung zwischen Einrücklager und Kolben sowie zwischen Kolben und Dichtung führt dazu, dass bei einem Eintrag eines Lagerschleppmoments der Einrücklager in den CSC zwangsläufig zumindest ein Teil des Schleppmoments in Reibung resultiert. Da Anspruch 1, wie oben dargelegt (siehe obigen Punkt 5.1.3), nicht fordert, dass das gesamte Lagerschleppmoment der Einrücklager durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung abgestützt wird, offenbart die D9 das Merkmal [f'], wonach eine Abstützung eines Lagerschleppmomentes der Einrücklager (10, 11) durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung erfolgt.
5.2.5 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die D9 ein Lagerschleppmoment nicht thematisiere und daher auch keinen Weg zur Abstützung desselben offenbare, überzeugt nicht. Die in der D9 unmittelbar und eindeutig offenbarten reibschlüssigen Verbindungen zwischen Einrücklager und Kolben sowie zwischen Kolben und Dichtung führen zwangsläufig dazu, dass ein von den Einrücklagern in das CSC eingetragenes Schleppmoment zumindest in Teilen durch Reibung innerhalb des CSC abgestützt wird.
5.2.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte weiter, dass die in der D9 entstehenden Reibkräfte nicht ausreichten, um gemäß Merkmal [f'] ein Lagerschleppmoment abzustützen. Hierfür bedürfe es besonderer Maßnahmen, wie in der Beschreibung des Streitpatents erläutert. So sei patentgemäß zur Erzeugung einer dem Schleppmoment entgegenwirkenden Reibung eine Durchmessererweiterung des Kolbens an dem zum Einrücklager weisenden Bereich vorgesehen (Streitpatent, Absatz [0019]). Ferner sei als Dichtung anstelle einer einfachen berührenden Dichtung eine Labyrinthdichtung einzusetzen (Streitpatent, Absatz [0027]). Auch eine geeignete Materialwahl spiele eine Rolle.
Diesem Argument steht entgegen, dass der Anspruchswortlaut keine dieser Maßnahmen fordert. Vielmehr genügt es gemäß obiger Anspruchsauslegung (siehe obigen Punkt 5.1.3), dass ein Teil des Lagerschleppmoments der Einrücklager durch eine innerhalb des CSC wirkende Reibung abgestützt wird. Da der Anspruch weder die Größenordnung des Lagerschleppmoments definiert noch den Anteil, der durch die Reibung innerhalb des CSC aufgenommen werden soll, genügt der im CSC der D9 zweifelsfrei vorhandene Reibschluss zwischen Einrücklager und Kolben bzw. zwischen Kolben und Dichtung, um das Anspruchsmerkmal [f'] zu erfüllen.
5.2.7 Damit offenbart die D9 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1a, sodass dieser nicht neu ist (Artikel 54 EPÜ).
6. Zulassung der Hilfsanträge 2-7 in das Verfahren
6.1 Die Hilfsanträge 2-7 wurden mit der Beschwerdebegründung vom 17. August 2017 und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht.
6.2 Bei diesen Anträgen handelt es sich um die Reaktion der unterliegenden Partei auf die sie beschwerende Entscheidung der Einspruchsabteilung (Artikel 12 (4) VOBK 2007). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Einspruchsabteilung in ihrem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigelegten Bescheid zu dem Schluss gekommen war, dass keiner der Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünde.
6.3 Die Anträge werden daher in das Verfahren zugelassen.
7. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
7.1 Gemäß Artikel 11 VOBK 2020 kann die Kammer die Angelegenheit an das Organ zurückverweisen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
7.2 Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den Hilfsanträgen 2-7 um Anträge, mit der sich die Einspruchsabteilung noch nicht befasst hat. Da es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens ist, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK 2020), und da zu den Hilfsanträgen 2-7 noch keine Entscheidung der Einspruchsabteilung vorliegt, die überprüft werden könnte, bestehen besondere Gründe für eine Zurückverweisung.
7.3 Die Absicht der Kammer, die Angelegenheit betreffend die Hilfsanträge 2-7, sofern diese in das Verfahren zugelassen werden, an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, wurde den Parteien bereits in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 22. November 2019 unter Punkt 7 mitgeteilt. Keine der Parteien sprach sich hiergegen aus.
7.4 Daher wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortführung des Verfahrens zurückverwiesen.
8. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
8.1 Die Beschwerdeführerin beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliege, da die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung keine zusätzlichen Hilfsanträge mehr zugelassen und damit das rechtliche Gehör der Patentinhaberin verletzt habe.
8.2 Gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.
8.3 Damit die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit entsprechen kann, muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten wesentlichen Verfahrensmangel und der Einlegung der Beschwerde bestehen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Ausgabe 2019, V.A.9.7).
8.4 Da die Beschwerdeführerin ihren von der Einspruchsabteilung zurückgewiesenen Hauptantrag und Hilfsantrag 2 im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag und Hilfsantrag 1 weiterhin verfolgte, hätte sie die Beschwerde auch einlegen müssen, wenn die Einspruchsabteilung die Hilfsanträge zugelassen hätte. Es war nicht der geltend gemachte Verfahrensmangel, der sie zur Einlegung der Beschwerde gezwungen hat. Daher besteht kein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensmangel und der Einlegung der Beschwerde.
8.5 Somit ist der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen, und es kann dahingestellt bleiben, ob der geltend gemachte wesentliche Verfahrensmangel vorlag oder nicht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur Fortführung des Verfahrens zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.